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Ich befand mich auf unbekanntem Boden. Ich wußte nur, daß ich nach Ostromdscha reiten mußte, welcher Ort auch den Namen Strumnitza führt, von dem gleich benannten Fluß, an welchem er liegt. Da hätten wir nun eigentlich die Richtung nach Petridasch einschlagen müssen; aber ich konnte mir denken, daß man dies vermuthen und uns dahin folgen werde. Darum wendete ich mich schon nach kurzer Zeit in einem rechten Winkel dem Norden zu.
»Wohin willst Du, Sihdi?« fragte Halef. »Du weichst ja vom Wege ab!«
»Mit gutem Grunde. Habt Acht! Ich suche einen Pfad, eine Straße, welche weiter nördlich nach dem Fluß führt, in derselben Richtung, wie derjenige, dem wir bis jetzt gefolgt sind. Ich will unsere Verfolger irre leiten.«
»So müssen wir aufpassen. Es ist sehr dunkel.«
Wir hatten so Etwas wie Brachfeld unter uns. Bald merkte ich, daß wir uns wieder auf einem Wege befanden. Links hörte ich das kreischende Räderknarren eines schweren Ochsenwagens. Diese Richtung schlugen wir nun ein. Bald hatten wir den Wagen erreicht. Zwei riesige Büffel schleppten ihn hinter sich her; der Fuhrmann schritt voran. Am riesigen, in der Mitte hoch geschweiften Joch hing eine Papierlaterne.
»Wohin?« fragte ich den Fuhrmann.
»Nach Lebnitza,« antwortete er, mit der Hand vorwärts deutend.
In Folge dessen war ich orientirt. Also dieser Weg führte nach Lebnitza, welches am gleichnamigen, sich in die Struma ergießenden Flüßchen liegt.
»Wohin wollt Ihr?« fragte er.
»Nach Mikrova.«
»So nehmt Euch in Acht. Der Weg ist schlecht. Bist Du ein Dejirmendschi?«
»Gute Nacht!« sagte ich, ohne seine Frage zu beantworten. Er hatte sehr wohl Recht, so zu fragen. Beim Scheine seiner Laterne hatte ich bemerkt, daß wir Beide, Halef und ich, grad so aussahen, als ob wir in einem Mehlsack gesteckt hätten. Wir hatten noch nicht Zeit gefunden, uns zu reinigen. Wollten wir uns die Kleider nicht verderben, so mußten wir damit warten bis zum Morgen.
Nach einiger Zeit hörte ich Hufschlag vor uns. Wir holten einen einsamen Reiter ein, welcher uns höflich grüßte. Er erkundigte sich:
»Kommt Ihr auch von Menlik?«
Diese Frage ward bejaht.
»Ich will nach Lebnitza. Wohin reitet Ihr?«
»Auch dorthin,« antwortete ich.
»Das ist gut. Der Mawunadschi würde mich nicht übersetzen. Eines einzelnen Mannes wegen thut er dies so spät nicht mehr. Da Ihr aber auch hinüber müßt, so wird er sich bereit finden lassen, weil er mehr verdient. Darf ich mich zu Euch halten?«
»Ja, wenn es Dir gefällt.«
Eigentlich war mir sein Antrag nicht sehr willkommen; da er uns aber als Führer diente, so schlug ich ihm seinen Wunsch nicht ab. Ich hätte ja von der Fähre gar nichts gewußt.
Gesprochen wurde natürlich jetzt nichts mehr. Der Mann ritt seitwärts hinter mir und Halef her und beobachtete uns. Er mußte trotz der Dunkelheit unsere Gewehre bemerken, ebenso auch den hellen Schmutzüberzug, und er mochte wohl nicht wissen, für wen er uns zu halten habe. Da wir ihn nicht ansprachen, so schwieg er auch.
Am Flusse angelangt, bog er nach der Fähre ein, welche wir ohne ihn nicht so bald gefunden hätten. Drüben trennten wir uns nach kurzem Gruß.
Ich beabsichtigte keineswegs, in Lebnitza zu bleiben. Den Weg nach diesem Ort hatte ich eingeschlagen, um unsere Gegner irre zu führen und Petridasch zu vermeiden. Vom letzteren Ort führt der Weg immer an der Strumnitza entlang nach Ostromdscha. Dort lag die Ruine, in welcher Manach el Barscha warten wollte. Ich beabsichtigte, diesen Weg noch in der Nacht zu erreichen. Deßhalb ritten wir gleich weiter, nach Derbend zu, welches von Lebnitza südwestlich liegt.
Bald aber bemerkte ich, daß Rih nicht wohl auf dem Beine sei. Sollte der Nadelstich von üblen Folgen sein? Wenn das edle Thier erkrankte, war ich gebunden. Ich mußte es schonen und ihm Umschläge machen. Darum war es mir lieb, als ich nach einiger Zeit seitwärts vom Wege einen hellen Feuerschein bemerkte. Wir hielten auf denselben zu.
Mitten im freien Feld stand eine lange, niedrige Holzhütte, in welcher ich alsbald ein Sahan erkannte. Diese Sahana sind Gebäude, in denen man, oft in bedeutender Anzahl, Rinder schlachtet, um das Fett derselben auszukochen. Der Osmane liebt das Rindfleisch nicht. Er hat bis vor kurzer Zeit nicht verstanden, den Werth der Rinderheerden auszubeuten. Man sott in diesen Sahana das Fett, um es nach den größeren Städten zu verführen. Oft wurden da nur die Lendenstücke in Riemen ausgeschnitten und dann getrocknet als Nahrungsmittel verkauft.
Also vor einer dieser Hütten hielten wir jetzt an. Die größere Hälfte derselben diente als Schlacht- und Siederaum; die kleinere schien die Wohnung zu sein. Die erste Abtheilung hatte mehrere breite Thüren, welche offen standen. Da brannten etliche Feuer, über denen riesige Kessel hingen. Dabei saßen die Fleischer – wilde, schmutzige, fetttriefende Gesellen. Die Feuer leuchteten weit hinaus in das Feld und ließen alle Gegenstände in grotesker Gestalt erscheinen. Die Männer hörten uns kommen und traten unter die Thüren. Wir grüßten, und ich fragte, ob wir hier einen Platz finden könnten, um auszuruhen. Der Eine von ihnen kam nahe zu mir heran, betrachtete mich und sagte lachend:
»Ein Un-kurtu, der aus dem Ambar kommt! Ist kein Saka kuschu da, welches ihn fressen kann?«
Die Anderen stimmten in sein Gelächter ein und kamen auch herbei. Das war ein allerliebster Empfang! Ich wollte eine scharfe Antwort geben, doch kam mir Halef zuvor:
»Was sagst Du, felwe kuschu? Lecke Dir den Talg aus dem Gesicht und reibe Dir dafür lieber den Verstand mit Unschlitt ein, ehe Du Dich über Andere lustig machst! Deine Schönheit wird nicht größer durch das Lachen, denn dabei zeigst Du die Zähne eines Timsah und die Schnauze eines Tschoban köpeji, der Bajyr turpu gefressen hat! Hast Du vielleicht einen Sohn?«
Das kam so schnell und unerwartet, das klang so kräftig und selbstbewußt, daß der Mann in die Falle ging.
»Ja,« antwortete er, ganz verblüfft.
»Nun, so ist das arme Kind der Nachkomme eines Menschen, der kein Gehirn im Kopf hat, weil er zu dem Volk der Majmuni gehört. Ich bemitleide ihn!«
Jetzt erst kam der Fleischer zum Bewußtsein dessen, was ihm gesagt wurde. Er langte nach dem wollenen Fetzen, den er um den Leib trug und in welchem ein langes Schlachtmesser steckte, und antwortete zornig:
»Höre ich recht? Was hast Du gesagt?«
»Ich sehe, daß Dein Verstand nicht groß genug ist, um meine Worte zu fassen, die doch so deutlich waren! Soll ich sie Dir etwa wiederholen?«
»Sefil, dschüdsche – Knirps, elender! Soll ich Dir dieses Messer in den Leib rennen?«
Ich wollte mein Pferd zwischen ihn und Halef drängen; da aber ergriff ihn einer seiner Kameraden beim Arm und sagte hastig:
»Sökiut dur onlarin-war koptschaji – schweig, sie haben ja die Koptscha!«
Das gab der so gefährlich erscheinenden Scene eine augenblickliche Wendung zum Besseren. Der Mann betrachtete uns genauer und sagte dann im Tone der Entschuldigung:
»Afw sejr etmez-dim – Verzeihung, ich sah es nicht!«
»So öffne ein anderes Mal Deine holden Augen weiter,« meinte Halef. »Es ist doch sehr leicht zu sehen, daß dieser Emir, welcher unser Freund und Gebieter ist, die Koptscha der Anführer trägt! Du hast uns mit Schimpfworten empfangen. Ich sollte Dir die Hand so in das Gesicht legen, daß Du eine Takla springst, bis hinein in den hintersten Fettkessel. Aber ich bin gnädig gestimmt, und so wollen wir Dir verzeihen. Gebt uns einen Platz zur Ruhe, Futter für die Pferde und eine Fyrtscha für unsere Kleider, damit Ihr dann sehen könnt, ob wir wirklich Mehlwürmer sind!«
Halef war ein vollständig furchtloser Mensch. Dazu kam, daß er mit seinem selbstbewußten Auftreten bisher stets Glück gehabt hatte. War er durch dasselbe je einmal in eine augenblickliche Bedrängniß gerathen, so hatte ihn meine Einmischung stets wieder aus der Verlegenheit gerissen. Darum zeigte er auch jetzt keine Angst vor diesen Männern, obgleich ihr Äußeres durchaus kein Vertrauen erwecken konnte.
Der Fleischer, an welchen Halef seine Strafpredigt gerichtet hatte, betrachtete ihn mit einer Art bärbeißigen Wohlwollens, ungefähr so, wie ein amerikanischer Bluthund ein Schooßhündchen, das ihn ankläfft, betrachten würde. Auf seinem Gesicht war deutlich der Gedanke zu lesen: Armer Wurm! Ein Biß von mir und ein Schluck, so habe ich Dich gefressen; aber ich will es nicht thun, da Du mich dauerst!
Wir stiegen ab und erhielten geschrotenen Mais für die Pferde. Für uns gab es Fleisch in Menge. Ich nahm natürlich zunächst das Pferd vor und bat um einen alten Lappen, welchen ich zum nassen Umschlage brauchte. Als ich ihn dem Hengst umlegte, fragte mich einer der Fleischer, ob das Pferd am Fuß krank sei.
»Ja,« antwortete ich. »Es hat einen Stich oberhalb des Hufes erhalten.«
»Da legst Du Wasser auf? Das kühlt zwar, aber ich weiß ein noch viel besseres Mittel.«
»Was denn?«
»Ich bin hier in der ganzen Gegend als At tabibi bekannt. Ich kenne ein Jaghlamy, welches die Hitze benimmt und alle Wunden auf das Schnellste heilt. Wenn Du dieses Mittel versuchen willst, wirst Du es nicht zu bereuen haben.«
»Gut; wollen einmal eine Probe machen.«
Das war keineswegs voreilig gehandelt. Ich hatte gehört, daß in manchem dieser Sahana Kuren vorgenommen wurden, deren sich der unterrichtetste Arzt nicht zu schämen brauchte. Ich sollte dieses Vertrauen auch nicht zu bereuen haben. Rih trug die Salbe drei Tage lang am Fuß, und von einer Wirkung des Nadelstiches war keine Spur mehr.
Halef und ich schliefen bei unseren Pferden im Freien. Osko und Omar zogen die Hütte vor. Kurz nach Anbruch des Tages wurden wir von Treibern geweckt, welche eine Menge meist gefesselter Büffeln brachten, die entweder wegen ihres Alters oder wegen ihrer Unbändigkeit an das Sahan verkauft worden waren. Da war von Schlafen keine Rede mehr, obgleich wir ungefähr nur zwei Stunden geruht hatten.
Die Thiere sollten sofort geschlachtet werden. Ich wollte sehen, welche Methode man dabei anwenden werde. Man schlang dem betreffenden Büffel zwei Seile um die Hörner und zog ihn an einem Pfeiler in die Höhe. Oben auf einem Querbalken stand ein Mann, welcher mit einem Beil so lange auf dem Schädel des armen Geschöpfes herumtrommelte, bis es verendete. Der Todeskampf war ein schrecklicher.
Ich bat um die Erlaubniß, die dem Tode Geweihten niederschießen zu dürfen. Man lachte. Man glaubte nicht, daß die Kugel einem dieser riesigen und starkknochigen Thiere in's Leben dringen werde. Ich bewies ihnen das Gegentheil.
Der erste Büffel, welcher den Schuß erhielt, blieb mit tief gesenktem Kopf noch eine ganze Weile bewegungslos stehen. Nicht einmal die Spitze des Schwanzes zuckte. Die Augen stier auf mich gerichtet haltend, stand er mit weit gespreizten Beinen wie eine aus Eisen gegossene Figur.
»Die Beile her! Die Beile und Stricke!« schrie Einer. »Er wird gleich losbrechen!«
»Bleibt ruhig!« antwortete ich. »Er wird nicht los-, sondern zusammenbrechen.«
Das geschah auch. Ganz plötzlich, wie erst in diesem Augenblick von der Kugel getroffen, stürzte das mächtige Thier zu Boden und bewegte sich nicht mehr.
So ging es auch mit den Andern. Es war keine ehrenvolle Arbeit, diese Thiere zu erschießen; aber ich hatte doch die Genugtuung, daß sie ohne Qual endeten.
Es wunderte mich, daß wir nicht nach dem Woher und Wohin gefragt wurden. Vielleicht war es infolge des Umstandes, daß ich die Koptscha des Anführers trug. Man getraute sich nicht, eine Frage zu thun. Bevor wir aufbrachen, versahen wir uns mit einem Vorrath von Postrama, das heißt gedörrte Streifen von Büffel-Lende. Dieses Fleisch hält sich sehr lange und ist außerordentlich schmack- und nahrhaft. Als ich nach unserer Schuldigkeit fragte, wurde ich gebeten, ja nicht an Bezahlung zu denken. Es ward nichts angenommen, und wir schieden sehr befriedigt von diesen Leuten, obgleich unser Empfang ein keineswegs friedlicher gewesen war.
In Zeit von einer Stunde hatten wir Derbend erreicht und zu Mittag befanden wir uns in Jenikoi, am linken Ufer der Strumnitza. Hier hielten wir eine kurze Rast und ritten dann weiter auf Tekirlik zu.
Die Pferde waren müde – kein Wunder, da sie ja von Adrianopel an keine wirklich ausgiebige Ruhe gehabt hatten. So ritten wir langsam und gemächlich dahin, links den Fluß und rechts die Höhen, welche zur Hochebene des Plaschkawitza-Planina aufsteigen. Während dieses Rittes ließ Halef den Kopf hängen. Er zeigte üble Laune, was bei ihm eine große Seltenheit war und mir also um so eher auffiel. Ich fragte ihn, und er theilte mir mit, daß ihm die Brust schmerze.
Das konnte seinen Grund in unserem gestrigen Erlebniß haben. Vielleicht war er, als er in die Kammer stürzte, auf Etwas gefallen. Freilich konnte er sich nicht besinnen; aber ich war um den lieben Kerl besorgt und beschloß, den heutigen Ritt abzukürzen.
In Tekirlik angekommen, fragte ich nach dem Han. Es wurde mir eine Hütte gezeigt, deren Äußeres nicht eben einladend war. Wir stiegen trotzdem ab, ließen die Pferde unter Omar's Aufsicht und traten ein. Da bot sich uns ein Anblick, der nicht sehr appetitlich war.
In dem kleinen, schwarz geräucherten Raum saßen mehrere Männer. Der Eine war sehr eifrig beschäftigt, sich mit einem Dolchmesser die Nägel seiner Zehen zu verschneiden. Neben ihm hockte ein Zweiter, welcher einen Gegenstand in der Hand hatte, der vor langen Jahren wahrscheinlich einmal eine Bürste gewesen war, und rieb sich damit dasjenige Kleidungsstück, welches wohl nur er eine Hose nannte. Dieses Beinkleid war so voll von Schmutz, und der Besitzer arbeitete mit solchem Nachdruck, daß er in eine dichte Staubwolke gehüllt war. Ihnen gegenüber hatte ein Dritter einen Napf voll Milch zwischen den ausgestreckten Beinen und schabte an der Schneide seines Messers Knoblauch, den er in die Milch that. An der dritten Wand saß ein Vierter auf dem Boden und hatte den Kopf eines Fünften, den er rasirte, im Schooße liegen. Dieser Fünfte war ein bärtiger Arnaut. Er trug nur auf der Mitte des völlig eingeseiften Schädels einen Haarbüschel. Der Barbier strich Alles, was er von dem Hirnschädel des Genannten schabte, ganz gemächlich an die Wand und schnitt während seiner Arbeit Grimassen, wie ich sie selbst in den Vereinigten Staaten von keinem Negerbarbier gesehen habe. Und das will viel sagen, da diese schwarzen Barbers wegen ihren wunderbaren Gesichtsverzerrungen berühmt sind.
Als diese Herren uns eintreten sahen und unsern Gruß hörten, musterten sie uns zunächst. Dann fuhren der Fußzehen-Operateur und der Kleiderreiniger in ihren Beschäftigungen fort. Der Mann mit der Milch benützte die Unterbrechung dazu, eine wirklich lebensgefährliche Dosis Knoblauch in den Mund zu stecken. Der Barbier aber sprang auf, verbeugte sich tief und sagte:
»Chosch geldiniz; bendeniz el öpir – seien Sie willkommen; Ihr Diener küßt die Hand!«
Da wir nicht so schmutzig aussahen, wie der Hosenbürster, so hielt uns der Barbier wohl für vornehme Leute.
»Mehandschi nerde – wo ist der Wirth?« fragte ich.
»Dyschar dadyr – er ist draußen.«
»Berber-sen – Du bist Barbier?«
»Hei hei; im hekim baschi – warum nicht gar; ich bin Oberarzt!«
Er sagte das in einem Tone, der gar nicht stolzer und selbstbewußter sein konnte, deutete auf den Arnauten und fügte mit wichtiger Miene hinzu:
»Onu-da schische komarim – ich werde ihn auch noch schröpfen!«
Ehe ich ihm sagen konnte, daß diese Mittheilung meine Hochachtung sogleich verzehnfacht habe, gab der Arnaut ihm einen kräftigen Tritt mit dem Fuß und rief:
»Hund, wen hast Du zu bedienen? Mich oder diesen dort? Meinst Du, daß ich hier so lange liegen kann, wie es Dir gefällt! Ich werde Dir zeigen, daß Du einen Beamten des Padischah vor Dir hast!«
Der >Oberarzt< kauerte sich schnell wieder nieder, ergriff das eingeseifte Haupt und fuhr in seiner unterbrochenen Beschäftigung fort.
Ich hatte eigentlich gleich wieder umkehren wollen; aber das Wort >schröpfen< bewog mich zum Bleiben. Ich wollte doch sehen, in welcher Weise dieser berühmte Heilkünstler die Operation vornehmen würde. Wir hockten uns also nieder, so eng wie möglich, um ja nicht mit den Andern in Berührung zu kommen.
Als der Wirth hereintrat und nach unseren Befehlen fragte, ließ ich einen Schluck Raki bringen als das Einzige, zu welchem man sich entschließen konnte.
Der Barbier war fertig geworden und rieb den glänzenden Schädel mit seinem Kaftan ab, bespuckte aber natürlich erst die Stelle des Gewandes, welche er zum Abreiben benutzte. Dann entblößte der Arnaut seinen Oberkörper. Eine Ehre für uns war es jedenfalls, daß er sich zu der entschuldigenden Erklärung herbeiließ:
»Gidschischim war – ich habe Hautjucken.«
Einige tüchtige Peitschenhiebe, wären da wohl nützlicher gewesen, als das Schröpfen!
Der >Oberarzt< holte einen Sack aus dem Winkel herbei und zog einige Gegenstände hervor, welche ich für alte, hohle Uhrgewichte hielt. Sie konnten je vier Zehntelliter Inhalt fassen. Dazu kam noch ein Instrument, welches einer unbrauchbaren Lichtputzschere so ähnlich sah, wie ein Ei dem andern. Nun wurde Raki angebrannt, und der Doktor hielt eins der Uhrgewichte über die Flamme. Als die Luft durch die Wärme verdünnt worden war, mußte der Arnaut sich auf den Bauch legen, und der Barbier versuchte, ihm den riesigen Schröpfkopf auf den Rücken zu setzen.
Der Rand des Gefäßes war heiß geworden; der Arnaut fühlte den Schmerz und langte dem Oberarzt eine so kräftige Ohrfeige hinauf, daß der Getroffene sich, so lang er war, neben den milden Spender hinlegte.
»Was fällt Dir ein?« zürnte der Patient. »Du sollst mich schröpfen, nicht aber verbrennen!«
»Kann ich dafür?« lautete die Entschuldigung. »Das Alet muß ja heiß sein, sonst zieht es nicht.«
Er nahm sich aber nun mehr in Acht, und es gelang ihm, zwei der Schröpfköpfe zum Haften zu bringen. Er warf mir einen triumphirenden Blick zu, wurde aber aus seiner Verzückung durch den zornigen Ausruf des Arnauten gerissen:
»Mensch, willst Du mich umbringen! Wer soll denn solche Schmerzen aushalten?«
»Habe nur einen Augenblick Geduld! Juckt es Dich im Rücken noch?«
»Nein. Es brennt und sticht und beißt!«
»Siehst Du, daß ich Dir Hülfe bringe! Das Jucken ist bereits vorüber. Jetzt kommt der Bilema daran.«
Er zog aus dem Sack ein langes Eisen und begann das Instrument, welches ich für eine Lichtschere hielt, zu wetzen. Er that dies mit einer so unternehmenden Miene, als ob es gelte, einem Nilpferd den Genickfang zu geben. Er prüfte die Schärfe des Instrumentes an einem Balken der Wand und kniete dann neben dem Patienten nieder.
Die Schröpfköpfe waren unterdessen erkaltet und also abgefallen, zwei rothe, geschwollene Stellen zurücklassend.
Der Heilkünstler setzte an und zählte:
»Bir – icki – ätsch – eins – zwei – drei! Allah 'l Allah! Was thust Du? Ist das der Dank dafür, daß ich Dir die Gesundheit wieder schenke?«
Nämlich in demselben Augenblick, in welchem der Arnaut den Stich erhielt, bekam der Arzt eine zweite Ohrfeige. Der Operirte war aufgesprungen und faßte den Wundermann beim Kragen.
»Hund, Du hast mich halb erstochen!« brüllte er. »Wie kannst Du das Blut eines Dieners des Großherrn so unmäßig vergießen! Soll ich Dich aufspießen oder soll ich Dich erwürgen?«
Auch ich stand auf, aber nicht etwa dieses Vorkommnisses wegen, welches mich gar nichts anging, sondern aus einem anderen Grunde. Nämlich der Mann, welcher sich an den Zehen herumgeschnitzt hatte, war mit dieser Beschäftigung fertig geworden und hatte eine andere, leider nicht appetitlichere begonnen.
Er hatte nämlich das helle Tuch, welches er turbanartig um den Kopf trug, herabgenommen und vor sich ausgebreitet, dann einen aus Holz grob geschnitzten Turak aus der Tasche gezogen und sich ganz ungeniert und vor unsern Augen einer Beschäftigung hingegeben, welche zwar dem Orientalen nicht oft genug empfohlen werden kann, aber doch nicht gar so öffentlich und unbefangen vorgenommen werden sollte. Er schien nicht Muhammedaner zu sein, denn er trug sein volles Haar – und was für ein Haar! Und diesen Filz eggte er mit einer Vehemenz – – – doch genug davon!
Als nun die ärztliche Operation einen interessanten Schluß zu erhalten schien, wollte er sich das zarte Schauspiel nicht entgehen lassen. Er erhob sich also auch und schüttelte das Tuch ganz einfach aus und zwar grad dahin, wo wir uns befanden.
Ich stand natürlich im nächsten Augenblick draußen, und die Anderen waren auch bei mir. Halef meinte lachend:
»Afw, Effendi; tehammül etmez-di daha hajle wakyt – verzeihe ihm, Herr; er konnte es nicht länger mehr aushalten!«
Der Wirth erhielt seine Bezahlung, und wir verließen den nur für Insektensammler so interessanten Ort. Ein zweites Han, selbst wenn es eines gab, war wohl auch nicht einladender, und so waren die Gefährten mit mir einverstanden, als ich äußerte, die Nacht lieber im Freien zubringen zu wollen, als in einem solchen Hause.
Vor dem Ort draußen holten wir einen ärmlich gekleideten Mann ein, welcher neben einem zweiräderigen Karren einher ging, der von einem kleinen, magern Esel gezogen wurde. Ich grüßte ihn, den Mann, und fragte, wie weit es bis Radowa sei, und ob es unterwegs ein Einkehrhaus gebe. Zu reiten hatten wir zwei Stunden; ein Han gab es unterwegs nicht. Wir kamen in ein Gespräch; er benahm sich sehr demüthig. Es schien ihm Überwindung zu kosten, die Frage hervorzubringen:
»Du willst in Radowa bleiben, Herr?«
»Vielleicht halte ich bereits vorher an.«
»Da müßtest Du im Freien übernachten!«
»Das thut nichts. Der Himmel ist das gesündeste Dach.«
»Du hast Recht. Wäre ich nicht arm und ein Christ, so würde ich Dir mein Dach anbieten.«
»Wo wohnest Du?«
»Gar nicht weit von hier; einige Minuten am Bach aufwärts steht meine Hütte.«
»Und was bist Du?«
»KerpitschiZiegelstreicher.«
»Just weil Du arm bist und ein Christ, werde ich bei Dir bleiben. Ich bin auch ein Christ.«
»Du, Herr?« fragte er, ebenso erstaunt als erfreut. »Ich habe Dich für einen Moslem gehalten.«
»Warum?«
Er antwortete achselzuckend:
»Die Christen sind hier alle arm.«
»Auch ich bin nicht reich. Du brauchst Dir keine Sorge zu machen. Fleisch haben wir bei uns. Wir werden von Dir nichts erbitten, als warmes Wasser zum Kaffee. Hast Du Familie?«
»Ja, eine Frau. Ich hatte auch eine Tochter; aber sie ist gestorben.«
Sein Gesicht nahm dabei einen Ausdruck an, der mich verhinderte, weiter zu fragen.
Es könnte scheinen, als sei es unrecht von uns gewesen, dem armen Schlucker beschwerlich zu fallen; aber ich habe es so viele Male erlebt, daß grad der Arme ganz glücklich und stolz ist, wenn er an einem besser Gestellten Gastfreundschaft üben darf. Sehr arm allerdings war dieser Mann; das sah man seiner Kleidung an, welche nur aus einem Leinwandkittel und aus einer Hose desselben Stoffes bestand. Kopf und Füße waren bloß.
Schon nach kurzer Zeit gelangten wir an einen Bach, welcher sich in die Strumnitza ergoß, und folgten dem Thale desselben aufwärts bis zu der Hütte, die neben einer tiefen Lehmgrube stand. Sie hatte nur die Thür- und eine Fensteröffnung, aber einen richtigen Schornstein. Und neben der Thüre war eine Ziegelbank errichtet; hinter dem Häuschen befand sich ein kleiner Gemüsegarten, und an denselben schloß sich eine junge Baumpflanzung. Das machte einen guten, freundlichen Eindruck. Seitwärts waren lange Reihen von Ziegeln über einander geschichtet, um an der Luft zu trocknen, und eben jetzt kam die Frau aus der Lehmgrube. Sie hatte unser Kommen gehört, schien aber über die Anwesenheit so fremder Leute ganz erschrocken zu sein.
»Komm herbei!« sagte ihr Mann. »Diese Effendis werden heute bei uns bleiben.«
»O Himmel! Du scherzest!« rief sie aus.
»Nein, ich scherze nicht. Dieser Effendi ist ein Christ. Du wirst ihn gern willkommen heißen.«
Da erheiterte sich ihr Gesicht.
»Herr, erlaube, daß ich mich wasche!« sagte sie. »Ich habe in der Grube gearbeitet.«
Sie trat an den Bach, wusch sich die Hände, trocknete sie an der Schürze und reichte mir die Rechte dann mit den Worten dar:
»Wir haben noch niemals so vornehme Gäste bei uns gesehen. Wir sind so arm, und ich weiß nicht, was ich Euch bieten soll.«
»Wir haben, was wir brauchen,« beruhigte ich sie. »Wir wären weiter geritten; aber da ich hörte, daß Ihr Christen seid, entschloß ich mich, bei Euch zu bleiben.«
»So tretet ein in unsere Hütte! Wir wissen, welche Ehre uns heute widerfährt.«
Das klang so offen, herzlich und wohlthuend. Auch sie war außerordentlich ärmlich gekleidet, doch sauber, trotz ihrer schmutzigen Arbeit. Rock, Jacke und Schürze, vielfach zerrissen, waren fleißig geflickt. Das sieht man so gern. Die Gesichter Beider waren mager und hatten einen Zug, der auch von seelischem Leide sprach. Ächt deutsch gesagt: ich war den beiden Leuten sogleich gut.
Man trat durch die Thüre in eine kleine Abtheilung, welche zur Aufbewahrung von Handwerkszeug und auch als Stall des Eselchens diente. Von da kam man links durch einen zweiten Eingang in die Wohnstube.
Dort stand – ja, wirklich – ein richtiger Ofen, aus Ziegelsteinen aufgeführt. Dann gab es einen Tisch, eine Bank und einige Schemel, Handarbeit des Mannes und blitzblank gescheuert. Auf etlichen, an die Wand befestigten Brettern standen mehrere Gefäße. In der hinteren Ecke befand sich das Bett, von harzigen, bis zur Decke reichenden Zweigen eingefaßt, und daneben war eine Nische angebracht mit dem Bild des heiligen Basilius und mit einem brennenden Lämpchen davor.
Das war arm, aber anheimelnd.
Die Frau blickte den Mann verlegen fragend an. Er gab ihr einen, nach außerhalb des Hauses gerichteten Wink und nickte dazu. Während wir ablegten, trat ich an das Fenster und sah, daß die Frau mit einer Hacke in der Hand quer durch den Bach schritt, was einige darin liegende Steine erleichterten, und dann jenseits in der Nähe eines Busches zu hacken begann. Ich ahnte sogleich, um was es sich handelte.
In jenen Gegenden nämlich und noch mehr nach Griechenland hinein ist es in gewissen, natürlich christlichen Kreisen gebräuchlich, fest verschlossene Krüge oder sonstige Gefäße, die mit Wein gefüllt sind, zu dem Zweck zu vergraben, daß sie erst bei der Hochzeit der Tochter wieder ausgegraben werden. Der Wein hat dann eine seltene Güte erlangt. Bei reichen Hochzeiten geht es hoch her; es darf kein Tropfen übrig bleiben.
»Laßt ihn drin,« sagte ich zu dem Manne. »Ich ziehe das Wasser vor, und meine Begleiter sind nicht Christen, sondern Muhammedaner und dürfen keinen Wein trinken.«
»Nicht Christen? Sie haben doch hier vor dem Heiligen die frommen Zeichen gemacht!«
»Weil sie es von mir gesehen haben. Sie verachten den Andersgläubigen nicht, doch halten sie ihre Gebote. Laß also den Wein in der Erde!«
»Woher weißt Du denn, daß ich Wein vergraben habe und ihn holen lassen will?«
»Ich errathe es.«
»Ich habe nur ganz wenig, einen kleinen Krug voll. Meine Tochter bekam ihn von dem Jüngling geschenkt, welcher dann ihr Verlobter wurde. Wir vergruben den Wein, um bei der Hochzeit einen Ehrentrunk zu haben. Nun sie aber gestorben ist, wollte ich ihn Euch anbieten.«
»Das gebe ich nicht zu. Das Herz würde mir wehe thun.«
»Herr, nimm ihn doch! Wir geben ihn so gern!«
»Ich weiß es. Die Gabe des Armen hat hundertfachen Werth. Es ist so gut, als tränke ich ihn.«
Ich ging hinaus und rief die Frau zurück. Sie gehorchte nur widerstrebend. Ich bat sie, heißes Wasser zu machen. Während dies geschah, führten wir die Pferde auf einen mit fettem Grase bewachsenen Plan und fesselten ihnen die Vorderfüße. Dann gab ich der Frau Kaffee, um ihn zu stoßen. Ich hatte dabei die große Freude, ein fröhliches Aufleuchten ihrer Augen zu bemerken. Wer weiß, seit wann diese armen Menschen keinen wirklich schmackhaften Kaffee gehabt hatten!
Als der Trank fertig war und die ganze Stube durchduftete, zogen wir diese Leute aus der Verlegenheit, indem wir unsere Trinkbecher hervorsuchten. Nun kamen unsere Fleischvorräthe an die Reihe. Als wir den Kaffee getrunken hatten, war es Nacht geworden, und der Braten lud zum Essen ein.
Die Beiden sollten sich mit uns an den Tisch setzen, waren aber nicht dazu zu bringen. Sie nahmen kein Stück von dem Fleisch an.
»Verzeihe, Herr!« sagte der Mann. »Wir dürfen heute nicht essen.«
»Warum nicht? Es ist heute kein Fasttag.«
»Wir essen Montags, Mittwochs und Freitags nichts.«
»Ich weiß zwar, daß bei Euch die Mönche an diesen drei Tagen fasten; Ihr aber seid doch Laien!«
»Wir fasten dennoch. Wir haben es uns vorgenommen.«
»Ist es eines Adak wegen?«
»Nein. Wir haben kein Gelübde gethan; wir haben es unter uns verabredet.«
»So will ich Euch von meinem Mehle geben, damit Ihr Euch Etwas backt.«
»Ich danke Dir! Wir essen nichts, gar nichts.«
»Aber selbst Eure Priester essen während der Fasttage doch wenigstens Hülsenfrüchte, Wurzeln und Kräuter.«
»Wir aber keinen Bissen. Nimm es nicht übel, Herr!«
Diese blutarmen Menschen, da saßen sie neben einander auf dem Schemel; aus ihren hagern Gesichtern blickte das Leiden, und trotz des besten Willens konnten sie die Augen nicht von den Essenden wenden. Es that mir wehe. Der Bissen quoll mir im Munde. Ich stand auf und ging hinaus. Ich kann bei keinem Kummer, bei keiner Entsagung den kalten, ruhigen Zuschauer machen.
Ich suchte nach einem Platz, der sich zum Lagern eignete, und fand sehr schnell einen ganz vortrefflichen. Es war heute sehr sternenhell, nicht so finster wie an den vergangenen Abenden. Hinter dem Hause stieg eine mit lichtem Buschwerk besetzte Anhöhe zum Wald empor. Oben, wo die Bäume begannen, gab es einen kleinen, lichten Platz; das hatte ich bei unserer Ankunft von unten gesehen. Diesen Platz suchte ich jetzt auf. Es war da ein weicher Rasen, auf welchem es sich gewiß ganz prächtig ruhen ließ. Schon wollte ich wieder fort, als ich unter einer Platane etwas Viereckiges, Dunkles bemerkte. Ich trat näher. Es war ein Grab. Zu Häupten desselben war ein Kreuz an dem Stamme des Baumes befestigt.
Stand dieses Grab vielleicht in Beziehung zu der so sichtbaren Trauer unserer Wirthsleute? Zu ihrem Fasten? Jedenfalls.
Meine Theilnahme vermehrte sich, doch nahm ich mir vor, nicht zu fragen. Es ist nicht gut, blutende Wunden zu vergrößern oder verharrschte aufzureißen.
Ich stieg von der Höhe hinab und traf unten in der Nähe des Hauses den Wirth, welcher sich wohl nach mir umgesehen hatte.
»Herr, Du gingst fort,« sagte er. »Ist das aus Zorn gegen mich geschehen?«
»Nein. Weßhalb sollte ich Dir zürnen?«
»Weil ich Deine Gaben zurückwies. Du kommst von da oben herab. Hast Du ein Grab gesehen?«
»Ja.«
»Es ist dasjenige meiner Tochter. Ich möchte Dich um etwas sehr Wichtiges fragen. Darf ich?«
»Ja. Ich habe Zeit.«
»Ich bitte, komm mit da hinüber, wo die Pferde sind. Es braucht kein Anderer zu hören, was ich sage.«
Wir gingen nach der Weide. Dort setzten wir uns neben einander nieder. Es dauerte einige Zeit, ehe er sprach. Es mochte ihm schwer werden, einen passenden Anfang zu finden. Endlich sagte er:
»Als Du hinausgegangen warst, sprachen wir von Dir. Ich hörte, daß Du ein Müellif bist und Bücher schreibst, daß Du alle Muderrislikler, die es nur gibt, gelernt hast, und daß es keine Frage gibt, die Du nicht beantworten kannst.«
Da hatte der Luftikus, der kleine Hadschi, wieder einmal den Mund voll genommen! Natürlich, je heller er mich malte, desto mehr Licht konnte er auch auf sich fallen lassen. Ich antwortete daher:
»Das ist nicht wahr. Es gibt nur eine einzige Gelehrsamkeit; eine andere kenne ich nicht.«
»Welche meinst Du?«
»Sie liegt in dem Gebote der heiligen Schrift: Trachtet am Ersten nach dem Reiche Gottes; das andere Alles wird Euch dann von selbst zufallen.«
»Da hast Du wohl Recht. Kennst Du die heilige Schrift und ihre Lehren?«
»Ich habe gesucht und geforscht in ihr, denn es ist das ewige Leben darin; aber der Geist des Menschen ist zu schwach, das göttliche Licht zu ertragen. Ich habe sehr oft wochenlang über ein einziges Wort der Bibel nachgedacht und dabei erkannt, daß ich vermessen handelte. Dann las ich mit dem Herzen und fand das Richtige gleich.«
»Mit dem Herzen? Wer da auch lesen könnte! Hast Du gefunden, was die Bibel von dem Tode und von dem ewigen Leben sagt?«
»Ja.«
»Glaubst Du an ein Leben nach dem Tode?«
»Hätte ich diesen Glauben nicht, so wäre es besser, ich wäre nicht geschaffen. Der Glaube an die ewige Seligkeit ist bereits der Anfang der Seligkeit.«
»So lebt der Geist nach dem Tode fort?«
»Ganz gewiß.«
»Und es gibt ein Fegefeuer?«
»Ja.«
»Wir sagen, daß es keins gebe. Gibt es Chajjalar?«
»Nein.«
»O, wer das glauben könnte! Es gibt Seelen, die keine Ruhe finden und als Gespenster wiederkommen. Ich weiß es. Darum bin ich so unglücklich, und darum faste ich mit meinem Weibe. Wir denken, daß wir sie dadurch vielleicht erlösen können.«
»Sie? Wen meinst Du?«
»Die, an deren Grab Du warst. Meine Tochter.«
»Willst Du etwa sagen, daß sie als Gespenst umgehe?«
»Ja.«
»Unglücklicher! Wer ist so boshaft gewesen, einem Vater glauben zu machen, daß seine Tochter als Gespenst spuke?«
»Ich weiß es genau!«
»Hast Du sie denn gesehen?«
»Ich nicht, sondern Andere.«
»Glaube ihnen nicht!«
»Aber gehört habe ich sie.«
»Du bist toll! In welcher Gestalt erscheint sie denn?«
»Als Jarassa ist sie erschienen,« antwortete er ganz leise, indem er den Mund nahe an mein Ohr brachte. »Man soll nicht davon reden, wenigstens nicht laut. Ich gräme mich zu Tode. Da ich hörte, Du seist ein so großer Gelehrter, dachte ich, Du könntest mir ein Mittel sagen, ihr die Ruhe zu geben.«
»Kein Gelehrter kennt ein Mittel, wie Du es meinst. Aber glaube nur fest, daß es keine Gespenster gibt, so bist Du auf einmal befreit von Deinem Kummer!«
»Das kann ich nicht; das kann ich nicht. Ich höre sie ja! Und stets grad um ihre Todesstunde.«
»Wann ist das?«
»Zwei Stunden vor Mitternacht. Dann kommt sie durch die Luft gesaust und klopft an unsern Laden.«
»Als Fledermaus? Da klopft sie?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe sie nur gehört, aber nie gesehen. Doch Andere haben sie als Fledermaus gesehen, und nun liegt ihr Verlobter todkrank und muß sterben.«
Da stieg mir eine Ahnung auf. Ich fragte:
»Meinst Du etwa, daß sie ein Vampyr sei?«
»Ja, das ist sie!«
»Mein Gott! Das ist ja noch schrecklicher, als ich dachte!«
»Nicht wahr? Ich sterbe noch vor Kummer!«
»Ja, stirb vor Kummer! Aber vor Kummer über Deine Dummheit! Verstanden?«
Das war hart; aber nicht jede Medizin schmeckt süß. Er saß weinend neben mir; ich hatte das herzlichste Mitleid mit ihm. Der Aberglaube ist in jenen Provinzen so tief eingedrungen, daß man starke Mittel braucht, wenn man gegen ihn kämpfen will. Übrigens wollte ich nur wenige Stunden hier bleiben und hatte also gar keine Zeit zu breiten Auseinandersetzungen.
»Herr, ich hatte Trost von Dir erwartet,« sagte er, »nicht aber solchen Spott!«
»Ich spotte Deiner nicht, sondern ich bin entrüstet über Deinen schlimmen Aberglauben. Geh zu Deinem Popen und frage ihn. Er wird Dir sagen, welch eine Sünde es ist, zu glauben, daß Deine Tochter ein Vampyr sei.«
»O, ich war ja bei ihm!«
»Nun, was sagte er denn?«
»Dasselbe, was er zu Wlastan gesagt hat, der auch bei ihm gewesen ist.«
»Wer ist denn dieser Wlastan?«
»Mein bester Freund früher, jetzt aber mein ärgster Feind. Sein Sohn war der Verlobte meiner Tochter. Jetzt steht sie aus ihrem Grabe auf und saugt ihm das Blut aus dem Leibe, so daß er langsam hinsiecht und sterben muß.«
»Hm! Also er ist bei dem Popen gewesen! Was hat dieser zu ihm gesagt?«
»Er hat zugegeben, daß meine Tochter ein Vampyr sei.«
»Unmöglich! Ist sie denn ohne Beichte und Absolution gestorben? Man sagt, daß dies bei einem Vampyr immer der Fall sei.«
»Leider war es so. Der Pope wohnt weit von hier und konnte nicht kommen. Und in Tekirlik durfte ich die Leiche nicht begraben – der Tschitschek wegen.«
»Ist Deine Tochter an dieser Krankheit gestorben?«
»Ja. Es gab damals hier mehrere Blatternkranke. Meine Tochter war unwohl; sie hatte Kopfschmerz und konnte nicht essen. Sie ging hinauf zu Wlastan, um dessen Frau, die ihre Schwiegermutter werden sollte und die Pocken hatte, zu pflegen. Sie kam bald wieder nach Hause. Sie hatte Fieber; es mußte ihr Etwas geschehen sein; sie that so entsetzt, so erschrocken; ich habe aber den Grund nicht erfahren können. Sie sagte im Phantasiren nur immer, daß der Sohn Wlastan's, ihr Bräutigam, sterben müsse. Dann brachen die Pocken aus, und sie starb; aber noch vor ihrem Tode sagte sie, daß er sterben müsse. Nun ist sie ein Vampyr und holt ihn zu sich, wenn man nicht das Mittel des Popen in Anwendung bringt.«
»Welches Mittel ist es?«
»Man muß ihr Grab öffnen und ihr einen spitzen, geweihten Pfahl, welcher mit dem Fett eines acht Tage vor Weihnacht geschlachteten Schweines bestrichen ist, in das Herz stoßen.«
»Schrecklich, schrecklich! Auch daran glaubst Du, daß das Mittel hilft?«
»Ja. Aber ich gebe die Erlaubniß nicht dazu. Der Pope mag kommen und bei dem Kranken wachen; dann kann ihr Gespenst nicht zu ihm. Geschieht dies zwölf Nächte lang, so kommt sie nicht wieder und ist erlöst. Wird sie aber im Grabe gespießt, so fällt sie dem Teufel anheim. Es soll entsetzlich sein, wie so ein Vampyr schreit und gute Worte gibt, wenn er gespießt werden soll. Das geschieht stets um Mitternacht. Der Leib des Vampyrs verwest nämlich nicht. Er liegt im Grabe so warm und roth, als ob er am Leben sei. Weil ich das Grab meiner Tochter nicht öffnen lassen will, ist Wlastan mein Todfeind geworden.«
»Was ist dieser Mann?« fragte ich.
»Er ist Tughladschi und Keremitschi, während ich nur Kerpitschi bin. Wir stammen beide aus der Gegend von Drenowa und kamen hierher, um die Lehmgruben zu pachten. Er war wohlhabend, und ich bin arm; aber er war nicht stolz, und sein Sohn wollte mein Eidam werden. Nun ist das Alles aus.«
»Wohnt er weit von hier?«
»Eine Viertelstunde am Bach hinauf.«
»Ich werde ihn morgen früh aufsuchen und ihm meine Meinung sagen. Ihr seid alle Beide unglaublich dumm!«
»Dann wäre der Pope ja auch dumm?«
»Vielleicht ist er noch mehr als das. Aber sag': kommt Deine Tochter denn an bestimmten Tagen durch die Luft geflogen, um an Deinen Laden zu klopfen?«
»Sie kommt nicht regelmäßig.«
»Bist Du nicht hinausgeeilt?«
»Nein. Wie könnte ich das thun! Der Anblick eines Vampyrs kostet das Leben.«
»Nun, so wollte ich, sie käme heute!«
»Heute ist Mittwoch, und Mittwochs ist sie meist gekommen.«
»Schön! Ich werde sie fragen, warum sie Dich nicht schlafen läßt.«
»Herr, das wäre toll! Ich würde noch eine Leiche zu begraben haben.«
»Das ist möglich.«
»Nämlich Dich!«
»Schwerlich! Doch schließen wir jetzt unsere Unterredung. Ich höre meine Gefährten sprechen. Sie haben nun gegessen und suchen mich.«
»Du wirst ihnen doch nichts erzählen?«
»Nur dem kleinen Hadschi werde ich es erzählen. Er wird mir helfen, den Vampyr zu kuriren.«
»Herr, ich bitte Dich auf das Innigste, sei nicht unbesonnen! Du opferst thöricht Dein Leben!«
»Ich werde im Gegentheile sehr besonnen sein. Ich habe mich bereits viele Jahre lang gesehnt, ein Gespenst zu sehen, und würde mich sehr freuen, wenn dieser Wunsch heute in Erfüllung ginge.«
»Ich höre, daß Du keine Angst hast, und ich errathe den Grund davon. Wirst Du vielleicht die Güte haben, mir den Sihri zu zeigen, den Du besitzest?«
»Ja, gern. Hier ist er.«
Ich hielt ihm die geballte Faust vor das Auge.
»Mache die Hand auf, daß ich ihn sehe!«
»Siehe her! Es befindet sich nichts in der Hand. Die Faust ist der Talisman; das meine ich.«
Wir sprachen nicht weiter, denn wir waren mit den Andern zusammengetroffen. Wir führten vor dem Hause noch eine kurze Unterhaltung, während welcher ich dem darüber ganz glücklichen Kerpitschi meinen Tabak zu kosten gab, und dann sagten wir ihm und seinem Weib gute Nacht. Beide waren nicht wenig erstaunt, als sie hörten, daß wir uns oben am Grabe zur Ruhe legen wollten. Sie protestirten auf das Eifrigste dagegen, hatten aber keinen Erfolg. Wo ein müdes Menschenkind für immer schläft, darf man sich ohne Sorge für eine kurze Nacht zur Ruhe legen.
Osko und Omar stiegen hinauf; ich aber blieb mit Halef noch unter dem Vorwande, nach den Pferden sehen zu wollen.
»Sihdi, Du hast etwas Geheimes, was diese Beiden nicht wissen sollen?« meinte der Kleine.
»Ja. Hast Du einmal ein Gespenst gesehen, Halef?«
»Es soll allerlei Dschinns geben, in der Wüste und in den Wäldern, auf den Bergen und in den Thälern; aber gesehen habe ich noch keinen Geist.«
»Du irrst. Du hast einen gesehen.«
»Wo?«
»Im Lande der Kurden, den Höhlengeist.«
»Du meinst Marah Durimeh? Die war ein gutes Weib, aber kein böser Dschinn. Einen richtigen Dschinn möchte ich jedoch gern einmal sehen.«
»Ich weiß einen.«
»Wo?«
»Hier. Es kommt des Abends ein Gespenst durch die Luft gefahren und klopft da an den Laden.«
»O Wunder! Denkst Du, daß es auch heute kommt?«
»Ich weiß es nicht, aber ich wünsche es.«
»Ich auch. Wir könnten diesen Geist fragen, ob er einen Paß des Großherrn bei sich hat. Wollen wir?«
»Ja. In einer halben Stunde ist die Zeit, in welcher er zu kommen pflegt. Kommt er nicht, so versäumen wir nur diese wenigen Minuten.«
»Wo erwarten wir ihn?«
»Hier am Bach, hinter den Büschen da liegen wir bequem im Grase und haben das Haus so nahe, daß wir es mit fünf Schritten erreichen können. Wir warten, bis er gehen will, und fassen ihn dann von zwei Seiten her.«
»Gebrauchen wir die Waffe, wenn er sich wehrt?«
»Das wollen wir vermeiden. Wir Zwei werden doch wohl ein einziges Gespenst festhalten können!«
»Ganz richtig! Eigentlich brauche ich Dich gar nicht dazu. Ich bin Dein Freund und Beschützer. Du könntest Dich ganz ruhig schlafen legen.«
Bei diesen Worten kroch er hinter den einen Busch. Ich legte mich nur eine kurze Strecke davon hinter den andern. Eigentlich that ich das nur so pour passer le temps. Ich war fest überzeugt, daß der Vampyr nicht kommen werde. Daher dachte ich auch gar nicht an die nöthige Vorsicht und fragte auf die Entfernung von mehreren Metern den Hadschi nach seinem Brustschmerz und bat ihn, sich zu schonen, falls es zum Handgemenge käme.
»Sei still, Sihdi!« antwortete er. »Wer einen Dschinn fangen will, der darf ihn nicht durch lautes Sprechen warnen. Das sollst Du jetzt hier von mir lernen.«
Natürlich leistete ich diesem Befehle Gehorsam. Der Kleine hatte Recht. Lagen wir einmal da, so mußten wir die Sache auch ernst nehmen. Und ernst war sie ja auf alle Fälle. Ich hatte von diesem Vampyr-Aberglauben viel gehört und viel gelesen. Jetzt galt es günstigen Falls eine That, so einem gespensterhaften Blutsauger hinter die Flughäute zu schauen und die beiden braven Wirthsleute von ihrer Angst und ihrem Kummer zu heilen. Es lag ja jedenfalls eine Täuschung vor.
So warteten wir weit über eine halbe Stunde. Schon wollte ich fortgehen, da kam es geschlichen, schnell und völlig geräuschlos, von der Seite her, an welcher ich mich befand. Es war eine dunkle, männliche Gestalt, die mit gewandten Bewegungen hin an den Laden glitt und da einen Augenblick horchte. Dann brachte der Kerl jenes sausende Geräusch hervor, welches ich einmal im Wiener Wurstelprater gehört hatte, als im Kasperltheater der Teufel den Doktor Faust holte. Man pfeift nämlich laut, läßt den Ton schwellen und wieder sinken und summt dabei nach Kräften. Das klingt grad so, als ob ein hohler Wind um eine scharfe Felsenecke pfeife. Dann that der Mensch zwei, drei kräftige Schläge gegen den Laden und wollte dann schleunigst fort. Da aber erklang Halef's Stimme:
»Dur, gizli jürümdschi, schimdi seni bizim-war – halt, Schleicher, jetzt haben wir Dich!«
Er sprang auf ihn ein, um ihn festzunehmen. Der Geist war als Geist sehr geistesgegenwärtig. Er versetzte dem Kleinen einen Hieb in's Gesicht und rief:
»Eredj a tatárba!«
Damit sprang er davon.
Hätte der Kleine den Mund gehalten und nicht vor der Zeit gerufen, so wäre es anders gekommen. Der Mensch floh nach der mir entgegen gesetzten Seite, so daß er also mehr als die ganze Hausesbreite Vorsprung vor mir hatte. Dennoch aber rannte ich ihm nach und herrschte dem Hadschi im Vorüberspringen ein zorniges Budala achmak zu. Der auf diese Weise Bestrafte kam mir eiligst nach.
Der Fliehende war ein guter Läufer. Hier galt es, sich gleich in den ersten Augenblicken tüchtig anzustrengen. Ich hatte bei den Indianern gelernt, mehr mich fort zu schnellen, anstatt zu springen, und kam ihm rasch so nahe, daß ich schon die Hand nach ihm ausstreckte. Aber auch jetzt verließ ihn die Geistesgegenwart nicht. Er schoß mit einer raschen Bewegung vom Wege ab und ich an ihm vorüber, da ich mich eben mit beiden Beinen in der Luft befand. Natürlich wendete ich mich augenblicklich um. Er eilte quer über den Bach hinüber; fast hatte er den Rand erreicht. Ich holte aus, um mit einem mächtigen Satz hinüber zu kommen. Es gelang. Ich faßte gleich hinter ihm Fuß und griff zu gleicher Zeit nach ihm. Ich hatte ihn am Gürtel erwischt und stemmte mich mit dem einen Fuße ein, um ihn niederzureißen.
»Az istenért!« entfuhr es ihm.
Hatte er den Gürtel blitzschnell gelockert, oder war derselbe nicht fest gebunden, ich hielt den Fetzen in der Hand und taumelte infolge meiner eigenen Kraftanstrengung zurück; der Geist aber schoß in die Büsche hinein, wohin ich ihm nun gar nicht zu folgen brauchte.
»Hast Du ihn?« fragte hinter mir Halef, der sich eben auch zum Sprunge anschickte.
»Nein; aber Dich werde ich sogleich haben, und zwar bei den Ohren! Gestern brichst Du mir durch den Taubenschlag, und heute jagst Du mir diesen Menschen durch Dein unzeitiges Schreien fort!«
»Sihdi, das war die reine Begeisterung! Der Kerl ist wirklich nur aus Angst davon gelaufen!«
Das war so drollig, daß ich trotz des Ärgers lachen mußte.
»Natürlich aus Angst und nicht aus Verwegenheit! Nun kannst Du Dir ihn suchen, wenn Du ihn nach dem Passe des Großherrn fragen willst!«
»Wir werden beim Anbruch des Tages seine Spur finden.«
»Ja, grad dann, wenn wir von hier aufbrechen müssen.«
»Du hast doch wenigstens Etwas von ihm. Was ist es?«
»Ein alter Lappen, wie es scheint, den er als Gürtel umgebunden hatte.«
»Hast Du verstanden, was er sagte?«
»Ja; es war ungarisch. Ich werde den Ziegelstreicher fragen, ob er hier Einen weiß, der diese Sprache spricht. Hier in dem Gürtel steckt Etwas. Wollen einmal sehen, was es ist.«
Ich hatte nämlich in dem Stückchen Lappen Etwas gefühlt, welches ein runder Gegenstand mit einem Stiele zu sein schien. Ich zog dieses Ding hervor und wollte es gegen den Himmel empor halten, um sehen zu können, was es sei. Aber der durchdringende Geruch, welcher mir von ihm entgegenströmte, bewies mir auch ohne allen Augenschein, daß ich eine alte, ganz und gar von Tabakssaft durchtränkte Stummelpfeife in der Hand hatte.
»Was ist es?« fragte Halef.
»Eine Tabakspfeife.«
»Allah 'l Allah! Rauchen die Gespenster Tabak?«
»Zuweilen, wie es scheint, und zwar nicht die beste Sorte.«
»Zeig' her!«
Er nahm den Stummel, roch daran und rief:
»O wehe mir! Wer daran riechen will, darf keine Nase haben.«
Er erhob den Arm, um die Pfeife von sich zu schleudern; ich aber verhinderte ihn daran.
»Halt! Was fällt Dir ein? Ich brauche die Pfeife.«
»Allah behüte Dich! Willst Du aus ihr rauchen?«
»Nein. Sie soll mir dazu dienen, zu erfahren, wer das Gespenst gewesen ist.«
»Du hast Recht. Ich hätte sie weggeworfen und damit einen sehr dummen Streich begangen.«
»Komm nun zurück zu dem Ziegelstreicher!«
Dieser hatte Halef's lauten Ruf, ebenso die Worte des unbekannten Gespenst-Darstellers und sodann unsere Schritte gehört. Es war ihm himmelangst geworden. Als wir bei ihm eintraten, war sein Gesicht kreideweiß, dasjenige seiner Frau ebenso.
»Du hast den Vampyr gesehen, Herr?« fragte er, sich hastig von seinem Sitze erhebend.
»Ja.«
»So mußt Du sterben. Wer einen Vampyr erblickt, der kann nicht leben bleiben.«
»So werde ich sehr schnell sterben, da ich ihn nicht nur gesehen, sondern sogar angegriffen habe.«
»Heiliger Himmel!«
»Ich hätte ihn sehr gern fest gehalten! Leider aber ist er mir entflohen.«
»Durch die Lüfte?«
»Nein, sondern ganz regelrecht auf dem Wege und sodann über den Bach hinüber. Dabei hat er sogar einige Worte gesprochen.«
»Welche?«
»Eredj a tatárba und az istenért.«
»Das kann kein Mensch verstehen. Es ist jedenfalls die Sprache der Geister.«
»O nein! Es ist die Sprache der Magyaren, wie ich ganz genau weiß. Der Geist war sehr erschrocken. Die Worte, welche er ausrief, stößt man nur im Schreck aus. Gibt es vielleicht hier in der Nähe einen Menschen, welcher aus Ungarn stammt?«
»Ja.«
»Wer ist er?«
»Der Knecht Wlastan's.«
»Ah, das ist sehr eigenthümlich! Kennst Du ihn genau?«
»Sehr.«
»Kennst Du auch diese beiden Gegenstände?«
Ich zeigte ihm den Gürtel und die Pfeife hin.
»Sie gehören dem Knecht,« antwortete er. »Besonders die Pfeife kenne ich ganz genau. Er raucht aus diesem Tonkopf mit Schilfrohr. Ist das Rohr von dem Tabaksaft recht durchzogen und er hat keinen Tabak zum Rauchen, so beißt er sich immer ein Stück des Rohres ab, um es zu kauen. Er sagt, dies sei erst die richtige Feinschmeckerei. Er ist mein Feind, denn er hatte ein Auge auf meine Tochter geworfen, und wir zeigten ihm die Thüre. War er denn jetzt auch draußen?«
»Ich weiß es nicht genau. Ich denke, der Vampyr wird nicht wieder kommen. Morgen früh werde ich ihn Dir zeigen. Ich hatte mir vorgenommen, mit Tagesanbruch von hier wegzureiten; ich werde aber einige Stunden länger bleiben, um mit Dir zu Wlastan zu gehen.«
»Wo denkst Du hin, Herr!« sagte er erschrocken. »Er würde uns zur Thüre hinauswerfen!«
»Ich gebe Dir mein Wort, daß er uns zwar sehr unfreundlich empfangen, aber auch sehr freundlich entlassen wird. Du wirst vollständig mit ihm ausgesöhnt sein.«
»Wie wolltest Du dieses zu Stande bringen?«
»Darüber will ich jetzt nachdenken und darum will ich mich zur Ruhe legen.«
Das wollte er nicht zugeben. Unser Erlebniß vor dem Hause war ihm ein Räthsel, und das, was ich ihm darüber gesagt hatte, konnte er sich nicht deuten. Er bat um Erklärung; ich aber hielt es für besser, ihn warten zu lassen, bis er sich durch die Thatsache überzeugen könne, daß es keine Vampyre und Gespenster gebe. Darum ging ich, alle Fragen zurückweisend, mit Halef hinaus und stieg zu der erwähnten Anhöhe empor. Osko und Omar schliefen nun auch da oben. Gesprochen wurde nicht.
Ich war überzeugt, daß jener Knecht aus Rache für die Abweisung, welche er erfahren hatte, auf den Gedanken gekommen war, sich dadurch zu rächen, daß er die verstorbene Tochter des Kerpitschi für einen Vampyr ausgebe. Morgen früh wollte ich den sauberen Vogel vornehmen und zum Geständniß zwingen.
Da wir Alle ermüdet waren, senkte sich der Schlaf recht bald auf unsere Augenlider, doch war wenigstens mein Schlummer außerordentlich leise. Ich hatte das Gefühl, als ob uns noch irgend Etwas begegnen werde.
Hatte mir es geträumt oder war es Wirklichkeit, ich hatte ein Rollen vernommen, wie wenn ein Stein aus seiner festen Lage gebracht wird und dann, von der Höhe hinunterfallend, durch das Buschwerk schlägt. Ich richtete mich auf und horchte. Ja, wirklich, es nahten Schritte, nicht eines Einzelnen, sondern mehrerer Menschen.
Schnell weckte ich meine drei Gefährten. Einige kurze, leise Worte genügten, sie zu verständigen, und wir huschten nach der den Schritten entgegengesetzten Richtung hinter die Büsche.
Kaum hatten wir uns dort niedergekauert, so erschienen drüben die Leute, welche uns so unliebsam um den Schlaf brachten. Es war unter der Platane natürlich dunkler als unter dem freien, sternenhellen Himmel, trotzdem aber konnte ich mit ziemlicher Deutlichkeit vier Personen erkennen. Die Vordere von ihnen schien mehrere Werkzeuge zu tragen, welche sie vor dem Grab in das Gras warf; hinter ihr führten Zwei eine dritte Person, welche sie dann sorgsam auf die Erde niedersitzen ließen. Eine von diesen Zweien war ein Weib.
»Fangen wir gleich an, Herr?« fragte der Erste.
»Ja. Wir müssen rasch machen. Mitternacht ist schon nahe. Die Teufelshexe soll nicht wieder aus dem Grabe steigen können.«
»Wird es uns nichts schaden?« fragte die Frau ängstlich.
»Nein. Ich habe Dir schon hundertmal gesagt, daß wir ein gutes Werk thun. Nimm die Hacke, András!«
András, zu deutsch Andreas, ist ungarisch. Ich wußte sofort, wen wir vor uns hatten, nämlich den alten Wlastan mit Frau, Sohn und Knecht.
Nichts konnte mir willkommener sein. Ich beschloß, diese Leute gar nicht so weit kommen zu lassen, das Grab zu berühren, sondern ganz kurzen Prozeß zu machen. Einige an die Gefährten gerichtete Worte genügten. Wir sprangen hervor – ein vierfacher Schrei, und Jeder von uns hatte eine der vier Personen beim Kragen, ich den Knecht.
»Nagy Isten – großer Gott!« brüllte er auf.
Ich riß ihn nieder und hielt ihn am Boden fest, zog das Messer und setzte ihm die Spitze desselben an die Gurgel.
»Oh én szerencsétlen, vége mindennek – o ich Unglücklicher, es ist Alles verloren!« stöhnte er.
Es ist eigenthümlich, daß man, selbst wenn man vieler Sprachen mächtig ist, in einem solchen Augenblick sich unwillkürlich der Muttersprache bedient; so auch der Ungar jetzt. Ich durfte ihn gar nicht zum Nachdenken kommen lassen.
»Du warst der Vampyr!« rief ich ihn an.
»Ja,« antwortete er entsetzt.
»Aus Rache dafür, daß die Tochter des Ziegelstreichers Dich nicht leiden konnte?«
»Ja.«
»Du hast allabendlich hier unten an den Laden geklopft und den Geist gespielt?«
»Ja.«
Dieses Geständniß war eigentlich hinreichend, die drei Anderen zu überzeugen; aber ich dachte daran, daß der Sohn Wlastan's hinsiechte. Das konnte zwar auch nur aus Angst vor dem Vampyr geschehen, aber doch kam mir die Frage auf die Zunge:
»Und Deinem jungen Herrn hast Du heimlich Etwas eingegeben?«
»Gnade!« stöhnte er.
»Was?«
»Sytschan otu, aber alle Tage nur wenig.«
»Er sollte also langsam zu Grunde gehen?«
»Ja.«
»Warum? Sage die Wahrheit, sonst stoße ich Dir das Messer in die Kehle!«
»Ich wollte Sohn werden,« stammelte er.
Jetzt war mir Alles klar. Die Tochter des Ziegelmachers war so erschrocken, so entsetzt nach Hause gekommen, und sie hatte noch vor ihrem Tode gesagt, daß ihr Verlobter sterben werde; aber sie hatte verschwiegen, woher sie das wußte. Ich legte dem Kerl die Hand noch fester um den Hals und fragte:
»Die Braut Deines jungen Herrn hat Dich ertappt, als Du ihm das Rattengift gabst, und Du hast sie durch Drohung zum Schweigen gebracht?«
War es die Angst vor meinem Messer, oder mochte er – hier in der Nähe des Grabes und infolge der beabsichtigten Leichenschänderei – meinen, es mit nicht menschlichen Wesen zu thun zu haben, kurz, er gestand:
»Ich drohte ihr, daß ich auch ihre Eltern tödten würde, wenn sie auf den Gedanken käme, mich zu verrathen.«
»Das ist genug. Kommt alle mit hinab zu dem Ziegelstreicher.«
Ich zog den Knecht empor und zwang ihn, vor mir her den Abhang hinab zu steigen. Die Andern folgten. Keiner sprach ein Wort. Der brave Besitzer des Häuschens schlief noch nicht. Er war natürlich im höchsten Grade erstaunt, uns mit seinen Todfeinden eintreten zu sehen.
»Hier,« sagte ich, den Knecht in die Ecke schleudernd, »hier ist der Vampyr. Betrachte ihn genau. Er lebt von alten Tabakspfeifenrohren und gräbt zum Vergnügen Leichen aus.«
Der gute Mann sah uns an, Einen nach dem Andern. Er brachte kein Wort hervor. Wlastan hatte die Sprache wieder gefunden. Er streckte ihm die Hände entgegen und sagte:
»Verzeihe! Wir sind betrogen worden.«
»Wie kommt Ihr hierher?«
»Wir wollten das Grab da droben öffnen. Wir hatten den geweihten Pfahl mitgebracht, um ihn Deiner Tochter in das Herz zu stoßen. Ich weiß selbst nicht, wie – wie – –«
Mehr hörte ich nicht. Ich fühlte mich nicht befugt, mich als Zeugen der sicher nun zu erwartenden Versöhnungsszene aufzudrängen, und ging hinaus. Halef, Omar und Osko folgten mir.
Der kleine Hadschi machte allerlei Glossen über den eingefangenen Vampyr. Dazwischen hörten wir die Stimmen der laut in der Stube Sprechenden erst zornig und drohend – wohl gegen den Knecht – dann aber beruhigter und endlich gar fröhlich erschallen. Dann wurden wir hineingerufen.
»Herr,« sagte der Kerpitschi, vor Freude weinend, »das haben wir Euch zu danken. Ihr habt die Schande und den Gram von uns genommen. Wie kann ich Euch das doch vergelten?«
Auch seine Frau bot uns Allen schluchzend die Hand. Ich aber meinte:
»Nur Euch selbst habt Ihr diese Freude zu verdanken. Ihr habt die Fremden gastfrei bei Euch aufgenommen, trotz Eurer Armuth. Jetzt kommt die Belohnung: Ihr braucht nicht mehr zu fasten aus Betrübniß über die üble, wahnwitzige Nachrede, durch welche man Euer Leben verbitterte. Hättest Du mir nicht Dein Leid geklagt, so wäre die Hülfe wohl nicht so schnell gekommen.«
»Ja, ich hörte es, daß Du in allen Wissenschaften erfahren bist. Kennst Du auch die Gifte?«
Ich blickte auf Wlastan's Sohn, welcher bleichen Antlitzes und mit eingefallenen Wangen da saß. Dabei aber leuchteten doch seine Augen jetzt vor Freude und Hoffnung.
»Ich verstehe grad so viel von den Giften, von ihren Wirkungen und von den Gegenmitteln, daß ich Euch die Versicherung geben kann, dieser brave, junge Mann wird sehr bald gesund werden, wenn Ihr Euch an einen richtigen Arzt und nicht an einen Quacksalber wendet. Den Menschen dort, welcher in der Ecke kauert, übergebt dem Richter. Er mag seine Strafe finden.«
Mein als Laie abgegebenes ärztliches Gutachten erregte die größte Freude, auch bei ihm selbst, oder vielmehr es wirkte bereits kräftig auf ihn ein, denn er kam ganz munter herbei gesprungen und drückte mir ebenso kräftig wie seine Eltern die Hände.
Ohne jetzt ein Wort zu sagen, nahm Wlastan eine Schnur, band dem Knechte die Hände zusammen und führte ihn fort. Ein Wink von ihm gebot seiner Frau, ihm zu folgen.
Als sie nach ungefähr einer Stunde zurückkehrten, trug sie einen großen, mit Eßwaaren gefüllten Korb; er aber schleppte einen mächtigen Krug zur Thüre herein.
»Herr,« sagte er, »Du hast den Hochzeitswein meines armen Feindes, der nun wieder und auf immer mein Freund ist, eben wegen seiner Armuth nicht trinken wollen; ich aber bin reich; von mir könnt Ihr den trinken, welchen ich soeben für Euch ausgegraben habe.«
»Gut, das soll geschehen. Wenn er uns aber munden soll, so mußt Du uns versprechen, daß Du in Deinem Reichthum Dich des armen Freundes annehmen werdest, damit er nicht, wie bisher, sich über seine Kräfte anstrengen muß, um die Noth und den Mangel von sich abzuwenden.«
»Das verspreche ich mit Freuden. Hier gebe ich Dir meine Hand darauf. So oft wir beisammen sitzen, werden wir Eurer und dieses Abends mit Freuden gedenken.«
Jetzt begann das Freudenmahl. Meine drei muhammedanischen Begleiter sahen, wie gut uns der alte Wein schmeckte. Das Wasser mochte ihnen im Munde zusammenlaufen. Da flüsterte Halef mir zu:
»Sihdi, er sieht so ganz dick roth und war in die Erde gegraben; es ist kein Wein mehr.«
»Was sonst?«
»Es ist jetzt Dem el Ard. Dieses darf man doch wohl trinken?«
»Natürlich !«
»So erlaube, daß auch wir uns einschenken. Wir wollen fröhlich sein, wie Ihr!«
Und er schenkte sich ein – viele, viele Male.
Es ist nur noch zu sagen, daß vom Schlafe keine Rede war. Und als wir am Morgen wieder nach der Straße lenkten und das kleine Thal hinter uns hatten, meinte der kleine Hadschi:
»Wenn ich heimgekehrt bin zu Hanneh, der Schönsten unter den Schönen, so werde ich sie lehren, aus dem Weine Dem el Ard zu machen, denn ein Tropfen desselben überwindet alles Herzeleid der Welt. Allah ist groß, und Muhammed ist sein Prophet!«