Karl May
In den Schluchten des Balkan
Karl May

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In Gefahr

Nach wenigen Minuten kam ich an das eigentliche Dorf Dschnibaschlü, ritt hindurch und befand mich dann wieder zwischen Mais- und andern Feldern, an welche sich eine Weideebene schloß, die von dem vorhin besprochenen Wald begrenzt wurde.

Die Räderspuren der großen, unbeholfenen Ochsenwagen waren deutlich zu sehen. Ich folgte ihnen in der angegebenen südwestlichen Richtung und hatte beinahe den Wald erreicht, als ich einen Reiter bemerkte, welcher von links her über die Otluk herangetrabt kam. Da ich langsamer ritt als er, hatte er mich bald erreicht.

»Allah bilindsche – Gott sei mit Dir!« grüßte er.

»Müteschekkürüm – ich danke Dir!« grüßte ich.

Er betrachtete mich prüfend, und ich that dasselbe mit ihm, doch geschah dies von mir nicht so auffällig, wie von ihm. Es war nichts Besonderes an ihm zu bemerken. Sein Pferd war schlecht; seine Kleidung war schlecht, und sein Gesicht machte keinen viel besseren Eindruck. Nur die Pistolen und das Messer, welche in seinem Gürtel stacken, schienen gut zu sein.

»Woher kommst Du?« fragte er.

»Von Dschnibaschlü,« antwortete ich bereitwillig.

»Und wohin reitest Du?«

»Nach Kabatsch.«

»Ich auch. Ist Dir der Weg bekannt?«

»Ich hoffe, ihn zu finden.«

»Du hoffst es? So bist Du fremd?«

»Ja.«

»Darf ich Dein Gefährte sein? Wenn Du es mir erlaubst, so kannst Du Dich nicht verirren.«

Er machte keinen angenehmen Eindruck auf mich; aber dies war kein Grund, ihn zu beleidigen. Er konnte trotzdem ein braver Mensch sein. Und selbst wenn das Gegentheil der Fall war, konnte es mir nichts nützen, ihn von mir zu weisen. Ich hätte höchstens seinen Zorn oder gar seine Rachsucht herausgefordert. Und er sah mir ganz so aus, als ob er in einem solchen Falle geneigt sein würde, mich von der Güte seiner Waffen zu überzeugen; darum antwortete ich:

»Du bist sehr freundlich. Bleiben wir beisammen!«

Er nickte befriedigt und lenkte sein Pferd an die Seite des meinigen.

Eine Weile ritten wir schweigend neben einander her. Er betrachtete mit sichtlichem Interesse meinen Rappen und meine Waffen. Dabei war es mir, als ob sein Blick zuweilen besorgt die Umgebung mustere. Gab es hier vielleicht Etwas zu befürchten? Ich hielt es für angezeigt, keine Frage auszusprechen. Später freilich erfuhr ich den Grund dieser besorgten Blicke.

»Reitest Du von Kabatsch dann weiter?« fragte er mich nun in freundlichem Tone.

»Nein.«

»So besuchest Du dort Jemand?«

»Ja.«

»Darf ich wissen, wen? Du bist ja fremd, und vielleicht kann ich Dir seine Wohnung zeigen.«

»Ich reite zu Ali, dem Sahaf.«

»O, den kenne ich! Wir kommen an seinem Hause vorüber. Ich werde Dich aufmerksam machen.«

Wieder stockte das Gespräch. Ich fühlte keine Lust, auf eine Unterhaltung einzugehen, und er schien sich ganz in derselben Stimmung zu befinden. So legten wir eine große Strecke zurück, ohne daß ein weiteres Wort gefallen wäre.

Der Weg zog sich zwischen den Bäumen des Waldes mehr und mehr bergan. Wir erreichten die von dem Bäcker erwähnte Höhe und auch die Stelle, an welcher die Räderspuren sich nach Süden wendeten. Doch war zu bemerken, daß Leute auch nach Westen geritten seien. Dieser letzteren Richtung folgten wir, und dann zeigte sich auch bald der Bach, von welchem die Rede gewesen war.

Nach kurzer Zeit erreichten wir eine kleine Lichtung, an deren Rand ich eine niedrige, länglich gebaute Hütte gewahrte. Sie war ganz roh aus Steinen errichtet und schindelähnlich mit gespaltenem Holz gedeckt. Ich bemerkte eine niedrige Thüre und eine kleine Fensteröffnung. Im Dache befand sich eine Öffnung, welche jedenfalls den Zweck hatte, den Rauch abziehen zu lassen. Mächtige Eichen streckten ihre knorrigen Zweige über dieses urwüchsige Bauwerk aus, welches den Eindruck eines traurigen Verlassenseins machte.

Wie nur so nebenbei, deutete mein Begleiter nach der Hütte hinüber und sagte:

»Dort wohnt ein Bettler.«

Er machte keine Miene, sein Pferd anzuhalten. Dieser Umstand ließ den Argwohn, welchen ich gehegt hatte, in mir verschwinden. Ich hielt meinen Rappen an und fragte:

»Wie heißt dieser Bettler?«

»Saban.«

»Ist er nicht Besenbinder gewesen?«

»Ja.«

»So muß ich auf einen Augenblick zu ihm hin. Ich habe ihm eine Gabe zu überbringen.«

»Thue es! Er kann es brauchen. Ich reite einstweilen langsam weiter, immer am Bache dahin. Du kannst mich, wenn Du mir dann folgst, gar nicht verfehlen.«

Er ritt wirklich weiter. Wäre er gleichfalls abgestiegen, so hätte mich dies veranlaßt, meine Vorsicht zu verdoppeln. Jetzt fühlte ich mich beruhigt. Ich ritt also zu der Hütte hin und einmal um sie herum, um zu sehen, ob sich vielleicht Jemand in der Nähe befände.

Die Eichen und Buchen standen, obgleich sich ihre Äste berührten, so weit aus einander, daß ich zwischen den mächtigen Stämmen hindurch tief in den Wald hineinzublicken vermochte. Ich fand nicht die Spur eines menschlichen Wesens.

Fast schämte ich mich, Argwohn gehegt zu haben. Ein armer, kranker Bettler – was konnte er mir thun! Einen Hinterhalt gab es nicht, wenigstens nicht in der Umgebung der Hütte; davon glaubte ich, überzeugt sein zu dürfen. Hatte ich ja noch Grund zu Befürchtungen, so konnte die Veranlassung dazu nur im Innern des armseligen Bauwerkes zu suchen sein und da war es ja nicht schwer, der Gefahr zu entgehen.

Ich stieg vor der größeren Öffnung, in welcher sich gar keine Thüre befand, vom Pferde, band es aber nicht an, um nöthigenfalls sofort aufsitzen und davonreiten zu können. Den Revolver schußfertig in der Hand, so trat ich langsam ein.

Die Vorsicht weiter zu treiben, schien gar nicht möglich zu sein, und – sie war auch gar nicht nöthig, wie ich mich beim ersten Blick überzeugte.

Das Innere der Hütte bildete einen einzigen Raum, welcher so niedrig war, daß ich mit dem Kopfe fast an die Decke stieß. Ich sah einen geschwärzten Stein, welcher jedenfalls als Herd diente, mehrere entfleischte Ochsen- und Pferdeköpfe, welche wohl die Sessel bildeten, und in der linken hinteren Ecke ein aus Laub bestehendes Lager, auf welchem eine bewegungslose menschliche Gestalt lag. Daneben auf der Erde ein Topf, eine zerbrochene Flasche, ein Messer und einige andere, armselige Kleinigkeiten – das war Alles, was die Hütte enthielt. Was sollte hier für mich zu befürchten sein?

Ich holte das Packet herein und näherte mich mit demselben dem Lager. Der Mann rührte sich noch immer nicht.

»Güniz chajir ola – guten Tag!« grüßte ich laut.

Da drehte er sich langsam zu mir herum, starrte mich an, als ob ich ihn aus dem Schlafe geweckt hätte, und fragte:

»Ne istersiz sultanum – was befehlen Sie, mein Herr?«

»Ad-in Saban – Dein Name ist Saban?«

»Basch üstüne sultanum – zu Befehl, mein Herr!«

»Bojadschyjü Boschak tanimar-sen – kennst Du den Färber Boschak?«

Da richtete er sich erfreut in sitzende Stellung empor und antwortete:

»Pek eï sultanum – sehr wohl, mein Herr!«

Dieser Mensch sah wirklich sehr krank und elend aus. Er trug nur Lumpen auf dem Leib und schien ein fleischloses Gerippe zu sein. Seine Augen waren begierig auf das Packet gerichtet, welches ich in der Hand hielt.

»Er sendet Dir Wein und Backwaaren.«

Bei diesen Worten kniete ich mitleidig an seinem Lager nieder, um das mit Bast umwickelte Packet zu öffnen.

»O Herr, o Herr, wie gut Du bist! Ich habe Hunger!«

Seine Augen waren flammend auf mich gerichtet. War das wirklich Hunger, oder war es etwas Anderes, für mich Gefährliches? Ich hatte keine Zeit, diesen Gedanken auszudenken. Hinter mir gab es ein Geräusch. Ich wendete den Kopf. Zwei, vier, fünf Männer drängten sich durch die Thüröffnung. Der Vorderste hatte die Flinte verkehrt, wie zum Schlage, in der Hand. Er sprang auf mich zu.

Ich riß den Revolver heraus und – schnellte empor? – Nein, ich wollte mich emporschnellen; da warfen sich die langen, dürren Arme des Bettlers wie die Fänge eines Meerpolypen um meinen Hals und rissen mich wieder nieder. Ich weiß nur noch, daß ich den Lauf des Revolvers schnell nach dem Kopf des verrätherischen Alten richtete und losdrückte – zielen aber konnte ich nicht. Dann erhielt ich von hinten einen fürchterlichen Schlag auf den Kopf. – –

Ich war gestorben; ich besaß keinen Körper mehr; ich war nur Seele, nur Geist. Ich flog durch ein Feuer, dessen Gluth mich verzehren wollte, dann durch donnernde Wogen, deren Kälte mich erstarrte, durch unendliche Wolken- und Nebelschichten, hoch über der Erde, mit rasender, entsetzlicher Schnelligkeit. Dann fühlte ich nur, daß ich überhaupt flog, grad so, wie der Mond um die Erde wirbelt, ohne einen Gedanken, einen Willen zu haben. Es war eine unbeschreibliche Leere um mich und in mir. Nach und nach verminderte sich die Schnelligkeit. Ich fühlte nicht nur, sondern ich dachte auch. Aber was dachte ich? Unendlich dummes, ganz und gar unmögliches Zeug. Sprechen aber konnte ich nicht, so sehr ich mich auch anstrengte, einen Laut von mir zu geben.-. . . .

Nach und nach kam Ordnung in das Denken. Mein Name fiel mir ein, mein Stand, mein Alter, in welchem ich gestorben war; aber wo und wie ich den Tod gefunden hatte, das war mir nicht bekannt. . . . .

Ich sank nach und nach tiefer. Ich wirbelte nicht mehr um die Erde, sondern ich näherte mich ihr wie eine leichte Feder, welche langsam, immer hin und her gehaucht, von einem Thurme fällt. Und je tiefer ich sank, desto mehr vergrößerte sich die Erinnerung an mein nun beendetes irdisches Dasein. Personen und Erlebnisse fielen mir ein, mehr und mehr. Es wurde klarer in mir, immer klarer. Ich erinnerte mich, daß ich zuletzt eine weite Reise unternommen hatte; es fiel mir langsam ein, durch welche Länder – zuletzt war ich in Stambul gewesen, in Edreneh, hatte nach Hause gewollt und war unterwegs in einer steinernen Hütte auf einer Vorhöhe des Planinagebirges erschlagen worden. Die Mörder hatten mich dann gefesselt, trotzdem ich eine Leiche war, und mich auf das Lager geworfen, auf welchem vorher der Bettler gelegen hatte, und sich nachher um den Herd gesetzt und ein Feuer angezündet, über welchem irgend Etwas gebraten werden sollte. . . . .

Ich war gestorben gewesen und hatte dies doch bemerkt. Ich hatte sogar die Stimmen der Mörder gehört, ja, ich hörte sie noch, indem ich jetzt wieder zur Erde niedersank, deutlicher und immer deutlicher, je mehr ich mich ihr näherte. . . . .

Und wunderbar! Ich sank durch das Dach der Hütte, auf das Laub des stinkenden Lagers, und da saßen sie noch, die Mörder. Ich hörte sie sprechen; ich roch den Duft von Fleisch, welches sie über dem Feuer brieten. Ich wollte sie auch sehen, aber ich konnte die Augen nicht öffnen und konnte mich auch nicht bewegen. . . . .

War ich denn wirklich nur Seele, nur Geist? Da oben, wo ich früher den Kopf gehabt hatte, am hintern Theile desselben brannte und schmerzte es wie eine ganze Hölle. Es war mir jetzt, als ob ich diesen Kopf noch besitze; aber er war zehnmal, hundertmal, tausendmal größer als früher und umfaßte die unterirdische Flammensee des Erdinnern, auf deren Inseln Vulkan mit Millionen von Kyklopen hämmert und schmiedet. . . . .

Erst fühlte ich nur diesen Kopf; bald aber bemerkte ich, daß ich auch noch den Leib, die Arme, die Beine besitze. Doch rühren konnte ich kein Glied. Aber mit der größten Deutlichkeit hörte ich jedes Wort, welches dort am Feuer gesprochen wurde. Ich vernahm sogar den Hufschlag einiger Pferde. Zwei Reiter stiegen draußen ab.

»Kalyndschi gelir – der Dicke kommt!« sagte Einer.

War das nicht die Stimme des Kerls, mit dem ich bis zur Hütte geritten war? Wie kam er hierher? Er war ja weiter geritten!

»We bir ikindschi – und noch Einer!« sagte eine andere Stimme.

»Kim-dir – wer ist's?«

»Jahu, bre Silahdschi Deselim Ismilandan – hallo, der Waffenschmied Deselim aus Ismilan!«

Ich hörte, daß die Insassen der Hütte hinauseilten und die beiden Angekommenen unter lebhaften Freudenrufen begrüßten.

»Achmaki tut-diniz – habt Ihr den Dummkopf gefangen?« fragte draußen eine fette Stimme.

Ich kannte sie; es war diejenige des dicken Färber-Bäckers aus Dschnibaschlü. Was denn? Meinte er mit diesem Dummkopf etwa mich? Könnte ich diesen Menschen so ein wenig zwischen meine Hände bekommen, ich würde ihn – – – ah, ich konnte jetzt plötzlich die Finger zur Faust ballen! Was doch der Ärger vermag!

»Ewwet, aldat-dik onu – ja, wir haben ihn übertölpelt.«

Diese Worte sagte der Bettler. Meine Kugel hatte ihn also nicht getroffen.

»Gene nerde dir – wo ist die Schaflaus?«

Das war stark! Wenn der Deutsche in handgreiflichster Weise einen recht dummen Menschen bezeichnen will, so nennt er ihn einen Schafskopf. Der Türke bedient sich zuweilen des Wortes Kojundschi, welches ungefähr Schafskerl bedeutet. Mich aber hielt der gegenwärtige Sprecher für so unendlich albern, daß das Wort Kojundschi noch eine unverdiente Ehre für mich gewesen wäre. Er nannte mich also Gene, das ist Schaflaus?

Es kribbelte mir in den Händen, und siehe da: ich konnte jetzt zwei Fäuste machen anstatt, wie vorhin, nur eine. Es war mir ganz so, als ob ich noch lebe und gar nicht gestorben sei. Wenigstens war der Wunsch, den ich hatte, ein sehr irdischer; er bezog sich auf die keineswegs übersinnliche Thätigkeit, welche der Türke mit den drei gleichbedeutenden Wörtern döjmek, wurmak und dajak jedirmek, der Deutsche aber mit dem liebenswürdigen Ausdruck >prügeln< bezeichnet.

Wie kam es nur, daß mein Kopf jetzt nicht mehr so brannte und schmerzte? Auch schien seine vorhin beschriebene Ausdehnung außerordentlich abgenommen zu haben.

»Kulibede dir – er ist in der Hütte,« antwortete der Bettler.

»Zindschirde-a – doch gefesselt?« fragte der Mann, welcher mich Schaflaus genannt hatte und dessen Stimme ich nicht kannte.

»Ewwet, andschak dejil la iladsch – ja, aber nicht nothwendiger Weise.«

»Nitschün – warum?«

»Tschünki dir müteweffa – weil er todt ist.«

Die Stimmen sanken zu einem Gemurmel hernieder. Erst nach einiger Zeit hörte ich wieder den lauten Befehl:

»Onu bana giösteryn – zeigt ihn mir!«

Sie kamen herein in die Hütte, und der Bettler sagte:

»Bunda jatar – hier liegt er.«

Eine Hand legte sich auf mein Gesicht und blieb da eine Weile prüfend liegen; sie roch wie Schusterpech und saure Milch.

Also ich hatte den Geruchssinn nicht verloren. Ich war am Ende doch nicht todt! Dann sagte der Besitzer der Hand:

»Sowuk ölümin gibi – kalt wie der Tod!«

»Ona namzyna bak – befühl' ihm den Puls!« hörte ich den dicken Bäcker sagen.

Die Pech- und Milchhand glitt von meinem Gesicht hinweg und faßte mich am Handgelenk. Der Daumen legte sich prüfend auf den oberen Theil des Gelenkes, wo von einer Pulsader kaum was zu fühlen ist. Dann sagte der Mann nach einer Pause allgemeiner Spannung:

»Onun jok damar woruschu – er hat keinen Pulsschlag.«

»El ile dokan jüreksijy – befühle sein Herz!«

Im nächsten Augenblick fühlte ich die Hand auf meiner Brust. Es schien gar nicht nöthig gewesen zu sein, einen Knopf zu öffnen. War Jacke und Weste bereits geöffnet gewesen? Oder hatten mich die guten Menschen vielleicht von diesen Kleidungsstücken befreit?

Ich hätte mich gern davon überzeugt; aber ich konnte die Augen nicht öffnen, und selbst wenn ich dies vermocht hätte, so wäre es mir jetzt nicht eingefallen, es zu thun.

Die Hand hatte mir nur einen Augenblick lang auf dem Herzen gelegen; dann glitt sie nach der Magengegend und blieb dort ruhen. Hierauf erklärte das Orakel:

»Gönnülü sessini tschikarmar – sein Herz schweigt still.«

»Dir ölmüsch onun itschün – folglich ist er todt!« erklang es rund im Kreise.

»Kim onu öldürmisch – wer hat ihn getödtet?« fragte der Mann, dessen Stimme ich nicht kannte.

»Ben – ich!« erklang es kurz.

»Nassyl – wie?«

»Tepelemisch onu – ich habe ihn erschlagen.«

Dies sagte der Mann im Tone einer Genugtuung, welche mir die beruhigende Überzeugung brachte, daß mein Blut in Bewegung sei. Ich fühlte es nach den Schläfen steigen. Wer noch Blut hat, das sich in den Adern bewegt, der kann nicht todt sein. Ich lebte also noch; ich lag in Wirklichkeit auf dem Laubhaufen und war also nur besinnungslos gewesen.

Der dicke Bäcker schien doch noch einige Besorgniß zu hegen. Er wollte kein Mittel, sich von meinem Tod zu überzeugen, unversucht lassen; darum fragte er:

»Soluk malik olmar – hat er Athem?«

»Kulak asar-im – ich will horchen!«

Ich fühlte, daß sich Jemand zu mir niederlegte. Dann rieb sich eine Nase an der meinigen. Ich bekam einen Duft von Knoblauch, Tabakschmirgel und faulen Eiern zu genießen; dann erklärte der Betreffende:

»Onun jok nefes – er hat keine Luft.«

»Sabuscha-lum – entfernen wir uns!«

Dieser Befehl befreite mich endlich von der Sorge, daß man doch noch Leben in mir verspüren werde. Aber wäre es nicht vielleicht besser gewesen, wenn sie bemerkt hätten, daß ich nicht todt sei? Ich befand mich nicht im Gebrauch meiner Glieder, dafür aber in der fürchterlichen Gefahr, lebendig verscharrt zu werden.

Es befiel mich Angst. Ich fühlte, daß es mich erst eiskalt und dann glühend heiß überlief. Ich begann zu schwitzen. Die Leute hatten sich an das Feuer gesetzt. Sie verhielten sich schweigend. Vielleicht waren sie zunächst mit dem Fleisch beschäftigt, dessen Duft bis zu mir drang.

Meine Lage war hoffnungslos. Der Schlag mit dem Kolben hatte meinen Hinterkopf getroffen. Ich bin weder Anatom noch Patholog; ich weiß die möglichen Wirkungen eines solchen Krafthiebes nicht aufzuzählen. Ich besaß Gehör und Geruch; vielleicht auch Gesicht und Geschmack; aber daß die Bewegungsnerven versagten, das schrieb ich diesem Hiebe zu. Würden sie ihre Thätigkeit wieder aufnehmen, und zwar so schnell, wie es in meiner Lage nothwendig war?

Und selbst wenn dies der Fall sein sollte, wozu ich bei meiner robusten Körperbeschaffenheit doch Hoffnung hatte, blieb mir sehr wenig Aussicht, mich dem mir drohenden Schicksale zu entziehen. Ja, wenn meine Gefährten in der Nähe gewesen wären! Wenn wenigstens mein braver Halef eine Ahnung der mir drohenden Gefahr gehabt hätte! Aber dies war doch nicht der Fall.

Es überkam mich ein Gefühl, von welchem ich nicht weiß, ob es Wuth oder Verzweiflung zu nennen ist; vielleicht ist das Erstere richtig, denn ich habe stets gewußt, daß Gott auch dann, wenn die Uhr zum zwölften Stundenschlag ausholt, noch helfen kann. Ich ballte die Fäuste; ich preßte den Athem in die Lungen zurück, als ob ich mich freiwillig ersticken wolle; ich spannte alle Fasern an, die ich überhaupt in der Gewalt hatte, und da – da ging es wie ein gewaltiger Ruck durch meinen Körper: ich konnte die Arme bewegen, die Beine, den Nacken und – Gott sei Dank! – auch die Augenlider.

Zwar hütete ich mich sehr, dies merken zu lassen; aber ich prüfte nach und nach alle Glieder durch. Es ging nicht leicht; der Kopf war wie zerschlagen. Ich mußte mich wirklich anstrengen, um logisch zu denken, und in den Extremitäten hatte ich das Gefühl, als seien sie mit Blei angefüllt; aber ich hoffte doch, mich gegebenen Falls erheben und einigermaßen vertheidigen zu können. Vielleicht wich die Lähmung schneller noch, als es jetzt den Anschein hatte. Und sodann vertraute ich dem Einflusse des Augenblickes und der Wirkung, welche ein fester Wille auf den ungehorsamen Körper auszuüben pflegt. So viel wenigstens stand fest, daß ich mich nicht lebendig begraben lassen würde.

Ich blieb lang ausgestreckt liegen und schielte hinüber nach dem Feuer, welches auf dem Steine brannte. Dort saßen acht Männer, welche mit ihren Messern das Fleisch von den Knochen eines Schafes lösten und in großen Stücken zwischen die Zähne steckten. Unter ihnen befand sich der dicke Bäcker, der liebenswürdige Bettler und der ehrenwerthe Urian, welcher sich mir als Führer nach Kabatsch angeboten hatte.

So also hatte der Bäcker es gemeint, als er schwor, daß wir uns wiedersehen würden! Freilich hatte er wohl nicht gemeint, daß man mich erschlagen würde. Warte, Du Fleischkloß, ich hoffe, es Dir >schlagend< beweisen zu können, daß ich noch am Leben bin!

Und mein famoser Führer hatte sich vortrefflich zu verstellen gewußt! Warum hatte er doch nur so besorgt zwischen die Bäume geblickt? Ah, da ging mir ein Licht auf! Als ich mich wartend hinter dem Hause des Färbers befand, hatte sich sein Geselle entfernt. Er war von seinem Herrn ausgesandt worden, um die hier anwesenden Gentlemen zusammenzutrommeln und den Bettler von meinem Kommen zu benachrichtigen. Mein Führer hatte mich im Felde erwartet und dann befürchtet, daß wir dem Boten oder einem der sauberen Herren begegnen könnten, in welchem Falle ich ja leicht Verdacht schöpfen konnte. Der Färber-Bäcker hatte nur aus schlauer Berechnung mich mit dem Auftrage an den Bettler betraut. So war es und nicht anders!

Und nun war er mit dem Waffenschmied und Kaffeewirth Deselim aus Ismilan hier. Er hatte diesen für heute oder morgen erwartet, und dieser gute Mann, der Schwager des >Schut<, war just zur richtigen Minute gekommen, um sich durch die Bemächtigung meiner Person aus der ihm drohenden Gefahr zu befreien.

Wie sollte ich ihnen entkommen? Acht gegen Einen! Und dieser Eine war gefesselt und gelähmt! Das Fensterloch war zu klein; kein Mensch konnte hindurch kriechen.

Vorn in der Ecke lagen meine Waffen. Man hatte sie mir abgenommen und alles Andere, was ich bei mir trug, natürlich dazu. Ich lag in Hemd und Hose auf dem Laubhaufen.

Jetzt prüfte ich behutsam die Fesseln. Sie bestanden aus Riemen und waren fest. Hier war nichts zu thun. Bei größerer Anstrengung hätten sie mir doch nur die Haut zerschnitten. Ich sann und grübelte, um einen Rettungsgedanken zu finden – vergebens. Es gab nur eine Hoffnung, und diese war nicht viel werth: ich mußte mich todt stellen. Jedenfalls schafften sie mich in den Wald, um mich einzuscharren. Vielleicht kamen sie da auf die Idee, die Riemen zurückzubehalten, die doch immerhin einen Werth hatten, wenn auch nur einen ganz geringen. Dann befand ich mich im freien Besitze meiner Glieder.

Vielleicht gönnten sie dem Grabe die beiden Stücke nicht, mit denen ich noch bekleidet war. Wollten sie mir auch diese ausziehen, so mußten sie vorher die Fesseln entfernen. Auch in diesem Falle hatte ich wenigstens die Hoffnung, wenn auch nicht los zu kommen, so doch nicht ohne Widerstand an diesem Orte meine irdische Wanderung zu beenden. Es blieb mir also nur übrig, in Geduld zu warten, was da kommen werde. Sicherlich blieben diese Menschen nicht ewig stumm. Ein Gespräch zwischen ihnen konnte einen brauchbaren Wink für mich enthalten.

Und eben jetzt legte jener Mann, dessen Stimme mir unbekannt gewesen war und den ich für den Waffenschmied aus Ismilan hielt, den letzten Knochen weg. Er wischte sich das Messer an seiner Hose ab, steckte es in den Gürtel und sagte:

»So! Jetzt haben wir gegessen und nun können wir auch reden. Ich werde den Schöps bezahlen. Was hat er gekostet?«

»Nichts,« antwortete der Bettler. »Ich habe ihn gestohlen.«

»Desto besser. Der Tag fängt also sehr billig an. Ich komme, um Euch lohnende Arbeit zu geben, und unterdessen habt Ihr eine andere vollbracht, welche vielleicht noch lohnender ist. Ich weiß noch nicht genau, wie es eigentlich zugegangen ist. Ich kam zu Boschak, als er im Begriff war, aufzubrechen, und wir sind so schnell geritten, daß er unterwegs nicht sprechen konnte.«

»Allah 'l Allah! Ich bin in meinem Leben noch nicht so geritten!« klagte der Dicke. »Ich fühle nicht, ob ich noch am Leben bin.«

»Du lebst, Freund! Aber, konntest Du nicht eher aufbrechen?«

»Nein. Ich habe nur das eine Reitthier, und der Bote, den es fortgetragen hatte, kam so spät zurück.«

»Also nun – wer ist dieser Fremde gewesen?«

»Ein Christ aus dem Frankenlande.«

»Allah verderbe seine Seele, wie Ihr seinen Körper getödtet habt! Wie kam er zu Dir?«

»Er hatte mein Weib unterwegs getroffen und nach mir gefragt. Er wußte alle unsere Geheimnisse und wollte mich bestrafen lassen, wenn ich meine Tochter nicht dem Sahaf zum Weibe gäbe.«

»Sie gehört Mosklan, unserem Verbündeten. Wer aber hat diesen Fremdling eingeweiht?«

»Ich weiß es nicht, er schwieg darüber. Er sprach von Mosklan, vom Schut, von Allem; er kannte unser Dorngestrüpp im Felde und zwang mich mit seiner Drohung, ihm meine Einwilligung zu geben.«

»Du aber hältst es nicht!«

»Einem Gläubigen halte ich mein Wort; er aber ist ein Christ. Geht nach Stambul und sprecht mit den Ungläubigen. Es gibt dort viele russische Christen, welche sagen, daß Niemand sein Wort zu halten brauche, der während des Versprechens im Stillen zu sich gesagt habe, daß er es brechen werde. Warum soll ich an ihnen nicht das thun dürfen, was sie lehren und unter einander auch thun?«

»Du hast Recht.«

»Ich schickte also heimlich meinen Knecht an Saban und an die Freunde hier und ließ ihnen sagen, was geschehen solle. Saban mußte sich krank stellen; Murad erwartete den Fremdling, um ihn sicher hierher zu bringen, und die Andern versteckten sich hinter die dicken Stämme des Waldes, um dann nach ihm in die Hütte zu treten. Das ist's, was ich weiß; laß Dir das Weitere von ihnen erzählen.«

»Nun, Saban, wie ist es dann gekommen?« fragte der Waffenschmied.

»Sehr gut und sehr leicht,« antwortete der Bettler. »Der Fremde kam mit Murad, welcher sich den Anschein gab, als ob er weiter reiten wolle, und stieg ab. Ich beobachtete es durch das Fenster und legte mich sodann rasch auf das Lager. Der Fremde trat herein und brachte mir, was der Bäcker ihm für mich gegeben hatte.«

»Den Wein gibst Du mir aber wieder!« warf der Erwähnte ein. »Ich sandte ihn Dir nur zum Scheine und habe nur diese eine Flasche. Das Gebäcke aber kannst Du behalten.«

»Was! Wein hast Du ihm geschickt?« fragte der Ismilaner.

»Ja.«

»Den bekommst Du nicht wieder!«

»Warum?«

»Weil wir ihn trinken werden.«

»Wie könnt Ihr ihn trinken? Ihr seid gläubige Söhne des Islam, und der Prophet hat den Wein verboten.«

»Nein, er hat ihn nicht verboten. Er hat nur gesagt: >Alles, was trunken macht, sei verflucht!< Diese eine Flasche Wein aber wird uns nicht betrunken machen.«

»Sie ist mein Eigenthum!«

Der Ton, in welchem er sprach, zeigte, daß der Dicke die feste Absicht habe, seinen Wein zu retten; da aber bemerkte der Bettler lachend:

»Streitet Euch nicht über die Gebote des Propheten. Der Wein kann nicht getrunken werden.«

»Warum?« fragte der frühere Besitzer des umstrittenen Gegenstandes.

»Weil er bereits getrunken ist.«

»Mensch, was fällt Dir ein! Wer gab Dir das Recht dazu?«

»Du selbst. Du hast ihn ganz ausdrücklich mir gesandt. Ich habe ihn mit den Gefährten getheilt. Wärst Du eher gekommen, so hättest Du mittrinken können. Dort liegt die Flasche. Nimm sie mit und rieche daran, wenn Deine Seele sich nach ihr sehnt!«

»Sei ein Erbe des Teufels, Du Spitzbube! Niemals im Leben wirst Du wieder eine Gabe von mir erhalten.«

»Ich brauche sie ja auch nicht, obgleich ich für einen Bettler gelte; das weißt Du so gut, wie ich.«

»Jetzt fort mit dem Streite!« befahl der Waffenschmied. »Erzähle weiter, Saban!«

Der Genannte kam der Aufforderung nach. Er sagte:

»Der Fremde mochte glauben, daß ich schlafe. Er trat zu mir und grüßte so laut, daß ich that, als ob ich erwache. Er fragte, ob ich Saban heiße und den Färber Boschak kenne, welcher mir hier diese Gabe sende. Er kniete neben mir nieder, um das Päckchen zu öffnen, welches die Gaben Boschak's enthielt. Da sah ich die Gefährten, welche leise eingetreten waren. Ich faßte ihn schnell, zog ihn zu mir nieder, und er bekam den Kolbenschlag, welcher ihn sofort tödtete. Wir haben ihn entkleidet, und nun können wir Alles theilen, was er bei sich trug.«

»Ob wir sein Eigenthum theilen, das steht noch sehr in Frage. Welche Gegenstände hatte er bei sich?«

Es wurde Alles genannt. Man vergaß nicht die geringste Kleinigkeit. Selbst die Toplu ijneler, von denen ich ein kleines Päckchen bei mir gehabt hatte, wurden gezählt. Für diese Gegend waren sie beinahe eine Seltenheit und bildeten in Folge dessen eine ganz schätzbare Erwerbung.

Durch die nur ein klein wenig geöffneten Augenlider sah ich, daß der Waffenschmied aus Ismilan meine Büchse betrachtete.

»Dieses Gewehr ist nicht zehn Para werth,« sagte er. »Wer soll es tragen? Es ist schwerer als fünf lange, türkische Flinten, und es gibt hier bei uns nicht so große Fischek kurtudschler, wie sie zur Ladung erforderlich sind. Es ist ein alter Atesch endadschy aus der Zeit vor zweihundert Jahren.«

Der gute Mann hatte eben noch keinen Bärentödter in der Hand gehabt. Noch mehr aber schüttelte er den Kopf, als ihm nun auch der Henrystutzen gereicht wurde. Er drehte ihn nach allen Seiten, tastete und probirte eine Weile an ihm herum und gab dann unter einem verächtlichen Lächeln sein Gutachten ab:

»Dieser Fremdling muß Ratten im Kopfe gehabt haben. Dieses Gewehr ist nichts als ein Spielzeug für Knaben, welche das Exerziren lernen sollen. Man kann es nicht laden; man kann damit gar nicht schießen. Hier ist der Schaft und da der Kolben, dazwischen eine eiserne Kugel mit vielen Löchern. Wozu soll die Kugel sein? Etwa um die Patronen aufzunehmen? Man kann sie nicht drehen! Wo ist der Hahn? Der Drücker läßt sich nicht bewegen. Wenn der Mensch noch lebte, würde ich ihn auffordern, einen Schuß zu thun. Er könnte es nicht und müßte sich schämen!«

So wurde ein jeder Gegenstand besprochen, und es kamen da Urtheile zum Vorscheine, welche mich zum Lachen gebracht hätten, wenn dies mit meiner Lage zu vereinbaren gewesen wäre. Eben wollte der Ismilaner sich vom Boden erheben, um sich auch mein Pferd zu betrachten, als ich den Hufschlag eines sich langsam nähernden Rosses vernahm. Auch die Männer hörten es, und der Bettler trat vor die Thüre.

»Wer kommt da?« fragte der Ismilaner.

»Ein Fremder,« antwortete der Gefragte. »Ein kleiner Kerl, den ich noch nie gesehen habe.«

Und da hörte ich auch bereits den Gruß:

»Neharak mu barak – Dein Tag sei gesegnet!«

»Neharak sa'id – Dein Tag sei beglückt! Wer bist Du?«

»Ein Joldschu aus der Ferne.«

»Woher kommst Du?«

»Aus Assemnat.«

»Und wohin willst Du?«

»Nach Gümürdschina, wenn Du es erlaubst.«

»Du bist sehr höflich, denn Du bedarfst meiner Erlaubniß ja gar nicht.«

»Ich bin höflich, weil ich wünsche, daß auch Du es seist. Ich möchte eine Bitte an Dich richten.«

»Sprich sie aus!«

»Ich bin ermüdet und sehr hungrig. Erlaubst Du mir, in dieser Hütte auszuruhen und mein Taam bei Dir zu verzehren?«

»Ich habe keine Speise für Dich; ich bin arm.«

»Ich habe Brod und Fleisch bei mir, und Du sollst auch davon haben. Es reicht für uns Beide.«

Ich war äußerst gespannt, was der Bettler jetzt antworten werde. Man kann sich mein Entzücken denken: ich hatte die Stimme des Fremden sofort erkannt; es war diejenige meines kleinen braven Hadschi Halef Omar.

Wo hatte er während der Nacht gesteckt? Wie kam er hierher? Auf welche Weise hatte er erfahren, daß ich in dieser Richtung zu suchen sei? Diese und ähnliche Fragen gingen mir durch den Kopf. Auf alle Fälle mußte er annehmen, daß ich hier abgestiegen sei, denn er sah ja mein Pferd draußen stehen. Und ebenso mußte er erkennen, daß man mich feindselig behandelt hatte. Der Bettler hatte nämlich mein Bowiemesser in der Hand. Es war leicht zu schließen, daß man es mir abgenommen hatte.

Mir bangte für den Freund, und doch kam es wie ein Gefühl der Sicherheit über mich. Halef wagte gewiß und ohne Zaudern das Leben, um mich zu befreien.

Der Ismilaner war aufgestanden; er schob den Bettler bei Seite, trat an den Eingang, betrachtete sich den Hadschi und sagte im Tone des Erstaunens:

»Was sehe ich, Fremdling! Du hast die Koptscha!«

»Ah! Du kennst dieses Zeichen?« fragte Halef.

»Siehst Du nicht, daß ich es auch trage!«

»Ich sehe es. Wir sind also Freunde.«

»Von wem hast Du den Knopf?«

»Meinst Du, daß man ein Geheimniß so leicht offenbart?«

»Du hast Recht. Steige ab und sei uns willkommen, obgleich Du in ein Haus der Trauer kommst!«

»Um wen trauert Ihr?«

»Um einen Verwandten des Herrn dieser Hütte. Er starb in voriger Nacht an einem Schlaganfall. Seine Leiche liegt da in der Ecke, und wir sind versammelt, um die Namzlar zu verrichten.«

»Allah gebe ihm die Freuden des Paradieses!«

Bei diesen Worten schien Halef vom Pferde zu steigen. Dann hörte ich ihn sagen:

»Welch ein schönes Pferd! Wem gehört dieser Rapphengst?«

»Mir,« antwortete der Waffenschmied.

»So bist Du zu beneiden. Dieses Pferd stammt sicher von der Stute des Propheten, welche Zeugin war, wenn ihm des Nachts die Boten Allah's erschienen.«

Er trat ein, begrüßte die Anderen und richtete dann den Blick in meine Ecke. Ich sah seine Hand nach dem Gürtel fahren; aber glücklicher Weise besaß er genug Macht über sich, um sich nicht zu verrathen.

»Dies ist der Todte?« fragte er, nach mir zeigend.

»Ja.«

»Erlaubt, daß ich ihm seine Ehre gebe!«

Er wollte sich mir nähern. Da sagte der Bettler:

»Laß ihn ruhen! Wir haben bereits die Gebete des Todes über ihn gesprochen.«

»Aber ich nicht. Ich bin ein Muminly und pflege die Gebote des Kuran zu erfüllen.«

Er trat jetzt, ohne gehindert zu werden, herbei und kniete wie zum Gebete neben mir nieder, den Rücken gegen die Anderen gewendet. Ich hörte das Knirschen seiner Zähne. Da ich mir wohl denken konnte, daß jetzt die Augen aller Anwesenden auf ihn und mich gerichtet seien, hielt ich die meinigen fest geschlossen, aber ich flüsterte, natürlich nur für ihn vernehmbar:

»Halef, ich lebe.«

Er holte tief, tief Athem, als sei eine große Last von ihm genommen, blieb noch eine Weile knieen und erhob sich dann wieder, blieb aber bei mir stehen und sagte:

»Dieser Todte ist ja gefesselt!«

»Wundert Dich das?« fragte der Waffenschmied.

»Natürlich! Man fesselt ja nicht einmal die Leiche eines Feindes. Ein Todter kann Keinem mehr schaden.«

»Das ist richtig; aber wir mußten diesen armen Menschen binden, denn als der Anfall über ihn kam, tobte er wie ein Wahnsinniger. Er rannte wüthend hin und her; er schlug und stach um sich, so daß er unser Leben gefährdete.«

»Nun aber ist er todt. Warum nehmt Ihr ihm die Bande jetzt nicht ab?«

»Wir dachten noch nicht daran.«

»Das ist Entweihung eines Abgeschiedenen. Seine Seele kann nicht von hinnen gehen. Gehört Ihr etwa zu den Chawaridsch

»Nein.«

»So müßt Ihr ihm die Hände falten und sein Gesicht in die Kiblah legen!«

»Weißt Du nicht, daß man sich verunreinigt, wenn man eine Leiche berührt?«

»Ihr seid ja bereits unrein, da Ihr Euch mit ihr in demselben Raume befindet. Ihr braucht den Todten gar nicht zu berühren. Schneidet die Fesseln mit einem Messer entzwei und faßt ihn mit einem Tuche an. Hier habe ich mein Mendil. Soll ich es für Euch thun?«

»Du bist ja sehr um seine Seele besorgt!«

»Nur um die meinige. Ich bin ein Anhänger der Lehre und des Ordens Merdifah und thue, was die Pflicht dem wahren Gläubigen gebietet.«

»Mach', was Du willst!«

Er zog sein Messer. Zwei Schnitte – meine Hände und meine Füße waren frei. Dann umwickelte er seine Rechte mit dem Taschentuche, um nicht in unmittelbare Berührung mit der angeblichen Leiche zu kommen, legte mir die Hände zusammen und drehte mich dann auf die Seite, so daß ich mit dem Gesicht gegen Osten zu liegen kam.

Da dies auch die Richtung war, in welcher sich die Anwesenden befanden, so war es mir nun leichter als vorher, sie zu beobachten.

»So!« sagte er, das nun unrein gewordene Taschentuch von sich werfend. »Jetzt ist meine Seele befriedigt, und ich kann meine Mahlzeit halten.«

Er ging hinaus zu seinem Pferde. Die Männer flüsterten mit einander, bis er zurückkehrte und sich mit Fleisch und Brod zu ihnen setzte.

»Ich habe nicht viel,« meinte er; »aber wir wollen theilen.«

»Iß nur selbst. Wir sind satt,« sagte der Ismilaner. »Dabei kannst Du uns sagen, wer Du eigentlich bist, und was Dich nach Gürmürdschina führt.«

»Ihr sollt es erfahren. Aber ich bin der Gast, und Ihr waret vor mir hier. Ich werde also vorher erfahren, bei wem ich mich befinde.«

»Bei guten Freunden; das glaubst Du wohl, da Du es an dem Knopf erkennst.«

»Ich mag nicht daran zweifeln; es wäre das nicht gut für Euch!«

»Warum?«

»Weil es gefährlich ist, mich zum Feind zu haben.«

»Wirklich?« lachte der Waffenschmied. »Bist Du ein so gefährlicher und schrecklicher Mann?«

»Ja!« antwortete Halef ernsthaft.

»Meinst Du, daß Du ein Ehremen seist?«

»Nein; aber ich habe noch nie einen Feind gefürchtet. Da Ihr jedoch Freunde seid, so braucht Euch vor mir nicht bang zu sein.«

Es antwortete ihm ein schallendes Gelächter, und Einer sagte:

»O, wir würden auf keinen Fall Angst vor Dir haben.«

»So sagt mir, wer Ihr seid!«

»Ich bin ein Köjlü aus Kabatsch, und die Anderen hier sind es auch. Und Du?«

»Meine Heimat ist Kürdistan; ich bin ein Ajy-awdschyjy

Es entstand eine kurze Pause; dann brachen sie Alle abermals in ein schallendes Gelächter aus.

»Warum lacht Ihr?« fragte er im allerernstesten Tone. »Es ist bereits das zweite Mal, daß Ihr ein solches Gelächter aufschlagt. In der Nähe einer Leiche geziemt es dem wahren Gläubigen, den tiefsten Ernst zu zeigen.«

»Ist dies denn hier möglich? Du, ein Bärenjäger?«

Das Gelächter begann von Neuem.

»Warum denn nicht?« fragte er.

»Du bist ja fast ein Dschödsche. Der Bär würde Dich verschlingen, sobald er Dich erblickte. Aber satt wäre er doch noch nicht. Zehn Männer Deiner Größe sind nothwendig, um seinen Hunger zu stillen.«

»Meine Kugel würde ihn fressen, nicht aber er mich!«

»Ist denn die Bärenjagd Deine Profession?«

»Ja. Ich hatte zwei Tanten, welche ich sehr liebte. Die Eine war meine Hala und die andere meine Tejze. Ein Bär fraß sie alle Beide. Da schwor ich den Bären Rache und bin ausgezogen, sie zu tödten, wo ich sie nur treffe.«

»Hast Du denn schon einen getödtet?«

»Ja, viele!«

»Mit der Kugel?«

»Ja. Meine Kugel geht niemals fehl.«

»Bist Du denn ein so großer Schütze?«

»Man sagt es von mir. Ich kenne alle Arten von Gewehren und treffe mit jedem mein Ziel.«

Ah, jetzt merkte ich, warum der schlaue Hadschi sich für einen Jäger ausgegeben hatte. Er suchte nach einem Grund, auf gute Weise meine Gewehre in die Hand zu bekommen. Vielleicht war es auch seine Absicht, sie zu der Aufforderung an ihn zu bewegen, einen Probeschuß zu thun. In diesem Falle mußten sie ihm hinaus vor die Hütte folgen, und ich erhielt Gelegenheit, mich zu erheben.

»Was sagst Du?« fragte der Waffenschmied. »Du willst alle Arten von Gewehren kennen?«

»Ja.«

»Kennst Du denn dieses hier?«

Er deutete dabei auf den Henrystutzen.

Halef nahm das Gewehr in die Hand, betrachtete es und antwortete dann:

»Sehr gut. Es ist ein Tekerrur-tüfenki aus Jeni dünja

»Wir haben noch nie ein solches Gewehr gesehen. Wir glaubten, daß es ein Spielzeug sei. Du aber meinst, daß man mehrere Male, ohne zu laden, damit schießen könne?«

»Fünfundzwanzigmal.«

»Öjün-sen – Du schneidest auf!« rief der Waffenschmied.

»Ich sage die Wahrheit. In dem Lande, welches ich genannt habe, gab es einen berühmten Waffenkünstler. Er erfand dieses Gewehr. Er war ein Aslidschi. Er dachte, daß in kurzer Zeit alle jagdbaren Thiere ausgerottet sein würden, wenn es viele solcher Flinten gäbe. Darum nahm er kein Patenta auf seine Erfindung. Er behielt das Geheimniß für sich und fertigte nur einige dieser Gewehre. Er starb bald. Andere wollten das Geheimniß ergründen; aber wer die Theile des Gewehres aus einander nahm, der konnte sie nicht wieder zusammensetzen. Das Gewehr war unbrauchbar geworden. Die Wenigen, welche eines besaßen, kamen in der Wildniß um, und ihre Flinten gingen verloren. Dieses Gewehr hier ist vielleicht das einzige, welches noch existirt. Es wird Kissa bir tüfenk Henrynün genannt, und ich möchte wohl wissen, wie es in Eure Hände gekommen ist.«

»Ich habe es in Stambul von einem Amerikaly gekauft,« erklärte der Waffenschmied.

»Es zu verkaufen, ist sehr unklug von ihm gewesen! Diese Kugel hier hinter dem Laufe nimmt die Patronen auf. Sie bewegt sich bei jedem Schusse von selbst, so daß das nächste Loch mit der Patrone sich an den Lauf legt. Soll ich es Euch zeigen?«

»Ja, zeige es uns!«

»Wie aber kommt es, daß der Amerikaly Dir das Gewehr verkauft hat, ohne Dich von seiner Kurusch zu unterrichten?«

»Ich vergaß, ihn zu fragen.«

»So bist Du ein Mensch, den ich nicht begreifen kann. Bist Du denn in Arkilik geboren, wo die Stiefel keine Sohlen, die Wagen keine Räder und die Töpfe keine Böden haben? Kommt heraus! Ich will Euch zeigen, wie mit diesem Gewehre geschossen wird.«

»Ist es denn geladen?«

»Ja. Ihr sollt mir ein Ziel nennen, und ich werde es zehnmal nach einander treffen.«

Er verließ die Hütte, und sie folgten ihm. Sie waren so gespannt auf das Experiment, daß sie gar nicht an mich dachten. Übrigens waren sie ja von meinem Tode überzeugt; sie brauchten sich also gar nicht um mich zu bekümmern. –

»Also – was soll ich treffen?« hörte ich Halef draußen fragen.

»Schieße nach der Kara karga, welche dort auf dem Aste sitzt.«

»Nein; sie würde todt herabfallen, und ich will ja mehrere Schüsse nach demselben Ziele thun. Gehen wir da weit hinüber. Ich will nach der Hütte schießen. Seht Ihr die Schindel da oben, welche der Wind fast abgerissen hat? Sie steht vom Dache ab und gibt ein gutes Ziel. Ich werde sie zehnmal treffen.«

Ich hörte, wie ihre Schritte sich entfernten. Halef lockte sie möglichst weit von der Hütte fort, um mir mein Erwachen aus dem Todesschlaf zu erleichtern.

Dort lagen meine Kleider, das Messer, welches der Bettler wieder hingelegt hatte, die Patronen, die Uhr, die Brieftasche, das Portemonnaie, Alles, Alles beisammen, und daneben hatte man die Büchse an die Mauer gelehnt.

Ich sprang auf und reckte mich. Es lag mir zwar wie Blei in den Gliedern; sie waren schwer und ungehorsam, aber ich konnte sie bewegen. Der Kopf that mir fürchterlich weh, und als ich die schmerzende Stelle mit der Hand berührte, fühlte ich eine umfangreiche Anschwellung. Aber ich hatte keine Zeit, das zu beachten. Ich fuhr also möglichst schnell in die Kleider, steckte Alles wieder zu mir und griff nach der Büchse.

Dazu brauchte ich natürlich mehr Zeit als gewöhnlich; aber Halef schoß in solchen Pausen, daß ich bereits bei dem fünften Schusse fertig war.

So oft er abgedrückt hatte, hörte ich die ›Aferim‹ seiner erstaunten Zuschauer. Ich stand jetzt inmitten des Raumes und konnte ihn durch die Fensteröffnung beobachten. Eben hatte er den sechsten Schuß abgegeben. Ich sah deutlich, daß er den Blick nicht nach der Dachschindel empor, sondern nach dem Fenster richtete. Hoffte er, daß ich ihm da ein Zeichen geben werde? Schnell trat ich hin und erhob die Hand, nur zwei Sekunden lang, aber er hatte sie doch gesehen. Er nickte mit dem Kopf und wendete sich zu seinen Zuschauern.

Ich konnte nicht hören, was er sagte, aber er schulterte das Gewehr und kam auf die Hütte zu.

»Zehn Schüsse, zehn!« hörte ich den Waffenschmied rufen. »Du hast ja erst sechsmal geschossen!«

»Das ist genug,« antwortete er, und er hatte sich jetzt so weit genähert, daß ich die Worte verstehen konnte. »Ihr habt gesehen, daß ich das Ziel mit jedem Schusse traf. Wir wollen die Kugeln nicht verschwenden, denn ich werde sie vielleicht nothwendiger brauchen!«

»Wozu denn?«

»Um sie Euch durch den Kopf zu jagen, Ihr Halunken!«

Bei diesen Worten blieb er stehen und machte Front gegen sie. Der Augenblick des Handelns war gekommen. Wir Beide gegen diese Übermacht? Aber der tapfere Kleine verrieth keine Spur von Sorge oder gar Angst. Sie hatten ihre Gewehre in der Hütte gelassen und konnten also nur mit den Messern Widerstand leisten.

Sie waren verblüfft – sowohl von seinen Worten, wie auch von der Haltung, welche er gegen sie annahm. Sie glaubten wohl, daß es sich um einen Scherz handele, denn der Ismilaner sagte lachend:

»Wie? Uns willst Du erschießen, Kleiner? Wenn Du Dir einen Spaß machen willst, so sinne Dir etwas Besseres aus! Du bist ein sehr guter Schütze; uns aber würdest Du doch nicht treffen, so nahe wir Dir auch stehen!«

Halef steckte einen seiner Finger in den Mund und ließ einen lauten, schrillen Pfiff hören. Dann antwortete er:

»Spaß? Wer sagt Euch, daß ich nur Spaß mache? Seht einmal dort hinüber! Da stehen Zwei, die Euch zeigen wollen, daß es mein Ernst ist.«

Er zeigte nach dem der Hütte gegenüber liegenden Rande der Lichtung. Ich folgte mit dem Blicke. Dort standen in einiger Entfernung von einander Osko, der Montenegriner, und Omar Ben Sadek, der Sohn des Führers, mit schußfertig an die Wangen gelegten Gewehren. Sie hatten sich also versteckt gehabt, und Halef's Pfiff war ein Zeichen für sie gewesen, hinter den Bäumen hervorzutreten.

»Dschümle bütün schejtanlar – bei allen Teufeln!« entfuhr es dem Waffenschmied. »Wer sind diese Menschen? Was wollen sie von uns?«

»Sie wollen die Leiche, welche dort in der Hütte liegt.«

»Was geht sie der Todte an?«

»Sehr viel. Der Todte ist nicht ein Verwandter dieses Bettlers, sondern er ist unser Anführer und Freund. Ihr habt ihn getödtet, und wir sind gekommen, Euch den Lohn dafür zu geben.«

Sie griffen nach ihren Messern. Er aber sagte:

»Laßt die Messer stecken; sie helfen Euch nichts. Ich habe in diesem Gewehre noch achtzehn Schüsse, und beim ersten Schuß, den ich abgebe, schießen auch die Beiden dort. Ihr seid Leichen, ehe Ihr an mich kommt!«

Er sagte dies in einem so entschlossenen, drohenden Tone, daß sie von seinem Ernste überzeugt sein mußten. Sie standen nur zehn bis fünfzehn Schritte von ihm entfernt. Er hielt den Gewehrlauf auf sie gerichtet. Wenn sie sich schnell auf ihn warfen, konnte er nur einen Einzigen treffen; aber dieser Eine wollte Keiner von ihnen sein.

Sie blickten sich einander grimmig und verlegen an. Dann fragte der Ismilaner:

»Wer ist denn der Mann, den Du Euern Freund und Anführer nennst?«

»Er ist ein noch viel besserer Schütze und Jäger, als ich. Er ist unverwundbar, und selbst wenn er getödtet würde, so käme seine Seele wieder in die Leiche zurück. Wenn Ihr dies nicht glaubt, so blickt nach der Hütte hin!«

Sie wandten sich nach der angegebenen Richtung. Dort stand ich jetzt unter dem Eingange, mit erhobenem Gewehre. Sie erschracken. Osko aber und Omar ließen einen Ruf der Freude hören.

»Seht Ihr nun, daß Ihr verloren seid, wenn Ihr Euch einfallen ließet, Widerstand zu leisten?« fuhr Halef fort.

»Vaj! Bizim tüfenkler war isa idik – ha! Wenn wir unsere Gewehre hätten!« rief der Waffenschmied.

»Ihr habt sie aber nicht. Und wenn Ihr sie hättet, würden sie Euch nichts nützen. Ihr befindet Euch in unserer Gewalt. Wenn Ihr Euch freiwillig ergebt, werden wir gnädig mit Euch sein.«

»Wie kannst Du feindselig gegen uns auftreten, da Du doch den Knopf hast?«

»Ihr habt meinem Gefährten nach dem Leben getrachtet. Aber daß ich die Koptscha besitze, mag Euch überzeugen, daß Ihr auf Nachsicht rechnen könnt, wenn Ihr Euch ergebt. Tretet in die Hütte! Dort wollen wir weiter sprechen.«

Der Ismilaner ließ den Blick nach dem Gebäude hinübergleiten. Ich glaubte ein schnelles Aufleuchten zu bemerken, welches über sein Gesicht glitt.

»Ja,« sagte er. »Treten wir in die Hütte. Dort wird sich Alles aufklären. Ich bin unschuldig. Als ich kam, war der Fremdling bereits todt, wie wir glaubten. Geht hinein! Kommt, kommt!«

Er schob die Andern vor sich her. Halef ließ das erhobene Gewehr sinken, und ich trat schnell zurück, um mich der Gewehre dieser Leute zu bemächtigen. Ich raffte sie zusammen und trug sie nach der Ecke. Ich beabsichtigte, dorthin Keinen gehen zu lassen.

Noch mit den Gewehren beschäftigt, sah ich sie eintreten, vorne den dicken Färber-Bäcker mit einem wahren Armensündergesicht. Eben war ich im Begriff, von dem letzten Gewehre das Zündhütchen zu nehmen, als ich einen Schrei hörte. Draußen fielen zwei Schüsse; die Kugeln prallten an die Mauer, und zugleich hörte ich Halef rufen:

»Sihdi, Sihdi, heraus, heraus!«

Natürlich mußte ich diesem Rufe sofort folgen; da aber rief jener Mann, welcher mein Führer gewesen war:

»Halt! Laßt ihn nicht hinaus!«

Sie stellten sich mir entgegen. Ich aber rannte dem Kerl den Büchsenlauf an den Leib, daß er mit einem Schmerzensschrei zurücktaumelte und stürzte, schlug dem Nächsten die Faust in's Gesicht und stand dann draußen. Das war das Werk nur dreier Sekunden gewesen; aber schon jagte der Waffenschmied über die Lichtung dahin – auf meinem Rappen und meinen Henrystutzen in der Hand schwingend.

Er hatte ganz unvermuthet meinem Halef den Stutzen entrissen, ihm den Kolben an den Kopf geschlagen und sich dann blitzschnell auf meinen Rih geworfen. Osko und Omar hatten dies bemerkt und nach ihm geschossen, ihn aber nicht getroffen.

»Bleibt hier!« rief ich ihnen zu. »Laßt Keinen aus der Thüre! Schießt Jeden nieder, der entweichen will!«

Der Maulesel des dicken Bäckers und die Pferde Halef's und des Ismilaners standen da. Des Letzteren Pferd schien das frischeste zu sein. Ich sprang auf, stieß dem Thiere die Sporen ein, daß es mit allen Vieren in die Luft ging, riß es herum und galoppirte dem Diebe nach.

Was hinter mir geschah, war gleichgültig. Ich mußte mein Pferd wieder haben. Ich hatte die Büchse in der Hand und war entschlossen, den Kerl aus dem Sattel zu schießen, wenn es nicht anders gehen sollte.

Er hatte die Richtung nach Kabatsch genommen. Ich konnte ihn nicht sehen. Die Spur führte durch den Wald. Wenn ich ihm gleich im Anfang einen Vorsprung ließ, so war mir Rih verloren. Ich trieb also den Klepper, welchen ich ritt, zur größten Eile an.

Es war mir zwar, als ob ich Hufschlag vor mir hörte; sehen aber konnte ich wegen der Bäume nichts. So ging es wohl volle fünf Minuten lang unter den licht stehenden Bäumen dahin. Es war mir, als ob ich in dieser kurzen Zeit wenigstens drei englische Meilen zurückgelegt hätte. Und nun – keine Täuschung – hörte ich auch wirklich Hufschlag vor mir. Vor mir? Nein; das konnte nur hinter mir sein. Ich drehte mich um und erblickte Halef, welcher im sausenden Galopp mir nachkam. Er stand, weit vornüber geneigt, in den Bügeln und bearbeitete sein armes Pferd mit der Peitsche von Nilpferdhaut, daß ich es klatschen hörte.

»Kudam! Khawam, bil' aghel! 'sa Rih chatirak – vorwärts! Rasch, schnell! Sonst Rih, lebe wohl!« rief er.

Er sprach Arabisch und das war ein Zeichen, daß er sich in großer Aufregung befand.

»Warum hast Du die Hütte verlassen?« fragte ich zurück. »Nun werden sie entkommen!«

»Osko wa Omar hunak – Osko und Omar sind dort!« antwortete er, sich entschuldigend.

Weiter konnten wir nicht mit einander sprechen.

Jetzt wurde der Wald noch lichter. Die Bäume traten mehr und mehr zurück, und endlich jagten wir in freies Feld hinaus, welches ungehinderte Aussicht gewährte.

Wir befanden uns auf der Höhe. Unten lag ein Dorf, jedenfalls Kabatsch, ungefähr eine halbe Wegstunde entfernt. Von links kam ein breiter Bach, der sich hinter dem Dorfe mit dem Flüßchen Söüdlü vereinigte. Oberhalb dieser Vereinigung gab es eine Holzbrücke.

Natürlich sahen wir auch den Ismilaner. Er befand sich weit vor uns. Es war unmöglich, ihn mit der Kugel zu erreichen. Rih war ja ein ausgezeichneter Renner. Er spielte aber nur. Wäre der Waffenschmied ein besserer Reiter gewesen, so hätte er bereits den dreifachen, fünffachen Vorsprung haben können.

Er hatte nicht die Richtung nach dem Dorfe genommen. Er scheute sich wohl, sich dort sehen zu lassen. Er hielt unbegreiflicher Weise nach dem Bache zu. Getraute er sich wirklich, ihn zu überspringen? Ich glaubte nicht daran. Der Bach war breit und hatte sehr hohe Ufer.

»Ihm nach!« rief ich Halef zu. »Treibe ihn nach der Brücke!«

Ich selbst lenkte nach dem Dorfe ein. Dies war der gradeste Weg zur Brücke. Vielleicht gelang es mir, trotz meines schlechten Pferdes dort eher anzukommen, als der Dieb.

Mein Thier war zu schwerfällig. Ich machte mich so leicht wie möglich – vergebens! Ich mußte zu einer Grausamkeit greifen: – ich zog das Messer und stach das Pferd vielleicht einen Zoll tief in den Hals.

Es stöhnte laut auf und that sein Allermöglichstes. Ich flog dem Dorfe völlig entgegen; aber das Thier schien nun auch ganz aus dem Häuschen gerathen zu sein. Es wollte nicht mehr gehorchen. Es stürmte blind vorwärts, immer grad aus, und da von einem Wege hier keine Rede war, so hatte ich meine liebe Noth, einen Sturz zu verhüten, welcher gefährlich werden konnte.

Ganz links da drüben ritt der Ismilaner. Er hatte sich umgesehen und Halef erblickt, mich aber nicht. Er erhob sich im Sattel und hielt den gestohlenen Stutzen hoch auf. Ich konnte mir das höhnische Lachen, welches er dabei wohl ausstieß, sehr gut denken. Sein Vorsprung vor Halef vergrößerte sich. Zum Glück aber raste mein fast toll gewordenes Pferd mit einer Geschwindigkeit, welche diejenige meines Rappen jetzt übertraf, dem Dorfe zu.

Man hatte uns von dort aus gesehen. Die Leute standen vor den Thüren. In der Nähe der ersten Häuser lag ein langer, hoher Steinhaufen; ich fand nicht Zeit, ihn zu umreiten, und setzte über ihn hinweg. Das Pferd ließ bei dem Sprung einen grunzenden Baßton hören. Es schien nichts zu sehen; es wäre mit dem Kopfe an die erste beste Mauer gerannt. Ich hatte zwar nicht die Gewalt über es verloren; aber vollständig zu lenken vermochte ich es doch nicht; ich konnte mich nur darauf beschränken, Unglück zu verhüten.

Jetzt flog ich am ersten Hause vorüber. Da stand ein plumper, zweiräderiger Karren mit Früchten – ich weiß nicht, mit welchen – beladen. Ausweichen, das ging nicht. Ein Druck, ein Sprung – wir waren darüber hinweg. Die Zuschauer schrien laut auf.

Eine Biegung kam, der ich folgen mußte. Das Pferd mühsam um die Ecke bringend, gewahrte ich einen Mann, welcher eine Kuh führte. Er sah mich, stieß einen Angstruf aus, ließ die Kuh stehen und sprang fort. Das Thier drehte sich nach ihm um, so daß es quer mir im Wege stand. Im nächsten Augenblick waren wir über die Kuh hinweg.

»Tschelebi, Effendi, Effendi!« hörte ich rufen.

Ich blickte im Vorüberjagen den Mann an. Es war Ali, der Sahaf, welcher vor seinem Hause stand. Er hatte den Mund offen und schlug die Hände zusammen. Er hatte mich ja für einen schlechten Reiter erklärt und mochte glauben, das Pferd gehe mit mir durch.

So ging es weiter und weiter, zum Dorfe hinaus. Da sah ich die Brücke; der Ismilaner war noch nicht da. Ich war ihm zuvorgekommen. Ich drehte mich um und sah ihn längs des Wassers daherkommen, Halef in ziemlicher Entfernung hinter ihm.

Ich hielt an und nahm die Büchse vor. Mein Rappe war mir mehr werth als sein Leben. Gab er ihn nicht freiwillig auf, so war ihm die Kugel gewiß. Nur näher kommen mußte er.

Da aber erblickte auch er mich. Er stutzte. Er konnte es nicht begreifen, mich hier, vor sich, zu sehen. Dann nahm er sein Pferd rasch nach rechts. Mich und Halef vor und hinter sich, den Fluß zur Linken, blieb ihm nichts Anderes übrig, als quer durch das Dorf zu fliehen.

Ich drehte augenblicklich um, versetzte meinem Pferde einen zweiten Stich und jagte zurück. Ich sah ihn hinter einem Hause hervorkommen. Er hatte die Absicht, an dem gegenüberstehenden Hause vorbei zu reiten. Vier oder fünf Sprünge meines Rih, und Roß und Reiter wären verschwunden gewesen. Ich richtete mich also in den Bügeln auf, legte die Büchse an und zielte mitten im Galopp. Aber ich setzte das Gewehr schnell wieder ab. Ich sah nämlich, daß sich dem Flüchtling ein Hinderniß entgegenstellte, welches er entweder vorher nicht gesehen oder doch unterschätzt hatte.

An dem Hause, an welchem er vorüber wollte, befand sich ein hoher Zaun, aus Weiden bestehend. Ich an seiner Stelle hätte mich durch dieses Hinderniß nicht zurückhalten lassen; kam man nicht hinüber, so kam man doch hindurch. Er aber hatte Angst und lenkte um, nach dem Dorfeingange zu, durch den ich gekommen war.

Ich folgte ihm nicht. Es war meine Aufgabe, ihm den Weg nach der freien Ebene zu verlegen und ihn vielmehr nach dem Wasser zu treiben. Zwar war ich ihm jetzt nahe genug, um ihn mit der Kugel zu treffen; aber er war doch ein Mensch, und ich mußte wenigstens den Versuch machen, ohne Vergießung von Menschenblut wieder zu meinem Eigenthum zu gelangen.

In Folge dessen trieb ich mein Pferd grad gegen denselben Zaun, welcher ihn abgeschreckt hatte. Für Rih wäre der Sprung nicht zu hoch gewesen; der Klepper aber konnte den Satz nicht erzwingen. Ich nahm ihn so hoch wie möglich und brach hindurch. Es gab auf dem eingefriedeten Platze eine offene Grube – darüber hinweg und auf der andern Seite durch den Zaun hinaus!

Mein Pferd rasete jetzt, wie vom Bösen besessen, hinter dem Dorfe hinab, und eben als ich mich parallel dem ersten Hause befand, kam auch der Ismilaner in Sicht.

Er sah den Weg verlegt und ritt nun in grader Richtung rechterseits dem Bache entgegen, den er vorher hatte vermeiden wollen. Weiter unten kam auch Halef zum Vorschein, welchem nichts übrig geblieben war, als gleichfalls umzukehren.

Nun folgte ich dem Fliehenden hart auf der Fährte. Er befand sich vielleicht fünfzig Pferdelängen vor mir und trieb den Rappen mit den Sporen an, was dieser nicht gewohnt war. Rih bäumte auf und verweigerte den Gehorsam.

»Rih, waggif, waggif, ugaf – Rih, halt, halt, halt!« rief ich, in der Hoffnung, daß der Klang meiner Stimme das brave Pferd zur Fortsetzung seines Widerstandes bewegen werde.

Aber der Ismilaner schlug es mit dem Gewehre auf den Kopf, daß es, laut aufwiehernd, wieder vorwärts schoß, ich natürlich hinterdrein.

Der Rappe griff mächtig aus. Die Entfernung zwischen uns begann zu wachsen. Es war augenscheinlich, daß der geängstigte Reiter über den Bach setzen wollte, das letzte Mittel, zu entkommen. Gelang ihm der kühne Sprung, so war mir mein Rappe verloren, wenn ich nicht noch zur Büchse griff. Ich nahm sie also wieder auf und legte an.

So brausten wir vorwärts. Im Augenblicke, in welchem der Ismilaner drüben glücklich ankäme, wollte ich feuern. Noch fünf – vier – drei Pferdelängen war er vom Ufer entfernt. Rih griff mit den Hinterhufen vor die Vorderhufe und schoß in einem hocheleganten, weiten Bogen hinüber; der Reiter verlor Bügel und Sattel, schlug mit fürchterlicher Gewalt zur Erde nieder und blieb da unbeweglich liegen.

Ich hatte keine Zeit mehr, mein Pferd zu zügeln; es befand sich im rasenden Laufe. Es hatte eine schlechte Schulung, war aufgeregt und wäre mir doch in den Bach gerannt, um Hals und Beine zu brechen. Ein lauter, aufmunternder Zuruf von mir – es machte den Sprung, gelangte zwar hinüber, stolperte aber und überschlug sich.

Der Sattel, in welchem ich saß, war ein arabischer Serdsch mit hoher Vorderlehne und noch höherer Rückenlehne. Diese Sitze sind zwar bequemer als die englischen, aber auch gefährlicher, falls das Pferd zum Sturze kommt. Ich wagte bei dem Sprunge über den Bach das Leben; das hatte ich gewußt. Darum zog ich während des Zurufes, mit welchem ich das Pferd ermunterte, die Füße aus den Schuhen, welche als Steigbügel dienten, stemmte mich, indem ich die Zügel behielt, mit beiden Händen auf die Brustlehne, hob mich über die Rücklehne hinüber, so daß ich mit dem rechten Bein hinter dieselbe zum Knieen kam, und warf mich, als das Thier in's Stolpern gerieth, von dem Rücken desselben herab.

Dieses Manöver wurde mir durch die Büchse erschwert; es gelang nicht so glatt, wie es bei einem andern Sattel der Fall gewesen wäre, und ich kam zum Sturze, so daß ich für einige Augenblicke bewegungslos liegen blieb.

»Allah il Allah!« rief der kleine Halef hinter mir. »Sihdi, lebst Du noch, oder bist Du todt?«

Ich lag so, daß ich ihn sehen konnte. Er war nur wenig mehr vom Rande des Baches entfernt und wollte sein Pferd zum Sprunge antreiben. Er konnte den Hals brechen. Das gab mir augenblicklich die Bewegungsfähigkeit wieder. Ich erhob warnend den Arm und rief:

»Bleib drüben, Halef! Sei nicht dumm!«

»Dem Propheten sei Dank!« antwortete er. »Er hält mich für dumm; er ist also noch nicht todt.«

»Nein; ich bin nur tüchtig hier aufgeschlagen.«

»Hast Du Etwas gebrochen?«

»Ich glaube nicht. Wollen sehen!«

Ich raffte mich auf und streckte mich. Meine Glieder waren ganz, aber der Kopf brummte wie eine Baßgeige. Halef stieg vom Pferde, kletterte die Uferböschung herab und sprang über das Wasser herüber. Dieses war nicht breit; nur daß es so tief zwischen weiten, steilen Ufern floß, machte den Sprung im Sattel so gefährlich.

»Allah ist groß!« meinte der Hadschi. »Das war eine Hetzjagd! Ich hätte nicht geglaubt, daß wir mit unsern beiden Pferden Deinen Rih erreichen würden.«

»Er hatte einen schlechten Reiter.«

»Ja, dieser Mann saß auf dem Pferde wie der Affe auf dem Kameele, wie ich es in Stambul gesehen habe bei einem Manne, der einen Bären sehen ließ. Dort steht Rih. Ich werde ihn holen.«

Der Rappe stand ruhig und ließ sich die saftigen Grashalme schmecken. Es war ihm keine Anstrengung anzusehen, während das Pferd des Ismilaners, welches ich geritten hatte, schnaubend und mit schlagenden Flanken neben uns hielt. Es hatte sich wieder aufgerafft und keinen Schaden gelitten. Nur die Lehnen des Sattels waren zerbrochen, während es sich überschlug.

»Laß ihn stehen!« antwortete ich. »Wir müssen vor allen Dingen hier nach dem Reiter sehen.«

»Ich wollte, er hätte das Ense tschukuru gebrochen!«

»Das wollen wir nicht wünschen.«

»Warum nicht? Er ist ein Räuber und Pferdedieb.«

»Aber doch ein Mensch. Er rührt sich nicht. Die Besinnung ist von ihm gewichen.«

»Vielleicht ist nicht nur die Besinnung, sondern seine ganze Seele von ihm gewichen. Sie möge in die Dschehenna fahren und mit dem Teufel Kardaschlyk trinken!«

Ich kniete neben Deselim nieder und untersuchte ihn.

»Nun? Siehst Du, wo seine Seele steckt?« fragte Halef.

»Sie ist nicht mehr bei ihm. Er hat wirklich das Genick gebrochen.«

»Er ist selbst Schuld daran und wird kein Pferd mehr stehlen, am allerwenigsten aber Deinen Rappen. Allah lasse seine Seele in eine alte Märe fahren, die täglich zehnmal geraubt wird, damit er erfahre, wie es ist, wenn ein Pferd einen Spitzbuben zu tragen hat!«

Dabei trat er näher und zeigte nach der Kopfbedeckung des Waffenschmiedes.

»Nimm sie herab!« sagte er.

»Was?«

»Die Koptscha.«

»Ah! Du hast recht. Daran hätte ich nicht gedacht.«

»Und doch ist dies so nothwendig. Wer weiß, ob ich Dich hätte retten können, wenn ich den Knopf nicht gehabt hätte.«

»Von wem hast Du ihn?«

»Von dem Gefangenen des Schmiedes.«

»So warst Du bei Schimin?«

»Ja. Doch das will ich Dir nachher erzählen. Jetzt haben wir Anderes zu thun. Da, siehe diese Leute!«

Die ganze Bewohnerschaft des Dorfes schien an den Bach gekommen zu sein. Männer, Frauen, Kinder standen in großer Zahl am Ufer und führten eine laute, schreiende Unterhaltung. Ein so seltenes Ereigniß hatte natürlich ihr ganzes Interesse in Anspruch genommen.

Zwei von ihnen kamen herabgeklettert und sprangen über das Wasser. Der Erste war Ali, der Sahaf.

»Herr, was ist geschehen?« fragte er. »Warum habt Ihr diesen Reiter verfolgt?«

»Hast Du das nicht errathen?«

»Nein. Wie kann ich es wissen?«

»Hast Du nicht gesehen, wessen Pferd er ritt?«

»Das Deinige. Hattest Du mit ihm eine Wette gemacht, oder wollte er es Dir abkaufen und vorher die Schnelligkeit desselben probiren?«

»Keines von Beidem. Er hat es mir gestohlen.«

»Und Ihr seid ihm nachgejagt?«

»Ja, wie Du gesehen hast.«

»Aber, Herr, ich weiß nicht, was ich denken soll! Du konntest doch nicht reiten!«

»Ich kann es auch jetzt nicht anders als vorher.«

»O doch! Du reitest wie der Miracher des Großherrn, und sogar noch besser. Kein Mensch hätte mit diesem Pferde den Sprung gewagt.«

»Nun, vielleicht habe ich es unterdessen gelernt.«

»Nein. Du hast mich getäuscht; Du hast Dir mit mir einen Scherz gemacht. Erst saßest Du auf dem Pferde, wie ein Mekteb oghlandschyk, und dann, als ich Dich durch den Zaun dringen und über den Bach setzen sah, dachte ich, Du müßtest den Hals brechen.«

»Das Letztere überlasse ich Anderen, zum Beispiel diesem Manne da.«

Dabei deutete ich auf den Ismilaner.

»Allah! Hat er ihn gebrochen?«

»Ja.«

»So ist er todt?«

»Natürlich.«

»So hat er den Diebstahl theuer bezahlt. Wer ist er?«

Er trat an den Todten heran, wandte dessen Gesicht zu sich, um es zu sehen, und rief erstaunt:

»Gott thut Wunder! Das ist ja der Waffenschmied Deselim aus Ismilan!«

»Kennst Du ihn?«

»Ja. Er ist zugleich auch Kaffeewirth, und ich habe bei ihm manche Kiasse geleert und manche Pfeife geraucht.«

»So war er ein Freund von Dir?«

»Nein, sondern nur ein Bekannter.«

Da trat auch der Andere herbei, welcher hinter ihm über das Wasser gesprungen war. Auch er hatte sich das Gesicht des Todten betrachtet. Jetzt fragte er mich:

»Du hast diesen Mann gejagt?«

»Ja.«

»Und er hat dabei das Leben verloren?«

»Leider!«

»So bist Du der Mörder. Ich muß Dich verhaften!«

»Das wirst Du nicht thun!« fiel schnell der Sahaf ein. »Dieser Mann gehört nicht unter Deine Gerichtsbarkeit.«

Da nahm der Andere eine würdevolle Miene an und sagte in ernstem Tone:

»Du bist Ali, der Sahaf, und hast zu schweigen; ich aber bin der Kiaja dieses Ortes und habe zu sprechen. – Also, wer bist Du?«

Diese Frage war an mich gerichtet.

»Ein Fremder,« antwortete ich.

»Woher?«

»Aus Nemtsche memleketi.«

»Ist das weit von hier?«

»Sehr weit.«

»Stehst Du auch unter einem Kiaja?«

»Ich stehe unter einem mächtigen König.«

»Das ist gleich. Ich bin der König von Kabatsch; ich bin also dasselbe, was er ist. Komm und folge mir.«

»Als Arrestant?«

»Natürlich! Du bist ein Mörder.«

»Willst Du mich nicht vorher fragen, wie es gekommen ist, daß ich diesen Mann verfolgt habe?«

»Das wird morgen geschehen, sobald ich Zeit und Sammlung gefunden habe.«

»Ich habe schon jetzt Zeit und Sammlung, morgen aber habe ich sie nicht.«

»Das geht mich nichts an. Vorwärts!«

Er deutete dabei mit gebieterischer Armbewegung auf den Bach. Da aber trat der kleine Halef zu ihm heran, zeigte ihm, wie es seine Gewohnheit war, die an seinem Gürtel hängende Nilpferdpeitsche und fragte:

»Also Du bist der Kiaja dieses Dorfes?«

»Ja.«

»Hast Du schon einmal eine solche Peitsche gesehen?«

»Oft.«

»Hast Du auch bereits eine gekostet?«

»Wie meinst Du das?«

»O, ich meine nur Folgendes: Wenn Du diesem Sihdi, Effendi und Emir, welcher mein Freund und Gefährte ist, noch ein einziges unhöfliches Wort sagst, so schlage ich Dir diese Peitsche um das Gesicht, daß Du Deine neugierige Nase für die Moschee des Sultans Murad, den Allah segnen möge, halten sollst. Glaubst Du etwa, wir seien nach Kabatsch gekommen, um uns an Deiner Herrlichkeit zu weiden? Glaubst Du, daß wir meinen, ein Kiaja sei der prächtigste Mann des Erdkreises? Wir haben blatternarbige Stallbuben und Betrüger mit abgeschnittenen Nasen gesehen, welche schöner und ehrwürdiger waren als Du! Warum hat Allah Dir krumme Beine gegeben und eine rothe Warze an die Nase? Etwa um Dich auszuzeichnen vor den anderen Gläubigen? Hüte Dich vor meinem Zorne und nimm Dich in Acht vor meinem Grimme! Ich habe noch ganz andere Kerls, als Du bist, mit dieser meiner Peitsche höflich gemacht!«

Der Kiaja war mehr erstaunt als erschrocken. Er betrachtete den Kleinen vom Kopf bis zu den Füßen und fragte ihn dann:

»Mensch, bist Du etwa deli geworden?«

»Nein; aber wenn Du einen Verrückten kennen lernen willst, so gucke hier in dieses Wasser; da wirst Du Dich selbst sehen. Nur ein Verrückter kann es wagen, meinen Effendi, den mächtigen Emir Hadschi Kara Ben Nemsi, grob zu behandeln.«

»Und wer bist Du?«

»Ich bin Hadschi Halef Omar Bey, der Beschützer der Unschuldigen, der Rächer aller Ungerechtigkeit und der Herr und Meister aller Kiajas, so weit die Sonne scheint.«

Jetzt wußte der gute Beamte wirklich nicht, wie er sich verhalten sollte. Die Aufschneiderei des Kleinen hatte Eindruck gemacht. Er wendete sich zu mir:

»Herr, bist Du wirklich ein so vornehmer Mann?«

»Sehe ich etwa nicht so aus?« fragte ich in strengem Tone.

»O, Du hast das Aussehen eines Emirs; aber Du hast doch diesen Mann hier zu Tode gejagt.«

»Er selbst ist Schuld daran.«

»Warum?«

»Er stahl mir mein Pferd, und ich verfolgte ihn, um es ihm wieder abzunehmen.«

»Deselim aus Ismilan sollte Pferde stehlen?«

»Glaubst Du etwa nicht, was mein Effendi sagt?« fragte Halef, indem er näher an ihn herantrat und eine sehr bezeichnende Handbewegung nach dem Gürtel machte.

»O, ich zweifle nicht daran,« meinte der Kiaja schnell. »Aber kann der Effendi auch beweisen, daß der Rappe sein wirkliches Eigenthum war?«

»Hier ist der Beweis!«

Dabei schlug Halef mit der Hand an die Peitsche. Ich aber deutete auf den Sahaf und sagte:

»Frage diesen! Er weiß, daß das Pferd mein Eigenthum ist.«

»Woher soll er es wissen? Er kennt Dich doch nicht; Du bist ja ein Fremder!«

»Er kennt mich und hat mich den Rappen reiten sehen.«

»Ist das wahr?«

»Ja,« antwortete der Sahaf, an den diese letztere Frage gerichtet gewesen war.

Da machte mir der Kiaja eine Verbeugung und sagte:

»Ich glaube es. Dennoch aber, Effendi, wirst Du mich nach meinem Hause begleiten müssen.«

»Als Gefangener?«

»Nicht ganz, sondern nur halb.«

»Gut! Welche Hälfte willst Du arretiren? Die andere hat keine Zeit, mitzugehen, und wird weiter reiten.«

Er blickte bei offenem Munde mich an. Die am andern Ufer versammelten Bewohner von Kabatsch aber ließen ein lautes Gelächter hören. Da rief er zornig zu ihnen hinüber:

»Was habt Ihr zu lachen? Ihr Menschen, Ihr Unterthanen, Ihr Sklaven! Wisset Ihr nicht, daß ich der Bevollmächtigte und der Vertreter des Sultans bin? Ich lasse Euch Alle einsperren und Allen die Bastonnade geben!«

Und zu mir gewendet fuhr er fort:

»Warum machst Du mich lächerlich vor meinen Leuten?«

»Warum machst Du Dich lächerlich vor mir? Ist es nicht lächerlich, zu sagen, daß ich ein halber Gefangener sei?«

»Deine Unschuld ist nur erst halb erwiesen!«

»So will ich sie Dir ganz beweisen!«

»Thue es!«

»Gern und sogleich! Siehst Du dieses Gewehr und dieses Messer? Ich werde Jeden, der mich verhindert, abzureisen, niederschießen oder ihm die Klinge geben. Und hier ist der andere Beweis. Kannst Du lesen?«

»Ja.«

»So lies hier mein Jol tezkeressi, welches das Siegel des Großherrn trägt!«

Ich gab ihm das Dokument hin. Als er das Siegel erblickte, drückte er es an Stirn, Mund und Brust und sagte:

»Effendi, Du hast Recht; Du bist unschuldig. Du kannst reisen.«

»Gut! Was wird mit diesem Todten geschehen?«

»Wir werden ihn in das Wasser werfen. Die Ystakoslar mögen ihn fressen, weil er Dich beleidigt hat.«

»Das werdet Ihr nicht thun. Ihr werdet seinen Tod seinen Anverwandten melden, damit sie kommen, um ihn zu begraben. Er soll auf ehrliche Weise zu seinen Ahnen versammelt werden. Wenn ich höre, daß Ihr das Gegentheil thut, werde ich es dem Oberrichter von Rumili melden.«

»Bist Du sein Freund?«

»Was fragst Du?« antwortete Halef an meiner Stelle. »Der Rumili Kaseri askeri ist unser Freund und Verwandter. Meine Lieblingsfrau ist die Tochter seines Lieblingsweibes. Wehe Euch, wenn Ihr nicht gehorcht!«

Er ging, um Rih herbeizuholen. Der Kiaja aber verbeugte sich tief und sagte zu mir:

»Allah gebe der Lieblingsfrau Deines Begleiters hundert Jahre und tausend Kinder, Enkel und Enkelskinder! Ich werde thun, was Du mir befohlen hast!«

»Das erwarte ich. Auch wirst Du das Pferd des Todten und Alles, was er bei sich trägt, seinen Verwandten geben.«

»Sie sollen Alles erhalten, o Effendi!«

Ich war vom Gegentheile überzeugt. Doch ging mich das Weitere ja gar nichts an. Ich konnte froh sein, unbelästigt fortreiten zu dürfen, und bestieg den Rappen, den ich fast auf eine so schmähliche Weise verloren hätte.

Ein Pfiff – – er schnellte mit einem Satz über den Bach hinüber. Die Leute stoben, vor Schreck laut aufschreiend, auseinander. Halef folgte zu Fuße nach und bestieg sein Pferd drüben.

»Herr, wolltest Du mich nicht besuchen?« fragte der Sahaf.

»Ja, führe uns. Ich will Deinen Vater sehen.«

Wir ritten voran, und das Volk folgte hinterher, nachdem der Kiaja einen Wächter zu der Leiche gestellt hatte. Bei dem kleinen Häuschen des Sahaf stiegen wir ab und traten ein. Das Innere der Hütte war auch in zwei ungleiche Hälften getheilt. In der größeren bemerkte ich auf dem Lager einen alten Mann, welcher uns mit den Augen bewillkommnete, ohne sprechen oder sich bewegen zu können.

»Vater, das ist der Herr, von dem ich Dir erzählt habe,« sagte der Sohn.

Ich trat zu dem Alten, ergriff seine Hand und sprach einen freundlichen Gruß aus. Er dankte durch einen ebenso freundlichen Blick seiner Augen. Das Lager war reinlich, und der Alte zeigte eine hier nicht gewöhnliche Sauberkeit. Das freute mich. Ich fragte ihn:

»Kannst Du meine Worte verstehen?«

Er nickte mit dem Auge.

»Ich bin gekommen, um den ehrwürdigen Vater eines guten Sohnes zu sehen und Ali glücklich zu machen.«

Sein Blick nahm einen fragenden Ausdruck an, darum fuhr ich erklärend fort:

»Er liebt Ikbala, die schönste der Töchter in Rumili. Ihr Vater will sie ihm nicht geben; aber ich werde ihn zwingen, es zu thun. Ali wird mich jetzt zu ihr begleiten.«

»Herr, ist's wahr, ist's wahr?« fragte der Sahaf rasch.

»Ja.«

»Hast Du mit ihr gesprochen?«

»Auch mit ihrer Mutter und mit ihrem Vater.«

»Was hat sie und was hat er gesagt?«

»Sie haben beide >Ja< gesagt, aber der Bäcker sann auf Betrug und Verrath. Ich werde es Dir nachher erzählen. Jetzt aber zeige mir Deine Uhr!«

»Willst Du nicht vorher Etwas genießen?«

»Ich danke Dir. Wir haben nicht Zeit. Ich muß schnell wieder zurückkehren.«

»So komme heraus!«

Er führte mich in die kleinere Abtheilung, in welcher ein Tisch stand, hier eine Seltenheit. Auf demselben erblickte ich das Kunstwerk.

»Das ist es,« sagte er. »Sieh es Dir an.«

Das Zifferblatt fehlte noch. Die Räder waren aus Holz geschnitzt, mit der Hand, gewiß eine mühsame Arbeit.

»Weißt Du, worin die Kunst liegt?« fragte er.

»Ja,« antwortete ich, auf die betreffende Zeigerführung deutend. »Hier ist's.«

»Ja, Du hast es errathen. Diese Uhr wird nicht nur die Saatlar, sondern auch die Dakikalar anzeigen. Hast Du schon so eine Uhr gesehen?«

»O weh, mein bester Sahaf! Mit Deiner Kunst ist es nicht weit her!« dachte ich.

Laut aber antwortete ich:

»Ja. Sieh hier einmal meine Uhr. Sie zeigt die Jahre, Monate, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden an.«

Er nahm mir die Uhr aus der Hand und betrachtete ganz erstaunt die Zifferblätter.

»Herr,« sagte er, »geht sie richtig?«

»Ja, sehr richtig.«

»Aber ich kann sie nicht lesen.«

»Weil die Namen und Ziffern in einer Dir unbekannten Schrift geschrieben sind. Aber hören kannst Du sie.«

Ich ließ die Uhr repetiren. Er fuhr bei dem scharfen, hellen Klang des Schlages zurück.

»Allah akbar!« rief er aus. »Diese Uhr hat entweder Allah gemacht oder der Teufel!«

»O nein! Der sie gemacht hat, war ein frommer Uhrmacher in Germany. Er hat die Uhr als Meisterstück gemacht und sie aber nie verkauft. Als er starb, erhielt sie sein Erbe, nach dessen Tode ich sie bekam.«

»Kann man sie öffnen?«

»Ja.«

»Öffne sie; öffne sie, damit ich sehe, wie sie beschaffen ist.«

»Jetzt nicht; aber in Dschnibaschlü sollst Du sie betrachten dürfen. Dort haben wir Zeit, hier aber nicht.«

»So willst Du sofort aufbrechen?«

»Ja. Vorher aber will ich mein Wort halten und Deinem Vater einen Beït aufschreiben, welcher ihm in seinem Leiden zum Troste gereicht.«

»Ein Beït aus Eurem Tewoat

»Ja.«

»So komm. Ich werde es ihm vorlesen, und er wird eine große Freude haben.«

Ich kehrte mit ihm in den vorderen Raum zurück. Dort sagte er zu dem Kranken:

»Mein Vater, besinnest Du Dich noch auf den alten Kyzyl elma katolik, welcher mir das schöne Beït aufschrieb?«

Der Gefragte bejahte mit den Augen.

»Dieser Effendi ist auch ein Christ und wird Dir ein Beït aufschreiben. Ich lese es Dir vor.«

Ich hatte ein Blatt aus dem Notizbuch gerissen, schrieb und gab es dann dem Sahaf. Dieser las:

»Jaschar-sam jaschar-im Allaha, ölar-sam ölar-im Allaha, jaschar-im jagod ölar-im olyr-im Allaha!«

Das heißt zu Deutsch:

»Wenn ich lebe, so lebe ich dem Herrn; wenn ich sterbe, so sterbe ich dem Herrn; darum möge ich leben oder sterben, so gehöre ich dem Herrn.«

Die Augen des Alten wurden feucht. Er blickte auf seine Hand, welche er nicht zu bewegen vermochte.

»Effendi, er bittet Dich, ihm Deine Hand zu geben,« erklärte mir der Sohn.

Ich folgte dieser Aufforderung und trocknete dem Gelähmten die Thränen in den Augen.

»Allah ist gütig, weise und gerecht,« sagte ich. »Er hat Deine Glieder gebunden, damit Deine Seele desto fleißiger mit ihm verkehre. Wenn einst Dein scheidender Geist an der Brücke zur Ewigkeit auf die beiden Engel trifft, welche die Thaten der Verstorbenen prüfen, so wird in ihren Händen die Ergebung in Dein Leiden schwerer sein, als Alles, was Du hier fehltest. Mögen die Herrlichkeiten des Himmels Dir offen entgegenleuchten!«

Er schloß die Augen, und über sein faltiges Gesicht legte es sich wie ein Frieden nach glücklich zu Ende geführtem Seelenkampfe. Er öffnete die Augen auch nicht, als wir die Stube verließen.

»Herr,« fragte draußen der Sahaf, »warum hast Du das Beït nicht in der Sprache geschrieben, welche man jetzt spricht?«

»Der Kuran wurde auch nicht im neuen Arabisch geschrieben. Ein Beït muß in ehrwürdigen Worten verfaßt werden. Aber warum sprichst Du jetzt anders als vorher zu mir?«

»Ich?« fragte er, einigermaßen verlegen.

Er hatte mich bei dieser zweiten Begegnung >Du< genannt, vorher aber >Sie<. Nach einer Pause sagte er:

»Weil ich Dich lieb habe. Zürnest Du mir?«

»Nein. Hole Dein Pferd. Wir reiten nach Dschnibaschlü.«

Während er hinter das Haus ging und wir auf ihn warteten, hätte ich gern den kleinen Halef nach seinen Erlebnissen gefragt; aber es umgab uns ein Haufe von Menschen, welche sich in lauten Ausrufungen über das Geschehene ergingen und unsern Personen ein so zudringliches Interesse widmeten, daß von einer Unterhaltung zwischen uns Beiden gar keine Rede sein konnte.

Dann kam der Sahaf auf seinem Pferde, und in scharfem Trabe begannen wir die Rückkehr, da wir über das Befinden Omar's und Osko's in Ungewißheit waren.

Während dieses Rittes nun wendete ich mich mit meinen Erkundigungen an den kleinen Hadschi:

»Ich habe so lange Zeit auf Euch gewartet, und Ihr kamt doch nicht. Hattet Ihr Euch vielleicht verirrt?«

»Nein, Effendi. Wir sind genau auf dem Wege geblieben, den Du uns vorgeschrieben hattest; aber – –«

Er stockte und blickte mich von der Seite an, um zu erforschen, ob ich so gelaunt sei, daß er es wagen dürfe, mir eine unangenehme Mittheilung zu machen.

Ich befand mich jedoch in keiner grimmigen Stimmung. Überhaupt ist es stets mein Bestreben gewesen, keiner sogenannten Laune die Herrschaft über mich einzuräumen; ein launenhafter Mensch ist mir ein Gräuel. Es hat ein Jeder gegen seinen Nächsten die Pflicht, die momentane Seelenstimmung, welche sich seiner bemächtigen möchte, zu beherrschen. Nur dadurch beherrscht man dann auch den Andern. Übrigens war ich durch das Erscheinen meines wackeren Halef aus einer mißlichen Lage befreit worden. Ich schuldete ihm wirklich großen Dank. Ich hatte ferner mein Pferd wieder gewonnen; es gab also für mich gar keine Veranlassung zu einer üblen Stimmung. Dennoch machte ich ein recht grimmiges Gesicht, um den Kleinen dann durch eine nachsichtige Antwort desto mehr erfreuen zu können. Da ich nun gar nicht antwortete und auch möglichst finster dreinschaute, rückte er sich im Sattel fest und fragte:

»Kejfi jerinde sen – bist Du bei guter Laune?«

»Chajyr, Hadschi – nein, Hadschi.«

Das klang so fremd, daß er erschrack.

»Aj hai – o wehe!«

»Warum klagst Du?«

»Weil ich Dich erzürnen muß.«

»Womit?«

»Es ist uns ein Unglück passirt.«

»Welches?«

»Er ist fort.«

»Wer denn?«

»Der Letzte.«

»Welcher Letzte? So rede doch!«

»Der letzte Khawaß.«

Er stieß das mit einem Seufzer aus, der trotz des Hufschlages unserer Pferde zu vernehmen war.

»Lilla elhamd – Gott sei Dank!«

Ich sagte das in einem solchen Tone der Freude, daß er mich ganz erstaunt anblickte.

»S'lon – wie?« fragte er, sichtlich erleichtert.

»Hada jißlah li; hada ja'dschibni – das behagt mir; das ist mir recht!«

»Effendi, habe ich Dich richtig verstanden?«

»Ich hoffe es!«

»Du zürnst nicht, daß er fort ist?«

»Nein. Ich bin ganz im Gegentheile Dir und ihm sehr dankbar dafür.«

»Aber warum denn?«

»Weil dieser Mensch uns doch nur belästigte und unsern Ritt ungebührlich verzögert hätte.«

»Warum hast Du ihn aber mitgenommen?«

»Einige Khawaßlar hätten uns allerdings von Nutzen sein können; da aber diese Leute nicht zu reiten verstanden und ihr Anführer lieber befehlen als gehorchen wollte, so ist es besser, daß wir uns nicht mehr mit ihnen zu ärgern brauchen.«

»Sarif, tajib – schön, gut! Du nimmst mir eine große Last vom Herzen! Ich habe wirklich Angst gehabt!«

»Vor mir, Halef?«

»Ja, Sihdi, vor Dir!«

»Kennst Du mich noch so wenig? Du hast mir so lange Zeit die größten Dienste geleistet und mich auch heute wieder vom wahrscheinlichen Tode errettet. Du bist mein Freund und Beschützer – und Du fürchtest Dich vor mir? Geh, lieber Halef! Das ist nicht klug von Dir!«

»O, noch viel weniger klug war es von mir, daß ich diesen Menschen entkommen ließ!«

»Er ist also ausgerissen?«

»Ja, richtig ausgerissen.«

»Ah, ich ahne es: mit dem Packpferde natürlich?«

»Ja, mit dem Pferde, welches die Gaben trug, die wir durch Malhem, den guten Pförtner, erhielten.«

»Laß ihn laufen!«

Jetzt machte er ein erstauntes, fast böses Gesicht.

»Was? Ihn laufen lassen?« fragte er. »Das habe ich nicht gethan. Wir sind ihm nachgeritten, eine ganz große Strecke rückwärts. Wir wollten ihn ergreifen. Aber es war ja Nacht, und da konnten wir seine Spur nicht sehen!«

»Ihr seid also in's Blaue hineingeritten. O wehe! Damit habt Ihr nur die kostbare Zeit versäumt.«

»Leider! Wir sind beinahe bis Geren zurückgeritten. Da kannst Du Dir denken, wie viel wir versäumt haben. Ich habe geflucht und gewettert, daß Allah den Kopf geschüttelt hat, denn ich bin sonst ein frommer Mann. Heute Nacht aber war ich so zornig, so wüthend und voll von Grimm, daß ich tausend Riesen erschlagen hätte, wenn sich einer von ihnen mir in den Weg gestellt hätte.«

»Trösten wir uns! Wir haben an Anderes zu denken.«

»Uns trösten? Effendi, ich kenne Dich nicht mehr, ich begreife Dich nicht! Weißt Du denn, welche Geschenke es waren, die uns unser Gastfreund verehrt hat?«

»Ich habe nicht öffnen lassen. Lebensmittel jedenfalls.«

»Aber ich habe geöffnet!«

»Ah, Du warst neugierig?«

»Neugierig? Es ist stets vortheilhaft, zu wissen, was man geschenkt erhält und was man mit sich führt. Es war dabei ein vortrefflicher Boghatscha, so dick wie ein großer Djirmen-taschy, mit tausend Koz helwassylar und Kuru üzümler. Leider aber war er bereits gequetscht worden. Sodann gab es zwei kostbare Chaschalar, jedenfalls für Dich und mich. Ferner fand ich eine ganze Anzahl seidener Jemeni-mahramalar, sehr schön zum Schmuck des Kopfes passend. Wie gern hätte ich eins davon meiner Hanneh mitgenommen! Nun ist sie darum gekommen! Ja schema' dan el mahabe, ïa schems el amel, ïa warde el benat – o Leuchter der Liebe, o Sonne der Hoffnung, o Rose der Töchter!«

Da kam ja mit einem Male die Liebe zu seiner guten Hanneh zum Durchbruch! Ich versuchte, ihn zu trösten:

»Klage nicht, Hadschi! Daß wir den Kuchen, die Schabracken und die Tücher zu verlieren hatten, das stand im Buche des Lebens verzeichnet. Es gibt auch anderwärts seidene Tücher, und ich werde dafür sorgen, daß Du nicht mit leeren Händen zur Schönsten der Töchter zurückkehrst!«

»Allah gebe es! Ich freue mich nur, daß ich wenigstens den Beutel gerettet habe.«

»Welchen Beutel?«

»Als ich öffnete, fand ich einen Beutel, aus Kedi-deri gemacht. Die Schnur war zugebunden und versiegelt; aber er war so schwer, und es klang so silbern, daß ich überzeugt sein mußte, es befinde sich Geld darin.«

»Ah, den hast Du eingesteckt?«

»Ja, ich habe ihn hier in der Tasche. Es hängt ein Pergamentstreifen daran; darauf steht: Dostima Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi. Der Beutel ist also für Dich – hier, nimm ihn!«

Er zog ihn aus der Tasche und gab ihn mir herüber. Ich wog ihn in der Hand. Ja, es befand sich Geld darin. Dostima heißt: >an meinen Freund<. Handelte es sich vielleicht um ein Freundschaftsgeschenk? Für mich? Geld? Vielleicht Reisegeld? Hm! Ich steckte den Beutel ein und sagte:

»Wir werden ihn später öffnen. Jedenfalls ist es von Dir sehr klug gewesen, ihn zu Dir zu nehmen. Jetzt müssen wir von Anderem sprechen, denn wir haben fast die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Also, wie konnte der Khawaß Euch entfliehen?«

»Es war finster. Wir stiegen bei einem Hause ab, in dessen Nähe sich ein Ziehbrunnen befand. Wir wollten die Pferde tränken. Der Khawaß schöpfte Wasser. Ich ging in das Haus, um mich bei dem Besitzer nach dem Wege zu erkundigen. Osko und Omar blieben nicht draußen; sie kamen auch herein, und als wir dann zum Brunnen zurückkehrten, war der Khawaß mit seinem Pferde und mit unserm Pack-Pferde verschwunden.«

»Hörtet Ihr nicht den Hufschlag der Thiere?«

»Nein; aber dennoch eilten wir ihm nach.«

»O nein, das habt Ihr nicht gethan,« antwortete ich lachend.

»Nicht? Wir sind im Galopp zurückgeritten, konnten ihn aber nicht mehr erreichen.«

»Weißt Du denn, ob er zurückgeritten ist? Er wird wohl so klug gewesen sein, einen ganz andern Weg einzuschlagen.«

»Ah! Der Betrüger! Der Heuchler!«

»Vielleicht hat er gar nur die Pferde bei Seite geführt und gewartet, was Ihr thun würdet. Danach hat er sich dann sehr leicht richten können.«

»O, daran habe ich nicht gedacht! Sollte er wirklich so klug gewesen sein? Er hatte doch ein so dummes Gesicht! Ich wollte, ich hätte ihn hier vor mir! Und wenn er alle seine Knochen nummerirt hätte, er sollte sie doch nicht wieder zusammenfinden können! Mich zu betrügen, mich, Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah!«

Er zog die Peitsche aus dem Gürtel und schlug damit durch die Luft, als ob er den Missethäter vor sich habe.

»Tröste Dich!« sagte ich. »Wann seid Ihr dann nach Koschikabak gekommen?«

»Eine Stunde, nachdem Du fort warst. Du hattest uns dem Schmied beschrieben; er erkannte uns also gleich und hielt uns an. Bei ihm erfuhren wir, was geschehen war. Er zeigte uns den Gefangenen. Wir warteten. Du kamst nicht, und ich empfand Besorgniß. Da beschloß ich, Dir nach Dschnibaschlü zu folgen. Dabei kam mir ein Gedanke, über den auch Du Dich freuen wirst.«

»Welcher?«

»Der Schmied hatte mir von der Koptscha gesagt. Der Gefangene trug eine. Der Knopf ist ein Erkennungszeichen; er konnte mir gute Dienste leisten. Ich nahm ihn also diesem Manne, der sich Agent Pimosa genannt hat, ab und steckte ihn an meinen Fez.«

»Vortrefflich! Ich habe ja gesehen, welche Wirkung der Knopf gehabt hat.«

»Wirst Du nun noch einmal sagen, daß ich unklug bin?«

»Nein, Du bist ein Ausbund von Weisheit.«

»Ja; aber zuweilen lasse ich die Khawaßlar entfliehen! Dann in Dschnibaschlü ritten wir stracks zu dem Bäcker. Wir trafen nur das Weib und die Tochter desselben. Effendi, als ich die Alte sah, bin ich fast in alle Ohnmachten gefallen! Hast Du einmal genau in einen Ary kowany geschaut?«

»Ja.«

»Da gibt es eine Kralitscha, deren Leib aufgeblasen ist, wie ein Kürrei hewarewan. Man sagt, daß diese Königin in einem Tage mehrere tausend Eier legt. Sihdi, grad wie so eine Kralitscha ist mir die Frau vorgekommen!«

»Aber sie hat ein gutes Gemüth!«

»Ja; sie und ihre Tochter haben mich gewarnt. Der Gehilfe war mit einer Botschaft fortgeschickt worden. Dann war der Kaffeewirth aus Ismilan gekommen und hatte mit dem Bäcker von Dir gesprochen, worauf sie sich eiligst auf den Weg gemacht hatten. Dies theilte uns Ikbala, die Tochter, mit. Es war ihr auch bang um Ali, den Sahaf, der jetzt hinter uns reitet. Sie bat mich, Dir nachzufolgen. Ich hätte das ganz von selbst gethan.«

»Du kamst zur rechten Zeit, lieber Halef!«

»Ja. Ich hatte Eile; aber ich war dennoch vorsichtig. Ich hörte ein Pferd wiehern. Darum ritt ich allein und vorsichtig voran. Ich sah die Lichtung mit der Hütte; ich sah Deinen Rih und noch einige andere Pferde; Du befandest Dich also in der Hütte mitten unter den Feinden; sie hatten Dich wohl gar gefangen genommen. Drei Reiter hätten Deine Gegner zur Vorsicht veranlaßt, während ein Einzelner ihnen nicht gefährlich vorkommen konnte. Darum versteckte ich Osko und Omar zwischen den Bäumen und sagte ihnen, was sie thun sollten; dann ritt ich allein nach der Hütte.«

»Das war sehr vorsichtig und auch sehr muthig von Dir. Du hast bewiesen, daß ich mich auf Dich verlassen kann.«

»O Effendi, Du bist mein Lehrer und mein Freund! Was dann geschah, das weißt Du.«

»Ja. Aber warum bist Du nicht bei der Hütte zurückgeblieben, Halef?«

»Sollte ich Dir Deinen Rih stehlen lassen?«

»Du konntest nichts dagegen thun; Dein Pferd war nicht schnell genug, um den Rappen zu erreichen.«

»Das Deinige auch nicht. Hättest Du den Dieb täuschen können – ohne mich? Hättest Du ihn zwischen Dich und mich nehmen können? Er sah nur mich; er glaubte, ich sei sein einziger Verfolger. Darum erschrack er, als er bemerkte, daß Du ihm den Weg abgeschnitten habest. Er mußte zurück, und dadurch kam Rih wieder in Deine Hand. Wäre das gelungen – ohne mich?«

»Nein. Du hast vollständig Recht. Aber ich sorge mich um unsere beiden Begleiter.«

»Das ist nicht nöthig; sie sind tapfer.«

»Aber sie haben die Übermacht gegen sich; ihre Feinde sind durch die Hütte geschützt.«

»Sie sind in der Hütte nicht nur geschützt, sondern auch zugleich gefangen.«

»Wie lange? Sie können durch das Fenster oder durch die Thüre Omar und Osko mit ihren Kugeln treffen.«

»Nein. Du hast den Beiden ja Deine Weisungen gegeben. Und auch ich rief ihnen, ehe ich Dir folgte, zu, daß sie sich hinter die Bäume stecken und auf Jeden schießen sollten, dem es einfallen würde, die Hütte zu verlassen. Was wirst Du mit diesen Menschen thun?«

»Das kommt auf ihr Verhalten an. Gib Deinem Pferde die Sporen!«

Der Sahaf hatte sich ehrerbietig hinter uns gehalten. Als er jetzt bemerkte, daß mein Gespräch mit Halef beendet sei, kam er an meine Seite und fragte:

»Herr, darf ich erfahren, was geschehen ist und weßhalb ich Dich begleiten soll?«

»Nachher! Ich hoffe, daß Du noch heute Ikbala, die schönste Jungfrau in Rumili, in Gegenwart ihres Vaters begrüßen wirst. Jetzt wollen wir eilen, aber nicht sprechen.«

Wir waren unterdessen in den Wald gekommen und befanden uns in kurzer Zeit in der Nähe der Lichtung. Da zügelten wir die Pferde, damit man unsere Annäherung nicht so leicht hören könne. Fast an dem Rande der Lichtung angekommen, stieg ich vom Pferde und gab dies dem Hadschi zu halten.

»Bleibt hier zurück,« sagte ich. »Ich werde zunächst einmal recognosciren. Gib mir den Stutzen, Halef!«

»W' Allah! Richtig! Den habe ich ja immer noch! Hier, Sihdi! Sollen wir warten, bis Du zurückkommst?«

»Ja; außer Du hörst meinen Ruf.«

Ich schlich mich von Baumstamm zu Baumstamm vorwärts, bis ich den freien Platz ganz überblicken konnte. Die Pferde standen noch vor der Hütte. Aus dem Fenster ragten zwei Flintenläufe hervor. Die Insassen des Gebäudes hatten sich also in Vertheidigungszustand gesetzt. Es war mir ja leider nicht möglich gewesen, ihre Waffen zu entfernen.

Das Belagerungscorps, bestehend aus Osko und Omar, war nicht zu sehen. Die Beiden standen jedenfalls hinter starken Bäumen versteckt. Ich machte also einen Bogen, bis ich mich im Walde gegenüber der Hütte befand, und da sah ich die zwei Gesuchten mit angelegten Gewehren liegen. Ich näherte mich ihnen so weit, als es möglich war, ohne drüben gesehen zu werden. Sie bemerkten mich und gaben mir ihre Freude durch gedämpfte Ausrufe zu erkennen.

»Ist Einer entkommen?« fragte ich.

»Nein,« antwortete Osko.

»Habt Ihr geschossen?«

»Fünfmal.«

»Und die Männer da drüben?«

»Auch dreimal; sie haben aber nicht getroffen. Sie können nicht heraus und wir nicht hinein. Was ist da zu thun?«

»Ihr bleibt hier, bis Ihr mich an der Hütte seht – –«

»Was! Du willst hin?«

»Ja.«

»Sie erschießen Dich!«

»Nein. Ich schleiche mich von hinten heran. Dort gibt es kein Fenster; sie können mich also nicht sehen. Halef ist bei mir. Wenn wir uns dort befinden, kommt Ihr nach, natürlich auch von hinten. Was wir dann thun, das muß sich erst finden. Wo habt Ihr Eure Pferde?«

»Etwas weiter drin im Walde angebunden.«

»Laßt sie da, bis die Belagerung zu Ende ist!«

Ich kehrte jetzt wieder zu Halef zurück und theilte ihm meinen Entschluß mit. Er war einverstanden. Er nickte mir pfiffig zu und fragte:

»Siehst Du die Gewehrläufe, welche dort aus dem Fenster ragen, Sihdi?«

»Ja freilich.«

»Diese Gewehre werden nicht lange mehr so neugierig sein!«

»Ah! Meinst Du? Richtig, ich dachte auch daran.«

»Wir schleichen uns hinan, greifen plötzlich zu und ziehen die Flinten zum Fenster heraus!«

»Wollen es versuchen.«

»Und was soll ich thun?« fragte der Sahaf.

»Wenn wir bei der Hütte sind, bringst Du unsere Pferde nach, aber auf einem Umwege von hinten. Hinter der Hütte bindest Du sie an die Bäume und kannst dann zu uns kommen.«

Er erhielt die Zügel unserer Pferde, und wir schlugen einen Bogen nach der hinteren Seite des Gebäudes. Wir erreichten es ganz glücklich und blieben zunächst lauschend stehen. Es war Alles ruhig.

»Jetzt, Sihdi!« flüsterte Halef.

»Aber nur vorsichtig! Die beiden Gewehre können leicht losgehen. Wir müssen uns hüten, getroffen zu werden. Haben wir die Gewehre, so eilen wir an die beiden vorderen Ecken des Gebäudes. Wir sind dann, hinter ihnen versteckt, vollständig sicher und können Jedem, der heraustreten will, aus nächster Nähe eine Kugel senden. Komm!«

Ich lugte um die Ecke. Die beiden Gewehrläufe ragten etwa acht bis neun Zoll aus der Fensteröffnung heraus. Ich bückte mich – einige leise Schritte, Halef an meiner Seite – ein Griff, ein Ruck, ein Sprung zurück: wir waren wieder hinter der Ecke und hatten die beiden langen, türkischen Flinten in den Händen.

Drinnen blieb es noch einige Augenblicke ruhig, jedenfalls vor Überraschung. Da riefen Osko und Omar von drüben herüber laut:

»Aferim, aferim – bravo, bravo!«

Und nun wurde es auch in der Hütte laut. Wir hörten die verschiedensten Flüche, Ausrufe des Schreckens, der Verwunderung, rathlose Fragen; wir antworteten aber nicht.

»Geh' Du hinten herum an die andere Ecke,« flüsterte ich Halef zu. »Dann haben wir die Thüre zwischen uns.«

Er nickte und schlich sich davon.

Jetzt vernahm ich ein leises Zischeln im Innern der Hütte. Ich strengte das Ohr an und glaubte ein >Unter dem Fenster versteckt!< zu vernehmen. Ich vermuthete, was man jetzt thun werde, und beobachtete, nur die Hälfte des Gesichtes vorstreckend, die Fensteröffnung.

Richtig! Die Doppelläufe eines Pistoles kamen zum Vorschein. Man wollte am Fenster herniederschießen, das war mit einem Gewehr unmöglich; darum bediente man sich eines Pistoles. Ich nahm den Lauf meiner Büchse in die Hand und erhob den Kolben.

Erst sah ich die Läufe des Pistoles, dann das Schloß, endlich auch die Hand, welche die Waffe hielt. Der Besitzer dieser Hand war entweder sehr kühn oder sehr leichtsinnig; ich konnte sie ihm mit einer Kugel sofort zerschmettern. Statt dessen aber holte ich mit dem Kolben aus, zwar wenig nur, aber als ich die Hand traf, ertönte trotzdem drinnen ein fürchterlicher Schrei. Die Hand war verschwunden; die Pistole aber lag unter dem Fenster an der Erde.

Halef hatte von der andern Ecke her den Vorgang beobachtet. Er sagte laut:

»Eji, pek eji – gut, sehr gut, Effendi! Dieser dumme Kerl wird seine Hand in Zukunft lieber in die Tasche stecken. Wir haben nun drei Waffen erbeutet!«

»Iahu, ajy awdschy – holla, der Bärenjäger!« hörte ich drin rufen.

Man hatte Halef also an der Stimme erkannt.

»Ja, ich bin es,« antwortete er. »Kommt heraus! Da es hier keine Bären gibt, so will ich einmal Fena kokulu kiprlar jagen.«

Es trat eine Pause ein. Drinnen berieth man sich. Dann ertönte die Frage:

»Bist Du allein?«

»Nein.«

»Wer ist bei Dir?«

»Der Effendi, den Ihr gefangen hattet, und außerdem noch drei Andere.«

Jetzt sahen wir nämlich Osko und Omar herankommen, und auch der Sahaf war beschäftigt, die drei Pferde anzubinden. Halef hatte also keine Unwahrheit gesagt. Nach einer Weile erkundigte man sich:

»Wo ist der Ismilaner?«

»Todt.«

»Du lügst!«

»Sage das noch einmal, so werfe ich Euch Feuer auf das Dach, und Ihr Alle müßt verbrennen. Mit Leuten Eures Gelichters pflege ich nicht zu spaßen!«

»Wie soll er denn gestorben sein?«

»Er hat den Hals gebrochen.«

»Wo denn?«

»Er wollte auf dem gestohlenen Rappen über den Bach bei Kabatsch setzen, fiel aber herab und schlug sich das Genick entzwei.«

»Wo ist das Pferd?«

»Wir haben es wieder.«

»Wenn dies wahr ist, so mag Dein Effendi doch einmal seine Stimme hören lassen.«

»Das kann geschehen,« antwortete ich jetzt.

»Bei Allah, er ist es!«

Der, welcher diese Worte in erschrockenem Tone ausrief, war der dicke Bäcker. Ich erkannte seine fette Stimme.

»Ja, ich bin es,« fuhr ich fort. »Ich frage Euch, ob Ihr Euch uns ergeben wollt?«

»Geh zum Teufel!«

»Das werde ich nicht thun, aber etwas Anderes, was Euch nicht lieb sein wird.«

»Was?«

»Ihr habt mich ermorden wollen, und nun befindet Ihr Euch in meiner Hand. Ich bin kein Moslem; ich bin ein Christ und will mich nicht an Euch rächen. Sendet mir den Bojadschi Boschak heraus. Er soll Mijandschy sein. Ich werde ihm sagen, unter welcher Bedingung ich auf Rache verzichte. Gehorcht Ihr diesem Befehle nicht, so sende ich einen meiner Leute zum Stareschin von Dschnibaschlü. Dieser wird Euch gefangen nehmen, und Ihr könnt Euch denken, was dann folgt.«

Drin wurde geflüstert.

»Gehe hinaus!« hörte ich dann sagen.

»O Allah! Er wird mich ermorden!« wehrte sich der Dicke.

»Denkt auch an die Teppiche, welche Ihr versteckt habt!« warnte ich sie. »Auch diese sind verloren, wenn Ihr nicht thut, was ich verlange.«

»Was wirst Du mit dem Bojadschi thun?« fragte Einer.

»Ich will ihm nur sagen, unter welcher Bedingung ich Euch frei gebe.«

»Du wirst ihm nichts thun?«

»Nein.«

»Er darf also wieder herein, wenn Du mit der Unterredung mit ihm fertig bist?«

»Ja.«

»Willst Du uns dies bei Allah und dem Propheten versichern?«

»Ich habe Euch gesagt, daß ich ein Christ bin. Ich schwöre bei keinem Propheten.«

»Wie heißt Dein Allah?«

»Tanry – Gott!«

»So schwöre bei Deinem Tanry!«

»Auch das thue ich nicht. Unser Kurtarydschy hasreti Yssa hat das Schwören verboten. Wir Christen sagen Ja oder Nein und halten unser Wort.«

»Du wirst uns nicht betrügen?«

»Nein.«

»So gib uns Dein Wort!«

»Ich gebe es. Ich verspreche Euch Folgendes: Wenn Ihr mir den Bojadschi herausschickt und Euch ruhig verhaltet, bis ich mit ihm gesprochen habe, so wird ihm kein Haar gekrümmt werden, und er darf unbelästigt und unbeschädigt wieder zu Euch gehen.«

»Aber wenn Du mit ihm nicht einig wirst?«

»So wird er Euch mittheilen, was ich zu thun beabsichtige. Übrigens werdet Ihr, wenn Ihr Euch still verhaltet, jedes Wort unseres Gespräches verstehen können. Ihr werdet daraus ersehen, daß ich sehr nachsichtig bin; ja, Ihr werdet sogar mit Freuden thun, was ich verlange.«

»Dein Wort hast Du gegeben; aber werden Deine Begleiter ihm auch nichts thun?«

»Nein; ich verspreche es Euch.«

»So mag er hinauskommen.«

Der Dicke schien nicht zu wollen; es gab einen längeren, halblauten Wortwechsel. Unterdessen stellte ich Osko und Omar an die beiden Ecken, welche von mir und Halef besetzt gewesen waren. Sie erhielten die Weisung, beim geringsten Zeichen der Feindseligkeit ihre Waffen in Anwendung zu bringen.

»Allah vergebe Euch!« hörte ich den Färber jetzt sagen. »Ich muß mich für Euch opfern. Wenn er mich tödtet, so sorgt für mein Weib und für mein Kind!«

Das klang so tragikomisch, daß ich mir Mühe geben mußte, nicht laut aufzulachen.

Jetzt trat er aus der Hütte. Ich habe manch einen Menschen gesehen, der ein Bild der Scham, Verlegenheit und Angst war, aber so eine Physiognomie, wie der Dicke sie zeigte, war mir doch noch nie vor die Augen gekommen. Er getraute sich nicht, den Blick zu erheben, und blieb zitternd an der Thüre stehen.

»Komm herbei, hierher an die Seite des Hauses,« gebot ich ihm. »Diese beiden tapferen Männer werden einstweilen wachen, daß Deine Gefährten nichts Feindseliges gegen uns unternehmen.«

»Sie werden ruhig in der Hütte bleiben,« versicherte er.

»Das hoffe ich um Deinetwillen! Es soll Dir nichts geschehen, aber bei dem geringsten Versuch ihrerseits würde ich Dir dieses Messer zwischen die Rippen stoßen.«

Ich sagte das in drohendem Tone und zeigte ihm dabei mein Messer.

Der Färber fuhr sich sofort mit beiden Händen erschrocken nach der Magengegend und rief:

»Herr, bedenke, daß ich Ajal-baba bin!«

»Hast Du, als Du mich den Mördern überliefertest, etwa nach meiner Familie gefragt? Komm!«

Ich faßte ihn bei der Hand und zog ihn um die Ecke. Dort standen Halef und Ali, der Sahaf.

»O Wunder Allah's!« rief der Hadschi. »Welch ein Etpartscha ist dieser Mensch! Legt er auch mehrere Tausend Eier in der Stunde?«

Der Färber fand gar keine Zeit, auf diese ihm jedenfalls unbegreifliche Frage zu achten. Er erblickte den Andern und rief erschrocken:

»Ali, der Sahaf!«

»Ja, Dein Güweji, den Du gewiß mit Freuden erwartest,« antwortete ich. »Gib ihm die Hand, und begrüße ihn, wie es zwischen solchen Verwandten schicklich ist!«

Ich meinte, daß er sich weigern werde, aber er streckte dem Sahaf ohne Zögern die Hand entgegen. Der Gruß geschah wortlos; dann sagte ich, auf den Boden deutend:

»Setze Dich, Boschak! Unsere Verhandlung kann beginnen.«

Er blickte verlegen vor sich nieder und sagte:

»Wie will ich dann wieder aufstehen?«

Da legte der kleine Hadschi die Hand an seine Nilpferdpeitsche und sagte:

»Hier, o König aller Dicken, ist ein gutes Mittel zum schnellen Niedersetzen und Aufstehen. Wir haben Dir keinen Divan mitgebracht.«

Im Augenblick plumpste der Bäcker wie ein Mehlsack auf die Erde nieder und bat mit flehender Stimme:

»Laß Deine Peitsche im Gürtel; ich sitze ja schon!«

»Ja. Siehe, wie rasch dies gegangen ist! Ich hoffe, daß uns das Andere ebenso schnell gelingen wird. Effendi, sage ihm, was Du von ihm verlangst!«

»Ja, sage es mir!« wiederholte der Dicke, vor Angst stöhnend.

»Ich verlange vor allen Dingen ein aufrichtiges Bekenntniß von Dir!« sagte ich zu ihm. »Bei der ersten Lüge, welche Du mir machst, schicke ich Dich in die Hütte zurück und lasse den Stareschin kommen. Ich bin ein Emir aus Germanistan; es ist keine Kleinigkeit, einem solchen Manne nach dem Leben zu trachten. Weißt Du, was mit Dir geschehen würde, wenn ich Anzeige machte?«

»Nein.«

»Du würdest vor den Richter geschleppt und zum Tode verurtheilt werden.«

»Ja,« fiel Halef drohend ein. »Du würdest verkehrt an den Dar aghadschy gehängt, mit dem Kopfe nach unten; sodann bekämst Du drei große Flaschen Gift zu trinken, und endlich würde man Dich enthaupten, auch verkehrt, nämlich von den Füßen herauf.«

Dem geängstigten Manne fiel es gar nicht ein, den von dem Hadschi vorgebrachten Unsinn zu bemerken; er faltete die Hände in einander und stieß hervor:

»W' Allah! Das werdet Ihr doch nicht thun!«

»Wohl werde ich es thun, wenn Du mir Deine Zustimmung verweigerst,« erwiederte ich. »Also antworte mir jetzt! Du hast mir Deine Einwilligung für den Sahaf und Ikbala nur scheinbar gegeben?«

»Nein – – ja, ja,« fügte er schnell hinzu, als er meine drohende Miene bemerkte.

»Du hast dann Deinen Gehülfen fortgeschickt, um die Männer, welche sich jetzt in der Hütte befinden, zusammen zu rufen?«

»Ja.«

»Sie sollten mich tödten?«

»Das habe ich ihnen nicht sagen lassen!«

»Aber unschädlich sollte ich gemacht werden?«

»Ja – – ja!«

»Nun, das ist ganz dasselbe, wie getödtet! Ferner: die Teppiche, welche in dem Gestrüpp liegen, befinden sich gegen den Willen der Obrigkeit dort?«

»Nein – – ja, ja, Herr!«

»Nun, so höre! Ich sollte Euren Mordanschlag anzeigen; ich sollte auch dem Kiaja sagen, wo sich die Teppiche befinden. Das Erstere will ich Euch verzeihen; das Letztere brauche ich nicht zu thun, weil ich ein Fremder bin. Aber ich werde dem Sahaf von dem Teppichlager erzählen; er mag dann thun, was seine Pflicht als Untertan des Padischah ist.«

»O, Herr, erzähle ihm nichts!«

»Er wird es erfahren, ganz gewiß! Nun kommt es auf Dich an, ob er als Dein Feind oder als Dein Freund handeln wird. Du hattest dem Mosklan aus Palatza Deine Tochter bestimmt?«

»Ja.«

»Nun, Mosklan ist gefangen. Ich selbst habe ihn gefangen genommen. Ikbala hat den Sahaf lieb und er sie. Ich erwarte, daß Du mir jetzt das Versprechen hältst, welches Du mir gegeben hast.«

Er kratzte sich mit beiden Händen hinter den langen Ohren.

»Nun?« fragte ich.

»Ja, ich werde es halten!« knurrte er.

»Du schwörst es beim Barte des Propheten?«

»Das darf ich nicht!«

»Warum?«

»Du bist ja ein Christ!«

»Aber er ist ein Moslem. Ihm sollst Du es zuschwören, aber doch nicht mir. Entschließe Dich!«

»Herr, wenn Mosklan wieder frei wird, so – – –«

»Schweig!« fuhr ihn der kleine Hadschi an. »Was wollen wir von diesem Schurken wissen! Mache keine langen Reden, sondern fasse Dich kurz, sonst dehne ich Dich mit meiner Peitsche aus, daß Du länger wirst, als zwei halbe Jahrhunderte! Willst Du Deine Tochter dem Sahaf geben oder nicht? Ja oder Nein!«

»Ja – ja!«

»Du schwörst es uns zu?«

»Ja.«

»Beim Barte des Propheten und bei den Bärten aller frommen Khalifen und Gläubigen?«

»Ja.«

»Das ist Dein Glück. Ich hätte keinen Augenblick länger gewartet!«

»Herr, ist es nun gut?« wendete sich der Geängstigte zu mir. »Wirst Du uns nun frei geben?«

»Nein. Wir sind noch nicht zu Ende.«

»Was verlangst Du noch?«

»Du hast mir bereits einmal Dein Wort gegeben, ohne es halten zu wollen. Jetzt werde ich mich sicherer stellen. Du wirst dem Sahaf Deine Einwilligung nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich geben.«

»Wie denn?«

»Wir fertigen ein gültiges Isbat an, welches Du zu unterschreiben hast.«

»Ja, wir werden es anfertigen, in meiner Wohnung. Aber laß uns nur vorher frei!«

»Nein, laß ihn nicht frei!« sagte jetzt der Sahaf, welcher sich bisher ganz schweigsam verhalten hatte. »Ich kenne ihn. Du weißt, daß ich heilige Schriften verkaufe. Ich habe stets Papier, Feder und Tinte in der Satteltasche. Er mag das Isbat gleich jetzt anfertigen.«

»Das meine ich auch!«

»Ich kann aber nicht!« wendete der Färber ein. »Ich kann nicht schreiben; ich bin so aufgeregt; ich habe das Zittern. Mein Körper ist wie ein Berg voller Feuer und Erdbeben!«

»Soll ich dieses Erdbeben vielleicht beruhigen?« fragte der Hadschi mit einer bezeichnenden Handbewegung nach seiner Peitsche.

»O Allah, o Allah!« jammerte der Dicke. »Ich bin wie ein Strauch, der zwischen zwei Felsen zermalmt wird!«

»Oder wie ein Schaf, an welchem zwei Löwen zerren!« lachte Halef. »Mein Effendi wird Dir nur eine einzige Minute Frist zum Überlegen geben.«

»Ist das wahr, Herr?« fragte er.

»Ja. Ist die Minute verstrichen, so kannst Du wieder in die Hütte gehen; ich aber sende zum Kiaja!«

»Nun wohlan! Mag Mosklan mir zürnen; ich kann nicht anders! Ich werde unterschreiben!«

»Das genügt mir aber noch nicht.«

»Nicht? Was willst Du denn noch mehr?«

»Deine Gefährten haben mit Dir gesündigt; sie mögen nun auch mit dafür sorgen, daß Du Dein Wort hältst. Sie sollen gleichfalls schwören und unterschreiben, wie Du. Sie sollen mit uns zu Dir reiten, und Du gibst die Hand Deiner Tochter vor unser Aller Augen in die Hand des Sahaf!«

»Sie werden es nicht thun.«

»Warum nicht?«

»Sie können nicht schreiben.«

»Vielleicht so gut wie Du. Und wenn sie wirklich ihren Namen nicht schreiben können, so mögen sie ihr Zeichen unter die Schrift setzen. Ich verlange nur das von ihnen; dann sind sie frei.«

»Und sie werden es doch nicht thun, denn – – –«

»Halt, Boschak!« unterbrach ihn eine Stimme von innen. »Sollen wir uns Deinetwegen in Gefahr begeben? Effendi, ist dies wirklich Alles, was Du verlangst?«

»Ja.«

»Dann wirst Du nicht davon sprechen, was Dir hier geschehen ist?«

»Nein!«

Ich erkannte die Stimme des Bettlers; er war der Haupt-Missethäter und trachtete also am eifrigsten, die Gefahr von sich abzuwenden. Kaum hatte er mein Nein gehört, so sagte er:

»Dann mag der Bojadschi das Isbat unterschreiben. Wir thun es auch.«

»Was wird Mosklan sagen?« warf der Dicke ein.

»Nichts darf er sagen. Du weißt, daß er mich zu fürchten hat. Er darf nicht widerstreben.«

»Gut!« sagte ich. »Wir sind einig. Du kannst in die Hütte zurückkehren, Bojadschi.«

»Ohne zu unterschreiben?« fragte er erfreut.

»Wir werden das Isbat drin anfertigen. Ich gehe mit.«

»Um Allah's willen, bleibe!« sagte Halef, indem er mich bei der Hand ergriff.

»Pah! Diese Leute werden mir nichts mehr thun. Ich gehe mit hinein. Hört Ihr, daß mir irgend Etwas geschieht, so legt Ihr Feuer an das Dach und bewacht den Eingang mit Euren Gewehren. Es entkommt dann Keiner.«

»Ja, komm herein, Effendi; Du bist sicher!« rief der Bettler im Innern.

»Sihdi, ich gehe mit!« sagte Halef.

»Gut, überzeuge Dich, daß wir nicht mehr besorgt zu sein brauchen. Stehe auf, Boschak!«

Der Dicke erhob sich stöhnend und ging wankend in die Hütte. Wir folgten ihm. Halef hatte den Revolver gezogen; er steckte ihn aber sogleich wieder zu sich, als er bemerkte, daß die Männer in der einen Ecke saßen und ihre Gewehre in die andere gelehnt und gelegt hatten. Ich gab Omar, Osko und dem Sahaf einen Wink, und sie kamen nun auch herein.

Der Dicke wollte sich noch immer nicht fügen; er fürchtete sich vor Mosklan; aber die Andern, besonders der Bettler, drangen in ihn, und so erklärte er sich endlich einverstanden.

Da ging der Sahaf hoch erfreut zu seinem Pferde und brachte die vorhin erwähnten Requisiten herbei.

»Willst Du schreiben, Herr?« fragte er mich.

»Nein. Du bist der Nischanly; sorge Du dafür, daß Dir die Braut nicht entgehen kann!«

So begann er denn sein stilistisches Meisterstück. Es dauerte sehr lange, bis es fertig war; dann reichte er es mir hin. Ich las die Zeilen und fand, daß er die Sache so verklausulirt hatte, daß nicht ein Hinterthürchen zum Entwischen übrig blieb.

Aber als nun die Unterschrift des Bäckers folgen sollte, begann das Lamento desselben von Neuem.

»Sihdi, wollen wir ihn nicht lieber gleich jetzt aufhängen?« fragte mich Halef. »Gehängt wird er doch! Denn wenn er nicht augenblicklich schreibt, so reite ich fort und hole den Kiaja. Ihr haltet diesen Kerl bis dahin fest!«

»Ich schreibe – ich schreibe!« versicherte er.

Und nun setzte er seinen Namen auf die Urkunde. Der Sahaf wandte sich an die Andern und erhielt schnell nicht nur ihre Handzeichen, sondern auch ihr mündliches Versprechen. Nun, da Alles in Ordnung war, sagte der Sahaf:

»Jetzt reiten wir nach Dschnibaschlü. Ihr sollt Zeugen sein, daß er die Hand Ikbala's in die meinige legt!«

»Laßt mich erst ausruhen!« stöhnte der Färber. »Ich bin ganz matt vor – –«

»Horch!« unterbrach ihn Halef, nach dem Eingange deutend.

Auch ich hatte den Galopp eines Pferdes gehört. Freilich war der Reiter bereits da, denn bei der Weichheit des Waldbodens war der Hufschlag nur in der Nähe zu vernehmen.

Wir hatten noch nicht Zeit gehabt, uns vom Boden, wo wir saßen, zu erheben, so trat er ein. Man denke sich mein Staunen, als ich – Mosklan erkannte, Mosklan, der sich für den Agenten Pimosa ausgegeben hatte.

Wie war er dem Schmied entkommen? Hatte er – – – doch nein, zu solchen Gedanken blieb mir ja gar keine Zeit, denn er gewahrte mich augenblicklich.

»Lanetli chowarda, burada – verfluchter Schurke, hier!«

Diese Worte brüllte er mir entgegen; ich sah ein Pistol in seiner Hand. Der Schuß blitzte auf; ich warf mich auf die Seite und – ich weiß nicht, wie das so blitzschnell geschehen konnte, im nächsten Augenblick schlug ich ihm den Kolben des Stutzens an den Kopf, daß er das Pistol sinken ließ und unter einem gurgelnden Schrei mit beiden Händen nach dem Gesicht fuhr; denn nicht den Schädel hatte ich getroffen, sondern das Gesicht, weil er eine Wendung gemacht hatte.

Fast in demselben Moment hatte ihn auch Halef bereits zu Boden gerissen und kniete auf ihm. So gedankenschnell war dies gegangen, daß keiner der Anderen noch Zeit gefunden hatte, sich vom Boden zu erheben.

Jetzt freilich sprangen Alle auf. Halef hielt den Menschen fest, und Osko band ihm die Arme zusammen. Mosklan leistete fast keine Gegenwehr; er hielt die Hände an das Gesicht und preßte ein gurgelndes Geheul heraus – der Kolbenhieb hatte ihm das ganze vordere Gebiß, vielleicht auch die Kinnlade zerschmettert.

Aber noch Einer stieß Schmerzenslaute aus – oder richtiger – er schrie, als ob er am Pfahle stäcke: der dicke Färber.

Als Mosklan schoß und ich mich schnell mit dem Oberkörper zur Seite geworfen hatte, war der Dicke von seinem Schreck zu einer unwillkürlichen Armbewegung getrieben worden; dabei war seine Hand in die Schußlinie gerathen, und die Kugel hatte den kleinen Finger getroffen.

»Parmak-im, el-im, fakir-im, wüdschud-im, ten-im – mein Finger, meine Hand, mein Arm, mein Leib, mein Körper!« brüllte er. »Bulmisch-um, beni wur-di, beni, beni – ich bin getroffen worden, er hat mich erschossen, mich, mich!«

Dabei sprang er trotz seines schweren Körpers wie ein Rasender hin und her.

»Zeige!« gebot ich ihm.

»Hier, hier! Da läuft das Blut; da fließt das Leben hin! Ich bin todt; ich bin eine Leiche!«

Ich sah, daß die Kugel den Finger nur ganz leise gestreift hatte; nur ein wenig Haut und Fleisch war weg.

»Schweig doch!« sagte ich. »Das ist ja gar keine Wunde! Das thut nicht wehe; das kannst Du kaum fühlen!«

»Das? Nicht fühlen?« fragte er erstaunt.

Er sah den Finger genauer an, horchte, ob er ihm auch wirklich wehe thue, und antwortete dann:

»Allah ist gnädig! Dieses Mal bin ich dem Tode noch glücklich entwischt. Aber ein wenig weiter nach rechts, so wäre es um mich geschehen gewesen!«

»Ja, zwei Fuß weiter nach rechts!«

»Zwei Fuß nur! Effendi, Dir hat die Kugel gegolten! Warum thatest Du Deinen Kopf so schnell weg?«

»Um nicht getroffen zu werden, natürlich!«

»Dafür hat er dann mich getroffen! Dieser Elende konnte mich um das Leben bringen! Ich hatte ihm meine Tochter versprochen, und er schießt auf mich! Konnte er nicht besser zielen? Konnte er sich nicht mehr in Acht nehmen? Zwischen mir und ihm ist es aus, vollständig aus! Saban, komm her und verbinde mich!«

Aber Saban, der Bettler, kauerte bei Mosklan, um dessen Verletzung zu untersuchen. Der Verwundete wollte sprechen, konnte aber nicht; er brachte nur gurgelnde Töne heraus. Desto beredter aber waren seine Augen, deren Blick uns Alle erstochen hätte, wenn das möglich gewesen wäre. Er sah, daß wir uns nicht in Feindschaft bei einander befunden hatten.

»Wie steht es?« fragte ich.

»Ich weiß es noch nicht,« lautete die Antwort. »Die Kinnlade ist auch verletzt. Man wird nach einem richtigen Tabib senden müssen. Er muß hier liegen bleiben.«

Ich begriff sehr wohl den Hintergedanken des Sprechers, antwortete aber doch:

»So kannst Du nicht mit nach Dschnibaschlü, denn Du mußt doch hier bleiben. Wir Andern aber müssen sofort aufbrechen.«

»Was!« sagte Halef. »Du willst diesen Menschen hier lassen, Sihdi?«

»Ja.«

»Bedenke, daß er entflohen ist! Wie ist ihm das gelungen? Vielleicht hat er den Schmied ermordet!«

»Das werden wir erfahren. Er kann uns ja nicht entgehen. Saban mag für ihn sorgen, bis wir Botschaft senden.«

»Und ich werde einen Tabib holen,« sagte Murad, der auf dem Herwege meinen Führer gemacht hatte.

»Thue das!« antwortete ich. »Ihr Anderen aber kommt jetzt augenblicklich mit!«

Keiner weigerte sich. Ich durchschaute die Kerle. Sie wollten mir ihr Wort nicht brechen, aber doch auch ihren verwundeten Verbündeten nicht im Stich lassen. Osko und Omar holten ihre Pferde. Wir stiegen auf. Der dicke Färber war wunderbarer Weise der eiligste dabei.

Die Anderen folgten uns, langsamer und immer langsamer. Als wir den Wald hinter uns hatten, waren sie nicht mehr zu sehen.

»Sihdi, warten wir, bis sie kommen?« fragte Halef.

»Nein. Ich bin froh, daß ich sie los bin!«

»Sie müssen ja mit zu Boschak!«

»Ich brauche sie nicht!« sagte der Genannte. »Ich brauche überhaupt keinen Freund, welcher auf mich schießt. Dort kommt wieder ein Reiter!«

Ich hatte bereits den Mann gesehen, welcher auf einem ungesattelten Pferde uns entgegen kam. Ich sah, daß er sein Pferd langsamer gehen ließ, als er uns bemerkte.

»Ah, so ist ihm also nichts geschehen,« athmete ich auf.

»Wer ist es?« fragte Osko.

»Der Schmied. Heute jagt immer Einer hinter dem Andern her. Eine wahre Hetzjagd!«

Wir spornten die Pferde an. Als Schimin mich erkannte, rief er von Weitem:

»Hamdulillah – Preis sei Gott, Du lebst! Ich habe große Sorge um Dich ausgestanden.«

»Und ich um Dich. Ist Dir ein Leid geschehen?«

»Nein!«

»Aber Deinem Weibe?«

»Er hat sie mit der Faust auf den Kopf geschlagen; aber es bedeutet weniger, als ich erst dachte.«

Jetzt hatten wir uns ganz erreicht. Er war außer Athem.

»Habt Ihr ihn gesehen?« fragte er.

»Ja. Er schoß nach mir, traf mich aber nicht.«

»Woher mag er die Waffe haben?«

»Wie ist er denn entkommen?«

»Zuerst kamen Deine Freunde,« erzählte der Schmied, »und ich sandte sie Dir nach zu Boschak, der sich hier an Deiner Seite befindet. Dann stand ich in der Schmiede, um zu arbeiten. Da plötzlich sah ich den Gefangenen davonjagen. Ich sprang zu meiner Frau. Sie lag in der Stube und hielt sich den Kopf mit den Händen. Sie war noch nicht ganz bei Besinnung. Er hatte sie überfallen und niedergeschlagen.«

»Wie aber war das möglich? Wie konnte er aus dem Keller entkommen?«

»Herr, ich habe einen großen Fehler begangen. Dieser Hadschi Halef Omar wollte den Gefangenen sehen. Als dies geschehen war, ließ ich die Leiter lehnen. Er hat sich von den Banden frei gemacht und ist aus dem Keller gestiegen.«

»Konnte er denn die Thüre öffnen?«

»Sie ist ja nur von Weidengeflecht. Er hat sie aufgesprengt. Das dabei verursachte Geräusch konnte man nicht hören, weil ich schmiedete. Hinter dem Hause stand sein Pferd. Er bemerkte dies und entkam dadurch.«

»Wie aber kommt es, daß er uns nachgeritten ist? Konnte er wissen, wo ich war?«

»Er wird gehört haben, was ich mit Deinen Gefährten sprach.«

»Da seid Ihr allerdings sehr unvorsichtig gewesen.«

»Du hast Recht. Ich wollte das wieder gut machen. Darum gab ich meinem Weibe Wasser, um sich den Kopf zu kühlen, rannte nach dem Dorfe, nahm das erste Pferd, welches ich fand, und ritt nach Dschnibaschlü. Dort hörte ich von der Frau des Bäckers, daß Du nach Kabatsch geritten seist, ihr Mann mit Mosklan Dir nach und hinter ihnen dann Deine Freunde. Darauf war der Entflohene gekommen, hatte dasselbe erfahren und war Euch gefolgt. Ich ritt sofort weiter und freue mich von Herzen, daß ich Euch so wohl zurückkehren sehe. Jetzt werde ich erfahren, was geschehen ist.«

Ich erzählte ihm in kurzen Worten unser Erlebniß. Als ich geendet hatte, sagte er nachdenklich:

»Das hat Allah gegeben. Mosklan hat seine Strafe, und ich bin ihn los. Wie hättest Du ihn von mir entfernen wollen, Effendi?«

»Das wäre mir nicht schwer geworden, ist nun aber nicht nöthig,« antwortete ich.

Ehrlich gestanden, hätte ich mich aber doch in Verlegenheit befunden. Mosklan konnte doch nicht ewig im Keller des Schmiedes stecken. Wie nun ihn frei lassen, ohne daß es ihm möglich war, sich zu rächen?

Von dieser zu befürchtenden Rache sagte ich jetzt einige Worte; da aber beruhigte mich der Schmied:

»Mache Dir keine Sorge um mich! Ich habe jetzt durch Euch so viel erfahren, daß ich diesen Pferdehändler nicht zu fürchten brauche. Jetzt kann er nicht reden, Dir also keine augenblicklichen Verlegenheiten bereiten, und ich werde schon mit ihm fertig werden!«

»Ich auch!« knurrte der Dicke. »Er hat auf mich geschossen. Das soll er mir entgelten! Mein Leben hing an einem einzigen Haare.«

»Nein, sondern an meinem ganzen Kopf!«

»Vielleicht hat er Dich und mich mit einer einzigen Kugel erschießen wollen! Doch, Effendi, da ist das Dorf. Reiten wir langsamer. Ich habe vorher noch Einiges zu fragen.«

Ich blieb mit ihm ein wenig zurück, und da sagte er:

»Du wirst also dem Sahaf von den Teppichen erzählen?«

»Ja.«

»Er wird auch den Ort erfahren, an welchem sie sich befinden?«

»Ich werde ihm denselben sogar zeigen.«

»Willst Du das nicht lieber unterlassen?«

»Nein! Ich will haben, daß er Dich anzeigen soll.«

»Du bist grausam. Verlangst Du das denn wirklich von ihm?«

»Ja.«

»Wirst Du ihn zwingen, wenn er lieber davon absehen will?«

»Ich muß abreisen; ich kann ihn also nicht zwingen. Er wird es aber sicher thun, wenn Du ihm Dein Wort nicht hältst. Richte Dich also danach!«

»Ich werde ihm mein Wort halten.«

»So laß gleich jetzt den Kiaja kommen und drei Nachbarn als Zeugen. Das rathe ich Dir.«

»Meinst Du?«

»Ja. Du mußt dem Sahaf zeigen, daß es Dein Ernst ist.«

»Ich werde Dir gehorchen, und – o Allah – wie werden sie sich freuen, mein Weib und meine Tochter!«

Da endlich kam doch die angeborene Gutmüthigkeit zum Durchbruch! Sein Gesicht erheiterte sich zusehends, und als wir vor seinem Hause von den Pferden sprangen, er sich aber von dem Maulesel förmlich herabgekugelt hatte, da eilte er uns voran, riß die Thüre auf, und wir hörten ihn rufen:

»Tschileka, Ikbala, gelyn, gelyn, ewetlemyn, burda iz – kommt, kommt, eilt, wir sind da!«

Und sie liefen herbei. Der Herr des Hauses war der Erste, den sie erblickten, ich der Zweite.

»Herr, da bist Du!« rief die Lieblichste von ganz Rumili. »Es ist Dir nichts geschehen? Allah sei Dank! Ich habe Dich warnen lassen. Hast auch Du Wort gehalten?«

»Ja, ich bringe Dir den Heißersehnten mit.«

»Wo? Wo?«

»Hier!«

Dabei deutete ich auf den kleinen Hadschi, der hinter mir eingetreten war. Die Anderen waren noch nicht zu sehen.

»Inkali' min hon – geh' zum Teufel!« fiel Halef sofort ein, glücklicher Weise in seinem arabischen Dialekt, den sie nicht verstand.

Sie aber meinte bestürzt:

»Dieser da?«

»Ja, Du süße Tochter der rothen Farbe.«

»Den kenne ich doch gar nicht!«

»Aber er will Dir sein Leben weihen! Doch – da kommt noch Einer. Wähle zwischen diesen Beiden!«

Der Sahaf hatte sich hinter Halef hereingedrängt. Sie blickte ihren Vater verlegen und fragend an.

»Hangy bil-ir-sen – welchen kennst Du denn?« fragte dieser lachend.

»Bonu – diesen,« antwortete sie, auf den Sahaf zeigend.

»Sana elwerir dir – ist er Dir genügend?«

»Ewwet, tamam bütün – ja, vollständig!«

»Onu al – nimm ihn!«

Da legte sie die Hände vor das Gesicht, stieß ein lautes Schluchzen aus, ob vor Scham oder vor Entzücken, das war unmöglich zu sagen, dann floh sie durch die Thüre zurück, aus der sie gekommen war.

»Herr, siehst Du, welch ein Unglück Du angerichtet hast!« sagte der Bäcker zu mir, halb besorgt, halb lachend.

»Sende ihr das Glück nach!«

»Wo ist es denn?«

»Da steht es!«

Ich zeigte auf den Sahaf.

»Das geht nicht,« antwortete er kopfschüttelnd. »Kein Jüngling darf vor dem Tage des Düjün mit einer Jungfrau sich allein befinden!«

Der Gute ahnte nicht, daß seine Ikbala sich bereits so oft mit ihrem treuen Ali unter vier Augen befunden hatte, da draußen hinter dem Hause, unter dem Schutze der verschwiegenen Tschileka und des noch verschwiegeneren Mahitab.

»So gehe mit ihm!« rieth ich.

»Ich habe keine Zeit.«

»Kann nicht Tschileka ihn begleiten?«

»Auch diese nicht. Ihr seid unsere Gäste und sollt verpflegt werden. Da haben wir zu thun.«

Verpflegt? Wollte er uns etwa speisen und tränken? Womit? Mit den Delikatessen, die ich bereits kennen gelernt hatte? O weh! Ich beeilte mich also, die schleunige Bemerkung zu machen:

»Laß Dir an unserm Gruße genügen! Meine Zeit ist mir sehr kurz gemessen. Ich muß abreisen.«

»Herr, das wirst Du mir doch nicht anthun! Sieh, der Tag ist beinahe zu Ende. Wohin willst Du noch reisen?«

Er hatte Recht. Es war schon spät am Nachmittag. Und da fragte auch Halef leise:

»Willst Du wirklich heute noch fort, Sihdi?«

»Es ist fast unumgänglich nothwendig.«

»Allein? Ohne uns?«

»Das möchte ich doch nicht wieder wagen.«

»So bedenke, daß wir stets im Sattel gewesen sind und daß unsere Pferde der Ruhe bedürfen.«

»Nun gut, so bleiben wir noch einige Zeit hier, und in der Nacht schlafen wir bei Schimin, meinem Freunde.«

Da stieß der wackere Schmied einen Freudenruf aus und sagte, mir die Hand entgegenstreckend:

»O, Effendi, Du glaubst nicht, was Du mir für eine Freude bereitest!«

»Ich weiß es.«

»Du hast mich Deinen Freund genannt!«

»Das bist Du auch. Du hast es mir bewiesen. Wenn ich längst in mein Land zurückgekehrt bin, so wirst auch Du zu Denen gehören, deren ich stets und gern in Liebe gedenken werde.«

»Das muß ich meinem Weibe sagen. Ach, wüßte ich, wie sie sich befindet!«

»Du hast Dir ein Pferd geborgt und mußt es abgeben. Nimm das meinige; sieh nach Deiner Gefährtin und komm dann wieder zurück.«

»Das sei ferne von mir! Ein solches Pferd darf nur Einer reiten, der dieses Thieres würdig ist. Ich werde leicht ein anderes bekommen und kehre dann sogleich zurück.«

Er ging.

Mir war das auch recht, da ich meinen Rappen doch eigentlich nothwendig brauchte. Zu unserer Sicherheit mußte ich erfahren, was mittlerweile in der Hütte des Bettlers geschehen war. Als sich Alle gesetzt hatten und der Färber mit den Seinen beschäftigt war, die versprochene >Bewirthung< einzuleiten, sagte ich darum zu Halef:

»Habe keine Sorge, wenn ich mich jetzt entferne! Ich will sehen, was mit Mosklan geschehen ist.«

»Bist Du toll, Sihdi! Du willst zur Hütte zurück?«

»Ja.«

»Man wird Dich tödten!«

»Pah! Jetzt kann man mich nicht wieder überraschen. Übrigens bin ich überzeugt, daß die Hütte leer ist. Man wird Mosklan fortgeschafft haben, damit wir ihn etwaigen Falls nicht finden können.«

»Er hat Dich doch eigentlich gar nicht zu fürchten. Du hattest kein Recht, ihn einzusperren.«

»Das ist wahr. Dennoch aber fürchtet er mich. Er hat auf mich geschossen und besitzt auch in anderer Beziehung kein gutes Gewissen. Laß den Färber nicht wissen, wohin ich gegangen bin!«

»Aber wenn Du nicht bald zurückkehrst, so komme ich Dir nach!«

»Gut, das will ich gelten lassen.«

Ich ging hinaus und machte mich im Stillen davon. Ich hütete mich sehr wohl, den früheren Weg einzuschlagen. Ich konnte da leicht eine mir nicht passende Begegnung haben. Darum ritt ich nicht nach Süd, sondern nach West, um von der nach Kabatsch liegenden Seite in den Wald zu kommen.

Den nördlichen Rand des Waldes zur linken Hand, galoppirte ich über das Weideland dahin und erreichte bei der Schnelligkeit meines Rih sehr bald die Stelle, wo sich der Wald südlich nach Kabatsch zog. Da erblickte ich ganz draußen, seitwärts des genannten Ortes, eine Reitergruppe, welche sich nicht gar zu eilig fortzubewegen schien. Diese Leute hatten bei einem einsamen Hause angehalten und nun ihren Ritt wieder fortgesetzt.

Ich ahnte, daß ich die Gesuchten vor mir hatte. Es konnte etwas über eine englische Meile bis dorthin sein.

»Kawam, kawam – schnell, schnell!« rief ich meinem Rappen zu.

Rih verstand das Wort genau; es bedurfte keines weiteren Mittels, um ihn zur größeren Eile anzutreiben. Es war eine Freude, so dahin zu fliegen. Und doch hätte ich, im Sattel sitzend, Champagner eingießen und trinken können, ohne einen Tropfen zu verschütten.

In einigen Minuten hatte ich das Haus erreicht und stieg ab. Ich hatte mich so gehalten, daß das Gebäude zwischen mir und der Reitergruppe geblieben war; ich war also nicht bemerkt worden.

Ein in den mittleren Jahren stehendes Weib saß, Melonen schneidend, vor der Thüre.

»Mesalcheer – guten Abend,« grüßte ich in arabischer Sprache.

Sie blickte mich fragend an. Ich wiederholte den Gruß türkisch, und nun verstand sie mich. Sie dankte freundlich.

»Willst Du mich nicht von Deiner Karputz kosten lassen? Ich habe Durst,« bat ich.

»Sehr gern, Herr.«

Sie schnitt mir ein tüchtiges Stück ab und gab es mir. Als sie bemerkte, mit welchem Behagen ich in die Gabe biß, lächelte sie befriedigt und sagte:

»Die habe ich selbst gepflanzt. Vor wenigen Minuten mußte ich eine ganze Frucht an Andere verschneiden. Die baten nicht so freundlich, wie Du.«

»Aber sie haben Dich belohnt?«

»Ich verlange keinen Lohn, obgleich ich sehr arm bin und nur wenig Früchte gezogen habe. Aber sie haben mich noch dazu beraubt.«

»Die Undankbaren! Was nahmen sie Dir?«

»Mein Jemini. Einer von ihnen war verwundet. Den verbanden sie damit.«

»Kanntest Du sie denn nicht?«

»Saban, der Bettler, war dabei, der im Walde wohnt, und Murad, sein Kumpan.«

»Weißt Du nicht, wohin sie ritten?«

»Sie wollten hinüber nach Usu-Dere. Dort wohnt ein Verwandter Saban's, welcher ein Dscherrah und ein Adschaiby ist. Bei ihm soll der Kranke untergebracht werden.«

»Haben sie nicht davon gesprochen, auf welche Weise der Mann verwundet wurde?«

»Er ist vom Baum gefallen, mit dem Gesicht auf einen Stein. Er hat sich sämtliche Zähne zerschlagen.«

»Der arme Kerl!«

»O, er ist nicht zu bedauern! Ich kenne ihn, nur weiß ich seinen Namen nicht. Er ist der Verführer unserer Männer!«

»Auch des Deinigen?«

»Nein. Ich bin Dul kary; mein Mann ist todt.«

»Hast Du Kinder?«

»Drei. Das Kleinste liegt am Kyzyl humma krank; die beiden Größeren sind an's Wasser gegangen, um Sülükler zu fangen, welche ich an den Wunderdoktor verkaufe. Er bezahlt einen Para für zehn Stück.«

Die arme Frau! Welch eine elende Bezahlung! Ich zog fünf Piaster aus der Tasche und gab sie ihr.

»Hier, kaufe Deinem Kinde Öz zu einem kühlenden Trank.«

Das war eine Kleinigkeit, für sie aber schon eine wirkliche Summe. Sie blickte mich ungläubig an und fragte:

»Das willst Du mir schenken?«

»Ja.«

»Herr, bist Du so sehr reich?«

»Ja.«

»Dann ist die Güte Deines Herzens so groß, wie Dein Vermögen. Allah möge Dir – – –«

Weiter hörte ich nichts, denn ich war in den Sattel gesprungen und ritt davon, um zurückzukehren. Wie manches Elend könnte gelindert, wie manche Noth gehoben oder doch gemildert werden, wenn – – ah, wer doch nur so recht geben könnte!

Ich hatte genug erfahren, um zu wissen, daß für mich nichts zu befürchten war.

Als ich in Dschnibaschlü hinter dem Hause unseres dicken Gastfreundes und Brautvaters vom Pferde stieg, sah ich ein blutiges, frisches Fell an einem Pfahle hängen, und zugleich drang Bratengeruch in meine Nase. Das Fell war bis vor wenigen Minuten die Staatskleidung eines Ziegenbockes gewesen. Brr!

An der einen Giebelseite des Hauses, da wo der Luftzug sich am wenigsten bemerkbar machte, fand ich den Färber und sein Ehegespons beschäftigt – womit?

Am Boden stand ein hölzernes, niedriges Gefäß, ein solches, wie man es je nach der Gegend Deutschland's ein Schaff, Schäffel, Stutz u. s. w. nennt. Über den Rand desselben waren drei starke Drähte gelegt. An dem mittleren Draht steckte der heimgegangene, doch leider nicht zu seinen Vätern versammelte Ziegenbock. Die Hörner hatte er noch am Kopfe. Über seinen Leib und über die andern beiden Drähte hinweg hatte man Holzscheite gelegt, darauf gedörrten Kuhmist, was der Mongole Arkols nennt, dann wieder Holz und wieder Dünger, und darauf war dieser Scheiterhaufen in Brand gesteckt worden. Der Ziegenbock wurde oben schwarz angekohlt; darunter briet er, und weiter abwärts blieb sein Fleisch und Gemüth von der Wärme unberührt. Aus der bratenden Schicht aber tropfte das Fett in einsamen, schauderhaft langweiligen Intervallen auf den Boden des Gefäßes, wo ich eine Schicht Reis liegen sah. Die Seitenwände dieser wunderbaren Bratpfanne aber waren so schön krapproth gefärbt, wie französische Militärhosen, und ich konnte mir beim besten Willen nicht helfen, ich mußte an die rothen Hände der dicken Tschileka denken, an den in allen Farben schimmernden Mantel ihres Mannes, und da kam mir der Verdacht, daß das gegenwärtige Bratgefäß zu anderer Zeit doch wohl als Farbenkübel gebraucht werde.

»Wo warst Du, Herr?« fragte der Dicke. »Gut, daß Du da bist. Ich habe Euch zu Ehren eine zarte saftige Ketschi geschlachtet. Der Nachbar verkaufte sie mir.«

»Kommt Dir diese Ziege nicht sehr erkek vor?« bemerkte ich.

»O nein! Was denkst Du, Herr!«

»Prüfe einmal den Duft! Dein Nachbar hat sich vergriffen und Dir einen Bock gegeben.«

»Das thut mein Nachbar nicht.«

»Das Fleisch verbrennt. Willst Du nicht vielleicht den Braten wenden?«

»Ah, Herr, man merkt, daß Du ein Fremder bist! Ich würde dem Fleische den Hochgeschmack nehmen.«

»Wird der Reis von den Fetttropfen weich?«

»Das darf er ja gar nicht. Kennst Du nicht das Sprichwort: ›Pilaw ol tschatyrdajydschy?‹ Weich schmeckt er nicht.«

»Scheint es nicht, als ob von dem Brennmaterial Einiges in den Reis falle?«

»Das thut nichts. Siehe, ich nehme es ja wieder heraus.«

Er langte mit den Fingern hinein und gab sich Mühe, die Spuren des Mistes aus dem Reise zu entfernen. Ich gedachte unwillkürlich meiner holden Mersinah in Amadijah, welche sich ihre Triefaugen mit Zwiebeln wischte. Von wem war wohl leichter zu essen, von ihr oder von diesem beleibten, krapprothen Ehepaar hier in Dschnibaschlü?

Ich verzichtete, weiter in die Küchengeheimnisse der Färbersleute einzudringen, und zog mich schaudernd in das Haus zurück.

Unter der Thüre des Wohnraumes kam mir Halef entgegen.

»Da bist Du, Sihdi!« sagte er erfreut. »Es dauerte mir zu lange. Ich wollte eben das Pferd besteigen.«

»Du siehst, daß mir nichts geschehen ist. Womit habt Ihr Euch bisher unterhalten?«

»O, wir haben keine Langeweile gehabt. Ich bin mit dem Wirthe auf den Ziegenhandel gegangen, da gab es sehr viel Spaß. Er wollte die Ziege geschenkt haben, weil sie für einen so vornehmen Herrn bestimmt sei, welchen der ganze Ort als Gast zu betrachten habe. Darüber gab es einen solchen Streit, daß selbst der Kiaja geholt werden mußte.«

»Wer ist denn dieser vornehme Herr?«

»Du bist es; wer soll es denn sonst sein? Etwa ich?«

»Ah so! Und für mich wäre diese Ziege bestimmt?«

»Ja.«

»Du meinst doch nicht die Ziege, welche ein Bock ist?«

»Ziege oder Bock – das ist gleichgültig, Sihdi; der Braten wird uns doch schmecken.«

»Ich wünsche guten Appetit! Gehen wir in die Stube!«

Drin wollte ich eben Platz nehmen, als ich im Nebenraume, welcher für die Damen bestimmt zu sein schien, ein ganz eigenthümliches Geräusch vernahm. Es war, als ob Jemand recht kräftige Ohrfeigen erhielte, und dazu ließ sich ein Stöhnen und Seufzen vernehmen, welches mich für die Person oder auch für die Personen, welche sich dort befanden, besorgt werden ließ.

»Wer ist da drin?« fragte ich den Sahaf.

»Ikbala, der Stern meiner Augen,« antwortete er.

»Und wer noch?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was thun sie denn?«

»Weiß ich es, Herr? Ich höre sie ächzen. Ich befürchte, daß ihr ein Unglück zugestoßen ist. Ich möchte ihr helfen; aber ich bin der Bräutigam und darf nicht zu ihr gehen.«

»Denkst Du, daß ich hinein dürfte?«

»Ja. Du bist ein Christ. Du kannst keine Tochter dieses Landes heirathen. Du hast auch schon ihr Angesicht gesehen. Du wirst also die Holde nicht beschämen, wenn Du zu ihr gehst.«

»So werde ich nachsehen.«

»Thue es! Aber rühre sie nicht an, Effendi. Sie wird mein Weib, und diejenige, welche an meinem Herzen wohnen soll, darf nicht mit der Hand eines Andern in Berührung kommen.«

»Habe keine Sorge! Die Schönste in Rumili hat von mir nichts zu befürchten.«

Ich ging also in den Nebenraum. Dort saß Ikbala, auf deutsch die >Glückbringende<, auf der ebenen Erde. Zu ihrer Rechten stand ein backtrogähnliches Gefäß, in welchem sich ein eigenartig gefärbter Teig befand. Ihre beiden Arme waren bis über die Ellbogen herauf mit dieser Masse beklebt. Soeben hatte sie ein mehrere Pfund schweres Stück dieses Teiges aus dem Backtroge herausgerissen und versuchte, demselben eine kugelrunde Form zu geben. Dies geschah dadurch, daß sie es in der einen Hand drehte und mit der andern hohl gehaltenen Hand aus allen Kräften darauf klopfte. Das waren die Ohrfeigen, welche ich gehört hatte.

Sie widmete diesem Geschäfte eine solche Hingebung, daß ihr der Schweiß aus allen Poren rann. Ihr ganzes Gesicht war hochroth und tropfnaß.

»Was thust Du hier?« fragte ich sie.

»Ich backe,« antwortete sie wichtig.

»Was?«

»GüllelerKanonenkugeln

»Für wen?«

»Für Euch natürlich, die Ihr unsere Gäste seid.«

»Wie schmecken diese Kugeln?«

»Wie ein Nazikly des Paradieses.«

»Was hast Du dazu genommen?«

»Vielerlei: Mehl, Wasser, Rosinen, Mandeln, Olivenöl, Salz, türkischen Pfeffer und allerlei wohlriechende Kräuter.«

»Wie lange währt es, bis sie fertig sind?«

»Wenn die Ziege gebraten ist, dann werden sie in dem Fett derselben und in dem Reis gedämpft.«

»Das wird ein Vorgeschmack der sieben Himmel!«

»Ja. Koste einmal den Teig! Du wirst noch nie so Etwas gegessen haben.«

Sie langte mit den Fingern in den Trog, zog sie voll von Teig wieder hervor und streckte sie mir unter einem holden Lächeln entgegen.

»Ich danke Dir, Du Blume der Gastfreundlichkeit! Wenn ich jetzt schon kostete, würde ich mir das Entzücken verderben, mit welchem ich später von den Kanonenkugeln genießen werde.«

»Nimm doch nur! Du bist der Schöpfer meines Glückes. Nur Dir allein habe ich es zu danken, daß der Sinn des Vaters sich so schnell geändert hat.«

Sie winkte mir dringlich zu. Ich aber wehrte so eifrig ab, daß sie endlich verzichtete und nun die Finger zu dem eigenen Munde führte, um sie schmatzend von dem Teige zu befreien.

Rosinen, Mandeln, Speiseöl, türkischer Pfeffer! Das gab jedenfalls einen entsetzlichen Geschmack. Dazu von dem Wasser, vor welchem es mich geschüttelt hatte. Und allerlei Kräuter. O weh! Sahaf, edler Sahaf, wie wird Dein Magen in einigen Monaten beschaffen sein!

Er war sehr erfreut, von mir zu hören, daß die Auserwählte seines Herzens sich in keiner Gefahr befand. Übrigens war jetzt der Schmied zurückgekehrt, und in demselben Augenblick sprang draußen ein Reiter vom Pferde, in welchem ich einen der Leute erkannte, welche wir in der Hütte des Bettlers belagert hatten. Ich hörte ihn nach mir fragen und ging hinaus zu ihm. Er führte mich zur Seite und sagte:

»Herr, Du bist großmüthig gegen uns gewesen und Du bist auch reich. Ich habe Dir etwas mitzutheilen.«

»So sprich!«

»Was gibst Du mir dafür?«

»Ich weiß nicht, ob das, was Du mir sagen willst, einen Werth für mich hat.«

»O, einen sehr großen!«

»In wie fern?«

»Du befindest Dich in Lebensgefahr.«

»Das glaube ich nicht.«

»Wenn ich es Dir sage, so ist es wahr.«

»Grad weil Du es mir sagst, ist es nicht wahr.«

Er blickte mich ganz erstaunt an und fragte:

»Glaubst Du wirklich, daß ich Dich belüge?«

»Ja. Ihr habt mich tödten und berauben wollen. Mörder aber und Räuber sind doch wohl auch der Lüge fähig.«

»Aber jetzt meine ich es gut mit Dir und sage die Wahrheit.«

»Nein. Wenn ich mich wirklich in Lebensgefahr befände, würdest Du es mir nicht sagen.«

»Warum?«

»Weil Du Dich damit selbst in eine große Gefahr begibst. Ich würde Dich sofort festnehmen lassen, und Du müßtest gestehen, ohne einen Para zu empfangen.«

Er erschrack und sah sich nach seinem Pferde um. Ich zog den Revolver hervor und sagte:

»Zunächst mache ich Dich darauf aufmerksam, daß ich Dir eine Kugel geben werde, wenn Du einen Schritt thust, um zu entfliehen.«

»Herr, ich will Dich retten, und Du willst mich dafür erschießen!«

»Ich bin Dir keinen Dank schuldig. Wenn Du jetzt wirklich die Absicht hast, mir einen Dienst zu erweisen, so denke an das, was Du vorher gegen mich im Schilde geführt hast. Will ich sehr großmüthig sein, so sage ich, daß wir jetzt quitt sein werden, nachdem Du mir gesagt hast, in wie fern ich mich in Gefahr befinde.«

»Du willst mir also nichts geben?«

»Ich bin bereit, Dich zu belohnen. Aber erst muß ich wissen, welchen Werth Deine Mittheilung für mich hat.«

»Einen sehr hohen. Gibst Du tausend Gurusch

»Nein.«

»Meine Nachricht ist noch viel mehr werth.«

»Ich glaube es nicht.«

»Gib wenigstens neunhundert!«

»Nein.«

»Achthundert!«

»Auch nicht.«

»Bedenke, daß es sich um Dein Leben handelt!«

»Ich gebe für mein Leben nicht einen einzigen Piaster.«

»Wie? Es hat keinen Werth für Dich?«

»Einen sehr großen; aber es steht in Gottes Hand. Sagt nicht Euer Kuran, daß Allah die Dauer des Lebens für einen jeden Menschen gleich von Anbeginn bestimmt hat?«

Das brachte ihn sichtlich in Verlegenheit. Er wußte nicht, was er antworten solle. Darum fuhr ich fort:

»Du siehst also, daß es beinahe eine Sünde wäre, für mein Leben Geld zu bezahlen. Ich werde die mir beschiedene Stunde erreichen, gleichviel, ob ich Geld bezahle oder nicht.«

Da zuckte es über sein Gesicht. Es war ihm ein rettender Gedanke gekommen:

»Herr, Du bist doch ein Christ?«

»Ja.«

»Nun, so kannst Du Dein Leben verlängern.«

»Wie so?«

»Allah hat nur die Lebensdauer seiner wahren und rechtgläubigen Anhänger bestimmt.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Wir Christen können also unser Leben verlängern?«

»Ja, ganz gewiß.«

»Dann ist Allah gegen uns Christen viel gütiger gewesen als gegen Euch. Er hat uns also lieber als Euch; wir sind seine Lieblingskinder. Das Leben ist das größte und kostbarste Geschenk, welches wir aus Gottes Hand empfangen haben. Wer von Gott zugleich die Macht erhalten hat, dieses Geschenk zu vergrößern, der erfreut sich der Gnade des Schöpfers weit mehr, als derjenige, welcher ohne Barmherzigkeit zu der ihm bestimmten Stunde sterben muß. Siehst Du das nicht ein?«

Er zupfte sich verlegen am Schnurrbarte. Er schien die Gedanken in diesem Bart zu haben, denn er zupfte sich doch einen nicht ganz üblen Gedanken heraus:

»Du gibst doch zu, daß die Seligkeit besser ist, als das Leben?«

»Ja.«

»Nun, wenn der wahre Gläubige zur bestimmten Stunde sterben muß, ohne sich sein Leben verlängern zu können, so ist das nur gut für ihn. Er erlangt ja um so viel eher die Seligkeit.«

»Meinst Du?«

»Ja.«

»Wenn aber nun seine Seele auf der Brücke Es Ssireth strauchelt? Sie ist schmäler als die Schneide eines Rasiermessers. Die Seele, welche hier mehr Sünden als gute Thaten begangen hat, strauchelt auf der Brücke und stürzt hinab in die Hölle. Sie ist also um so viel eher verdammt worden. Und Du gibst doch zu, daß das Erdenleben besser ist als die Hölle?«

»Herr, Deine Antworten sind so spitz wie mein Dolch!«

»Auch irrst Du Dich, wenn Du meinst, daß der Prophet nur von den Moslemim gesprochen habe. Es heißt in der fünften Sure des Kuran, welche die >Sure des Tisches< genannt wird, daß die Stunden aller Menschen, der Gläubigen und der Ungläubigen, vorher abgezählt sind. Kennst Du diese Sure?«

»Ich kenne alle Suren.«

»So wirst Du mir Recht geben. Ich kann und darf mein Leben nicht verlängern. Wie aber würdest Du es nennen, wenn ich ein Pferd bezahlen wollte, welches ich gar nicht kaufen darf? Das wäre doch Dummheit!«

Er zupfte sich abermals am Barte. Diesmal aber wollte kein guter Gedanke zum Vorschein kommen.

»Herr, ich brauche aber Geld,« meinte er in einem Tone, der nicht sehr selbstbewußt klang.

»Ich auch.«

»Du hast Geld, ich aber habe keines.«

»Nun, Du sollst sehen, daß ich nicht hartherzig bin. Erpressen lasse ich mir nichts, aber dem Bedürftigen gebe ich gern ein Geschenk, wenn ich sehe, daß er desselben nicht unwürdig ist. Retten kannst Du mir mein Leben nicht; es ist also unmöglich, Bezahlung für die Rettung zu verlangen. Willst Du mir aber mittheilen, in welcher Gefahr ich mich befinde, so bin ich bereit, Dir ein Bakschisch zu geben.«

»Bakschisch? Almosen? Herr, ich bin kein Bettler.«

»Nun, so soll es nicht ein Bakschisch, sondern ein Peschkasch sein.«

»Wieviel aber bietest Du?«

»Bieten? Man bietet nur, wenn es sich um einen Preis handelt, und ich habe Dir bereits gesagt, daß von einer Bezahlung keine Rede sein kann. Ich verspreche Dir ein Geschenk; die Höhe eines Geschenkes aber hat der Geber zu bestimmen, nicht der Empfänger.«

»Ich möchte aber doch wissen, wie viel Du mir geben willst.«

»Ich werde Dir nichts geben oder so viel, wie mir beliebt. Auch sage ich Dir, daß ich keine Zeit habe, viele Worte zu machen. Also, was hast Du mir zu sagen?«

»Nichts!«

Er wollte sich von mir wenden; ich aber ergriff ihn beim Arme und sagte in ernstem Tone:

»Du hast gesagt, daß ich mich in Lebensgefahr befinde; es gibt also Leute, welche mir nach dem Leben trachten; Du weißt davon, bist also ihr Mitschuldiger; ich werde Dich unbedingt festnehmen lassen, falls Du nicht redest.«

»Ich habe nur Scherz gemacht.«

»Das ist eine Lüge!«

»Herr!« sagte er in drohendem Tone.

»Pah! Du hast Geld haben wollen, gleichviel, ob Deine Mittheilung die Wahrheit oder die Unwahrheit enthalten hätte. Weißt Du, wie eine Zoryla bestraft wird?«

»Es ist von einer Erpressung keine Rede.«

»Gut! Ich will mich mit Dir nicht ärgern; ich habe weder Lust noch Zeit dazu. Du kannst gehen.«

Ich ließ ihn stehen und ging der Hausthüre zu. Ich hatte diese aber noch nicht erreicht, so rief er:

»Effendi, warte!«

»Was noch?«

Er kam nahe zu mir heran und fragte:

»Gibst Du fünfhundert?«

»Nein.«

»Dreihundert?«

»Nein.«

»Hundert?«

»Keinen einzigen!«

»Du wirst es aber bereuen!«

»Das denkst Du nur. Überhaupt hältst Du mich für dümmer, als ich bin. Was Du mir sagen willst, das weiß ich längst.«

»Das ist unmöglich.«

»Pah! Es ist ein Bote unterwegs.«

Ich sah ihm an, daß ich das Richtige errathen hatte.

»Woher weißt Du das?« fragte er.

»Das ist mein Geheimniß.«

»So hat der Bettler es weiter erzählt!«

Ich zuckte die Achsel und ließ ein überlegenes Lächeln sehen. Es fiel mir gar nicht ein, Geld für ein Geheimniß zu bezahlen, das ich schon halb errathen hatte und durch List vollends zu erfahren hoffte.

»Und Du hast keine Sorge?« fragte er.

Ich mußte zunächst wissen, wer der Bote war; darum antwortete ich lachend:

»Glaubst Du, daß ich diesen Kerl fürchte?«

»Du kennst Saban noch nicht! Einmal hast Du ihn überlistet, zum zweiten Male gelingt es Dir nicht.«

Also Saban, der Bettler, war es. Er hatte den Verwundeten nach Usu-Dere schaffen helfen; es ließ sich darum sehr leicht vermuthen, daß er von demselben beauftragt worden sei, erst nach Palatza zu reiten, wo der Verwundete zu Hause war und vielleicht auch Verwandte hatte, und dann wohl noch weiter nach Ismilan zu den Verwandten des Waffenschmiedes und Kaffeewirthes, welcher den Hals gebrochen hatte.

Die von uns Überlisteten hatten ihren Frieden mit uns geschlossen; sie würden Wort halten, was sie persönlich betraf, das glaubte ich fest und bestimmt. Durch Andere aber konnten sie Rache nehmen. Zugleich gebot ihnen die Vorsicht, mich nicht entkommen zu lassen. Und da sie durch den dicken Bäcker erfahren hatten, in welcher Richtung wir unsere Reise fortzusetzen beabsichtigten, so war das Weitere leicht zu errathen.

Ich antwortete dem Manne in trockenem Tone:

»Ich will ihn auch gar nicht überlisten.«

»Was denn?«

»Ich mag gar nichts mehr mit ihm zu schaffen haben. Er hat mir sein Wort gegeben, mich nicht mehr zu belästigen.«

»Er wird es halten. Er selbst wird Dich nicht mehr belästigen; aber er wird Andere gegen Dich hetzen. Der Bund ist groß.«

»Ich fürchte mich nicht. Ich werde Jeden, der mir feindselig entgegentritt, dem Richter übergeben.«

»Kannst Du eine Kugel anzeigen?«

»Mach Dich nicht lächerlich! Sage mir lieber, wie Du dazu kommst, Saban zu verrathen, der doch Dein Freund gewesen ist.«

»Mein Freund? Ich werde Dir nicht antworten. Du willst Dein Herz und Deinen Beutel verschließen. Ich bin umsonst zu Dir geritten.«

Er ging zu seinem Pferde, aber so zögernd, daß ich sah, er erwarte, daß ich ihm doch ein Gebot machen werde. Aber ich sagte nur noch:

»Du willst fort? Magst Du nicht hier einkehren? Du weißt ja, daß ein Fest gefeiert wird.«

»Zu solchen Festen habe ich keine Zeit. Also Du gibst nichts?«

Sein Auge war fast drohend auf mich gerichtet.

»Nein.«

»Reisest Du noch heute hier ab?«

Es war sehr albern von ihm, diese Frage auszusprechen. Er verrieth mir damit doch nur seine feindselige Absicht. Er hatte Geld verdienen wollen; er hatte nichts erhalten und war nun zu jeder Feindseligkeit fähig.

»Glaubst Du, daß ich dem Ziafet entsage, welcher uns bevorsteht?« antwortete ich. »Auch müssen unsere Pferde ruhen, ehe sie weiter können.«

»So segne Dich Allah so, wie Du mich gesegnet hast!«

Jetzt stieg er in den Sattel und ritt davon.

Hinter dem Eingange stieß ich auf Halef, dem ich es gleich ansah, daß er sich hier verborgen gehalten hatte. Die Flamme des in der Mauer steckenden, mit Pech bestrichenen Spanes ließ mich deutlich erkennen, daß er zornig war.

»Sihdi, warum läßt Du ihn fort?« fragte er.

»Er nützt mir hier nichts.«

»Aber anderswo schadet er Dir!«

»Du hast seine letzten Worte gehört?«

»Leider nur die letzten. Ich stellte mich hierher, um über Dich zu wachen. Ich konnte Euch sehen, aber nicht hören. Aber zuletzt erfuhr ich doch, daß er Geld haben wollte. Wofür?«

»Komm heraus in's Freie. Es braucht kein Anderer zu hören, was wir mit einander sprechen.«

Ich erzählte ihm, was ich erfahren und vermuthet hatte.

»Man will uns überfallen,« sagte er.

»Vielleicht auch nicht, lieber Halef.«

»Was denn sonst? Warum reitet dieser Bettler, welcher kein Bettler ist, uns voran?«

»Vielleicht oder jedenfalls soll er die Anverwandten Mosklan's und Deselim's gegen uns aufhetzen. Kommen wir dann nach Palatza oder gar nach Ismilan, so haben wir auf einen Empfang zu warten, der uns nicht sehr angenehm sein dürfte.«

»So schlagen wir einen anderen Weg ein.«

»Das möchte ich nicht. Erstens will ich unseren Flüchtlingen auf der Fährte bleiben, und zweitens denke ich, daß wir grad in Ismilan und im Hause Deselim's Vieles erfahren können, was uns von Nutzen ist.«

»Wenn man uns als Feinde empfängt, werden wir gar nichts erfahren. Es ist sogar möglich, daß wir als Mörder verhaftet werden sollen.«

»Deßhalb will ich diesem Bettler zuvorkommen.«

»Du? Wie denn?«

»Ich werde eher dort sein, als er.«

»Sihdi, was fällt Dir ein! Du willst doch nicht etwa auch in dieser Nacht uns voranreiten?«

»Grad das will ich.«

»Das geht nicht.«

»Pah, es geht.«

»Ich lasse Dich nicht fort! Bedenke, in welche Gefahr Du heute gekommen bist, weil ich mich nicht bei Dir befand!«

»Du hast mich doch gerettet und würdest mich auch morgen wieder retten, wenn es nothwendig wäre.«

Das schmeichelte dem braven Hadschi.

»Meinst Du?« fragte er in selbstgefälligem Tone.

»Ja gewiß. Ich will Dir sagen, was ich mir vorgenommen habe. Ihr übernachtet bei dem Schmied und brecht am frühen Morgen auf. Ihr schlagt eine andere Tour ein, als wir uns vorgenommen hatten. Ihr reitet von Koschikawak über Mastanly, Stajanowa und Topoklu nach Ismilan; ich aber reite jetzt südlicher über Göldschik, Maden und Palatza.«

»Warum über diese Orte?«

»Weil dies die Tour ist, welche der Bettler von Usu-Dere eingeschlagen hat.«

»Es ist rabenschwarze Nacht. Du wirst Dich verirren.«

»Ich hoffe, daß ich nicht vom Wege abkomme.«

»Aber der Bettler hat einen großen Vorsprung!«

»Rih ist schnell; ich werde ihn überholen.«

»Und dabei den Hals brechen in dieser Finsterniß!«

»Wollen sehen! In Ismilan angekommen, reitet Ihr zu dem Kaffeehause des Waffenschmiedes Deselim. Es liegt in der Gasse, welche nach dem Dorfe Tschatak führt. Dort werdet Ihr mich finden.«

»Und bist Du nicht da – –?«

»So wartet Ihr.«

»Und wenn Du doch nicht kommst?«

»So reitest Du mir am andern Morgen bis Palatza entgegen. Es ist möglich, daß ich dort wegen Mosklan aufgehalten werde.«

»Wo finde ich Dich dort?«

»Das weiß ich jetzt natürlich noch nicht. Aber das Dorf ist klein, und so wird eine einzige Frage nach mir genügen.«

Er gab sich alle mögliche Mühe, mich von meinem Vorsatz abzubringen; ich blieb aber fest.

Als dann die Anderen erfuhren, daß ich sie verlassen wolle, traf ich auf einen Widerstand, dem ich kaum gewachsen war. Ikbala und ihre Mutter Tschileka schlugen die Hände über den Köpfen zusammen, daß ich von den Kanonenkugeln und von dem Ziegenbraten nichts zu kosten haben solle. Auch der Sahaf bat mich, zu bleiben.

Diesen nahm ich noch allein bei Seite und theilte ihm alles Nöthige über die Teppiche mit.

»Effendi,« sagte er, »das ist gut, daß Du mir dies sagst. Die Anderen wissen, daß hier Verlobung ist, und werden unterdessen das Loch heimlich ausräumen wollen. Das werde ich verhindern.«

»Wirst Du Deinen Schwiegervater anzeigen?«

»Ja; er wird gehängt werden,« lachte er.

»Was Du thust, geht mich nichts an. Bringe Deinem alten Vater meinen Gruß und sei unendlich glücklich mit Ikbala, der Schönsten in Rumili!«

Als Schimin, der brave Schmied, bemerkte, daß es unmöglich sei, mich zum Bleiben zu bewegen, fragte er mich nach dem Wege, den ich einschlagen wolle. Ich traute dem dicken Färber doch nicht recht und gab darum mehrere Orte an, welche zu berühren ich gar nicht im Sinne hatte. Der Schmied aber folgte mir hinaus zum Pferde, und dort theilte ich ihm meine wahre Absicht mit. Er sann einen Augenblick nach und sagte dann:

»Der Bettler wird jetzt in Usu-Dere angekommen sein. Er wird sich ein wenig verweilen und dann aufbrechen. Er wird jedenfalls nach Maden und Palatza reiten. Von hier bis Maden hast Du zehn Aghatsch zu machen und mußt eigentlich über Mastanly und Göldschik reiten; aber ich kenne diese Strecke und werde Dir es ermöglichen, viel eher dort anzukommen. Wir reiten in ganz gerader Linie.«

»Was? Du willst mit?«

»Ja. Ich begleite Dich so weit, bis ich die Überzeugung habe, daß Du Dich nicht mehr irren kannst.«

»Das ist sehr freundlich von Dir, aber – –«

»Schweig!« fiel er ein. »Du weißt, was ich Dir zu danken habe.«

»Aber ich muß sehr schnell reiten!«

»Mein Pferd ist nicht schlecht; es ist das beste des Mannes, von dem ich es mir geborgt habe. Es wird sich anstrengen müssen. Habe ich mich von Dir verabschiedet, so kann ich es ja dann schonen. Ich bedaure nur, daß mein Weib das Glück, Dich noch einmal zu sehen, nicht haben kann. Aber Du darfst versichert sein, daß Dein Andenken uns für immer im Gedächtnisse bleiben wird.«

Halef war uns nachgekommen, um mich auf Etwas aufmerksam zu machen, woran ich gar nicht wieder gedacht hatte, nämlich auf den Beutel, von welchem während unsers Rittes von Kabatsch nach der Hütte zurück die Rede gewesen war. Derselbe wurde hervorgenommen und beim Scheine des brennenden Spanes auf seinen Inhalt geprüft.

Es befanden sich in demselben hundert österreichische Dukaten. So ein Dukaten wird fast durch die ganze Türkei nicht Dukaten genannt, sondern mit dem deutschen Worte >Münz< bezeichnet. Da einer derselben, je nach der Gegend, 53 bis 58 Piaster gilt, so betrug die Summe also zwischen tausend und elfhundert Piaster ungefähr.

Außerdem gab es noch fünfzig Beschliks. Das sind Fünfpiasterstücke. Dabei lag ein Zettel, auf welchem bemerkt war, daß die Dukaten mir, die Beschliks aber Halef gehören sollten. Wie ich später hörte, hatte Omar Ben Sadek bereits in Edreneh von unserem Gastfreunde ein Geldgeschenk erhalten.

Mancher mag ein solches Geldgeschenk nicht für zart halten. Auch mir kam ein schmollender Gedanke, der aber gar nicht lange die Oberhand behielt. Erstens hatte der Geber es gut gemeint. Er wußte, daß ich kein Millionär war. Zweitens hatte das Hauptgeschenk ja in anderen Gegenständen bestanden, welche uns freilich sammt dem Lastthiere und dem liebenswürdigen Khawassen verloren gegangen waren. Und drittens befand sich in dem Beutel auch noch ein für mich bestimmter Jüzük von wunderbar feiner Arbeit mit einem Gök jakut von ziemlicher Größe. Zwar kann ich keinen Ring am Finger dulden – des Mannes Schmuck soll anderer Art sein; aber dieser Ring gehört doch zu denjenigen Gegenständen, welche ich als freundliche Andenken aufbewahre.

Es versteht sich ganz von selbst, daß Halef seine fünfzig Beschliks sofort erhielt. Er steckte sie schmunzelnd ein und sagte:

»Sihdi, dieser Ejlikdar ist ein Mann von großem Verstande. Ich an seiner Stelle aber wäre vielleicht noch verständiger gewesen. Ein Kaf ist besser als ein Nun und steht auch im Alphabet vor demselben.«

Nämlich ein jeder Buchstabe des arabischen Alphabets hat auch eine Zahlenbedeutung. Das Kaf (K) bedeutet hundert und das Nun (N), welches aber in der feineren Aussprache vor einem B wie M gebraucht wird, nur fünfzig. Der kleine Hadschi hatte eben grad einmal seine unbescheidene Stunde. Fünfzig Mark sind für einen >Freund und Beschützer seines Effendi< freilich nicht sehr viel, als Bakschisch für einen Diener aber doch sehr reichlich bemessen.

Ich übergehe den Abschied, welcher noch einige wunderliche Szenen bot. Der Färber drückte mir die Rechte, und seine Tochter reichte mir die Linke. Die gute Tschileka weinte sogar einige Thränen schmerzlicher Rührung. Als ich schon zu Pferde saß, kam auch der Gehilfe herbei und streckte mir die Hand entgegen. Sollte ich sie ihm zum Abschiede drücken, oder wollte er ein Bakschisch? Meine Peitsche pflegte fester am Sattel zu hängen, als diejenige des tapferen Hadschi Halef Omar; jetzt aber hatte ich sie blitzschnell in der Hand und zog dem Halunken ein paar solche Hiebe über den Rücken, daß er sich mit einem raschen Sprung hinter seine dicke Herrin retirirte.

»O jazik! Bu biberlemer – O wehe! Das pfeffert!« rief er aus, mit der Hand nach der Kehrseite greifend.

»Tuz daha, arzussundscha – wünschest Du auch Salz?« fragte ich.

Sofort war der Hadschi hinter ihm, nahm die Peitsche vom Gürtel und fragte:

»Soll ich salzen? Er hat es verdient!«

»Boghul-dim – ich bin verduftet!« rief der Bedrohte und verschwand eiligst hinter der Ecke des Hauses.

Nun brachen wir auf.


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