Karl May
Von Bagdad nach Stambul
Karl May

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In Bagdad

Beim Verlassen des Ortes machten uns die Kameele am meisten zu schaffen. Diese dummen Thiere waren die weite, baumlose Ebene gewohnt und konnten sich hier zwischen Felsen, Bäumen und Sträuchern nicht zurecht finden. Wir waren gezwungen, ihre Lasten auf den Händen bis zum Flusse zu tragen und sie dann förmlich hindurch- und hinabzuschieben. Ebenso brachten wir sie nur mit Mühe über den Fluß.

Ich hatte mit Halef stets hinter den Anderen gehalten, um mit möglichster Sorgfalt alle Spuren zu verwischen.

Wir beabsichtigten durchaus nicht, den Ritt nach Bagdad sofort anzutreten, sondern wir wollten nur einen Ort verlassen, an dem wir uns nicht mehr sicher fühlten, und einen andern suchen, wo wir nicht zu befürchten brauchten, von den Ihlats und Saduk entdeckt zu werden. Gegen Abend, nachdem wir uns längst nach Süden gewendet hatten, fanden wir endlich eine verlassene Hütte, welche wohl einem einsamen Kurden als Aufenthaltsort gedient hatte. Sie stand mit dem Rücken an einer Felsenwand, und an den drei anderen Seiten umgab sie ein Kranz von Büschen und Sträuchern. Jenseits dieses Kranzes hatte man eine weite Fernsicht. Innerhalb desselben erhielten die Thiere ihren Aufenthalt, und auch wir schlugen da unsere Lagerstätten auf, was allerdings gar nicht viel Zeit und Arbeit erforderte, da es sich nur darum handelte, unsere Satteldecken auf dem Boden auszubreiten.

Wir waren eben fertig geworden, als der Abend hereinbrach, und sofort begannen die drei Frauen, welche das Häuschen ausschließlich bewohnten, ihre kulinarische Thätigkeit. Es gab ein gutes Abendessen. Ich war in Folge der fast dreitägigen Anstrengung sehr ermüdet und legte mich bald zur Ruhe. Bereits mochte ich einige Stunden geschlafen haben, als ich eine Berührung fühlte und in Folge dessen die Augen öffnete. Die alte Halwa stand vor mir und winkte. Ich erhob mich, um ihr zu folgen. Alle Andern schliefen, außer einem der Perser, welcher die Wache hatte und draußen vor dem Buschwerke saß, so daß er uns gar nicht bemerken konnte. Die Alte führte mich zur Seite des Hauses, wo ein dichter Hollunder seine reichen Dolden ausbreitete. Hier fand ich Hassan Ardschir-Mirza.

»Hast Du etwas Wichtiges zu besprechen?« frug ich ihn.

»Für uns ist es wichtig, denn es betrifft unsere Reise. Ich habe mir überlegt, was ich thun soll, und es würde mir lieb sein, wenn meine Gedanken Deinen Beifall fänden. Verzeihe, daß ich Dich im Schlafe stören ließ.«

»Laß mich hören, was Du beschlossen hast!«

»Du bist bereits in Bagdad gewesen. Hast Du auch Freunde oder Bekannte dort?«

»Einige flüchtige Bekanntschaften, doch zweifle ich nicht, daß diese Männer mir freundlich gesinnt sind.«

»So kannst Du also dort sicher wohnen?«

»Ich wüßte nicht, was ich dort zu befürchten hätte. Auch stehe ich unter dem Schutze des Großherrn und kann mich sogar unter denjenigen einer europäischen Macht stellen.«

»So werde ich eine Bitte aussprechen. Ich habe Dir bereits gesagt, daß meine Leute mich in Ghadhim erwarten. Mir ahnt, daß ich dort nicht sicher wäre, und daher sollst Du hingehen und meine Angelegenheit besorgen.«

»Gerne. Welche Aufträge willst Du mir anvertrauen?«

»Die Kameele, welche Du dort finden wirst, haben mein Besitzthum getragen, das ich zu retten vermochte. Dies ist mir auf meiner Weiterreise hinderlich und beschwerlich; ich werde Alles verkaufen. Willst Du mir erlauben, diesen Verkauf in Deine Hand zu legen?«

»Ja, wenn Du mir dieses große Vertrauen schenken willst.«

»Ich schenke es Dir. Ich werde Dir einen unserer jetzigen Begleiter mitgeben, der Dich mit einem Briefe bei Mirza Selim Agha legitimiren soll. Du verkaufst Alles; die Last sammt den Thieren, und kannst dann die Leute bezahlen und entlassen.«

»Wird Mirza Selim Agha nicht zornig werden, daß Du dieses Geschäft nicht ihm anvertraust? Er hat Dir treu gedient; er hat Deine Güter bis nach Bagdad geleitet; er hat sich also ein Recht auf Dein Vertrauen erworben.«

»Widersprich mir nicht, Emir, denn ich weiß, was ich thue. Er ist der einzige, den ich nicht entlasse; damit soll er zufrieden sein. Ich glaube, daß Du meinen Auftrag besser ausführen kannst als er, und ich ertheile ihn Dir auch noch um eines andern Grundes willen. Wirst Du in Bagdad sogleich eine Wohnung finden können?«

»Ich werde sofort die Wahl unter vielen haben.«

»Ich werde Dir nicht nur die Güter, sondern auch mein ›Haus‹ anvertrauen, Emir. Willst Du?«

»Hassan Ardschir-Mirza, Du versetzest mich in Erstaunen und Verlegenheit! Bedenke, daß ich ein Mann und daß ich ein Christ bin!«

»Ich frage nicht danach, ob Du ein Christ oder ein Moslem bist; denn als Du mich aus der Hand der Bebbeh errettetest, hast Du diese Frage auch nicht gethan. Ich muß darnach trachten, meinen Verfolgern zu entgehen. Sie dürfen nicht wissen, wo Hassan Ardschir-Mirza sich befindet; darum vertraue ich Dir meine Habe an, und darum übergebe ich Dir auch mein ›Haus‹, um es während meiner Abwesenheit unter Deinen Schutz zu nehmen. Ich weiß, daß Du die Ehre meines Weibes und meiner Schwester Benda achten wirst.«

»Ich werde diese Beiden weder zu sehen noch zu sprechen verlangen. Aber von welcher Abwesenheit redest Du, Mirza?«

»Während Ihr in Bagdad seid, werde ich mit Mirza Selim Agha nach Kerbela gehen, um die Gebeine meines Vaters zu begraben.«

»Du vergissest, daß auch ich nach Kerbela will!«

»Emir, gib diesen Entschluß auf; er ist zu gefährlich! Ja, Du warst in Mekka, ohne das Leben zu verlieren; aber bedenke, welcher Unterschied zwischen Mekka und Kerbela ist. Dort sind fromme, ruhige Moslemim, in Kerbela aber findest Du Fanatiker, welche durch die Aufführung von Hosseïn's Trauerspiel bis zum Wahnsinne erregt und in eine tolle Wuth gebracht werden, welcher regelmäßig selbst ächte Gläubige zum Opfer fallen. Ahnte nur ein Einziger, daß Du kein Schiit, ja daß Du nicht einmal ein Moslem wärst, so würdest Du den grausamsten Tod erleiden. Folge mir und laß ab von Deinem Vorsatze!«

»Wohlan! Ich werde mich erst in Bagdad entschließen, was ich thue. Aber ob ich gehe oder ob ich bleibe, so kannst Du doch überzeugt sein, Hassan Ardschir-Mirza, daß Dein ›Haus‹ sich in vollständiger Sicherheit befinden wird.«

So endete unsere Unterhaltung.

Wir blieben noch volle fünf Tage an dieser Stelle und brachen erst auf, nachdem wir die feste Überzeugung erlangt hatten, daß die Kräfte sämmtlicher Begleiter wieder hergestellt seien. Der Ritt durch die Berge ging ganz glücklich von Statten, und auch, was ich vorher nicht gedacht hätte, die Ebene wurde zurückgelegt, ohne daß wir eine feindselige Begegnung mit Arabern hatten, was allerdings mehr unserer Vorsicht als dem guten Willen der Beduinen zuzuschreiben war.

Hinter Beni Seyd, vier Wegstunden nordöstlich von Bagdad, machten wir an einem Kanale Halt. Von hier aus sollte ich nach Ghadim reiten, um mit Mirza Selim Agha, welchem Hassan Ardschir seine Habe anvertraut hatte, zu sprechen. Unser kleiner Trupp machte an einem Platze Halt, an dem nicht so leicht eine Störung zu befürchten war. Ich half vorerst das Lager fertig stellen und erhielt sodann den Brief Hassan's, welcher mir als Beglaubigung dienen sollte.

»Werde ich Selim Agha wirklich bereitwillig finden?« frug ich ihn.

»Er hat Dir zu gehorchen, als ob ich selbst an Deiner Stelle wäre. Du übernimmst Alles, was er hat, und sendest ihn, sobald Du seiner nicht mehr bedarfst, mit dem Manne, den ich Dir mitgebe, heraus zu mir. Ich aber werde hier warten, bis Du selbst zurückkehrst. Du wirst alle meine Sachen verkaufen, und was Du thust, ist mir recht.«

Der Engländer sah diese Vorbereitungen zum Weiterritte und meinte:

»Nach Bagdad, Master? – Ich gehe mit!«

Ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Aber noch Einer wollte mit, nämlich Halef. Dies ging jedoch nicht an, da er zum Schutze des Lagers nöthig war.

Wir ritten ab und erreichten nach zwei Stunden die dritte Krümmung des Tigris oberhalb Bagdad, in deren Innerm Ghadhim jenseits des Flusses liegt. Wir schwenkten von dem Postwege, welcher nach Kerkuk, Erbil, Mossul und Diarbekir führt, rechts ab, ritten an der dort liegenden großen Ziegelei vorüber und ließen uns übersetzen. Durch freundliche Palmengärten erreichten wir nun Ghadhim, welches ausschließlich von schiitischen Persern bewohnt wird.

Dieser Ort steht auf ›heiligem‹ Boden, denn dort befindet sich die Grabstätte des Imam Musa Ibn Dschafer. Dieser berühmte Mann hatte die Pilgerreise nach Mekka und Medina an der Seite des Khalifen Harun al Raschid gemacht. In letzterer Stadt begrüßte er die Grabstätte des Propheten mit den Worten: ›Heil Dir, Vater!‹ während der Khalif es nur mit den Worten: ›Heil Dir, Vetter!‹ gethan hatte. »Wie, Du willst mit dem Propheten näher verwandt sein als ich, der Nachfolger desselben!« rief Harun zornig, und von dieser Zeit an haßte ihn Al Raschid ebenso, wie er ihn früher geachtet und bevorzugt hatte. Musa Ibn Dschafer ward in den Kerker geworfen, in welchem er sein Leben beschloß. Aber nach seinem Tode erhob sich über seinem Grabe ein prächtiger Tempel, dessen Kuppel ächt vergoldet ist, mit vier schönen Minareh's.

Ghadhim ist ferner merkwürdig durch eine so spezifisch abendländische Institution, daß ihr Anblick in dieser Umgebung gradezu befremdend wirkt: es besitzt nämlich eine Pferdebahn, welche ihren Ausgangspunkt am Arsenal zu Bagdad hat. Sie wurde von dem reformfreundlichen Gouverneur Midhat Pascha erbaut, welcher später in Stambul eine so hervorragende Rolle spielte. Wäre dieser Mann von seinem Posten als Generalstatthalter von Irak nicht abberufen worden, so besäße Mesopotamien eine Eisenbahn, deren Zweck wäre, die Euphrat- und Tigrisländer über die Hauptorte Syrien's hinweg mit Konstantinopel zu verbinden. Leider ist dieses hochwichtige Unternehmen bis auf den heutigen Tag Projekt geblieben. Mußte Midhat Pascha doch sogar die Interessenten seiner Pferdebahn mit Peitschenhieben zusammentreiben lassen: eine sehr deutliche Illustration der Stabilität des Muhammedanismus.

Die Perser, welche Ghadhim bevölkern, sind meist Händler und Kaufleute, die täglich in Geschäften nach Bagdad kommen. Um unter dieser Bevölkerung den Agha zu finden, mußte ich mich nach einem Karavanenhof begeben, deren es in Bagdad viele und auch in Ghadhim einige gibt.

Es war um die Mittagszeit und im Juli, und wir hatten ganz sicher fünfunddreißig Grad Hitze nach Reaumur. Eine fast undurchsichtige Luft lag über der Stadt, und wer uns begegnete, hatte das Gesicht verhüllt. In einer der Gassen begegnete uns ein Mann in reicher, persischer Kleidung; er ritt einen Schimmel, welcher ein Reschma trug, eines jener kostbaren persischen Geschirre, mit denen nur die Reichsten prunken können. Wir waren gegen den Mann allerdings die reinen Strauchdiebe.

»Ez andscha, tschepu rast – packt Euch fort, weicht rechts aus!« rief er uns an, indem er eine Gebärde des Abscheues machte.

Ich ritt zwar neben dem Engländer, aber die Gasse war so breit, daß der Perser recht gut an uns vorüber konnte. Trotzdem hätte ich ihm den Willen gethan, wenn er seine Geberde unterlassen hätte.

»Du hast Platz,« antwortete ich daher. »Vorwärts!«

Anstatt vorüberzureiten, nahm er seinen Schimmel quer und sagte:

»Schwein von einem Sunniten, weißt Du nicht, wo Du bist! Weiche aus, sonst zeigt Dir meine Peitsche den Weg!«

»Versuche es!«

Er zog die Kameelpeitsche aus dem Riemen und holte aus. Er traf aber nicht, denn mein Rappe schnellte mit einem weiten Satze an ihm vorüber, wobei ich ihm die Faust so in das Gesicht stieß, daß er trotz seines orientalischen Sattels vom Pferde flog. Ich wollte nun ruhig weiter reiten, ohne mich um den Mann zu bekümmern; da aber hörte ich außer seinem Fluche den Ausruf des Dieners, den uns Hassan Ardschir-Mirza mitgegeben hatte:

»Az baray chodeh – um Gottes willen, das ist ja Mirza Selim Agha!«

Sofort drehte ich mich um. Der Herabgestürzte saß bereits wieder auf seinem Pferde und hatte den krummen Säbel gezogen. Er erkannte erst jetzt den Sprecher.

»Arab, Du bist es!« rief er. »Wie kommst Du in die Nähe dieser Naschijestan, die Allah verdammen wird?«

Ich ließ dem Diener keine Zeit zum Sprechen, sondern antwortete selbst:

»Halte Deinen Mund! Ist Dein Name Mirza Selim Agha?«

»Ja,« antwortete er, für den Augenblick von dem Tone meiner Frage verblüfft.

Ich trieb mein Pferd hart an das seinige und sagte halblaut:

»Ich bin ein Abgesandter von Hassan Ardschir-Mirza. Führe mich in Deine Wohnung!«

»Du?« – frug er erstaunt, indem er mein Äußeres musterte. Dann wandte er sich an den Diener mit der Frage: »Ist es wahr?«

»Ja,« antwortete derselbe. »Dieser Effendi ist Emir Kara Ben Nemsi, welcher Dir einen Brief unsers Herrn zu übergeben hat.«

Noch einmal überflog uns das Auge des Agha mit einem spöttischen, niederträchtig hochmüthigen Blick, und nun meinte er:

»Ich werde den Brief lesen und dann mit Dir über den Schlag reden, den Du mir gegeben hast. Folgt mir, aber haltet Euch fern, denn Ihr beleidigt meine Augen!«

Dieser Mann war also der Schah-Swar, der Getreue, welcher seinen Offiziersposten in der persischen Armee aufgegeben, dem Hassan seine Werthsachen anvertraut und der sogar Benda's Herz gewonnen hatte. Denn auch dies hatte mir der Mirza in vertrauter Stunde mitgetheilt. Armes Mädchen! War dieser Agha wirklich ein Schah-Swar, d. h. ein außerordentlicher Reiter, so mußte er auch gelernt haben, den Mann nach seinem Pferde zu beurtheilen, und in dieser Beziehung war weder ich noch Lindsay ein Lump zu nennen. Außerdem war es nicht übermäßig klug von ihm, als ein Flüchtling in so glanzvoller Weise aufzutreten und dabei eine Anmaßung zu zeigen, die selbst einem viel Höheren nicht wohl gestanden hätte. Es fiel mir natürlich gar nicht ein, ihn in seinem Hochmuth zu bestärken; vielmehr gab ich Lindsay einen Wink, worauf wir ihn in die Mitte nahmen.

»Hund,« drohte er, »weiche zurück, sonst lasse ich Dich peitschen!«

»Schweig, Biwakuf,« antwortete ich ruhig, »sonst setze ich Dir noch einmal die Faust an die Nase. Wer seines Herrn Geschirr spazieren reitet, kann gut vornehm thun. Du wirst mir erlauben müssen, Dich Höflichkeit zu lehren.«

Er entgegnete nichts, sondern zog wieder den Schleier über das Gesicht, welcher sich während des Sturzes verschoben hatte. Dieses Schleiers wegen war er von dem Diener nicht sofort erkannt worden.

Der Weg ging nun durch mehrere engere Gassen, bis Selim Agha vor einer niedrigen Mauer hielt, in welche eine Thoröffnung gebrochen war, die nur mit einigen Latten verschlossen wurde. Ein Mensch öffnete uns. Als wir uns im Hofe befanden, sah ich eine Anzahl von Kameelen, welche am Boden lagen und an Straußenei großen Klößen aus Gerste und Baumwollsamen kauten, mit denen in Bagdad diese Thiere gefüttert werden. Daneben lagen oder lungerten träge Menschengestalten herum, die sich jedoch beim Anblick des Agha in eine achtungsvolle Stellung streckten. Wie es schien, hatte dieser kleine Befehlshaber es verstanden, sich in Respekt zu setzen.

Er übergab sein Pferd einem dieser Leute; wir vertrauten unsere Thiere dem Diener an, welcher mit uns gekommen war; dann schritt der Agha mit uns in das Haus, dessen Fronte den hinteren Theil des Hofes bildete. Es ging eine Treppe abwärts nach einem jener Sardaubs, welche bei der hier herrschenden Hitze eine Nothwendigkeit sind. Dieser viereckige Raum war an den Wänden mit weichen, dicken Polstern belegt; ein herrlicher Teppich bedeckte fast den ganzen Boden; auf einem der Polster lag ein massiv silbernes Kaffeezeug; daneben erblickte ich eine höchst kostbare Hukah, und an den Wänden hing neben kostbaren Waffen eine Anzahl Tschibuks für etwaige Gäste. In einem alterthümlichen Geschirr aus chinesischem Porzellan, welches einen Drachen vorstellte, befand sich Tabak, und von der Mitte der Decke hing an silberner Kette eine Ampel herab, welche mit Sesamöl gefüllt war.

Das war nach hiesigen Begriffen eine wahrhaft fürstliche Einrichtung, und es fiel mir gar nicht ein, zu glauben, daß alle diese Gegenstände das Eigenthum des Agha seien.

»Sallam aaleikum!« grüßte ich bei meinem Eintritt.

Lindsay that dasselbe, doch Selim antwortete nicht. Er nahm auf dem Polster Platz und klatschte in die Hände. Sofort erschien einer von den Männern, welche ich im Hofe gesehen hatte, und erhielt den Wink, die Hukah in Brand zu stecken. Dies geschah mit ächt orientalischer Langsamkeit und Gewissenhaftigkeit, und wir standen während des ganzen feierlichen Vorgangs wie dumme Jungen an der Thür. Endlich war das glorreiche Werk vollbracht, und der Diener entfernte sich, jedenfalls um gleich hinter der Thür stehen zu bleiben und zu hören, was gesprochen würde. Jetzt endlich sah der Agha die Zeit gekommen, uns wieder seiner hohen Beachtung zu würdigen. Er blies einige bedeutungsvolle Rauchwolken empor und frug:

»Woher kommt Ihr?«

Diese Frage war vollständig überflüssig, da er durch den Diener bereits erfahren hatte, was zu ihrer Beantwortung diente; doch beschloß ich, um Benda's, der Schwester des Mirza, willen jede weitere Reibung möglichst zu vermeiden, und antwortete daher:

»Wir sind Boten Hassan Ardschir-Mirza's.«

»Wo befindet er sich?«

»In der Nähe der Stadt.«

»Warum kommt er nicht selbst?«

»Aus Vorsicht.«

»Wer seid Ihr?«

»Wir sind zwei Franken.«

»Giaurs? Ah! Was thut Ihr in diesem Lande?«

»Wir reisen, um uns die Städte, Dörfer und Menschen anzusehen.«

»Ihr seid sehr neugierig. So eine Ungezogenheit kann nur bei den Kaffirs vorkommen. Wie kamt Ihr mit dem Mirza zusammen?«

»Wir trafen ihn.«

»Das weiß ich selbst! Wo traft Ihr ihn?«

»Droben in den kurdischen Bergen. Wir blieben in seiner Gesellschaft bis hierher. Ich habe einen Brief für Dich.«

»Es ist sehr leichtsinnig von Hassan Ardschir-Mirza, Euch seinen Namen wissen zu lassen und solchen Leuten, wie Ihr seid, einen Brief anzuvertrauen. Ich bin ein Gläubiger; ich darf ihn nicht aus Euren Händen nehmen; gebt ihn dem Diener, den ich jetzt rufen werde!«

Das war mehr als unverschämt; dennoch sagte ich mit ruhiger Stimme:

»Ich halte den Mirza nicht für leichtsinnig und bitte Dich, ihm dieses Wort selbst zu sagen. Übrigens hat er nie einer dritten Person bedurft, um irgend Etwas aus unserer Hand zu nehmen.«

»Schweig, Kaffir! Ich bin Mirza Selim Agha und thue, was mir beliebt! Kennt Ihr alle Personen, welche bei dem Mirza sind?«

Ich bejahte, und er examinirte weiter, ob Frauen dabei wären und wie viele.

»Zwei Herrinen und eine Dienerin,« antwortete ich.

»Habt Ihr ihre Gestalten gesehen?«

»Mehr als einmal!«

»Das war sehr unvorsichtig von dem Mirza. Das Auge eines Ungläubigen darf niemals auch nur auf dem Gewande eines Weibes ruhen!«

»Sag dies dem Mirza selbst!«

»Schweig, Unverschämter! Ich brauche Deinen guten Rath nicht! Habt Ihr auch die Stimmen der Frauen gehört?«

Dieser Flegel stellte meine Geduld auf eine zu harte Probe.

»In unserem Lande fragt man nicht so auffällig nach den Frauen Anderer. Ist dies hier nicht ebenso?« erwiderte ich ihm.

»Was wagst Du?« fuhr er mich an. »Nimm Dich in Acht! Ich habe ja überdies noch wegen des Schlages mit Dir zu rechten. Das werde ich nachher thun. Jetzt aber gebt den Brief ab!«

Er klatschte abermals in die Hände. Der Diener erschien, doch beachtete ich ihn nicht. Ich nahm den Brief aus dem Gürtel und hielt ihn dem Agha entgegen.

»Dorthin gibst Du ihn!« befahl er, auf die dienstbare Seele deutend. »Hast Du mich verstanden?«

»Gut, so gehe ich wieder! Lebe wohl, Mirza Selim Agha!«

Ich wandte mich um, und der Engländer ebenso.

»Halt, Ihr bleibt!« rief der Agha, und seinem Diener befahl er: »Laß sie nicht hinaus!«

Ich hatte die Thür bereits erreicht, und der Mann faßte mich am Arme, um mich zurückzuhalten. Das war mir zu viel. Sir David Lindsay konnte zwar den Wortlaut unseres Gespräches nicht verstehen, aber er hörte an dem Tone desselben und sah an dem Mienenspiele unserer Gesichter, daß wir uns keine allzu großen Liebenswürdigkeiten sagten. Er faßte also den schmächtigen Perser bei den Hüften, hob ihn empor und warf ihn über den ganzen Raum hinweg, so daß er auf den Agha stürzte und diesen zu Boden riß.

»Recht gemacht, Master?« frug er dann.

»Yes! Well!«

Der Agha sprang vom Boden auf und griff zum Säbel.

»Hunde! Ich schlage Euch die Köpfe ab!«

Jetzt war es doch wohl an der Zeit, den Mann in die Kur zu nehmen. Ich trat auf ihn zu, gab ihm einen Schlag auf den Arm, daß er den Säbel fallen ließ, und faßte ihn rechts und links bei den Achseln.

»Selim Agha, unsere Köpfe sind nicht für Dich gewachsen; setze Dich und sei von jetzt an folgsam. Hier ist der Brief, und ich befehle Dir, ihn sofort zu lesen!«

Ich drückte den Mann auf das Kissen nieder und steckte ihm dann den Brief zwischen die Finger. Er ließ sich das ganz verdutzt gefallen; er blickte mir ganz perplex in das Gesicht und wagte gar nicht, mir zu widerstreben. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß der tapfere Diener es vorgezogen hatte, sich sehr muthig nach rückwärts zu concentriren. Er war verschwunden, und als ich jetzt klatschte, wagte er nur den Kopf durch die Thüröffnung zu stecken.

»Komm herein!« gebot ich ihm.

Er gehorchte, blieb aber in sprungfertiger Stellung an der Thür stehen.

»Schaffe Pfeifen und Kaffee herbei! Sofort!«

Er sah erst mich erstaunt und dann den Agha fragend an, ich aber faßte ihn beim Arme und schlingerte ihn zu der Stelle, wo die Pfeifen an der Wand hingen. Das schien ihm zu imponiren, denn er ergriff sofort zwei der gestopften Tschibuks, steckte sie uns in den Mund und gab uns Feuer.

»Nun Kaffee! Aber schnell und gut!«

Er verschwand schleunigst wieder.

Wir setzten uns auf das Kissen, rauchten und warteten, bis der Agha den Brief gelesen hatte. Es ging langsam genug; daran trug aber wohl nicht sein Mangel an Lesefertigkeit die Schuld, sondern der Inhalt der Zuschrift schien ihm so unbegreiflich zu sein, daß er sich die Sache gar nicht zurecht zu legen vermochte.

Er war ein schöner, ein sehr schöner Mann; das sah ich, als ich jetzt Zeit genug hatte, ihn zu betrachten. Aber um seine Augen lagen bereits jene tiefen Schatten, welche auf vergeudete Zeit und Kraft schließen lassen, und in seinen Zügen gab es ein undefinierbares Etwas, welches nach einer genaueren Prüfung abstoßend wirkte. Dieser Selim Agha war nicht der Mann, Benda glücklich zu machen.

Da erschien der Diener mit den kleinen Kaffeetäßchen, welche in goldenen Filigranuntersetzern von der Gestalt unserer Eierbecher ruhten. Er hatte – anstatt zwei – gleich ein halbes Dutzend gebracht, um sich ja sogleich wieder zurückziehen zu können. Und nun schien auch der Agha mit sich im Reinen zu sein. Er richtete sein finsteres Auge auf mich und frug:

»Wie war Dein Name?«

»Man nennt mich Kara Ben Nemsi.«

»Und wie heißt dieser Andere?«

»David Lindsay-Bey.«

»Ich soll Dir Alles übergeben?«

»So hat mir der Mirza gesagt.«

»Ich werde es nicht thun.«

»Thue, was Dir beliebt; ich habe Dir nichts zu befehlen.«

»Du wirst sofort wieder zu dem Mirza reiten und ihm meine Antwort bringen.«

»Das werde ich nicht thun.«

»Warum nicht?«

»Weil Du mir auch nichts zu befehlen hast; weil auch ich thun kann, was mir beliebt.«

»Gut! So werde ich zwar einen Boten zu ihm senden, aber dieses Haus nicht eher verlassen, als bis ich wieder Antwort habe.«

»Dein Bote wird den Mirza nicht treffen.«

»Arab, der mit Euch gekommen ist, muß doch den Ort kennen, an welchem sich sein Herr befindet!«

»Er kennt ihn.«

»Ihn werde ich senden.«

»Er wird nicht gehen.«

»Warum nicht?«

»Weil es mir so beliebt. Hassan Ardschir-Mirza hat mich gebeten, sein Eigenthum aus Deiner Hand zu nehmen und Dich mit Arab zu ihm zu senden. Das werde ich thun, aber nichts Anderes. Arab wird nur an Deiner Seite zu seinem Herrn zurückkehren.«

»Wagst Du, mich zwingen zu wollen?«

»Pah, wagen! Was wäre bei Dir zu wagen! Wärst Du mir gleich, so würde ich ganz anders mit Dir sprechen; aber ich bin ein Emir aus Tschermanistan, und Du bist nur ein kleiner Agha aus Fars. Übrigens hast Du nicht einmal gelernt, mit Männern zu verkehren. Auf der Straße verlangtest Du Platz wie für einen Deftertar, hier in Deiner Wohnung vergaßest Du, unsern Gruß zu beantworten; Du hießest uns nicht, niederzusitzen; Du botest uns weder Pfeifen noch Tabak an; Du nanntest uns Kaffirs, Schweine und Hunde. Und doch, was bist Du für ein Wurm gegen uns und Deinen Herrn, den Mirza! Mit einem Löwen kämpfe ich; einen Wurm aber störe ich nicht, wenn es ihm gefällt, im Kot herumzukriechen. Hassan Ardschir-Mirza hat mir sein Eigenthum übergeben; ich bleibe also hier. Nun thue Du, was Du nicht lassen kannst!«

»Ich werde mich über Dich beschweren,« sagte er giftig.

»Ich habe nichts dagegen.«

»Ich werde Dir nichts übergeben!«

»Das ist auch gar nicht nöthig, denn ich sitze ja bereits hier und habe Alles übernommen.«

»Du wirst nichts von Allem, was mir anvertraut ward, anrühren!«

»Ich werde Alles anrühren, was mir von jetzt an anvertraut ist. Solltest Du mich dabei belästigen, so werde ich einfach den Mirza benachrichtigen. Jetzt aber gib Befehl, daß wir ein gutes Mahl erhalten, denn ich bin nicht nur ein Gast, sondern nun der Herr dieses Hauses.«

»Es gehört weder Dir noch mir!«

»Aber Du hast es jedenfalls gemietet. Mache keine Umstände. Ich will Dich schonen, indem ich Dir erlaube, den Befehl zu ertheilen; thust Du es nicht, so sorge ich selbst für uns.«

Er sah sich in die Enge getrieben und stand auf.

»Wohin?« frug ich.

»Hinaus, um Euch Speise zu bestellen.«

»Das kannst Du hier auch thun. Rufe den Diener!«

»Mann, bin ich etwa Dein Gefangener?«

»So ziemlich! Du verweigerst mir meine Rechte; ich muß Dich also verhindern, diesen Ort zu verlassen, um vielleicht etwas zu unternehmen, was ich nicht billigen darf.«

»Herr, Du weißt nicht, wer ich bin!«

Jetzt nannte er mich zum erstenmal Herr; er hatte seine Sicherheit verloren.

»Ich weiß es sehr genau,« antwortete ich. »Du bist Mirza Selim Agha, weiter nichts!«

»Ich bin der Vertraute und Freund des Mirza. Ich habe Alles geopfert, um ihm zu folgen und sein Vermögen zu retten.«

»Das ist schön und lobenswerth von Dir; ein Diener soll seinem Herrn in Treue ergeben sein. Du wirst mich jetzt zu dem Mirza begleiten.«

»Ja, das werde ich thun, sogleich!«

»Dieser mein Begleiter bleibt hier zurück, und Du sorgst dafür, daß es ihm an nichts fehle. Das Übrige wird Hassan Ardschir selbst bestimmen.«

Ich ertheilte dem Engländer seine Instruction, die ihm sehr willkommen war, da er sich hier behaglich pflegen konnte, während ich mich wieder hinaus in die Sonnengluth begeben mußte. Nachdem der Agha die darauf bezüglichen Befehle ertheilt hatte, traten wir in den Hof, wo er seinen kostbaren Schimmel, den er sich erst in Ghadhim vom Gelde des Mirza gekauft hatte, wieder besteigen wollte.

»Nimm ein anderes Thier,« sagte ich.

Er sah mich erstaunt an und frug: »Warum?«

»Damit Du kein Aufsehen erregst. Nimm also das Pferd eines Dieners!«

Er mußte mir wohl oder übel zu Willen sein. Der Diener Arab folgte uns. Um ein etwaiges Nachspüren irre zu leiten, ließ ich uns nach Madhim übersetzen, welches Ghadhim gegenüber liegt, und schlug dann auf einem Umwege die Richtung nach Norden ein.

Madhim ist ein ansehnlicher Flecken auf dem linken Ufer des Tigris, eine Stunde nördlich von Bagdad. Dort liegt der Imam Abu Hanife begraben, einer der Gründer der vier orthodoxen Schulen des Islam; nach ihm richtet sich das ganze Gesetzbuch und Ritual der Osmanen. Ursprünglich stand über seinem Grabe eine Moschee, welche ihm der Seldschukide Malek Schah errichtet hatte; als aber der erste Osmanide, Suleiman der Erste, das widerspenstige Bagdad bemeistert hatte, baute er ein festes Schloß um die Ruhestätte. Abu Hanife wurde von dem Khalifen Manssur aus Haß vergiftet; jetzt strömen Tausende von Schiiten zu seinem Grabe.

Es vergingen zwei Stunden, bis wir den Ort erreichten, an welchem sich der Mirza gelagert hatte. Er war sichtlich verwundert, mich wiederzusehen, empfing aber den Agha mit großer Freundlichkeit.

»Warum kommst Du selbst zurück?« frug er mich dann.

»Frage diesen Mann!« antwortete ich, auf Selim deutend.

»So rede Du!« gebot er demselben.

Der Agha zog den Brief hervor und fragte:

»Herr, hast Du dies geschrieben?«

»Ja; Du kennst doch meine Schrift! Warum fragst Du also?«

»Weil Du mir etwas befiehlst, was ich weder erwartet noch verdient habe.«

Die Frauen standen hinter den Zweigen, um Selim zu sehen und unser Gespräch mit anzuhören.

»Was hast Du nicht erwartet?« frug Hassan Ardschir.

»Daß ich Alles, was wir gerettet haben, diesem Fremdling übergeben soll.«

»Dieser Emir ist kein Fremdling, sondern mein Freund und Bruder!«

»Herr, bin ich nicht auch Dein Freund?«

Der Mirza stutzte; dann antwortete er kurz:

»Du warst mein Diener, dem ich vertraute; wann aber habe ich Dir das Recht ertheilt, Dich meinen Freund zu nennen?«

»Herr, ich habe die Heimat verlassen; ich habe meine Zukunft geopfert; ich bin ein Flüchtling geworden; ich habe Dir Deine Reichthümer bewacht und beschützt: – habe ich als Freund gehandelt oder nicht?«

»Du hast so gehandelt, wie ich es von jedem treuen Diener erwarte, und wie auch diese andern Männer alle gehandelt haben. Deine Worte thun mir weh; denn ich habe nicht geglaubt, daß Du mir Deine Pflichten als Verdienste vorzählen würdest. Habe ich Dir nicht geschrieben, diesem Emir so zu gehorchen, als ob ich es sei?«

Die Stimme des Mirza klang sehr ernst; der Agha befand sich in Verlegenheit, besonders als er die Frauen bemerkte, und suchte nun nach einem Entschuldigungsgrunde:

»Herr, dieser Mann schlug mich, als er mich traf!« sagte er.

Der Mirza sah mich an und lächelte.

»Selim Agha,« meinte er, »warum hast Du ihn nicht sofort getödtet? Wie konntest Du Dich so beleidigen lassen! Warum schlug er Dich?«

»Wir trafen uns auf der Straße, und ich gebot ihm, mir auszuweichen. Er that es nicht, und er schlug mich so in's Gesicht, daß ich vom Pferde stürzte.«

»Ist dies wahr, Emir?« frug mich der Mirza.

»So ziemlich. Ich kannte ihn noch nicht, und Dein Diener konnte ihn auch nicht erkennen, da er den Gesichtsschleier trug. Er kam auf einem prächtigen Schimmel geritten, welchem er Dein Reschma angelegt hatte; darum hielt ich ihn für einen großen Herrn. Er befahl uns, ihm auszuweichen, trotzdem genügender Platz vorhanden war, und seine Stimme war dabei diejenige eines Padischah. Du kennst mich, Mirza; ich bin sehr gern höflich, aber ich will auch haben, daß Andere höflich sind; darum machte ich ihn darauf aufmerksam, daß Raum da sei; er aber griff zur Peitsche, nannte mich ein Schwein und wollte mich schlagen. Da lag er freilich im nächsten Augenblick auf dem Boden, und dann erfuhr ich leider zu spät, daß er der Mann sei, an den Du mich gesandt hattest. Das ist Alles, was ich zu sagen habe. Sprich mit ihm selbst, und wenn Du mich brauchst, so rufe mich.«

Ich ging hinaus zu den Pferden, um dort mit Halef zu plaudern.

Nach einer halben Stunde suchte mich Hassan Ardschir-Mirza auf. Sein Angesicht zeigte tiefe Falten des Unmuthes.

»Emir,« sagte er, »diese Stunde hat mich sehr betrübt. Willst Du diesem unvorsichtigen Selim verzeihen?«

»Gern, wenn Du es wünschest! Was hast Du beschlossen?«

»Er kehrt nicht wieder mit Dir zurück.«

»Das erwartete ich.«

»Hier ist ein Verzeichniß aller Dinge, die ich ihm übergeben habe; er trug es bei sich. Du wirst die Sachen schätzen und verkaufen; ich bin mit Allem einverstanden, was Du thust, denn ich weiß, daß es schwer ist, in so kurzer Zeit Käufer zu finden. Sodann wirst Du meine Diener entlassen und ihnen so viel geben, als ich Dir hier aufgezeichnet habe. Das Geld habe ich Dir bereits in die Tasche Deines Pferdes gesteckt. Wann muß ich nach Kerbela aufbrechen?«

»Heute ist der erste Moharrem, und am zehnten ist das Fest. Vier Tage muß man haben, um von Bagdad bis Kerbela zu gelangen, und einen Tag vorher möchte man dort sein, also ist der fünfte dieses Monats der geeignete Tag.«

»So soll ich noch vier Tage hier verborgen bleiben!«

»Nein. Es wird sich in der Stadt ein Ort finden lassen, an welchem Du mit den Deinen sicher bist. Laß mich sorgen! Wirst Du Alles behalten, was Du jetzt bei Dir hast?«

»Nein, es soll auch verkauft werden!«

»So gib mir lieber gleich jetzt Alles mit, was Du entbehren kannst, und sage mir den Preis. Es gibt sehr reiche Leute in Bagdad; vielleicht finde ich einen Parsi oder Armenier, welcher Alles auf einmal kauft.«

»Emir, der Preis wird ein Vermögen sein!«

»Laß mich nur sorgen! Ich werde so auf Deinen Vortheil sehen, als ob es der meinige sei.«

»Ich vertraue Dir. Komm, wir wollen die Ladung untersuchen!«

Die Packete wurden geöffnet, und da zeigten sich meinem erstaunten Blick allerdings Schätze und Kostbarkeiten, welche ich noch nie in dieser Auswahl und Fülle gesehen hatte. Es wurde ein Verzeichniß angefertigt, und dann bestimmte der Mirza den Preis. Dieser war ein sehr niedriger, wenn man den eigentlichen Werth der Sachen berücksichtigte, ergab aber doch eine Summe, die allerdings ein Vermögen repräsentirte.

»Und was wirst Du nun mit Deinen Begleitern machen, Mirza?« frug ich.

»Ich werde sie beschenken und entlassen, sobald es Dir gelungen ist, eine Wohnung für mich zu finden.«

»Für wie viele Personen?«

»Für mich und den Agha, für die Frauen und ihre Dienerin. Dann werde ich mir noch einen Diener miethen, welcher mich nicht kennt.«

»Ich hoffe, Dir dies Alles verschaffen zu können. Laß die Sachen aufladen!«

»Wie viele Kameeltreiber nimmst Du mit?« frug er nun.

»Keinen. Ich und Halef genügen!«

»Emir, das geht nicht! Du selbst kannst doch nicht diesen Dienst verrichten!«

»Warum nicht? Soll ich Leute mitnehmen, welche mir dann in Ghadhim oder Bagdad beschwerlich fallen?«

»Thue, was Du denkst; ich muß Dir Deinen Willen lassen.«

Die Kameele wurden bepackt und so an einander gebunden, daß eines hinter dem andern schreiten mußte. Dann waren wir zum Aufbruche fertig.

»Nun gib mir noch eine Bescheinigung, welche mich bei Deinen Leuten beglaubigt,« bat ich den Mirza.

»Hier, nimm meinen Siegelring!«

Es war meinem Finger auch noch nicht passirt, den kostbaren Ring eines persischen Großen zu tragen; er fand sich aber sehr gut darein, und nun setzte sich die kleine Karavane in Bewegung. Der Agha ließ sich nicht sehen, und ich hatte auch nicht die mindeste Lust, mich von ihm zu verabschieden.

Wir brauchten diesmal mehr Zeit, um den Tigris zu erreichen und zu passiren; doch ging alles recht glücklich von Statten.

Die Perser staunten, als wir mit unserer Ladung im Hofe anlangten. Ich rief sie sofort zusammen, zeigte ihnen den Ring ihres Herrn und sagte ihnen, daß sie nun mir an Stelle des Agha zu gehorchen hätten. Dieser Wechsel schien sie nicht sehr zu betrüben.

Ich erfuhr von ihnen, daß der Besitzer dieses Hauses ein reicher Großhändler sei, der jenseits Bagdad in der westlichen Vorstadt und zwar in der Nähe der Medresse Mostansir's wohne. In einem ebenerdigen Raume des Gebäudes lagen die Ladungen, welche der Agha beaufsichtigt hatte; ich ließ dahin auch die neu hinzugekommenen Sachen bringen und beschloß, erst morgen Alles einer genauen Besichtigung zu unterwerfen, da ich schon zu sehr ermüdet war.

Als ich nun meine Satteltaschen untersuchte, fand ich die Summe, welche der Mirza mir hineingesteckt hatte. Sie bestand in lauter wohlgeprägten Tomans und war wenigstens viermal größer als das, was ich auszuzahlen hatte. Ich übergab Halef die Aufsicht über die Dienerschaft und ging nun, um den Engländer aufzusuchen.

Er lag im Sardaub lang ausgestreckt auf den weichen Polstern. Seine Nase bewegte sich taktmäßig nach den Athemzügen, und aus dem weit geöffneten Munde erscholl lang gezogenes Schnarchen.

»Sir David!«

Er hörte mich sofort, sprang empor und zog das Messer.

»Wer da? Oh! Ah! All right! Ihr seid es, Master?«

»Yes! Wie geht es Euch?«

»Gut, vortrefflich! Sehr schön hier in Ghadhim!«

»Seht mich an, wie ich schwitze! Diese Sonnengluth ist höllisch.«

»Well! Legt Euch her, und schlaft mit!«

»Wir haben Anderes zu thun. Zunächst will ich aber endlich essen.«

»Klatscht einmal in die Hände, so wird der Kerl gleich kommen.«

»Habt Ihr's probirt?«

»Yes! Konnte ihn aber leider nicht verstehen. Verlangte Porter, da brachte er Mehlbrei; verlangte Sherry, da brachte er Datteln. Schauderhaft!«

»So will ich sehen, ob es mir besser gelingt.«

Ich klatschte, und sogleich erschien jener dienstbare Geist, welcher vorher den Agha bedient hatte. Ich sagte ihm zunächst, daß ich an die Stelle des Mirza Selim Agha getreten sei.

»Herr, befiehl, wie ich Dich nennen soll!« erwiederte er.

»Mich nennst Du Emir, und dieser Mirza hier ist ein Bey. Sorge sofort für eine Mahlzeit.«

»Was willst Du essen, Emir?«

»Was Du hast. Vergiß das frische Wasser nicht! Du bist also der Küchenmeister?«

»Ja, Emir. Ich hoffe, Du wirst mit mir zufrieden sein.«

»Wie wurdest Du von dem Agha bezahlt?«

»Ich legte aus, was ich brauchte, und alle zwei Tage bezahlte er mich.«

»Gut, so werden wir es dann auch halten. Jetzt gehe!«

In kurzer Zeit hatte ich eine Auswahl der hauptsächlichsten Nahrungs- und Genußmittel, welche Bagdad zu bieten vermag, und mein guter Lindsay-Bey langte noch einmal zu.

»Seid Ihr diesen Kerl los, Master, den Agha?« erkundigte er sich.

»Ja; er bleibt einstweilen bei seinem Herrn. Ich fürchte, er sinnt auf Rache.«

»Pshaw! Feigling! Aber wißt Ihr, was wir nach dem Essen thun? Fahren mit der Pferdebahn nach Bagdad und kaufen uns Kleider.«

»Ich thue mit, denn das ist sehr nothwendig. Dabei kann ich gleich gewisse Erkundigungen einziehen, welche noch nothwendiger sind. Ich suche nämlich nach einem Käufer für die Effekten des Mirza, von denen ich jetzt wieder einige Kameelladungen mitgebracht habe.«

»Ah! Oh! Was ist's?«

»Herrliche Sachen, die um einen Spottpreis fortgehen sollen. Wäre ich ein reicher Mann, so kaufte ich Alles.«

»Nennt mir Einiges!«

Ich nahm das persisch geschriebene Verzeichniß heraus und las es ihm vor.

»Oh! Ah!« rief er. »Was soll es kosten?«

Ich nannte ihm die Summe.

»Ist's so viel werth?«

»Unter Brüdern das Doppelte.«

»Well! Gut! Schön! Braucht nicht zu suchen! Weiß selbst einen Mann, der es kauft!«

»Ihr? Wer ist es denn?«

»David Lindsay ist's! Yes!«

»Ist's möglich, Sir! Oh, da nehmt Ihr mir eine schwere Sorge ab! Aber wie steht es mit dem Gelde, Sir? Der Mirza will natürlich sogleich Bezahlung haben.«

»Geld? Pshaw! Geld ist da! So viel hat David Lindsay-Bey!«

»Wie glücklich! Das also wäre abgemacht; nun aber kommt noch die andere Hälfte; ich meine nämlich diejenigen Gegenstände, welche bisher dem Agha anvertraut gewesen sind.«

»Ist's viel?«

»Das muß sich erst finden. Ich habe ein Verzeichniß hier und werde morgen die Ballen öffnen, um ihren Werth zu taxiren oder taxiren zu lassen; dann erst kann ich wissen, welche Summe ich aus ihnen lösen will.«

»Schöne Sachen, he?«

»Versteht sich! Seht, da sind zum Beispiel saracenische Kettenpanzer, drei Stück, eine kostbare Rarität für eine jede Sammlung; Schwerter aus Lahore-Stahl geschmiedet, noch kostbarer als die ächten Damascener; viele Flaschen ächtes Rosenöl, goldene und silberne Brokate, ächte Teppiche, persische Shawls aus Kermanwolle, ganze Ballen des seltensten Seidenzeuges und so weiter. Da gibt es Alterthümer von fast unschätzbarem Werthe. Wer diese Sachen kaufen und sie auf dem abendländischen Markte einzeln wieder losschlagen wollte, der würde ein sehr bedeutendes Geschäft machen.«

»Geschäft! Oh! Ah! Fällt mir nicht ein! Kaufe Alles für mich!«

»Alles, Sir? Auch die hier verzeichneten Gegenstände?«

»Yes!«

»Aber, Sir, bedenkt die ungeheure Summe!«

»Ungeheuer? Für Euch, aber für David Lindsay nicht. Wißt Ihr, wie viel ich habe?«

»Nein. Ich habe Euch noch nie nach Euren Verhältnissen gefragt.«

»So seid auch still! Meine Verhältnisse sind gut, sehr gut! Yes!«

»Ich kann mir natürlich denken, daß Ihr Millionär seid, aber es gehört auch für einen Millionär Überlegung dazu, eine solche Summe auf einmal und für eine Liebhaberei auszugeben.«

»Thut nichts! Der Werth ist da! Habe zwar nicht so viel Geld bei mir, um Alles zu bezahlen, kenne aber Leute hier. Werde Papiere schreiben, David Lindsay darunter, und viel Geld bekommen. Well! Wollen morgen die Sachen ansehen.«

»Gut. Ich werde sehr unparteiisch verfahren, denn Ihr seid ebenso mein Freund, wie der Mirza es ist. Ich werde Sachverständige kommen und von ihnen die Gegenstände schätzen lassen; dann können wir handeln.«

»Well! Jetzt aber in die Stadt, damit wir neue Menschen werden!«

»Nehmt einen Tschibuk mit, Sir. Wir wollen ganz à la Muselmann den Markt besuchen.«

Nachdem ich meinem Halef gesagt hatte, daß wir wohl noch vor Abend zurückkehren würden, suchten wir die Pferdebahn auf. Sie befand sich schon in sehr defektem Zustande. Die Fenster waren zerbrochen, die Kissen von den Sitzen verschwunden, und vor dem Wagen rasselten die Knochen zweier Klepper, welche man getrost als ›wandelnde Skelette‹ hätte sehen lassen können. Doch wurde Bagdad ohne Unfall von uns erreicht.

Unser Weg war natürlich sofort nach dem Kleiderbazar, welchen wir als vollständig neue Menschen verließen. Ich hatte Lindsay nicht abhalten können, für mich zu bezahlen. Auch für Halef hatte er einen vollständigen Anzug gekauft und ihn einem jungen Araber zum Tragen anvertraut, der sich uns angeboten hatte, als er uns mit dem Packet aus dem Laden treten sah.

»Wohin nun, Master?« fragte Lindsay.

»Wein, Raki, Kaffeehaus!« antwortete ich.

Lindsay bestätigte seine Zustimmung mit einem freundlichen Schmunzeln, und nach einigem Suchen fanden wir das Gewünschte. Da es zu schwer war, den Araber damit zu bepacken, so gaben wir unsere Wohnung an und baten den Händler, Alles dorthin zu schicken; dann suchten wir ein abgelegenes Kaffeehaus auf, um uns beim Dufte von Mokka und persischem Tabak rasiren und überhaupt verschönern zu lassen.

Unser Träger hatte gleich vorn an der Thür Platz genommen. Er trug nichts als einen Schurz um die Lenden, aber seine Haltung war die eines Königs. Er war ganz sicher ein frei geborener Beduine. Wie kam dieser Wüstensohn dazu, den Hammal (Packträger) zu machen? Seine Physiognomie interessirte mich so lebhaft, daß ich ihm winkte, an meiner Seite Platz zu nehmen.

Er that es mit dem Anstande eines Mannes, der sich seines Werthes bewußt ist, und nahm die zweite Pfeife, die ich ihm reichen ließ.

Nach einer Weile begann ich:

»Du bist kein Türke, Du bist ein freier Ibn Arab. Darf ich Dich fragen, wie Du nach Damaskus gekommen bist?«

»Gelaufen und geritten,« antwortete er.

»Warum trägst Du die Lasten Anderer?«

»Weil ich leben muß.«

»Warum bliebst Du nicht bei Deinen Brüdern?«

»Die Thar hat mich fortgetrieben.«

»So wirst Du von einem Rächer verfolgt?«

»Nein, sondern ich bin der Rächer.«

»Und Dein Feind ist nach Bagdad geflohen?«

»Ja. Ich suche und erwarte ihn hier bereits seit zwei Jahren.«

Also einer Blutrache wegen erniedrigte sich dieser stolze Araber zum Knechtesdienste!

»Aus welchem Lande bist Du gekommen?«

»Herr, warum fragst Du so viel?«

»Weil ich alle Länder des Islam besuche und gern wissen will, ob ich auch Deine Heimat kenne.«

»Ich bin aus Kara, da wo der Wadi Montisch mit dem Wadi Qirbe zusammenfließt.«

»Aus der Gegend der Ssayban im Belad Beni Yssa? Dort bin ich noch nicht gewesen; ich will jenes Land erst besuchen.«

»Du wirst willkommen sein, wenn Du ein treuer Sohn des Propheten bist.«

»Gibt es noch Andere aus Deinem Lande hier?«

»Einen Einzigen, und dieser will wieder heim.«

»Wann wird er Bagdad verlassen?«

»Sobald er Gelegenheit findet. Auch ihn hatte eine Thar nach Dar es Sallam geführt.«

»Würde er sich wohl bereit finden lassen, uns in seinem Lande als Führer zu dienen?«

»Nicht nur als Führer, sondern als Dachyl, der Euch für Alles verantwortlich ist.«

»Kann ich mit ihm reden?«

»Heut nicht und morgen nicht, denn er ist nach Dokhala, von wo er erst den nächsten Tag zurückkehrt. Komm übermorgen des Abends in dieses Kaffeehaus, so werde ich ihn Dir bringen.«

»Ich werde Euch erwarten. Da Du bereits zwei Jahre lang in Bagdad bist, so wirst Du die Stadt gut kennen?«

»Jedes Haus, Herr.«

»Kennst Du nicht ein Haus, in welchem man kühl und angenehm wohnen, in dem man bleiben oder gehen kann, ohne gestört und belästigt zu werden?«

»Ich kenne ein solches Haus.«

»Wo liegt es?«

»Nicht weit von demjenigen, in welchem ich wohne, in den Palmengärten im Süden der Stadt.«

»Wer ist der Herr desselben?«

»Es ist ein frommer Taleb, der einsam dort lebt und keinen Miether stören würde.«

»Ist es weit bis dahin?«

»Wenn Du einen Esel nimmst, so geht es schnell.«

»So gehe, und bestelle drei Esel, Du wirst uns führen.«

»Herr, Du brauchst nur zwei, denn ich werde laufen.«

Es dauerte gar nicht lange, so standen zwei Esel nebst ihren Treibern vor der Thür. Es waren Schimmel, wie man sie in Bagdad so häufig trifft.

Ich und der Engländer hatten uns bisher den Rücken zugewendet, da das Verschönerungsgeschäft, welches wir auszustehen hatten, es nicht anders erlaubte. Jetzt endlich war mein Barbier fertig, und auch derjenige des Engländers klatschte in die Hände, zum Zeichen, daß das große Werk beendet sei. Wir drehten uns zu gleicher Zeit einander zu, und wohl selten hat es zwei Gesichter gegeben, welche in solcher Disharmonie zu einander standen, als in diesem Augenblick die unsrigen. Während nämlich Lindsay einen Ruf der Überraschung ausstieß, konnte ich nicht anders, als ich mußte in ein lautes Lachen ausbrechen.

»Was gibt's denn zu lachen, Master?« erkundigte er sich.

»Laßt Euch den Spiegel geben!«

»Wie heißt denn Spiegel hier?«

»Ajna.«

»Well!« und er wandte sich an den Barbier. »Pray, the Ajna!«

Der Mann hielt ihm den Spiegel vor das Gesicht, und nun war es ganz und gar unmöglich, ohne lautes Lachen das Mienenspiel des Gentleman zu sehen. Man denke sich ein langes, schmales, von der Sonne zusammengebratenes Gesicht, von dessen unterer Hälfte ein röthlicher Semmelbart herniedertropfte; den breiten Mund, der jetzt eine Öffnung so groß wie diejenige des Gotthardtunnels besaß; die lange Nase, dreifach vergrößert durch die Aleppobeule, und darüber einen vollständig kahl geschorenen, weiß glänzenden Kopf, auf dessen Scheitelpunkte nur ein einziges Zöpfchen stehen geblieben war. Und dazu das so sehr beredte Mienenspiel! Selbst der Beduine konnte ein Lächeln nicht und ein Lachen kaum bezwingen.

»Thunder-storm! Abscheulich, teuflisch!« rief Sir David. »Wo ist mein Revolver? Ich erschieße den Kerl! Ich ersteche ihn, durch und durch!«

»Ereifert Euch nicht, Sir!« bat ich. »Dieser gute Mann hatte doch gar keine Ahnung davon, daß Ihr ein Englishman seid. Er hat Euch für einen Moslem gehalten und Euch also nur das Zöpfchen gelassen!«

»Well! Richtig! Aber diese Physiognomie! Schauderhaft!«

»Tröstet Euch, Sir. Der Turban wird Alles verdecken, und ehe Ihr nach Old England zurückkehrt, ist Euch das Fell wieder gewachsen.«

»Fell? Oho, Master! Aber warum seht denn Ihr so wohl aus, trotzdem man Euch auch nur den Zopf gelassen hat?«

»Das liegt in der Rasse, Sir. Dem Deutschen ist es überall zu wohl!«

»Yes! Richtig! Merke es grad jetzt an Euch. Was kostet die Geschichte?«

»Ich gebe zehn Piaster.«

»Zehn Piaster? Seid Ihr toll? Einen Schluck schlechten Kaffees, zwei Züge stinkenden Tabaksrauchs und den Kopf verderben – zehn Piaster!«

»Bedenkt, daß wir wie Wilde aussahen, und – jetzt!«

»Yes! Wenn Euch jetzt die alte Alwah erblickt, tanzt sie vor Wonne Menuett! Nun fort von hier! Aber wohin?«

»Eine Wohnung miethen – in irgend einer Villa draußen vor der Stadt; dieser Beduine wird uns führen. Wir reiten die beiden weißen Esel da draußen.«

»Well! Schön! Vorwärts!«

Wir verließen das Kaffeehaus und bestiegen die kleinen, aber sehr kräftigen und ausdauernden Thiere. Meine Beine schleiften beinahe am Boden, und der Engländer hatte seine spitzen Kniee grad unter die Achseln einquartirt. Voran rannte der Beduine, mit seinem Knüttel rechts und links schonungslos zuschlagend, wenn Jemand in den Weg zu kommen drohte. Dann kamen wir beide Reiter, auf den Eseln hockend, wie der Affe auf dem Kameele, und hinterher die beiden Besitzer der Thiere, unter heiserem Geschrei immer den hinteren Theil der Esel mit dem Stocke bearbeitend. So sausten wir durch die Gassen und Gäßchen, bis die Straßen aufhörten und die Häuser seltener wurden. Vor einer hohen Mauer hielt der Beduine still, und wir stiegen ab. Wir standen vor einem schmalen Pförtchen, an das unser Führer mit einem Steine aus allen Kräften klopfte. Es dauerte sehr lange, bis geöffnet wurde; dann sahen wir zunächst eine lange, spitze Nase und darauf ein altes, fahles Gesicht erscheinen.

»Was wollt Ihr?« fragte der Mann.

»Effendi, dieser Fremdling will mit Dir reden,« erklärte der Führer.

Ein Paar kleine, graue Augen hefteten sich auf mich, dann that sich der zahnlose Mund auf, und eine zitternde Stimme sagte:

»Tritt herein, aber nur Du allein!«

»Dieser Emir wird mitkommen,« entgegnete ich, auf den Engländer deutend.

»Ja, aber nur er, weil er ein Emir ist.«

Wir traten ein, und die Pforte schloß sich hinter uns. Die dürren Füße des Alten steckten in einem Paar riesiger Pantoffel; so schlurfte er uns voran durch prachtvolle Gartenanlagen, über denen die Fächer der Palmen wankten. Vor einem hübschen Häuschen hielt er still.

»Was wollt Ihr?« fragte er.

»Bist Du der Besitzer dieses herrlichen Gartens und hast Du eine Wohnung zu vermiethen?«

»Ja. Wollt Ihr sie miethen?«

»Vielleicht. Wir müssen sie aber erst sehen!«

»So kommt! Burza z piorunami! Wo ist mein Schlüssel!«

Während er nun in allen Taschen seines Kaftan nach dem Schlüssel suchte, hatte ich Zeit, mich von dem Erstaunen zu erholen, welches ich darüber empfinden mußte, einen alten Türken polnisch fluchen zu hören. Endlich fand er den Vermißten in einer Masche des Fenstergitters stecken und öffnete die Thür.

»Tretet ein!«

Wir kamen in einen hübschen Flur, in dessen Hintergrunde eine Treppe aufwärts führte. Rechts und links gab es Thüren. Der Alte öffnete rechts und schob uns in ein großes Zimmer. Im ersten Augenblick glaubte ich, dasselbe sei grün tapezirt, dann aber bemerkte ich, daß von hohen Gestellen ringsum grüne Vorhänge herabhingen, und was diese Vorhänge verbargen, das konnte ich errathen, wenn ich den Blick auf die lange Tafel warf, welche die Mitte des Raumes einnahm: sie war mit Büchern ganz bedeckt, und grad mir gegenüber lag, aufgeschlagen und gar nicht zu verkennen – – eine alte Nürnberger Bilderbibel. Mit einem raschen Schritte stand ich dort und legte meine Hand darauf.

»Die Bibel!« rief ich deutsch. »Shakespeare, Montesquieu, Rousseau, Schiller, Lord Byron! Wie kommen die hierher!«

Das waren die Titel nur einiger unter den vielen Werken, welche ich hier liegen sah. Der Alte trat zurück, schlug die Hände zusammen und frug:

»Was! Sie reden deutsch?«

»Wie Sie hören!«

»Sie sind ein Deutscher?«

»Allerdings. Und Sie?«

»Ich bin ein Pole. Und der andere Herr?«

»Ein Engländer. Mein Name ist – – –«

»Bitte, jetzt keine Namen,« unterbrach er mich. »Ehe wir uns nennen, wollen wir uns zuvor selbst kennen lernen.«

Er klatschte nach orientalischer Sitte in die Hände, was er einige Male wiederholen mußte; dann öffnete sich endlich die Thür, und es erschien eine Gestalt, so dick und fettglänzend, wie ich noch selten eine gesehen hatte.

»Allah akbar, schon wieder!« stöhnte es zwischen den Wurstlippen hervor. »Was willst Du, Effendi?«

»Kaffee und Tabak!«

»Für Dich allein?«

»Für Alle.«

»Viel Bohnen?«

»Packe Dich!«

»Wallahi, billahi, tallahi, ist das ein Effendi!«

Mit diesem Stoßseufzer watschelte das unbegreifliche Wesen wieder ab.

»Wer war dieses Ungethüm?« frug ich, vielleicht etwas zudringlich.

»Mein Diener und Koch.«

»O wehe!«

»Ja, er ißt und trinkt das Meiste selbst; erst das Übrige bekomme ich.«

»Das ist fast mehr als fatal!«

»Ich bin es gewohnt. Er war schon mein Diener, als ich noch Offizier war. Sie sehen ihm sein Alter gar nicht an. Er ist nur um ein Jahr jünger als ich.«

»Sie waren Offizier?«

»Im Dienste der Türkei.«

»Und wohnen jetzt in diesem Hause allein?«

»Allein!«

Es war über dem alten Mann eine tiefe Schwermuth ausgebreitet; er interessirte mich.

»Sprechen Sie vielleicht auch englisch?«

»Ich lernte es in meiner Jugend.«

»So lassen Sie uns die Unterhaltung in dieser Sprache führen, damit sich mein Begleiter nicht langweilt!«

»Gern! Also Sie kommen wirklich, um sich mein Logis anzusehen? Wer hat zu Ihnen von mir gesprochen?«

»Nicht von Ihnen, sondern von Ihrem Hause – der Araber, welcher uns bis zu Ihrer Pforte brachte. Er ist Ihr Nachbar.«

»Ich kenne ihn nicht; ich bekümmere mich um keinen Menschen. Suchen Sie ein Logis für sich allein?«

»Nein. Wir gehören zu einer Reisegesellschaft, die aus vier Männern, zwei Damen und einer Dienerin besteht.«

»Vier Männer – zwei Damen – – hm! Das klingt ein klein wenig romantisch!«

»Ist es auch. Sie werden die Erklärung erhalten, sobald wir uns die Wohnung besehen haben.«

»Sie hat kaum Platz für so Viele – da kommt der Kaffee!«

Der Dicke erschien wieder, kirschroth im Gesichte. Er balancirte auf den beiden fetten Händen einen großen Präsentirteller, auf welchem drei Tassen dampften; daneben lag bei einem alten Tschibuk ein Häufchen Tabak, kaum genug, einmal zu stopfen.

»Hier,« krächzte er, »hier ist Kaffee für Alle!«

Wir hatten uns auf den Divan niedergelassen und nahmen ihm das Brett ab, da es ihm unmöglich war, sich zu uns niederzubeugen. Sein Herr hielt die Tasse zuerst an den Mund.

»Schmeckt's?« fragte der Dicke.

»Ja.«

Der Engländer that dasselbe.

»Schmeckt's?« fragte der Dicke.

»Fi!«

Lindsay sprudelte das Spülichtwasser wieder von sich, und was mich betraf, so setzte ich mein Täßchen ganz einfach wieder weg.

»Schmeckt's nicht?« fragte mich der Dicke.

»Koste ihn selbst!« antwortete ich.

»Maschallah, ich trinke keinen solchen!«

Nun griff unser Wirth zur Pfeife.

»Es ist ja noch Asche drin!« tadelte er.

»Ja, ich habe vorhin daraus geraucht!« antwortete der Dicke.

»So hast Du sie wieder rein zu machen!«

»Gib her!«

Er riß seinem Herrn die Pfeife aus der Hand, klopfte die Asche vor der Thür aus und kam dann wieder zurück.

»Hier! Nun kannst Du stopfen, Effendi!«

Der Alte gehorchte seinem Diener, mochte aber während des Stopfens sich doch erinnern, daß wir noch gar nichts genossen hatten. Aus diesem Grunde entschloß er sich, uns das Beste und Seltenste zu bieten, was er besaß, und befahl daher:

»Hier ist der Kellerschlüssel. Gehe hinunter!«

»Gut, Effendi. Was soll ich holen?«

»Den Wein.«

»Den Wein? Allah kerihm! Herr, willst Du Deine Seele dem Teufel verkaufen? Willst Du verdammt sein in den tiefsten Abgrund der Hölle hinunter? Trinke Kaffee oder Wasser! Beides erhält das Auge klar und die Seele fromm; wer aber Scharab trinkt, der geräth in das tiefste Elend und Verderben!«

»Gehe!«

»Effendi, thue es doch wenigstens mir nicht an, Dich in den Krallen des Scheïtan zu wissen!«

»Sei still und gehorche! Es sind noch drei Flaschen unten; diese bringst Du alle!«

»So muß ich gehorchen; aber Allah wird mir verzeihen; ich bin unschuldig an Deiner Verdammung.«

Er schob sich zur Thüre hinaus.

»Ein origineller Geist!« bemerkte ich.

»Aber treu, obgleich er die Vorräthe nicht schont. Nur über den Wein hat er keine Macht; er erhält den Schlüssel nur dann, wenn ich Wein trinken will, und sobald er die Flasche bringt, muß er den Schlüssel wieder abgeben.«

»Das ist eine sehr weise Einrichtung, aber – – –«

Ich durfte nicht weiter sprechen, denn der Dicke erschien bereits wieder, wie eine Lokomotive pustend. Er hatte je eine der Flaschen unter dem Arme und die dritte in der Rechten. Er bückte sich, so viel es ihm möglich war, und stellte die Flaschen vor die Füße seines Herrn. Ich mußte mich auf die Lippen beißen, um nicht in ein unartiges Gelächter auszubrechen: zwei Flaschen waren vollständig leer, und die dritte war nur kaum noch halb voll. Sein Herr starrte ihm ganz verdutzt in das Gesicht.

»Ist denn das der Wein?« frug er.

»Die drei letzten Flaschen!«

»Sie sind ja leer?«

»Bom bosch – völlig leer!«

»Wer hat den Wein getrunken?«

»Ich, Effendi.«

»Bist Du verrückt! Mir und meinen werthen Gästen jetzt auf einem Zuge zwei und eine halbe Flasche Wein auszutrinken!«

»Jetzt? Auf einem Zuge? O Effendi, das ist nicht wahr, da bin ich unschuldig. Ich habe den Wein gestern, vorgestern, ehegestern und auch schon vor ehegestern getrunken, denn ich wollte alle Tage ein Glas voll haben.«

»Dieb, Spitzbube, Halunke! Wie bist Du denn alle diese Tage in den Keller gekommen? Ich habe ja den Schlüssel Tag und Nacht in der Tasche! Oder hast Du mir ihn des Nachts gestohlen, während ich schlief?«

»Allah 'l Allah! O dieser Effendi! Ich aber sage Dir, daß ich auch hieran ganz unschuldig bin!«

»Aber wie kamst Du in den verschlossenen Keller, während ich den Schlüssel doch stets in meiner Tasche hatte?«

»Effendi, gestehe, ob ich jemals ein Einbrecher gewesen bin! Der Keller war ja gar nicht zu. Ich habe ihn nie verschlossen, wenn Du Wein darinnen hattest!«

»Trzaskawica! Gut, daß ich das erfahre!«

»Herr, das Fluchen in einer fremden Sprache macht es nicht besser. Du hast ja für Dich und Deine Gäste hier noch Wein genug!«

Der Alte nahm die Flasche und hielt sie gegen das Licht.

»Wie sieht denn dieser Wein aus, he?«

»Effendi, er wird Dir nicht gefährlich sein! Es war nur noch ein halbes Gläschen darin, und weil dies für drei Männer nicht reicht, so habe ich Wasser dazu geschüttet!«

»Wasser? Oh! Da – da hast Du Dein Wasser!«

Er holte aus und warf die Flasche nach dem Kopfe des Dicken; dieser aber bückte sich schneller, als man es ihm hätte zutrauen mögen, und die Flasche flog über ihn hinweg und an die Thür, so daß sie in Scherben zersplitterte und ihren Inhalt auf den Boden ergoß. Da schlug der Diener bedauernd die fetten Hände zusammen und rief:

»Um Allah's willen, was thust Du, Effendi! Nun ist das schöne Wasser fort, welches man recht gut als Wein trinken konnte! Und diese Scherben! Die mußt Du selbst auflesen, denn ich kann mich unmöglich so weit bücken!«

Damit trampelte er zur Thür hinaus.

Das war eine Szene, welche ich für unmöglich gehalten hätte, wenn ich nicht selbst Augenzeuge derselben gewesen wäre. Und was mich am meisten wunderte, das war, daß der Effendi bereits gleich nach dem verunglückten Wurfe seinen Gleichmuth wiedergewonnen hatte. Diese so ganz ungewöhnliche und außerordentliche Nachsicht eines Herrn gegen einen dumm-dreisten, anmaßenden Diener mußte unbedingt eine tief liegende Ursache haben. Der Effendi war mir ein Räthsel, welches zu lösen ich mir bereits vorzunehmen begann.

»Verzeiht, Ihr Herren,« bat der Pole; »es soll so etwas nie wieder vorkommen. Vielleicht erzähle ich noch, warum ich mit diesem Manne so nachsichtig bin. Er hat mir große Dienste geleistet. Stopft Euch Eure Pfeifen!«

Ich zog meinen eigenen Tabak heraus und schüttete ihn auf das Brett, und als dann die Pfeifen dampften, sagte er:

»Nun kommt; ich werde Euch die Wohnung zeigen!«

Er führte uns zum ersten Stock empor. Dieser bestand aus vier verschließbaren Stuben, welche alle einen Teppich in der Mitte und schmale Kissen an den Wänden hatten. Unter dem Dache gab es noch zwei kleine Räume, die auch verriegelt werden konnten. Das Logis gefiel mir, und ich fragte nach dem Preise.

»Hier gibt es keinen Preis,« antwortete der Alte. »Wir müssen uns als Landsleute betrachten, und so ersuche ich Sie, in Beziehung auf die Wohnung mit den Ihrigen mein Gast zu sein.«

»Ich weise Ihr freundliches Anerbieten um so weniger zurück, weil es mir ja zu jeder Stunde frei steht, den Vertrag zu brechen. Die Hauptsache für mich ist, von der Welt da draußen unbeachtet und ungestört zu sein.«

»Das sind Sie hier in vollständigem Maße. Wie lange gedenken Sie, in meinem Hause zu verweilen?«

»Nicht lange, leider; wenigstens vier Tage und höchstens zwei Wochen. Um mich Ihnen zu erklären, erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen ein kleines Abenteuer zu erzählen?«

»Gewiß, nehmen wir Platz. Es sitzt sich hier oben ebenso gut wie unten, und unsere Pfeifen brennen ja noch.«

Wir setzten uns, und ich erzählte ihm dann von unseren Verhältnissen und von der Begegnung mit Hassan Ardschir-Mirza so viel, als mir nöthig dünkte. Er hörte mit der größten Aufmerksamkeit zu, und als ich geendet hatte, sprang er empor und rief:

»Herr, Sie können getrost zu mir ziehen, denn hier wird Niemand sein, der Sie belästigt oder gar verräth. Wann werden Sie kommen?«

»Morgen in der Dämmerung. Aber einen Umstand hatte ich vergessen: wir haben mehrere Pferde und auch zwei Kameele; haben Sie Platz für diese Thiere?«

»Genug; Sie haben den Hof noch nicht gesehen, welcher hinter dem Hause liegt. Sein überdachter Theil reicht hin für Ihre Bedürfnisse. Nur Eins erwarte ich, daß Sie nämlich für Ihre Bedienung selbst Sorge tragen.«

»Das versteht sich ganz von selbst!«

»So sind wir also einig. Ich werde Ihre Aufrichtigkeit baldigst erwidern, indem ich Sie auch mit meinen Verhältnissen bekannt mache; doch nicht heut, denn Sie haben sich bereits erhoben, und ich sehe, daß Sie noch andere Geschäfte zu besorgen haben. Wenn Sie morgen kommen, so wenden Sie sich um die Gartenmauer herum; Sie werden auf der Seite, welche dem Pförtchen gegenüberliegt, ein breites Thor finden, an dem ich Sie erwarten will.«

Wir verließen den Alten, zufrieden mit unserm Erfolge, und kehrten mit unsern vorigen Begleitern nach der Stadt zurück. – –

Am andern Abend zogen wir ein: Hassan Ardschir-Mirza in Frauenkleidern, um etwaige Beobachter irre zu führen. Seine früheren Diener waren abgelohnt worden, und nur Mirza Selim Agha blieb in seiner Nähe. An Stelle der Diener trat der Araber, welcher uns gestern geführt hatte.

Der Aufenthalt in unserer neuen Wohnung brachte uns ein Ereigniß, welches ich trotz seiner interessanten Natur übergehe, da mir vielleicht später Gelegenheit wird, es zu erzählen. Nur muß ich bemerken, daß ich während meiner kurzen Streifereien durch Bagdad zweimal einer Gestalt begegnete, in welcher ich Saduk wiederzuerkennen glaubte.

Als ich mit dem Perser wieder auf seinen Zug nach Kerbela zu sprechen kam, mußte ich leider bemerken, daß er sich gegen meine Begleitung abweisend verhielt. Ich konnte ihm dies unmöglich verübeln; er war ein Schiit, und sein Glaube verbot ihm bei Todesstrafe, die heiligen Stätten an der Seite eines Ungläubigen zu besuchen. Das einzige Zugeständniß, welches er mir machte, bestand in der Erlaubniß, mit ihm bis nach Hilla reiten zu dürfen, wo wir uns bis auf Weiteres trennen mußten, um uns dann in Bagdad wieder zusammen zu finden. Eigentlich war er gewillt, hier die beiden Frauen zurück zu lassen; doch diese erklärten sich damit nicht einverstanden und wußten ihren Bitten eine solche Dringlichkeit zu geben, daß er sich endlich doch genöthigt sah, ihren Bitten nachzugeben.

Somit war ich der Verpflichtung überhoben, die Rolle eines Beschützers der Frauen übernehmen zu müssen.

Schon jetzt passirten viele Pilger die Stadt Bagdad, um sich ohne Aufenthalt nach Westen zu wenden; aber erst am fünften Muharrem vernahmen wir die Kunde, daß sich die eigentliche Todeskaravane der Stadt nähere. Sofort stieg ich mit dem Engländer und meinem kleinen Halef zu Pferde, um den Anblick dieses Schauspieles zu genießen.

Genießen? – Nun, dieser Genuß war freilich ein höchst zweifelhafter! Der Schiit glaubt, daß ein jeder Moslem, dessen Leiche in Kerbela oder Nedschef Ali begraben wird, ohne alle weiteren Hindernisse sofort in das Paradies komme. Darum ist es der heißeste Wunsch eines Jeden, an einem dieser beiden Orte begraben zu sein. Da der Transport der Leichen per Karavane ein sehr kostspieliger ist, so kann er nur von den Reichen ermöglicht werden; der Arme aber, wenn er an so heiliger Stelle begraben sein will, nimmt Abschied von den Seinen und bettelt sich durch weite Länderstrecken bis zu der Grabstelle Ali's oder Hosseïn's, um dort seinen Tod zu erwarten.

Jahr für Jahr schlagen Hunderttausende von Pilgern den Weg nach jenen Stätten ein, aber diese Zuzüge sind am stärksten, wenn der zehnte Muharrem, der Todestag Hosseïns, naht. Dann steigen die Leichenkaravanen der schiitischen Perser, Afghanen, Beludschen, Indier etc. vom iranischen Tafellande herab; von allen Seiten werden Todte hergeschleppt, und sogar auf Schiffen führt man sie auf dem Euphrat herbei. Die Leichen liegen oft schon monatelang vor dem Aufbruche bereit; der Weg der Karavane ist ein weiter und höchst langsamer; die Hitze des Südens brütet mit fürchterlicher Glut auf die Strecke hernieder, welche durchzogen werden muß, und so gehört keine übermäßige Anstrengung der Phantasie dazu, sich den entsetzlichen Geruch zu denken, den eine solche Karavane verbreitet. Die Todten liegen in leichten Särgen, welche in der Hitze zerspringen, oder sie sind in Filzdecken gehüllt, die von den Produkten der Verwesung zerstört oder doch durchdrungen werden; und so ist es denn kein Wunder, daß das hohläugige Gespenst der Pest auf hagerem Klepper jenen Todeszügen auf dem Fuße folgt. Wer ihnen begegnet, weicht weit zur Seite aus, und nur der Schakal und der Beduine schleichen herbei: der Eine, angezogen von dem Geruche der Verwesung, und der Andere, herbeigelockt von den Schätzen, welche die Karavane mit sich führt, um sie am Ende der Wallfahrt den Händen der Grabeshüter zu übergeben. Diamantenbesetzte Gefäße, perlenbesäte Stoffe, kostbare Waffen und Geräthe, gewaltige Mengen vollwichtiger Goldstücke, unschätzbare Amulette etc. werden nach Kerbela und Nedschef Ali gebracht, wo sie in den unterirdischen Schatzkellern verschwinden. Diese Schätze werden, um die beduinischen Räuber zu täuschen, in sargähnlicher Verpackung verborgen, aber die Erfahrung hat die unternehmenden arabischen Stämme gelehrt, diese Vorsicht unnütz zu machen. Sie öffnen bei einem Überfalle sämtliche Särge und kommen so ganz sicher zu den Schätzen, welche sie suchen. Der Kampfplatz bietet danach ein wüstes Bild von gefällten Thieren, getödteten Menschen, zerstreuten Leichenresten und zerschmetterten Sargtrümmern, und der einsame Wanderer lenkt sein Pferd von ihnen ab, um dem Hauche der Pest und Ansteckung zu entgehen.

Es versteht sich ganz von selbst, daß die Todeskaravane während ihrer Reise keine eng bewohnte Stadt berühren darf. Früher durfte sie ihren Weg mitten durch Bagdad nehmen. Sie zog durch Schedt Omer, das östliche Thor, ein; kaum jedoch hatte sie im Westen die Stadt verlassen, so verbreitete sich der Pesthauch über die Khalifenstadt; die Seuche begann zu wüthen, und Tausende fielen der muhammedanischen Gleichgültigkeit zum Opfer, welche sich mit dem schlechten Troste behilft, daß ›Alles im Buche verzeichnet stehe‹. In neuerer Zeit ist das anders geworden, und besonders hat der so viel bewunderte und ebenso viel angefochtene Midhat Pascha unter den alten Vorurtheilen und Herkömmlichkeiten aufgeräumt. Die Leichenkaravane darf jetzt nur die nördliche Grenze des Stadtbezirks berühren, um dann auf der oberen Schiffbrücke über den Tigris zu gehen. Und dort war es, wo wir sie trafen.

Ein unerträglicher Pesthauch wehte uns entgegen, als wir uns der Stelle näherten. Der Kopf des langen Zuges war bereits angekommen und traf Anstalt, sich zu lagern. Eine hohe Fahne mit dem persischen Wappen (ein Löwe mit der hinter ihm aufsteigenden Sonne) war in die Erde gesteckt; sie sollte den Mittelpunkt des Lagers bilden. Die Fußgänger saßen auf der Erde; die Reiter hatten ihre Pferde und Kameele verlassen; aber die mit den Särgen beladenen Maulthiere blieben bepackt, zum Zeichen, daß der Aufenthalt nur ein vorübergehender sein werde. Nach ihnen zog sich der lange, unabsehbare Zug wie eine Schnecke herbei, welche in gerader Richtung über den Boden kriecht. Es waren braune, von der Sonnengluth eingedörrte Gestalten, die in müder Haltung auf ihren Thieren hingen oder mit abgematteten Füßen sich über den Boden schoben; aber in ihren dunkeln Augen glühte der Fanatismus, und unbeirrt durch die zahlreich anwesenden Zuschauer sangen sie ihren monotonen Pilgergesang:

»Allah, hesti dschihandar,
Allah, hestem asman pejwend,
Hosseïn, hesti chun alud,
Hosseïn, hestem eschk riz!«Persisch, zu Deutsch:

Allah, Du bist weltbesitzend,
Allah, ich bin den Himmel erreichend.
Hosseïn, Du bist blutbespritzt,
Hosseïn, ich bin Thränen vergießend.

Wir hatten uns so nahe an die Pilger heran gemacht, daß wir unmittelbar bei ihnen hielten; aber je mehr ihrer herbei kamen, desto infernalischer wurde der Gestank, so daß Halef einen Zipfel seines Turbantuches löste, um damit die Nase zu verschließen. Einer der Perser bemerkte dies und trat herzu.

»Sak – Hund,« rief er, »warum verhüllst Du Dir die Nase?«

Da Halef das Persische nicht verstand, so übernahm ich die Antwort:

»Glaubst Du, die Ausdünstung dieser Leichen sei ein Geruch des Paradieses?«

Er sah mich verächtlich von der Seite an und meinte:

»Weißt Du nicht, wie der Kuran sagt? Er sagt, daß die Gebeine der Gläubigen duften nach Amber, Gul, Semen, Musch, Naschew, und Nardjin

»Diese Worte stehen nicht im Kuran, sondern in Ferid Eddin Attars Pendnameh; merke Dir das! Warum übrigens habt Ihr Euch denn selbst die Nase und den Mund verhüllt?«

»Das sind die Andern, aber nicht ich!«

»So beklage Dich zunächst über die Deinen, und dann erst magst Du zu uns kommen! Jetzt haben wir nichts mit Dir zu schaffen!«

»Mann, Deine Rede ist stolz! Du bist ein Sunnit. Ihr habt Herzeleid gebracht über den ächten Khalifen und seine Söhne. Allah verdamme Euch bis in die finsterste Tiefe der Hölle hinein!«

Er wendete sich mit einer drohenden Handbewegung von uns ab, und ich hatte nun gleich ein Beispiel des unversöhnlichen Hasses, welcher – je länger, desto heller – zwischen Sunna und Schia lodert. Dieser Mann wagte es, uns in der unmittelbaren Nähe einer Bevölkerung von Tausenden von Sunniten zu beschimpfen; wie mußte es einem Manne ergehen, den man in Kerbela oder Nedschef Ali als Nichtschiit entdeckte! –

Ich hätte gern gewartet, bis das Ende des endlos scheinenden Zuges herangekommen wäre, doch die Vorsicht trieb mich von dannen. Ich hatte mir vorgenommen, falls die Hindernisse nicht ganz unüberwindlich seien, bis nach Kerbela zu gehen, und da war es nicht gerathen, mich hier unter Sunniten zur Schau zu stellen. Meine Person konnte sehr leicht irgend Einem auffällig werden, der mich später wieder erkannt hätte. Daher ritten wir bald zurück. Der Engländer war gern einverstanden; er behauptete, den Geruch nicht länger aushalten zu können, und auch der sonst so tapfere Hadschi Halef Omar ergriff die Flucht vor den mephitischen Dünsten, welche den Lagerplatz der Perser unausstehlich machten.

Zu Hause angekommen, erfuhr ich von Hassan Ardschir-Mirza, daß er sich der Karavane nicht anschließen, sondern ihr erst morgen folgen werde. Er hatte diesen Entschluß bereits Mirza Selim Agha mitgetheilt, und dieser war dann ausgegangen, um gleichfalls die persische Karavane ankommen zu sehen.

Ich weiß nicht, warum dieser Gang des Agha mir verdächtig erscheinen wollte. Daß er die Absicht hegte, die Karavane in Augenschein zu nehmen, konnte ja doch gar nichts Beunruhigendes an sich haben; aber dennoch war es, als ob sich eine Art dunkler Besorgniß in mir rege. Sogar als wir uns zur Ruhe begaben, war der Mann noch nicht zurück. Auch Halef fehlte; er war nach dem Abendbrode in den Garten gegangen und noch nicht heimgekehrt. Erst gegen Mitternacht vernahm ich leise Schritte, welche an unserer Thür vorüberschlichen, und ungefähr zehn Minuten später wurde dieselbe fast unhörbar geöffnet, und es nahte sich Jemand der Stelle, an der ich lag.

»Wer ist da?« fragte ich halblaut.

»Ich, Sihdi,« hörte ich Halefs Stimme. »Steh' auf, und komm mit mir!«

»Wohin denn?«

»Still jetzt! Es könnte uns Jemand belauschen.«

»Soll ich Waffen mitnehmen?«

»Nur die kleinen.«

Ich steckte das Messer und die Revolver zu mir und folgte ihm mit nackten Füßen. Er schritt voran zum hinteren Thore, und erst dort zog ich die Schuhe an.

»Was gibt es, Halef?«

»Komm nur, Effendi! Wir müssen eilen, und ich kann Dir Alles ja recht gut im Gehen sagen.«

Er öffnete, und wir verließen den Garten, indem wir das Thor nur leicht anlehnten. Ich wunderte mich, als Halef sich nicht nach der Stadt zu, sondern nach südlicher Richtung wandte; doch folgte ich schweigend, bis er selbst begann:

»Herr, verzeihe, daß ich Dich in Deiner Ruhe störte! Aber ich traue diesem Selim Agha nichts Gutes zu.«

»Was ist's mit ihm? Ich hörte ihn vorhin nach Hause kommen.«

»Laß Dir erzählen! Als wir vom Lager heimkehrten und ich die Pferde in den Stall brachte, traf ich dort den dicken Diener unsers Wirthes. Er war sehr ärgerlich und schimpfte wie ein Femek, dem eine Eidechse entschlüpft ist.«

»Worüber?«

»Über Mirza Selim Agha. Dieser hatte die Weisung hinterlassen, ihm das Thor offen zu lassen; er werde vielleicht spät nach Hause kommen. Ich liebe diesen Mirza nicht, denn er ist Dir nicht gewogen, Sihdi. Der Diener hatte ihm nachgeblickt und gesehen, daß er nicht nach der Stadt ging, sondern sich nach Mittag wandte. Was wollte der Perser außerhalb der Stadt? Effendi, Du verzeihst, daß ich neugierig wurde. Ich kehrte in das Haus zurück, sprach mein Gebet und aß mein Abendbrod; aber ich konnte den Agha nicht vergessen. Der Abend war so schön, und die Sterne leuchteten am Himmel; ich konnte auch thun, was der Agha that: ich ging spazieren, und zwar in der gleichen Richtung wie er. Ich war ganz allein; ich dachte an Dich, an Scheik Malek, den Großvater meines Weibes, an Hanneh, die Blume der Frauen, und merkte dabei gar nicht, daß ich mich schon sehr weit von unserer Wohnung entfernt hatte. Da aber stand ich an einer Mauer; sie war eingefallen, und ich stieg über das Geröll hinaus in das Freie. Dort ging ich langsam weiter, bis ich einen Ort erreichte, an dem ich Bäume und Kreuze bemerkte. Es war ein Mezaristan der Ungläubigen. Die Kreuze glänzten im Schimmer der Sterne, und ich schritt sehr leise hinzu, denn man darf die Seelen der Ungläubigen nicht durch laute Schritte erwecken; sie werden zornig und heften sich an die Fersen des Ruhestörers. Da sah ich Gestalten auf den Gräbern sitzen. Es waren keine Geister, denn sie rauchten ihre Tschibuks, und ich hörte sie sprechen und lachen. Es waren auch keine Männer aus der Stadt, denn sie trugen die Kleidung der Perser; nur einige Araber waren darunter, und weiterhin, wo sich keine Gräber befanden, hörte ich das Hufstampfen ungebundener Pferde.«

»Hast Du gehört, wovon die Männer redeten?«

»Sie saßen sehr entfernt von mir, und ich vernahm nur, daß sie von einer großen Beute sprachen, welche sie machen wollten, und daß nur zwei Personen leben bleiben sollten. Ferner hörte ich eine gebieterische Stimme sagen, daß sie bis zum Morgengrauen hier in dem Friedhofe bleiben würden, und dann erhob sich ein Anderer, um Abschied von ihnen zu nehmen. Er kam nahe an mir vorüber, und ich erkannte den Agha.«

»Ja, Sihdi, er war es; ich habe mich nicht geirrt. Ich folgte ihm bis an unser Haus; dann dachte ich, daß es wohl gut sein würde, zu wissen, wer die Männer sind, mit denen er gesprochen hat, und darum weckte ich Dich.«

»So glaubst Du, daß sich die Männer noch auf dem Friedhofe befinden?«

»Ja, ich glaube es.«

»Es wird der Friedhof der Engländer sein, den Du meinst. Ich kenne ihn von meinem ersten Aufenthalte in Bagdad her; er liegt nicht weit vom blinden Thore, und es wird gar nicht schwer sein, unbemerkt an ihn heranzukommen.«

Wir erreichten die Bresche, welche der Zahn der Zeit in die Umfassungsmauer genagt hatte. Hier ließ ich Halef zurück, damit er mir nöthigenfalls den Rückzug decken könne, und ich ging vorsichtig dem Ziele entgegen. Der Friedhof der Engländer lag nun ganz nahe vor mir; kein Lüftchen regte sich, und kein Laut unterbrach die Stille der Nacht. Ich gelangte unbemerkt bis an den nach Norden gerichteten Eingang: er war geöffnet. Ich trat leise ein und hörte sofort seitwärts das Schnauben eines Pferdes. Das Thier gehörte sicher einem Beduinen, denn nur die im Freien lebenden Rosse haben jenen eigenthümlichen, ängstlich zitternden Stoß durch die Nüstern, welcher als Warnung gelten soll. Dieses Schnauben konnte meine Anwesenheit verrathen und mir also gefährlich werden; ich wandte mich darum schnell nach der andern Seite und kroch auf der Erde vorwärts.

Nach einer sehr kurzen Weile sah ich es hell durch die Büsche schimmern. Ich kannte dieses Weiß; es war die Farbe arabischer Burnusse. Ich schlich mich hinzu und zählte sechs Männer, welche schlafend am Boden lagen. Es waren Araber; ein Perser war nicht zu sehen. Halef konnte sich unmöglich geirrt haben. Entweder lagen die Perser weiter abwärts oder sie hatten den Friedhof ganz verlassen. Um mir Gewißheit zu holen, schlich ich weiter, kam aber ganz in die Nähe der Pferde, ohne weiter einen Menschen bemerkt zu haben. Obgleich ich jetzt von der andern Seite kam, wurden die Thiere bei meiner Annäherung abermals unruhig, doch konnte mich dies nicht mehr beirren; ich mußte wissen, wie viele Pferde es waren. Ich zählte sieben. Dort lagen sechs Araber, wo war der siebente? Eben wollte ich diese Frage stellen, als ich, auf den Händen und Knieen liegend, von einem Manne, der sich auf mich warf, vollends zu Boden gedrückt wurde. Das war der Siebente; er hatte bei den Pferden Wache gestanden. Und dieser Mann war kein Schwächling; er lag zentnerschwer auf mir und brüllte mit einer wahren Löwenstimme die Andern herbei.

Sollte ich es auf einen Kampf ankommen lassen? Sollte ich mich ruhig ergeben, um vielleicht zu erfahren, was diese Leute herbeigeführt hatte? Nein, keines von Beidem! Ich schnellte mich empor und nach hinten wieder zur Erde nieder; dadurch kam der Angreifende unter meinen Rücken zu liegen. Diese Bewegung mußte ihm unerwartet gekommen, oder mochte er mit dem Kopfe zu kräftig aufgeschlagen sein – ich fühlte, daß seine Arme sich von mir lösten, sprang auf und eilte dem Ausgange zu. Aber unmittelbar hinter mir hörte ich die Schritte der Verfolger. Glücklicher Weise trug ich nur leichte Kleidung und leichte Waffen; es gelang ihnen nicht, mich zu erreichen. An der Bresche des Walls angekommen, zog ich den Revolver und gab zwei Schüsse ab, natürlich nur in die Luft; und als auch Halef sein Pistol abschoß, verschwanden die weißen Gestalten schnell hinter mir. Einige Augenblicke später hörten wir sie davonreiten; der Friedhof war ihnen, wenn auch nicht in Hinsicht der dort ruhenden Todten, unheimlich geworden.

»Hast Du Dich erwischen lassen, Sihdi?«

»Allerdings. Ich bin unvorsichtig gewesen. Diese Araber waren klüger, als ich glaubte; sie hatten eine Wache ausgestellt, welche mich faßte.«

»Allah kerihm! Es konnte Dir schlimm ergehen, denn diese Männer haben sicher aus keinem ehrlichen Grunde den Friedhof aufgesucht. Aber es waren doch nur Araber, welche Dich verfolgten?«

»Die Perser, welche Du gesehen hast, befanden sich nicht mehr bei ihnen. Kam Dir die Gestalt des Befehlshabers, welchen Du sprechen hörtest, nicht bekannt vor?«

»Ich konnte sie nicht genau erkennen; es war nicht hell genug dazu, und er saß mitten unter den Übrigen.«

»So haben wir diesen Gang umsonst gethan, obgleich ich beinahe den Verdacht hegen möchte, daß es die Verfolger Hassan Ardschir-Mirza's gewesen sind.«

»Könnten diese sich hier befinden, Sihdi?«

»Ja. Sie haben sich nach dem Überfalle zwar westwärts gewendet, aber sie konnten sehr leicht annehmen, daß Hassan nach Bagdad gehen werde, und so läßt sich glauben, daß sie über Dschumeila, Kifri und Zengabad nach Süden geritten sind. Wir konnten der Frauen wegen nicht so schnell vorwärts kommen, wie sie.« –

Wir gingen in unsere Wohnung zurück, und ich theilte Hassan Ardschir das Erlebniß und meine Befürchtungen mit, welche er sehr leichthin entgegennahm. Er konnte nicht denken, daß seine Verfolger nach Bagdad gekommen seien, und ebenso unwahrscheinlich war es ihm, daß die Worte, welche Halef belauscht hatte, auf ihn Bezug haben sollten. Ich bat ihn, vorsichtig zu sein und sich vom Pascha eine Bedeckung geben zu lassen; doch auch diesen Vorschlag wies er zurück.

»Ich fürchte mich nicht,« meinte er. »Vor Schiiten brauche ich nicht bange zu sein, denn während des Festes ist jede Feindschaft aufgehoben, und ebenso sicher ist es, daß ich von den Arabern nicht angefallen werde. Bis Hilla bist Du ja mit Deinen Freunden bei mir, und dann ist es bis Kerbela nur noch eine Tagreise, und der Weg ist von Pilgern so besucht, daß sich wohl kein Räuber sehen lassen wird.«

»Ich kann Dich nicht zwingen, meinem Rathe zu folgen. Du nimmst doch nur das mit, was Du in Kerbela nöthig hast, und lässest das Übrige hier zurück?«

»Ich lasse nichts zurück. Soll ich das, was ich habe, fremden Händen anvertrauen?«

»Unser Wirth scheint mir ein ehrlicher und sicherer Mann zu sein.«

»Aber er wohnt in einem einsamen Hause. Schlafe wohl, Emir!«

Es blieb mir nichts Anderes übrig, als zu schweigen. Ich legte mich wieder zur Ruhe und wachte erst spät am Morgen auf. Der Engländer war nicht anwesend; er war nach der Stadt gegangen, und als er zurückkehrte, brachte er vier Männer mit, von denen drei mit Hacke, Spaten und anderem Geräthe versehen waren.

»Was sollen diese Leute?« frug ich ihn.

»Hm, arbeiten!« antwortete er. »Drei sind abgelohnte Matrosen aus Old England, und der Vierte ist ein Schotte, der ein wenig Arabisch versteht; er wird mein Dolmetscher sein. Ich brauche ihn ja, weil Ihr doch heimlich nach Kerbela wollt. Well.«

»Wer hat Euch diese Leute besorgt, Sir?«

»Habe auf dem Consulate angefragt.«

»Ihr wart beim Residenten? Ohne mir etwas davon zu sagen?«

»Yes, Sir! Habe Briefe erhalten und abgegeben, mir auch Gelder verschafft. Habe Euch nichts davon gesagt, weil ich Euer Freund nunmehr gewesen bin!«

»Warum?«

»Wer nach Kerbela geht, ohne mich mitzunehmen, braucht sich auch um meine anderen Angelegenheiten nicht zu kümmern. Well!«

»Aber, Sir, was ist Euch denn so plötzlich in den Kopf gefahren? Eure Begleitung könnte doch mir und Euch nur Schaden bringen.«

»Habe Euch soweit begleitet, ohne Schaden zu nehmen. Zwei Finger weg – zählt nichts; habe dafür die Nase doppelt.«

Er wandte sich ab und machte sich mit seinen vier Leuten zu schaffen. Der gute David Lindsay war trotz seiner Leidenschaft für Fowling-bulls begierig, sich das Fest des zehnten Muharrem mit anzusehen; aber es war durchaus unmöglich, ihn mitzunehmen.


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