Karl May
Von Bagdad nach Stambul
Karl May

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Die Todeskarawane

Nachmittags, als die größte Tageshitze vorüber war, brachen wir auf, um Burdsch ul Ewlia'Burg der Heiligen', Beiname von Bagdad, welches auch Dar es Sallam, 'Haus des Heiles' oder Dar el Khalifet, 'Haus des Khalifates' genannt wird zu verlassen. Voran ritt der Führer, welchen Hassan Ardschir nebst einigen Maulthiertreibern gemiethet hatte, deren Thiere sein Eigenthum trugen. Letzteres war eine Unvorsichtigkeit, welche ich nicht begreifen konnte. Hinter diesen folgte Hassan mit Mirza Selim Agha bei dem Kameele, welches die beiden Frauen zu tragen hatte. Ich hielt mich zu Halef, und den Schluß bildete der Engländer, welcher mit stolzer, unternehmender Miene die Männer beaufsichtigte, mit deren Hülfe er die Trümmer Babylon's zwingen wollte, ihm ihre verborgenen Schätze auszuliefern. Alwah saß auf einem Maulthiere, und der arabische Diener war zurückgeblieben.

Ich hatte mir den jetzigen Ritt ganz anders gedacht. Das ganze Arrangement war ein verkehrtes. Vielleicht war ich selbst mit Schuld daran, aber es war mir jetzt schwer geworden, eine Ansicht gehörig durchzusprechen. Meine Verwundung, die ich erst doch ganz gut überwunden zu haben schien, war nicht ohne Nachtheil für mich geblieben, und zudem hatte ich mehr Sorge, Aufregung und Anstrengung gehabt, als einer meiner Begleiter. Ich fühlte mich körperlich sehr müde und geistig niedergeschlagen, ohne daß ich für dieses Accablement eine Ursache hätte angeben können. Ich war ärgerlich über Hassan Ardschir und den Engländer, ohne zu bedenken, daß ich ihnen mit meiner eigenen Verdrießlichkeit vielleicht Ursache gegeben hatte, mich mit ihren Angelegenheiten weniger zu beschäftigen, als sie es vorher gethan hatten. Dieser Zustand hatte, wie ich später erkennen mußte, seinen Grund in einer Incubation, deren Ausbruch mir beinahe tödtlich geworden wäre.

Wir zogen am Flusse hinauf, um über die obere Schiffbrücke zu reiten. Dort hielt ich an, um einen Blick auf die einstige Residenz Harun al Raschid's zu werfen. Sie lag vor mir im Sonnenglanze, in all ihrer Pracht und Herrlichkeit, und doch auch wieder mit all den nicht zu verwischenden Spuren des Verfalles. Links vorn der Volksgarten, hinter welchem die Pferdebahn nach Norden geht, und weiter zurück die Quarantaineanstalt. Dann das hoch emporragende Kastell und das Gouvernementgebäude, welches seinen Fuß in die Fluthen des Tigris taucht. Rechts die meist von Agil-Arabern bewohnte Vorstadt mit der Medresse Mostansir, dem einzigen Bauwerke, welches dieser älteste, vom Khalifen Manssur gegründete Stadttheil in die Gegenwart mit herübergenommen hat. Und hinter diesen Gebäuden dehnte sich eine unabsehbare Häusermasse, überragt von stilvollen Minarehs und den glasirten Kuppeln von wohl hundert Moscheen. Über diesem Häusermeere wallte hier und da die schön gezeichnete Krone einer Palme, deren Grün wohlthuend den Staub- und Dunstschleier durchbricht, welcher stets über der Stadt der Khalifen lagert.

Hier an diesem Orte begrüßte Manssur jene Gesandtschaft des Frankenkönigs Pipin des Kleinen, welche kam, um mit ihm zu verhandeln gegen die in Spanien so gefürchteten Ommejaden. Hier lebte der berühmte Harun al Raschid an der Seite der schönen Zobeïde, welche mit ihm die gleiche Frömmigkeit und die gleiche verschwenderische Prachtliebe theilte. Sie pilgerten wiederholt nach Mekka und ließen den ganzen Weg dorthin mit den kostbarsten Teppichen belegen. Wo aber ist heute der kostbare, goldene Baum mit seinen Diamant-, Smaragd-, Rubinen-, Saphir- und Perlenfrüchten, welcher den Thron Harun's beschattete? – Dieser Khalif wurde Al Raschid genannt, und doch war er ein hinterlistiger Tyrann, welcher den abscheulichsten Meuchelmord an seinem treuen Vezier Djafer beging, seine Schwester nebst deren Kind lebendig einmauern ließ und die edle Familie der Barmekiden abschlachtete. Der Schimmer, welchen die Märchen von ›Tausend und eine Nacht‹ um ihn verbreiteten, ist Trug, denn die Geschichte hat längst nachgewiesen, daß der wirkliche Harun ein Anderer als der Harun der Sage ist. Von seinem Volke vertrieben, flüchtete er sich nach Rakka und starb in Rhages in Persien. Begraben liegt er unter goldenem Kuppeldache in Meschhed in Khorassan; Zobeïde aber, die Verschwenderin von Millionen, ruht am Wüstensaume in einem verwahrlosten Gottesacker unter einem Grabmale, welches die Jahrhunderte zerrissen und zerbröckelt haben. – Hier lebte auch der Khalif Maamun, welcher die Göttlichkeit des Kuran leugnete und die ›ewige Vernunft‹ anbetete. Unter ihm floß der Wein in Strömen, und unter seinem Nachfolger Motassim wurde es noch ärger. Er baute in öder, nackter Gegend die Residenz Samarra, allerdings ein Paradies, aber an diesem Paradiese wurde der Staatsschatz ganzer Herrschergeschlechter vergeudet. Hier wurde die gemeinste Sinnlichkeit zur Ekstase getrieben, und während man den freundlichen Blick einer Sirene mit einem ganzen Vermögen bezahlte, mußten die Unterthanen am Nöthigsten darben. Dem Statthalter des Propheten Mutawakkil genügte auch dieses nicht. Er baute sich eine neue Residenz, und um etwas noch nie Dagewesenes zu leisten, sollte das Balkenwerk aus dem alten, weitberühmten ›Baum des Zoroaster‹ geschnitten werden. Dieser Baum, eine riesige Cypresse, stand bei Tus in Khorassan. Vergebens war das Flehen der Magier und Priester der Sonnenlehre. Sie boten die unglaublichsten Summen, um das ihnen heilige Wahrzeichen ihres Glaubens zu retten; aber vergebens. Der Baum wurde umgehauen. Man schleifte seine Theile den ungeheuren Weg zum Tigris hinab und gelangte daselbst grad in dem Augenblick an, als Mutawakkil von seiner türkischen Leibwache ermordet wurde.

Mit ihm war der Glanz der Khalifen erblichen, und der Ruhm der ›Stadt des Heiles‹ erlosch immer mehr. Bagdad soll damals 100,000 Moscheen, 80,000 Bazarhallen, 60,000 Bäder, 12,000 Mühlen, ebensoviele Karawanserais und zwei Millionen Einwohner besessen haben. Welch ein Unterschied gegen das heutige Bagdad! Schmutz, Staub, Trümmer und Lumpen überall. Sogar die Brücke, auf welcher ich hielt, war defekt, und ihr elendes Flechtwerkgeländer hing in Fetzen herab. Statt ›Dar ul Khalifet‹ oder ›Dar us Sallam‹ wäre die Stadt jetzt viel treffender ›Dar et Taun‹ zu nennen. Trotz des heute noch prächtigen Anblickes, den sie bietet, besteht der dritte Theil des innerhalb der Stadtumwallung liegenden Terrain aus Friedhöfen, Pestfeldern, Sumpflachen und modrigem Häuserschutt, wo der Aasgeier mit anderem Gelichter sein Wesen treibt. Die Pest stellt sich alle fünf oder sechs Jahre ein und fordert ihre Opfer stets nach Tausenden. Der Moslem zeigt auch solchen Fällen gegenüber seine unheilbringende Indolenz. »Allah sendet es; wir dürfen nichts dagegen thun,« sagt er. Bei der so entsetzlichen Epidemie des Jahres 1831 gab sich der Vertreter England's alle Mühe, zur Steuerung der Seuche umfassende Vorkehrungen zu treffen; da aber erhoben sich die Mullahs gegen ihn, und er wurde durch das Argument, daß sein Beginnen gegen den Kuran sei, in die Flucht geschlagen. Die Folge davon war, daß jeder einzelne Tag bis an dreitausend Pestleichen forderte. Dazu kam der Verfall der Kanäle, in Folge dessen in einer einzigen Nacht mehrere Tausend Häuser über ihren Bewohnern zusammenbrachen.

Bei diesen Gedanken war es mir, als ob auch mich das Contagium ergriffen habe. Trotz der Hitze überlief es mich kalt. Ich schüttelte mich und ritt den Andern schnell nach, um aus der Stadt und meinen Gedanken fortzukommen.

Zwischen der Straße nach Basra links und derjenigen nach Deïr rechts, kamen wir an Ziegeleien und an dem Grabmale der Zobeïde vorüber, passirten den Oschach-Kanal und befanden uns nun im freien Felde. Um Hilla zu erreichen, hatten wir den schmalen Isthmus zu durchschneiden, welcher den Euphrat von dem Tigris trennt. Hier stand noch zu Ende des Mittelalters Garten an Garten; da wehten die Palmen, da dufteten die Blumen, da glänzten die herrlichsten der Früchte am blätterreichen Geäst. Jetzt gilt hier Uhland's Wort: »Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand.« Die lebenspendenden Kanäle sind vertrocknet und scheinen nur vorhanden zu sein, um räuberischen Beduinen zum Schlupfwinkel zu dienen.

Die Sonne brannte noch immer heiß hernieder, und die Luft schien die Spuren der Todeskaravane zu tragen, welche gestern hier vorübergeschlichen war. Ich hatte die Empfindung, als befinde ich mich in einem ungelüfteten Krankensaale, welcher von Pockenbehafteten angefüllt ist. Und das war nicht etwa Einbildung, sondern auch Halef machte diese Bemerkung, und der Engländer schnüffelte mit seiner Beulennase höchst übelwollend in der stagnirenden Atmosphäre umher.

Hier oder da überholten wir einen alten Pilger, welcher sich in Kerbela begraben lassen wollte und ermüdet zurückgeblieben war, oder eine Gruppe von Aliisten, welche einem armen Maulthiere mehrere Todte aufgebürdet hatten; das Thier keuchte schwitzend vorwärts, die Männer schritten mit zugehaltenen Nasen zur Seite, und hinter ihnen strömte der Todeshauch der Verwesung auf uns ein.

Am Wege saß ein Bettler; er war vollständig nackt – bis auf einen schmalen Schurz, welcher um seine Lenden gegürtet war. Er hatte seinem Leide um den ermordeten Hosseïn in höchst widerlicher Weise Ausdruck gegeben: die Schenkel und Oberarme waren mit spitzigen Messern durchstochen, und in die Unterarme, Waden, in den Hals, durch Nase, Kinn und Lippen hatte er von Zoll zu Zoll lange Nägel getrieben; an den Hüften und im Unterleibe bis herauf zu den Hüften hingen, in das Fleisch eingebohrt, eiserne Haken, an denen schwere Gewichte befestigt waren; alle andern Theile seines Körpers waren mit Nadeln bespickt, und in die nackt rasirte Kopfhaut hatte er lange Streifen geschnitten; durch jede Zehe und jedes Fingerglied war ein Holzpflock getrieben, und es gab an seinem ganzen Körper keine pfenniggroße Stelle, welche nicht eine dieser schmerzhaften Verwundungen aufzuweisen hatte. Bei unserm Nahen erhob er sich und mit ihm ein ganzer Schwarm von Fliegen und Mücken, welche den über und über blutrünstigen Menschen bedeckten. Der Kerl war entsetzlich anzusehen.

»Dirigha Allah, waj Muhammed! Dirigha Hassan, Hosseïn!« kreischte er mit widerlicher Stimme und streckte bettelnd uns beide Hände entgegen.

Ich hatte in Indien Büßer gesehen, welche sich auf die fabelhaftesten Weisen Schmerzen verursachten, und mit ihnen immer Mitleid gefühlt; diesem fanatisch dummen Menschen aber hätte ich wahrhaftig lieber eine Ohrfeige als ein Almosen gegeben, denn neben dem Grauen, welches sein ekelhafter Anblick erweckte, konnte ich auch den Unverstand nicht ertragen, welcher so scheußliche Martern ersinnt, um den Todestag eines doch nur sündhaften Menschen zu begehen. Und dabei hält sich ein solcher Mensch für einen Heiligen, dem nach dem Tode der oberste Rang des Paradieses sicher ist, und der auch bereits hier auf der Erde neben reichlichen Almosen die demüthigste Verehrung zu beanspruchen hat.

Hassan Ardschir-Mirza warf ihm einen goldenen Doman zu.

»Hasgadag Allah – Gott segne Dich!« rief der Kerl, die Arme wie ein Priester erhebend.

Lindsay griff in die Tasche und gab ihm einen Gersch zu zehn Piaster.

»Subhalan Allah – gnädiger Gott!« sagte der Unhold schon weniger höflich, denn er stellte Allah und nicht Lindsay als Geber hin.

Ich zog einen Piaster hervor und warf ihm denselben vor die Füße. Der schiitische ›Heilige‹ machte zuerst ein erstauntes Gesicht, dann aber ein sehr zorniges.

»Azdar – Geizhals!« rief er, und dann fügte er mit der Geberde des Abscheues und mit außerordentlicher Schnelligkeit hinzu: »Azdari, pendsch Azdarani, deh Azdarani, hezar Azdarani, lek Azdarani – Du bist ein Geizhals, Du bist fünf Geizhälse, Du bist zehn Geizhälse, Du bist hundert Geizhälse, Du bist tausend Geizhälse, Du bist hunderttausend Geizhälse!«

Er trat meinen Piaster mit Füßen, spie darauf und zeigte eine Wuth, vor welcher man sich unter andern Umständen hätte fürchten müssen.

»Sihdi, was heißt Azdar?« fragte mich Halef.

»Geizhals.«

»Allah 'l Allah! Und wie heißt ein recht dummer, alberner Mensch?«

»Bisaman.«

»Und ein recht grober Flegel?«

»Dschaf.«

Da drehte sich der kleine Hadschi zu dem Perser hin, hielt ihm die flache Hand emporgerichtet entgegen, wischte sie am Beine ab, eine Geberde, welche für die größte Beleidigung gilt, und rief: »Bisaman, Dschaf, Dschaf!«

Auf diese Worte öffneten sich die rhetorischen Schleusen des Schiiten auf eine Art und Weise, daß wir Alle Reißaus nahmen. Der ›heilige Märtyrer‹ befand sich im Besitze von Schimpfwörtern und Drastika, welche man unmöglich wiedergeben kann. Wir beugten uns vor seiner Überlegenheit und ritten weiter.

Die Luft, in welcher wir uns bewegten, wurde nicht besser. Wir konnten ganz genau die Spuren der Todeskaravane erkennen, und weithin zur Seite zeigten zahlreiche Fuß- und Hufeindrücke, daß die militärische Escorte, welche ihr von Bagdad aus zur Schutzwehr gegen Räuber mitgegeben wird, sich der Ausdünstung der Särge wegen in vorsichtiger Entfernung gehalten hatte.

Ich schlug Hassan Ardschir vor, den Karavanenweg zu verlassen und in genügender Entfernung parallel mit ihm zu reiten; aber er ging nicht darauf ein, da es ein großes Verdienst der Pilger sei, in dem ›Odem der Abgeschiedenen‹ zu reisen. Zum Glück erreichte ich wenigstens so viel, daß wir, als wir abends an einen Khan gelangten, in welchem der Pilgerzug gerastet hatte, dort nicht übernachteten, sondern entfernt davon in einem breiten Kanale unser Lager aufschlugen.

Wir befanden uns in einer gefährlichen Gegend und durften uns vom Lager nicht entfernen. Bevor wir Alle uns schlafen legten, wurde beschlossen, morgen in einem Eilritte die Karavane zu überholen, Hilla zu erreichen und am ›Thurm zu Babel‹ das Nachtlager aufzuschlagen. Dann wollte Hassan Ardschir die Leichenkaravane vorüberlassen, um sie später wieder zu erreichen, während wir Andern seine Rückkehr erwarten sollten.

Ich war sehr müde und fühlte einen dumpfen, bohrenden Schmerz im Kopfe, obgleich ich Kopfschmerzen sonst niemals ausgesetzt gewesen bin. Es war, als ob ein Fieber im Anzuge sei, und daher nahm ich eine Dose Chinoidin, welches ich mir nebst einigen andern auf der Reise nothwendigen Medicamenten in Bagdad gekauft hatte. Ich konnte trotz der Müdigkeit lange keine Ruhe finden, und als ich endlich einschlief, wurde ich von häßlichen Traumbildern beunruhigt, welche mich immer wieder weckten. Einmal war es mir, als hörte ich den gedämpften Schritt eines Pferdes, aber ich lag noch halb im Schlummer und glaubte, es sei noch im Traume.

Endlich trieb mich die Unruhe vom Lager empor, und ich trat vor das Zelt. Der Tag begann zu grauen; im Osten lichtete sich bereits der Horizont, und in jenen Gegenden dauert es dann nur kurze Zeit bis zur vollen Helle. Ich musterte den Gesichtskreis und bemerkte nach Morgen hin einen Punkt, welcher sich schnell vergrößerte. Schon in zwei Minuten konnte ich einen Reiter erkennen, welcher sich uns schnell näherte. Es war – Mirza Selim Agha. Sein Pferd dampfte, als er absprang; er selbst aber schien sehr verlegen, als er mich bemerkte. Er grüßte kurz, hing sein Pferd an und wollte dann an mir vorüber.

»Wo warst Du?« frug ich ihn kurz, aber nicht unfreundlich.

»Was geht es Dich an!« antwortete er.

»Sehr viel. Männer, welche in einer so schlimmen Gegend mit einander reisen, sind sich Auskunft schuldig.«

»Ich habe mein Pferd geholt.«

»Wo war es?«

»Es hatte sich losgerissen und war entflohen.«

Ich trat hinzu und untersuchte den Strick.

»Diese Fessel hat keinen Riß erlitten!«

»Der Knoten hatte sich gelöst.«

»Danke Allah, wenn der Knoten, den man einmal um Deinen Hals legen wird, auch nicht besser hält!«

Ich wollte mich von ihm wenden, aber er trat hart an mich heran und fragte:

»Was sagst Du? Wie meinst Du das? Ich verstehe Dich nicht.«

»So denke darüber nach!«

»Halt, Du darfst so nicht fortgehen; Du mußt mir sagen, was Du mit Deinen Worten gewollt hast!«

»Ich wollte Dich an den Kirchhof der Engländer in Bagdad erinnern.«

Er verfärbte sich ein wenig, hatte sich aber so in der Gewalt, daß er in ruhigem Tone sagen konnte:

»Der Kirchhof der Engländer? Was geht er mich an? Ich bin kein Inglis. Du aber sprachst von einem Strick um meinen Hals. Ich habe mit Dir nichts zu schaffen und werde es Hassan Ardschir-Mirza sagen. Dieser mag Dich unterweisen, wie Du mich zu behandeln hast.«

»Sage es ihm oder sage es ihm nicht, das ist mir gleichgültig, denn ich werde Dich auf alle Fälle so behandeln, wie Du es verdienst.«

Unsere laute Unterredung hatte die Schläfer geweckt. Die Vorbereitungen zum Aufbruche waren getroffen, und dann setzten wir im Kurierschritte unsere Reise fort. Ich sah während des Rittes Selim Agha sehr eifrig auf Hassan Ardschir einsprechen, und bald darauf blieb dieser bei mir zurück.

»Emir, erlaubst Du mir, mit Dir über Selim zu reden?« frug er.

»Ja.«

»Du liebst ihn nicht?«

»Nein.«

»Aber Du möchtest ihn doch nicht beleidigen!«

»Er hat die Beleidigung hingenommen, ohne sich zu vertheidigen; ich habe ihm also kein Unrecht gethan.«

»Ist es ein Grund, aufgehangen zu werden, wenn Einem sein Pferd fortläuft?«

»Nein. Aber ein Grund zum Gehängtwerden ist es, wenn Einer fortreitet, um mit Leuten zu verkehren, welche seine Gefährten überfallen sollen.«

»Emir, ich habe schon bemerkt, daß Deine Seele krank und Dein Leib müde ist; darum sieht Dein Auge Alles schwarz, und Deine Rede ist bitter wie die Medizin der Aloë. Du wirst wieder gesund werden und Deinen Irrthum erkennen, denn Dein Urtheil ist gerecht gewesen, so lange ich Dich kenne. Selim ist mir treu gewesen seit vielen Jahren; er wird es bleiben, bis Allah ihn von der Erde beordert.«

»Und sein Schleichen nach dem Kirchhofe der Engländer?«

»War ein Zufall; er hat es mir vorhin erzählt. Der Abend war so schön, und er ging spazieren; er kam zum Friedhofe, ohne zu wissen, daß sich Leute dort befanden. Es waren friedliche Wanderer, welche von Räubern erzählten und dabei allerdings auch von Beute sprachen. Ich habe Dir bereits gesagt, daß mich dies nicht irre machen kann.«

»Glaubst Du wirklich, daß ihm heut sein Pferd entflohen ist?«

»Ich zweifle nicht daran.«

»Und glaubst Du, daß Selim Agha der Mann ist, ein entflohenes Pferd im Dunkeln zu finden?«

»Warum nicht?«

»Auch wenn es sehr weit entwichen ist? Das Thier war ganz mit Schaum und Schweiß bedeckt.«

»Er hat es zur Strafe sehr scharf angestrengt. Ich bitte Dich, ihn besser zu beurtheilen, als bisher!«

»Das soll gern geschehen, wenn er sich bestrebt, weniger heimlich zu thun, als bisher.«

»Ich werde es ihm befehlen. Du aber bedenke, daß der Mensch sich irrt; nur Allah allein ist allwissend!«

Mit dieser Ermahnung schloß er unsere Unterhaltung.

Was sollte ich thun, oder vielmehr, was konnte ich thun? Ich war vollständig überzeugt, daß dieser Selim irgend eine Spitzbüberei im Schilde führte; ich war überzeugt, daß er heut Nacht mit den Männern zusammengekommen war, mit denen er im Friedhof der Engländer gesprochen hatte. Wie aber wollte ich das beweisen? Ich war matt; ich hatte das Gefühl, als ob meine Knochen marklos und hohl geworden seien, und als ob mein Kopf eine große Trommel sei, auf welcher dumpf gewirbelt würde; ich merkte, daß meine Willenskraft langsam schwand und ich gleichgültig gegen Dinge ward, die sonst meine ganze Thatkraft herausgefordert hätten. Daher nahm ich auch die Bitte Hassan Ardschir's, welche einer Zurechtweisung ähnlicher war als einer Anerkennung, gleichmüthig hin und nahm mir nur vor, im Stillen so viel wie möglich auf der Hut zu sein.

Unsere Thiere trugen uns schnell über den ebenen Boden dahin. Die Pilger, an denen wir vorüber kamen, mehrten sich; die Odeurs sans parfum wurden immer unerträglicher, und noch am Vormittage sahen wir die lange Linie der Karavane am westlichen Horizonte auftauchen.

»Umreiten wir sie?« frug ich.

»Ja,« antwortete Hassan, und auf einen Wink von ihm bog der Führer zur Seite, um uns aus der Spur des Zuges zu bringen.

Bald befanden wir uns allein im freien Felde, und die Luft war reiner geworden, und wir athmeten sie mit Wonne ein. Der schnelle Ritt hätte mir gefallen können, wenn uns nicht so sehr viele Gräben und Kanäle den Weg versperrt hätten. Bei meinem Kopfschmerze verursachte mir das Passiren dieser Hindernisse nicht geringe Pein, und ich war froh, als wir gegen Mittag absaßen, um die größte Tageshitze vorübergehen zu lassen.

»Sihdi,« sagte Halef, der mich immer beobachtet hatte, »Dein Angesicht ist grau, und Deine Augen haben einen Ring; ist Dir sehr unwohl?«

»Nur Kopfschmerz. Gib mir Wasser aus dem Schlauche und die Essigflasche!«

»Ich wollte, ich könnte diesen Schmerz in meinen Kopf nehmen!«

Der gute Halef! Er ahnte nicht, was ihm selbst auch bevorstand. Wäre mein Rih nicht ein so ausgezeichnetes Pferd gewesen, so hätte ich den Ritt nicht aushalten können und mich vor der alten ›Aloe‹ schämen müssen, die wie ein ungarischer Tzikos ritt, was ich dieser persischen Huldgöttin gar nie zugetraut hätte.

Endlich, am späten Nachmittag, sahen wir zu unserer rechten Hand die Ruine El Himaar vor uns auftauchen; sie liegt nur wenig über eine Meile von Hilla entfernt. Bald erschien der vor El Mudschellibeh stehende Höhenzug und südlicher die Amran-Ibn-Aly-Stätte; wir gelangten durch die am linken Euphratufer liegenden Gärten von Hilla und ritten über eine höchst unzuverlässige Schiffbrücke in das Städtchen. Dasselbe ist berüchtigt durch sein Ungeziefer, seine selbst für den Orient grenzenlose Unreinlichkeit und seine bis zur Tollheit fanatische Bevölkerung. Wir hielten uns nur so lange auf, als nöthig war, um anderthalb Schock am Wege sitzender Bettler summarisch zu befriedigen, und eilten dann weiter, dem Birs Nimrud, dem babylonischen Thurm zu, der dritthalb Wegstunden im Südwesten von Hilla liegt. Da diese Stadt ungefähr die Mitte des noch vorhandenen Ruinenfeldes einnimmt, so kann man sich eine Vorstellung von der ungeheuren Ausdehnung des alten Babel machen.

Die Sonne neigte sich dem Horizonte zu, als wir neben der Ruine Ibrahim Cholil den Birs Nimrud aufsteigen sahen, umgeben von Sumpf- und Wüstenland. Die Ruine des Thurmes mag heut eine Höhe von höchstens fünfzig Meter haben, und auf ihr sieht man einen vereinzelten Pfeilerschaft, welcher etwas über zehn Meter hoch die Umgebung beherrscht.Sieh die naturgetreue Abbildung im 'Deutschen Hausschatz'(II. Jahrg. S. 201) Er ist der einzige noch aufrechtstehende Rest der ›Mutter der Städte‹, wie Babel genannt wurde, doch auch bereits durch einen tiefen Riß in der Mitte gespalten, und wieder mußte ich an Uhland denken:

»Nur eine hohe Säule
Zeugt von verschwundner Pracht;
Auch diese, schon geborsten,
Kann stürzen über Nacht.«

Wir machten am Fuße der Ruine halt, und während die Andern ihre Vorbereitung zum Abendimbiß trafen, stieg ich empor zur Plattform, um einen Blick auf die Umgebung zu werfen. Einsam stand ich hier oben; die Sonne hatte den Horizont erreicht, und ihre Strahlen nahmen Abschied von den Trümmern einer versunkenen Riesenstadt.

Was war dieses Babel gewesen?

Am Euphrat gelegen und von demselben in zwei Theile geschieden, hatte die Stadt nach Herodot einen Umfang von 480 Stadien, also von sechzehn Meilen. Sie wurde eingefaßt von einer 50 Ellen dicken und 200 Ellen hohen Mauer, welche zur Vertheidigung in gewissen Zwischenräumen mit Thürmen versehen war und außerdem noch von einem breiten, tiefen Wassergraben beschützt wurde. Hundert Thore von Erz führten durch diese Mauer in die Stadt, und von jedem dieser Thore ging eine gerade Straße nach dem gegenüberliegenden, so daß Babel also in ganz regelmäßige Vierecke eingetheilt war. Die drei bis vier Stock hohen Häuser waren von Backsteinen erbaut, die unter einander mit Erdharz verkittet wurden. Die Gebäude hatten prachtvolle Façaden und wurden durch freie Räume von einander getrennt. Das Häusermeer wurde von freien Plätzen und prachtvollen Gärten angenehm unterbrochen, in denen sich die zwei Millionen Einwohner lustwandelnd ergehen konnten.

Auch die beiden Seiten des Stromes waren von hohen, starken Mauern eingefaßt, durch deren eherne Wasserthore, welche des Nachts geschlossen wurden, man gehen mußte, wenn man per Schiff von dem einen Ufer zu dem andern kommen wollte. Über den Fluß führte außerdem eine herrliche Brücke, welche eine Breite von 30 Fuß besaß und nach Strabo eine Stadie, nach Diodor aber eine Viertelstunde lang war. Ihr Dach konnte abgenommen werden. Um bei der Erbauung derselben den Strom abzuleiten, war im Westen der Stadt ein See von 12 Meilen Umfang und von 75 Fuß Tiefe ausgegraben worden, in welchen man den Euphrat leitete. Dieser See wurde auch später beibehalten; er hatte die Wasser der Überschwemmungen aufzunehmen und bildete ein ungeheures Reservoir, aus welchem man bei großer Dürre mittels Schleußen die Felder bewässerte.

An jedem Ende der Brücke stand ein großer Palast; beide waren durch einen unterirdischen Gang verbunden, welcher unter dem Euphrat hinlief, wie z.B. der Tunnel unter der Themse. Die hervorragendsten Gebäude der Stadt waren: das alte Königsschloß, über eine Meile im Umfange, der neue Palast, mit dreifachen Mauern umgeben und zahllosen Bildhauerarbeiten geschmückt, und die hängenden Gärten der Semiramis. Diese bildeten ein Quadrat von 160,000 Quadratfuß Flächenraum und wurden von einer 22 Fuß dicken Mauer umgeben. Auf großen, gewölbten Bogen erhoben sich amphitheatralisch angelegte Terrassen, zu denen man auf 10 Fuß breiten Stufen gelangte. Die Plattformen dieser Terrassen waren mit 16 Fuß langen und 4 Fuß breiten Steinen belegt, um kein Wasser hindurch zu lassen; auf den Steinen war eine dicke Lage verkittetes Rohr, dann zwei Reihen gebrannter Ziegel, welche mit Harz gut verbunden waren, und dann hatte man das Ganze noch mit Blei bedeckt, auf dem man die beste Pflanzenerde so hoch aufgeschüttet hatte, daß die stärksten Bäume bequem Wurzel schlagen konnten. Auf der obersten Terrasse befand sich ein Brunnen, welcher das nöthige Wasser in Fülle aus dem Euphrat sog und über die Gärten ergoß. In den Hallen einer jeden Terrasse hatte man prächtige, zur Nachtzeit illuminirte Gartensäle angebracht, in denen man den Duft der köstlichsten Blumen und die herrlichste Aussicht über die Stadt und deren Umgebung genießen konnte.

Das hervorragendste Gebäude Babel's aber war der Baalsthurm, von welchem uns die Bibel 1. Mos. 11 berichtet. Die heilige Schrift gibt keine genaue Höhe an; sie sagt nur: »dessen Spitze bis an den Himmel reicht«. Die Talmudisten behaupten, der Thurm sei 70 Meilen hoch gewesen; nach orientalischen Traditionen war er 10,000 Klafter, nach anderen Überlieferungen 25,000 Fuß hoch, und es soll eine Million Menschen zwölf Jahre lang daran gearbeitet haben. Das ist natürlich übertrieben. Die Wahrheit ist, daß sich allerdings mitten aus dem großen Tempel des Baal ein Thurm erhoben hat, dessen Basis ungefähr tausend Schritte im Umfange hatte, während seine Höhe 6-800 Fuß betrug. Er bestand aus acht über einander stehenden Abtheilungen, von denen immer die höhere eine kleinere Grundfläche hatte, als diejenige, von welcher sie getragen wurde. Durch einen achtmal um den Thurm führenden Stiegengang gelangte man auf die Höhe des Bauwerkes. Jede einzelne Abtheilung enthielt große, gewölbte Hallen, Säle und Gemächer, deren Bildsäulen, Tische, Sessel, Gefäße und andere Geräthschaften von massivem Golde waren. Im untersten Stockwerke stand die Bildsäule des Baal, welche tausend babylonische Talente wog, also einen Werth von mehreren Millionen Thaler besaß. Das oberste Stockwerk trug ein Observatorium, auf welchem die Astronomen und Sterndeuter ihre Beobachtungen machten. Xerxes beraubte den Thurm aller Schätze, welche nach Diodorus 6300 Talente in Gold betragen haben sollen.

Hierzu sagt die morgenländische Mythe noch, daß sich in dem Bauwerke ein Brunnen befunden habe, der grad so tief gewesen sei, wie der Thurm hoch war. In diesem Brunnen sind die gefallenen Engel Warud und Marud mit Ketten an den Füßen aufgehangen, und in seiner Tiefe liegt die Lösung aller Zauberei verborgen.

Das war Babel. Und jetzt – – –!

Hier am Birs Nimrud dachte ich mich in die Heimat, in die stille Stube zurück, mit der aufgeschlagenen Bibel vor mir. Wie oft hatte ich die Weissagung Jeremia's gelesen, welche wie Posaunenschall über das von Gott gerichtete Sinear erklang! An den Wassern Babylon's, am Ufer des Euphrat und an den Rändern der See'n und Kanäle saßen die heimatlosen Söhne Abraham's; ihre Psalter und Saitenspiele hingen stumm an den Weiden, und ihre Thränen flossen zum Zeichen der Buße ob ihrer Sünden. Und wenn eine der Harfen erklang, so ertönte sie vor Sehnsucht nach der Stadt, die das Heiligthum Jehovah's barg, und der Schluß des Klageliedes war: »Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hülfe kommt.« Und der Herr erhörte das Gebet. Es erklang die gewaltige Stimme Jeromijahu's aus Anathot, den wir Jeremias nennen, und das weinende Volk lauschte seinen Worten:

»Dies ist das Wort des Herrn wider Babel und das Land der Chaldäer: Es ziehet von Mitternacht ein Volk herauf, welches ihr Land zur Wüste machen wird; es hat Bogen und Schild und ist grausam und unbarmherzig; sein Geschrei ist wie das Brausen des Meeres. Fliehet aus Babel, damit ein Jeder seine Seele errette, denn es ist ein Kriegsgeschrei im Lande und großer Jammer. Es spricht der Herr Zebaoth: Siehe, ich will den König zu Babel heimsuchen; rüstet Euch wider Babel; jauchzet über sie um und um; ihre Grundfesten sind gefallen, und ihre Mauern abgebrochen. Kommt her gegen sie; öffnet ihre Kornhäuser, erwürget alle ihre Rinder, belagert sie, und lasset Keinen entfliehen. Sie hat wider den Herrn gehandelt, darum sollen ihre Männer fallen und ihre Krieger untergehen zu derselben Zeit. Schwert soll kommen über Babel und seine Fürsten, über die Weissager und Starken, über Rosse und Wagen und über den Pöbel, der darinnen ist. Gleichwie Gott Sodom und Gomorrha umgekehrt hat, so soll auch Babel zum Steinhaufen werden, und ihre Städte zur Wüste!«

Und nun ich hier oben auf der Ruine stand, konnte ich sehen, in wie schrecklicher Weise sich das Wort des Herrn erfüllt hatte. Mit 600,000 Streitern zu Fuß, 120,000 Reitern und mit 1000 Sichelwagen, ungezählt noch Tausende von Kameelreitern, kam Cyrus und eroberte die Stadt trotz ihrer festen Lage und trotzdem sie auf 20 Jahre mit Lebensmitteln versehen war. Später ließ Darius Hystaspes die Mauern niederreißen, und Xerxes entblößte sie von allen ihren Schätzen. Als der große Alexander nach Babylon kam, wollte er den Thurm wieder herstellen; er stellte allein zur Wegräumung der Trümmer und des Schuttes 10,000 Arbeiter an, doch mußte seines plötzlichen Todes wegen der Plan aufgegeben werden. Seit dieser Zeit verfiel die Riesenstadt immer mehr und mehr, so daß heut von ihr nichts mehr zu sehen ist, als ein verwittertes Backsteinchaos, in welchem sich selbst das scharfe Auge des Forschers nicht zurecht finden kann.

Rechts vom Thurme sah ich die Straße, welche nach Kerbela, und links von ihm diejenige, welche nach Meschhed Ali führt. Grad im Norden lag Tahmasia und hinter den westlichen Wallruinen der Dschebel Menawiëh. Ich wäre gern noch länger hier oben geblieben, aber die Sonne war jetzt verschwunden, und die Kürze der Dämmerung trieb mich hinab zu den Gefährten.

Das Frauenzelt war aufgeschlagen worden, und außer Lindsay und Halef hatten sich Alle zur Ruhe gelegt. Der Letztere hatte mich noch bedienen wollen, und der Erstere hegte die Absicht, sich über die Disposition für die nächsten Tage mit mir zu verständigen. Ich vertröstete ihn auf den folgenden Morgen, wickelte mich in meine Decke und versuchte, einzuschlafen. Es ging nicht, denn eine fieberhafte Aufgeregtheit ließ mich höchstens zu einem durch öftere Pausen unterbrochenen Halbschlummer kommen, der mich nicht stärkte, sondern nur noch mehr ermüdete.

Gegen Morgen schüttelte mich ein starker Frost, der mit fliegender Hitze wechselte; ein eigenthümlicher Schmerz zuckte mir durch die Glieder, und trotz der Dunkelheit war es mir, als wenn meine Umgebung sich wie ein Carroussell rings um mich drehe. Noch dachte ich nur an ein Fieber, welches sich bald legen werde, und nahm eine weitere Dose Chinoidin, worauf ich in einen dumpfen Zustand verfiel, welcher eher Betäubung als Schlaf zu nennen war.

Als ich aus demselben erwachte, herrschte bereits reges Leben um mich her. Es war zu meinem Erstaunen neun Uhr vormittags, und eben sah man die Leichenkaravane von Hilla her getheilt an uns vorüber ziehen, ein Theil davon nach Kerbela und der andere nach Meschhed Ali. Halef bot mir Wasser und Datteln an. Ich konnte einige Schlücke trinken, aber keinen Bissen essen. Ich befand mich in einem Zustande, welcher einem recht starken Katzenjammer glich, was ich sehr wohl zu beurtheilen verstand, da ich während meiner Schülerzeit leider auch einige Male mich in jener hochelegischen Morgenstimmung befunden hatte, welche Victor Scheffel, der Dichter des Gaudeamus, mit den Worten beschreibt:

»Ein mildes Kopfweh, erst der letzten Nacht entstammt,
Durchsäuselte die Luft mit mattem Flügelschlag,
Und ein Gefühl von Armuth lag auf Berg und Thal.«

Ich wandte alle Kraft auf, diesen Zustand zu bemeistern, was mir, wenigstens einstweilen, auch leidlich gelang, und ich konnte mich sogar mit Hassan Ardschir-Mirza besprechen, welcher aufbrechen wollte, sobald der größte Theil der Nachzügler vorüber sei. Ich bat ihn dringend, sehr vorsichtig zu sein und seine Waffen stets bereit zu halten. Er stimmte bei mit einem leisen Lächeln und versprach, am 15. oder 16. Muharrem wieder hier an derselben Stelle einzutreffen. Gegen Mittag brach er auf. Beim Abschiede winkte Benda, welche bereits auf dem Kameele saß, mich näher zu sich heran.

»Emir, ich weiß, daß wir uns wiedersehen,« sagte sie, »obgleich Du so große Besorgniß hegest. Aber um Dich zu beruhigen, magst Du mir eine Bitte erfüllen: – leihe mir Deinen Dolch, bis ich wieder zurückkehre!«

»Du sollst ihn haben. Hier!«

Es war der Schambijah, welchen mir Eslah el Mahem gegen meinen Dolch geschenkt hatte, und auf dessen Klinge die Worte standen: »Nur nach dem Siege in die Scheide.« Ich wußte, daß das tapfere Mädchen keineswegs anstehen werde, sich nöthigenfalls mit demselben zu vertheidigen.

Nachdem auch Mirza Selim mir einige kurze, fast feindselig klingende Worte des Abschiedes zugerufen hatte, ritt die kleine Cavalcade davon, und wir blickten ihr nach, so lange sie zu sehen war. Dann aber war es auch mit meiner Kraft zu Ende. Halef schien dies eher als ich zu bemerken.

»Sihdi, Du wankst ja!« rief er. »Dein Angesicht ist wie Scharlach. Zeige mir Deine Zunge!«

Ich that es.

»Sie ist ganz blau, Sihdi, Du hast ein böses Isitma. Nimm Medizin und lege Dich!«

Ich mußte mich allerdings setzen, denn es wurde mir abermals so schwindelig, daß ich mich nicht aufrecht erhalten konnte. Jetzt begann ich, ernstlich Sorge zu bekommen, trank Essigwasser und machte auch einen Essigumschlag um den Kopf.

»Master,« meinte Lindsay, »Ihr könnt wohl nicht mit mir, um nach einem Platze zu suchen, wo ich graben kann.«

»Nein; ich kann nicht.«

»So werde ich hier bleiben.«

»Das ist nicht nöthig. Ich habe ein Fieber, wie es auf Reisen oft vorkommt; Halef ist bei mir; Ihr könnt immer gehen, doch entfernt Euch nicht gar weit von hier, denn wenn Ihr auf Schiiten stoßt, stehe ich für nichts.«

Er ging mit seinen Leuten ab, und ich schloß die Augen. Halef saß besorgt bei mir, um immer neuen Essig auf den Umschlag zu tröpfeln. Ich weiß nicht, wie lange ich gelegen hatte, als ich Schritte vernahm und gleich darauf in unserer unmittelbaren Nähe die barsche Frage hörte:

»Wer seid Ihr?«

Ich öffnete die Augen. Vor uns standen drei wohl bewaffete Araber zu Fuß, von deren Pferden nichts zu sehen war. Es waren wilde Gestalten und trotzige Gesichter, von denen man nichts Gutes zu erwarten hatte.

»Fremde,« antwortete Halef.

»Ihr seid keine Männer der Schia; zu welchem Stamme gehört Ihr?«

»Wir kommen von weit jenseits Egypt herüber und gehören zu den Stämmen der Mugharibeh. Warum fragst Du?«

»Du magst zu den Mugharibeh gehören; dieser Andere aber ist ein Franke. Warum steht er nicht auf?«

»Er ist krank; er hat das Fieber.«

»Wo sind die Andern, die bei Euch waren?«

»Nach Kerbela.«

»Auch der andere Franke, der bei Euch war?«

»Der ist mit seinen Leuten in der Nähe.«

»Wem gehört dieser Rappe?«

»Diesem Effendi.«

»Gebt ihn her und auch Eure Waffen!«

Er trat zu dem Pferde und faßte es am Zügel, aber das schien ein sehr gutes Mittel gegen das Fieber zu sein, denn im Nu war es verschwunden und ich stand auf den Füßen.

»Halt, sprecht zuvor erst auch ein Wort mit mir! Wer das Pferd anrührt, der bekommt eine Kugel!«

Der Mann trat hastig zurück und blickte ängstlich auf den Revolver, welchen ich ihm entgegenhielt. Hier, in der Nähe einer Stadt wie Bagdad, hatte er diese Art von Waffe wohl bereits kennen gelernt und fürchtete sie.

»Ich scherze nur,« sagte er.

»Scherze, mit wem Du willst, nur nicht mit uns! Was willst Du hier?«

»Ich sah Euch und glaubte, Euch dienen zu können.«

»Wo habt Ihr Eure Pferde?«

»Wir haben keine.«

»Du lügst! Ich sehe an den Falten Deines Gewandes, daß Du reitest. Woher weißt Du, daß sich hier zwei Franken befinden?«

»Ich hörte es von den Pilgern, die Euch getroffen haben.«

»Du lügst abermals. Wir haben keinem der Pilger gesagt, wer wir sind.«

»Wenn Du uns nicht glaubst, so werden wir gehen.«

Sie zogen sich, allerdings mit lüsternen Blicken auf unsere Pferde und Waffen, zurück und verschwanden hinter dem Trümmerhaufen.

»Halef, Du hast sehr unklug geantwortet,« sagte ich. »Komm, wir wollen uns überzeugen, daß sie sich auch wirklich entfernen.«

Wir folgten den Fremden, aber nur langsam, denn nun kehrte, nachdem sich mein Zorn gelegt hatte, auch die Schwäche zurück, und mir wurde so wirr vor den Augen, daß ich kaum die nächsten Gegenstände scharf zu unterscheiden vermochte.

»Siehst Du sie?« fragte ich, als wir hinter die Trümmer gekommen waren.

»Ja; dort draußen laufen sie nach ihren Pferden.«

»Wie viele Thiere sind es?«

»Drei. Aber siehst Du sie denn nicht auch, Sihdi?«

»Nein; ich habe Schwindel.«

»Jetzt sitzen sie auf und reiten fort, im Galopp. Halt! Allah 'l Allah, da draußen hält ein ganzer Trupp, der auf sie zu warten scheint.«

»Araber?«

»Ich kann es nicht erkennen; es ist zu weit.«

»So laufe und hole Dir mein Fernrohr!«

Während er zum Pferde rannte, gab ich mir Mühe, zu erforschen, wo ich die Stimme des Arabers, der uns angeredet hatte, schon einmal gehört hatte. Dieser rauhe, heisere Ton war mir bekannt. Da kehrte Halef zurück und wollte mir das Rohr geben, aber ein blutrother, wirbelnder Nebel lag mir vor den Augen und so mußte er die Beobachtung übernehmen. Es dauerte einige Zeit, bis er sich zurecht gefunden hatte, dann aber rief er:

»Perser sind es!«

»Ah! Kannst Du ein Gesicht erkennen?«

»Nein. Jetzt sind sie von den Andern erreicht, und nun reiten sie fort.«

»Sehr schnell und nach Westen. Nicht wahr?«

Halef bejahte, und ich nahm jetzt das Rohr. Der Schwindelanfall war vorüber.

»Halef,« sagte ich, »diese Perser sind die Verfolger Hassan Ardschir-Mirza's. Selim Agha ist mit ihnen im Bunde. Gestern in der Nacht, als er fort war, hat er sie aufgesucht, um ihnen zu verrathen, daß wir uns hier am Birs Nimrud trennen werden. Sie haben die Drei abgesandt, um zu erfahren, ob Hassan Ardschir aufgebrochen ist, und nun werden sie eilen, um ihn zu überfallen, ehe er in die Nähe von Kerbela kommt.«

»O, Sihdi, das ist schrecklich! Wir müssen ihnen nach!«

»Das versteht sich. Mache rasch die Pferde bereit!«

»Soll ich nicht den Engländer holen? Ich sah ihn die Richtung nach dem Orte einschlagen, den Du Ibrahim Chalil nanntest.«

»So müssen wir auf ihn verzichten; wir würden zu viel Zeit verlieren. Mache schnell!«

Ich nahm das Rohr empor und sah sehr deutlich die Truppe nach Westen jagen. Dann riß ich ein Blatt aus meinem Merkbuche und schrieb einige Zeilen, um den Engländer von dem Geschehenen und meiner Absicht zu unterrichten. Ich rieth ihm, den Birs Nimrud zu verlassen und unsere Rückkehr am Kanale Anana zu erwarten, da er hier am Thurm einen Überfall zu erwarten gehabt hätte, wenn es mir nicht gelungen wäre, die Räuber davon abzubringen. Diesen Zettel steckte ich so in den Ziegelschutt, daß ihn Lindsay bei seiner Rückkehr sofort sehen mußte; dann saßen wir auf und jagten davon.

Es ist fast unglaublich, welche Macht der Geist über den Körper besitzt. Mein Unwohlsein war jetzt völlig verschwunden, mein Kopf war kalt und mein Blick ungetrübt. Wir erreichten den Pilgerweg; wir kamen an Nachzüglern vorüber, welche uns scheltend auswichen; wir flogen an Bettlern vorbei, deren flehende Geberden wir gar nicht beachteten; wir kamen – ah, da lag ein gestürztes Maulthier, welches verendet war, und dabei bemühten sich zwei Kerle, eine halb verfaulte Menschenleiche wieder in die aufgeplatzte Filzdecke zu wickeln. Das gab einen entsetzlichen Geruch; mich erfaßte ein unüberwindlicher Ekel, der mein Inneres wie eine Schraube packte und gegen den keine Beherrschung aufkommen konnte.

»Sihdi, wie siehst Du aus!« schrie Halef und faßte nach dem Zügel meines Pferdes. »Halte an, Du stürzest sonst herab!«

»Vorwärts!«

»Nein! Halt! Deine Augen sind stier, wie wahnsinnig; Du wankst ja!«

»Nur vorwärts – –« ja, ich wollte diese beiden Worte rufen, aber ich hörte sie nicht, ich brachte sie nicht heraus, ich stammelte nur unverständliche Laute, trieb aber trotzdem mein Pferd zu größerer Eile an. Dies dauerte jedoch nicht lange, denn plötzlich wurde mir, als ob ich eines der drastischsten Brechmittel genommen; ich mußte diesem unwiderstehlichen Reize nachgeben und anhalten. Als ich die schleimig gallige Beschaffenheit der Ausscheidung bemerkte und dazu den Umstand in Erwägung zog, daß der Vorgang mir nicht den geringsten Schmerz im Epigastrium bereitet hatte, packte mich Todesangst.

»Halef, reite fort! Verlasse mich!«

»Verlassen? Warum?« frug er erschrocken.

»Ich habe die – Pest!«

»Die Pest! Allah kerihm! Ist es wahr, Sihdi?«

»Ja. Ich dachte, es sei ein Fieber; jetzt aber sehe ich, daß es die Pest ist.«

»El Taun, el Jumurdschak – die Pestilenz! Allah w' Allah, das ist fürchterlich, das ist entsetzlich!«

»Ja. Gehe fort; suche den Engländer auf! Er wird für Dich sorgen; er ist entweder am Birs Nimrud oder am Kanale Anana zu finden.«

Ich brachte diese Worte nur stammelnd hervor. Anstatt sich aber fortweisen zu lassen, faßte Halef meine glühende Hand.

»Sihdi,« sagte er, »glaubst Du, daß ich Dich verlassen werde?«

»Gehe fort!«

»Nein! Der Fluch Allahs soll mich verzehren, wenn ich Dich verlasse. Auf Deinen Zähnen liegt dunkler Rost, und Deine Zunge stammelt. Ja, es ist die Pest; aber ich fürchte sie nicht. Wer soll bei meinem Sihdi sein, wenn er leidet! Wer soll ihn segnen, wenn er stirbt! Effendi, o mein Effendi, meine Seele schluchzt, und mein Auge weint! Komm, halte Dich im Sattel fest; wir wollen einen Ort suchen, wo ich Dich pflegen kann.«

»Willst Du das wirklich thun, Du treuer Halef?«

»Bei Allah, Herr! Ich weiche nicht von Dir!«

»Ah, das vergesse ich Dir nicht. Vielleicht halte ich mich noch. Komm, den Persern nach!«

»Sihdi, das geht nun nicht – – –«

»Vorwärts!«

Ich gab dem Rappen die Fersen, und Halef mußte mir wohl oder übel folgen. Bald aber mußte ich die Eile des Pferdes mäßigen; es wurde mir wieder dunkel vor den Augen, und ich mußte mich auf Halef verlassen, welcher, ohne ein Wort weiter zu verlieren, die Führung übernahm. Jeder Huftritt meines Pferdes wirkte wie ein Faustschlag auf meinen Kopf; ich sah nicht, wem wir begegneten, aber ich ließ dem Pferde die Zügel und hielt mich mit beiden Händen im Sattel fest.

Da, nach langer, langer Zeit endlich erreichten wir die Karavane, und ich strengte mich an, die einzelnen Gruppen derselben zu unterscheiden. Lautlos flogen wir an ihnen vorüber, durch höllische Dünste und Miasmen hindurch, aber ich bemerkte die Gesuchten nicht.

»Hast Du sie nicht gesehen, Halef?« fragte ich, als wir die Spitze des Zuges erreicht hatten.

»Nein.«

»Dann links hinüber, und in gleicher Richtung wieder zurück. Sie können nicht rechts abgewichen sein. Siehst Du Vögel über der Todeskaravane?«

»Ja, Geier, Herr.«

»Sie suchen Aas und riechen die Leichen. Passe auf, ob sich einer nach links in unsere Richtung zieht! Ich bin hilflos; ich muß mich auf Dich verlassen.«

»Aber wenn es zum Kampfe kommt, Herr?«

»In diesem Falle wird meine Seele kräftiger sein, als meine Krankheit. Vorwärts also!«

Der Leichenzug verschwand zu unserer Linken; wir ritten so schnell, als es Halef's Pferd vermochte, obgleich ich mich nur mit äußerster Anstrengung in den Bügeln erhielt. Da zeigte der treue Hadschi empor.

»El Büdsch, der Bartgeier, hier oben!«

»Zieht oder kreist er?«

»Er kreist.«

»Reite so, daß wir grad unter ihn kommen. Er erblickt entweder einen Kampf oder eine Beute.«

Zehn Minuten vergingen in lautloser Stille; es ahnte mir, daß wir uns vor der Entscheidung befanden, und da ich heut nicht aus größerer Entfernung mit Sicherheit zu treffen vermochte, so schob ich die Büchse zurück und nahm den Stutzen zur Hand. Dabei merkte ich, wie schwach ich geworden war: die schwere Doppelrifle, die ich sonst leicht mit einer Hand dirigirt hatte, schien mir heut das Gewicht von Zentnern zu haben.

»Sihdi, da liegen Leichen!« rief Halef, den Arm ausstreckend.

»Lebendige dabei?«

»Nein.«

»Schnell hin!«

Wir gelangten an die Stelle, deren Anblick sich in unauslöschlichen Zügen meinem Gedächtnisse eingeprägt hat. Weit auseinander zerstreut, waren fünf Gestalten zu erkennen, welche bewegungslos am Boden lagen. In der größten Aufregung sprang ich ab und kniete bei der ersten nieder. Meine Pulse hämmerten, und meine Hand zitterte heftig, als ich den übergeworfenen Mantelzipfel vom Gesichte des Mannes nahm. Es war – – Saduk, der Stumme, welcher uns in den kurdischen Bergen entflohen war.

Ich eilte weiter. Da lag Alwah, die alte, treue Wärterin, von einer Kugel durch die Schläfe getroffen, und soeben schrie Halef entsetzt:

»Wai – o wehe, das ist des Persers Weib!«

Ich sprang hinzu. Ja, sie war es; Dschanah, Hassan Ardschir's Stolz und Glück! Auch sie war erschossen, und neben ihr lag mit ausgestrecktem Arme, als ob er sie noch im Tode halten und beschirmen wolle, Hassan selbst, mit Staub und Sand bedeckt. Seine Wunden ließen auf ein fürchterliches Ringen schließen; sogar seine Hände hatten Schnitte.

Von Schmerz übermannt rief ich:

»Mein Gott, warum hat er mir nicht geglaubt!«

»Ja,« meinte Halef mit finsterer Miene, »er trägt an Allem die Schuld. Er traute dem Verräther mehr als Dir. Aber dort liegt noch Eine. Komm!«

Weitab von den Andern lag noch eine weibliche Gestalt in dem von Hufschlägen aufgewühlten Sande. Es war Benda.

»Allah inhal el Agha; katelahum – Allah verdamme den Agha; er hat sie getödtet!«

»Nein, Halef. Kennst Du den Dolch, der in ihrem Herzen steckt? Ich habe ihn ihr leihen müssen. Ihre Hand hält noch den Griff umschlungen. Er hat sie von den Andern fortgerissen; hier sind die Spuren ihrer Füße, welche durch den Sand geschleift wurden. Vielleicht hat sie ihn verwundet; dann aber gab sie sich selbst den Tod, als sie sich nicht mehr zu wehren vermochte. Hadschi Halef Omar, ich bleibe auch hier liegen!«

»Sihdi, es ist kein Leben mehr in ihnen; sie sind todt; wir können sie nicht erwecken, aber wir können sie rächen!«

Ich antwortete nicht. Da lag sie, die ›Siegerin‹, todesbleich, mit geschlossenen Augen und halb geöffneten Lippen, als ob sie im Traume flüstern wolle. Diese prächtigen Augensterne waren für immer erloschen; diesen Lippen konnte kein warmer Ton mehr entströmen, und der kalte Stahl hatte den Puls dieses reinen Herzens zerschneiden müssen. Sie lag vor mir, eine herrliche Menschenblume, die im ersten Augenblick ihres Blühens verwelken mußte. Mir brannte der Kopf; die blutgetränkte Ebene flog im Kreise um mich herum; ich selbst schien um meine eigene Axe zu wirbeln; meine Hände, auf welche ich mich im Knieen gestützt hatte, verloren den Halt, und ich sank langsam, langsam nieder. Es war mir, als ob ich allmählich tiefer und immer tiefer sinke, in einen nebligen und dann immer schwärzer werdenden Schlund hinab. Da gab es keinen Halt, kein Ende, keinen Boden; die Tiefe war unendlich, und aus der Entfernung von Millionen von Meilen hörte ich Halef's Stimme herabdringen:

»Sihdi, o Sihdi, erwache, damit wir sie rächen können!«

Da endlich, nach langer, langer Zeit, gewahrte ich, daß ich nicht weiter sank; ich hatte einen Ort erreicht, an welchem ich fest und sicher liegen blieb, einen Ort, an dem ich von zwei starken Armen festgehalten wurde. Ich betastete diese Arme und blickte den Mann an, dem sie gehörten; dabei sah ich viele große, schwere Tropfen aus seinem Auge auf mich niederfallen. Ich wollte reden, brachte es aber nur mit großer Anstrengung fertig:

»Halef, weine nicht!«

»O Herr, ich hielt auch Dich für todt, gestorben an der Krankheit und am Schmerze. Hamdulillah; Du lebst! Raffe Dich auf! Dort sind ihre Spuren. Wir werden den Mördern folgen und sie umbringen! Ja, umbringen, bei Allah, ich schwöre es!«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich bin müde. Gib mir die Decke unter den Kopf!«

»Kannst Du nicht mehr reiten, Herr?«

»Nein.«

»Ich bitte Dich, versuche es!«

Der treue Mensch glaubte, durch den Gedanken der Rache meine Thatkraft gewaltsam aufrütteln zu müssen; es gelang ihm nicht. Und nun warf er sich selbst auf die Erde nieder und schlug sich mit den Fäusten vor die Stirn.

»Allah verderbe diesen Elenden, den ich nicht fangen darf! Allah verderbe auch die Pest, welche dem Sihdi die Kraft des Mannes nimmt! Allah verderbe – – ia Allah il Allah, ich bin ein Wurm, ein Elender, der nicht helfen kann! Es ist am besten, ich lege mich auch her, um zu sterben!«

Da raffte ich mich auf.

»Halef, soll der Bartgeier diese Todten fressen?«

»Willst Du sie begraben?« entgegnete er.

»Ja.«

»Wo und wie?«

»Können wir anders als hier im Sande?«

»Das ist eine schwere Arbeit, Herr. Ich werde sie thun; aber diesen Saduk, der sich stumm stellte, um seinen Herrn zu verderben, den sollen doch die Geier fressen. Zuvor aber will ich sehen, ob die Todten noch irgend Etwas bei sich tragen.«

Dieses Nachsuchen war vergebens. Man hatte ihnen Alles abgenommen. Welche Reichthümer waren dabei in die Hände dieser Teufel gekommen! Zu verwundern war es, daß man Benda's Leiche den Dolch gelassen hatte. Die Mörder hatten sich doch gescheut, die erstarrte Hand des Mädchens aufzubrechen. Auch ich bat Halef, den scharfen Stahl im Herzen der Todten stecken zu lassen. Ich hätte die Waffe nie wieder anzurühren vermocht.

Und nun begannen wir, den Boden aufzuwühlen. Wir hatten dazu nichts anderes als unsere Hände und die Messer. Das förderte höchst langsam, und in der Tiefe eines Fußes wurde das sandige Gefüge so hart, daß wir mit diesen Werkzeugen eine ganze Woche gebraucht hätten, um eine Grube von der nöthigen Dimension fertig zu bringen.

»Es geht nicht, Herr,« sagte Halef. »Was beschließest Du?«

»Wir kehren nach dem Thurme zurück; er liegt kaum mehr als zwei Reitstunden von hier.«

»Wallahi, daran habe ich nicht gedacht! Wir holen den Engländer mit seinen Werkzeugen herbei.«

»Und bis dahin halten die Geier ihre Mahlzeit!«

»So reite ich allein, und Du bleibst zurück.«

»Du wirst dann den Räubern in die Hände fallen. Sie haben ihren nächsten Zweck erreicht, und ich vermuthe, daß sie nach dem Birs Nimrud gegangen sind, um sich unsere Pferde und Waffen zu holen, nach denen sie lüstern sein werden.«

»Ich erwürge sie!«

»Du allein – so Viele?«

»Du hast recht, Sihdi. Und ich darf Dich ja auch nicht verlassen, weil Du krank bist.«

»Wir gehen alle Beide.«

»Und die Todten?«

»Wir legen sie auf die Pferde und gehen neben her.«

»Dazu bist Du zu schwach, Herr. Sieh, wie Dich das Aufgraben des leichten Sandes angestrengt hat! Deine Beine zittern.«

»Sie werden zittern und dennoch aushalten. Komm!«

Es war eine traurige und zugleich eine schwierige Arbeit, den beiden Pferden ihre Last zu geben. Da wir nicht genug Riemen und Schnüre hatten, mußte ich meinen Lasso zerschneiden, welcher mich so lange Zeit auf allen Reisen begleitet hatte. Aber ich that es ohne Zaudern, denn es war ja ziemlich gewiß, daß die Hand, welche ihn bisher geschwungen hatte, in wenigen Stunden erstarren werde. Wir befestigten die Todten so, daß je zwei an den Seiten eines Pferdes zu hängen kamen; dann ergriffen wir die Zügel und schritten dem uns gesteckten Ziele zu.

Nie werde ich diesen Weg vergessen. Hätte ich den treuen Halef nicht bei mir gehabt, so wäre ich zehnmal liegen geblieben. Trotz aller Anstrengung knickte ich bei jedem Schritt in die Kniee; in kurzen Abständen mußte ich halten, um nicht neue Kräfte – denn das war unmöglich – sondern neue Energie zu sammeln. Aus den zwei Reitstunden wurden mehrere. Die Sonne sank. Statt das Pferd zu führen, hing ich ihm am Zügel, und so wurde ich endlich, von Halef unterstützt, halb von dem Rappen fortgezogen und halb von dem Hadschi weitergeschoben.

Wir waren auch aus dem Grunde aufgehalten worden, weil wir vorsichtig jede Begegnung vermeiden mußten, und langten endlich – endlich spät Abends – an dem Thurme an. Hätte ich jemals ahnen können, daß ich an diesem Orte meinen vielbewegten Lauf beschließen werde!

Wir hielten an derselben Stelle, an welcher wir am vorigen Abend gelagert hatten. Von dem Engländer war keine Spur zu finden. Der Zettel fehlte; jedenfalls hatte er ihn gelesen und war auf meine Weisung sofort nach dem Kanale aufgebrochen. Wir luden die Todten ab, hobbelten die Pferde lang und legten uns nieder, denn heute war nichts Anderes mehr möglich.

»Ich weiß, daß wir uns wiedersehen,« hatte Benda gesagt. Ja, ich war es allerdings, der sie wiedersah! Trotzdem ich sterbensmüde war und nur mit Anstrengung einen klaren Gedanken zu fassen vermochte, begann ich, mir selbst die bittersten Vorwürfe zu machen. Ich hätte meine Meinung kräftiger vertheidigen und mich der Unvorsichtigkeit Hassan Ardschir-Mirza's nöthigenfalls mit Gewalt entgegenstellen sollen. Hatte mir der Krankheitsanfall Kraft gelassen zu dem stürmischen Ritt und zu dem traurigen Heimwege, so wäre es mir auch möglich gewesen, diesen Mirza Selim Agha unschädlich zu machen. Ich kann mich diesem Vorwurfe noch heute nicht ganz entziehen, obgleich seitdem eine geraume Zeit vergangen ist.

Ich verbrachte eine schlimme Nacht. Bei fast normaler Hautwärme hatte ich einen schnellen, zusammengezogenen und ungleichen Puls; das Athmen ging kurz und hastig; die Zunge wurde heiß und trocken, und meine Phantasie wurde von ängstlichen Bildern und Vorstellungen eingenommen, die mich so quälten, daß ich öfters Halef rief, um mich zu überzeugen, was Einbildung und was Wirklichkeit sei. Oft auch weckte mich aus diesen Phantastereien ein Schmerz, den ich in den Achselhöhlen, am Halse und im Nacken fühlte. In Folge dieses Zustandes, den ich nur deßhalb so ausführlich beschreibe, weil ein Pestfall bei uns eine so große Seltenheit ist, war ich bei Anbruch des Tages eher wach als Halef und bemerkte nun, daß sich bei mir Beulen unter den Achseln und am Halse, ein Karfunkel im Nacken und rothe Petechien-Gruppen auf der Brust und an den innern Armflächen entwickelten. Jetzt hielt ich mein Schicksal für besiegelt und weckte den Hadschi.

Dieser erschrak über mein Aussehen. Ich bat ihn um Wasser und schickte ihn dann nach dem Kanale, um den Engländer aufzusuchen und herbeizuholen. Es vergingen drei Stunden, für mich drei Ewigkeiten, und als er dann zurückkehrte, kam er allein. Er hatte lange gesucht und nichts gefunden als eine Hacke, in deren Nähe viele Hufspuren in der Weise zu sehen gewesen waren, daß er auf einen dort stattgefundenen Kampf schließen mußte. Er brachte die Hacke mit; sie gehörte zu den Werkzeugen, welche Lindsay mitgebracht hatte. War dieser überfallen worden? Aber es war keine Spur einer Verwundung oder Tödtung zu sehen gewesen! Ich konnte in dieser Angelegenheit nicht das Mindeste unternehmen, denn ich war unfähig zu einer mehr als nur sehr geringen Anstrengung.

Mein Aussehen mußte sich während der Abwesenheit Halef's verschlechtert haben, denn dieser verrieth eine gesteigerte Angst um mich und bat mich dringend, Medizin zu nehmen. Ja, Medizin, aber welche! Chinin, Chloroform, Salmiakgeist, Arsen, Arnica, Opium und Anderes, was ich mir in Bagdad angeschafft hatte, konnte nichts helfen. Was verstand ich als Laie von der Behandlung der Pest! Ich hielt frische Luft, gute Reinigung der Haut durch fleißiges Baden und einen Schnitt in den Karfunkel für das Beste, und da die Vorsicht gebot, nicht an diesem Ort zu bleiben, so begann ich, mit dem Hadschi zu überlegen, soweit bei meinem Zustande von Überlegen die Rede sein konnte.

Es mußte doch irgendwo eine Quelle, einen noch so kleinen Wasserlauf geben, und wenn ich den Blick grad nach Osten richtete, so schien mir dort jenseits der südlichen Ruinengrenze am ehesten ein Wässerchen zu finden zu sein. Ich bat daher Halef, nach dieser Richtung zu reiten, um zu sehen, ob ich nicht falsch vermuthe.

Der dienstwillige Mann war sogleich bereit, ließ mich aber dennoch nicht ohne Besorgniß allein zurück. Diese sollte sich als ganz begründet erweisen. Er hatte mich ungefähr seit einer halben Stunde verlassen, als ich den nahenden Schritt mehrerer Pferde hörte. Ich wandte mich um und erblickte sieben Araber, von denen zwei verwundet zu sein schienen. Es befanden sich bei ihnen die Drei, welche gestern hier mit mir gesprochen hatten. Beim Anblick der Leichen stutzten sie und hielten an, um sich leise zu berathen. Dann kamen sie näher und umringten mich.

»Nun, wirst Du uns heut Dein Pferd und Deine Waffen geben?« redete mich der gestrige Sprecher an.

»Ja; nehmt sie Euch!« antwortete ich gleichmüthig, indem ich liegen blieb.

»Wo ist der Andere, der noch fehlt?«

»Wo sind die Vier, welche Ihr gestern am Kanale Anana überfallen habt?« entgegnete ich.

»Das wirst Du erfahren, wenn wir Dein Thier und Deine Waffen besitzen. Gib her! Aber sieh diese sechs Flinten auf Dich gerichtet! Sobald Du schießest, bist Du verloren.«

»Es fällt mir gar nicht ein, zu schießen. Was Ihr verlangt, gebe ich Euch gern, denn anstatt ich nur Einen von Euch tödten könnte, werdet Ihr Alle verloren sein, sobald Ihr mein Pferd oder mein anderes Eigenthum anzurühren wagt.«

Der Mann lachte.

»Diese Gewehre werden nicht lebendig werden gegen uns!«

»Versuche es! Hier, nimm!«

Ich richtete mich mühsam empor, streckte ihm mit der Rechten zunächst eine der Pistolen entgegen, öffnete aber dabei vorn mit der Linken das Gewand, daß sie den Hals und die entblößte Brust sehen konnten. Sofort zog der Araber seinen Arm an sich und sprang mit der Geberde des größten Schreckens zurück zu seinem Pferde.

»Liwahihalla – um Gottes willen!« rief er entsetzt, indem er mit einem wahren Panthersprunge in den Sattel voltigirte. »Er hat die Pest, den Tod, den Tod! Flieht, Ihr Gläubigen; flieht schnell von dieser verfluchten Stätte, sonst ereilt Euch das Verderben!«

Er sprengte in höchster Eile davon, und die Anderen folgten ihm mit gleicher Schnelligkeit.

Diese lieben Söhne des Propheten dachten in ihrem Entsetzen gar nicht an die Lehre des Kuran, daß Alles im Buche verzeichnet sei und daß sie also durch ihre Flucht dem ihnen eventuell bestimmten Schicksale gar nicht entgehen könnten. Sie vergaßen sogar, mir vor ihrer so beschleunigten Abreise erst eine Kugel in den Kopf zu jagen dafür, daß sie nun mein Eigenthum nicht nehmen durften.

Nach Verlauf von abermals einer halben Stunde kehrte Halef mit freudestrahlender Miene zurück. Meine Vermuthung war richtig gewesen; er hatte einen kleinen Nahr, ein Flüßchen gefunden, welches sein helles Wasser in den Euphrat sandte und dessen Ufer mit einigem Gebüsch bestanden waren. Ich erzählte ihm die Episode mit den Arabern, und er ärgerte sich, nicht dagewesen zu sein. Er schwur, daß er sie Alle erschossen haben würde.

Bevor wir nun den Thurm verließen, mußte den Todten eine Ruhestätte bereitet werden. Hierzu war die gefundene Hacke gut zu verwenden. Ich schleppte mich an die westliche Seite der Ruine. Halef trug die Leichen herbei und arbeitete dann eine tiefe, breite Höhlung in die Trümmerwand, was ihm bei der Lockerheit des Materials nicht schwer fiel; dann setzte er die Todten mit empor gerichtetem Oberkörper hinein und begann, die Öffnung zu schließen, ohne daß der Perser nebst den drei Frauen von der Erde berührt wurde.

Ich saß während dieser Arbeit der Höhle gegenüber und prägte mir die Züge dieser theuren Personen ein. Da lehnte Benda an den Backsteinen Babylon's; ihr reiches, aufgelöstes Haar hing auf den Boden nieder, und ihre Rechte hielt noch den Griff des Dolches umspannt, der ihr im erkalteten Herzen stack. Grad so war Mohammed Emin begraben worden, in der Höhle sitzend und das Gesicht nach West wendend, wo die Sonne über der Kaaba aufgeht, wie dereinst das Angesicht Gottes über dem Heiligthum des Paradieses leuchten wird. Sie waren dabei gewesen, und auch Hassan Ardschir-Mirza hatte eine Sure gebetet. Wer hätte ihnen damals weissagen können, daß sie alle Vier das gleiche Schicksal haben sollten!

Als der Rand des Verschlusses die Angesichter der Abgeschiedenen erreichte, nahm Halef Abschied von ihnen. Auch ich wankte hin und kniete nieder.

»Allah il Allah, we Muhammed Rahsul Allah!« sprach der kleine Hadschi. »Sihdi, laß Du mich heut das Gebet des Todes sprechen!«

Er that es. Brauchte ich mich der Thränen zu schämen, welche mir über die Wangen rannen?

Dann gab ich allen ein christliches Gebet mit auf die letzte Reise. Sie hatten Kerbela, die Stadt der Trauer, nicht erreicht, sondern eine höhere Pilgerschaft angetreten, empor zur Stadt der Klarheit und Wahrheit, wo keine Irrthümer walten und Glück und Freude ist von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Nun wurde das Grab vollends geschlossen, und wir konnten aufbrechen. Ich drängte mein Leid mit Gewalt zurück zum Herzen und kroch in den Sattel. Doch im Abreiten wandte ich mich noch einmal zurück zu der Stelle, von welcher mir das Scheiden so schwer ward. O Mensch, Du schönstes und auch stolzestes der irdischen Geschöpfe, wie bist Du doch so gering und ohnmächtig, wenn die Brandung der Ewigkeit ihre Fluthen über Dich zusammenschlägt!

Wir ritten im langsamsten Schritte an der Ruine Ibrahim Chalil vorüber und überschritten die südliche Grenze des Ruinenfeldes, welches uns zur Linken liegen blieb. Ich mußte mir alle Mühe geben, um nicht aus dem Sattel zu fallen, und so verging über eine Stunde, ehe wir den Ort erreichten, welchen Halef vorher in kaum der Hälfte dieser Zeit gefunden hatte. Ich erblickte einen ziemlich starken Bach, welcher vom Westen kam und dessen Wasser die Klarheit und Frische einer Quelle hatte. Er schlängelte sich in zahlreichen Windungen dem Flusse zu und war zu beiden Seiten dicht mit Weidenarten und anderem Buschwerk eingesäumt. Ich fühlte mich nicht zur Beantwortung der Frage gestimmt, wie das Vorkommen eines solchen Wasserlaufes in einer so tristen Gegend zu erklären sei, lernte aber später noch andere Zuflüsse kennen, den Nahr Chawand, Nahr Hadrisch etc. und ließ mir auch erzählen, daß die Gegend westlich von hier keineswegs arm an Feuchtigkeit sei. Es gibt da ausgedehnte Sümpfe, in denen das Fieber brütet, und an den steilen Grenzhöhen sind wässerige Niederschläge keine große Seltenheit.

Zunächst richtete Halef für mich ein Lager her, über welches er zur Abhaltung der Sonnenstrahlen ein leichtes Dach baute; dann nahm ich ein Bad und streckte mich nachher auf das Blätterpolster nieder, welches mir als Krankenbett dienen sollte. Meine Zunge war dunkelroth und in der Mitte schwarz und rissig geworden; das Fieber schüttelte mich bald heiß und bald kalt; ich sah die Bewegungen des kleinen Hadschi wie durch einen dichten Nebel und hörte seine Stimme wie im Traume und mit der Klangfarbe, welche die Stimme eines Bauchredners hat. Dabei entwickelten sich die Petechien und die Geschwülste immer mehr, so daß ich gegen Abend in einem fieberfreien Augenblick Halef bat, einen kräftigen Einschnitt in den Karfunkel zu machen. Das war nicht ohne Gefahr, aber es gelang. Um nun über Nacht nicht in eine noch viel gefährlichere Schlafsucht zu fallen, gab ich die Weisung, mich munter zu rütteln und mit Wasser zu begießen, falls sich die gefürchtete Starrheit meiner bemächtigen sollte. So verging die Nacht, und der Morgen brach an. Ich fühlte mich etwas leichter, und Halef ging, um ein Wild zu schießen.

Er brachte schon nach kurzer Zeit einiges Geflügel, welches er am Spieße briet. Mir war es unmöglich, nur einen Bissen zu genießen, und auch er saß still und trüb dabei, ohne zu essen. Der Hund allein hielt seine Mahlzeit. Wie traurig war diese Lage am Phrat, dem ›Flusse des Paradieses‹! Todkrank, ohne andere Hilfe, als die wir uns selbst zu leisten vermochten, umweht vom Hauche der Pest, inmitten uncivilisirter, fanatischer Thoren, gegen die wir keine andere wirklich hinlängliche Waffe hatten, als eben diese – Pest. Nach Hilla oder einem anderen Orte durften wir nicht; man hätte uns sofort umgebracht. Was wäre ich hier gewesen ohne den Beistand des wackeren Halef, der Alles wagte, um mir seine Liebe und Treue zu beweisen!

Es war heut der vierte Tag der Krankheit, und ich hatte gehört, daß dieser Tag der entscheidende sei. Ich blieb dabei, Rettung nur vom Wasser und von der freien Luft zu erwarten, und obgleich mein Körper unter den Anstrengungen der letzten Zeit sehr gelitten hatte, glaubte ich, daß ich dem Reste meiner Kräfte mehr Vertrauen schenken dürfe, als irgend einer Arznei, über deren Anwendung und Wirkung ich nicht einmal im Klaren war.

Gegen Abend ließ das Fieber nach, und auch in dem Absceß verminderte sich die Heftigkeit des Schmerzes. Ich schlief des Nachts einige Zeit recht erquicklich, und als ich am nächsten Morgen Halef die Zunge zeigte, welche wieder feucht zu werden begann, erklärte er, daß die schwarze Färbung derselben fast verschwunden sei. Jetzt begann ich auf Genesung zu hoffen, erschrack aber am Nachmittag nicht wenig, als der treue Diener nun selbst über Kopfweh, Schwindel und Frost zu klagen begann. Schon während der Nacht hatte ich die Gewißheit, daß ihn die Ansteckung ergriffen hatte. Ich sah ihn nach dem Wasser gehen, um mir einen Trunk zu holen; er taumelte.

»Halef, Du fällst!« rief ich erschrocken.

»O, Sihdi, es dreht sich Alles mit mir herum!«

»Du bist krank! Es ist die Pest!«

»Ich weiß es.«

»Ach, ich habe Dich angesteckt!«

»Allah hat es gewollt; es stand im Buche verzeichnet. Ich werde sterben; Du aber wirst zu Hanneh gehen und sie trösten.«

»Nein, Du wirst nicht sterben; ich werde Dich pflegen.«

»Du?« frug er kopfschüttelnd. »Du ringst ja selbst noch mit dem Tode, der Dich nicht frei geben will!«

»Ich bin bereits auf dem Wege der Besserung; ich werde nicht weniger an Dir thun, als was Du an mir gethan hast.«

»O, Sihdi, was bin ich gegen Dich! Laß mich hier liegen und sterben!«

Also so sehr hatte ihn die der Pest charakteristische Niedergeschlagenheit bereits ergriffen! Er hatte sich gewiß genug gewehrt, um mich so lange wie möglich über seinen Zustand in Unkenntniß zu erhalten. Jetzt gelang ihm dies nicht mehr, und einige Stunden später sprach er irre. Vielleicht hatte er schon mit mir den Stoff der Krankheit eingesogen, als wir in Bagdad das Nahen der Todeskaravane beobachteten, und nun entwickelte sich bei ihm die schwerste, die biliöse Form der Pest, in welcher alle Zufälle mit vermehrter Heftigkeit auftreten.

Ich konnte mich selbst nur mit äußerster Anstrengung auf kurze Zeit emporraffen, um ihm die Pflege zu Theil werden zu lassen, deren ich selbst noch so sehr bedurfte. Es war eine Zeit, an welche ich mit Schauder zurückdenke, obgleich ich sie hier am besten übergehe.

Auch Halef wurde gerettet, doch befand er sich noch am zehnten Tage seiner Krankheit so schwach, daß ich ihn von Stelle zu Stelle heben mußte, und ich selbst konnte mit der schweren Büchse noch keinen sichern Schuß aus freier Hand thun. Es war bei all'dem ein Glück, daß unser Schmerzenslager unentdeckt blieb. Als ich mich zum ersten Male im Wasser spiegelte, erschrack ich über den dicht bebarteten Todtenkopf, welcher mir da entgegengrinste. Es war kein Wunder, daß Geier über uns ihre Kreise zogen und die Hyänen und Schakale, welche aus den Ruinen zur Tränke kamen, durch das Schilf schauten, um zu sehen, ob wir nicht bald zu verspeisen seien. Sie mußten stets in höchster Eile abziehen, denn Dojan, der Windhund, war nicht sehr gastfreundlich gegen sie gesinnt.

Meinen ersten Ausgang unternahm ich zum Grabe der Perser, welches sich noch im unversehrten Zustande befand. Ich war zu Fuße herbei gekommen und saß wohl eine Stunde lang am Thurme, und die lebensvollen Bilder der Abgeschiedenen standen vor meinem geistigen Auge. Da gab der Hund, welchen ich bei mir hatte, Laut. Ich wandte mich um und erblickte einen Trupp von acht Reitern mit einigen Falken und einer Koppel Hunde. Sie hatten mich schon bemerkt, und kamen nahe zu mir heran.

»Wer bist Du?« fragte der Mann, welcher der Anführer zu sein schien.

»Ein Fremder.«

»Was thust Du hier?«

»Ich trauere um die Todten, welche ich hier begraben habe.«

Dabei deutete ich nach dem Grabe.

»Welcher Krankheit sind sie erlegen?«

»Sie wurden ermordet.«

»Von wem?«

»Von persischen Männern.«

»Ah! Von Persern und Zobeïde-Arabern! Wir haben davon gehört. Sie haben auch mehrere Männer getödtet, welche sich am Kanale befanden.«

Ich erschrack, denn hier konnte nur Lindsay mit seinen Leuten gemeint sein.

»Weißt Du dies gewiß?«

»Ja. Wir gehören zum Stamme der Schat und geleiteten Pilger nach Kerbela. Da haben wir es gehört.«

Das war jedenfalls eine Lüge. Die Schat wohnen weit im Süden und dürfen sich hier nur mit Gefahr erblicken lassen. Übrigens sagte mir der Umstand, daß sie sich auf der Falkenjagd befanden, sehr deutlich, daß ihre Heimat in der Nähe sein müsse. Ich faßte also Mißtrauen und gab mir nur Mühe, dies nicht merken zu lassen.

Da trieb der Mann sein Pferd ganz zu mir heran und sagte:

»Was hast Du hier für ein sonderbares Gewehr? Zeige es einmal her!«

Er streckte die Hand nach dem Stutzen aus, ich aber trat zurück und antwortete:

»Dieses Gewehr ist gefährlich für Den, der es nicht anzufassen versteht!«

»So wirst Du mir zeigen, wie es anzufassen ist!«

»Gern, wenn Du absteigst und eine Strecke weiter mit mir gehst. Kein Mann gibt seine Flinte aus der Hand, wenn er nicht sicher ist, daß es ohne Gefahr geschehen kann.«

»Her damit! Sie ist mein!«

Er streckte seine Hand abermals aus und nahm zu gleicher Zeit sein Pferd empor, um mich niederzureiten. Da aber that Dojan einen Satz, faßte den Mann am Arme und riß ihn aus den Bügeln auf die Erde herab. Der Araber, welcher die Koppel hielt, stieß einen Schrei aus und ließ seine Hunde los, welche sich sofort auf Dojan stürzten.

»Ruft die Hunde zurück,« gebot ich, das Gewehr erhebend.

Man folgte meinem Rufe nicht, und so drückte ich ab, drei, vier Male hinter einander. Jeder Schuß tödtete einen Hund; dabei aber gab ich zu wenig acht auf den Anführer, dieser erhob sich, faßte mich und riß mich von hinten zu Boden. Ich war viel zu schwach zu einer nachhaltigen Gegenwehr; er übermannte mich trotz seines zerbissenen Armes und hielt mich fest, bis die Andern ihm beistanden, mich vollends unschädlich zu machen. Das Gewehr wurde mir entrissen, das Messer auch; dann band man mich und lehnte mich gegen einen Backsteinhaufen.

Unterdessen biß sich Dojan mit den drei unverletzt gebliebenen Hunden herum. Sein Fell war zerbissen; er blutete aus mehreren Wunden, aber er hielt wacker Stand, seinen Gegnern nie die Kehle bietend. Da nahm einer der Araber seine alte Flinte empor, zielte und drückte los; die Kugel traf den wackeren Hund zwischen die Rippen; er brach todt zusammen und wurde von seinen halb wilden Feinden wörtlich in Stücke gerissen.

Ich hatte das Gefühl, als ob der theuerste Freund mir an der Seite erschossen worden sei. O, diese Schwäche! Wäre ich bei meiner früheren Kraft gewesen, was hätte ich mir aus diesem alten Strick gemacht, der meine Arme zusammenhielt!

»Bist Du allein hier?« frug jetzt der Anführer.

»Nein. Ich habe noch einen Gefährten,« antwortete ich.

»Wo?«

»In der Nähe.«

»Was thut Ihr da?«

»Wir wurden unterwegs von der Pest überfallen und sind da liegen geblieben.«

In dieser aufrichtigen Antwort bot sich mir die einzige Möglichkeit, diesen Leuten zu entkommen. Kaum hatte ich das letzte Wort gesprochen, so wichen sie mit lauten Schreckensrufen von mir zurück. Nur der Anführer blieb und meinte mit zornigem Lachen:

»Du bist ein schlauer Mann, mich aber betrügst Du nicht! Wer mitten im Wege an der Pest liegen bleibt, der wird nie wieder gesund.«

»Blicke mich an!« sagte ich einfach.

»Dein Anblick ist wie das Angesicht des Todes, aber Du hast nicht die Pest, sondern das Fieber. Wo befindet sich Dein Gefährte?«

»Er liegt am – – – – horch, da kommt er!«

Ich hörte nämlich von Weitem eine Stimme, welche stark sein wollte, aber nur in schrillen, sich überschnappenden Fisteltönen immer nur das Wort »Rih, Rih, Rih!« vernehmen ließ. Darauf ertönte der rasende Galopp eines Pferdes, und einen Augenblick später sah ich meinen Hengst über Schutt, Geröll und Trümmern heranstürmen. Auf ihm aber lag Halef, den linken Arm um den Hals des Pferdes geschlungen, und die rechte Hand zwischen den Ohren des Pferdes, wobei sie eine seiner Doppelpistolen hielt, während die Flinte ihm an der Schulter hing.

Die Araber alle wandten sich dem Schauspiele zu. Wie war der todesmatte Hadschi auf das Pferd gekommen! Er hatte nicht die Kraft, es zum Stehen zu bringen, und sauste vorüber.

»Dur kawi, Rih – halt, Rih!« rief ich, so laut ich vermochte.

Sofort lenkte das kluge Pferd zurück.

»Die Hand weg von den Ohren, Halef!«

Er that es, und nun blieb das Thier grad vor mir halten. Halef fiel zu Boden. Er konnte sich kaum zum Sitzen aufrichten, frug aber doch mit zorniger Stimme:

»Ich hörte schießen. Sihdi, wen soll ich tödten?«

Der Anblick dieses Kranken mußte den Arabern sofort beweisen, daß ich vorhin die Wahrheit gesagt hatte.

»Es ist die Pest! Allah schütze uns!« riefen sie.

»Ja, es ist die Pest!« rief auch der Anführer, indem er den Stutzen und das Messer von sich warf und auf sein Pferd sprang. »Flieht, Ihr Männer! Ihr aber, Ihr Hunde, die Ihr uns angesteckt habt, fahrt zur Hölle!«

Er zielte auf mich, und ein Anderer auf Halef. Beide drückten ab; aber die Hand des Ersten lähmte der Biß des Hundes, und die des Andern bebte aus Furcht vor der Pest; die Kugeln trafen nicht. Auch Halef schoß sein Pistol ab, aber seine Hand zitterte wie ein Zweig im Winde; auch er traf nicht, und als er die Flinte erheben wollte, war er zu schwach dazu, und die Araber ritten bereits in sicherer Entfernung von dannen.

»Dort entkommen sie! Der Scheïtan hole sie ein!« rief er; aber es war kein Ruf, sondern mehr ein hastiges Murmeln, was er hervorbrachte. »Was thaten sie Dir, Sihdi?«

Ich erzählte es ihm und bat ihn dann, den Strick zu durchschneiden. Der Arme hatte kaum die Kraft, es zu thun.

»Aber, Halef, wie bist Du auf das Pferd gekommen?« fragte ich.

»Sehr leicht, Sihdi,« antwortete er. »Es lag am Boden, und ich legte mich auf seinen Rücken, nachdem ich den Riemen gelöst hatte. Ich wußte, wo Du warst, und als ich Schüsse hörte, mußte ich Dir zu Hilfe kommen. Der Knall Deines Stutzens dringt sehr weit. Du hast mir das Geheimniß Deines Pferdes offenbart, und darum hat es mich so rasch zu Dir getragen.«

»Dein bloßes Erscheinen genügte, mich zu befreien. Die Furcht vor der Pest ist stärker als alle Waffen. Diese Männer werden von dem Zusammentreffen erzählen, und darum glaube ich, daß wir nun vor weiteren Begegnungen sicher sind, so lange wir uns noch hier befinden.«

»Und Dojan? Das dort sind die Stücke seines Körpers?«

»Ja.«

»O jazik – o wehe! Herr, das ist genau so, als ob mir die Hälfte von Dir selbst entrissen wäre! Ist er tapfer gefallen?«

»Ja. Er wäre Sieger geblieben, wenn man ihn nicht erschossen hätte. Aber wir haben einen noch viel schmerzlicheren Verlust zu beklagen. Der Engländer ist mit seinen Leuten ermordet worden.«

»Der Engländer? Allah 'l Allah! Wer sagte es?«

»Der Anführer dieser Araber. Er behauptete, davon gehört zu haben; aber vielleicht ist er selbst mit dabei gewesen.«

»So müssen wir ihre Leichen finden. Wir werden suchen, sobald ich wieder gehen kann, um sie zu begraben. Dieser Engländer war ein Ungläubiger; aber er hatte Dich lieb, und ich darum auch ihn. Herr, mache eine Grube für den Hund! Er soll hier in der Nähe der Perser ruhen; er hat ja auch zu ihrem Schutze gelebt. Es darf ihn kein Geier und kein Schakal fressen. Dann aber führe mich fort. Ich bin so matt, als ob auch mich eine Kugel getroffen hätte!«

Ich that nach seinem Willen. Der treue Dojan kam vor das Grab zu liegen, als ob er selbst noch im Tode die Sicherheit der Abgeschiedenen vertheidigen solle. Dann lud ich Halef auf das Pferd und kehrte mit ihm, nachdem ich auch die Waffen an mich genommen, langsam an den Bach zurück, nicht ahnend, daß die Erzählung von dem Tode des Engländers glücklicher Weise nur die Folge eines Irrthums sei. Es drängte mich, so bald wie möglich die Gegend zu verlassen, wo im Angesichte dieses Trümmerreiches auch so Vieles von uns und in uns zu den Todten gebettet worden war. An die einst beabsichtigte Reise nach dem Hadhramaut war nun nicht mehr zu denken. – –


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