Karl May
Auf fremden Pfaden
Karl May

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2.

Wir ritten genau anderthalb Meilen im rechten Winkel vom Flusse ab nach Süden und kehrten dann um. Die Gegend dort ist gebirgig und sehr schatten- und wasserreich. Darum wird sie im Hochsommer von den Kurden, die im Winter die Ebene bewohnen, aufgesucht, während die wandernden Araberstämme, wenn um dieselbe Zeit die Steppe ausgedorrt ist, in die Nähe des Tigris ziehen. Infolgedessen ist es in der heißen Jahreszeit nicht ungefährlich, am Flusse zu reisen, denn so gastfrei und aufopfernd der Kurde seinen Freunden gegenüber ist, den Fremden hält er für gute Beute; das weiß er nicht anders, das ist in jenen Gegenden seit Menschengedenken so und nicht anders gewesen. Auch wir mußten aufmerksam und vorsichtig sein. Ich hatte einigen Kurdenstämmen gegen andere gute Dienste geleistet; die ersteren waren meine Freunde, die letzteren dafür meine Todfeinde, und wenn wir einem von diesen in die Hände gerieten, so war es unbedingt um uns geschehen. Zu ihnen gehörte auch der Stamm der Schirwani, dem wir vorhin so glücklich entgangen waren.

Die Sonne wollte hinter den westlichen Bergen verschwinden; wir hatten den Rückweg beinahe vollendet und konnten uns nicht mehr weit vom Zab befinden. Wir ritten durch ein kurzes Thal, dessen Wände sehr steil zum Himmel stiegen, und, sahen zwischen umhergestreuten Felsbrocken einen Hirten sitzen, welcher einige armselige Ziegen beaufsichtigte. Der Mann mußte sehr arm sein, denn seine hemdähnliche Kleidung war vielfach zerrissen und vermochte nur halb seine Blöße zu bedecken. Auf seinem wirrhaarigen Kopfe saß eine jener kurdischen Ledermützen, welche häßlichen, vielbeinigen Spinnen gleichen, indem zahlreiche Riemen an allen Seiten herunterhängen.

»Aaleikun eselahm u rahmet Chodeh – der Friede und die Barmherzigkeit Gottes sei mit euch!« rief er uns zu, indem er seine dürre Hand bettelnd nach uns ausstreckte. »Schenkt mir eine Gabe! Katera Chodeh – um Gottes willen!«

Wir ritten zu ihm hin; ich griff in die Tasche und gab ihm einige Piaster.

»Chodeh da-uleta teh mehzin bikeh, ßoyuhle teh rahst bine – Gott vermehre deinen Reichtum und stehe dir bei in deinen Geschäften!« bedankte er sich demütig.

»Du bist ein Kurde?«

»Ja, Chodieh.«

»Von welchem Stamme?«

»Ich gehöre zu keinem; ich bin alt und ausgestoßen.«

Das erbarmte mich. Ich erkundigte mich weiter:

»Wovon lebst du?«

»Von Wurzeln und von der Milch, welche mir diese drei kleinen Ziegen geben. Mein Weib liegt krank.«

»Wo?«

»Drinnen.«

Er deutete hinter sich, wo ich ein Loch im Felsen sah.

»Gott, welche Wohnung! Darf ich sie sehen? Vielleicht weiß ich ein Mittel, ihr zu helfen.«

»Geh hinein, Chodieh, und Allah mag ihr beistehen!«

Ich stieg vom Pferde, gab Halef, der auch aus dem Sattel sprang, mein Pferd und meine Gewehre und ging nach dem Loche. Es war manneshoch, aber sehr schmal. Als ich einige Ellen weit eingedrungen war, fühlte ich links und rechts Seitenlöcher. Wo war die Frau? Es herrschte völliges Dunkel hier. Ich rief und hörte eine Stimme gerade vor mir antworten. Nach einigen Schritten wurde es hell vor mir; ich sah ein kleines Licht vor mir brennen, bekam aber zu gleicher Zeit einen so gewaltigen Hieb auf den Kopf, daß ich auf das Gesicht niederstürzte. »Meded, meded, ya Sihdi – zu Hilfe, zu Hilfe, o Sihdi!« hörte ich noch draußen Halef rufen, dann hatte ich die Besinnung verloren.

Wie lange ich gelegen habe, weiß ich nicht. Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich, daß ich mich in Bewegung befand. Die Arme waren mir nach dem Rücken zu festgebunden und die gefesselten Knie weit an den Leib heraufgezogen. Sehen konnte ich nicht, denn man hatte mir die Augen verhüllt. Ich schien in einem Kamelkorbe zu stecken.

Mein Kopf brummte wie eine Baßgeige. Wieder einmal gefangen! Aber von wem? Der Bettler war jedenfalls ein Lockvogel gewesen. Ich konnte jetzt nichts thun, als mich ruhig verhalten, denn nach einer Anstrengung aller meiner Kräfte, meine Fesseln zu prüfen, erkannte ich, daß dieselben unzerreißbar waren. Das Wiegen und Schaukeln dauerte fort. ich hörte die Schritte vieler Tiere und die Stimmen zahlreicher Menschen; sie sprachen kurdisch, aber nichts, was mich betraf und mich über meine Lage aufklären konnte.

Endlich wurde angehalten, und aus den verschiedenen, mir wohlbekannten Geräuschen entnahm ich, daß Lager gemacht wurde. Es dauerte längere Zeit, dann wurde ich von mehreren Armen gepackt, eine Strecke weit fortgetragen und niedergelegt. Während dieses kurzen Transportes hatte ich einen Windhauch in meinem Gesicht gespürt; jetzt fühlte ich ihn nicht mehr. Hatte man mich nicht im Freien, sondern in einem Zelte niedergelegt?

Nach einiger Zeit kamen wieder Leute, die eine Last zu tragen schienen. Brachten sie etwa meinen Hadschi? Sie entfernten Sich, und dann war es still um mich her.

»Halef?« sagte ich leise.

»Sihdi, du bist es?« antwortete er.

»Ja. Sind wir allein?«

»Allah weiß es, ich nicht. Meine Augen sind verbunden.«

»Die meinigen auch. Wie ist das gekommen?«

»Ganz unerwartet. Der Bettler sprang plötzlich auf und schlang seine Riesenarme um mich. Zu gleicher Zeit kamen viele Kerls herbeigesprungen. Ich rief um Hilfe, wurde aber niedergerungen und gefesselt; dann verband man mir die Augen. Mehr kann ich nicht sagen.«

»Was für Kurden mögen es sein?«

»Wenn du es nicht weißt, ich erst recht nicht.«

»So laß uns schweigen und lauschen. Vielleicht hören wir etwas, was uns Aufklärung giebt.«

Wir horchten, vernahmen aber nur die gewöhnlichen Reden und Rufe, die in einem Kurdenlager zu hören sind. Es verging eine lange, lange Zeit; da hörte ich eine Stimme, welche meine ganze Aufmerksamkeit erregte. Sie erklang nahe bei uns und sagte in nicht kurdischer, sondern in arabischer Sprache:

»Nimmst auch du ein Fläschchen? Du hast vorhin nicht darauf gehört. Es enthält ed Damm el mukaddas, das Blut des Propheten, welches aus einer Wunde geflossen ist, die Muhammed in der Schlacht bei Bedr erhielt. Es wurde bisher in der heiligen Kaaba zu Mekka aufbewahrt; ich habe es aber jetzt zum Verkaufe an die Gläubigen erhalten. Du wirst auf jedem Fläschchen das Siegel des Scheik el Kaaba sehen.«

Das war die Stimme des Armeni. Er war jedenfalls als Händler hier. Mir als Christen hatte er lagh kuds, das heilige Öl, angeboten, und hier bei den muhammedanischen Kurden wollte er mit einem angeblichen Damm el mukaddas, dem heiligen Blute des Propheten, Geschäfte machen! Sein eigentliches Geschäft war wohl auch hier das Spionieren. Halef hatte die Stimme auch erkannt, denn er flüsterte mir zu:

»Sihdi, das war der Armeni. Was sagst du dazu? Ob er auch hier nach jungen Mädchen sucht?«

»Möglich.«

»Oder ob diese Kurden auch seine Verbündeten sind?«

»Das glaube ich nicht.«

»Mag das sein, wie es will – seine Anwesenheit verschlimmert unsere Lage ganz bedeutend.«

»Ich möchte lieber das Gegenteil annehmen.«

»Wirklich? – Warum?«

»Wenn er mit schlimmen Absichten hier ist, können wir uns den Dank der Kurden dadurch erwerben, daß wir sie vor ihm warnen.«

»Das ist richtig, Sihdi, sehr richtig. Und wenn es auch nicht so wäre, so fiele es mir doch nicht ein, den Mut sinken zu lassen. Wir haben uns schon in noch schlechtern Lagen befunden und sind errettet worden. Wir haben keinem Menschen etwas Böses gethan, und Allah, welches der Vater und Beschützer aller Guten ist, wird uns von unsern Banden bald erlösen. Er kann nicht wollen, daß ich Hanneh, die herrlichste der Frauen, und Kara Ben Halef, den Sohn meines Herzens, nicht wiedersehe.«

Dem Geräusch und den Stimmen nach, die wir rund um uns hörten, schien das Lager kein bedeutendes zu sein. Wir hörten auch das Prasseln eines Feuers, und dann rochen wir den Duft bratenden Fleisches. Um uns schien sich kein Mensch zu kümmern. Wir konnten noch einige Zeit zuhören, wie der Armeni seine Fläschchen anbot. Er schien keine schlechten Geschäfte zu machen; dann war seine Stimme nicht mehr zu vernehmen; wahrscheinlich hatte er sich nach einem entlegeneren Teile des Lagers entfernt.

Da endlich kamen einige Personen zu uns, und wir hörten das Zischen eines brennenden Kienspanes.

»Ist jemand da?« fragte ich.

»Ja,« lautete die Antwort.

»Wer?«

»Der Nezanum, der euch gefangen hat.«

»Warum hast du uns gefangen?«

»Frag nicht so, Hund! du weißt ganz genau, warum. Ihr werdet auf alle Fälle sterben müssen; aber wenn Schefaka nur das kleinste Härlein gekrümmt worden ist, so kann es in der tiefsten Hölle keine solchen Qualen geben, wie die sind, welche ihr erleiden werdet.«

»Schefaka?« fragte ich erstaunt. »Sprichst du von einem Weibe?«

»Natürlich! Von der Frau, die ihr geraubt habt, ihr Hunde!«

»Ich kenne viele Stämme der Kurden, aber nur einen einzigen, zu welchem ein Weib gehört, welches Schefaka heißt. Seid ihr Zibarikurden?«

»Frage noch einmal, so zerschlage ich dir deinen Schädel!«

»Schweig mit deinen Beleidigungen!« fuhr ich ihn trotz meiner Lage an. »Du weißt nicht, mit wem du sprichst. Wenn du mir nur einige Fragen ruhig beantwortest, so wirst du Schefaka vielleicht dadurch retten. Also sag, seid ihr Zibarikurden?«

»Ja.« antwortete er mit mühsam unterdrücktem Grimme.

»Heißt der Mann dieser Schefaka vielleicht Hamsa Mertal?«

»Natürlich heißt er so; das weißt du ebensogut wie ich; das höre ich ja.«

»Und der Vater dieses Mannes ist der alte tapfere Scheri Schir, der oberste Scheik der Zibari?«

»Ja.«

»So höre, was ich dir jetzt sage, und handle ganz genau nach meinen Worten! Es ist ein Händler bei dir, welcher ed Damm el mukaddas verkauft?«

»Ja.«

»Und Schefaka ist geraubt worden?«

»Ja.«

»Er ist der Räuber; nicht wir sind es. Er ist heute gekommen, um euere junge Mädchen kennen zu lernen und euch die schönsten von ihnen zu entführen.«

»Hund, denkst du wirklich, daß – –«

»Schweig,« unterbrach ich ihn. »Laß ihn ja nichts von dem hören, was wir jetzt sprechen! Weiß er, daß ihr uns gefangen habt?«

»Nein.«

»Ist dir der Name Hadschi Halef Omar bekannt?«

»Das war ein kleiner, aber sehr tapferer Krieger vom Stamme der Haddedilmaraber.«

»Und kennst du einen Mann, welcher Emir Kara Ben Nemsi Effendi heißt?«

»Das ist sein Herr, ein berühmter Krieger aus dem Lande der Nemtsche

»Sind diese beiden Männer Freunde oder Feinde der Zibarikurden?«

»Freunde. Kara Ben Nemsi ist mehreremal bei ihnen gewesen und hat ihnen gegen ihre Feinde beigestanden. Scheri Schir und Hamsa Mertal haben Blutsbruderschaft mit ihm getrunken, und Schefaka betete täglich für sein Heil, denn ihre Ahnen wohnten in dem Lande, aus welchem er stammt.«

»Hast du ihn und Halef gesehen?«

»Nein.«

»Ist jemand hier, der ihn gesehen hat?«

»Wir gehören zu einer andern Abteilung der Zibari und haben weder ihn noch Halef gesehen; aber vor einer Viertelstunde sandte Scheri Schir einen Boten zu mir. Er sitzt draußen am Feuer und wird Kara Ben Nemsi und auch wohl Halef kennen.«

»Hast du von den Waffen dieser beiden Männer gehört?«

»Ja. Hadschi Kara Ben Nemsi hat kleine Pistolen, welche nur einen Lauf haben, aber sechsmal schießen, ferner eine schwere Büchse, aus welcher eine Kugel genügt, um einen Löwen, Panther, Tiger oder Bären zu töten, und endlich eine Zauberflinte, aus welcher er immerfort schießen kann, ohne laden zu müssen. Darum können hundert Krieger es nicht mit diesem einzigen aufnehmen.«

»Ihr habt uns unsere Waffen abgenommen. Wer hat sie jetzt?«

»Ich.«

»Hast du sie genau angesehen?«

»Noch nicht. Ich hatte mit der Herstellung des Lagers zu thun.«

»So geh hinaus, und betrachte sie; aber laß ja keinen Menschen merken, was dir dabei für Gedanken kommen! Wir sind von euch vollständig überrumpelt worden; hätten wir Zeit gefunden, uns unserer Gewehre zu bedienen, so hättet ihr uns nicht gefangen nehmen können. Also geh, doch laß mich nicht lange auf deine Rückkehr warten!«

Wir hörten, daß sich die Schritte entfernten; aber schon nach kaum fünf Minuten kamen sie sehr eilig zurück, und der Nezanum sagte hastig und aufgeregt:

»Chodieh, ich sah die Gewehre und bin erschrocken. Sollte Allah es zugegeben haben –«

»Daß ihr euere besten Freunde gefangen genommen habt,« vervollständigte ich. »Ich will jetzt noch nichts fordern, aber hol den Boten herein; wenn er uns kennt, wird er dir sagen, wer wir sind. Aber sei ja heimlich dabei!«

Er ging abermals. Nach kaum einer Minute hörten wir seine Schritte wieder und diejenigen einer zweiten Person. Einige kurze Augenblicke des Schweigens, dann rief eine erschrockene Stimme:

»Ist so etwas möglich! Das ist ja unser Hemscher, Mivan und Malko-e-gund Hadschi Kara Ben Nemsi, dem wir so viel, viel zu verdanken haben, und da liegt auch sein Freund und Diener Hadschi Halef Omar! Wie kannst du es wagen, o Nezanum, so berühmte Helden, solche Gönner unseres Stammes, zu mißhandeln? Wenn dies Scheri Schir, unser Scheik, erfährt, der noch heute kommt, so hast du seinen ganzen Zorn zu fürchten. Weg, sofort weg mit den Fesseln und Binden!«

Die Riemen wurden losgebunden und die Augen uns freigemacht. Vor uns stand der Nezanum, ein alter Kurde, dem der Schreck anzusehen war, und ein jüngerer Stammesgenosse, den ich sofort erkannte. Ich gab ihm die Hand und sagte:

»Ich danke dir, Hasin! Ohne dich wären wir wohl lange gefesselt gewesen. Später werden wir weiter sprechen; jetzt vor allen Dingen das Notwendigste. Will der fremde Händler bei euch bleiben?«

»Nein; er muß schon vor Mitternacht fort.«

»Habt ihr Frauen und Mädchen mit hier?«

»Ja,« antwortete der Nezanum.

»So will er vor Mitternacht fort, um euch nach Mitternacht zu überfallen. Er ist der Kys-Kaptschiji, und Scheich

Melef ist mit seinen Schirwanikurden da, um ihm zu helfen.«

»Allah, Allah! Was hören meine Ohren!«

»Nicht so laut! Ist der Händler allein?«

»Er hat einen Gehilfen mit.«

»Welchen Namen hat sich der Mädchenräuber bei euch gegeben?«

»Assad Benabi aus Mekka.«

»Geht jetzt hinaus, und bereitet eure Leute auf unser Erscheinen vor, ohne daß er es bemerkt. Wenn wir gleich mit euch kämen, würden wir Aufsehen erregen. Wir werden uns zum Händler setzen. Einige starke Leute halten sich bereit, auf meinen Wink ihn und seinen Begleiter schnell zu fesseln. Er darf uns ja nicht entkommen, sonst werdet ihr Schefaka, die Schwiegertochter eures Scheiks, niemals wiedersehen.«

Sie entfernten sich mit dem brennenden Kienspane, bei dessen Scheine wir gesehen hatten, daß wir uns in einem schwarzen Leinwandzelte befanden. Halef wußte vor Freude nicht, was er sagen sollte; ich war ruhiger als er und meinte:

»Da siehst du wieder einmal, lieber Halef, wie viele Früchte eine einzige gute That zu bringen vermag!«

Nach einiger Zeit kam der Nezanum wieder. Er brachte uns unsere Waffen und sagte uns, daß er alle seine Leute unterrichtete, wer wir seien, und daß er uns die Freiheit wiedergegeben habe. Wir blickten hinaus. Es brannten mehrere Feuer, an welchem die Kurden und Kurdinnen saßen, die Augen verstohlen, aber erwartungsvoll nach unserm Zelte gerichtet. Die beiden Armenier befanden sich am zweiten Feuer, von uns aus gerechnet; sie kehrten uns ihre Rücken zu. Wir traten hinaus und gingen leise, so daß sie uns nicht kommen hörten, zu ihnen hin. Der Armeni hatte ein Kästchen mit kleinen Flaschen neben sich stehen. Die Kurden, bei denen, er saß, sahen uns kommen; sie schwiegen. Ich unterbrach diese Stille mit lauter Stimme:

»Ich höre, daß hier ed Damm el mukaddas, das heilige Blut des Propheten, zu verkaufen ist. Kann ich ein Fläschchen bekommen?«

Während dieser Worte setzten wir uns neben den beiden Armeniern nieder. Der Händler starrte mich wie einen Geist an; er konnte in diesem Augenblick vor Schreck kein Glied bewegen. Ich griff in das Kästchen, nahm ein Fläschchen heraus und betrachtete es.

»Wie ist dein Name?« fragte ich ihn.

»Assad Benabi aus Mekka,« antwortete er fast stammelnd.

»Und heute mittag hast du dich mir gegenüber Dawuhd Soliman genannt und gesagt, daß du ein Armeni seiest? Du scheinst einen großen Vorrat verschiedener Namen zu besitzen.«

Da nahm er sich zusammen, sah mir frech und herausfordernd in das Gesicht und entgegnete:

»Wer bist du, daß du es wagst, mit einem Beamten der heiligen Kaaba in dieser Weise zu sprechen? Ich kenne dich nicht und habe dich noch nie gesehen!«

»Desto besser kenne ich dich. Du bist der Kys-Kaptschiji, den wir suchen.«

»Allah akbar! Was muß ich hören!«

»Du wirst heute nicht nur hören, sondern auch fühlen! Schau, diese Fläschchen mit dem heiligen Blute sollen vom Scheik der Kaaba versiegelt worden sein? Da aber lese ich auch wieder den Namen Musa Wardan, denselben Namen, der auf deinem Siegelringe steht.«

Ich öffnete, ohne daß er mich zu hindern wagte, das Fläschchen mit dem Messer, holte mit einem spitzen Holze einen Teil des Inhaltes heraus, betrachtete und befühlte ihn und fuhr dann fort:

»Das Damm el mukaddas soll aus der Schlacht bei Bedr stammen? Sie wurde im zweiten Jahre der Hedschra geschlagen; dieses Blut aber ist höchstens drei oder vier Tage alt und wird wahrscheinlich aus den Adern eines Schafes oder einer Ziege gekommen sein. Was würde der Scheik ul Islam sagen, wenn er hörte, daß es noch Blut des Propheten giebt, und daß ein armenischer Giaur Handel damit treibt!«

»Ich bin kein Armenier, sondern – –«

»Schweig, Schurke!« donnerte ich ihn an. »Dieses heilige Blut ist ebenso frecher Schwindel, wie heute mittag das heilige Öl. Willst du nicht auch noch mit Ma el mukaddas Handel treiben?«

»Ma el mukaddas?« fragte er ganz verstört.

»Ja, mit Ma el mukaddas, mit dem heiligen Wasser. Weißt du nicht, daß der Prophet Nahum, den auch die Moslemim verehren, hier am Zab gelehrt und eine heilige Stätte gegründet hat? Sie liegt hier in der Nähe, und das Wasser des Flusses am Fuße der Ruine wird für heilig gehalten und Ma el mukaddas genannt. Da gäbe es genug Ware für deinen frommen Handel; ich aber an deiner Stelle würde es vorziehen, in diesem Ma el mukaddas ersäuft zu werden. Das hättest du reichlich verdient!«

»Wir können ihm dazu verhelfen!« ertönte da die drohende Stimme des Nezanum. »Er hat uns mit ed Damm el mukaddas betrogen; das schon ist ein todeswürdiges Verbrechen. Wenn es sich dazu herausstellt, daß er der Kys-Kaptschiji ist, werden wir ihn ersäufen!«

Der Armeni erhob sich, kreideweiß im Gesichte.

»Wenn ich so verdächtigt und verlästert werde, muß ich mich entfernen,« sagte er.

Aber schon stand auch Halef neben ihm, hielt ihm die Pistole unter die Nase und drohte:

»Glaubst du, so leichten Kaufes davonkommen zu können? Thu einen einzigen Schritt, so erschieße ich dich! Du hast gedroht, daß unser Wiedersehen meinem Sihdi den Tod bringen werde, und damit dein eigenes Urteil gesprochen. Fesselt ihn!«

ich brauchte den verabredeten Wink gar nicht zu geben; kaum hatte Halef seine Aufforderung ausgesprochen, so waren zwanzig, dreißig Kurden bereit, die beiden Armenier niederzuwerfen und zu binden.

Keine Minute, nachdem dies geschehen war, hörten wir laute Stimmen und den Hufschritt vieler Pferde. Der erwartete Scheik kam mit seinen Kriegern an, gegen hundert an der Zahl. Als er aus dem Sattel stieg, sah er mich am Feuer stehen. Er stieß einen Freudenruf aus, kam auf mich zu, umarmte mich und jubelte:

»Du hier, Emir, du! Da dürfen wir endlich Hoffnung haben, denn du wirst die Spur der Verlorenen finden! Sie wurde uns vor zwei Tagen geraubt, und wir haben seitdem vergeblich gesucht. Du aber bist der Liebling Allahs, und er wird deine Augen auf ihre Spur leiten.«

Sein Sohn Hamsa Mertal reichte mir beide Hände und sagte:

»Ich möchte meine Freude über deinen Anblick laut ausrufen; aber die Trauer um das Weib meines Herzens preßt mir das Herz zusammen. Du hast schon viel an uns gethan; aber wenn du Schefaka findest, so sollst du – – –«

»Sei still, und traure nicht!« bat ich. »Wir haben ihre Spur. Vielleicht wirst du sie noch heute in deine Arme schließen. Da liegt der Kys-Kaptschiji gefesselt; er wird uns sagen müssen, wo sie zu finden ist.«

Man kann sich denken, welchen Eindruck, welche Aufregung diese Worte hervorbrachten! Ich erzählte, wo und wie ich den Armenier getroffen hatte und was darauf geschehen war; an diesen Bericht schloß sich meine Vermutung an und die Gründe dazu, und Scheri Schir, der alte Scheik, war ganz meiner Meinung. Er bedauerte unendlich, daß ich verkannt worden war, und versprach hoch und heilig, mich und Halef dafür zu entschädigen. Nun erfuhr ich auch, wie es möglich gewesen, daß man uns für die Thäter hatte halten können. Zwei Männer, der eine groß, der andere klein, dieser fast wie Halef und jener ähnlich wie ich gekleidet, waren zu den Zibari gekommen und gastlich aufgenommen worden; am nächsten Morgen waren sie verschwunden gewesen und Schefaka mit ihnen. Scheri Schir und Hamsa Mertal hatten sich mit den gerade vorhandenen Kriegern aufgemacht, sie zu suchen; sie hatten zugleich Boten zu den übrigen Abteilungen des Stammes geschickt. Eine dieser Abteilungen befand sich in der Nähe des Weges, den ich heute mit Halef geritten war, auf der Weide; ein Angehöriger derselben hatte uns reiten sehen und uns infolge des Umstandes, daß ich groß und Halef klein war, für die Gesuchten gehalten. Er meldete dies dem Nezanum und dieser schickte uns einen Späher nach, welcher bald zurückkehrte, um zu melden, daß wir nicht Lager gemacht hätten, sondern wieder umgekehrt wären und bald kommen würden. Der Älteste hatte uns nun sofort die Falle gestellt, zu welcher sich die Höhle sehr gut eignete. Die beiden Seitenhöhlen waren geräumiger als der Mittelgang; in ihnen hatten sich die versteckt, die mich erst vorüberlassen und dann niederschlagen sollten. Ich war, allerdings ich allein, schneller in die Falle gegangen, als vermutet worden war; der angebliche arme Hirt hatte noch mehr und andere Gründe, uns in die Höhle zu locken, in petto gehabt. Halef sollte auch mit hinein, hatte aber auch so, wie es geschehen war, unschädlich gemacht werden können.

Nun ging es natürlich über die beiden Armenier her; doch war trotz aller Mühe nichts aus ihnen herauszubringen; sie gestanden nichts, und der Händler blieb bei seiner Behauptung, daß er Assad Benabi aus Mekka sei und mich noch nie gesehen habe. Aber selbst in dem ganz undenkbaren Falle, daß man nicht mir, sondern ihm geglaubt hätte, wäre es mir nicht schwer gefallen, ihn zu überführen: Er hatte sein Packpferd mit, und als ich nachsuchte, fand ich die Fläschchen mit dem angeblichen heiligen Öle, von dem ich ja in Gegenwart der Zibarikurden zu ihm gesprochen hatte; es war also klar, daß er mich heute getroffen haben mußte. Daß der Mensch trotzdem beim Leugnen blieb, empörte mich natürlich; Halef war ganz außer sich darüber. Er schrie ihn an:

»Mensch, Kerl, Schuft und Schurke, du bestehst nicht aus Fleisch und Blut und Knochen, sondern aus lauter Falschheit, Hinterlist und Lüge; aber ich werde deiner Seele ein so wirksames Munattik reichen, daß sie alles von sich geben soll, was sie in sich hat. Schau her; hier habe ich es in den Händen.«

Er zog bei diesen Worten die Nilhautpeitsche aus dem Gürtel und fragte den Scheik:

»Hoffentlich hast du nichts dawider, o Scheri Schir, daß ich diesen beiden Lieblingen des Scheytan die Falten aus der Haut streiche. Erlaubst du es?«

Mich fragte der Schlaukopf nicht, denn er wußte gar wohle daß von mir die Genehmigung zu einer solchen Prozedur nur schwer zu bekommen war; hier aber hätte ich sie augenblicklich gegeben; Scheri Schir war desselben Sinnes, denn er antwortete.

»Ja, sie sollen Prügel bekommen, bis sie alles gestehen; aber du sollst dich nicht damit bemühen, mein wackerer Halef. Ich habe hier Leute genug, welche sich auf diese Arbeit verstehen. Die Halunken sollen die Hiebe nicht auf den Körper, sondern auf die Fußsohlen erhalten; da sind sie fühlbarer und die Wirkung tritt viel schneller ein. Man bereite die Degenek vor!«

Das war nun allerdings das einzige Mittel, aus den Armeniern das herauszubringen, was wir unbedingt wissen mußten. Es war vorauszusehen, daß sie schreien würden, und ich hielt es für möglich, daß die feindlichen Schirwanikurden auf den Gedanken gekommen seien, dem Kys-Kaptschiji Sicherheitsspäher nachzusenden; darum forderte ich den Scheik auf, zuvor die Umgebung des Lagers absuchen zu lassen und dann Posten auszustellen. Dies wurde mit der größten Sorgfalt ausgeführt, und ich suchte auch selbst mit; wir fanden aber keinen Menschen, obgleich wir ganz nahe am Flusse lagerten, etwas unterhalb der Stelle, an welcher ich mit Halef hinübergeritten war.

jetzt wurden die beiden Inkulpaten noch einmal im Guten gefragt, und als sie nun auch da bei ihrem Leugnen beharrten, begann das, was der Türke »bir degenek urmak« nennt, d. i. eine Bastonnade geben. Ich hatte die Vorsicht gebraucht, sie weit voneinander anbinden zu lassen, so daß nicht der eine von ihnen hören konnte, was der andere aussagte; sie hätten uns sonst trotz der Schmerzen belügen können; so aber war, falls die beiden Aussagen miteinander übereinstimmten, anzunehmen, daß sie die Wahrheit enthielten.

Die beiden schienen das zu sein, was man »prügelfaul« zu nennen pflegt; das heißt, sie schienen gegen die Bastonnade unempfindlich zu sein, denn sie sagten lange kein Wort, obgleich schon bei den ersten Streichen die Fußsohlen aufsprangen. Man sollte so etwas kaum für möglich halten! Bei dem Händler war nicht einmal ein lauter Atemzug zu hören. Der andere besaß nicht dieselbe Selbstbeherrschung, doch hatte auch er schon wenigstens zwanzig Hiebe erhalten, ehe er zu wimmern begann. Dieses Wimmern wurde nach und nach zu lautem Stöhnen, bis bei jedem Schlage ein Schrei erfolgte; aber er gab noch immer auf die Frage, ob er nun gestehen wolle, keine Antwort. Endlich, endlich war es ihm unmöglich, die Schmerzen länger zu ertragen; er bat, einzuhalten, denn er könne nun nicht länger schweigen. Der Scheik forderte mich auf:

»Emir, sprich du mit ihm, du weißt besser als ich, nach welchen Dingen wir ihn zu fragen haben.«

Ich legte dem Kerl vor, ja die Wahrheit zu sagen, weil die Bastonnade sofort wieder beginnen werde, sobald wir bemerkten, daß er gelogen habe, und fragte ihn dann:

»Wo befindet sich euer Lager?«

»Eine Viertelstunde abwärts von hier am andern Ufer des Flusses.«

»Aus wieviel Menschen besteht es?«

»Wir sind dreizehn Armenier und dreißig Schirwanikurden.«

»Wieviel Mädchen und Frauen habt ihr bei euch?«

»Fünf.«

»Wer sind sie?«

»Die Tochter Mirza Muzaffars, drei Mädchen aus Serdascht und Schefaka, die Frau Hamsa Mertals.«

»Ihr waret es auch, welche die früheren Räubereien ausführten?«

»Ja.«

»Habt ihr heute die acht Perser überfallen?«

»Ja.«

»Sind welche von ihnen getötet worden?«

»Sieben. Mirza Muzaffar ließen wir leben, um ein Lösegeld zu bekommen.«

»Warum Lösegeld?«

»Das soll der Anteil der Schirwani sein, welche ihn mit sich nehmen wollen, ihn aber trotz des Lösegeldes töten werden.«

»Ihr seid die gräßlichsten Menschen, die es auf Gottes Erdboden geben kann. Und das Entsetzlichste ist, daß dreizehn von euch sich Christen nennen!«

Diese Antworten gab er freilich nicht so glatt und zusammenhängend, wie ich sie hier niedergeschrieben habe, sondern er schwieg, so oft die Streiche nicht mehr fielen, und mußte durch immer neue Hiebe zum weitern Sprechen gebracht werden. Auf diese Weise erfuhr ich außer anderen Notwendigkeiten noch, daß eine Furt vom linken Ufer des Flusses nach dem Lager hinüberführe und daß ein Schirwanikurde bei derselben Wache halte. Der alte, verräterische Scheik Melef hatte heute nach unserer Abmachung mit ihm wirklich einen seiner Leute nach dem Lager zurückgeschickt, um sagen zu lassen, daß ich mit Halef am linken Ufer abwärts kommen werde; man solle uns überrumpeln. Da wir aber nicht gekommen waren, hatten sich zwei Kundschafter nach uns flußaufwärts auf die Suche gemacht und dabei am Abende unser jetziges Lager entdeckt. Sie waren zurückgeeilt, um das zu melden, worauf der Händler sofort mit seinem Gefährten aufgebrochen war, um zu sehen, ob »gyzel meta« da zu finden sei. In diesem Falle sollte dieselbe nach Mitternacht geraubt werden.

Der Händler hatte kein Wort von dem gehört, was sein Kumpan ausgesagt hatte, und war nicht zum Geständnisse zu bringen. Er fluchte und stöhnte nur und schrie zuletzt bei jedem Hiebe:

»Haut zu, haut immer zu, ihr Henker, die Gott vernichten möge; ihr bringt doch kein Wort aus mir heraus!«

Das war gräßlich, und ich ließ innehalten. Ich nahm an, daß der andere die Wahrheit gesagt hatte, und bat Scheik Scheri Schir, nach dem Lager der Räuber aufzubrechen. Hatte der Exekutierte uns getäuscht, so konnten wir uns dann durch weitere Hiebe doch noch die Wahrheit erzwingen. Da wir es nur mit einundvierzig Gegnern zu thun hatten, genügte es, sechzig Mann mitzunehmen; die Pferde ließen wir natürlich hier. Material zum Binden und Knebeln wurde mitgenommen.

Wir schritten in einer langen Einzelreihe am Flusse abwärts, ich mit Halef voran, denn ich war im Anschleichen jedenfalls geübter als die Zibarikurden. Als eine Viertelstunde vergangen war, verdoppelten wir unsere Vorsicht und sahen bald darauf einen Mann am Ufer sitzen. Das war der Schirwani-Posten. Einige schnelle Sprünge, und dann standen wir bei ihm. Ich legte ihm die Hände um den Hals; Halef und einige Kurden banden ihn und steckten ihm dann einen Knebel in den aus Atemmangel weit aufgesperrten Mund. Hinüber durften wir nicht sogleich, weil wir möglicherweise gesehen werden konnten. Ich verabredete mit dem Scheik ein zweimaliges Froschquacken als Zeichen, ging eine Strecke flußaufwärts zurück und schwamm dann hinüber, um von dem Landungspunkte aus das Lager zu beschleichen. Die Kerle mußten sich außerordentlich sicher gefühlt haben, denn ich fand keinen einzigen Menschen wach.

Da lagen die Schirwanikurden einer neben dem andern; viele von ihnen schnarchten laut. Unweit davon standen fünf Bäume; an diese waren die weiblichen Gefangenen fest angebunden, und rund herum lagen elf Armenier, auch im Schlafe. Weiterhin sah ich die Pferde, teils weidend, teils im Grase liegend. Der Perser aber war nicht zu entdecken. Ich hatte keine Zeit, lange nach ihm zu suchen, und schlich mich nach der Uferböschung hin, um das verabredete Zeichen zu geben. Da hörte ich rechts von mir im Wasser ein auffälliges Plätschern und Gurgeln, und als ich genauer hinsah, bemerkte ich etwas Rundes, was ein menschlicher Kopf zu sein schien.

»Sprich leise, ganz leise, daß nur ich dich höre; ich will dich retten,« flüsterte ich ihm zu. »Bist du Mirza Muzaffar, der Merd adalet von Yaltemir?«

»Ja. Gehörst du denn nicht zu den Räubern?«

»Nein.«

»Ya rab, o Gott, sollte es Hilfe für mich geben? Meine Leute sind alle ermordet worden, und meine Tochter ist gefangen!«

»Bist du denn im Wasser angebunden?«

»Ja. Man hat mir die Hände auf den Rücken gefesselt und die Füße mit Riemen an einen großen Stein gebunden, den man mit mir ins Wasser schaffte, so daß es mir fast bis zum Munde reicht. Wer du auch seist, o Herr, erbarme dich meiner und rette mich!«

»Ich bin der Christenhund, der räudige, den du heute wiederholt verflucht hast. Ich würde dich gern losmachen, aber da müßte ich dich berühren, und die Berührung mit einem solchen Giaur verunreinigt dich doch!«

»Du bist es, du! Emir, verzeihe mir; laß Gnade walten! Mach mich los, und ich will niemals wieder einen Christen verhöhnen, sondern für alle täglich beten, die deines Glaubens sind!«

»Thue das, so wirst du Allahs Wohlgefallen haben! Er ist euer Gott und unser Vater; vergiß das nie!«

Ich zog das Messer und watete hin zu ihm. Erst nach mehrmaligem Tauchen gelang es mir, die Riemen zu durchschneiden; dann machte ich ihm auch die Arme frei und zog ihn, der furchtbar ermattet war, nach dem Ufer.

»Setz' dich hier nieder, und verhalte dich ganz still, was auch kommen möge!«

Nun ahmte ich das Quaken des Frosches zweimal nach und sah darauf die Zibari durch die Furt leise und vorsichtig herüberkommen. Als sie sich alle am Ufer befanden, instruierte ich sie, und dann ging es leise, leise die Böschung hinan. Fünfzehn Mann umringten die Armenier und fünfundvierzig die Kurden; das geschah so unhörbar, daß keiner von ihnen erwachte. Dann packte jeder seinen Mann. Es gab ein wüstes Schreien und Brüllen, aber nur ein kurzes Ringen, und nach Verlauf von wenigen Minuten waren wir Herren des Platzes; die Feinde lagen gebunden an der Erde; keiner von ihnen war tot, doch hatten einige, die nur mit der Waffe zu überwältigen gewesen waren, Wunden davongetragen.

Um die Befreiung der Gefangenen brauchte ich mich nicht zu kümmern; das besorgte der Scheik mit seinem Sohne, welcher seine Schefaka frohlockend in die Arme schloß.

Während alle laut jubelten und jeder mit sich selbst beschäftigt war, zog ich den kleinen Hadschi mit mir fort.

»Komm, Halef! Wir nehmen zwei Schirmanipferde und reiten nach unserm Lager, um dort zu verkünden, daß unser Werk gelungen ist.«

»Jetzt fort, Sihdi?« fragte er. »Denkst du denn gar nicht daran, daß wir jetzt den wohlverdienten Dank einzuernten haben?«

»Eben darum will ich fort. Wir haben selbst zu danken, nämlich Gott dafür, daß wir, die wir uns ja auch in großer Not befanden, allen Gefahren glücklich entgangen sind. Also komm!«

Wir bestiegen zwei Pferde und lenkten sie nach der Furt.

»Halt, Emir, wohin?« rief der Scheik, der das bemerkte.

»Nach unserm Lager.«

»Bleib da, bleib da; Schefaka will mit dir sprechen.«

»Später, später!«

Wir trieben die Pferde in das Wasser und ritten, drüben angekommen, am Flusse aufwärts, bis wir das Lager erreichten, wo unsere Botschaft die größte Freude erregte, denn Schefaka war wiedergefunden, und alles, was den Besiegten gehörte, natürlich auch ihre Pferde, ging als Beute in den Besitz der Zibarikurden über. Mein Hadschi Halef konnte es nicht unterlassen, zu dem Armeni zu treten und ihm frohlockend zu sagen:

»Wir haben gesiegt und kein einziger von deiner Bande ist entkommen. Wo bleibt nun dein großes Maul und deine noch viel größere Rache? Wessen Tod hat unser Wiedersehen zu bedeuten, den meines Sihdi oder den deinigen? Du wirst mit Schande in die Hölle fahren; wir aber haben unsern Ruhm vergrößert und werden besungen werden von allen Männern, Frauen und Töchtern des türkischen Reiches, Arabiens und Farsistans. Du bist nichts als eine sterbende Kröte; ich aber bin der oberste Scheik der Haddedihn und heiße Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah!«

Sobald der Morgen anbrach, wurde unser Lager aufgehoben und nach dem jenseitigen Ufer auf die Stätte unseres Sieges verlegt. Da konnte ich freilich dem Danke der Geretteten nicht entgehen. Mein kleiner Halef war in dieser Beziehung etwas unbescheiden; er stellte sich neben mich und nahm mir den größten Teil des gespendeten Ruhmes weg, was ich ruhig geschehen ließ, denn ich wußte, wie er es meinte, und gönnte ihm die Triumphe, die er sich selbst am lautesten spendete.

Mirza Muzaffar befand sich mir gegenüber in großer Verlegenheit; ich befreite ihn von derselben, indem ich so freundlich mit ihm sprach, als ob von einer Beleidigung gar keine Rede gewesen sei. Er war ganz entzückt, den »Stern seines Hauses« wieder zu haben, und als ich ihn bat, bei seiner Heimkehr die drei Mädchen aus Serdascht mitzunehmen, zeigte er sich gern bereit dazu und sagte:

»Du bist, o Emir, dort gefangen genommen und verdächtigt worden; ich werde deinen Ruhm verkünden und den Leuten mitteilen, daß die drei Töchter von Serdascht nur dir ihre Rettung zu verdanken haben.«

Er reichte mir bei diesem Versprechen die Hand, ohne sich erst zu fragen, ob er dadurch verunreinigt werde.

Den alten, falschgesinnten Scheik der Schirwani strafte ich mit Verachtung, war aber für ihn und die Seinen zu ihrem Vorteile thätig. Sie hatten schwere Strafe verdient; es gelang mir jedoch durch den Hinweis auf die Folgen der Blutrache, Scheik Scheri Schir zu bestimmen, die Schirwani ziehen zu lassen, ohne sich an ihnen zu rächen; ihr Eigentum blieb freilich als Beute zurück. Sie waren gezwungen, ihren Heimweg zu Fuß anzutreten. Vorher aber mußten sie Zeugen der Strafe sein, welche ihre Verbündeten, die Armenier, traf.

Diesen stand ein schlimmeres Los bevor, als ihren kurdischen Kumpanen, denn sie waren die eigentlichen Anstifter des Mädchenraubes. Scheri Schir fragte mich in Bezug auf sie:

»Was würdest du mit ihnen thun, Emir?«

»Nach dem Kanun'ilm elhukuk müßtest du sie dem Mutessarif von Schehrsor zur Bestrafung ausliefern.«

»Das würdest du wohl selbst nicht thun. Was geht mich der Kanun 'ilm elhukuk an! Wenn ich mich nach ihm richte, bekommt keiner dieser Hunde auch nur die geringste Strafe, die Beschwerden des Transportes gar nicht gerechnet. Wir sind freie Kurden und richten solche Leute nach unsern Gesetzen. Ich bitte dich sehr, ja kein gutes Wort für sie einzulegen; so lieb ich dich habe, diesesmal dürfte ich nicht auf dich hören.«

»Wir Menschen sind alle Sünder und sollen mild voneinander denken; hier aber handelt es sich nicht um die angeborene, allgemeine Fehlerhaftigkeit, sondern um fortgesetzte, todeswürdige Verbrechen. Sie haben Frauen geraubt und verkauft und gestern die sieben Perser erschossen. Thue mit ihnen, was dir beliebt!«

»Da hast du mir aus dem Herzen gesprochen; ich danke dir!«

»Eine Bitte habe ich doch! Quäle sie nicht unnötigerweise und suche von ihnen zu erfahren, wohin sie die früher geraubten Mädchen verkauft haben. Wenn wir dies den Angehörigen melden können, ist es diesen vielleicht möglich, die Entführten wiederzubekommen.«

»Ich werde es thun. Jetzt versammle ich meine Ältesten zum Gericht. Willst du mit an demselben teilnehmen?«

»Nein. Aber laß mich rufen, ehe ihr das Urteil vollstreckt! Ich will vor ihrem Tode noch einmal zu ihnen sprechen. Sie sind Christen, und vielleicht gelingt es mir, Reue in ihnen zu erwecken.«

Ich ging fort, am Flusse hin, weit fort. Ich mochte den Ort gar nicht sehen, wo Muhammedaner mit vollem Rechte über Christen zu Gerichte saßen. Ich nahm an, daß man vielleicht eine Stunde dazu bedürfen werde, kehrte aber schon wieder um, ehe eine halbe vergangen war, hatte jedoch den Lagerplatz noch nicht erreicht, als ich das Krachen einer ' Salve hörte. Da rannte ich in größter Eile weiter. Als ich ankam, sah ich zwölf Leichen liegen.

»Du hast sie erschießen lassen!« rief ich dem Scheik zu. Ich wollte doch vorher mit ihnen reden!«

»Ich sagte es ihnen,« antwortete er. »Da fluchten sie auf dich, auf uns, auf den Glauben, auf alle Religionen; der Grimm erfaßte mich und ich ließ sie niederschießen. Allah sei ihren Seelen gnädig!«

»Ich sehe nur zwölf. Wo ist ihr Anführer, der Kys-Kaptschiji?«

»Komm, ich will ihn dir zeigen!«

Er führte mich nach dem Ufer, an welchem seine Leute in das Wasser blickend standen. Ich sah mitten im Flusse ein kleines, aus Gras hergestelltes Floß, auf welchem der gefesselte Händler saß.

»Was soll das sein?«

»Das Urteil, welches du ihm gesprochen hast. Wir haben es bestätigt. Er hat das falsche Iagh kuds verkauft und uns mit dem falschen Damm el mukaddas betrogen, er hat mit dem heiligen Öle und mit dem heiligen Blute Schwindel getrieben: dafür wird ihm nun el Ma el mukaddas, das heilige Wasser des Propheten Nahum, über dem Kopfe zusammenlaufen. Die Kugel ist für ihn zu schnell und zu gut; er sitzt auf einem Floße des grünen Grases, welches nicht schwimmt, sondern langsam untergeht; er wird im Wasser ersäuft; du hast es ihm gesagt, daß dies das Beste für ihn sei.«

Mich schauderte; aber ich mußte meine Pflicht thun und rief dem Unglücklichen zu, daß er nicht so jämmerlich ertrinken, sondern durch eine schnelle Kugel sterben Solle, wenn er reuig – – – Er ließ mich nicht ausreden, sondern sandte mir einen Fluch herüber, den keine Feder niederschreiben kann. Ich wendete mich ab; Zeuge eines solchen Endes zu sein, war mir absolut unmöglich. –

Der Scheik hatte erfahren, wohin die früher Geraubten verkauft worden waren; er, der Perser und ich übernahmen es, die Angehörigen derselben je nach der Gegend, in der sie wohnten, davon zu benachrichtigen.

Die Schirwanikurden wanderten noch am Vormittage fort; sie ließen keinen Gruß zurück. Dann nahm der Perser mit seinen vier Begleiterinnen freundlich Abschied von uns; er drückte mir beide Hände und nannte mich seinen Freund. Inzwischen war das Floß mit dem Händler versunken. Wir begruben die erschossenen Armenier und zogen dann auch fort, nach dem Jilak der Zibari, denn der alte Scheik hatte nicht eher zu bitten aufgehört, als bis wir ihm versprachen, wenigstens eine Woche lang bei seinem Stamme zu wohnen. Von einem Kys-Kaptschiji hat man seither nicht wieder gehört. – –


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