Karl May
Am Stillen Ocean
Karl May

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An der Tigerbrücke

Erstes Kapitel

Quimbo

Eine der sonderbarsten Gestalten, die ich auf meinen Wanderungen getroffen habe, ist ohne Zweifel der Basuto-Kaffer Quimbo, welcher in ähnlicher Weise wie Hadschi Halef Omar durch verschiedene Länder des Orientes mein Begleiter in Südafrika war. So himmelweit verschieden diese beiden braven Menschen voneinander waren, eine große, für mich erfreuliche Aehnlichkeit hatten sie doch, und diese bestand in der großen Liebe und Anhänglichkeit, die sie für mich hegten.

Quimbo bildete, besonders wenn er neben mir ritt, eine höchst seltsame, ja lächerliche Figur. Außer einem kattunenen Schurze, den er um seine Lenden geschlungen hatte, war er vollständig nackt und hatte seinen dunkeln, mit starker, eckiger Muskulatur versehenen Körper mit Fett eingerieben, welches seine Haut zwar vor den lästigen Stichen der Insekten schützte, leider aber einen so penetranten Geruch oder vielmehr Gestank verbreitete, daß es mich eine wirkliche Ueberwindung kostete, mit ihm in größerer Nähe als fünfzig Schritte zu verkehren.

Das Merkwürdigste an ihm war die Art und Weise, sein Haar zu tragen. Er hatte es nämlich durch tägliche Anwendung von Akaziengummi und jahrelange, sorgsame Pflege in eine kompakte Masse gekleistert, welche seiner Frisur das Aussehen von zwei mit den Sohlen gegeneinander geneigten Pantoffeln gab, deren Absätze die Spitze bildeten, während die Fußhöhlungen nach oben gerichtet waren und von ihm als Aufbewahrungsort von allerlei höchst wertlosen, für ihn aber außerordentlich wichtigen Kleinigkeiten dienten. Die Ohrläppchen waren in seiner Jugend durch angehängte und jedenfalls schwere Schmuckgegenstände so ausgedehnt und abwärts gezogen worden, daß sie an Größe so ziemlich den Ohrlappen eines Neufundländers gleichkamen. Um die so seltenen Schaustücke praktisch zu verwerten, pflegte er sie des Morgens aufzuwickeln und in die Höhlung jeder der beiden Rollen eine von seinen zwei Schnupfdosen zu stecken.

Außerdem trug er an jedem Nasenflügel einen starken, messingenen Ring und hatte, jedenfalls eine Erfindung seines eigenen ästhetischen Genies, um den Hals einen breiten Riemen von Sohlenleder geschnallt, an welchem zwei sehr umfangreiche Kuhglocken befestigt waren, die er täglich einmal abzunehmen und blankzuputzen pflegte, Diese Glocken ließen bei jeder seiner Bewegungen ein Gebimmel hören, welches mir nicht nur lästig wurde, sondern uns beiden gefährlich werden konnte, denn wir hatten uns damals vor Feinden in acht zu nehmen, denen das immerwährende Getöse unsere Annäherung schon von weitem verraten mußte; darum drang ich in ihn, wenn auch nicht die Glocken ganz zu entfernen, so doch wenigstens die Klöppel herauszunehmen, und daß er mir diesen Wunsch, allerdings nach langem und schwerem Kampfe mit sich selbst, erfüllte, war ein großer und unumstößlicher Beweis von der Zuneigung, mit welcher er an mir hing.

So sonderbar, wie er selbst, war auch seine Ausdrucksweise. Er radebrechte das Holländische ganz leidlich, spickte es aber so mit den in seiner Muttersprache vorkommenden Schnalz- und Klatschlauten, daß alle seine Sätze wie von Spechten zerhackt aus seinem Munde kamen. Und dieser Mund, wie groß und breit war er doch! Wenn Quimbo im Eifer sprach oder gar dazu lachte, dann reichten seine weißen Zahnreihen von einem Ohre bis zum andern, und sein Gesicht glich weit eher demjenigen eines Vierhänders als dem eines Menschen.

Das aber ihm zu sagen, hätte niemand wagen dürfen, denn er war ungeheuer eitel und hielt sich nicht nur für schön, sondern für eine Schönheit allerersten Ranges. Wenn er von sich sprach, pflegte er sich als den ›schön', gut', tapfer Quimbo‹ zu bezeichnen. In Beziehung auf die Schönheit irrte er sich; aber gut war er, seelengut; ob auch tapfer, das wollte ich erst nicht glauben, sah aber später ein, daß ich ihn da falsch beurteilt hatte; Quimbo war mutig, und wenn es sich um eine Gefahr für mich handelte, so wagte er unbedenklich sein Leben. Ich gewann ihn herzlich lieb und wünschte ihm alles Gute, konnte aber leider nicht verhindern, daß dieser Wunsch grad in dem Falle, der für ihn der wichtigste war, nicht in Erfüllung ging.

Quimbo hatte nämlich sein Herz verloren; es gehörte einem schönen Kaffermädchen, welches ein Boer in der Kalahari gefunden, als Kind angenommen und Mietje genannt hatte. Wie oft hörte ich aus seinem Munde die selig klingenden Worte: »Mietje werd' sein' Frau von schön', gut', tapfer Quimbo, denn Quimbo werd heirat' schön', jung', reich' Mietje!« Er mußte aber erfahren, daß auch ein schön, gut

tapfer Mensch, selbst wenn er ein Kaffer ist, nicht alles haben kann, was er will; Mietje wurde die Frau eines jungen Boers, und Quimbo mußte verzichten. Ob sein Herz darüber brechen würde, das konnte ich nicht abwarten, denn ich mußte fort. Als ich Abschied von ihm nahm, stand er weinend, oder vielmehr grinsend, vor mir, als ob er vor Liebe und Herzeleid nicht wisse, wo aus oder ein. Da aber schien ihm plötzlich ein guter Gedanke zu kommen: er langte nach seinem rechten, aufgerollten Ohrläppchen, riß die in demselben steckende Schnupfdose heraus, gab sie mir mit einem unendlich wohlwollenden Zähnefletschen und sagte dabei:

»Lieb' gut' Mynheer will gehn nach heim; Quimbo wein' viel' groß' Thrän', weil Quimbo nicht darf geh' mit Mynheer; aber Quimbo geb' hier Dos' an Mynheer, damit Mynheer denk' viel an arm', gut, schön', tapfer Quimbo!«

Natürlich nahm ich, um ihn nicht zu betrüben, die Dose an. Ich war überzeugt, daß ich den Ohrlappen, in dem sie gesteckt hatte, niemals wiedersehen würde. Trotzdem wurde mir der Vorzug zu teil, nicht nur diesem rechten, sondern auch dem linken Ohrlappen mitsamt dem ganzen Quimbo wieder zu begegnen, und zwar nicht etwa hier im Lande der Boers, Kaffern und Hottentotten, sondern – – wo? –--

Indem ich erzählte, daß wir den ›Haiang-dze‹ nach Piont de Galle brachten und mit den Gefangenen dem Mudellier übergaben, daß wir da den Besuch des Gouverneurs von Kolombo erhielten und dann der Hochzeit Kaladis mit Molama beiwohnten, habe ich, allerdings mit Absicht, eine Episode übergangen, welche jetzt Erwähnung finden soll.

Es verstand sich ganz von selbst, daß die Besatzung des ›Haiang-dze‹, und zwar auf das allerstrengste, bestraft werden mußte; aber die Frage war, nach welchem Rechte dies zu geschehen hatte. Auf Ceylon ist nämlich im allgemeinen für Europäer und Eingeborene herrschendes Recht das altholländische, doch ist für die Tamilen ein eigener Kodex vorhanden, welcher Thesawalamy heißt, und für Candy gilt außerdem noch ein besonderes, lokales Recht. Nach englischem Rechte wird nur bei Schiffahrts- und Handelsfragen geurteilt. Waren die Girl-Robbers nun nach englischem oder altholländischem Rechte zu verurteilen? Diese Frage war für die Beamten aber nicht für Raffley oder mich wichtig; wir bekümmerten uns nicht darum. Der Mudellier konnte keine Entscheidung treffen; er mußte die Ankunft des Gouverneurs abwarten und bis dahin dafür sorgen, daß die Gefangenen ja nicht zu entfliehen vermochten. Er suchte uns, noch bevor es ganz dunkelte, im Hotel Madras auf, um Raffley zu fragen, welchen Gewahrsam er für den sichersten für sie halte; er glaube, es sei am besten, sie auf der Dschunke zu lassen und dort gut zu bewachen. Raffley hatte eigentlich gar nichts dabei zu sagen, nahm es aber als ganz selbstverständlich hin, daß der Beamte sich an ihn gewendet hatte, drehte sich zu mir herum und sagte: »Charley!«

»Sir!« antwortete ich in seiner Weise.

»Was meint Ihr dazu?«

»Nichts.«

»Hm! Ihr müßt aber doch eine Ansicht haben!«

»Dann müßte ich die hiesigen Gefängnisse kennen.«

»Die werden nicht viel taugen!«

»Dann ist es allerdings geraten, die Kerls auf dem Schiffe zu lassen, natürlich unter der aufmerksamsten Bewachung.«

»Well, denke es auch. Das ist also entschieden, und dabei mag es bleiben.«

Der Mudellier stand auf, machte eine tiefe Verbeugung, lud uns für den Abend zu sich ein und ging. Der Engländer zog eins seiner ironischen Gesichter und fragte:

»Was sagt Ihr zu diesem Manne, Charley?«

»Er hält Euch für einen bedeutenderen Kerl, als er selber ist.«

»Das will ich ihm auch geraten haben! Oder seid Ihr etwa einer andern Ansicht?«

»Ich denke über Euch grad so, wie Ihr von mir denkt.«

»Gut gesagt, sehr gut! Hoffentlich redet Ihr ebenso klug, wenn Ihr gehört habt, was ich Euch jetzt vorzuschlagen habe.«

»So laßt mich's hören, Sir!«

»Ihr wollt von hier aus nach Suez und nach Hause?«

»Nein, sondern nach Bombay.«

»Daraus wird nichts!«

»Ah?«

»Absolut nichts! Ich komme von dort und will nicht so schnell wieder hin. Was habt Ihr denn dort ohne mich zu suchen?«

»Das, was ich überall zu suchen habe.«

»Richtig! Es kann Euch also gleich sein, ob Ihr Bombay seht oder nicht.«

»Mein Reiseplan weist mich hin!«

»Reiseplan! Ueberhaupt Plan! Welcher gescheite Kerl wird Pläne machen! Und noch dazu solche! Nehmt doch die Feste, wie sie kommen! Ihr seid ein ganz eigentümlicher Kumpan, wie mir noch keiner vorgekommen ist. Ihr steckt voller Mucken und Fehler wie ein Sieb voller Löcher, und doch muß man Euch gut sein, man mag wollen oder nicht. Ich laß Euch noch nicht fort von mir.«

»Glaubt Ihr, mich halten zu können?«

»Yes

»Womit?«

»Hm! Wollen wir wetten?«

»Nein; ich wette nicht.«

»Unsinn! Wartet doch erst ab, bis ich Euch gesagt habe, welche Wette ich meine! Ich setze hundert Pfund darauf, daß Ihr bei mir bleibt. Nun sagt einmal, was Ihr dagegen setzen wollt!«

»Nichts.«

»Schandbarer Mensch! Diese Wette hätte ich sicher gewonnen! Wollt Ihr mit, Charley?«

»Wohin?«

Er senkte schnell den Kopf, so daß ihm der Klemmer vor auf die Nasenspitze rutschte, sah mir über die Gläser hinweg mit einem verlockenden Blicke in das Gesicht und sprach nur das eine Wort, aber mit schwerer Betonung aus:

»Jabadiu!«

Dieses Wort verfehlte den beabsichtigten Eindruck nicht auf mich; aber ich ließ ihm dies nicht merken und fragte in gleichgültigem Tone.

»Was ist's damit?«

»Was es damit ist? Welche Frage! Wißt Ihr denn nicht, was Jabadiu bedeutet?«

»Es ist der alte Name für Java. Zu Ptolemäus' Zeiten ungefähr wurde die Insel so genannt.«

»Richtig! Also Java! Nun, was sagt Ihr dazu?«

»Wollt Ihr hin, Sir?«

»Ob ich will? Wüßte nicht, wer es mir verbieten könnte! Giebt es vielleicht einen Menschen, der das Recht hätte, es Euch zu untersagen?«

»Nein.«

»Also abgemacht! Wir dampfen nach Java!«

»Sachte, sachte, Sir John! Wenn mir auch kein anderer dreinzureden hat, so giebt es doch einen, der seine Einwilligung dazu geben muß.«

»Wer ist das?«

»Ich selbst bin es.«

»Pshaw! Ihr werdet gar nicht gefragt. Möchte doch wissen, was Ihr dagegen vorbringen könntet! Habt Ihr etwa keine Lust?«

»Lust mehr als genug; aber die Zeit, die Zeit!«

»Redet doch nicht von der Zeit! So ein Globetrotter, wie Ihr seid, hat immer Zeit. Und was das andere betrifft, wenn Ihr vielleicht denkt, So könnt Ihr Euch doch denken, daß Ihr bis auf das allerkleinste, bis auf die Stecknadel, mein Gast sein sollt.«

»Daran dachte ich jetzt nicht.«

»Woran denn?«

»Daran, daß die Fahrt nach Java mich für diesmal zu weit von der Heimat entfernen würde.«

»Auf diesen Gedanken braucht Ihr gar nicht stolz zu sein, Charley. Es führen alle Wege nach Rom, und es kann Euch sehr gleichgültig sein, ob Ihr von Westen oder von Osten, über Amerika oder über Afrika in Euer heimatliches Nest zurückkehrt. Ich wundere mich sehr über Euch, daß –--«

Er wurde unterbrochen. Draußen war jetzt Musik und Gesang zu hören, und einer der Oberbediensteten des Hotels trat ein, welcher Licht brachte, denn es dunkelte schon, und bat, in die Veranda zu treten, weil man uns beide zu sehen wünsche.

»Wer will uns sehen?« fragte der Englishman verwundert.

»Die Volksmenge, welche Euretwegen gekommen ist, um Euch zu ehren und Euch zu danken.«

»Wofür?«

»Die Jungfrauen, welche Ihr errettet habt, werden festlich durch die Stadt geführt; dann sollen diejenigen, welche während der Elefantenjagd geraubt worden sind, von dem Boten, den der Mudellier nach Kolombo zu dem Gouverneur sendet, dorthin begleitet werden.«

Raffley zog eins seiner sonderbaren Gesichter, ließ den Klemmer auf die Nasenspitze rutschen und fragte:

»Sollen wir etwa auch mit festlich durch die Stadt laufen, he?«

»Ew. Lordschaft, wer sollte daran denken!«

Mit diesen Worten fuhr der erschrockene Mann zur Thür hinaus. Raffley nickte mir lachend zu:

»Well, so wollen wir uns angucken lassen! Vorher aber sage ich Euch, daß ich wegen Java auf Eure Begleitung rechne. Drei Tage brauche ich zur Vorbereitung zu dieser Reise; so lange gebe ich Euch Zeit, darüber nachzusinnen, ob Ihr wollt oder nicht. Aber wehe Euch, wenn Ihr dann nicht mitkommen wollt!«

Draußen standen beim Scheine vieler Fackeln an der Spitze des Festzuges die mit Blumen reich geschmückten Jungfrauen. Als man uns erblickte, erbrausten Rufe aus hundert und aber hundert Kehlen, und die Musikanten stimmten ein. Das ging ohne Unterbrechung mehrere Minuten fort und hörte nicht eher auf, als bis wir in das Zimmer zurückgetreten waren.

Kurz darauf folgten wir der Einladung des Mudelliers. Dort erfuhren wir, daß ein Lieutenant von den Eingeborenen mit zehn Mann auf die Dschonke beordert worden war, die Gefangenen zu bewachen. Ich fragte, ob diese elf Mann genügend seien, beruhigte mich aber auf die Bemerkung des Mudelliers, daß nicht mehr Wächter gebraucht würden, weil die Gefangenen alle gefesselt und außerdem noch angebunden seien.

Da wir die vorige Nacht durchwacht hatten, blieben wir nur so lange bei diesem Beamten, wie der Anstand erforderte, und legten uns dann gleich nieder. Dieses Schlafbedürfnis hatte zur Folge, daß wir am nächsten Morgen nicht eher aufwachten, bis wir geweckt wurden. Der Mudellier wollte wieder mit uns sprechen. Das mußte etwas Wichtiges sein. Wenn ich bedachte, wie stolz und unnahbar sonst ein solcher Gebieter zu sein pflegt, konnte ich mir Glück zu meiner Bekanntschaft mit Raffley wünschen, denn nur dessen Verwandtschaft mit dem Generalgouverneur war das entgegenkommende Verhalten des Mudelliers zu verdanken.

Er sah sehr ernst und feierlich aus, als er in Raffleys Zimmer trat, in welches ich mich schnell begeben hatte, und sonderbar klang die einleitende Frage, welche er an den Englishman richtete, sobald er uns begrüßt und sich niedergesetzt hatte:

»Sir, wo leben die Geister?«

Raffley machte vor Erstaunen ein so langes Gesicht, daß der Klemmer in die bekannte Bewegung kam, sah den Frager eine Weile wortlos an, schüttelte den Kopf und antwortete dann:

»Die Geister – –? Hm! Die Geister – – –?«

»Ja, die Geister!« nickte der Mudellier.

»Was für welche? Es giebt verschiedene Geister.«

»Verschiedene?«

»Ja. Ja, zum Beispiel Lebensgeister, Weingeister, Quälgeister und so weiter.«

»Sir, ich scherze nicht. Ich meine die richtigen Geister.«

»Die richtigen? Hm! Etwa Gespenster?«

»Das ist wohl gleich, Geist oder Gespenst.«

Da nahm Raffleys Gesicht einen leise ironischen Ausdruck an; er schob den Klemmer wieder dahin, wohin er gehörte, und sagte:

»Das ist gar nicht gleich. Der Mensch kann seinen Geist aufgeben; aber sein Gespenst aufgeben, das kann er nicht. Hat es vielleicht in der vergangenen Nacht ein Gespenst gegeben?«

»Ja.«

»Wo?«

»Auf der Dschonke.«

»Auf dem chinesischen Schiffe?«

»Ja.«

»Das glaubt Ihr, Sir?«

»Ja, ich glaube es.«

»Ich nicht. Gespenster giebt es überhaupt nicht, und wenn einer Eurer Soldaten ein solches Ding gesehen haben will oder wirklich gesehen hat, so wette ich um tausend oder fünftausend Pfund Sterling, daß dieses Gespenst Fleisch und Blut besitzt und irgend eine Teufelei bezweckt. Es hat sich doch nicht etwa um die Befreiung der Gefangenen gehandelt?«

»Nein.«

»Nicht? Es kann aber doch nur einer der Gefangenen gewesen sein, denn außer ihnen und den Soldaten befindet sich kein Mensch an Bord.«

»Es war keiner von ihnen; sie sind alle so gefesselt und fest angebunden, daß keiner los kann; es war ein ganz anderes Wesen; es war ein Geist!«

Er sagte das in so überzeugtem Tone, daß Raffley abermals den Kopf schüttelte und sich zu mir wendete:

»Charley!«

»Sir!«

»Giebt es Geister?«

»Ja.«

»Gespenster?«

»Nein. Wer ist es, der heute nacht eines gesehen haben will?«

Ich richtete diese Frage an den Mudellier.

»Die Wächter,« antwortete er.

»Einer oder einige von ihnen?«

»Alle. Der Lieutenant hat es mir vorhin gemeldet; ich habe ihn mitgebracht. Er wartet draußen, und wenn es euch beliebt, mag er es erzählen.«

Ich stand auf und holte den Mann herein. Er sah gar nicht wie ein Hasenfuß aus, doch Leute seiner Abstammung sind von Haus aus dem krassesten Aberglauben ergeben. Er mußte erzählen.

Mitternacht ist bekanntlich in allen Erdteilen und bei allen Völkern die Stunde der Geister, und um Mitternacht war es auch gewesen, als sich auf der Dschonke plötzlich ein großer Wind erhoben hatte und der Geist erschienen war.

»Wo kam er her?« fragte ich.

»Das sah man nicht; er war da.«

»Wie lange sah man ihn?«

»Nur wenige Minuten.«

»Wo ging er hin?«

»Das sah man nicht; er war fort.«

»Wie sah er aus?«

»Schrecklich! Unsere Herzen bebten.«

»Schrecklich! Wie meinst du das? Beschreibe ihn näher, ausführlichen«

»Das kann ich nicht. Wer kann Geister beschreiben!«

»Sah er aus wie ein Tier?«

»Nein.«

»Wie ein Mensch?«

»Nein.«

»Welchem Wesen oder Gegenstande sah er ähnlich?«

»Keinem.«

Das war die ganze Auskunft, die ich erhielt; mehr konnte ich nicht erfahren. Vorsichtigerweise erkundigte ich mich noch:

»Fehlt heut ein Gefangener?«

»Nein.«

»Sind alle noch fest angebunden?«

»Ja.«

»Es ist also keiner los gewesen und etwa von euch wieder angebunden worden?«

»Nein, Sir.«

Ich sah Raffley an und er mich; dann brachen wir in ein lautes Lachen aus.

»Lacht nicht, Mylords!« warnte der Mudellier ängstlich. »Die Geister rächen jeden Scherz, den man mit ihnen treibt.«

»Die Art von Geistern, um die es sich hier handelt, rächen sich nicht, sondern sie sind sehr froh, wenn man ihnen nichts thut,« antwortete Raffley. »Eigentlich geht uns dieser Spuk gar nichts an; aber da wir es sind, die das Schiff genommen haben, dürfen wir wohl einmal nachschauen, von welcher Art seine überirdischen Bewohner sind. Charley, geht Ihr mit?«

»Ja,« antwortete ich.

»Habt Ihr eine Ahnung, wer der Geist ist?«

»Jetzt noch nicht.«

»Wollen wir wetten?«

»Nein.«

»Aber Ihr könnt gewinnen! Ich setze –--«

»Setzt nichts, Sir,« unterbrach ich ihn; »ich wette doch nicht mit.«

»Ja, es ist ein Elend, ein wirkliches Elend mit Euch. Ihr seid wirklich zu keinem Einsatz zu bewegen, nicht einmal dann, wenn es sich um Geister handelt!«

Es wurde erst kurz gefrühstückt, und dann begaben wir uns nach dem Hafen und auf die Dschonke. Die gestrige Wachtmannschaft war noch nicht abgelöst worden; wir fanden also die Soldaten vor, welche den ›Geist‹ gesehen hatten. Leider war von ihnen auch nicht mehr zu erfahren, als was wir schon wußten; wir merkten nur so viel, daß sie den Spuk mehr gehört als gesehen hatten.

Natürlich stiegen wir in den Raum hinab, um die Gefangenen in Augenschein zu nehmen. Ihre Fesseln waren in dem gewünschten Zustande; es konnte keiner loskommen, der nicht von den Wächtern losgebunden wurde, und daß so etwas nicht geschehen war, konnte keinem Zweifel unterworfen sein. Als wir die Dschonke wieder verließen, waren wir grad so klug, wie vorher. Wer weiß, durch was diese abergläubischen Singhalesen sich die Köpfe hatten verdrehen lassen!

Aber am nächsten Morgen ließ der Mudellier uns zu sich bitten, um uns mitzuteilen, daß der Geist abermals um Mitternacht erschienen sei. Er war ihm von dem diesmaligen Offizier der Wache gemeldet worden, und der Mann stand noch da, um uns Auskunft zu erteilen. Der Vorgang war genau so wie gestern verlaufen. Erst hatte sich ein Wind erhoben, und dann war der Geist erschienen, dessen Gestalt aber nicht zu erkennen gewesen war und also auch nicht beschrieben werden konnte.

»War es denn wirklich ein Wind?« fragte ich.

»O, ein sehr plötzlicher,« antwortete der Lieutenant.

»Habt Ihr ihn gefühlt?«

»Sehr.«

»Woher kam der Geist?«

»Das weiß ich nicht; er war da.«

»Und wohin ging er?«

»Das kann ich nicht sagen; er war fort.«

»Saht ihr denn, daß er sich bewegte?«

»Ja.«

»So müßt ihr doch auch wissen, an welcher Stelle oder an welchen Stellen des Schiffes er sich befunden hat!«

»Er kam bis zum Mittelmast.«

»Aus welcher Richtung?«

»Das habe ich nicht gesehen.«

»Ihr habt die Augen nicht offen gehabt, oder die Angst hat sie euch verdunkelt. Wir werden mit dir gehen, um diese Gespenstergeschichte noch einmal zu untersuchen.«

Wir thaten es, aber die Untersuchung führte zu keinem Resultate. Wir fanden alles genau so wie gestern. Am Mittelmaste, bis wohin der ›Geist‹ gekommen sein sollte, standen mehrere Körbe mit Melonen und sonstigen Früchten, welche bestimmt gewesen waren, von den Girl-Robbers gegessen zu werden. Ich betrachtete diese Körbe und fand keinen Grund, sie mit dem Spuke in Beziehung zu bringen. Ich ärgerte mich, nicht etwa über das Gespenst oder über die Dummheit der Singhalesen, sondern über mich selbst. Was für schwierige Fragen hatte ich schon beantwortet, welche Spuren gefunden und verfolgt! Und hier wollte mir kein einziger Gedanke kommen! O, Kara Ben Nemsi, o, Old Shatterhand, wo ist dein Scharfsinn, wo ist dein Scharfblick hin!

Als wir uns von dem Mudellier getrennt hatten und wieder allein beisammen saßen, sah Raffley mich pfiffig lächelnd an und sagte:

»Charley, ich bemitleide Euch.«

»Warum?«

»Das Gespenst ist vom Schiffe fort und geht nun in Euerm Kopfe um. Ich denke, Ihr werdet bald den großen, plötzlichen Wind verspüren.«

»Spottet immer! Es ist wirklich ärgerlich, einer solchen Albernheit nicht auf die Spur kommen zu können.«

»Nicht? Hm! Wirklich nicht?«

»Na, habt Ihr vielleicht einen Gedanken, Sir?«

»Yes, und was für einen!«

»Nun, welchen?«

»Das Gespenst kommt vom Lande her.«

»Und ich behaupte, daß es sich im Innern der Dschonke befindet.«

»Unsinn! Wollen wir wetten?«

»Nein.«

»Ich setze hundert Guineen, daß ich recht habe. Man will die Chinesen befreien, und man spielt zu diesem Zwecke Gespenst, um den Wächtern Furcht einzujagen. Meint Ihr nicht auch?«

»Nein.«

»So setzt zehn Goldstücke gegen meine hundert!«

»Ich habe keine Goldstücke zum Wetten.«

»Ich borge sie Euch!«

»Danke. Das Gespenst ist nicht wert, daß man seinetwegen auch nur einen Schilling riskiert. Heut abend wird es gefangen.«

»Wa – wa – wa – – was?« fuhr der Englishman auf. »Wer will es fangen?«

»Ich.«

»ihr wollt auf die Dschonke?«

»Ja.«

»Doch nicht allein?«

»Wollt Ihr mit, Sir?«

»Natürlich, natürlich! Mit geküßten Fingerspitzen! Ein Gespenst fangen! Charley, Ihr seid wirklich kein unebener Kerl. Schade, daß Ihr niemals wetten wollt! Ich wollte, Ihr wäret auf Raffley-Castle geboren worden!«

»Als Euer ältester Bruder? Wie stände es da mit Eurem Titel und Erbe?«

»Ich brauchte beides nicht. Ich lebte von der Gespensterjagd.«

»Das läßt sich hören; es soll zuweilen sehr fette und sehr nahrhafte Gespenster geben. Bin neugierig, wie schwer das heutige wiegen wird.«

»Wind – Luft – – kein Gewicht!«

»Wind? Nicht die Spur davon, Sir. Der Wind existiert nur in der Einbildung dieser furchtsamen Singhalesen. Dieses Gespenst ist entweder irgend ein Tier oder ein –--«

»Oder,« fiel er mir in die Rede, »oder ein Mensch, der die Wächter ins Bockshorn jagen und dann die Dschonke besteigen will, um die Chinesen zu befreien.«

»Das glaube ich nicht. Derjenige, welcher die Rolle des Gespenstes spielt, befindet sich an Bord.«

»Beweis!«

»Den Beweis werde ich heut abend liefern. Der Spuk ist am Mittelmast gesehen worden. Wäre er von außen an Bord gestiegen, würde er sich nicht damit begnügen, nur bis an diese Stelle zu gehen.«

»Das ist allerdings wahr. Aber, Charley, da kommt mir ein Gedanke! Vielleicht ist die ganze Geschichte nur ein dummer Witz.«

»Wieso?«

»Es hat sich unter den Soldaten ein Witzbold befunden, welcher die andern fürchten macht.«

»Zwei Abende hintereinander?«

»Ja.«

»Es ist keiner zweimal auf Wache gewesen.«

»So sind zwei Witzlinge da!«

»Schwerlich! Diese Singhalesen haben einen Heidenrespekt vor ihren Vorgesetzten und sind außerdem von Natur nicht zu solchen Schusterjungenstreichen angelegt. Das Gespenst ist kein Witz, und darum werden auch wir Ernst mit ihm machen.«

»Sagen wir dem Mudellier davon?«

»Ja. Ohne seine Erlaubnis dürfen wir nicht auf die Dschonke.«

»Pshaw! Wenn es mir gefällt, gehe ich auch ohne sie an Bord! Doch, wie Ihr wollt, Charley. Nehmen wir Waffen mit?«

»Ist nicht der Rede wert.«

»Höchstens einen tüchtigen Prügel?«

»Mit den Fäusten hat man's bequemer.«

»Well! Der Kerl kann sich gratulieren, wenn er zwischen die meinigen kommt; wenn er es da nicht fertig bringt, sofort zu verschwinden, bearbeite ich ihn so lange, bis er nicht den Geist, sondern als Geist den Körper aufgiebt!«

Als wir dem Mudellier gelegentlich unsere Absicht meldeten, war er hinsichtlich seiner zwar ganz einverstanden mit derselben, hielt es aber doch für seine Pflicht, uns vor dieser Verwegenheit zu warnen. Er war überzeugt, daß es sich um ein überirdisches Wesen handle.

»Es wurde mir vorhin gemeldet,« sagte er, »daß die Mannschaften, welche für heut abend auf die Dschonke bestimmt sind, sich weigern wollten, sie zu betreten. Wenn sie hören, daß Ihr auch hinkommt, werden sie leichter gehorchen. Aber hütet Euch, den Geist anzurufen oder ihn anzufallen! Begnügt Euch lieber damit, zu sehen, woher er kommt und wohin er geht.«

»Dann fliegen wir ihm nach!« sagte Raffley ironisch.

»Spottet nicht, Mylord! Es giebt gute Geister und böse Geister; dieser scheint ein böser zu sein, weil er sich eines so schlimmen Fahrzeugs bemächtigt hat.«

»Dann sind wir beide hier ebenso böse Geister, weil wir die Dschonke erobert haben. Wollen sehen, wer sie nächste Mitternacht räumen wird, er oder wir.«

Es war abends elf Uhr, als wir an Bord stiegen. Wir hatten keine Waffen mitnehmen wollen, aber doch die Revolver zu uns gesteckt, weniger des Gespenstes wegen, als weil man dort gewohnt ist, nie unbewaffnet auszugehen. Die Soldaten saßen auf dem Hinterdecke eng zusammen wie Schafe, die sich vor dem Angriffe eines Raubtieres fürchten, der Lieutenant in ihrer Mitte; so war er sicher, von dem Geiste wenigstens nicht zu allererst aufgefressen zu werden. Ich fragte ihn, ob er etwas Ungewöhnliches zu melden habe, und bekam eine verneinende Antwort. Schon zuckten mir die Lippen, den Leuten ihre Angst vorzuwerfen, doch drängte ich die Worte zurück; was konnten mir diese Feiglinge nützen?

Nun fragte es sich, wo wir uns postieren sollten. Raffley war noch immer der Ansicht, daß der Spuk von außen, also an der Ankerkette heraufkomme, und setzte sich dort nieder. Ich hingegen wollte meine Aufmerksamkeit auf drei Punkte zugleich richten, nämlich auf die Vor- und die Hinterluke und auf den Mittelmast, bis zu dem das Gespenst gestern gekommen war. Meiner Ansicht nach mußte der Geist aus einer der beiden Luken erscheinen; leider konnte ich nicht wissen, aus welcher. Darum kauerte ich mich mittschiffs an der Reiling nieder, wo ich nach beiden Luken zugleich sehen konnte, wenn sie auch nicht so deutlich zu erkennen waren, wie ich gewünscht hätte.

Die Nacht war ziemlich hell. Zwar schien der Mond nicht, und am Himmel standen Wolken; zwischen diesen aber leuchtete hier und da ein Stern hindurch, so daß man von einem Ende des Schiffes aus das andere noch mit dem Blicke erreichen konnte. Die Luft ›stand‹, wie der Seemann sich auszudrücken pflegt; es war kein Hauch zu spüren; folglich mußte der Gespensterwind, wenn er plötzlich zu wehen begann, um so besser und leichter bemerkt werden. Ich freute mich darauf, und wenn ich eine Sorge hatte, so war es nur die, daß es dem Gespenste heut in den Sinn kommen könne, nicht zu erscheinen.

Da schlug es, ich weiß nicht ob auf der holländischen oder wesleyanischen Kirche, zwölf – die Geisterstunde war da, und ich lauschte angestrengter als bisher. Fünf Minuten vergingen, noch fünf! Sollte er doch nicht kommen wollen? Geister pflegen alles zu wissen, und so konnte der unserige nicht darüber in Zweifel sein, was ihn heut erwartete. Wer läßt sich gern erwischen – selbst Gespenster nicht!

jetzt endlich, jetzt gab es an der Vorluke ein Geräusch, einen Knall. Ich blickte scharf hin und sah die Gestalt, welche sich dort aufrichtete. Mit raschen, weiten Sätzen sprang ich hin, warf mich auf den Kerl, riß ihn nieder und hielt ihn fest. Das war so schnell geschehen, daß ich gar nicht Zeit gefunden hatte, den Geist genau zu betrachten.

»Da hab ich dich; du bist zum letztenmal hier erschienen!« zürnte ich ihn an, indem ich ihm die Arme fest zusammenpreßte und das Knie auf den Rücken setzte, mit dem er nach oben lag. »Wo bleibt der Wind, mit dem du stets zu kommen pflegst?«

Da stöhnte das überirdische Wesen unter mir in sehr irdischem Tone:

»Heigh-ho! Seid Ihr des Teufels, Charley? Gebt mir Luft, sonst ersticke ich!«

Alle Wetter, das war ja mein Englishman! Ich ließ ihn los und sah ihn nun erst an. Ja, er war es wirklich! Er stand auf, holte tief, tief Atem und stieß dann hervor:

»Wo habt Ihr denn Eure Augen, daß Ihr Sir John Raffley für ein Gespenst haltet!«

»Ich hielt Euch wirklich für den Spuk, und da mußte es so schnell gehen, daß ich mich nicht erst lange herstellen konnte, um Euch mit Hilfe eines Hydrooxygengas-Mikroskopes zu betrachten. Ich wußte Euch doch am Buganker. Was hattet Ihr denn hier zu suchen?«

»Es kam mir doch ein Zweifel, ob mein Platz dort der richtige sei. Da ging ich her, um einmal hier hinabzulauschen; dabei stützte ich mich auf den angelehnten Deckel und warf ihn um. Einige Augenblicke später lag ich grad so da wie der Deckel, und mein Rückgrat krachte unter Euerm Knie wie ein Holzast, der zerbrochen werden soll. Liebster Charley, der Teufel mag Euch holen! Ihr habt mir ein halbes Dutzend Wirbel und Knochen zu schanden gedrückt!«

»Also der umstürzende Deckel, das war der Knall, den ich hörte! Ihr seid selbst schuld an der Verwechslung. Wäret Ihr vorn im Bug geblieben! Von dort mittschiffs her konnte ich unmöglich sehen, wer es war.«

»Aber nach meinem Geburts- und Taufzeugnisse konntet Ihr mich fragen, ehe Ihr Euch auf mich setztet wie ein Chimborasso auf einen Bisammuff! Alle meine Glieder sind mir ausgerenkt, und ich habe –--«

Er hielt inne und lauschte. Von der hintern Luke her ertönte ein lautes, schrilles und dabei doch dumpfes, brummendes Pfeifen, grad so, wie wenn ein starker Wind um eine scharfe Ecke streicht; eine Luftbewegung aber war nicht zu bemerken. Bei dem Aberglauben und der Furchtsamkeit der Singhalesen jedoch konnte es nicht groß wunder nehmen, wenn sie bei diesem plötzlichen, mitternächtlichen Pfeifen auch den Wind zu spüren meinten. Schon duckte ich mich nieder, um ebenso schnell wie leise hinzuschleichen, da aber schrie Raffley unvorsichtigerweise mit so lauter Stimme, daß es über das ganze Deck schallte.

»Das ist das Gespenst; das ist der Halunke! Schnell, Charley, drauf, schnell drauf!«

Er rannte fort, stürzte aber schon nach wenigen Sprüngen über ein zusammengerolltes Tau, welches ihm im Wege lag, ohne daß er es beachtet hatte. Das mußte natürlich jeden, auch den zahmsten Geist verscheuchen! Ich war gezwungen, das Schleichen aufzugeben, und sprang, obgleich ich in der Eile das Gespenst nicht sah, auf die Hinterluke zu. Wenn ich diese, aus der er jedenfalls gekommen war, besetzte, konnte er uns nicht entgehen. Ich erreichte sie und blieb stehen, um mich nach dem Spuke umzusehen. Ich erblickte ihn; er rannte soeben an dem Mittelmaste vorüber nach vorn, grad auf die Stelle zu, wo Raffley gestürzt war und sich soeben wieder aufraffte. Da er am Boden gelegen hatte, war er von dem Geiste bis jetzt nicht gesehen worden. Da ich zu entfernt stand, diesen letzteren zu ereilen, rief ich dem Lord zu:

»Haltet ihn! Greift schnell zu, Sir; er kommt!«

»Hab ihn schon!« antwortete der Englishman, indem er seine Arme nach dem Flüchtling ausstreckte.

»All devils, haut der zu! Da geht er hin!«

Ich sah trotz des unzureichenden Sternenlichtes, daß der Lord aus irgend einem Grunde – er hatte wohl einen Schlag erhalten, dachte ich – weit zurückprallte; der Geist eilte auf die Vorluke zu, riß den zugefallenen Deckel derselben auf und verschwand in der Oeffnung, doch nicht ohne vorher triumphierend in gebrochenem Holländisch auszurufen:

»Fang doch schön', gut', tapfer Quimbo, wenn du kann, fang tapfer Quimbo«

Schön', gut', tapfer Quimbo! Ich stand starr! Befand ich mich denn auf einer Boerensiedelung am Witteroomberge in Südafrika oder auf einer chinesischen Dschonke im Hafen von Point de Galle? Das war nicht nur die Ausdrucksweise, sondern auch die Stimme meines braven Basuto-Kaffers gewesen; ich hatte sie erkannt trotz der Reihe von Jahren, die zwischen heut und damals lag, wo er mir zum Abschiede seine Schnupfdose schenkte, die jetzt daheim bei meinen sonstigen Raritäten und Reiseerinnerungen lag. Er war es; ja, er war es unbedingt! Aber wie war er auf die Dschonke und in die Gesellschaft der See- und Mädchenräuber gekommen?

Mein Erstaunen war groß, aber es konnte mir doch nur für einen Augenblick die Bewegung rauben. Ich eilte nach vorn, wo der Lord stand, sein Gesicht mit beiden Händen bedeckend.

»Was steht Ihr so?« fragte ich ihn. »Was ist's mit Eurem Kopfe, Sir?«

»Er brummt wie eine Pauke!« antwortete er. »Mir scheint, dieses verteufelte Gespenst hat sich vor Wut den Kopf abgerissen und mir grad in das Gesicht geschleudert.«

»Dann hätte es nicht mehr reden können. Ihr habt doch gehört, was er rief?«

»Gehört? Wie konnte ich etwas hören, wenn mir der Kopf kracht, daß ich denke, er will zerplatzen!«

»Ihr habt heut Pech, Sir, großes Pech!«

»Das ist schon mehr als Pech, teurer Charley. Erst brecht Ihr mir den ganzen Körper und alle meine sämtlichen Extremitäten in Stücke, und dann, wo ich froh bin, daß wenigstens der Kopf ganz geblieben ist, wirft mir dieser schändliche Geist den seinigen an die Nase! War das ein Krach! Ich glaube, ich werde ihn ewig verspüren!«

»Sein Kopf ist's nicht gewesen!«

»Das weiß ich auch, ohne daß Ihr mir's groß zu versichern und zu beteuern braucht! Diese vermeintlich abgeschiedene Seele war ein unvermeintlich lebender Mensch – und was für einer! Er scheint sogar ein sehr kräftiger Mensch zu sein; wenigstens fühle ich den Beweis dafür in meinem Haupte, welches in allen Tonarten brummt und summt. Was mag es nur sein, was er mir in der Hitze des Gefechtes an den Kopf geschleudert hat? Mir scheint, es war entweder die östliche oder die westliche Halbkugel unserer lieben Mutter Erde, vielleicht auch die ganze Kugel auf einmal; die Empfindung, welche ich habe, läßt das letztere vermuten.«

»Wollen einmal suchen.«

Ich blickte umher und sah nicht weit von ihm einen runden, kugelförmigen Gegenstand liegen; ich hob ihn auf und reichte ihn dem Englishman mit den Worten:

»Hier habt ihr den Geisterkopf! Sagt selbst, ob es in jenem transcendenten Leben solche substantiöse Köpfe geben kann!«

»Eine Melone, acht Pfund schwer wenigstens! Und so eine Frucht bekommt grad um Mitternacht ein Lord von alt England an den Kopf geworfen! Wollen wir wetten, Charley?«

»Worüber?«

»Daß ich sie nachher dem Geiste wieder an seinen Kopf werfe?«

»Ich wette nicht mit.«

»Warum? Thut mir doch wenigstens jetzt einmal den Gefallen! Nicht?«

»Nein, denn Ihr würdet die Wette verlieren.«

»Verlieren? Fällt mir gar nicht ein! Er bekommt diese Melone so sicher an den Kopf, wie –--«

»Wie es noch sicherer ist, daß er sie nicht bekommt,« fiel ich ihm in die Rede.

»Meint Ihr denn wirklich, daß ich auf diese süße Rache verzichten werde?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Aus welchem Grunde?«

»Weil ich weiß, daß Ihr den Kopf eines guten Freundes von mir nicht mit acht Pfund schweren Melonen bombardieren werdet.«

»Bin ich nicht auch ein guter Freund von Euch?«

»Allerdings.«

»Hat er nicht trotzdem den meinigen bombardiert?«

»Leider, doch ohne Euch zu kennen!«

»Ich kenne ihn auch nicht. Aber sagt einmal, seit wann sind denn Eure guten Freunde in der Gespensterwelt zu suchen?«

»Seit heute. Doch ohne Scherz: dieses Gespenst ist wirklich ein Bekannter von mir.«

»Was Ihr sagt!«

»Ein treuer Diener, ein Basuto-Kaffer, der mich monatelang auf einem Ritte durch das Boerenland begleitet hat. Er heißt Quimbo und ist ein Kerlchen, über das Ihr Eure helle Freude haben werdet.«

»Charley, Euer Wort in Ehren, aber wenn ich Euch nicht besser kennen gelernt hätte, würde ich jetzt darauf schwören, daß Ihr flunkert. Dieser Mann muß doch schon mit den Girl-Robbers an Bord gewesen sein?«

»Allerdings.«

»Und dennoch nennt Ihr ihn einen braven Kerl?«

»Das war er unbedingt.«

»Kann es aber unmöglich mehr sein!«

»Ist es noch! Mein Quimbo wird nie ein Räuber, ein Verbrecher werden.«

»So irrt Ihr Euch; Ihr habt den Geist verkannt.«

»Ich weiß ganz gewiß, daß er es ist.«

»Aber bedenkt, Charley, wie soll ein Kaffer aus dem Innern von Südafrika unter ostasiatische Seeräuber geraten!«

»Das werden wir von ihm erfahren. Uebrigens gehören die Basuto eigentlich zur Familie der Betschuanen; da diese aber mit den Kaffern verwandt sind, bediene ich mich wie viele andere dieser letzteren Bezeichnung. Quimbo hat sich gut versteckt gehalten, wahrscheinlich ganz unten im Ballastraume, an den ich nicht gedacht habe, als wir heut und gestern suchten. Er hätte die Chinesen heimlich losbinden können; dann wären sie sicher ausgebrochen und entkommen. Daß er dies nicht gethan hat, ist ein Beweis, daß er sich nicht als den Ihrigen betrachtet. Wir wollen hinab, um ihn zu suchen.«

»Da brauchen wir Licht.«

»Das finden wir in der Kapitänskajüte, die ja beinahe pompös eingerichtet ist. Kommt!«

»Müssen wir nicht vorher mit diesen singhalesischen Gardegrenadieren sprechen und uns für den Mut bedanken, den sie entwickelt haben?«

»Ja, das wollen wir, damit sie dann wenigstens wissen, woran sie sind.«

Diese tapfern Helden saßen noch immer eng und ängstlich zusammengedrängt da, wo sie vorher gesessen hatten. Als wir zu ihnen kamen, fragte der Lieutenant:

»Mylords, ist er fort, der Geist? O, das war schrecklich, sehr schrecklich!«

»Nein, er ist nicht fort,« antwortete ich.

»Er ist aber doch nicht mehr zu sehen!«

»Er befindet sich noch im Schiffe; er ist hinunter in den Raum gestiegen.«

»Nicht in der Luft davongeflogen? Noch immer da? Wie können wir da hier bleiben?«

»Ihr seid Memmen, feige Memmen! Es war kein Geist, kein Gespenst, sondern ein Mensch, ein armer Mensch, den die Girl-Robber gezwungen haben, auf ihrem Schiffe zu leben. Wir werden jetzt hinuntergehen und ihn heraufholen, um ihn euch zu zeigen. Dem Mudellier aber werde ich sagen, was für mutige Männer er auf diese Dschonke geschickt hat, um die gefangenen Räuber zu bewachen!«

Er sank mit einem Seufzer wieder zusammen. Ob es ein Seufzer der Erleichterung oder der Angst vor dem Mudellier war, das konnte ich nicht sagen; jedenfalls aber hatte dieser hohe Beamte kein Recht, seine Untergebenen zu schelten, denn er war ebenso abergläubisch wie sie.

Wir beide gingen nun zunächst in die Kapitänskajüte, wo wir Licht anbrannten; dann stiegen wir in den Raum, welcher den Chinesen als Gefängnis diente. Wir untersuchten ihre Fesseln und hatten nichts daran auszusetzen. Dann forschten wir nach Quimbo, welcher in keiner Abteilung des eigentlichen Schiffsraumes zu finden war. Hierauf ging es durch eine kleine Oeffnung noch tiefer, wo der Ballast lag, um das Gleichgewicht des Schiffes herzustellen. Schon an der auf dem Kielschweine errichteten Gebelung erkannte ich, daß der Ballast aus Sand bestand, dessen Uebergehen sie verhindern sollte. Ich leuchtete mit dem Lichte rundum – Quimbo war nicht zu sehen. Dafür aber sah ich etwas anderes, was auf seine Anwesenheit schließen ließ. Raffley aber schien dies nicht zu bemerken, denn er sagte im Tone der Enttäuschung.

»Hier auch nichts! Wenn ich abergläubisch wäre, so würde ich jetzt sagen, daß wir es doch mit einem Gespenste und nicht mit einem Menschen zu thun haben. Euer sogenannter Quimbo ist spurlos verschwunden.«

»Spurlos? Wirklich?«

»Yes. Wir haben oben alles durchsucht, ohne ihn zu finden, und hier ist er erst recht nicht. Oder sind die Basuto-Kaffern imstande, sich unsichtbar zu machen?«

»Gar nicht. Sie können ebensowenig verschwinden wie andere Menschen.«

»Dieser Quimbo aber ist fort, absolut fort, ohne das geringste Zeichen von seinem Dasein zu hinterlassen!«

»Da dürftet Ihr Euch irren.«

»Nein!«

»Doch!«

»So? Wollen wir wetten?«

»Worüber?«

»Daß Euer berühmter Kaffer auch nicht hier in diesem Ballastraume ist.«

»Nein, ich wette nicht mit.«

»Aber warum denn nicht?«

»Weil ich die Wette gewinnen und Euch das Geld abnehmen würde, Sir John Raffley.«

»Unsinn! Wenn Ihr das so genau wißt, so solltet Ihr erst recht wetten. Ich denke aber, daß es mit dieser Genauigkeit nicht sehr weit her sein wird.«

»Oho! Ich habe die Spur des Verschwundenen, und Ihr wißt, daß, wenn ich einmal die Spur einer Person habe, ich diese Person auch ganz gewiß finde.«

»ja, das weiß ich; aber wo ist diese Spur?«

»Hier im Sande.«

»Wo denn? Ich sehe sie nicht.«

»Da vor uns und rechts ist der Sand oben glatt, dort links aber, was seht Ihr dort?«

»Eine Erhöhung, weiter nichts.«

»Weiter nichts? Ich denke, das ist genug!«

»Wieso?«

»Unter dieser Erhöhung steckt der, den wir suchen; er hat sich dort eingewühlt.«

»Da müßte er ersticken!«

»Nein. Bemerkt Ihr denn nicht, daß die Erhöhung hinten eine Vertiefung, ein Loch hat?«

»Ja, das sehe ich wohl.«

»Nun, dieses Loch führt ganz gewiß zum Kopfe, zum Munde des Kaffers, damit er Atem holen kann. Und was liegt dort in der Ecke am Boden?«

»Hm! Melonenschalen.«

»Schön! Hoffentlich könnt Ihr Euch erklären, wie die dorthin gekommen sind?«

»Verlangt Ihr etwa, daß ich mir wegen dieser Melonenschalen den Kopf zerbrechen soll?«

»Nein. Man kann das erraten, auch ohne den Kopf dabei in Gefahr zu bringen. Quimbo hat doch essen und trinken müssen. Er ist darum mitternächtlich an Deck gestiegen und hat den Geist gespielt, um sich Melonen zu holen, während die Wachen vor Angst bis an das äußerste Ende des Schiffes liefen.«

»Hm! Dann wäre dieser Quimbo ein recht pfiffiger Kerl, was man von einem Kaffer nicht erwartet.«

»Er ist nicht dumm. Ich werde ihn gleich citieren. Quimbo, bist du da?«

Es erfolgte keine Antwort.

»Quimbo, ich weiß, daß du dort im Sande steckst. Komm hervor! Es wird dir nichts geschehen.«

Wieder keine Antwort. Seit wir uns zum letztenmal gesehen hatten, waren Jahre vergangen; er kannte meine Stimme wohl nicht mehr; übrigens hatte dieselbe in diesem niedrigen feuchten Raume einen dumpfen Klang. Da ging ich näher hin und sagte:

Kennst du mich nicht mehr? Ich bin das gut', lieb' Deutschland, mit dem du damals bei dem Boer van het Roer gewesen bist. Komm heraus!«

Es war nämlich seine Gewohnheit gewesen, statt Engländer England, statt Franzose Frankreich, statt Deutscher Deutschland zu sagen. Diese meine letzten Worte hatten Erfolg; der Sand bewegte sich, und eine Stimme fragte aus demselben hervor:

»Gut' lieb' Deutschland, was hab' bekomm' Dose von schön , gut', tapfer Quimbo?«

»Ja.«

»Was hab' reit' mit schön Quimbo bis hinauf nach Groote-Kloof und kämpf mit viel Zulukaffer?«

»Ja.«

»Mijn tijd, mijn tijd! Wenn lieb', gut' Deutschland da, dann bin Quimbo auch da! Schön', gut', tapfer Quimbo gleich schnell komm' aus Sand heraus!«

Der Sand wurde auseinander getrieben, und der ›schöne‹ Quimbo erschien in all der Glorie, die ihm eigen war. Zunächst kam die hohe Frisur, welche genau die Gestalt und Höhe wie früher hatte; hierauf folgte das bartlose Basuto-Gesicht mit der Stumpfnase, dem breiten Munde und den kleinen Aeuglein, welche sich mit einem forschenden Blicke auf mich richteten. Er erkannte mich, öffnete, um einen Jubellaut heraus zu lassen, den Mund von einem Ohre bis zum andern und fuhr so schnell vollends aus dem Sande, daß er mit dem Kopfe an die niedrige Decke stieß. Die zärtlich geliebte Frisur wurde dadurch zusammengedrückt; er achtete aber vor Entzücken, mich zu sehen, gar nicht darauf, sprang über die Gebelung herüber, ergriff meine beiden Hände und rief:

»O Deutschland, o lieb', gut' Deutschland! Wie freu sich schön', tapfer Quimbo, daß seh' wieder sein Deutschland! Quimbo muß geb' Kuß auf alle Hände von Mynheer Deutschland!«

Er küßte mir ›alle‹ Hände mit einer Innigkeit, durch die sie in die größte Gefahr gekommen wären, wenn sie aus Schokolade oder Marzipan bestanden hätten; glücklicherweise waren sie aus einem weniger vergänglichen Stoffe und hielten die feurige Liebkosung leidlich aus. Seine Freude schien eher zu wachsen anstatt sich zu beruhigen, denn er ließ plötzlich meine Hände los, warf mir seine Arme um den Hals, drückte mich an sich, oder vielmehr sich an mich, spitzte die Lippen und machte mit ihnen eine so schnelle und unvorhergesehene Bewegung nach meinem Munde, daß ich kaum genügend Zeit fand, mit dem Gesichte eine solche Wendung zu machen, daß die Zärtlichkeit des Attentäters auf meiner Wange anstatt auf der von ihm aufs Korn genommenen Stelle explodierte. Er schien auf diesen Fehlschuß einen besser gezielten thun zu wollen, aber ich drängte ihn von mir ab und sagte:

»Laß das, Quimbo! Ich weiß, daß du dich über dieses Wiedersehen ebenso freust wie ich; das mag für jetzt genügen. Ich bin natürlich außerordentlich erstaunt, dich hier zu sehen, so fern von deiner Heimat und auf einem Räuberschiffe!«

»O, Mynheer Deutschland, schön', gut', tapfer Quimbo bin nicht Dieb und bin auch nicht Räuber, sondern bin nur Diener auf Schiff von Girl-Robber.«

»Du hast dich also an den Missethaten dieser Menschen nicht beteiligt, Quimbo?«

Er zog seine schrecklichste Grimasse, was der Ausdruck der heiligsten Beteuerung sein sollte, schlug sich mit beiden Fäusten an die Brust und rief:

»Quimbo nicht mach' mit, was sie hab' mach'; Quimbo bin fangen von Räuber und muß mach' rein das Schiff und bedien' Kapitän.«

»So! Du wirst mir alles erzählen, doch nicht hier, sondern oben, wo wir es bequemer haben. Komm mit herauf!«

»Hinauf? Wo bin viel Soldat?«

»Ja.«

»Was mach' Soldat, wenn seh' schön', tapfer Quimbo? Werd' Soldat nehm' fangen arm' unschuldig Quimbo?«

»Nein, du stehst unter meinem Schutze.«

»Gut' Quimbo bin frei?«

»Ja.«

»Quimbo darf geh' nach Basutoland?«

»Ja.«

»Oder darf geh' und fahr' nach Tjelatjap?«

»Tjelatjap? Was ist das?«

»Schön' Stadt, wo wohn' Mynheer Bontwerker.«

»Wer und was ist dieser Mynheer?«

»Das bin Mynheer Bontwerker in Tjelatjap.«

»Tjelatjap! Wo liegt diese Stadt?«

»Auf weit', groß', schön' Insel.«

»Wie heißt diese Insel?«

»Heiß' Seraju.«

»Seraju? Tjelatiap? Sir John, ist vielleicht Euch einer von diesen zwei Namen bekannt?«

»Nein,« antwortete der Englishman kopfschüttelnd.

»Mir auch nicht – – oder doch! Mich macht der Name der Insel irre. Seraju ist ein Fluß.«

»Ja, Seraju bin Fluß, hab' viel Wasser,« stimmte Quimbo bei.

»Du sagtest aber doch, es sei eine Insel! Du scheinst dich da zu irren?«

»ja, schön', gut', tapfer Quimbo bin irre.«

»Seraju ist ein Fluß auf der Insel Java.«

Da spreizte der Kaffer vor Vergnügen seine zehn Finger weit auseinander und schrie:

»Java! Java! Mynheer Deutschland hab' treff richtig Namen von groß Insel; Mynheer bin viel, groß, klug, gescheit Mynheer!«

»Und nun kann ich mich auch auf Tjelatjap besinnen. Das ist ein Hafenort an der Südküste von Java, in dessen Nähe der Seraju in das Meer mündet.«

»Ja, Seraju lauf in Wasser von Meer.«

»Kennst du denn diese Stadt und diesen Fluß?« fragte ich erstaunt.

»Schön', klug' Quimbo kenn Stadt und kenn Fluß; Quimbo bin fahr' auf Fluß und hab wohn' in Stadt.«

»Merkwürdig, wirklich höchst merkwürdig, Sir John! Denkt Euch nur: dieser Basutomann ist bis nach Java gekommen! Das ist ja kaum zu glauben! Wer sollte das für möglich halten! Er muß es uns oben erzählen. Kommt jetzt herauf!«

»Oben an Deck?« fragte der Lord. »Ist es nicht besser, gleich das Hotel aufzusuchen? Dort haben wir es viel bequemer.«

»Ich bleibe lieber hier an Bord. Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir durch das, was wir von Quimbo erfahren, Veranlassung bekommen, die Gefangenen ins Gebet zu nehmen.«

»Well. In der Kapitänskajüte ist es auch nicht übel. Gehen wir also hinauf.«

Als wir das Zwischendeck passierten, wo die Räuber angebunden waren, stieß der Kapitän einen leichten Fluch aus, jedenfalls vor Grimm darüber, daß wir Quimbo gefunden hatten, von dem wahrscheinlich vieles zu erfahren war, was verschwiegen bleiben sollte. In der Kajüte angekommen, sagte der Kaffer:

»Schön', gut', tapfer Quimbo werd' erzähl', werd' aber vorher ess', hab groß', viel Hunger, weil nicht hab bekomm' Melon' für ess'!«

Zu essen gab es genug. Er aß mit einem wahren Heißhunger. Als er sich gesättigt hatte, forderte ich ihn auf, seine Erlebnisse von der Zeit unsers damaligen Abschieds an zu erzählen. Er war sehr gerne bereit dazu, setzte sich mit wichtiger Miene in Positur und begann seinen Bericht – – -aber was für einen! Das ging schnell, ohne Betonung und Unterbrechung in einem fort, wie bei einer Windmühle, deren Flügel in den Wind gestellt worden sind. Wer konnte alle diese unmöglichen Ausdrücke verstehen und sich in diesen Orts- und Namensverwechslungen zurechtfinden! Die Grimassen, welche wir dabei zu sehen bekamen, waren wahrhaft großartig; er sprach mit einem Eifer, als ob sein Leben davon abhänge, ja nicht die geringste Pause zu machen; er brachte in einer halben Minute mehr Ausdrücke aus seiner Muttersprache, aus der holländischen, englischen und malayischen, als man an einem ganzen Tage auseinander klauben konnte. Raffley sah mich erst ganz erstaunt an; dann schüttelte er den Kopf; hierauf ließ er seinen Klemmer auf die Nasenspitze springen, um den Erzähler über die Gläser hinweg anzustarren, und endlich, als er es nicht länger aushalten konnte, sprang er auf, streckte beide Hände abwehrend gegen Quimbo aus und schrie ihn an:

µ Stop! Mensch, willst du uns um unsern Verstand bringen! Welches vernünftige Wesen kann das anhören, ohne eine vollständige Zerrüttung seiner Nerven davonzutragen! Sprich langsamer; man kann ja kein einziges Wort verstehen!«

Quimbo klappte den Mund zu, ließ seine rollenden Augen zwischen Raffley und mir hin und her wandern und fragte dann ganz erstaunt:

»Schön', gut', tapfer Quimbo sprech' nicht richtig? Er sprech doch mit Mund! Mit was anders soll denn Quimbo sprech'?«

»Natürlich nicht mit den Ohren!« antwortete Raffley. »Langsamer sollst du reden, langsamer, damit man dich verstehen kann!«

»Warum kann Mynheer nicht versteh' Quimbo? Quimbo sich versteh' doch auch!«

Da stieß Sir John ein schallendes Gelächter aus und rief mir zu:

»Ihr habt sehr recht gehabt, Charley, sehr recht. dieser schön', gut', tapfer Quimbo ist ein Prachtkerl! Good god! mir ahnt schon jetzt, was wir alles mit ihm und an ihm erleben werden. Er mag weiter erzählen; aber seid so gut und legt vorher seiner Zunge einen tüchtigen Hemmschuh an!«

Ich kam dieser Aufforderung zwar nach, konnte mich aber nicht des geringsten Erfolges rühmen, denn als Quimbo von neuem begonnen hatte, ging die Mühle wo möglich noch schneller als vorher; ich schnitt ihm darum die Rede ab und sagte:

»Hör auf! Wir verstehen wirklich nicht, was du erzählst. Ich werde lieber fragen, und du antwortest mir; das wird besser sein.«

»Ja!« nickte er, mit mir einverstanden. »Quimbo bin dann auch besser, denn Quimbo dann weiß, was red'; wenn aber arm' Quimbo allein red', er nicht weiß, was soll red'.«

»So sag mir also zunächst, wohin du damals gegangen bist, nachdem wir uns getrennt hatten.«

»Arm', unglücklich Quimbo bin geh' nach Cape-town.«

»Nach der Kapstadt? Warum nicht zu den Basuto, in deine Heimat?«

»Quimbo nicht will hin; Quimbo will fort, weit fort, damit Quimbo nicht mehr seh' Gegend, wo bin gewesen, und nicht mehr seh' Menschen, die hab' kenn Mietje.«

»Ah, Mietje! Du warst traurig darüber, daß dieses Mädchen sich verheiratete?«

»Ja, schön' Quimbo bin sehr traurig. Quimbo will sein Gemahl von Mietje; warum Mietje nicht will hab Quimbo Gemahl? Quimbo bin doch schön" gut', tapfer Gemahl! Quimbo bin darum geh' weit fort bis Cape-town, wo sind Mynheer Bontwerker, welcher hab' sehr gern Quimbo, und Quimbo werd' Diener von Mynheer Bontwerker.«

»Er engagierte dich als Diener? So mußt du doch auch wissen, was dieser Mynheer war?«

Ehe Quimbo antworten konnte, fiel Raffley ein:

»Ich habe in Cape-town einen Mr. Bontwerker kennen gelernt. Er war ein reicher, unverheirateter Diamantenhändler, der mir beim Lieutenant-Gouverneur vorgestellt wurde. Er hatte, wie er mir erzählte, einen auch unverheirateten, ältern Bruder auf einer der Sunda-Inseln und –--«

Er hielt mitten in seiner Rede inne.

»Weiter! Warum unterbrecht Ihr Euch?«

»Weil – – – ah, sollte Quimbo denselben Gentleman meinen?«

»Werden es gleich erfahren. Quimbo, womit beschäftigte sich dieser Mynheer Bontwerker?«

»Kauf' Edelstein und Diamant,« antwortete der Kaffer.

»Hatte er eine Frau?«

»Hab nicht Frau; Quimbo hab auch nicht Mietje; darum er und Quimbo allein beisammen.«

»Aber er hatte einen Bruder?«

»Hab Bruder in Tjelatjap, welcher plötzlich sterben. Mein Herr fahr hin mit Schiff, um erben, und Quimbo fahr mit.«

»Also doch! So, so ist es gewesen! Dein Mynheer beerbte seinen Bruder und ging darum per Schiff nach Java. Weiter! Blieb er dort wohnen?«

»Nein. Fahr wieder heim nach Cape-town.«

»Wann?«

»Bin bleib vier Monat in Tjelatjap, steck dann ein groß', viel Geld von tot Bruder und geh mit Quimbo auf Schiff, um fahr heim.«

»Weiter! Es kommt mir eine Ahnung, aber keine gute. Die Fahrt war keine glückliche?«

»Nein. Quimbo und Mynheer komm nicht heim.«

»Warum nicht?«

»Weil plötzlich bin da auf Wasser viel, sehr viel Praue, mit Räuber, welche steig auf Schiff und mach tot Kapitän und all Matros'.«

»Dachte es mir! Die Schiffsbesatzung wurde ermordet. Was geschah mit den Passagieren? Waren ihrer viele da?«

»Nur schön', gut' Quimbo mit Mynheer. Räuber schaff' all' ganz' Sach' von Schiff auf Praue und verbrenn dann Schiff. Schaff Quimbo und Mynheer auch mit auf Praue.«

»Wo geschah das? In welcher Gegend?«

»Quimbo nicht weiß. Quimbo und Mynheer bald komm' auf Land, wo bin 'fangen bei Räuber.«

»Wie lange.«

»Viel, viel Tag, viel Woche; Quimbo hab nicht zähl'; aber es bin sehr viel lang Zeit.«

»Weißt du auch nicht, an welchem Orte ihr gefangen gehalten wurde?«

»Heiß' Hu-Niao.«

»Hu-Niao! Das wird wohl wieder eine Verwechslung sein. Hast du diesen Namen richtig gemerkt?«

»Schön', gut', tapfer Quimbo bin richtig.«

»Hm! Hu-Niao ist ein chinesischer Name und heißt Tiger-Vogel; es kommt mir sehr unwahrscheinlich vor, daß dies der Name eines Ortes sein soll. War es eine Insel?«

»Bin nicht Insel.«

»Also Festland?«

»Bin nicht Festland.«

»Weder Insel noch Festland? Was meinst du da? Wahrscheinlich Halbinsel. Es war eine Insel, die mit dem Lande zusammenhing?«

»Hu-Niao bin eine Insel mit Weg nach Land.«

»Also richtig, eine Halbinsel. Weißt du, zu welcher größeren Insel sie gehört, oder zu welchem Lande?«

»Quimbo nicht wissen.«

»Hast du denn nicht mit deinem Mynheer darüber gesprochen? Der hat es wahrscheinlich gewußt.«

»Quimbo nicht darf red' mit Mynheer.«

»So warst du von ihm getrennt?«

»Nicht ihn hab mehr seh'.«

»So weißt du also auch nicht, ob er noch lebt?«

»Mynheer bin nicht tot; Mynheer leb' in Hu-Niao; Räuber ihm geh' ess' und trink'.«

»Ist das kein Irrtum? Du bist ja getrennt von ihm gewesen und weißt also nichts Sicheres.«

»Quimbo weiß sicher, denn Mynheer es sag, noch ehe trenn' von ihm. Mynheer muß schreib' Brief, weil Räuber will hab' noch mehr Geld.«

»Ach! Wohin ist der Brief gegangen?«

»Tjelatjap.«

»Weißt du das genau? Besinne dich! Dieser Punkt ist außerordentlich wichtig.«

»Mynheer hat es sag' schön' Quimbo.«

»Dann muß es wahr sein. Er hat es dir also schon gesagt, ehe ihr an das Land geschafft wurdet, denn dann trennte man euch. Was hast du während deiner Gefangenschaft gethan?«

»Quimbo bin faullenz, bis muß mit auf Schiff.«

»Hast du von dem Mynheer erfahren, an wen in Tjelatlap der Brief gerichtet war?«

»Mynheer nicht sag.«

»Hast du die Halbinsel Hu-Niao gut kennen gelernt?«

»Quimbo nicht lern' kenn'. Arm Quimbo bin eingesperrt, sehr ganz eingesperrt.«

Ich hatte noch mehr Fragen auf der Zunge; aber Raffley, der zuletzt mit sichtbarer Aufregung zugehört hatte, fiel jetzt ein:

»Laßt Euern Quimbo jetzt in Ruhe, Charley; er kann Euch doch keine Auskunft erteilen; er ist eben –-- ein richtiger, echter Quimbo.«

»Aber, Sir, es handelt sich hier um höchst wichtige Dinge! Ich muß unbedingt wissen, wo –--«

»Wo Mr. Bontwerker steckt?« unterbrach er mich abermals.

»Ja.«

»Das werdet Ihr von Quimbo niemals erfahren.«

Von wem sonst? Wißt Ihr jemand, an den man sich da wenden könnte?«

»Ja.«

»Wer ist's'?«

»Die Girl-Robber sind's.«

»Pshaw! Die verraten nichts.«

»Das kommt ganz darauf an, wie man mit ihnen spricht. Wollen einmal hinunter zu ihnen steigen und sie ins Verhör nehmen. Nur möchte ich Euch bitten, dieses Verhör mir zu überlassen.«

»Mit größtem Vergnügen, Sir! Ich verzichte sehr gern auf etwas, was ich für vergeblich halte.«

»Ihr meint also, daß ich von diesen Kerls nichts hören und nichts erfahren werde?«

»Ja, das meine ich.«

»Bedenkt, daß sie jedenfalls dem Tode geweiht sind!«

»Eben weil ich dies bedenke, bin ich überzeugt, daß Ihr ihnen nichts entlocken werdet.«

»Vielleicht erleichtern sie ihr Gewissen!«

»Das könnt Ihr nur von Leuten erwarten, welche Christen sind. Hier aber habt Ihr es mit Leuten zu thun, welche weder Religion noch Gefühl, weder Furcht noch Hoffnung haben. Ihnen ist alles gleichgültig, selbst auch der Tod.,«

»Aber ich muß unbedingt von diesem Bontwerker erfahren; ich bin überzeugt, daß er derselbe ist, den ich kennen gelernt habe.«

»Natürlich ist er es.«

»Ausgeraubt von diesen Schuften, sitzt er nun in irgend einem verborgenen Winkel gefangen. Wißt Ihr, was ich mir vorgenommen habe?«

»Ich errate es.«

»Nun? Was?«

»Ihr wollt ihn befreien.«

»Richtig! Da muß ich aber vor allen Dingen erfahren, wo er steckt. Nicht?«

»Allerdings.«

»Das sollen mir jetzt die Gefangenen sagen.«

»Sie sollen, aber sie werden es nicht; das sage ich Euch im voraus; doch, versucht immerhin Euer Heil!«

Wir stiegen wieder in das Zwischendeck hinab, nahmen aber Quimbo nicht mit. Der Lord wendete sich natürlich zunächst an den Kapitän, erhielt aber keine Antwort. Mochte er mahnend oder zornig drohend reden, der Chinese öffnete den Mund nicht ein einziges Mal. Hierauf versuchte es Raffley mit den übrigen; er hatte ganz denselben Erfolg oder vielmehr Mißerfolg: es wurde ihm keine einzige seiner Fragen beantwortet. Darüber ergrimmt, warf er mir die Frage zu:

»Soll ich diese Hunde peitschen lassen?«

»Habt Ihr das Recht dazu, Sir?«

»Pshaw! Ob ich es habe oder nicht, das ist mir höchst gleichgültig; ich thue, was ich will.«

»Nutzlos!«

»Wollen doch sehen!«

»Meinetwegen! Eine tüchtige Tracht Prügel ist jedem hier zu gönnen; aber Ihr würdet ihnen dadurch nur ein Vergnügen machen!«

»Ein Vergnügen? Sonderbarer Geschmack! Wem kann eine Tracht Prügel Vergnügen bereiten?«

»Diesen verstockten Barbaren hier. Sie wissen ganz genau, daß der sichere Tod ihrer wartet, daß es keine Hoffnung, keine Gnade für sie giebt, und da werden sie sich hüten, Euch ihre Geheimnisse zu verraten. Je dringlicher Ihr Euch zeigt, desto größer wird ihre Schadenfreude sein. Leuten, denen Gott und Teufel, Himmel und Hölle, Seligkeit und Verdammnis ganz gleichgültige Dinge und Begriffe sind, ist selbst in der Todesstunde nichts zu entlocken.«

»Aber ich muß unbedingt erfahren, wo dieser Mr. Bontwerker zu suchen ist.«

»Von diesen Schurken hier erfahrt Ihr es sicher nicht. Es giebt da andere Wege.«

»Welche?«

»Ihr wolltet ja überhaupt nach Java. Dampft hin, nach Tjelatjap, wohin er seinen Brief hat richten müssen!«

»Aber an wen hat er geschrieben? Das weiß man nicht.«

»Man kann es dort erfahren.«

»Schwerlich. So ein Brief wird geheim gehalten.«

»Und ich mache mich dennoch anheischig, es innerhalb des ersten Tages zu erfahren.«

»Das soll ein Wort sein! Wollt Ihr mit?«

»ja. Ich war schon vorher so ziemlich entschlossen dazu; nun gehe ich bestimmt mit. Wir müssen erfahren, wohin die Antwort auf Bontwerkers Brief verlangt worden ist.«

»Und wenn wir das nicht erfahren? Sollte sein Aufenthalt nicht noch in anderer Weise zu entdecken sein?«

»Will einmal versuchen. Beobachtet die Augen des Kapitäns genau, wenn ich jetzt mit ihm spreche; ich denke, er wird erst höhnisch lächeln, dann aber erschrecken.«

»Was wollt Ihr ihm sagen?«

»Werdet es gleich hören. Ich bin überzeugt, daß Quimbo den chinesischen Namen nicht richtig gemerkt hat.«

Es versteht sich von selbst, daß wir jetzt englisch gesprochen hatten und von den Chinesen entweder gar nicht oder nur schlecht verstanden worden waren. Jetzt hielt ich das Licht so, daß das Gesicht des Kapitäns hell beleuchtet war, und sagte in seiner Muttersprache:

»Willst du mir wohl deinen Namen nennen?«

Er antwortet nicht; kein Zug seines Gesichtes verriet, daß er meine Worte gehört hatte.

»Auch möchte ich gern wissen, wo Mynheer Bontwerker, euer Gefangener, steckt,« fuhr ich fort.

Ganz dieselbe Starrheit und Schweigsamkeit.

»Dein Schweigen nützt nichts,« sprach ich weiter. »Wir finden ihn doch, denn wir werden nach dem Hu-Niao fahren.«

ich betonte diesen chinesischen Namen, von dem Quimbo behauptet hatte, daß es der richtige sei. Der Kapitän horchte einen Augenblick überrascht auf; dann ging ganz so, wie ich es erwartet hatte, ein Zug höhnischer Befriedigung über sein Gesicht. Ich that, als ob ich das nicht bemerkte, und fügte schnell hinzu:

»Da habe ich mich versprochen; ich meinte die Hu-Kiao, nach der wir fahren werden.«

Ich nahm ihn bei diesem Worte, welches sich nur durch das K anstatt des N von dem vorherigen unterschied, scharf in das Auge und bemerkte mit innerer Freude, daß er erschrak, sich aber Mühe gab, dies nicht sehen zu lassen. Ich war zufriedengestellt, wendete mich ab und verließ, von Raffley gefolgt, das Zwischendeck. Oben angekommen, fragte er mich:

»Was hatten diese Fragen für einen Zweck? Ihr sagtet, Ihr hättet Euch versprochen; ich habe aber nichts davon bemerkt.«

»Nicht? Aber sein Gesicht habt Ihr beobachtet?«

»Yes

»Sahet Ihr etwas?«

»Yes. Erst lachte er heimlich und schadenfroh; dann aber schien er zu erschrecken.«

»Ganz richtig! Ihr wißt, daß ich schon vorher nicht glaubte, daß Hu-Niao, Tigervogel, der Name eines Ortes sein könnte. Quimbo mußte sich entweder verhört oder das Wort schlecht gemerkt haben. Ich suchte nach ähnlichen Wörtern und fand Kiao anstatt Niao. Hu-Kiao heißt Tigerbrücke, und so kann ein Ort recht wohl heißen. Es handelt sich um eine Halbinsel oder, wie Quimbo sich in seiner Weise auszudrücken beliebt, um eine Insel, von der aus ein Weg an das Land führt. Unter diesem Wege, diesem schmalen Landstreifen, welcher die Insel mit dem Festlande verbindet, ist sehr wahrscheinlich die ›Tigerbrücke‹ zu verstehen.«

»Möglich. Aber wo mag diese Halbinsel liegen?«

»Kaum anderswo als an der Küste von Sumatra. Wir werden nach ihr suchen.«

»Nach ihr suchen? In welcher Weise? Etwa so, daß wir ganz Sumatra umfahren und bei jeder Halbinsel fragen, wie sie heißt?«

»Nein; ich meine, daß wir auf den Karten nach ihr forschen werden, Sir John.«

»Well; das lasse ich mir eher gefallen; aber dazu ist wohl morgen auch noch Zeit.«

»Natürlich. Wir haben hier unsern Zweck und noch viel mehr erreicht und wollen die Angelegenheit zunächst einmal beschlafen.«

Wir verließen das Schiff, nachdem wir den Soldaten die größte Wachsamkeit anbefohlen hatten. Natürlich nahmen wir Quimbo mit, der im Hotel einen besseren und bequemeren Platz fand, als sein Versteck unten im Ballastraum der Dschonke gewesen war.

Am darauffolgenden Morgen saßen wir noch beim ersten Frühstücke, als der Mudellier schon zu uns kam, um sich nach dem Ergebnisse unserer Gespensterjagd zu erkundigen. Raffley erzählte es ihm und knüpfte hieran einige scharfe Bemerkungen in Beziehung auf den Aberglauben, den nicht nur die Wächter, sondern auch deren oberster Vorgesetzter gezeigt hatten. Dies brachte den Mudellier in eine Verlegenheit, aus der er sich dadurch zu helfen suchte, daß er eine wichtige Amtsmiene annahm und von uns verlangte, ihm Quimbo auszuliefern, weil sich dieser in doppelter Weise straffällig gemacht habe. Ich lachte einfach darüber; Sir John aber sah ihn erstaunt an und fragte:

»Doppelt straffällig? Wie so?«

»Er hat die Soldaten in Schreck gejagt; schon das muß streng bestraft werden, und sodann – – –«

»Und sodann? Was noch?« fiel ihm der Englishman in die Rede.

»Und sodann die Hauptsache: dieser Mensch ist auf der Dschonke betroffen worden und also ebensogut ein Seeräuber wie die Chinesen. Er muß grad so streng bestraft werden wie sie, und es ist meine Pflicht, ihn arretieren und einsperren zu lassen.«

Da rutschte der Klemmer schnell vor auf die Nasenspitze, und der Besitzer dieser beiden Gegenstände fuhr den Mudellier an:

»Was fällt Euch ein, Sir! Habt Ihr vielleicht vergessen, was ich bin?«

»Nein.«

»Nun, was? Ich meine nämlich mein Verhältnis zu seiner Herrlichkeit, dem General-Gouverneur.«

»Ihr seid ein Verwandter dieses hohen Herrn.«

»Schön! Und wer ist der Gentleman, den Ihr hier neben mir sitzen seht?«

»Euer Freund.«

»Ebenso schön! Und was ist dieser Quimbo, den Ihr einen Seeräuber zu nennen beliebt?«

»Er ist ein – ein – – ein – – –«

Er stockte; da fuhr Raffley an seiner Stelle fort:

»Quimbo ist der Diener dieses Gentleman. Was folgt daraus? Könnt Ihr mir das sagen?«

»Nein,« gestand der Mudellier, dem es bei dem herrischen Tone des Engländers bang wurde.

»Das ist aber doch so kinderleicht zu sagen! Hier ein Verwandter des General-Gouverneurs, dann ein Freund dieses Verwandten und dann ein Diener dieses Freundes; daraus folgt doch augenfällig, daß Quimbo ein Diener des General-Gouverneurs ist. Seht Ihr das nicht ein, Sir?«

Der Mudellier antwortete nicht, sondern schüttelte langsam und zweifelnd den Kopf.

»Wie? Ihr seht es nicht ein? Wißt Ihr, was das heißt? Wenn ich etwas behaupte und Ihr schüttelt den Kopf dazu, so ist das eine Beleidigung, welche unter Gentlemen nur durch Blut abgewaschen werden kann. Ich hoffe doch, daß Ihr Euch für einen Gentleman haltet. Charley, bitte, holt einmal meine Pistolen her!«

Da rief der Mudellier schnell und ängstlich aus:

»Halt! Wartet doch! Es ist mir nicht eingefallen, Euch zu beleidigen, und also ist kein Blutvergießen nötig. Ich schenke Euch vollständig Glauben, Sir!«

»Ihr gebt also zu, daß unser guter Quimbo kein Räuber, sondern ein Ehrenmann ist?«

»Ja.«

»Der vollständig unangetastet bleiben muß?«

»Ja.«

»Well,« nickte Sir John da befriedigt, indem er den Klemmer wieder an die Augen schob. »Wir sind also einig. Uebrigens würde ich Euch auch ohnedies raten, ganz so zu thun, als ob gar kein Mensch vorhanden wäre, der Kaffer ist und Quimbo heißt.«

»Warum?«

»Weil Ihr ihn für ein Gespenst gehalten habt. ich müßte das dem Gouverneur erzählen, wenn er kommt. Sagt selbst, ob Euch das lieb sein kann!«

»Wir werden ihm nichts sagen, kein Wort. Es hat gar kein Gespenst auf der Dschonke gegeben. Ist Eure Lordschaft damit einverstanden?«

»Yes, will einverstanden sein.«

»Ihr müßt nämlich wissen, daß der Gouverneur heut kommt. Er hat mich durch einen Eilboten davon benachrichtigt. Er kommt, um Gericht zu halten.« –

Es ist bereits erzählt worden, daß der Gouverneur uns nach seiner Ankunft im Hotel Madras aufsuchte und dem Lord den Betrag der verlorenen Wette auszahlte. Ebenso wurde erwähnt, daß wir vor unserer Abfahrt der Hochzeit Kaladis beiwohnten.

Was die Dschonke und ihre gefangene Bemannung betrifft, so begab sich der Gouverneur selbst an Bord, um alles und alle in Augenschein zu nehmen. Wir erzählten diesem Herrn von Bontwerker und der Tigerbrücke, wo er gefangen gehalten wurde. Der Gouverneur nahm die Girl-Robbers selbst ins Verhör, um die genaue Lage dieses Ortes zu erfahren, erhielt aber nicht die geringste Auskunft von ihnen. Selbst als er sie der Reihe nach durchpeitschen ließ, behaupteten sie, keinen Ort zu kennen, dessen Name Hu-Kiao sei. Ich war überzeugt, daß sie logen und die Tigerbrücke vielmehr von großer Bedeutung für sie sein müsse, weil sie sich selbst durch solche Schmerzen nicht zwingen ließen, sie zu verraten. Sie schwiegen sogar dann, als sie ihr Urteil hörten. Sie seien als Seeräuber heut noch aufzuknüpfen, doch solle derjenige begnadigt werden, welcher sage, wo die Hu-Kiao liege. Es meldete sich keiner, und am Abende hingen sie alle nebeneinander an der Raae.

Wir waren also auf uns selbst, auf unsern Scharfsinn, angewiesen und nahmen die Karten vor, um die Halbinsel zu entdecken. Die Mühe war vergeblich; wir konnten den Namen Hu-Kiao nicht finden. Wir übersetzten das Wort in alle am indischen und südchinesischen Meere gebräuchlichen Sprachen und Idiome, doch auch das war ohne Erfolg.

Nun nahm ich Quimbo noch einmal vor und examinierte ihn nach allen Richtungen hin, konnte aber nicht mehr erfahren, als was ich jetzt schon wußte. Da kam ich endlich auf den sehr naheliegenden Gedanken, den ich eigentlich gleich anfangs hätte haben sollen, noch einmal an Bord der Dschonke zu gehen; ich hatte dort in der Kapitänskajüte Karten liegen sehen. Raffley ging mit. Er wunderte sich ebenso sehr wie ich darüber, das uns diese Karten nicht eher eingefallen waren.

Wir gingen die betreffenden Blätter sehr sorgfältig durch, konnten aber nichts entdecken, was uns als Wegweiser hätte dienen können. Schon wollten wir uns unmutig in diesen Mißerfolg ergeben, da fiel mir eine nicht gedruckte, sondern mit der Hand gezeichnete Pilotkarte der Nikobaren-Inseln auf. Die Zeichnung war außerordentlich sorgfältig ausgeführt, und ich sagte mir, daß diese Genauigkeit einen Grund haben müsse. Hatte diese Inselgruppe für die Girl-Robbers vielleicht eine besondere Wichtigkeit gehabt? Vielleicht hätte ich die Antwort auf diese Frage einem von ihnen entlocken können; aber sie lebten nicht mehr. Ich mußte mich an Quimbo wenden, obgleich sein Gedächtnis einem vollständig leeren Blatte geglichen hatte, auf dem kein Buchstabe mehr zu lesen war.

Es war ihm auch heut unmöglich, mir den Weg zu beschreiben, den die Dschonke, seit er sich auf ihr befunden hatte, gesegelt war. Ich fragte ihn nach den Nikobaren-Inseln; er antwortete kopfschüttelnd:

»Nikobar? Quimbo nicht weiß Nikobar.«

Da fiel mir ein, daß die Bewohner der Nikobaren Malayen sind, und so fragte ich ihn, indem ich den malayischen Namen der Insel anwendete:

»Hast du denn auch nicht die Inseln gesehen, welche Pulo-Sembilang genannt werden?«

Da ging ein Grinsen der Erinnerung über sein Gesicht, und er antwortete, eifrig nickend:

»- – – bilang – – – bilang hab schon Quimbo sehen; – – -bilang bin viel Insel in groß Wasser.«

»Irrst du dich nicht? Weißt du den Namen genau?«

»Gut', tapfer Quimbo bin nicht irre; Schiff bin bleib stehen bei Inseln –-- bilang«

»Bei welcher von diesen Inseln?«

»Quimbo nicht das wissen.«

»Hast du nicht die Namen der einzelnen Inseln gehört?«

»Quimbo nicht kann sprech wie Räuber; Quimbo nicht versteh alles, was werd' reden.«

»So paß einmal auf, ob du vielleicht eines von den Worten gehört hast, die ich jetzt sagen werde!«

Ich zählte die Namen der Inseln langsam auf und ließ nach jedem eine Pause eintreten, damit er Zeit zum Nachdenken finde. Es war seinem gespannten Gesichte höchst deutlich anzusehen, daß er sein Gedächtnis sehr anstrengte, und als ich den Namen Tillangdschong nannte, schlug er die Hände zusammen, daß es knallte, that einen Freudensprung und rief aus.

»Till – – till – – langdschong – – – langdschong – – – – oh, oh, das bin Insel, was hab sehen Quimbo.«

»Wirklich?«

»Ja. Till – – dschong bin Insel, wo Schiff halt an und bleib in groß' Wasser stehen.«

»Erinnere dich recht! Es kommt sehr viel darauf an, daß du dich nicht irrst3 Quimbo.«

Da erhob er die rechte Hand wie zum Schwure, machte ein sehr energisches Gesicht und versicherte:

»Schön', gut', tapfer Quimbo weiß genau. Schiff bleib stehen, und Räuber immer sag: – – langdschong – – langdschong – langdschon. Quimbo hab hören gut.«

»Ahnst du vielleicht, was das Schiff bei dieser Insel gewollt hat, warum es dort hielt?«

»Ta-ki wohn' da.«

»Ta-ki? Wer ist das?«

»Ta-ki bin Räuber, groß', stark', breit' Riese, so groß, daß stoß überall an mit Kopf.«

Er unterstützte diese Worte mit Hand- und Armbewegungen, welche erkennen ließen, daß dieser Ta-ki ein wahrer Goliath an Gestalt sein müsse.

»Dieser Ta-ki war auf der Dschonke?« forschte ich weiter.

»Ja,« nickte er froh, mir Auskunft erteilen zu können.

»Gleich von dem Tage an, an welchem man dich auf das Seeräuberschiff brachte?«

»Ta-ki bin schon da, als Quimbo komm auf Schiff.«

»Er hat die ganze Fahrt bis nach den Inseln Pulo-Sembilang mitgemacht?«

»Ta-ki bin fahr immer mit.«

»Woraus vermutest du denn, daß er auf der Insel Tillangdschong wohnt?«

»Weil Ta-ki da aussteig bin.«

»Ah, so! Er stieg nicht wieder ein?«

»Nein, Ta-ki bleib auf Insel.«

»Er allein?«

»Ja.«

»Weißt du, warum? Was er da treibt?«

»Quimbo nicht weiß.«

»Befand er sich allein auf der Insel, als er ausgestiegen war, oder gab es noch andere Menschen dort?«

»Als Ta-ki aussteig, steh Männer am Ufer.«

»Wie viele?«

»Zwei – fünf und noch zwei – fünf; Quimbo nicht zählen.«

»Nahm dieser Ta-ki Gepäck von dem Schiffe mit an das Land?«

»Nehm mit ein Faß – zwei Faß – – viel Faß.«

»Weißt du, was sich in diesen Fässern befand?«

»Steck Pulver in Faß.«

»Ah! Sollten die Seeräuber etwa ein heimliches Magazin auf dieser Insel angelegt haben?«

»Tapfer Quimbo das nicht weiß.«

»Würden Sachen vom Lande auf das Schiff gebracht?«

»Viel Melon' und Kokos und Frucht, was alles soll werd' essen auf Schiff.«

»Schön! jetzt aber paß einmal ganz besonders auf, was ich dich fragen werde, denn das ist das Wichtigste, worauf alles ankommt! Dieser Ta-ki befand sich auf dem Schiffe, als du von der Tigerbrücke an Bord genommen wurdest. Er muß also wissen, wo die Halbinsel liegt, welche diesen Namen trägt?«

»Ta-ki bin steh' da; er es wissen.«

»Gut! Was für eine Rolle spielte er auf dem Schiffe? Gehörte er zu den gewöhnlichen, niedrigen Leuten, oder galt er vielleicht mehr? Hatte er einen Titel?«

»Wenn Kapitän ihn ruf, so sag er Tsu.«

»Tsu? Dann war er Offizier. Er weiß also ganz sicher wenigstens das, was wir erfahren wollen. Kannst du mir vielleicht sagen, ob er auch mit auf der Tigerbrücke gewesen ist?«

»Er steig von Schiff und geh auf Tigerbrücke.«

»Hat er deinen Herrn, Mynheer Bontwerker, gesehen?«

»Hab sogar sprech mit Mynheer Bontwerker.«

»Was?«

»Quimbo hab' nicht hör', steh weit davon.«

»Das ist schade! Es käme viel darauf an, zu wissen, was er mit ihm gesprochen hat. Doch, es giebt eine noch wichtigere Frage: War der Kapitän zugleich der Befehlshaber auf der Halbinsel?«

»Kapitän nein, sondern ein ander Mann.«

»Wie hieß dieser?«

»Heiß Ling-tao.«

»Das mag stimmen, denn dieser Name bedeutet so viel wie ›befehlendes Schwert‹, während Ta-ki so viel wie ›großer Mu‹ bedeutet. Der Offizier, welcher auf der Nikobaren-Insel Tillangdschong ausgestiegen ist, dürfte also seinem Namen nach nicht nur als körperlicher Riese, sondern auch in Beziehung auf seine Tapferkeit zu fürchten sein. Wir werden ihn mit Vorsicht zu behandeln haben.«

Diese Worte richtete ich nicht an Quimbo, sondern an den Lord, welcher bei uns gestanden und unsern Fragen und Antworten schweigend, aber mit großer Spannung zugehört hatte. Er machte eine geringschätzige Armbewegung und meinte:

»Körperliche Hünen haben oft gar keinen Mut, während ein Knirps zehn solche Riesen vor sich hertreibt. Ich fürchte mich nicht vor ihm. Ihr vielleicht, Charley?«

»Ueberflüssige Frage!«

Ich versuchte, von Quimbo noch mehr zu erfahren, doch war es jetzt mit dem, was er wußte, zu Ende. Er hatte mir überhaupt mehr gesagt, als was von ihm zu erwarten gewesen war, und so wendete ich mich wieder an den Englishman:

»Ich glaube, daß wir jetzt die notwendige Grundlage zum Handeln gefunden haben. Wahrscheinlich ist Ling-tao der oberste Kommandant der saubern Gesellschaft und residiert auf der Tigerbrücke. Es ist möglich, daß er mehrere Raubschiffe besitzt. Ta-ki ist, um mich so auszudrücken, Magazinmeister auf Tillangdschong, wohin wir zunächst und vor allen Dingen müssen, um ihm das Geständnis zu erpressen, wo die berüchtigte Halbinsel liegt.«

»Hm! Wollen wir wetten?«

»Nein.«

»So wartet doch erst, was ich meine, ehe Ihr nein sagt! Ich wette nämlich um fünfzig oder auch um hundert Pfund, daß wir von ihm nichts erfahren.«

»Wettet mit Quimbo, Sir; ich thue nicht mit.«

»Hört, Ihr seid wirklich ein schauderhafter Kerl, mir zuzumuten, mit einem Kaffern zu wetten! Ihr seid also entschlossen, mit mir zu fahren, um diesen Mr. Bontwerker zu befreien?«

»Ja.«

»Well, so sagt, ob Ihr ein gutes Gelingen erwartet!«

»Ich hoffe, daß wir ihn herausholen.«

»Schön! Wann dampfen wir ab?«

»Mit der Ebbe morgen früh.«

»Die Jacht ist schon heut bereit.«

»Das wäre zu früh. Auf ein solches Unternehmen darf man nicht eingehen, ohne vorher alles reiflich zu überlegen. Es eilt ja nicht so sehr. Von hier bis nach den Nikobaren brauchen wir vier Tage, während welcher Zeit wohl nicht zu befürchten ist, daß der liebe Ta-ki uns davonläuft. Es giebt wohl wenig Tage im Jahre, an denen ein Schiff die Insel Tillangdschong anlaufen wird.«

»Stimme bei. Euer Quimbo geht natürlich mit?«

Ich brauchte diese Frage nicht zu beantworten, denn der Kaffer that dies eiligst an meiner Stelle:

»O, schön', gut', tapfer Quimbo mitfahren! Will bleiben bei lieb', gut' Deutschland, um mach' frei Mynheer Bontwerker und schlag tot all' Chines', Malay' und Räubervolk!«


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