Karl May
In den Schluchten des Balkan
Karl May

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Ein Heiliger

Nach einiger Zeit erreichten wir die Straße von Kusturlu und lenkten nun wieder nach rechts ein. Wir näherten uns der Strumnitza und ritten zwischen Tabaks- und Baumwollenfeldern hin.

Bald sahen wir einen Berg vor uns aufsteigen, an dessen Seite die Häuser der Stadt zu erkennen waren. Oben auf seiner Kuppe erblickten wir dunkles Grün, unter welchem das Gemäuer der Ruine hervorlugte.

»Das ist Ostromdscha,« erklärte der Türke.

»Auch Strumnitza genannt, nach dem Fluß, der nahe an der Stadt vorüberfließt,« fügte ich bei, meine ganze Geographie-Kenntniß erschöpfend.

Da kam Halef an meine Seite. Der Anblick der Stadt ließ ihn an die Folgen seiner voreiligen Handlung denken.

»Sihdi!« begann er.

Ich that, als ob ich es nicht hörte.

»Sihdi!«

Ich blickte unverwandten Auges nach der Stadt.

»Hörst Du mich nicht – oder willst Du mich nicht hören?«

»Ich höre Dich.«

»Meinst Du etwa, daß ich fliehen soll?«

»Nein.«

»Ich thäte es auch nicht. Lieber würde ich mir eine Kugel durch den Kopf jagen. Oder meinst Du, daß ich mich von einem Präfekten hier einsperren lassen soll?«

»Ganz nach Deinem Belieben!«

»Lieber möchte ich ihm eine Kugel durch den Kopf jagen!«

»Und würdest dann erst recht eingesperrt.«

»Was denkst Du, was geschehen wird?«

»Ich weiß es nicht. Man muß es abwarten.«

»Ja, warten wir es ab! Aber wirst Du mich unter Deinen Schutz nehmen?«

»Ich denke, ich stehe unter dem Deinigen. Du nennst Dich ja meinen Freund und Beschützer!«

»Sihdi, vergib das mir. Du allein bist doch der Beschützer gewesen.«

»Nein, Halef. Ich habe sehr oft unter Deinem Schutz gestanden, aber nicht Menschen gegenüber. Das werde ich Dir nicht vergessen, und so wollen wir sehen, ob die Leute hier es wagen werden, sich an dem berühmten Hadschi Halef Omar zu vergreifen.«

»Hamdulillah! Allah sei Dank! Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen, der so groß und so schwer war, wie der Berg da vorn, an welchem die Stadt liegt. Alles kann ich ertragen, nur das nicht, daß mein Effendi böse auf mich ist. Zürnst Du noch?«

»Nein.«

»So gib mir Deine Hand.«

»Hier hast Du sie.«

Der Blick voll inniger Liebe und Treue, fast möchte ich sagen Hundetreue, welchen er mir dabei zaghaft zuwarf, drang mir tief zu Herzen. Was für ein herrliches Gut ist es doch um das Glück, einen solchen treuen Freund zu besitzen!

Wir näherten uns der Stadt immer mehr. Kurz bevor wir die ersten Häuser – richtiger Hütten – erreichten, saß auf einem Stein ein Bettler am Wege, ein Jammerbild des Elendes und der Verkommenheit.

Eigentlich ist es falsch, zu sagen, er saß am Wege, denn er saß nicht. Er schien gar nicht richtig sitzen zu können. Er lag mit zusammengekrümmtem Rücken halb auf der Seite, neben sich die beiden Krücken. Um seine nackten Füße waren Lumpen gewickelt und mit Fäden festgebunden. Seine einzige Hülle bestand in einem alten Ding, halb Tuch und halb Mantel, welches er sich um die Hüften gewunden hatte. In dieses Tuch schien er die Gaben zu stecken, welche ihm gereicht wurden: Brod, Früchte und Anderes, denn es bildete eine übermäßig dicke Wulst um seinen Leib. Dieser Leib war hager und schmutzig braungelb. Man sah die Rippen deutlich liegen, und die Schlüsselbeine traten hervor, wie bei einem Skelett. Der Kopf war bedeckt von wirren, struppigen Haaren, welche wohl jahrelang keinen Kamm gefühlt hatten. Das Gesicht war aufgedunsen, die Züge besaßen aber dennoch einen scharfen Schnitt. Die Haut hatte eine bläulichrothe Farbe, als ob sie erfroren sei. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen.

Das Gesicht befremdete mich. Es lag ein Widerspruch in demselben, der mir gleich beim ersten Blick auffiel; doch vermochte ich nicht zu sagen, worin dieser Widerspruch bestehe. Der Ausdruck desselben war derjenige des Blödsinnes, der Gefühllosigkeit.

Das Alles sah ich aber nicht gleich jetzt, sondern ich bemerkte es erst später, als wir vor dem Bettler halten blieben, um ihm eine Gabe zu reichen. Ich betrachtete ihn sehr genau, weil ich von dem Türken erfahren hatte, wer er sei.

Als wir uns nämlich noch fern befanden und ihn sitzen sahen, sagte der Wirth:

»Das ist Busra, der Sakat, von dem ich Dir erzählt habe.«

»Derjenige, welcher bei Deinem Nachbar war, als Du glaubtest, der Heilige sei zu ihm gegangen?«

»Ja, Effendi.«

»Ist er denn der Gabe bedürftig?«

»Ja. Er kann nicht arbeiten, denn er hat kein Rückenmark mehr.«

»So könnte er wohl gar nicht leben?«

»Davon verstehe ich nichts. Man sagt so. Er geht an zwei Krücken und zieht die Beine hinterher. Er kann sie nicht bewegen. Dazu ist er ein Budala, der nur wenige Worte zu reden versteht. Jeder gibt ihm Etwas. Wenn Du mehrere Tage hier bleibst, wirst Du ihn öfter sehen.«

»Hat er Verwandte?«

»Nein.«

»Wo wohnt er?«

»Nirgends. Er ißt da, wo er Etwas erhält, und schläft da, wo er vor Müdigkeit niedersinkt. Er ist ein elender Mensch, dem Allah in jenem Leben zulegen wird, was er ihm hier versagt hat.«

Der Krüppel saß mit dem Rücken gegen uns. Als er den Huftritt unserer Pferde hörte, richtete er sich mühsam mittelst seiner Krücken empor und wendete sich uns zu. Jetzt sah ich sein ausdrucksloses, blödes Gesicht. Sein Auge schien gar keinen Blick zu haben. Es war todt und nichtssagend. Der Mann mochte vielleicht vierzig Jahre alt sein, doch war es schwer, ihm ein bestimmtes Alter zuzusprechen.

Ich fühlte Mitleid mit dem Elenden und hatte keine Ahnung, welch' eine hervorragende und feindselige Rolle er mir gegenüber noch spielen sollte. Wir hielten bei ihm an. Er streckte uns die Hand entgegen und stammelte dabei tonlos nur immer das eine Wort:

»Ejlik, ejlik, ejlik – Wohlthat, Wohlthat, Wohlthat!«

Die Andern gaben ihm, und auch ich reichte ihm ein Zweipiasterstück. Fast aber erschrack ich, denn als ich vom Pferd herab ihm die Münze in die Hand legte, ging ein Zucken durch seinen Körper, als hätte er aufspringen wollen, und aus seinen vorher so glanz- und leblosen Augen blitzte ein Blick auf mich, ein Blick voll Haß und Grimm, wie ich ihn noch nie im Auge eines Feindes beobachtet hatte. Im nächsten Moment aber senkten sich die Lider, und das Gesicht nahm den Ausdruck der Stupidität wieder an.

»Schükür, schükür – Dank, Dank!« stammelte er.

Das war so seltsam, fast unglaublich, wenn ich es nicht so außerordentlich deutlich gesehen hätte.

Was hatte er mit mir? Warum diese grundlose Feindseligkeit gegen einen völlig Fremden? Und wenn aus diesen Augen ein so intensiver Blick des Hasses leuchten konnte, war der Mensch wirklich blödsinnig? –

Dabei empfand ich ein unbestimmtes Gefühl, als ob ich dieses Gesicht bereits einmal gesehen hätte. Aber wann und wo? Täuschte ich mich nicht? Schien es denn nicht, als ob auch er mich kenne? –

Wir ritten weiter, ich hinter den Anderen; ganz unwillkürlich wendete ich mich zurück, um noch einmal einen Blick auf ihn zu richten.

Was war denn das? Er hockte gar nicht mehr so hülflos auf dem Stein. Er saß kraftvoll da, ich möchte beinahe sagen stramm, und hatte den rechten Arm mit der Krücke erhoben und schwang sie drohend uns nach. Uns? Vielleicht nur mir!

Es wurde mir fast unheimlich zu Muth. Der Mensch sah in diesem Augenblick wie ein wahrer Satan aus. Ja, satanisch verzerrt waren die Züge seines Gesichtes. Es dämmerte in mir, wo ich ihn bereits gesehen hatte. Eine orientalische Stadt – fürchterliches Menschengedränge – entsetzliches Schreien und Brüllen – tausend Hände langten nach mir – sollte es in Mekka – das phantasmatische Bild sank wieder in mein Inneres zurück, und ich wußte ebenso wenig wie vorher.

»Kann dieser Bettler wirklich nicht gehen?« fragte ich den Türken.

»Nur mit der Krücke,« antwortete er. »Die Beine hängen ihm wie Lappen an dem Leib.«

»Auch nicht aufrecht sitzen?«

»Nein. Er hat kein Rückenmark mehr.«

Kein Rückenmark! Welch' ein Unsinn! Daß ich ihn soeben in einer sehr energischen Stellung gesehen hatte, verschwieg ich, denn ich hielt es nicht für gerathen, den Moslem zum Mitwisser eines Geheimnisses zu machen, welches ich freilich selbst nicht wußte, ja kaum nur ahnte.

Nach kurzer Zeit erreichten wir die Stadt. Ich hatte den Türken nach den bereits erwähnten heißen Quellen befragt und von ihm erfahren, daß dieselben allerdings vorhanden seien, aber nicht in der Weise, wie ich es erwartet hatte. Es hatte Zeiten gegeben, in denen das Wasser derselben sehr reichlich geflossen war, um aber dann wieder fast zu versiechen. Zuweilen war heißes Wasser in Menge vorhanden, und dann wieder stockte der Ausfluß gänzlich. Jetzt sollte es nur sehr karg vorhanden sein.

Als wir die ersten Häuschen oder vielmehr Hütten der Stadt vor uns hatten, sagte der Herbergsvater:

»Effendi, hast Du vielleicht Lust, Dir die heißen Quellen gleich jetzt anzusehen?«

»Liegen sie am Wege?«

»Nein. Aber wir haben nur wenige Schritte zu reiten, um zu ihnen zu gelangen.«

»So führe uns hin!«

Er lenkte zur Seite ab, und wir ritten um einige der Hütten und um die zu ihnen gehörigen Gärtchen, welche aber diesen Namen keineswegs verdienten, herum.

Ein lautes Kreischen einer weiblichen Stimme drang zu uns.

»Da ist die Quelle,« nickte unser Führer.

»An welcher man sich so zankt?«

»Ja. Du mußt nämlich wissen, daß man glaubt, das Wasser sei sehr gut gegen gewisse Krankheiten. Wenn nun wenig fließt, so streiten sich die Frauen mit einander, welche gekommen sind, es zu holen.«

Wir bogen um ein Oleandergebüsch und hielten nun vor der Therme.

Der Lauf des Wassers war durch ein Rinnsal bezeichnet, dessen ockerfarbiger Grund darauf schließen ließ, daß die Quelle eisenhaltig sei. Heute war nur wenig Wasser in demselben zu sehen. Es kam aus einer kreisrunden Vertiefung des Erdbodens, welche mit demselben rothen Niederschlag belegt war. Der rundum zusammen getretene Erdboden bewies, daß dieser Ort sehr fleißig besucht ward.

Am Rand der Vertiefung lagen Steine, welche wohl herbeigeschafft worden waren, um als Sitze zu dienen.

Jetzt, in diesem Augenblick, waren nur drei Personen anwesend, und zwar weibliche: zwei Frauen und ein kleines Mädchen von ungefähr acht Jahren.

Die eine der Frauen war ziemlich gut, wenn auch unsauber gekleidet und besaß eine ansehnliche Körperfülle. Sie war es, deren keifende Fistelstimme wir gehört hatten. Sie stand mit dem Rücken gegen uns gerichtet, und da sie noch immer laut schrie, so bemerkte sie unser Kommen nicht.

Zu ihren Füßen lagen einige alte Lappen und ein alter Topf, dessen Henkel abgebrochen war. Der Topf war umgestürzt, und ihm entquoll langsam eine dicke, graubraune Masse, deren Aussehen keineswegs appetitlich war.

Die andere Frau saß auf einem der Steine. Sie war nur mit einem sehr ärmlichen dunklen Rock bekleidet und hatte ein vorsündfluthliches Tuch um den Oberkörper geschlungen, welches auch die Arme und Hände bedeckte. Sie sah aber sonst leidlich sauber aus, sauberer noch als die Andere, welche sich ihrer Kleidung nach in besseren Verhältnissen zu befinden schien. Ihr Gesicht war hager. Die Noth hatte demselben ihre traurigen Runen eingeritzt.

Das Kind an ihrer Seite war nur in ein baumwollenes Hemd gehüllt, welches gut gewaschen und sogar gebleicht zu sein schien.

Die keifende Dicke sprudelte ihre Zornesworte so schnell heraus, daß man ihnen gar nicht zu folgen vermochte. Nur die doppelt stark betonten Hauptausdrücke waren deutlich zu unterscheiden. Kein Lastträger hätte sich kräftigerer Schimpfreden zu bedienen vermocht. Dabei schlug sie mit den Fäusten bald auf die andere Frau, bald auf das weinende Kind ein.

Diese andere Frau machte bei unserem Anblick eine Bewegung, durch welche die Xantippe veranlaßt wurde, sich nach uns umzudrehen.

O Himmel! Welch' ein Antlitz erblickte ich! Die Visage eines tätowirten Südseeinsulaners ist das reine Schönheitsideal dagegen. Der Grund davon war, daß sich das Weib das Gesicht mit einer dicken, rothen Masse eingerieben hatte. Sie sah schrecklich aus.

Als sie uns erblickte, trat sie von der Anderen zurück und hemmte den rauschenden Strom ihrer Rede.

»Friede sei mit Euch!« grüßte ich.

»In Ewigkeit, Amen!« antwortete sie.

Diese Worte ließen mich vermuthen, daß sie eine Bulgarin griechischen Bekenntnisses sei.

»Ist das die Quelle, an welcher man Heilung findet?«

»Ja, Herr, diese Quelle ist berühmt im ganzen Land und noch weit darüber hinaus.«

An diese Auskunft knüpfte sie eine Aufzählung von hundert Krankheiten, gegen welche man hier Hülfe finden könne, und von ebenso vielen Wundern, die an diesem Ort geschehen sein sollten.

Sie entwickelte dabei ein Rednertalent, welches mich geradezu verblüffte. Die Worte sprühten ihr nur so vom Mund, und ich fand auch nicht eine einzige Lücke von dem tausendsten Theil einer Sekunde, welche ich hätte benutzen können, um mit einer Frage in diese Bresche einzudringen. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als sie einfach aussprechen zu lassen, was aber erst nach längerer Zeit geschah, da sie mich nach unzähligen Krankheiten, Gebrechen und Fehlern fragte, welche mich hergetrieben haben konnten. Eine Antwort aber wartete sie durchaus nicht ab.

»O Allah! Maschallah! Allah w' Allah!« rief Hadschi Halef Omar einmal über das andere Mal, wobei er die Hände zusammenschlug.

Die Frau schien anzunehmen, daß diese Interjectionen nicht dem Fluß ihrer Rede, sondern den aufgezählten Vorzügen der heißen Quelle gewidmet seien, und fühlte sich dadurch nur veranlaßt, diese Aufzählung in wahrhaft überwältigender Sprachfertigkeit fortzusetzen.

Um sie zum Schweigen zu bringen, berührte ich die Weichen meines Rappen leise mit den Sporen. Er war das nicht gewohnt und ging mit allen Vieren in die Luft.

Die Rednerin hielt inne, sprang zurück und stieß einen Angstschrei aus. Das benützte ich, um nun auch zu Wort zu kommen.

»Wie heißest Du?« fragte ich sie.

»Nohuda. Ich bin in Debrinitz geboren, wie mein Vater ebenso geboren war. Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt. Die Großeltern waren drüben über dem Fluß – –«

Ich ließ den Rappen abermals steigen, denn ich befürchtete nicht ohne Grund, daß sie mit mir die Stufenleiter ihrer Verwandtschaft bis jenseits des alten Methusalem hinaufsteigen werde. Sie hielt glücklicher Weise inne, und ich besaß die ungeheure Geistesgegenwart, dies zu der Erklärung zu benutzen:

»Liebe Nohuda, ich muß Dir sagen, daß ich wegen eines Kopfleidens hierher gekommen bin. Ich fühle nämlich – –«

»Kopfleiden?« fiel sie mir schnell in die Rede. »Herr, das ist recht, das ist gut, daß Du gekommen bist! Wenn Du wüßtest, wie viele verschiedene Köpfe, tausend und aber tausend an Zahl, hier Heilung von – –«

Der Rappe drang jetzt auf sie ein, so daß sie wieder eine Pause machte. Ich erklärte:

»Mein Kopfleiden ist so arg, daß mir sogar das Anhören der menschlichen Stimme große Qualen bereitet. Habe daher die Güte und sprich nur dann, wenn ich Dich frage. Ich sehe es Deinem Gesicht an, daß eine zarte, mitleidsvolle Seele in Deiner Brust wohnt; darum denke ich, daß Du mir diese Bitte erfüllen wirst.«

Ich mußte das Richtige getroffen haben, denn sie legte die beiden Hände auf das Herz und antwortete mit gedämpfter Stimme:

»Herr, das ist wahr; Du hast Recht. Ich werde schweigen, als ob ich bereits im Grabe läge. Nur Deine Fragen werde ich beantworten. Du hast mein zartes, gutes Herz erkannt. Dein armer Kopf soll meinetwegen keine Schmerzen erleiden.«

Der kleine Hadschi machte ein unendlich grimmiges Gesicht, was bei ihm nur dann der Fall war, wenn er alle seine Kraft zusammennehmen mußte, um das Lachen zu bekämpfen. Auch den Andern sah man es an, daß sie es nur mit Mühe zurückhielten.

»Zunächst muß ich Dich bitten, mir zu verzeihen, daß ich Euch gestört habe, liebe Nohuda. Ihr befandet Euch in einem sehr angelegentlichen Gespräch. Was war denn der Gegenstand desselben?«

Ihre Augen blitzten von Neuem zornig auf. Sie schien von Neuem losplatzen zu wollen; darum griff ich mit schmerzlicher Pantomime nach meinem Kopf.

»Keine Angst, Herr!« sagte sie leise. »Ich beginne den Zank nicht von Neuem und will Dir nur sagen, daß wir uns von diesem da unterhielten.«

Sie deutete auf den Topf.

»Was ist das?«

»Meine Tschinischa

»Brauchst Du diesen Topf denn hier an der Quelle?«

»Sogar sehr nothwendig!«

»Warum besuchst Du das heiße Wasser?«

»Warum? Wardur gendschlenme – es macht wieder jung.«

»Ah so! Du willst Dich verjüngen? Das hast Du ja gar nicht nöthig.«

»Meinst Du? Du bist sehr gütig. Wenn doch mein Mann auch dieser Meinung wäre! Du weißt jetzt, daß ich Nohuda heiße. Er nennt mich aber bereits seit langer Zeit nur seine alte Kabuka. Ist das nicht kränkend?«

»Vielleicht meint er es gar nicht schlimm. Er wird das Wort für einen Kosenamen halten.«

»O nein! Da kenne ich ihn viel zu gut. Er ist ein Barbar, ein rücksichtsloser Mensch, ein unaufmerksamer Tyrann, ein – –«

Ich griff an meinen Kopf.

»Du hast Recht,« meinte sie. »Ich darf ja nicht laut sprechen. Aber ich will ihm zeigen und beweisen, daß ich keine alte Kabuka bin. Darum gehe ich täglich hierher und bestreiche mir mit dem Dilberlyk tschammuri das Gesicht.«

Es war kein Leichtes, ernst zu bleiben. Ich antwortete:

»Das ist sehr weise von Dir. Aber wie wird dieser Schlamm bereitet?«

»Man stößt Rosenblätter klar und kocht sie mit Mehl und Wasser zu einem Brei. Den nimmt man mit hieher, vermischt ihn zu gleichen Theilen mit dem rothen Bodensatz dieser Quelle und bestreicht dann damit das Gesicht. Es hilft, es hilft sicherlich!«

»Wirklich?«

»Gewiß! Keine Warze, kein Mal, keine Runzel, keine Falte hält Stand vor diesem Kleister. Er ist berühmt im ganzen Land. Darum war ich erzürnt, daß dieses Mädchen mir den Topf umstieß. Aber ich bin ein zartes Gemüth, wie Du ganz richtig erkannt hast, und darum habe ich geschwiegen und will die Unvorsichtigkeit verzeihen.«

»Daran thust Du recht. Sanftmuth ist die größte Zierde des Weibes, und Schweigsamkeit erhöht den Zauber desselben.«

»Das sage ich auch!« behauptete sie.

»Ja, liebe Nohuda, die Schweigsamkeit ist das allerbeste Mittel, bis in das hohe Alter schön zu bleiben. Wenn keine Leidenschaften das Antlitz entstellen, so kann die Schönheit in den Zügen sitzen bleiben. Was aber der weise Bahuwi von einem Weibe sagt, welches immer zankt und keift, das wirst Du wissen.«

»Nein, Herr, denn ich habe mit diesem weisen Mann noch niemals gesprochen.«

»Er sagt, daß ein von dem Zorn bewegtes Frauenantlitz einem schmutzigen Sack gleiche, welcher mit Fröschen und Kröten gefüllt ist. Der Sack befindet sich in steter Bewegung, weil diese häßlichen Thiere niemals Ruhe halten.«

»Er hat Recht! Auch ich habe stets dasselbe gedacht, und darum befleißige ich mich einer steten Ruhe meines tiefen Gemüthes. Aber mein Mann ist keineswegs damit einverstanden. Er wünscht im Gegentheil, daß ich lebhafter sein solle.«

»So erkläre ihm nur die Geschichte von dem Sack, und er wird Dir sofort beistimmen. Aber ich sehe, daß die Salbe Deines Gesichtes trocken geworden ist. Du wirst eiligst neue auflegen müssen.«

»Gleich, sogleich! Ich danke Dir!«

»Aber sprich nicht dabei! Das Antlitz darf sich nicht bewegen.«

»Kein Wort werde ich sagen.«

Sie ergriff den Topf und schöpfte zu dem Kleisterrest, welcher sich noch in demselben befand, den gelbrothen Niederschlag der Quelle. Nachdem sie beides durch eifriges Rühren mit der bloßen Hand auf das Innigste vermischt hatte, kratzte sie sich die dürre Schminke aus dem Gesicht und bestrich sich dasselbe mit der neuen Auflage des >Schlammes der Schönheit<.

Das war ein Gaudium für meine Begleiter. Am drolligsten aber war der Umstand gewesen, daß wir beide zuletzt nur in leisem Ton mit einander gesprochen hatten, natürlich um meinen armen Kopf zu schonen.

Erst jetzt fand ich Zeit, die andere Frau genauer zu betrachten. Bei dem Anblick ihrer eingefallenen Wangen und tief liegenden Augen entfuhr mir die Frage:

»Adsch semin – hast Du Hunger?«

Sie antwortete nicht. Aber in ihren Augen war zu lesen, daß ich das Richtige getroffen hatte.

»Chasta sen – und Du bist krank?«

Jetzt nickte sie.

»Woran leidest Du denn?«

»Herr, ich habe das Reißen in den Armen.«

»Hilft diese Quelle dagegen?«

»Ja, sie hilft ja gegen Alles.«

»Wie hast Du Dir dieses Übel zugezogen?«

»Dadurch, daß ich Nebatja bin. Ich ernähre mich und meine Kinder damit, Kräuter zu sammeln, welche ich an den Ezadschi verkaufe. Da bin ich bei jeder Witterung im Wald und auf dem Feld, oft vom frühesten Morgen bis in die späteste Nacht hinein. Da habe ich mich oft erkältet, und nun liegt es mir in den Armen, daß ich sie nur unter großen Schmerzen bewegen kann.«

»Hast Du keinen Arzt gefragt?«

»Ich werde überall abgewiesen, weil ich arm bin.«

»Aber der Apotheker, welchem Du die Pflanzen verkauftest, konnte Dir doch vielleicht ein Mittel geben?«

»Er hat es gethan. Aber es half nichts. Darüber ist er so zornig geworden, daß ich ihm nicht wieder kommen darf.«

»Das ist schlimm. Aber es gibt ja noch Einen hier, welcher die verschiedensten Krankheiten heilt, den alten Mübarek. Bist Du denn nicht zu ihm gegangen?«

»Auch das habe ich gethan; aber er hat mich im höchsten Zorn abgewiesen, weil er mich haßt.«

»Er haßt Dich? Hast Du ihn beleidigt?«

»Niemals.«

»So hat er doch gar keinen Grund, Dir so unfreundlich gesinnt zu sein.«

»Er meint aber, einen Grund zu haben, da ich zuweilen – – seht, da kommt er!«

Sie deutete nach der Richtung, aus welcher wir gekommen waren.

Von der Stelle aus, an welcher wir uns befanden, konnte man den ganzen Weg übersehen, der uns nach der Stadt geführt hatte. Ich hatte bereits während des Gespräches denselben überblickt und auch nach dem Stein geschaut, auf welchem der gelähmte Bettler gesessen hatte. Dieser aber war verschwunden, während ich dafür eine lange Gestalt bemerkte, welche aus der Richtung dieses Steines langsam und in sehr würdevoller Haltung herbeigeschritten kam.

Wo war der Bettler hin? Die ganze Gegend lag frei vor uns. Man mußte ihn unbedingt sehen, mochte er sich nun hingewendet haben, wohin er wollte, nach rechts oder links oder gradaus in die Ebene. Und im Fall er nach der Stadt gegangen wäre, hätten wir ihn erst recht bemerken müssen, zumal ein Krüppel mit zwei Krücken nur langsam vorwärts kommen kann. Aber er war fort, spurlos verschwunden.

Unweit des Steines, auf welchem er gesessen hatte, war eine Baumwollenpflanzung angelegt. Die Pflanzen waren kaum vier Fuß hoch. Hinter ihnen konnte der Bettler nicht stecken, außer wenn er sich niedergelegt hätte. Das aber durfte er nicht thun, weil er nicht im Stande war, sich allein wieder aufzurichten. Dieses plötzliche Verschwinden war mir unbegreiflich.

Indessen war der erwähnte Mann langsam näher gekommen. Er hielt den Kopf gesenkt, als ob er seine Augen nur an der Erde haften habe. Als er sich unweit der ersten Häuser befand, folgte er dem Weg nicht so wie wir, bis zu den Hütten, sondern er bog gleich zur Seite ein, grad auf uns zu. Da ich nicht annahm, daß er nur von dem Weg abkomme, weil er so tief in Gedanken versunken sei, mußte ich annehmen, daß er mit Absicht sich uns nähere.

Jetzt war es, daß die Frau uns auf ihn aufmerksam machte. Meinetwegen hätte sie das nicht zu thun gebraucht, denn ich stand so, daß ich ihn bereits von Weitem sehen konnte, und hatte auch während des Gespräches den Blick nur wenig von ihm gelassen.

Die Andern drehten sich nach ihm um.

»Ja, der Mübarek!« sagte der Türke. »Effendi, das ist er. Siehe Dir ihn genau an.«

»Ich habe es bereits gethan.«

»Nun kannst Du seine Gebeine klappern hören!«

»Wollen sehen. Vielleicht thut er uns auch den Gefallen, zu verschwinden.«

»Wenn er will, so kann er es.«

»Sage es ihm, daß er es thun soll!«

»Das wage ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Er könnte es mir übel nehmen.«

»Pah! Er kennt Dich ja!«

»Das trägt nichts dazu bei.«

»Und hat bei Dir viel Geld verdient.«

»Dafür hat er uns geheilt. Er ist uns keine Gefälligkeit schuldig.«

Jetzt war der alte >Heilige< herbeigekommen. Er ging sehr, sehr langsam an uns vorüber, ohne den Blick von der Erde zu erheben. Die beiden Frauen standen ehrfurchtsvoll da. Der Türke erhob die Hände zum Gruß. Wir Andern aber kümmerten uns scheinbar nicht um ihn. Ich that ganz so, als ob ich ihn gar nicht bemerkte, hatte mich halb abgewendet, behielt ihn aber scharf im Auge.

Dabei bemerkte ich, daß er den Blick unter den gesenkten Wimpern hervor auf uns gerichtet hielt. Seine Insichversunkenheit war also nur Maske.

That er das stets so, oder mußte ich dieses Verhalten, dieses heimliche Schielen auf mich allein beziehen? –

Ich horchte sehr gespannt, und wirklich, indem er vorüberging, ließ sich bei jedem Schritt, den er that, ein leises Klappern hören, grad als wenn Knochen sich berühren. Einen nicht ganz unbefangenen oder gar von Vorurtheilen befangenen Menschen konnte das allerdings mit einem gelinden Schauder erfüllen.

Er ging so gekleidet, wie der Türke es gesagt hatte: barfuß, mit einem Tuch auf dem Kopf und den Leib in einen alten Kaftan gehüllt. Von dem Shawl war nichts zu sehen, da der Kaftan vorn über einander ging.

Er war außerordentlich hager, mit tief eingesunkenen Augen, wie der Bettler, an welchem wir vorübergekommen waren. Sein knochiges Gesicht war erdfarben. Die Backenknochen standen weit vor, und der Mund war eingefallen. Der Alte konnte allerdings keine Zähne mehr haben. Die Mundgegend glich einer tief in das Gesicht eingeschnittenen Bucht, unter welcher das spitze Kinn sich weit nach vorn schob und die Nase in doppelter Schärfe hervortrat.

Das also war der berühmte >Heilige<, welchen Allah mit so vielen geheimen und wunderbaren Gaben gesegnet hatte!

Er ging vorüber, wie ein Dalai-Lama, für welchen andere Menschen so verächtliche Geschöpfe sind, daß sein Blick sie gar nicht zu bemerken vermag.

Auch ihn – eigenthümlicher Weise kam es mir so vor – mußte ich bereits gesehen haben, und zwar unter Umständen, welche für mich nicht angenehm gewesen sein konnten. Dieses Gefühl regte sich in mir.

Wenn ich der Ansicht gewesen war, daß er uns seine Beachtung ganz und gar entziehen würde, so hatte ich mich geirrt. Schon war er einige Schritte vorüber, da drehte er sich plötzlich um und ließ seinen stechenden Blick über unsere Gruppe schweifen; dann erschallte seine schnarrende Stimme:

»Nebatja!«

Die Pflanzensucherin zuckte zusammen.

»Nebatja! Hierher!«

Er deutete mit dem Zeigefinger vor sich zur Erde nieder, ungefähr wie man einen Hund heranruft, der geprügelt werden soll.

Die Frau schritt langsam und ängstlich zu ihm hin. Sein Blick richtete sich drohend auf sie, so scharf, als hätte er sie durchbohren wollen.

»Wie lange ist Dein Mann nun todt?« fragte er sie.

»Drei Jahre.«

»Hast Du für seine Seele gebetet?«

»Täglich.«

»Er war kein Anhänger des ruhmreichen Propheten, dessen Namen zu heilig ist, als daß ich ihn vor Deinen Ohren nennen möchte; er war ein Nusrani, der Bekenner einer anderen Lehre. Er gehörte zu den Christen, welche selbst nicht wissen, was sie glauben sollen, weßhalb sie sich in viele Sekten spalten und sich unter einander befehden. Doch Allah hat in seiner Barmherzigkeit beschlossen, daß auch sie in die untersten Abtheilungen des Himmels gelangen dürfen. Dein Mann aber wird in dem Feuer der Hölle gebraten!«

Er schien eine Antwort zu erwarten; die Frau aber schwieg.

»Hast Du es gehört?« fragte er.

»Ja,« antwortete sie leise.

»Und glaubst Du es?«

Sie schwieg.

»Du mußt es glauben, denn ich selbst habe ihn gesehen. Heute Nacht entführte mich der Engel Allah's der Erde und erhob mich zu den Seligkeiten. Tief unter mir lag die Hölle mit ihren glühenden Abgründen. Drin sah ich unter Vielen auch Deinen Mann. Er war an einen Felsen gefesselt. Höllisches Ungeziefer nagte an seinem Leib, und spitze Flammen leckten in sein Gesicht. Ich hörte ihn vor Schmerz brüllen. Er sah mich hoch über sich schweben und bat mich, Dir zu sagen, daß die Pfähle, welche in seiner Nähe in den Fels geschlagen waren, für Dich und Deine Brut bestimmt seien.«

Er hielt inne. Die Frau weinte.

Am liebsten hätte ich den Kerl mit der Faust zu Boden geschlagen, doch verhielt ich mich ruhig. Halef's Hand lag am Griff seiner Peitsche, und sein Blick flog zwischen mir und dem Heiligen hin und her. Ich hätte nur leise zu nicken gebraucht, so hätte der kleine Hadschi den berühmten Mann nach Noten durchgewalkt.

»Und nun noch Eins!« fuhr dieser fort. »Du bist bei der Polizei gewesen?«

Die Frau senkte den Kopf.

»Ich soll Dir Schadenersatz leisten. Ich soll Dir Geld geben, weil Dein Knabe sich bei meiner Wohnung umherschleicht. Thue noch einen einzigen solchen Schritt, so sende ich Dir alle Geister der Finsterniß zu, daß sie Dich peinigen, bis Du Deine ungläubige Seele von Dir gibst. Merke Dir das!«

Er drehte sich ab und schritt von dannen.

»Allah l'Allah!« knirschte Halef. »Effendi, bist Du ein Mensch?«

»Ich denke es.«

»Ich bin auch einer. Gib mir die Erlaubniß, diesem Schurken nachzueilen und ihm das dicke Fell nach Gebühr zu peitschen.«

»Um Allah's willen, schweig!« warnte ihn der Türke.

»Schweigen! Wer könnte dazu schweigen?«

»Er hört jedes Deiner Worte.«

»Lächerlich!«

»Schau hin! Dort sitzt sein Diener.«

Er deutete nach einem dürren Baum, auf dessen Ast eine Krähe saß.

»Bist Du des Satans?« antwortete Halef.

»Nein, dieser Vogel ist ein Geist, welchem er befohlen hat, uns zu belauschen und ihm dann jedes Wort mitzutheilen.«

»Und ich sage Dir, daß dieser Vogel eine ganz gewöhnliche Krähe ist!«

»Du irrst. Siehst Du denn nicht, wie neugierig sie zu uns herunterblickt?«

»Natürlich! Diese Vögel sind neugierig. Ich hätte Lust, ihr eine Kugel zu geben.«

»Thue das ja nicht! Es wäre Dein Tod.«

»Unsinn!«

»Der Schuß würde nicht den Vogel, sondern Dich selbst treffen.«

»Meine Flinte schießt nicht verkehrt.«

Halef griff auch wirklich nach seinem Gewehr. Da aber eilten die beiden Frauen voll Angst zu ihm und baten ihn, ja nicht zu schießen, da er nicht nur sich, sondern uns alle unglücklich machen würde.

»Aber habt Ihr denn gar kein Gehirn, Ihr Weiber?« rief er zornig.

»Du mußt uns glauben, Du mußt!« bat die Pflanzensammlerin. »Auch Andere sind so unvorsichtig und tollkühn gewesen, wie Du. Sie haben es bitter bereut.«

»So! Was ist denn mit ihnen geschehen?«

»Sie sind krank geworden – –«

»Zufall!«

»Der Eine wurde sogar toll – –«

»Das hat bereits vorher in ihm gesteckt.«

»Und Einige starben – –«

»Weil der Tod bereits vorher an ihrem Leben nagte.«

»O nein, sondern weil sie sich an den Vögeln des Heiligen vergriffen.«

Da sich die Aufmerksamkeit in dieser Weise auf den kleinen Hadschi richtete, war ich unbeachtet. Ich trat hinter mein Pferd, legte den Stutzen auf den Vogel an und drückte los.

Die Frauen kreischten auf vor Entsetzen. Meine Kugel hatte die Krähe durchbohrt und augenblicklich getödtet. Der Vogel lag unter dem Baum, ohne zu zucken.

»Effendi, was hast Du gethan!« rief der Türke. »Das kann Dich Deine Seligkeit kosten!«

»Laufe hin!« antwortete ich ihm. »Stopfe dem Vogel alle Öffnungen zu, damit der Geist nicht heraus kann! Dann gibt es unter den Geisterleichen, welche Du mir zeigen willst, eine mehr. O, was seid Ihr doch für dumme Menschen!«

Halef war von seinem Pferd gesprungen und brachte die Krähe herbei. Sie war voll von Ungeziefer. Er zeigte das dem Türken und den Frauen und sagte:

»Wenn der Mübarek die ihm dienenden Geister nicht einmal von den Läusen befreien kann, so kann er überhaupt gar nichts. Schämt Euch! Habt Ihr jemals von einem Geist gehört, welcher Läuse hatte? Wo steht das geschrieben? Etwa in den Büchern der Christen? Der Prophet hat, so oft er von den Geistern sprach, niemals erwähnt, daß sie gereinigt werden müssen.«

Dieser Beweis, daß die Krähe kein Geist sei, war ebenso kurz, wie sonderbar; aber er brachte eine bessere und schnellere Wirkung hervor, als durch eine lange Rede erzielt worden wäre.

Die drei Geistergläubigen blickten sich an, schüttelten die Köpfe, schauten dann auf die Krähe, und endlich sagte der Türke zu mir:

»Effendi, welches ist denn Deine Meinung? Kann ein Geist Ungeziefer haben?«

»Nein.«

»Aber es ist doch ein böser.«

»Welches ist der allerböseste Geist?«

»Der Satan.«

»Richtig! Nun sage mir, ob der Prophet oder einer der Nachfolger desselben gelehrt hat, daß der Satan von Läusen geplagt werde.«

»Das steht freilich nirgends geschrieben. Und die Insekten würden gewiß auch verbrennen, wenn sie mit dem Teufel in die Hölle kämen.«

»Das hast Du mit großem Scharfsinne entdeckt. Nun beantworte Dir Deine Frage selber.«

Dieser an sich so lächerliche Vorgang war für uns von größerer Bedeutung, als ich denken konnte. Die Bewohner der hinter uns liegenden Hütten hatten Alles gesehen, und erst später erfuhr ich, daß sich die Kunde davon wie ein Lauffeuer durch die Stadt verbreitet hatte.

Ein Vogel des vermeintlichen Heiligen war erschossen worden, von einem Fremden, der dann ganz heil davongegangen sei. Das war unerhört.

Wer den Aberglauben jener Gegenden nicht kennt, der hält so Etwas kaum für glaublich. Dazu kam der Respekt, in den sich der Mübarek zu setzen gewußt hatte. Was zu seiner Person in Beziehung stand, das war für Andere gradezu unberührbar.

Halef's Beweis hatte gewirkt. Die Frauen und auch der Türke fühlten sich beruhigt. Die Pflanzensammlerin hatte auch gar nicht viel Zeit, über den Tod der Krähe nachzudenken. Die Worte, welche der Alte zu ihr gesprochen, waren ihr viel, viel wichtiger.

Sie – als griechische Christin – stand unter dem Einfluß ihres Popen, und man muß die Popen jenseits des Balkan's kennen, um zu wissen, was das zu bedeuten hat.

Diese geistlichen Herren rekrutiren sich aus den untersten Schichten der Gesellschaft und genießen einen Unterricht, welcher nicht mehr als Alles zu wünschen übrig läßt. Wie soll es da mit denjenigen stehen, deren Seelen solchen Leuten anvertraut sind!

Es war der armen, unglücklichen Frau anzusehen, daß sie von der Kunde, ihr Mann schmore in der Hölle und erwarte auch sie und ihre Kinder dort, ganz niedergeschmettert war.

Der gute Halef legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte in tröstendem Ton:

»Nebatja, gräme Dich nicht! Dein Mann ist im Himmel.«

Sie blickte ihn forschend an.

»Glaubst Du es etwa nicht?« fragte er.

»Woher könntest Du das wissen?«

»Ich habe ihn gesehen.«

»Du?«

»Ja,« nickte er ernsthaft.

»Wann?«

»Heute Nacht. Der Engel Allah's kam und entführte mich aus dieser Welt. Er trug mich über die Himmel empor, so daß ich sie alle erblicken konnte. Da sah ich Deinen Mann im dritten Himmel sitzen – –«

»Kennst Du ihn denn?« fragte sie hastig.

Der Kleine wurde durch diese Frage nicht im Mindesten in Verlegenheit gebracht. Er antwortete ohne Bedenken:

»Nein; aber der Engel sagte mir: >Schau da hinab! Dort sitzt der Mann der armen Nebatja, welche Du morgen in Ostromdscha zu Gesicht bekommen wirst.< Daher weiß ich, wer der Selige war. Dieser blickte auch auf, denn er hatte die Worte des Engels vernommen, und bat mich, Dich zu grüßen. An seiner Seite waren die Plätze für Dich und Deine Kinder.«

Der Kleine brachte das sehr ernsthaft vor. Es kam ihm nicht in den Sinn, mit dem Heiligsten Scherz zu treiben. Es war seine Absicht, die Geplagte zu beruhigen, und er fing dies nach seiner eigenen Weise an.

Die Frau sah ihm noch immer kopfschüttelnd in das Gesicht.

»Ist das wahr, was Du erzählst?« fragte sie nun.

»Wenigstens ebenso wahr wie die Geschichte des Mübarek.«

»Aber wie kannst Du in den Himmel schauen? Du bist doch kein Christ!«

»Ist etwa der Mübarek ein Christ?«

Das leuchtete ihr ein.

»Dieser alte Halunke,« fuhr Halef energisch fort, »weiß im Himmel auch nicht besser Bescheid als ich und jeder Andere. Vielleicht ist er in der Hölle besser zu Hause. Ich wenigstens bin ganz überzeugt davon. Wenn Du aber meinst, daß nur ein Christ hier zu Wort kommen darf, so wende Dich an diesen Effendi und frage ihn. Er wird Dir alle Auskunft geben können.«

Er deutete auf mich, und die Frau sah mich fragend an.

»Bete für Deinen Mann,« sagte ich ihr. »Das ist Deine Christenpflicht. Der Mübarek aber hat Dich belogen; denn es kommt kein Engel, um einen Sterblichen in den Himmel zu führen und dann wieder zur Erde herabzubringen. Die heilige Schrift lehrt, daß Gott in einem Licht wohnt, zu welchem kein irdisches Geschöpf kommen kann. Ich werde Dich wieder sehen und mit Dir von dieser Angelegenheit sprechen. Nun aber wollen wir uns lieber mit Deiner Krankheit beschäftigen. Du wirst hier an dieser Quelle vergeblich Heilung suchen. Seit wann benutzest Du dieses Wasser?«

»Schon über ein Jahr.«

»Ist Dein Leiden geringer geworden?«

»Nein, Effendi.«

»So siehest Du, daß ich Recht habe. Diese Quelle heilt Deine Leiden nicht.«

»Mein Gott! Was soll da aus mir und den Kindern werden? Ich kann nicht arbeiten, und wir hungern bereits seit längerer Zeit. Nun wird auch die einzige Hoffnung, die ich hatte und die ich auf dieses Wasser setzte, zu Schanden.«

Sie begann bitterlich zu weinen.

»Weine nicht, Nebatja!« tröstete ich sie. »Ich werde Dir ein besseres Mittel sagen.«

»Bist Du denn ein Hekim?«

»Ja, in dieser Krankheit sogar ein Hekim Baschi. Hast Du noch niemals von den fremden Ärzten gehört, welche aus dem Westen kommen?«

»Schon oft. Sie sollen sehr weise Leute sein und alle, alle Krankheiten heilen können.«

»Nun, ich komme aus dem Westen und werde Deine Krankheit heilen. Wie hast Du denn dieses Wasser hier angewendet?«

»Ich habe vom Morgen bis zum Abend hier gesessen und Umschläge gemacht.«

»Damit hast Du das Übel nur verschlimmert. Was ist's denn mit dem Knaben, welchen der Mübarek erwähnte?«

»Weil ich nicht selbst mehr kann, habe ich ihn ausgesandt, um Pflanzen zu suchen. Die besten Kräuter stehen oben auf dem Berg: Kutrk, Lima, Rumala und viele andere. Aber der Mübarek duldet es nicht, daß man sie holt. Er hat den Knaben einmal fortgejagt, und als uns die Noth trieb, es doch noch einmal zu wagen, warf er ihn vom Felsen herab, so daß er den Arm brach.«

»Und Du hast ihn verklagt?«

»Nein. Ich bin nur zur Polizei gegangen und habe um eine Unterstützung gebeten. Die drei andern Kinder sind zu klein. Sie kennen auch die Pflanzen nicht. Ich kann sie nicht aussenden, um Kräuter zu sammeln.«

»Du bist aber wohl abgewiesen worden?«

»Ja. Der Zabtieh Muschiri sagte, ich solle nur arbeiten.«

»Hast Du denn nicht gesagt, daß Du nicht arbeiten kannst?«

»Ja, aber sie haben mich durch den Khawassen hinausführen lassen und mir mit der Bastonnade gedroht, wenn ich wiederkäme.«

»Eine Frau und Bastonnade! Aber sorge Dich nicht. Du sollst die Unterstützung erhalten.«

»Effendi, könntest Du das bewirken?«

»Ich hoffe es.«

»So wollte ich Dir dankbar sein und täglich für Dich beten.«

Sie wollte meine Hand ergreifen, doch war ihr die dazu nöthige Armbewegung zu schmerzlich.

»Sage mir zunächst, wo Du wohnst.«

»Gleich hier nebenan, im zweiten Hause.«

»Das ist bequem. Führe mich einmal hin, ich will Deine Stube sehen. Meine Gefährten werden unterdessen warten.«

Mein Schuß nach der Krähe war gehört worden und hatte eine Anzahl Neugieriger herbeigelockt, welche in einiger Entfernung standen und nun erstaunt sahen, daß ich mich mit der Frau in deren Wohnung begab.

Wer die Schmutz- und Lumpenwirthschaft Halbasien's kennt, wird wohl glauben, daß ich in meiner Kleidung diesen Leuten wie ein Fürst erscheinen mußte.

»Ich wohne nicht allein, Effendi,« erklärte mir die Frau. »Es wohnt noch eine Familie mit mir zusammen.«

Ich ahnte, was nun kommen werde, und diese Ahnung erfüllte sich. Ich sah keine Stube, sondern ein Loch ohne Diele und Mauerbewurf, so feucht, daß Tropfen an den Wänden hingen, Alles mit Moder überzogen war und ein entsetzlicher Geruch in diesem Raum herrschte.

Und in dieser Höhle wälzten sich und lagen gegen zehn Kinder über einander. Zwei kleine Löcher, welche als Fenster dienten, ließen nicht mehr Licht herein, als nöthig war, um die Gesichter zu erkennen.

Dazu kamen stinkende Decken und Kleider, unaussprechliche Geräthschaften, kurz und gut, es war entsetzlich.

In der einen Ecke saß eine alte Frau und kaute an einem hellen Gegenstand herum. Bei näherer Betrachtung sah ich, daß es ein Stück von einem rohen Kürbis war.

Nicht weit von ihr kauerte ein Knabe, welcher den Arm in der Binde trug. Es war der Sohn der Nebatja. Ich nahm ihn mit hinaus an die Hausthüre, um besser sehen zu können, und entfernte die Binde, um den Verband zu untersuchen. Ich bin weder Arzt noch Chirurg, also kein Fachmann, aber ich bemerkte doch zu meiner Befriedigung, daß der Hekim, welcher den gebrochenen Arm eingerichtet hatte, kein Dummkopf gewesen war.

Freilich sah der arme Junge wie das leibhaftige Hungerleiden aus.

»Hier dürft Ihr nicht wohnen bleiben,« sagte ich zu seiner Mutter. »Hier wirst Du niemals gesund.«

»Herr, wo soll ich hin?«

»Fort, nur fort!«

»Das ist leicht gesagt. Ich kann ja kaum diese Wohnung hier bezahlen.«

»So sorge ich für eine andere.«

»O, wenn Du das thun wolltest!«

»Was ich kann, das thue ich. Ich bin zwar hier fremd und komme soeben erst an, aber ich hoffe, daß ich Dir doch dienen kann.«

»Und auch ein Mittel für mein Reißen willst Du mir geben?«

»Ich brauche es Dir nicht zu geben. Du kannst es Dir holen lassen. Weißt Du, was eine Kajyn aghadschy ist?«

»Ja, ganz gut.«

»Und gibt es solche Bäume hier?«

»Nicht häufig; aber man findet sie doch.«

»Nun, das Laub dieser Bäume ist das beste Mittel für Dein Leiden.«

»Ist es möglich? Kajyn japraki soll gegen diese schmerzhafte Krankheit gut sein?«

»Ja, wie ich sage. Ich habe es selbst an mir erfahren. Es gibt wilde Völker, welche keine Ärzte haben und ihre Krankheiten nur mit solchen einfachen Mitteln heilen. Von ihnen habe ich es erfahren, daß das Laub der Birke den Rheumatismus heilt. Als ich dann selbst sehr an demselben litt, habe ich das Mittel erprobt und es als ausgezeichnet gefunden.«

»Und wie wendet man es an?«

»Man hat zu warten, bis es regnet. Dann streift man das nasse Laub mit den Händen von den Zweigen, so daß es ganz naß ist, und trägt es schnell heim, da es nicht trocken werden darf. Dann umhüllt man das kranke Glied sehr dick mit diesem Laub und legt sich nieder. Sind die Beine krank, so steckt man sie in einen Sack, welcher mit Laub gefüllt ist, bindet diesen über den Hüften zu und legt sich nieder. Bald wird man in Schlaf fallen und sehr schwitzen, weßhalb man sich sorgfältig zudecken muß. Der Schweiß des kranken Gliedes und das Wasser des Laubes tropfen förmlich aus der Umhüllung hervor. Man schläft lange und tief. Wenn man erwacht, so steht man auf und findet die Krankheit, wenn sie nur eine leichte war, verschwunden. Bei schwereren Fällen, wie der Deinige es ist, muß man die Einhüllung wiederholen.«

Die Frau hatte mir sehr aufmerksam zugehört. Jetzt fragte sie:

»Darf man das Laub nicht auch holen, ohne daß es geregnet hat, und es dann mit Wasser naß machen?«

»Nein. In diesem Fall hat es keinen Erfolg. Es ist eine angreifende Kur; darum solltest Du vor derselben ja keinen Hunger leiden.«

Sie senkte traurig den Blick.

»Effendi, wenn ich nichts habe, so kann ich nichts essen. Ich wollte gern hungern, wenn ich nur nicht meine Kinder jammern sähe.«

»Dem wollen wir abhelfen. Ein guter Freund gab mir eine kleine Summe mit, um sie einem würdigen Armen zu schenken, wenn ich einen solchen während meiner Reise finden sollte. Was denkst Du: soll ich Dir das Geld geben oder soll ich warten, bis ich eine andere Gelegenheit finde?«

Sie erhob den leuchtenden Blick zu mir.

»Effendi!«

Sie sagte nur dieses eine Wort, aber es klang aus demselben eine ganze Fülle von Bitte, Scham und Dank.

»Nun, soll ich?«

»Wie viel ist es denn?«

»Zwei Pfund.«

»Pfund? Das kenne ich nicht. Wie viele Para sind das?«

»Para? Es ist mehr, viel mehr!«

»Wohl gar einige Piaster?«

»Zwei Pfund sind zweihundert Piaster.«

»O Himmel!«

Sie wollte die Hände zusammenschlagen, aber der Schmerz hinderte sie, es zu thun.

»Und weil es zwei Goldstücke sind, so wird man Dir, wenn Du sie wechseln lässest, zweihundert und zehn Piaster dafür geben müssen.«

Ich hatte von dem Geld, welches ein Geschenk Hulam's in Adrianopel war, die angegebene Summe herausgenommen und hielt sie der Armen hin. Sie aber trat zurück.

»Effendi, Du scherzest!«

»Nein, es ist mein Ernst. Nimm!«

»Ich darf nicht.«

»Wer verbietet es Dir?«

»Niemand. Aber eine so hohe Gabe – –«

»Sprich nicht weiter! Derjenige, welcher mir diese Summe gab, ist sehr reich. Hier, stecke das Geld ein, und wenn Du es wechseln lassen willst, so geh' zu einem ehrlichen Mann. Kaufe Speise für Dich und die Kinder. Lebe wohl! Morgen komme ich wieder.«

Ich drückte ihr das Geld in die gekrümmten Hände und eilte fort. Sie kam mir nach, aber ich winkte energisch zurück, so daß sie sich doch nicht getraute, mir bis zu den Gefährten zu folgen, welche auf mich warteten. Wir ritten weiter. Aber beim Aufsteigen hatte ich gesehen, daß die Neugierigen sich um die arme Frau versammelten, jedenfalls um sie auszufragen.

Von Nohuda, der Erbse, welche sich verjüngen wollte, hatte ich nicht Abschied genommen. Sie war zu den neugierigen Zuschauern getreten – trotz ihres bekleisterten Gesichtes – und da suchte ich sie freilich nicht auf.

Wir bogen nun von der Therme aus in ein enges Gäßchen ein, an dessen Ecke ich einen zerlumpten Kerl lehnen sah, welcher uns mit scharfen Augen betrachtete. Er fiel mir gar nicht besonders auf, da die Personen, welche ich sah, mir alle mehr oder weniger zerlumpt vorkamen.

Noch wußte ich nicht, wohin uns der Türke führen werde. Ich fragte ihn jetzt danach, und er drückte seine Verwunderung darüber aus, daß ich diese Frage nicht früher gestellt habe.

»Ich meinte, daß Du gut für uns sorgen werdest,« erwiederte ich.

»Natürlich. Ich führe Euch zu dem Konak >et Tohr el ahmar<, wo es Euch gar wohl gefallen soll.«

Dieser Titel des Gasthauses fiel mir auf. Das klang ja grad so, als befänden wir uns in den Gassen eines deutschen Provinzialstädtchens. >Et Tohr el ahmar< heißt nichts Anderes als >zum rothen Ochsen<. Das klang mir lieblich in die Ohren, wie Gungl's Heimatklänge. Die Benennung verrieth zwar einen etwas derben Geschmack, aber ein Hôtel mit Pariser Firma durfte man hier nicht erwarten.

»Kennst Du den Wirth?« fragte ich.

»Sogar sehr gut,« erwiderte er lächelnd. »Seine Frau ist nämlich die Schwester der meinigen.«

Das freute mich, denn ich durfte erwarten, daß die Freundschaft, welche Ibarek für uns hegte, auch auf seinen Schwager und dessen Weib übergehen würde.

Die Stadt bot – wenigstens so weit, wie wir sie jetzt erblickten – gar nichts Besonderes. Orientalische Häuser und Hütten, die ihre fensterlosen Mauern nach der Straße kehren. Armselige Bauwerke, dem Einsturz nahe. Wege, aus trockenem Schlamm bestehend, von welchem an heißen Tagen ein entsetzlicher Staub aufwirbelt, während man bei Regenwetter bis an die Kniee in den Koth einsinkt. Dazu eine zigeunerhafte Staffage, schmutzige Menschen und dürres Vieh. So gleicht hier eine Stadt der anderen.

Als ich mich bei irgend einer Gelegenheit umschaute, erblickte ich den Strolch, welcher an der erwähnten Ecke gestanden hatte. Er trottete langsam hinter uns her, und ich kam bei genauerer Beobachtung zu der Überzeugung, daß er uns verfolgte. Aus welchem Grund? Ich ahnte es.

Endlich deutete Ibarek auf ein großes, offenes Thor, über welchem das blutrothe Bild eines Ochsen prangte.

»Da ist es!« sagte er.

»So reitet ein! Ich werde so thun, als ob ich noch weiter ritte.«

»Warum?«

»Es läuft uns ein Kerl nach, den jedenfalls der Mübarek beauftragt hat, aufzupassen, wo wir einkehren. Diesem Menschen will ich eine hübsche Überraschung bereiten.«

Die Gefährten lenkten in das offene Thor; ich aber ritt noch eine kurze Strecke weiter.

Unser Erscheinen hatte Aufsehen erregt. Überall blieben die Leute stehen und sahen uns nach. Dennoch hatte ich unsern Verfolger im Auge behalten.

Jetzt lenkte ich um und ritt einen kurzen Bogen. Das war mir dadurch möglich, daß der Konak nicht in einer Gasse, sondern an einem kleinen offenen Platz lag. Noch standen die Menschen und blickten theils nach dem offenen Thor, meist aber nach mir. Mein prachtvoller Rappe schien ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Ich ließ ihn elegant courbettiren und leitete ihn so nach der Stelle hin, an welcher der verdächtige Mensch stand.

Der Kerl hatte eine weite Hose an und eine kurze Jacke. Beide wurden durch einen Shawl vereinigt, welcher sich um die Hüften schlang.

Jetzt stieß ich jenen Pfiff aus, auf welchen mein Hengst sich in Carrière zu werfen gewöhnt war. Er gehorchte und schoß vorwärts. Ein allgemeines Geschrei ließ sich hören, und Alles retirirte. Man mochte meinen, das Pferd gehe mit mir durch.

Der Spion war so in seine Aufgabe versenkt, daß er nicht auch sofort an das Ausreißen dachte. Dann aber warf er vor Entsetzen die Arme in die Luft und brüllte, was er brüllen konnte, denn er sah, daß der Rappe grad auf ihn losschoß. Vielleicht wollte er durch dieses Geschrei das Pferd abschrecken, weil es zum Fliehen nun zu spät für ihn war. Er lehnte nämlich an einer Mauer, an welcher ich im Galopp herkam.

Jetzt war ich bei ihm. Er drückte sich ganz eng an die Wand. Ich aber bog mich nieder, ergriff ihn bei dem Shawl und riß ihn empor. Ihn in einem Bogen von rechts her über den Kopf des Pferdes schwingend, warf ich ihn nach links hinüber und ließ ihn dann so nieder, daß er mir quer über die Kniee zu liegen kam.

»Allah w' Allah l'Allah!« brüllte er und versuchte dabei, sich loszumachen.

»Halte Dich ruhig!« rief ich ihm zu. »Sonst bist Du des Teufels!«

Da machte er sofort den Mund zu und auch die Augen. Der Mann war kein Held.

Ich lenkte nun nach dem Konak ein und ritt im Trab durch das Thor desselben. Da stand Halef mit den Gefährten. Sie hatten den Vorfall beobachtet, lachten aus vollem Hals und beeilten sich, die Thorflügel zuzumachen und den großen Riegel vorzulegen.

Und das war auch nöthig, denn eine beträchtliche Menschenmenge drängte sich herbei, um zu erfahren, was die seltsame Sache zu bedeuten habe.

Jetzt ließ ich den Gefangenen auf die Erde nieder und stieg ab. Ein türkisch gekleideter Mann kam an Ibarek's Seite herbei, um mich zu begrüßen. Er war der Wirth. Während ich den üblichen Gruß mit ihm wechselte, war mein Mitreiter wieder zu Gedanken gekommen. Er warf sich in Positur, schritt herbei und fragte drohenden Tones:

»Herr, warum hast Du mir das gethan? Meine Seele konnte des Todes sein!«

»Deine Seele? Ist sie aus einem so zerbrechlichen Stoff gefertigt?«

»Spotte nicht! Weißt Du, wer ich bin?«

»Nein, bis jetzt noch nicht.«

»Ich bin der Mawundschi des Flusses!«

»Schön! Du lebst also auf dem Wasser. Hast Du Dich nicht gefreut, einmal reiten zu können?«

»Gefreut? Habe ich Dich gebeten, mich mitzunehmen?«

»Nein, aber es gefiel mir so.«

»Ich werde Dich anzeigen.«

»Schön!«

»Und Dich bestrafen lassen.«

»Noch schöner!«

»Du wirst ohne Säumen mit mir zum Zabtieh Mudiri gehen.«

»Später, lieber Freund. Jetzt habe ich keine Zeit.«

»Ich kann nicht warten. Ich muß bei meiner Fähre sein.«

»Wo befindet sich diese?«

»An dem Fluß.«

»Vermuthlich unweit des Weges nach Kusturlu?«

»Wie kommst Du auf diesen Gedanken? Dort gibt es keinen Fluß.«

»Das weiß ich gar wohl. Aber der Fährmann, welcher jetzt behauptet, keine Zeit zu haben, lehnte dort an einer Ecke und kam uns dann ganz gemächlich nachspaziert. Ist das wahr oder nicht?«

»Ja. Aber was geht das Dich an?«

»Sehr viel, mein Freund. Warum bist Du mit uns gegangen?«

»Ich kann laufen, mit wem ich will!«

»Und ich kann reiten, mit wem ich will! So haben wir also beide unsern Willen gehabt.«

»Das Reiten ist etwas ganz Anderes. Ich hätte den Hals brechen können.«

»Vielleicht wäre es nicht schade um Dich gewesen.«

»Herr! Sprich noch einmal so, so renne ich Dir diese Klinge in den Leib!«

Er griff unter einer drohenden Gebärde nach dem Messer, dessen Scheide an seinem Gürtel hing.

»Laß das stecken! Vor einem solchen Ding fürchtet man sich nicht.«

»So! Wer bist Du denn, daß Du Dir erlaubst, mich zu beleidigen?«

»Ich bin Hazredin Kara Ben Nemsi Emir. Hast Du diesen Namen schon einmal vernommen?«

Ich richtete mich hoch vor ihm auf und gab mir Mühe, einen möglichst stolzen und drohenden Eindruck zu machen. Daß ich mich Emir nannte, das nehme ich gern auf mein Gewissen. Daß ich mir aber den Titel Hazredin gab, also Hoheit, das war freilich mehr als aufgeschnitten. Ich glaubte aber, es jetzt einmal so wie mein kleiner Hadschi machen zu dürfen.

Diesem Fährmann gegenüber besaß ich keine Macht und wollte ihn doch zwingen, mir zu sagen, wer ihn beauftragt habe, uns nachzulaufen. Also mußte ich ihm imponiren, und dazu bedurfte ich einer Würde, deren ich leider nicht theilhaftig war.

Ich sah auch sofort ein, daß ich das Richtige ergriffen hatte. Er verneigte sich ziemlich tief und antwortete:

»Nein, Sultanum, diesen durchlauchtigen Namen habe ich noch nicht vernommen.«

»So hörst Du ihn jetzt und weißt nun, wer ich bin. Danach hast Du Dich zu richten! Glaubst Du, ich liebe es, Spione hinter mir herlaufen zu sehen?«

»Emir, ich verstehe Dich nicht.«

»Du verstehst mich gar wohl, aber Du willst es nicht gestehen.«

»Ich weiß wirklich nicht, was Du meinst.«

»Bursche! Verlangst Du von mir, ich solle mir die Mühe geben, Dich auszufragen? Dazu habe ich keine Lust, und überdies bist Du mir ein zu armseliger Tropf. Sofort gestehst Du, wer Dich beauftragt hat, mir nachzugehen, um zu erfahren, wo ich von meinem Pferd steigen werde!«

»Niemand, Herr.«

»Du hast es aber doch gethan!«

»Ich bin ganz zufällig hinter Dir hergegangen.«

»War dies der gradeste Weg zu dem Fluß?«

Er wurde sichtlich verlegen.

»Nun, antworte!«

»Herr, Du irrst Dich wirklich. Ich habe diesen Umweg ganz ohne Absicht gemacht.«

»Schön! Ich will Dir also glauben. Aber wenn Du meinst, daß dies von Vortheil für Dich sei, so bist Du im Irrthum. Ein Fährmann, welcher bei seiner Fähre sein soll und sich dennoch auf Umwegen in den Straßen umhertreibt, den können wir nicht brauchen, denn er ist nicht zuverlässig. Ich werde dem Mudir den Befehl ertheilen, Dich abzusetzen. Es gibt Andere, welche dieses Amtes würdiger sind.«

Jetzt erschrack er.

»Emir, das wirst Du nicht thun!« rief er flehend.

»Ja, das werde ich thun, und zwar um so eher, je deutlicher ich sehe, daß Du mich belogen hast.«

Er blickte eine Weile zur Erde. Dann erklärte er zaghaft:

»Effendi, ich will aufrichtig sein und Dir gestehen, daß ich Dir nachgegangen bin.«

»Das ist nun zu spät.«

»Du siehst ja, daß ich die Unwahrheit bereue. Ich thue es nicht wieder.«

»Nun, so sage mir auch, wer Dich dazu beauftragt hat.«

»Niemand, ich that es aus eigenem Antrieb.«

»Das ist eine Lüge.«

»Nein, Effendi.«

»Wollen sehen! Wer einmal lügt, der lügt auch zum zweiten Male.«

Und mich zu Halef wendend, gebot ich:

»Hadschi Halef Omar Agha, hole sofort zwei Khawassen herbei. Dieser Mensch soll die Bastonnade erhalten!«

»Sogleich, Sultanum!« antwortete der Kleine, indem er that, als ob er davon eilen wollte.

»Halt!« schrie der geängstigte Fährmann. »Agha, bleibe da! Ich will gestehen!«

»Zu spät! Agha, beeile Dich!«

Da sank der Mann auf den Boden nieder und bat mit erhobenen Händen:

»Nicht die Bastonnade, nicht die Bastonnade! Ich kann sie nicht überstehen.«

»Warum nicht?«

»Meine Füße sind so weich und empfindlich, weil ich so viel im Wasser bin.«

Ich mußte die Zähne auf einander beißen, um nicht zu lachen. Die Bastonnade wird bekanntlich auf die nackten Fußsohlen ertheilt, und diese niedrige Körpergegend war bei ihm zu empfänglich für so gewaltsame Eindrücke. Wenn man diesen Grund gelten lassen will, dann muß man von jeder Strafe absehen, da die Strafe eben darin besteht, irgend einen körperlichen, geistigen oder moralischen Schmerz zu bereiten. Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß ich ein eifriger Freund davon bin, die Fußsohlen meiner lieben Mitmenschen zu mißhandeln. Ich antwortete also:

»Eben weil Du da doppelte Schmerzen zu leiden hättest, solltest Du doppelt vorsichtig Alles vermeiden, was die Obrigkeit veranlassen könnte, Dich züchtigen zu lassen. Aber ich habe grad jetzt meine mitleidige Stunde und will einmal versuchen, ob ich Gnade walten lassen kann.«

»Versuche es, Herr! Ich will ein offenes Geständniß ablegen.«

»So sage, wer Dich beauftragt hat.«

»Der Mübarek.«

»Was bot er Dir dafür? Geld?«

»Nein. Geld gibt der Heilige niemals. Er versprach mir ein Amulet für den reichlichen Fang der Fische, weil ich Fährmann und Fischer zugleich bin.«

»Und wie lautete dieser Auftrag?«

»Ich soll Dir nachgehen und ihm dann sagen, wo Du wohnen wirst.«

»Wann und wo sollst Du es ihm sagen?«

»Heute Abend, droben in seiner Klause auf dem Berg.«

»Ist er denn noch so spät zu sprechen?«

»Nein. Aber für diejenigen, welchen er einen Auftrag gegeben hat, ist er da. Man braucht nur zu klopfen und ein gewisses Wort – –«

Er hielt erschrocken inne.

»Weiter!« gebot ich.

»Weiter gibt es nichts.«

»Willst Du mich wieder belügen?«

»O nein, Effendi.«

»Und dennoch lügst Du!«

Ich dachte an das, was er vorhin gesagt hatte, nämlich, daß der Mübarek niemals Geld gebe. Wenn er das so genau wußte, so hatte er jedenfalls schon oft Aufträge des Alten ausgeführt. Darum fuhr ich fort:

»Wenn man wie gewöhnlich klopft, so öffnet er nicht?«

»Nein.«

»Aber wenn man ein bestimmtes Wort sagt, so wird man eingelassen?«

Er schwieg.

»Nun sprich! Oder soll ich Dir den Mund öffnen lassen? Die Bastonnade ist ein sehr gutes Mittel dazu.«

Er blickte noch immer unentschlossen zu Boden. Die Furcht vor dem Mübarek schien bei ihm ebenso groß zu sein, wie die Angst vor der Bastonnade.

»Gut! Wenn Du nicht reden kannst, so magst Du selbst Dir die Folgen zuschreiben. Hadschi Halef Omar Agha!«

Kaum hatte ich diesen Namen wieder genannt, so war der Fährmann mit seinem Nachdenken zu Ende. Er sagte kleinlaut:

»Effendi, laß die Khawassen nicht holen. Ich will es Dir doch sagen. Mag der Mübarek mir immerhin zürnen. Ich lasse mich seinetwegen nicht zu Schanden schlagen.«

»Wie kann er Dir zürnen?«

»Er hat es mir sehr streng verboten.«

»Willst Du es ihm denn mittheilen, daß Du es mir gesagt hast?«

»Nein. Das fällt mir gar nicht ein. Aber Du selbst wirst es ihm sagen.«

»Sei unbekümmert. Ich habe gar keinen Grund, es auszuplaudern.«

»So wird er es durch seine Vögel erfahren.«

Wieder diese Vögel! Der alte Halunke schien es außerordentlich gut verstanden zu haben, die Dummheit dieser Leute für sich auszubeuten.

»Es sind ja gar keine da! Siehst Du einen?«

Er blickte sich um. Es war kein Rabe, keine Dohle oder Krähe zu sehen.

»Nein. Er hat keinen Vogel gesandt, wohl weil er nicht gewußt hat, wo Du absteigen würdest.«

»Er hätte doch einem befehlen können, mir nachzufliegen. Da hätte er Dich nicht in Verlegenheit gebracht, und einem Vogel hätte ich die Bastonnade nicht geben lassen können. Dein alter Mübarek ist also noch nicht so klug, wie Du zu denken scheinst. Also brauchst Du auch keine Angst zu haben! Sprich! Wenn man heimlich zu ihm kommen will, so muß man also ein gewisses Wort sagen?«

»Ja, Effendi.«

»Gibt es mehrere solche Wörter für verschiedene Personen?«

»Nein. Alle wissen nur das eine Wort.«

»Oder zu verschiedenen Zwecken?«

»Auch nicht. Es gibt nur dieses eine Wort und kein anderes.«

»Wie lautet es?«

»Bir Syrdasch.«

Dieses Losungswort war gar nicht so übel gewählt, denn es bedeutet zu deutsch: >Ein Vertrauter<.

»Ist dies aber auch das wirkliche Wort? Und hast Du Dir keines ausgesonnen?«

»Nein, Herr! Wie könnte ich das wagen!«

»Du hast mich dreimal belogen. Du verdienst also keinen Glauben.«

»Jetzt sage ich die Wahrheit.«

»Ich werde Dich sogleich mit einer neuen Frage auf die Probe stellen. Hast Du schon oft für den Mübarek heimliche Aufträge ausgerichtet?«

Erst nach einer Weile antwortete er:

»Ja, Effendi.«

»Welche?«

»Das darf ich nicht sagen.«

»Auch nicht, wenn Du die Bastonnade erhältst?«

»Nein, in keinem Fall.«

»Warum?«

»Ich habe einen strengen Schwur gesprochen. Lieber lasse ich mich todtschlagen, als daß ich mit einem Meineid in die Hölle fahre.«

Jetzt sprach er ganz im Ton der vollsten Wahrheit. Darum benutzte ich die Gelegenheit, ihn zu fragen:

»Kennst Du vielleicht das Wort: >el Nassr<?«

»Ja.«

Dieses schnelle Eingeständniß hatte ich nicht erwartet. Er war jetzt wirklich aufrichtig.

»Wie hast Du es kennen gelernt?«

»Grade so, wie das jetzige. Der alte Mübarek hat es mir gesagt.«

»Wozu wurde es angewendet?«

»Als Erkennungszeichen.«

»Zwischen wem?«

»Zwischen allen seinen Bekannten.«

»Jetzt nicht mehr?«

»Nein.«

»Warum?«

»Weil es verrathen worden ist.«

»Von wem?«

»Das weiß hier Niemand. Es ist in Istambul verrathen worden.«

»Auf welche Weise?«

»Das darf ich nicht verrathen.«

»Hast Du auch da einen Eid geleistet?«

»Nein. Aber ich habe mein Wort gegeben.«

»So kannst Du ruhig davon sprechen, ohne einen Meineid zu begehen. Übrigens will ich Dir zeigen, daß ich mehr weiß, als Du denkst. Es gab in Istambul ein Haus der Zusammenkunft für die >el Nassr<. Das wurde verrathen von einem Mann, welcher daneben bei einem Juden wohnte. Nicht?«

»Herr, das weißt Du?« fragte er erstaunt.

»O, ich weiß noch viel mehr. Das Haus brannte ab, und es entstand ein Kampf.«

»Du weißt es sehr genau!«

»Ich kann Dich sogar nach dem >Usta< fragen. Hast Du von ihm gehört?«

»Wer kennt nicht diesen Namen!«

»Hast Du ihn selbst gesehen?«

»Nein.«

»Weißt Du, wer er ist?«

»Auch nicht.«

»Auch nicht, wo er zu finden ist?«

»Das wissen jedenfalls nur die Eingeweihten.«

»Ich denke, Du gehörst zu ihnen.«

»O nein, Effendi.«

Er blickte mich dabei so aufrichtig an, daß ich überzeugt war, er rede die Wahrheit.

»Nun, nachdem Du mir bewiesen hast, daß Du nicht ganz so schlimm bist, wie ich erst denken mußte, will ich Dir die Bastonnade erlassen.«

»Aber behalten willst Du mich?«

Das war freilich spaßhaft! Doch bewahrte ich meine strenge Miene und antwortete:

»Eigentlich sollte ich Dich einsperren lassen; aber da Du aufrichtig geworden bist, so sei Dir auch dies erlassen. Du bist also frei und kannst gehen.«

»Und, Herr, Fährmann darf ich auch bleiben?«

»Ja. Wenn ich Dir alle übrige Strafe schenke, so darfst Du bleiben, was Du bist.«

Da erglänzte sein Gesicht vor Freude.

»Effendi!« rief er aus. »Meine Seele ist voll von Dank für Dich. Gewähre mir nur noch Eins, dann werde ich glücklich sein.«

»Was denn?«

»Sage dem Mübarek nichts von dem, was ich Dir mitgetheilt habe.«

Diesen Wunsch konnte ich ihm sehr leicht erfüllen. Es lag ja in meinem eigenen Interesse, daß der Alte nichts davon erfuhr. Je weniger er mir die Kenntniß dieser Heimlichkeiten zutraute, desto sicherer war ich, ihn überlisten zu können.

Ich gab also dem Fährmann die Versicherung, daß ich schweigen würde, und dann entfernte er sich, sehr zufrieden mit dem glücklichen Ausgang dieses Intermezzo.

Zu erwähnen ist, daß der letzte Theil der Unterredung ohne lästige Zeugen vor sich gegangen war. Der Wirth war abgerufen worden und hatte seinen Bruder mitgenommen. Also hatte keiner von Beiden das heimliche Wort gehört. Die Drei aber, welche dabei standen: – Halef, Osco und Omar – konnten es immerhin wissen.

Nun überzeugte ich mich, daß die Pferde gut untergebracht waren, und wurde dabei von einer Menge Menschen angestaunt, welche durch das nun wieder geöffnete Thor hereingekommen waren. Es schien ihnen unbegreiflich zu sein, daß ein Reiter im Galopp einen Mann zu sich in den Sattel nehmen könne. Oder war ihnen meine Person auch aus anderen Gründen interessant?

Diese letztere Frage war zu bejahen, als mir Halef mittheilte, daß ihn Einer gefragt habe, ob ich der fremde Hekim Baschi sei, welcher der Nebatja über zweihundert Piaster geschenkt und es auch gewagt habe, einen Vogel des Mübarek todt zu schießen.

Ich befand mich kaum eine Viertelstunde hier im Konak und war bereits ein berühmter Mann.

Das war mir gar nicht lieb. Je weniger man auf mich achtete und von mir sprach, desto eher und leichter konnte ich meine Aufgabe erfüllen.

Jetzt begab ich mich in das Innere des Hauses. Es war fast ebenso eingerichtet, wie dasjenige in Dabila, nur daß es hier anstatt der geflochtenen Wände solche aus Backsteinen gab.

Der Türke hatte uns gut empfohlen, denn wir wurden in eine besondere Stube geführt und erhielten zunächst Wasser, um uns vom Staube zu reinigen, und sodann ein Essen, welches in Anbetracht der hiesigen Verhältnisse ein sehr anständiges war.

Die beiden Schwäger aßen mit. Servietten oder, wie Halef sich ausgedrückt hatte, Brustvorhänge gab es da freilich nicht. Ganz von selbst verstand es sich, daß die Rede auf den Diebstahl kam, dessen nähere Umstände noch einmal genau durchgesprochen wurden.

Dabei dachte ich daran, daß ich den mitentflohenen Gefängnißschließer noch gar nicht gesehen hatte; die beiden Andern kannte ich genau. Darum fragte ich Ibarek:

»Würdest Du die drei Diebe wieder erkennen, wenn Du sie sähest?«

»Sofort.«

»Also hast Du sie genau betrachtet. Kannst Du mir denjenigen beschreiben, welcher die Kartenkunststücke gemacht hat? Man könnte ihm vielleicht begegnen, und ich habe ihn noch nicht gesehen.«

»O, der ist sehr leicht zu erkennen! Er hat ein Zeichen, welches er nicht entfernen kann.«

»Welches?«

»Er hat ein Tawschany im Gesicht.«

»Das genügt. Du brauchst mir ihn also nicht weiter zu malen.«

»Nicht seine Kleider?«

»Nein.«

»Aber mir scheint, daß es gut sei, zu wissen, wie er gekleidet ist.«

»Das kann nur zum Irrthum verleiten. Kleider lassen sich leicht verändern oder gar wechseln. Da er eine Hasenscharte hat, die er wohl nicht verbergen kann, so bin ich völlig zufrieden gestellt.«

Jetzt kam ein Knecht herein und flüsterte mit dem Wirth, welcher sichtlich verlegen wurde und mich rathlos anblickte.

»Was gibt es?« fragte ich.

»Verzeihe, Herr,« antwortete er. »Es sind mehrere Khawassen draußen.«

»Wegen uns?«

»So ist es.«

»Was wollen sie?«

»Euch arretiren.«

»Allah akbar – Gott ist groß!« rief Halef. »Sie mögen hereinkommen! Wir werden ja sehen, wie wir laufen: ob sie mit uns oder wir mit ihnen.«

»Ja,« stimmte ich bei; »aber laß unsere Pferde augenblicklich wieder satteln.«

»Wollt Ihr etwa fliehen?«

»Fällt uns nicht ein!«

Er ging hinaus, und durch die nun offene Thüre traten sechs, sage sechs bis an die Zähne bewaffnete Khawassen ein. Was ich erwartet hatte, erfüllte sich. Derjenige, mit welchem wir draußen im Busch gesprochen hatten, war bei ihnen. Das war nicht zu verwundern, da wir sehr langsam geritten waren.

Sie pflanzten sich an die Thüre, und unser Bekannter trat vor. Er mochte es sich als wohl verdiente Genugthuung ausgebeten haben, das Wort zu führen. Von seinem früheren Phlegma schien nichts mehr vorhanden zu sein, denn er rief, den Kolben seines Schießgewehres auf den Boden stoßend, uns zu:

»Nun!«

Dieses eine Wort schon sollte uns niederschmettern. Es lag eine ganze Welt voll Freude, Überlegenheit, Hohn und Befriedigung darin. Aber Keiner von uns rührte sich. Wir aßen, ohne uns verabredet zu haben, ruhig weiter. Die drei Gefährten folgten eben meinem Beispiel.

»Nun!« wiederholte der Held.

Als auch darauf keine Antwort erfolgte, trat er einen Schritt näher und fragte mit der Miene eines Lynchrichters:

»Hört Ihr etwa nicht?«

Er erhielt eine Antwort, welche ebenso außer seiner, wie auch außer meiner Berechnung gelegen hatte. Der kleine Hadschi stand nämlich auf, ergriff das große Tellerbrett, auf welchem uns der köstliche, in Fett schwimmende Reispillaw vorgesetzt worden war, trat vor ihn hin, hielt ihm den noch für zehn Personen ausreichenden Pillaw entgegen und sagte auch nur dies eine Wort:

»Nimm!«

Beide blickten einander eine Weile in die Augen. Dabei zog der Duft des Lieblingsgerichtes in die Nase des Khawassen; sein strenges Gesicht wurde immer weniger streng. Die Lippen öffneten sich unwillkürlich, die Nasenflügel zitterten, und ein verbindliches Lächeln begann um den Mund zu spielen. Die Spitzen des Schnurrbartes zuckten – – es war keine Frage, der Pillaw hatte gesiegt.

Welcher türkische Khawaß kann einem in Fett schwimmenden Pillaw widerstehen! Der Mann ließ seine Flinte niedergleiten, ergriff das Brett, drehte sich zu seinen Gefährten um und fragte:

»Istermitz siniz – wollt Ihr?«

»Ewwet, beli – ja, ja!« antworteten schnell fünf Stimmen.

»So setzt Euch nieder!«

Die Anderen lehnten ihre Flinten an die Wand und hockten sich zu ihrem Kameraden nieder. Es war eine wahre Lust, zu sehen, wie sie ernst und würdevoll, mit den Mienen griechischer Weltweisen um das Brett hockten und – mit den Fingern in den Reis langend und ihn in den hohlen Händen zu einer Kugel wickelnd – diese Kugeln in die weit aufgesperrten Mäuler schleuderten.

Hadschi Halef hatte sich wieder auf seinen Platz gesetzt und verzog keine Miene.

Da kam der Wirth wieder herein. Als er die kauernde und Reiskugeln rollende Gesellschaft erblickte, verschwand er augenblicklich wieder, denn wäre er nur noch eine Sekunde geblieben, so hätte er in ein schallendes Gelächter ausbrechen müssen.

Als der Pillaw verschwunden war, brachte der würdige Khawaß das Brett zurück.

»Ejwallah – wir danken!« sagte er, legte das Brett auf den Tisch zurück, hob sein Gewehr aus der Stube auf, stellte sich wieder in Positur und sagte mit der Miene eines römischen Dictators:

»Nun!«

Ich hielt es jetzt für zeitgemäß, zu antworten.

»Was wollt Ihr?« fragte ich kurz.

»Euch!« lautete die noch kürzere Antwort.

»Wozu?«

»Zum Zabtieh Muschiri schaffen.«

»Was will er?«

»Euch bestrafen.«

»Wofür?«

»Für die Prügel.«

»Welche Prügel?«

»Die ich bekommen habe.«

»So bist Du ja schon bestraft! Wozu sind denn da wir noch nöthig?«

Hätte ich das Gesicht, welches er jetzt machte, malen können, das Bild würde das kostbarste Andenken an meinen Aufenthalt in der Türkei sein. Es war geradezu unbeschreiblich.

Er war weg, vollständig weg.

Doch bald kam ihm der Gedanke, daß er doch Etwas sagen müsse. Er schnitt ein sehr finsteres Gesicht und rief:

»Geht Ihr freiwillig mit?«

»Nein.«

»Also mit Gewalt?«

»Nein.«

»Allah, Allah! Mit was denn?«

»Mit gar nichts.«

Jetzt war es mit seiner Philosophie zu Ende. Er hatte sich den scharfsinnigsten seiner Kameraden genannt; aber es ist ein Unterschied, ob man drei Schimmeln in Gedanken nachläuft oder ob man fünf Männer arretiren soll, die sich durch keine Zabtieh und überhaupt durch nichts aus der Fassung bringen lassen.

Der Khawaß that das, was er für das Klügste hielt und was jedenfalls auch das Allerklügste war, er lehnte sich an die Wand und sagte zu einem seiner Kameraden:

»Rede Du!«

Der Betreffende trat vor. Er fing seine Sache ganz anders an. Er schien bedeutende Talente für den Anschauungs-Unterricht zu besitzen, denn er erhob seine Flinte, schob mir den Kolben derselben fast an die Nase, zeigte ihn dann im Kreise herum und fragte:

»Wißt Ihr, was das ist?«

Der Rarität wegen antwortete ich ihm selbst:

»Ja.«

»Nun, was denn?«

»Ein Flintenkolben.«

»Ja, und daran ist ein Lauf, mit welchem man schießt. Verstehst Du mich?«

»Ja.«

»Nun wißt Ihr also Alles!«

»Gar nichts wissen wir.«

»Alles!«

»Nein, wir wissen nur, daß man mit Deiner Flinte schießen kann.«

»Das ist doch genug. Wir sind gekommen, Euch zu arretiren!«

»Ah! Ja, das mußt Du doch sagen!«

»Das ist ganz selbstverständlich. Wenn Ihr nicht sofort mitgeht, greifen wir zu unseren Gewehren.«

»Etwa um uns zu erschießen?«

»Ja.«

»Nun, dazu sind wir bereit. Erschießt uns also!«

Ich nahm eine Cigarette und brannte sie an. Die andern thaten auch so, und so rauchten wir uns an; die Khawassen aber starrten uns an. So Etwas war ihnen noch nicht passirt.

Was ich für ganz unmöglich gehalten hatte, das geschah: der Befehlshaber legte sein Amt nieder. Er drehte sich um, gab einem Andern einen Puff in die Seite und sagte:

»Kommandiere Du!«

Dieser war sogleich bereit, das freiwillig abgelegte Scepter zu ergreifen. Er trat vor, augenscheinlich im Begriff, eine sehr ernste Rede zu halten. Ich begann mich bereits der Überzeugung hinzugeben, daß nach und nach Einer dem Andern das Kommando übergeben werde, bis Alle mit einander, ihrer Mißerfolge müde, sich entfernen würden. Aber so wohl sollte es uns nicht werden, denn eben als der dritte Generalfeldmarschall den Mund öffnete, um zu beginnen, wurde die Thüre aufgerissen, und das Gesicht und die Uniform eines Sergeanten kam zum Vorschein.

»Wo steckt Ihr?«

»Hier!«

»Das sehe ich! Wo sind die Kerls?«

»Hier!«

Dabei zeigte der Antwortende auf uns.

»Warum bringt Ihr sie nicht?«

»Sie wollten nicht.«

»Warum zwingt Ihr sie nicht?«

»Wir konnten nicht.«

Diese Fragen und Antworten klappten so exakt und rasch auf einander, als ob sie einstudirt gewesen seien. Es war zum Todtlachen.

»So werde ich Euch zeigen, wie man solche Menschen zwingt!«

Er trat näher und zog den Säbel. Seine Augen rollten wie Kugeln, und seine langen, gelben Zähne wurden sichtbar.

»Habt Ihr's gehört, Ihr Halunken, was man von Euch will?« schrie er uns an.

Kein Mensch antwortete.

»Ob Ihr es gehört habt?«

Alles schwieg.

»Seid Ihr taub?«

Es schien so, denn Keiner von uns zuckte auch nur mit den Wimpern. Das brachte ihn so in Harnisch, daß er völlig aus dem Gleichgewicht kam. Er holte mit dem Säbel aus, um mir einen Hieb mit der flachen Klinge zu versetzen, und schrie:

»Hund! Du sollst wohl reden lernen!«

Der Säbel sauste nieder – – aber nicht auf meinen Rücken, o nein, sondern auf den Boden; der Sergeant aber bemerkte, als er sich ansah, daß er gleichfalls auf dem Boden sitze.

Als er fluchend aufsprang und auf uns einstürmen wollte, blieb er dennoch stehen und starrte uns an, wie wenn wir Geister seien. Wir saßen nämlich noch immer da: still, starr, steif und stumm wie die Ölgötzen.

Keiner hatte sich bewegt, nur ich; denn ich hatte ihm mit der Faust den Säbel aus der Hand schlagen und ihm dann einen Hieb geben müssen, welcher ihn zu Boden fällte. Das war aber so blitzschnell geschehen, daß man es gar nicht rechnen konnte.

Er ließ einen Blick über uns gleiten, von Einem zum Andern, wendete sich dann um und fragte:

»Waren sie denn vorhin schon so?«

»Ja,« antwortete unser Bekannter aus dem Busch.

»Die sind verrückt!«

»Gewiß.«

Es herrschte also eine geradezu beglückende Einheit der Ansichten unter diesen lieben Leuten. Sie sahen sich an und schüttelten die Köpfe; sie sahen dann wieder uns an und schüttelten die Köpfe, und so hätten sie – wer weiß, wie lange – die Köpfe geschüttelt, wenn ich nicht endlich aufgestanden und zu dem Sergeanten getreten wäre, um ihn zu fragen:

»Wen sucht Ihr hier?«

Sein Gesicht erheiterte sich unverzüglich, denn er erkannte aus dieser Frage doch wenigstens, daß wir ziemlich leidlich reden konnten.

»Euch,« lautete seine kurze Antwort.

»Uns? Wie ist das möglich? Du sprachst doch von Hunden und von Halunken!«

Dabei faßte ich ihn so in's Auge, daß er erröthete, wirklich erröthete.

»Wer verlangt denn, uns zu sehen?« erkundigte ich mich weiter.

»Der Zabtieh Muschiri.«

»Wozu?«

»Er hat Euch zu befragen.«

Ich sah es ihm an, daß er eine ganz andere Antwort beabsichtigt hatte, aber sie kam ihm nicht über die breiten Lippen.

»Das ist etwas Anderes. Vorhin sprach Jemand von Bestrafung. Geh' also und melde dem Zabtieh Muschiri, daß wir sofort erscheinen werden.«

»Das darf ich nicht, Herr!« antwortete er.

»Warum?«

»Ich muß Euch mitbringen. Ich soll Euch sogar arretiren.«

»Weiß denn der Muschir, wer wir sind?«

»Nein, Herr.«

»So laufe schnell zu ihm und sage ihm, daß wir nicht Männer seien, welche sich arretiren lassen möchten.«

»Das darf ich wirklich nicht. Thu' mir den Gefallen und gehe mit. Die Herren warten schon lange.«

»Welche Herren?«

»Die Beisitzer.«

»Ah so! Nun, so will ich aus Rücksicht für diese Herren ohne Säumen aufbrechen. Kommt also heraus!«

Die Khawassen hatten sich das Arretiren wohl ganz anders gedacht. Ich schritt voran in den Hof, hinter mir kamen die Gefährten und nach diesen die Khawassen. Da standen unsere gesattelten Pferde.

Dem Sergeanten schien ein Licht aufgehen zu wollen. Er kam zu mir heran und fragte:

»Warum geht Ihr in den Hof? Der gerade Weg führt doch nicht hierher nach den Ställen, sondern dort zum Thor hinaus.«

»Habe keine Sorge,« antwortete ich. »Wir werden diesen Weg sofort einschlagen.«

Schnell trat ich zu meinem Rappen und stieg auf.

»Halt!« rief er. »Ihr wollt uns entfliehen. Herab mit Dir! Laßt die Andern nicht aufsteigen!«

Seine Leute wollten sich der Pferde bemächtigen, und er selbst packte mich bei einem Bein, um mich herab zu ziehen.

Da nahm ich den Rappen vorn hoch empor und ließ ihn auf den Hinterhufen einen Kreis beschreiben. Der Sergeant mußte loslassen.

»Seht Euch vor, Ihr Leute!« warnte ich laut. »Mein Pferd wird leicht scheu.«

Ich zwang es zu einigen Lançaden, so daß es unter die Khawassen fuhr, welche schreiend aus einander stoben. Dadurch gewannen meine Leute Zeit, aufzusteigen, und nun ritten wir im Galopp zum Thor hinaus.

»Odschurola – lebe wohl! Auf Wiedersehen!« rief ich dem Sergeanten zurück.

»Dur, Dur – halt, halt!« brüllte er, indem er mit seinen Untergebenen hinter uns hersprang.

»Laßt sie nicht fort! Haltet sie auf, die Diebe, die Räuber, die Halunken!«

Leute, uns aufzuhalten, wären genug da gewesen. Die Kunde, daß wir arretirt werden sollten, hatte sich schnell in dem Ort verbreitet und eine ansehnliche Menschenmenge herbeigelockt.

Aber diesen braven Unterthanen des Beherrschers der Gläubigen fiel es gar nicht ein, Hand an uns zu legen und dadurch vielleicht unter die Hufe unserer Pferde zu gerathen. Sie rissen vielmehr schreiend vor uns aus.

Welchen Weg ich einzuschlagen hatte, um an den Ort zu gelangen, den wir hier in Deutschland mit dem Worte >Amtsgericht< bezeichnen würden, das sah ich deutlich, da sich diese Richtung mit Leuten belebt hatte, welche der für sie jedenfalls hochinteressanten Kriminalverhandlung beiwohnen wollten. Dennoch frug ich im Vorbeireiten einen alten Mann, der sich scheu vor uns zur Seite drängte:

»Wo wohnt der Kasi von Ostromdscha?«

Er zeigte nach einer Gasse, welche auf den freien Platz mündete, und antwortete:

»Reite da hinein, Herr. Du wirst rechts den Halbmond mit Stern über dem Thore sehen.«

Wir folgten seiner Weisung und gelangten an den Leuten, welche dieselbe Richtung einschlugen, vorüber nach einer langen hohen Mauer, in deren Mitte sich das bezeichnete Thor öffnete.

Durch dasselbe kamen wir in einen großen, viereckigen Hof, in welchem wir von einer ansehnlichen Schaar Neugieriger empfangen wurden.

Dem Thor gegenüber stand das Amts- und Wohngebäude, aus Fachwerk errichtet. Die Balken waren grün, und die Füllung war blau angestrichen, was einen wunderlichen Eindruck machte.

Der Hof war außerordentlich schmutzig. Nur der Theil längs des Hauses war einige Meter breit mit einer Vorrichtung versehen, welche jedenfalls ein Pflaster vorstellen sollte. Doch sah dieses Trottoir grad so aus, als ob es aufgerissen worden sei, um als Material zu einem Barrikadenbau zu dienen.

Vor der Thüre stand ein alter Lehnstuhl, welchen ein vorweltliches Polsterkissen zierte. In der Nähe lag eine umgekehrte Holzbank, welche ihre vier Beine nach oben reckte. Einige Stricke und ein Bündel daumenstarker Stöcke ließen vermuthen, daß wir diejenige Anstalt der hiesigen Gerechtigkeitspflege vor uns hatten, welche der Ertheilung der Bastonnade gewidmet ist. Einige Khawassen standen dabei, und ganz in der Nähe saß ein alter Bekannter von uns, nämlich der Krüppel, an welchem wir draußen vor dem Ort vorübergeritten waren.

Das Gesicht, welches er uns zeigte, war ein sehr interessantes. Er war wohl überzeugt gewesen, daß wir hier als Gefangene unsern Einzug halten würden. Daß wir hoch und stolz zu Roß und ohne alle polizeiliche Begleitung kamen, gab seinem Antlitz den Ausdruck einer so dummen Verwunderung, daß ich vielleicht darüber gelacht hätte, wenn nicht in seinen haßglühenden Augen Etwas zu bemerken gewesen wäre, was mit der zur Schau getragenen Stupidität gar nicht im Einklang stand.

Wir stiegen ab. Ich warf Osco die Zügel zu und trat zu den Khawassen.

»Wo ist der Kodscha Bascha?«

Ich sprach diese Frage in dem Ton eines gebietenden Herrn aus. Der Gefragte machte ein militärisches Zeichen der Ehrerbietung und antwortete:

»Drin in seiner Wohnung. Willst Du mit ihm sprechen?«

»Ja.«

»So werde ich Dich melden. Sage mir Deinen Namen und Dein Anliegen.«

»Das werde ich ihm selbst sagen.«

Ich schob ihn zur Seite und wendete mich nach der Thüre. Da wurde dieselbe von innen geöffnet, und es trat ein langer, dürrer Mensch heraus, der wohl noch hagerer als der Bettler und der alte Mübarek war.

Seine Gestalt war in einen Kaftan gehüllt, welcher am Boden schleifte, so daß man die Füße nicht sehen konnte. Auf dem Kopf trug er einen Turban, dessen Tuch vor fünfzig oder noch mehr Jahren einmal weiß gewesen war. Sein Hals war so dünn und so lang, daß er den Kopf kaum zu tragen vermochte. Dieser Kopf wackelte und schwankte hin und her, auf und nieder, so daß es den Anschein hatte, als ob die lange, scharfe Riesennase eine ganz besondere Zuneigung zu dem wie ein Kropf hervortretenden Kehlkopf hege.

Er blinzelte mich erstaunt mit den kleinen, wimpernlosen und rothumränderten Triefaugen an und fragte:

»Zu wem willst Du?«

»Zu dem Kodscha Bascha.«

»Der bin ich. Wer bist Du?«

»Ich bin ein Fremder, welcher Veranlassung hat, Dir eine Beschwerde vorzutragen.«

Er wollte antworten, kam aber nicht dazu, denn in diesem Augenblick lief der Sergeant, von seinen Leuten gefolgt, zum Thore herein, hielt bei unserem Anblick erstaunt an und rief keuchend:

»Allah w' Allah! Da sind sie ja!«

Mit und hinter ihm drängten sich noch immer mehr Menschen herein; aber Keiner sprach ein Wort. Es ging so ruhig und lautlos zu, als ob wir uns in einer Moschee befunden hätten. Der Ort, an welchem eine hölzerne Bank ihre vier Beine gen Himmel reckte, war den guten Leuten heilig. Vielleicht war Mancher von ihnen auf diese Bank geschnallt worden, mit den nackten Fußsohlen an die hölzernen Beine gefesselt. Solche Erinnerungen pflegen überwältigend zu sein.

Der Beamte wendete sich, anstatt mir zu antworten, an den Sergeanten:

»Nun, Ihr bringt ihn noch immer nicht? Wollt etwa Ihr die Bastonnade haben an seiner Stelle?«

Da deutete der vom schnellen Laufen ganz athemlose Khawaß auf mich und antwortete:

»Da ist er ja, Herr!«

»Was? Dieser ist es?«

»Ja.«

Der Kodscha Bascha wendete sich schnell wieder zu mir und betrachtete mich vom Scheitel bis zu den Sohlen. Dabei wackelte sein Kopf, wie wenn es seine Lebensaufgabe gewesen wäre, durch diese unaufhörlichen Pendelbewegungen die Kugelgestalt der Erde zu beweisen. Sein Gesicht nahm einen strengen, finstern Ausdruck an, und er sagte barsch:

»Du, also Du bist der Arrestant!«

»Ich? Nein, der bin ich nicht,« antwortete ich ruhig.

»Dieser mein Sergeant der Khawassen sagt es mir doch!«

»Er sagt die Unwahrheit.«

»Nein, ich sage die Wahrheit. Er ist es,« behauptete das Organ der Sicherheit.

»Hörst Du es?« donnerte mich der Kodscha Bascha an. »Du nennst ihn einen Lügner; ich aber weiß, daß er stets die Wahrheit spricht.«

»Und ich sage Dir, daß er lügt! Hast Du uns vielleicht gesehen, als wir in den Hof kamen?«

»Ja, ich stand am Fenster.«

»So wirst Du bemerkt haben, daß wir zu Pferde saßen. Ich komme freiwillig zu Dir. Deine Khawassen sind uns später gefolgt. Nennst Du das eine Verhaftung?«

»Ja. Du bist zwar ein wenig eher gekommen, aber die Polizei hat Euch geholt, und so seid Ihr arretirt worden. Ihr seid meine Gefangenen.«

»Da befindest Du Dich in einem gewaltigen Irrthum.«

»Ich bin der Kodscha Bascha und irre mich nie. Merke Dir das!«

Indem er dies laut und im strengsten Ton rief, wackelte er mit dem Kopf so bedenklich, daß ich fürchtete, er wolle ihn mir zuschleudern. Es sah wirklich beängstigend aus.

»Nun, so werde ich Dir beweisen, daß Du Dich dennoch irrest. Es gibt keinen einzigen Kodscha Bascha in der Welt, dem ich erlauben würde, mich seinen Gefangenen zu nennen.«

Einige rasche Schritte zu meinem Pferd und ein Sprung in den Sattel. Meine Gefährten saßen ebenso schnell auf.

»Sihdi, zum Thore hinaus?« fragte Halef.

»Nein, wir bleiben. Ich will nur Bahn machen bis an das Thor.«

Es war, als ob der Rappe meine Absicht genau verstände. Er courbettirte, den prächtigen Leib immer quer haltend, zu dem Thore hin und wieder zurück, schlug vorn und hinten aus und schnaubte aus den Nüstern, daß die anwesende Volksmenge eiligst Raum gab und sich furchtsam an die Mauer drückte.

»Macht das Thor zu!« gebot der Richter seinen Khawassen.

»Wer das Thor anrührt, den reite ich über den Haufen!« drohte ich.

Keiner der Khawassen rührte sich von der Stelle. Der Kodscha Bascha wiederholte seinen Befehl, aber ohne Gehorsam zu finden. Ich hatte die Nilpeitsche in die Hand genommen, und das sah den guten Leuten doch zu gefährlich aus.

Ich ritt so nahe an den richterlichen Beamten heran, daß der Rappe ihm in das Gesicht schnaubte. Er prallte zurück, streckte die langen, dürren Arme abwehrend aus und rief:

»Was erkühnst Du Dich! Weißt Du nicht, wo Du Dich befindest und wer ich bin?«

»Das weiß ich ganz genau. Du aber hast keine Ahnung, wen Du vor Dir hast. Ich werde mich bei Deinem Vorgesetzten beschweren, bei dem Makredsch von Saloniki. Der mag Dir sagen, wie Du einen vornehmen Tebdili kyjafet iledschi zu behandeln hast!«

Diese in drohendem Ton ausgesprochenen Worte enthielten eine Aufschneiderei, die ich mir in Anbetracht der Umstände erlauben zu dürfen glaubte. Sie machte die beabsichtigte Wirkung, denn der alte Bascha sagte jetzt viel höflicher als vorher:

»Du bist tebdilen auf der Reise? Das habe ich nicht gewußt. Warum hast Du es mir nicht gesagt?«

»Weil Du Dich noch gar nicht nach meinem Namen und nach meinen Verhältnissen erkundigt hast.«

»So sage mir, wer Du bist!«

»Später. Erst will ich wissen, ob Du mich wirklich als Deinen Gefangenen betrachtest. Ich würde mein Verhalten nach Deiner Antwort einrichten.«

Diese Aufforderung brachte ihn in Verlegenheit. Er, der Gebieter von Ostromdscha und Umgegend, sollte seine eigenen Worte widerrufen! Er blickte mich scheu an und zögerte mit der Antwort. Sein Kopf gerieth in eine höchst bedenkliche Bewegung. Es sah aus, als ob der Hals zerbrechen würde.

»Nun, eine Antwort! Sonst reiten wir fort.«

»Herr,« sagte er, »Ihr seid freilich nicht gebunden und gefesselt gewesen, darum will ich einmal annehmen, daß Ihr nicht arretirt worden seid.«

»Gut, das genügt mir einstweilen. Aber laß es Dir ja nicht mehr in den Sinn kommen, von dieser Deiner Meinung abzuweichen. Ich würde mich beim Makredsch beschweren.«

»Kennst Du ihn?«

»Ob ich ihn kenne, das geht Dich nichts an. Wenn er und ich es weiß, so ist's genug. Also Du hast zu mir gesandt. Daraus schließe ich, daß Du mir eine Mittheilung machen willst. Ich bin bereit, sie zu hören.«

Es war spaßhaft, das Gesicht zu sehen, welches er schnitt. Wir schienen die Rollen gewechselt zu haben. Ich sprach von oben herab zu ihm und zwar nicht etwa nur bildlich, sondern auch wirklich, denn ich saß im Sattel. In seinem Gesicht stritten sich die Ausdrücke des Zornes und der Verlegenheit um die Oberhand. Er blickte rathlos hin und her und antwortete endlich:

»Du irrst. Ich habe Dir nicht sagen lassen, daß ich mit Dir sprechen will, sondern ich habe wirklich befohlen, Euch zu arretiren.«

»Das hast Du wirklich gethan? Fast kann ich es nicht glauben. Ihr seid doch vom Arz Odassi angewiesen, gerecht und vorsichtig zu handeln. Was war denn der Grund dieses Befehles?«

»Ihr habt einen meiner Khawassen mißhandelt, und sodann hast Du einen Einwohner dieser Stadt in Lebensgefahr gebracht.«

»Hm! Ich höre, daß man Dir die Sache nicht der Wahrheit gemäß berichtet hat. Wir haben einen Khawassen gezüchtigt, weil er es verdiente, und ich habe einem Einwohner dieser Stadt das Leben gerettet, indem ich ihn zu mir empor in den Sattel riß. Mein Pferd hätte ihn niedergestampft, wenn ich nicht so geistesgegenwärtig gewesen wäre.«

»Das klingt allerdings ganz anders, als es mir berichtet worden ist. Ich werde also untersuchen müssen, auf wessen Seite die Wahrheit liegt.«

»Diese Untersuchung ist ganz überflüssig. Siehst Du denn nicht ein, daß Deine Worte eine Beleidigung für mich enthalten? Meine Worte dürfen nicht den geringsten Zweifel in Dir erwecken, und doch willst Du untersuchen! Ich weiß nicht, was ich von Deiner Höflichkeit und Umsicht denken soll.«

Er fühlte sich in die Enge getrieben und antwortete ziemlich kleinlaut:

»Selbst wenn Du Recht hast, muß die Untersuchung Statt finden, eben um den Anklägern zu beweisen, daß Du Recht hast.«

»Das lasse ich allerdings gelten.«

»So steige ab! Ich werde das Verhör sogleich beginnen.«

Es war Alles so laut gesprochen worden, daß jeder Anwesende jedes Wort hatte verstehen können. Jetzt drängten sich die Leute herbei, um noch besser hören und sehen zu können. Sie flüsterten sich ihre Bemerkungen zu, und die Blicke, welche sie auf uns richteten, sagten deutlich, daß sie einen gehörigen Respekt vor uns hegten. So, wie ich, hatte wohl noch Niemand mit ihrem Kodscha Bascha gesprochen.

Dieser würdige Beamte setzte sich auf den Stuhl. Er nahm eine möglichst Ehrfurcht gebietende Haltung an und wiederholte seine vorige Weisung:

»Steig' ab, und laß auch Deine Leute absteigen. Die Achtung, welche man der Obrigkeit schuldet, erfordert es.«

»Ich bin ganz Deiner Meinung, aber ich sehe von der Obrigkeit gar nichts.«

»Wie? Verstehe ich Dich richtig? – Die Obrigkeit bin ich!«

»Wirklich? So befinde ich mich in einem großen Irrthum. Wer ist der Naïb von Ostromdscha?«

»Ich bin es. Ich bekleide beide Ämter.«

»Gehört denn unsere Angelegenheit vor den Friedensrichter?«

»Nein, sondern vor das Kasa.«

»So habe ich also doch Recht. Der Naïb kann ganz allein und ohne Beisitzer entscheiden. Zu einem Kasa aber gehören ein Kodscha Bascha, ein Mufti, ein Stellvertreter, ein Ajak Naïb und ein Basch Kiatib. Nun sage mir, wo diese Herren sind. Ich sehe nur Dich allein.«

Sein Kopf begann wieder hin und her zu pendeln. Er sagte:

»Ich pflege auch solche Sachen allein zu verhandeln.«

»Wenn die Bewohner von Ostromdscha sich dies gefallen lassen, so ist das ihre Sache. Ich aber kenne die Gesetze des Padischah und verlange, daß sie erfüllt werden. Du forderst von mir Achtung vor einer Obrigkeit, welche gar nicht vorhanden ist.«

»Ich werde die Männer holen lassen.«

»So beeile Dich! Ich habe nicht viel Zeit.«

»Du wirst dennoch warten müssen, denn ich weiß nicht, ob der Basch Kiatib gleich zu finden sein wird, und der Stellvertreter ist nach Ufadilla gegangen. Er kommt wohl erst nach einigen Stunden zurück.«

»Das ist mir unangenehm. Die Obrigkeit darf sich nicht suchen lassen. Was wird der Makredsch sagen, wenn ich ihm das erzähle?«

»Du brauchst es ihm nicht zu erzählen. Du wirst mit der Behandlung, die Euch zu Theil werden wird, gewiß zufrieden sein.«

»Wie so? Welche Behandlung meinst Du da?«

»Das weißt Du nicht?«

»Nein.«

»Ich muß Euch natürlich hier behalten, bis das Kasa zusammengetreten ist. Aber Ihr sollt es so gut haben, wie die Umstände es erlauben.«

»Höre! Wir werden es so gut haben, wie es uns selbst beliebt. Du willst uns hier behalten, das heißt, wir sind arretirt. Du weißt aber, daß ich mir das nicht gefallen lasse.«

»Aber das Gesetz erfordert es.«

»Du scheinst Dir ganz eigene Gesetze gemacht zu haben, die ich natürlich nicht anerkenne. Ich bin bei Dir angezeigt worden und erkläre mich ganz damit einverstanden, daß das Gericht die Sache untersuchen soll. Ich bin also bereit, mich diesem Gericht zu stellen; aber meiner Freiheit lasse ich mich nicht berauben. Ich kehre jetzt nach dem Konak zurück und werde dort die Benachrichtigung erwarten.«

»Das darf ich nicht zugeben.«

Er stand von seinem Stuhl auf.

»Was willst Du dagegen thun?«

»Wenn Du mich zwingst, so muß ich Dich mit Gewalt zurückhalten.«

»Pah! Du hast mir ja bereits Deine Khawassen gesandt. Was haben sie ausgerichtet? Nichts! Und denselben Erfolg würdest Du wieder sehen. Wenn Du klug bist, so unterlässest Du es, Dich vor Deinen Leuten lächerlich zu machen. Ich gebe Dir mein Wort, daß ich nicht daran denke, zu fliehen. Ich werde auf Deine Vorladung warten und derselben Folge leisten.«

Er mochte einsehen, daß es besser sei, weitere Scenen, die seinem Ansehen schaden konnten, zu vermeiden. Er antwortete mir nach einer Pause des Überlegens:

»Ich will aus Rücksicht darauf, daß Du ein vornehmer Fremder bist, auf Deinen Vorschlag eingehen; aber ich muß Dir das feierliche Versprechen abverlangen, daß Du nicht entfliehen willst.«

»Ich gebe es Dir.«

»Du mußt Deine Hand in die meinige legen. Das ist so Vorschrift.«

»Hier!«

Ich reichte ihm die Hand vom Pferde herab. Es war mir, als ob ich laut auflachen sollte; aber ich bewahrte mir den nöthigen Ernst und wurde von dem Bascha mit einigen feierlichen Worten entlassen.

Als wir uns anschickten, fortzureiten, machten uns die Leute in ehrerbietiger Weise Platz. Der osmanische Richter pflegt sich einer tyrannischen Unfehlbarkeit zu befleißigen. Der alte Kodscha Bascha machte wohl keine Ausnahme von dieser Regel. Heute aber hatte sein Ansehen einen gewaltigen Stoß erlitten. Daß er das gar wohl fühlte, sah ich an dem finstern Blick, den er uns noch zuwarf, bevor er hinter der Thüre verschwand.

Und noch Einen gab es, der mit diesem Ausgang nicht zufrieden war – der Bettler.

Es war ganz zufällig, daß ich auf ihn sah, und da hätte ich erschrecken mögen vor dem Blitz, den er aus seinen dunklen Augen auf mich schleuderte. Ein Mensch, der solche Blicke hatte, konnte unmöglich stupid sein. Ich begann die Überzeugung zu hegen, daß der zur Schau getragene Blödsinn nur eine Maske sei.

Der Haß dieses Menschen war kein instinctiver, sondern ein selbstbewußter und wohl begründeter; das sah man seinem Blick an. Was hatte er mit mir? Wo war ich ihm begegnet? Was hatte ich ihm gethan? –

Ich war überzeugt, daß ich ihn hier nicht zum ersten Male sah. Wir waren uns schon früher einmal begegnet. Aber wann, wo und unter welchen Umständen? Das wollte mir nicht einfallen, so sehr ich auch, als wir jetzt heimritten, darüber nachsann.

Es stieg die Ahnung oder vielmehr die immer stärker werdende Überzeugung in mir auf, daß ich mit dem Bettler auf irgend eine Weise zusammen gerathen werde. Es dämmerte in mir die Vermuthung, daß er mit dem Zweck unserer Anwesenheit in irgend einer Beziehung stehe, und ich nahm mir vor, ein scharfes Auge auf ihn zu haben.

Natürlich war sowohl Ibarek, wie auch sein Verwandter über den bisher glücklichen Ausgang unseres Criminalfalles sehr erfreut. Sie fragten, ob ich mich vor der späteren Verhandlung fürchte, und ich versicherte ihnen, daß mir dies gar nicht einfalle. Als ich dann den Wirth fragte, ob er nicht vielleicht einen verschwiegenen, zuverlässigen Knecht habe, brachte er mir einen Mann, dem ich den Auftrag ertheilte, sich schnell in den Hof des Bascha zu begeben und heimlich den Bettler zu beobachten. Es lag mir daran, zu erfahren, ob er dort bleibe oder sich entferne.

Halef hörte das. Er benützte die nächste Gelegenheit, als ich mit ihm allein war, und fragte:

»Sihdi, warum lässest Du den Bettler beobachten? Hast Du Etwas mit ihm vor?«

»Nein, sondern ich glaube vielmehr, daß er Etwas mit uns vor hat.«

»Wie so?«

»Hast Du nicht bemerkt, daß er uns so ganz eigenthümliche Blicke zuwirft?«

»Nein; ich habe ihn nicht beobachtet.«

»So beobachte ihn, wenn wir ihn wieder treffen. Es ist mir ganz so, als ob wir ihm schon einmal begegnet seien.«

»Wo denn?«

»Das weiß ich leider nicht. Ich habe bereits darüber nachgesonnen, aber es fällt mir nicht ein. Es muß weit von hier gewesen sein.«

»Da wirst Du Dich irren.«

»Schwerlich.«

»Wie sollte der Krüppel von so weit hierher gekommen sein? Er kann ja kaum laufen.«

»Hm! Vielleicht verstellt er sich nur.«

»O nein. Es ist ihm anzusehen, wie elend er ist. Man glaubt oft, einem Menschen begegnet zu sein, und das hat nur den einen Grund, daß Menschen einander ähnlich sind. Als der Mübarek an uns vorüberging, hatte ich ein ganz ähnliches Gefühl. Es war mir, als ob ich ihn schon gesehen hätte.«

»Wirklich? Das ist interessant.«

»Warum?«

»Weil ich ganz dasselbe denke.«

»So haben wir einmal irgend Jemand gesehen, der ihm sehr ähnlich sieht.«

»Nein. Wir müssen ihn selbst gesehen haben. Hast Du nicht bemerkt, welchen Blick er mir zuwarf?«

»Ja. Es war, als ob er sich das nicht merken lassen wollte.«

»Es war wohl auch gar nicht seine Absicht, mich anzusehen; aber er konnte sich doch nicht beherrschen. Er hat sich verrathen.«

»Und dennoch wirst Du Dich irren. Ich weiß, daß auch ich mich irre. Der Mann, den ich mit dem Mübarek verwechsle, hat einen langen, vollen Bart gehabt.«

»Das weißt Du?«

»Ja. Wenn der Alte einen solchen Bart hätte, würde er ihm ganz ähnlich sein.«

»Und wo sahst Du diesen bärtigen Mann?«

»Das weiß ich eben nicht.«

»Sonderbar! Mag es sein, wie es will; wir haben uns vor dem Mübarek und vor dem Bettler in Acht zu nehmen. Vielleicht müssen wir uns da nur vor einem Menschen hüten.«

»Wie meinst Du das?«

»Ich meine, daß der Mübarek und der Bettler nicht zwei verschiedene Personen sind.«

»Sihdi! Was denkst Du?«

»Es ist einer und derselbe.«

»Unmöglich!«

»Ich weiß freilich kaum, wie mir dieser Gedanke gekommen ist; aber ich habe ihn nun einmal und kann ihn nicht wieder los werden.«

Wir wurden unterbrochen. Der Wirth kam und meldete, daß der Kodscha Bascha in der Stadt umherschicke, um die zur Kasa gehörigen Beamten zusammen zu bringen.

»Da wirst Du auch den Mübarek zu sehen bekommen,« fügte er hinzu.

»Was hat der damit zu thun?«

»Er ist ja der Basch Kiatib.«

»Der Gerichtsschreiber? Wer hat ihm denn dieses Amt gegeben?«

»Der Kodscha Bascha. Diese Beiden sind sehr gute Freunde.«

»O weh! Wenn Fuchs und Wolf sich zusammen thun, dann ist das Lamm verloren.«

»Hältst Du diese Beiden für böse Menschen?«

»Für gute nicht.«

»Effendi, da irrst Du Dich sehr.«

»So? Hast Du eine bessere Meinung von Eurem Kodscha Bascha?«

»Von diesem nicht. Er ist gewaltthätig und ungerecht. Aber er hat die Macht, und wir können nichts gegen ihn thun. Was jedoch den Mübarek betrifft, so ist er der Wohlthäter der ganzen Gegend. Wenn Du Dir nicht Feinde machen willst, darfst Du nichts gegen ihn sagen.«

»Mir kommt es ganz im Gegentheile so vor, als ob er der Fluch dieser Gegend sei.«

»Bedenke, er ist ein Heiliger!«

»Ein Marabut etwa? Nein!«

»Er heilt alle Krankheiten. Wenn er wollte, könnte er sogar Todte erwecken.«

»Hat er das selbst gesagt?«

»Er selbst hat es versichert.«

»So ist er ein schändlicher Lügner.«

»Herr, laß das Niemand hören!«

»Ich würde es ihm grad ins Gesicht sagen, wenn er diese Behauptung gegen mich machte.«

»So wärest Du verloren. Ich warne Dich.«

»Wie so verloren?«

»Wie er vom Tod erretten kann, so vermag er auch das Leben zu nehmen.«

»Also zu morden?«

»Nein. Er berührt Dich gar nicht. Er sagt einen Spruch, und dann mußt Du sterben.«

»Also er zaubert?«

»Ja, so ist es.«

»Ein Heiliger und Zauberer! Wie paßt denn das zusammen? Ihr widersprecht Euch selbst. Doch da kommt Dein Knecht.«

Der Mann kam herbei und meldete, der Bettler habe soeben den Hof verlassen.

»Hast Du aufgepaßt, wohin er geht?«

»Ja. Er steigt den Berg empor. Wahrscheinlich will er zu dem Mübarek.«

»Geht er zuweilen zu diesem?«

»Sehr oft.«

»Warum heilt ihn der Heilige nicht?«

»Weiß ich es? Er wird seine Gründe haben, daß er es nicht thut.«

»Hast Du diese Beiden schon einmal mit einander sprechen sehen?«

Der Mann sann einen Augenblick lang nach und antwortete dann:

»Nein, noch nie.«

»Wenn der Bettler so oft zu ihm geht, werden sie doch mit einander sprechen?«

»Natürlich. Aber es ist eigenthümlich, daß ich Beide nicht beisammen gesehen habe.«

»Ja, auch mir kommt das sonderbar vor. Vielleicht gelingt es mir, eine Erklärung dafür zu finden. Ich möchte gern sehen, was der Bettler droben auf dem Berg thut. Ist das möglich?«

»Darf er Dich sehen?«

»Nein.«

»So müßte ich Dich führen, denn Du kennst die Gegend nicht.«

»Gut, führe uns.«

Halef sollte nämlich auch dabei sein. Ich nahm mein Fernrohr aus der Satteltasche, und dann folgten wir dem Knecht.

Er führte uns aus dem Hof in den Garten, von welchem man dann gleich in's Freie gelangte. Da zeigte er nach links hinüber.

»Seht, da drüben steigt er empor. Der Arme kommt nur langsam fort. Es wird wohl eine halbe Stunde dauern, ehe er hinaufkommt. Bis dahin sind wir längst schon oben.«

Er führte uns nach rechts, wo sich ein ziemlich dichtes Strauchwerk an dem Berg empor zog. Ich überschaute das Terrain. Wir konnten, durch die Büsche gedeckt, ganz unbemerkt zur Höhe gelangen. Da drüben aber, wo der Bettler ging, waren Melonenfelder. Man konnte ihn also von Weitem ganz gut beobachten. Aus diesem Grund schickte ich den Knecht zurück. Ich konnte auf seine Führung verzichten. Eher ließ sich erwarten, daß seine Gegenwart uns hinderlich werden könne.

Wir schritten ziemlich schnell aufwärts, hielten uns aber ganz nahe bei dem Rand der Büsche, um den Bettler nicht aus den Augen zu lassen.

Er wußte, daß er von der Stadt aus gesehen werden könne, und verhielt sich darnach. Ganz langsam humpelte er vorwärts und ruhte sehr oft aus.

Bald hatten wir den Wald erreicht, welcher die Spitze des Berges umkränzte. Im Schutz desselben bog ich nun nach links hinüber, bis wir uns grad in der Richtung befanden, welche der Krüppel einhielt. Wenn er in derselben verharrte, mußte er an uns vorüber kommen.

Ich setzte mich in das weiche Moos, und Halef nahm an meiner Seite Platz.

»Gibt es etwas Bestimmtes, was Du jetzt erfahren willst, Sihdi?« fragte er.

»Ohne Zweifel.«

»Was denn?«

»Ich will wissen, wie sich der Bettler in den Mübarek verwandelt.«

»So hältst Du also an Deiner Ansicht fest?«

»Steif und fest.«

»Du wirst sehen, daß Du Dich täuschest.«

»Das ist möglich, aber ich glaube es nicht. Er wird ganz gewiß hier vorüber kommen. Sobald er nahe ist, verstecken wir uns hinter die Bäume und folgen ihm von Weitem.«

Wir hatten noch einige Minuten zu warten, dann mußten wir uns zurückziehen.

Er kam.

Sobald er den Waldesrand erreicht hatte und sich im Schutz der Bäume befand, so daß er von der Stadt aus nicht mehr gesehen werden konnte, blieb er stehen und blickte um sich.

Diese Umschau hielt er in der Weise eines Menschen, welcher alle Veranlassung hat, vorsichtig zu sein. Er schien sich überzeugt zu haben, daß sich Niemand in der Nähe befinde; denn er richtete sich hoch auf und dehnte und reckte sich. Dann drang er noch eine kleine Strecke tiefer in den Wald ein und kroch hinter ein kleines Dickicht.

Wir hatten das sehr genau beobachtet. Er konnte ganz gut ohne die Krücken stehen und gehen.

»Sihdi, Du hast vielleicht doch Recht,« sagte Halef. »Wollen wir hin?«

»Nein, wir bleiben hier.«

»Aber ich denke, Du willst ihn beobachten. Er wird weiter gehen.«

»Nein, er wird in dem Dickicht seine Umwandlung vornehmen und dann als Mübarek in die Stadt zurückkehren.«

»Und ich denke, er wird vollends emporsteigen bis zur Höhe, wo sich ja seine Wohnung befinden soll.«

»Das wird er nicht thun, weil er sich nicht die Zeit nehmen kann. Er hat es jedenfalls sehr eilig, daß das Gericht zusammentritt. Paß nur auf!«

Ich zog mein Fernrohr aus und richtete es auf die Stelle, an welcher ich den Kerl vermuthete. Richtig! Ich konnte ihn zwar nicht sehen, aber die Zweige bewegten sich. Er stack dahinter.

Nach ungefähr fünf Minuten trat er hervor – – als Mübarek.

»Allah akbar!« sagte Halef. »Wer hätte gedacht, daß Du Recht habest, Sihdi!«

»Ich habe es gedacht. Es gibt Ahnungen, denen man es anmerkt, daß sie sich erfüllen müssen. Dieser Heilige ist ein großer Sünder. Vielleicht gelingt es uns, ihm das zu beweisen.«

»Er geht wirklich in die Stadt zurück. Wollen wir ihm wieder nach?«

»Das fällt mir nicht ein. Es gibt ja gar keine bessere Gelegenheit, seine Wohnung und die Ruine zu untersuchen.«

»Da hast Du Recht. Also komm! Wir wollen uns beeilen.«

»Nicht so schnell! Erst gehen wir hin zu der Stelle, an welcher er die Umwandlung vorgenommen hat. Vielleicht können wir da erfahren, wie er das zu bewerkstelligen pflegt.«

Der Alte war ein Stück am Waldrand hingegangen und trat dann ins Freie hinaus, um zwischen zwei Melonenfeldern nach der Stadt zu gehen.

Wir begaben uns zu dem Dickicht, fanden jedoch gar nichts. Das Gras und Moos war niedergetreten, aber weiter war nichts mehr zu sehen. Wo hatte er die Krücken?

»Er kann sie doch nicht verschwinden lassen,« meinte Halef.

»Er hat sie wohl bei sich.«

»Da müßte man sie doch sehen.«

»Hm! Das ist nicht unumgänglich nothwendig. Vielleicht sind sie mit Charnieren versehen, so daß er sie zusammenlegen und unter dem Kaftan tragen kann.«

»Wäre das nicht beschwerlich für ihn?«

»Allerdings.«

»Er könnte sie ja verstecken.«

»Das ist noch unbequemer. Er müßte allemal, wenn er sich wieder in den Bettler verwandeln wollte, zu dem Versteck zurückkehren. Wenn er sie aber bei sich trägt, kann er die Verwandlung an jedem Ort und zu jeder Zeit vornehmen.«

»Sihdi, das Alles kommt mir so fremd, so unbegreiflich vor, fast wie ein Märchen.«

»Das glaube ich Dir gern. In den großen Städten des Abendlandes kommen noch ganz andere Sachen vor. Da denke ich daran, daß seine Knochen an einander klappern sollen. Das hast Du doch gehört?«

»Ja, Sihdi. Ibarek, der Wirth, sagte es. Und dann, als der Mübarek an uns vorüber ging, habe ich es klappern hören.«

»Das waren nicht die Knochen, sondern die Krücken.«

»Allah! Das leuchtet mir ein.«

»Es fiel mir damals schon auf, daß der Bettler ganz und gar verschwunden war, und daß der Mübarek aus derselben Gegend kam und doch vorher nicht zu sehen gewesen war. Jetzt habe ich die Lösung dieses Räthsels. Nun wollen wir hinauf zu seiner Hütte.«

»Gehen wir gleich gradaus durch den Wald?«

»Nein. Wir suchen den offenen Weg auf. Ich habe von unten gesehen, wo er empor führt, und es mir gemerkt.«

»Warum willst Du zu dem Pfad, auf welchem wir doch gesehen werden können?«

»Von der Richtung aus, welche der Alte eingeschlagen hat, kann er uns nicht sehen. Und wenn Andere es bemerken, daß wir zur Höhe gehen, so hat das nichts zu bedeuten. Ich suche Pferdespuren.«

»Hier oben?«

»Natürlich! Oder meinst Du, daß Barud el Amasat, Manach el Barscha und der entflohene Kerkerschließer ihre Pferde irgendwo in der Stadt eingestellt haben?«

»Nein, gewiß nicht. Sie haben sich jedenfalls dort gar nicht sehen lassen.«

»Das ist auch meine Meinung. Sie sind auf den Berg geritten und haben die Pferde und sich selbst auch dort versteckt.«

»Wenn sie nicht schon wieder fort sind.«

»Sie sind noch da. Sie wollen ja die beiden Brüder hier erwarten. Der alte Mübarek wird schon ein Versteck für sie gehabt haben. Das ist freilich schwer zu finden. Die besten und sichersten Führer werden da die Pferdespuren sein.«

»Wirst Du diese entdecken?«

»Ich hoffe es.«

»Es ist aber eine so lange Zeit vergangen.«

»Das thut nichts. Die drei Männer, welche wir suchen, sind keine Indianer, die gewohnt sind, ihre Fährten zu verbergen.«

»Ja, Du verstehst es ja, alle Darb und Ethar zu lesen. Ich bin neugierig, wie Du es auch dieses Mal fertig bringen wirst.«

Ich war selbst auch neugierig darauf und hatte viel weniger Vertrauen zu meinem Scharfsinn, als ich dem kleinen Hadschi merken ließ.

Wenn man in der leeren Sandwüste oder in der grasigen Prärie reitet, so ist eine Spur viel leichter zu entdecken und zu verfolgen, als in bebauter Gegend oder gar in der Nähe einer bewohnten Stadt.

Wir gingen am Waldesrand unter den Bäumen hin, bis wir auf den Weg trafen, welcher zur Höhe führte. Es war kein eigentlicher Weg. Er war nicht ausgetreten. Der Boden war steinig. Nur hier oder da war ein Grasbüschel zu sehen.

Indem wir ihm langsam folgten, suchte ich scharf nach Fußeindrücken. Es war nichts, gar nichts zu finden. Hatten die drei etwa diesen Weg gar nicht benutzt?

Sie waren des Morgens hier angekommen, und es ließ sich da denken, daß sie die Stadt umritten hatten, um unbemerkt zu bleiben.

So kamen wir eine ziemliche Strecke empor, bis ich das erste Zeichen fand, daß Pferde hier gewesen seien. Sie waren von rechts her zwischen den Bäumen heraus gekommen. Die Hufeindrücke waren hier in dem weichen Humusboden ganz deutlich zu sehen.

Jetzt konnten wir rascher gehen. Es gab nun genug Anzeichen, daß die Reiter von hier an den Weg verfolgt hatten.

Bald gelangten wir oben an. Der Weg mündete auf eine Lichtung. Jenseits derselben sahen wir das Gemäuer der Ruine. Eine aus Gebälk und Steinen ziemlich roh errichtete Hütte lehnte sich an eine hohe, aber halb verfallene Wand.

»Da drin wohnt der Alte,« meinte Halef.

»Jedenfalls.«

»Gehen wir hinein?«

Er wollte unter den Bäumen hervor auf die Lichtung treten, ich aber hielt ihn zurück.

»Halt! Erst müssen wir uns überzeugen, daß wir nicht beobachtet werden.«

»Es ist ja kein Mensch hier.«

»Weißt Du das so genau?«

»Man würde ihn sehen oder hören.«

»O Hadschi Halef Omar, ich habe Dich für viel klüger und vorsichtiger gehalten! Diejenigen, welche wir suchen, sind hier versteckt. Wie leicht können sie uns sehen, und dann ist alle unsere Mühe umsonst! Bleib' hier stehen.«

Ich schlich mich am Rand der Lichtung im Halbkreise bis zu der Hütte hin und trat an die Thüre. Sie war verschlossen. So viel ich lauschte und spähte, es war Niemand zu bemerken. Ich ging mit ganz demselben Erfolg die andere Seite ab und kehrte so zu Halef zurück.

»Wir sind wirklich unbemerkt,« sagte ich ihm. »Jetzt gilt es, das Versteck der Drei aufzufinden. Die Pferde müssen uns führen.«

»Und doch hast Du sie nicht da, diese Pferde.«

»Wir wollen sie schon finden.«

Der Boden bestand aus nackten Felsen. Da gab es keine Spur; aber unter den Bäumen mußten Fährten zu finden sein. Und mitten auf der Lichtung war ein Quell, welcher aus dem Stein zu Tage trat, aber keinen sichtbaren Abfluß hatte. Am Rand desselben befand sich ein schmaler Pflanzenwuchs.

Wir gingen hin. Pferde müssen getränkt werden, und jedenfalls war dieser Quell benutzt worden.

Ich untersuchte den Rand. Richtig! Ich fand die Spitzen des Grases abgefressen. Eine Tschagla, lag abgerissen am Wasser. Das gelbe Blümchen muthete mich heimatlich an.

»Das ist eine Tschagla,« sagte Halef. »Warum schaust Du sie so aufmerksam an?«

»Sie soll mir sagen, wann die Pferde hier getränkt wurden.«

»Sagt sie Dir das wirklich?«

»Ja. Siehe sie Dir nur richtig an! Ist sie verwelkt?«

»Nein, sie ist noch ganz frisch.«

»Weil sie am kalten Wasser gelegen hat; hätte sie hüben auf dem Fels gelegen, so wäre sie nicht mehr so frisch. Die Staubfäden haben sich schon gesenkt. Es kann ungefähr vor anderthalb Stunden gewesen sein, daß sie abgerissen wurde. Zu dieser Zeit waren also die Pferde hier.«

»Oder ist's ein Mensch gewesen?«

»Beißt ein Mensch Gras ab?«

»Nein, das thut er nicht.«

»Hier aber siehst Du das abgefressene Gras. Einige Halme sind ganz herausgerissen worden, hier liegen sie. Betrachte sie. Sie sind bereits ziemlich welk, weil sie nicht am Wasser niedergefallen sind. Ich habe ganz richtig geschätzt, als ich eine und eine halbe Stunde sagte. Nun gilt es, zu erfahren, woher die Pferde gekommen und wohin sie wieder geführt worden sind.«

»Wie willst Du das erfahren?«

»Auf irgend eine Weise. Da vor uns hast Du das Gemäuer. Durch dasselbe können sie nicht gehen. Wir müssen also nach Öffnungen suchen.«

Zunächst gingen wir zur Hütte. Hier trennten wir uns. Halef wendete sich nach rechts und ich mich nach links, um den Rand der Lichtung zu untersuchen. Am gegenüberliegenden Punkt trafen wir uns wieder. Ich hatte nichts gefunden und er auch nichts. Auf meine Augen konnte ich mich verlassen, auf die seinigen aber weniger. Darum suchten wir seine Strecke nochmals ab, hier war der Boden auch unter den Bäumen anfangs steinig.

»Ich habe ganz genau aufgepaßt, Sihdi,« sagte Halef. »Hier herein sind sie nicht gekommen.«

Zwischen den Nadelbäumen standen Laubhölzer. Ein Ahorn neigte seine niedersten Zweige tief herab, und hier fand ich, was ich suchte. Ich zeigte ihm einen der Zweige.

»Schau, was siehst Du hier, Halef?«

»Es hat Jemand die Spitzen abgezupft.«

»Das ist ein Pferd gewesen, welches von den Blättern naschte.«

»Es kann dies auch ein Mensch gethan haben.«

»Schwerlich. Gehen wir weiter!«

Wir folgten der Richtung, und bald wurde der Boden weicher, und wir sahen ganz deutliche Hufeindrücke. Dann gelangten wir an eine Mauerbresche, hinter welcher es einen von vier hohen Wänden eingeschlossenen Platz gab. Es hatte den Anschein, als ob hier ein Saal gewesen sei.

Uns gegenüber führte eine Thüröffnung nach einem zweiten, ähnlichen und nur etwas kleineren Raum, welcher drei solche Öffnungen hatte. Ich trat durch dieselben.

Am Boden war keine Spur zu bemerken. Die beiden ersten Aus- oder Eingänge führten zu kleinen, verfallenen Gemächern. Der dritte leitete uns nach einem größeren Platz, der jedenfalls früher ein Hof war. Er war gepflastert gewesen.

Und hier zeigte mir Halef, stolz auf seinen Scharfblick, eine ganz untrügliche Spur – den Auswurf eines Pferdes.

»Da sind sie gewesen,« sagte er. »Siehst Du, daß ich auch Fährten zu finden verstehe?«

»Ja, ich bewundere Dich. Aber sprich von jetzt an leiser. Wir kommen den Thieren jedenfalls näher, und wo sie sind, befinden sich wahrscheinlich auch die Menschen.«

Wir blickten ringsum, doch vergeblich. Der Hof schien nur den einen Eingang zu haben, durch welchen wir gekommen waren. Rundum waren lückenlose Mauern. Diejenige, welche uns gegenüber stand, war ganz mit dichtem Epheu überwachsen.

»Weiter können wir nicht, denn weiter geht es nicht,« sagte Halef. »Die Pferde sind hier gewesen. Das ist richtig. Nun aber sind sie fort.«

»Das möchte ich doch noch bezweifeln. Laß sehen!«

Langsam ging ich die vier Seiten ab. Als ich die Mitte der Efeumauer erreichte, glaubte ich den eigenartigen Geruch zu bemerken, welchen Pferde haben.

Selbst in großen, belebten Städten, wo die Gesundheitspolizei streng auf Reinlichkeit hält, wird man durch den Geruch die Straßenstellen bemerken, welche als Droschkenstationen dienen. Diesen Geruch verspürte ich hier.

Ich winkte Halef zu mir, und er stimmte mir bei. Als wir nun den Epheu untersuchten, fanden wir, daß derselbe einen Ausgang so vollständig maskirte, daß wir denselben ohne den erwähnten Geruch wohl schwerlich entdeckt hätten.

Die langen Ranken ließen sich sehr leicht aus einander schieben. Als wir das thaten, sahen wir ein kleines Gemach vor uns. Es war leer. Wir traten ein.

Gegenüber gab es eine zweite Öffnung. Ein Schnauben ließ sich hören.

»Jetzt ganz vorsichtig!« flüsterte ich. »Da draußen sind die Pferde. Nimm den Revolver zur Hand! Man muß auf Alles gefaßt sein. Die Kerls würden sich natürlich wehren.«

»Nehmen wir sie gefangen?«

»Vielleicht.«

»Oder gehen wir, um die Polizei zu holen?«

»Je nach den Verhältnissen. Ich habe mein Lasso bei mir. Das reicht aber nur, um Einen zu binden.«

»Ich habe Riemen eingesteckt.«

»Schön! So komm! Aber leise!«

Wir huschten zu dem Eingang. Ich blickte vorsichtig nach jenseits. Da standen die drei Pferde und knabberten an einem kleinen Vorrath von Maiskolben, welchen man ihnen vorgeworfen hatte. Eine schmale Maueröffnung führte weiter. Es war mir, als ob ich von dorther eine gedämpfte Stimme reden hörte.

Richtig! Jetzt erschallte lautes Lachen, und ich vernahm ganz deutlich eine Stimme, ohne jedoch die einzelnen Worte unterscheiden zu können.

»Sie sind da,« flüsterte ich dem kleinen Hadschi zu. »Bleib' hier stehen; ich will nachsehen.«

»Um Gottes willen, Sihdi, nimm Dich aber ja in Acht!« warnte er.

»Keine Sorge! Wenn ein Schuß fällt, kommst Du mir natürlich zu Hülfe.«

Am liebsten wäre ich vorwärts gekrochen, aber das hätte die Pferde furchtsam machen können; denn eine aufrechte Gestalt flößt ihnen keine Angst ein. Also schritt ich leise, leise weiter.

Die Thiere erblickten mich. Eins von ihnen schnaubte beunruhigt. Ich an Stelle dieser drei Männer hätte dieses Schnauben sofort als ein böses Zeichen erkannt; diese Leute aber beachteten es nicht.

Ich erreichte die gegenüber stehende Wand, und nun erst legte ich mich nieder. Indem ich mich nur sehr langsam vorschob, brachte ich den Kopf an den Eingang.

Es gab da eine Stelle, an welcher ein Stein ausgebröckelt war. Diese Lücke erlaubte mir, nach jenseits zu blicken, ohne daß mein Kopf gesehen werden konnte.

Da saßen sie alle Drei. Manach el Barscha und Barud el Amasat waren mit dem Rücken nach mir gekehrt. Der Schließer hielt das Gesicht auf den Eingang gerichtet. Ich hatte ihn noch nicht gesehen, aber er mußte es sein.

Sie spielten Karten, jedenfalls mit demselben Spiel, welches sie benutzt hatten, um die Aufmerksamkeit Ibarek's von dem Diebstahl abzulenken.

Ihre Gewehre lehnten in einer Ecke; auch die Messer und Pistolen hatten sie abgelegt.

Ich drehte mich zurück und sah Halef vorn am Eingang stehen. Ich gab ihm einen Wink, und er kam herbei. Wieder schnaubte ein Pferd, ohne daß es von den Spielern beachtet wurde. Halef duckte sich neben mir nieder und schaute durch die Lücke.

»Hamdullillah!« flüsterte er. »Wir haben sie! Was beschließest Du, zu thun?«

»Wir nehmen sie gefangen, da es so prächtig paßt. Bist Du einverstanden?«

»Natürlich. Aber wie machen wir es?«

»Du nimmst den Gefängnißwärter, ich die beiden Andern.«

»Warum Du die beiden Gefährlichsten?«

»Ich werde mit ihnen fertig.«

»So beginne!«

»Erst die Riemen heraus, damit wir sie gleich bei der Hand haben.«

Ich band das Lasso los, welches ich um den Gürtel geschlungen trug, und Halef zog seine Riemen so weit aus der Tasche, daß er sie dann leicht und rasch haben konnte.

Da stieß Barud el Amasat einen Fluch aus:

»Waï baschina! Was fällt Dir ein! Uns betrügst Du nicht. Wir wissen, daß Du ein Hiledschi bist, und passen auf. Mische die Karten noch einmal!«

»Wollen wir nicht lieber aufhören?« fragte Manach el Barscha. »Warum wollen wir uns das Geld abnehmen?«

»Recht hast Du. Es ist auch zu langweilig, und seit dieser Mübarek die alberne Nachricht gebracht hat, habe ich keine Aufmerksamkeit mehr für das Spiel.«

»Vielleicht hat er sich geirrt.«

»Das ist unmöglich. Wir haben ihm den Kerl ja so genau beschrieben, daß er ihn sofort kennen muß.«

»Allah verdamme ihn! Was hat er mit uns? Was haben wir ihm gethan? Er mag uns in Ruhe lassen.«

»Er wird uns in Ruhe lassen. Morgen früh ist er ein todter Mann.«

»Wenn es gelingt!«

»Es wird gelingen. Der Mübarek ist mächtig. Er wird es so weit bringen, daß die Hunde eingesperrt werden. Dann gehen wir in der Nacht hin und erschlagen sie.«

»Und wenn man sie nicht einsperrt?«

»So suchen wir sie im Konak auf. Der Mübarek muß uns die Gelegenheit auskundschaften. Er verwandelt sich in den Bettler.«

Das war freilich ein sauberer Plan. Also ermordet sollten wir werden! Der Mübarek war bereits hier gewesen und hatte ihnen unsere Ankunft gemeldet.

»Ich möchte ihn doch sehen,« sagte der Schließer. »Wenn solche Männer, wie Ihr seid, sich vor ihm fürchten, so muß er ein gefährlicher Kerl sein.«

»Ein Scheïtan ist er, ein Giaur, ein Christenhund, der im tiefsten Pfuhle der Hölle braten soll!« antwortete Manach el Barscha. »Mir ist er in Edreneh nachgelaufen durch zwanzig Straßen und Gassen. Ich habe Alles gethan, selben irre zu leiten, und dennoch hat er mich gefunden. Und der kleine Bursche, welcher ihn begleitet, ist ein eben solcher Teufel. Hätten wir ihn doch damals im Stall zu Edreneh erstochen, anstatt daß wir ihn leben ließen! Wer die beiden Übrigen sind, das möchte ich wissen; aber sterben müssen sie auch. Der Satan beschützt sie, sonst wären sie nicht aus Menlik entkommen!«

»Die Männer dort müssen es aber sehr dumm angefangen haben.«

»Ja. Und die Boten sind noch nicht da. Es bleibt uns nichts Anderes übrig, als uns selbst zu helfen. Auch werden wir das nicht umsonst thun. Das Pferd dieses Menschen ist es werth, daß man sie alle Vier kalt macht. Und seine Waffen sollen vorzüglich sein. Ich kann die Rückkehr des Mübarek kaum erwarten. Gelingt es uns heute, uns dieser Verfolger zu entledigen, so sind wir aller Sorgen los. Ich werde dem Halunken das Messer mit wahrer Lust in's Herz stoßen.«

»Das wirst Du bleiben lassen!«

Indem ich diese Worte rief, trat ich ein und versetzte ihm einen Faustschlag, daß er sogleich zusammenbrach.

Die beiden Anderen starrten mich einige Sekunden lang an, ganz bewegungslos vor Schreck. Das genügte. Ich packte Barud bei der Gurgel und drückte ihm dieselbe so fest zusammen, daß er einige Male mit den Armen um sich schlug und sich dann lang ausstreckte.

Halef hatte sich auf den Schließer geworfen, der vor Entsetzen gar nicht an Gegenwehr dachte.

Ich hielt Barud noch einige Augenblicke fest, bis er sich nicht mehr rührte; er war ebenso besinnungslos wie Manach. Dann half ich Halef, den Gefängnißwärter zu binden.

Nun legten wir die beiden Anderen neben einander, mit den Rücken zusammen, und zwar so, daß der Eine seinen Kopf bei den Füßen des Andern hatte. Um diese beiden Körper wurde dann das Lasso so fest geschlungen, daß es ihnen ohne fremde Hülfe ganz unmöglich war, sich nur zu bewegen. Der Schließer ward natürlich ebenso vorsichtig gefesselt.

Nun untersuchten wir ihre Taschen und die Taschen der Sättel, welche auch da lagen. Wir fanden sämtliche Gegenstände, welche Ibarek gestohlen worden waren, und noch vieles Andere dazu. Besonders Manach hatte eine ganz bedeutende Summe Geldes bei sich.

Der Schließer sah unserm Thun und Treiben zu, ohne ein Wort zu sagen. Er hatte uns noch nicht gesehen, konnte sich aber denken, wer wir seien.

Halef versetzte ihm einen Fußtritt und fragte:

»Schurke, weißt Du, wer wir sind?«

Der Gefragte antwortete nicht.

»Hast Du mich gehört? Ich frage Dich, ob Du ahnst, wer wir sind. Antworte, sonst gebe ich Dir die Peitsche!«

»Ich weiß es,« knurrte der Gefesselte, sich vor der Peitsche fürchtend.

»Ja, Du wolltest uns kennen lernen. Das sagtest Du vorhin. Nun ist Dir der Wunsch so schnell erfüllt. Das hättest Du wohl nicht gedacht!«

Barud el Amasat konnte wieder athmen. Er erholte sich rasch, öffnete die Augen und starrte mich mit entsetzten Blicken an.

»O jazik – o wehe!« rief er aus. »Jetzt sind wir verloren!«

»Ja,« lachte Halef ihn an. »Verloren seid Ihr jetzt, Ihr werdet das Schicksal finden, welches Ihr uns zugedacht habt, Ihr Schufte. Ihr wolltet uns ermorden.«

»Nein, das ist nicht wahr!«

»Schweig! Wir haben Alles gehört.«

»Die Andern wollten es thun, ich nicht!«

»Lüge nur! Wir wissen genau, woran wir sind.«

Jetzt begann auch Manach el Barscha sich zu bewegen, soweit nämlich die Fesseln ihm das erlaubten. Er blickte uns an und schloß dann die Augen.

»Nun, kannst Du uns nicht begrüßen, Kerl!« rief Halef, ihm einen Peitschenhieb gebend.

Da öffnete er die Augen wieder, sah von Halef auf mich und wieder zurück und sagte:

»Bindet uns los! Gebt uns frei!«

»Das wolle Allah verhüten!«

»Ich bezahle Euch!«

»Dazu bist Du nicht reich genug.«

»Ich bin reich, sehr reich.«

»Von dem Gelde, welches Du zusammengeraubt hast! Man wird es Dir nehmen.«

»Niemand findet es!«

»So bleibt es liegen. Wir brauchen es nicht. Sihdi, was thun wir mit den Kerls? Nach der Stadt hinunterschaffen können wir sie doch nicht.«

»Nein. Sie mögen hier liegen, bis wir sie holen.«

»Können sie sich nicht vielleicht befreien?«

»Nein; wir werden dafür sorgen, daß sie dingfest bleiben.«

»Aber das, was wir bei ihnen gefunden haben, nehmen wir doch mit uns?«

»Wir lassen es da. Die Polizei muß Alles so finden, wie wir es jetzt gefunden haben.«

Wir benutzten das Zaumzeug der drei Pferde, um die Gefangenen noch fester zu binden, so daß ihnen eine Bewegung unmöglich war. Doch trafen wir diese Sicherheitsmaßregel so, daß sie den Männern keine Schmerzen bereitete. Der Gefängnißschließer wurde quer an die beiden Andern geschnallt, so daß es ihnen auch unmöglich wurde, durch Wälzen ihre Lage zu verändern. Dann gingen wir.

Die Gefesselten hatten kein Wort mehr gesprochen. Drohungen wären lächerlich gewesen, und für Bitten hatten wir keine Ohren.

Als wir die freie Lichtung erreichten, ging Halef nach dem Häuschen des Mübarek, um zu sehen, ob dasselbe noch verschlossen sei.

»Der Mensch könnte uns einen schönen Streich spielen, wenn er die drei Halunken befreite,« sagte er.

»Dazu wird er nicht kommen.«

»Wie nun, wenn er nach Hause zurückkehrt und zu ihnen geht?«

»Wenn er heraufgehen wird, sind wir bei ihm.«

»Du hältst es also nicht für möglich, daß er eher kommt, als wir?«

»Nein. Er wird beim Kodscha Bascha sitzen und mit Schmerzen auf uns warten. Er geht nicht eher von dort fort, als bis diese berühmte Gerichtsverhandlung vorüber ist.«

»Wenn er wüßte, was ihm droht!«

»Er wird es bald erfahren. Wir wollen uns beeilen. Es wird Nacht.«

Der Tag war vorüber, und die Sonne hatte sich hinter den westlichen Horizont hinabgesenkt. Als wir im Konak anlangten, erfuhren wir, daß der Kodscha Bascha den Herbergsvater Ibarek hatte holen lassen. Derselbe war nicht wieder zurückgekehrt. Dann waren schon zwei Boten da gewesen, um uns zu holen. Sie hatten gemeldet, daß die Gerichtspersonen vollständig beisammen seien.

»Halte Dich tapfer, Effendi!« sagte der Wirth. »Du wirst eine große Versammlung finden. Der Hof ist gedrängt voll von Menschen. Man ist begierig, zu hören, wie Ihr Euch vertheidigen werdet.«

»Ich habe den Leuten ja gezeigt, wie ich mich ungefähr verhalten werde.«

»Ja, und darum sind sie doppelt neugierig, einen Mann zu sehen, der sich vor dem Kodscha Bascha nicht fürchtet.«

Eben als wir aufbrechen wollten, kam der Fährmann zu uns.

»Herr,« sagte er zu mir, »ich komme heimlich, um mir Deinen Rath zu holen. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll.«

»Sollst Du etwa als Zeuge gegen mich auftreten?«

»Ja. Der Mübarek zwingt mich dazu. Er hat mich deßhalb aufgesucht.«

»Was sollst Du denn gegen mich aussagen?«

»Daß Du mich in Lebensgefahr gebracht und hier in diesem Hofe mißhandelt habest.«

»Habe ich das gethan?«

»Nein, Effendi.«

»Also verleitet er Dich, falsches Zeugniß abzulegen. Das soll er büßen.«

»Herr, sage nichts! Er würde sich an mir rächen.«

»Habe keine Sorge! Es wird ihm unmöglich sein, sich zu rächen.«

»Ist das wahr?«

»Ja. Sage nur die volle Wahrheit. Er kann Dir nichts thun.«

»So will ich schnell wieder hingehen. Ich habe mich heimlich fortgeschlichen.«

Wir folgten ihm langsam nach.


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