Karl May
Am Rio de la Plata
Karl May

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FÜNFTES KAPITEL

Der Pampero

Wenn ich geglaubt hatte, unsern Verfolgern glücklich entgangen zu sein, so war dies nur meine Meinung gewesen, denn meine Gefährten hielten es für leicht möglich, daß wir ihnen noch in die Hände fallen könnten. Wir bemerkten, daß die Truppen bemüht waren, das ganze rechte Flußufer zu alarmieren, aber die Krümmungen des Flusses und der Fall desselben waren uns so günstig, daß unser Floß schneller schwamm, als sie reiten konnten, und so kam es, daß meine Begleiter sich schon nach einigen Stunden beruhigten und sicher fühlten.

Major Cadera war wütend; wir aber lachten über seinen Grimm und setzten ihn gegen Mittag auf einer der schwimmenden Inseln aus, welche der Fluß so zahlreich mit sich führt. Mochte er sehen, wie er mit ihr das Ufer erreichte. Kurze Zeit später legten wir an das linke Ufer an, um den Estanziero und seinen Sohn mit ihren Pferden dort abzusetzen, weil beide nach Hause wollten. Nach einem herzlichen Dank und Abschied ritten sie mit dem freundlichen Wunsche des Wiedersehens davon.

Nach glücklicher Fahrt brachte uns das Floß nach Buenos Ayres, wo die Flößer den ausbedungenen Lohn und auch noch etwas mehr erhielten. Der Rittmeister verabschiedete sich da mit dankenden Worten, welche ganz gewiß aufrichtig waren. Wir hielten natürlich an unserm ursprünglichen Plane, nach dem Gran Chaco zu gehen, fest, und Turnerstick redete mir so lange zu, ihn und den Steuermann, seinen Liebling, mitzunehmen, bis ich meine Einwilligung gab. Einige Tage genügten für ihn, in Beziehung auf sein Schiff die nötigen Dispositionen zu treffen, dann waren wir reisefertig.

Da es geraten und vorteilhaft war, von Buenos Ayres bis hinauf nach Corrientes das Dampfschiff zu benutzen, so verkauften meine Gefährten ihre Pferde, ich aber behielt meinen Braunen, denn ich durfte nicht hoffen, sogleich wieder ein so vortreffliches Tier zu finden. Freilich wurden mir wegen des Pferdes einige Schwierigkeiten gemacht, doch ließ der Kapitän des Dampfers endlich mit sich sprechen. Der Braune kam zwischen Ballen, Kisten und Fässern zu stehen, welche auf dem Vorderdecke untergebracht waren. Er befand sich wie in einem kleinen Stalle, nur daß er kein Dach über sich hatte.

Der La Plata bildet nach dem Amazonas das größte Stromsystem Südamerikas. Er wird durch den Zusammenfluß des Uruguay mit dem Parana gebildet und muß als die breiteste Flußmündung der Erde bezeichnet werden. Sie ist unmittelbar nach der Vereinigung der beiden Flüsse 4o Kilometer breit. Bei Montevideo erreicht sie eine Breite von io5 und an der Oeffnung sogar von 220 Kilometer. Diese 22o Kilometer breite Mündung hat ein schlammig gelbes Wasser, welches noch 13o Kilometer weit in der See draußen sich vom Meerwasser unterscheiden läßt.

Die Tiefe des Parana beträgt da, wo er den La Plata bilden hilft, dreißig Meter. Entsprechend ist seine Breite. Er ist unbedingt der größte südamerikanische Fluß, bildet aber nicht einen geschlossenen Stromlauf, sondern teilt sich oft in mehrere Arme und bildet Inseln, welche zuweilen von bedeutender Größe sind. Er ist äußerst fischreich, obgleich man seines schmutzigen Wassers wegen nur selten sich eine Flosse bewegen sieht.

Wir hatten außer in Rosario noch einigemale angelegt, doch hatte ich das Schiff nicht verlassen, da ich an Bord bleiben wollte, so lange wir an der Provinz Entre Rios vorüber kamen. Wir hätten leicht einem begegnen können, welcher uns bei Jordan gesehen hatte, und dann waren wir unsers Lebens wohl kaum sicher. Sogar Santa Fé und Parana hatte ich mir nicht angesehen, denn gerade an diesen beiden Orten war eine solche Begegnung am meisten zu erwarten. Erst als wir diese beiden Städte hinter uns hatten, fühlten wir uns leidlich sicher. Wir kamen weiter an Puerto Antonio und La Paz vorüber und steuerten auf den Einfluß des Rio Guayquiaro zu, welcher von Osten in den Parana mündet.

Es war ein außerordentlich reges Leben an Bord. Leute aus allen Provinzen befanden sich da, sogar Indianer mit ihren Frauen, welche aber keineswegs den Eindruck machten, welchen ich von den Sioux, Apatschen und Comantschen mitgenommen hatte. Sie sahen verkommen, unselbständig und gedrückt aus.

Die Weißen hatten alle ein sehr kriegerisches Aussehen. Sie wußten, daß die Provinz Entre Rios den Aufstand plante, und unter solchen Verhältnissen konnte man sich selbst auf dem Schiffe nicht sicher heißen. Darum hatte ein jeder so viele Waffen, als er besaß, an sich gehängt.

Unter den Indianern fiel mir ein junger Mann auf, der sehr vorteilhaft von den andern abstach. Er war keineswegs schöner als die übrigen Roten, auch nicht besser gekleidet, aber er hatte eine, wie mir schien, kranke Begleiterin bei Sich, für welche er eine außerordentliche Sorgfalt an den Tag legte. Sie war alt und schien seine Mutter zu sein, aber Liebe zur Mutter ist bei diesen Leuten eine Seltenheit. Das Weib ist für die Arbeit da; sie wird weder als Frau, noch als Mutter geachtet Beide waren sehr ärmlich gekleidet. Der Indianer hatte nichts als ein Hemd, eine kurze Hose, ein Paar alte Schuhe und ein Messer, welches in dem Stricke steckte, den er um den Leib gebunden hatte. Sein Auge zeigte mehr Intelligenz, als man bei diesen Leuten zu finden gewohnt ist. Vielleicht aber war es sein liebevoller, besorgter Blick, welcher mich zu dieser Annahme verführte.

Und noch ein anderer war es, welcher meine Aufmerksamkeit erregte, kein Indianer, sondern ein Weißer, welcher in allem das gerade Gegenteil von dem ersteren war.

Er saß auf dem Hinterdecke in der Nähe des Steuermannes und hatte seinen Platz so gewählt, daß er das ganze Deck überblicken konnte, ohne selbst viel bemerkt oder gar belästigt zu werden. Es war, als ob er sich Mühe gebe, so wenig wie möglich Aufmerksamkeit zu erregen. Gekleidet war er sehr fein und nach französischem Schnitte. Den Bart trug er nach der hiesigen Mode. Seine Züge, sein dunkles, scharf blickendes Auge ließen auf ungewöhnliche Intelligenz und Willenskraft schließen. Die sonnverbrannte Farbe seines Gesichtes gab nicht zu, ihn für einen Salonhelden zu halten. Seine sitzende, zusammengebeugte Haltung erlaubte nicht, seine Gestalt zu beurteilen, doch war es mir, als ob ich in ihm einen Militär, einen Offizier, und zwar nicht einen subalternen erkennen müsse. Nicht weit von ihm saß ein Neger, welcher wohl sein Diener war, denn er hielt das Auge fast unausgesetzt mit einer zugleich liebe- und respektvollen Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet, um jeden Wunsch oder Befehl des Herrn sogleich zu erraten. Beide waren in Rosario an Bord gekommen und hatten sich gleich von da an abseits der andern Passagiere gehalten.

Kapitän Frick Turnerstick hatte schon in der ersten Viertelstunde unserer Fahrt die Bekanntschaft des Schiffsführers gemacht und war fast stets an der Seite desselben zu sehen. Er hielt immer Vortrag, und der andere hörte ihm schweigend und oft lächelnd zu. Hans Larsen, unser ruhiger Steuermann, hatte mit niemand auch nur ein einziges, überflüssiges Wort gesprochen. Er saß schweigsam zwischen den Kisten und andern Gepäckstücken und betrachtete die Scenerie, welche ihm das Deck und der Fluß mit seinen Ufern bot. Bruder Hilario hielt sich zu mir. Die Yerbateros aber schwärmten überall herum und machten mit aller Welt Bekanntschaft, wie das die Art und Weise dieser Leute ist.

Eine Fahrt auf dem Parana ist allerdings sehr verschieden von einer solchen auf dem Rheine, der Donau oder Elbe. Die menschliche Staffage auch abgerechnet, bietet der Strom mit seinen Ufern und Inseln ein stets wechselndes Panorama, besonders interessant durch einen Pflanzenwuchs, welcher desto tropischer wird, je weiter man nach Norden kommt. Die Ufer steigen zu beiden Seiten ziemlich steil empor, eine Bildung, welche man hierzulande ›Barranca‹ nennt. Sie sind von grauer Farbe und fast immer mehr als zwanzig bis dreißig Ellen hoch und bestehen aus zwei durch eine fortlaufende Linie von versteinerten Muscheln getrennten Lagerungen von Kalkstein und Tosca, unter welch letzterem Namen man einen harten, aber doch zu verarbeitenden Lehm versteht.

Diese Barrancas sind teils kahl, teils mit dichtem Strauchwerk besetzt, zwischen welchem je nördlicher desto öfter die hier auftretenden Palmenarten zu bemerken sind. Zuweilen werden diese Ufersteilungen durch einen Einschnitt unterbrochen, welchen ein Bach oder ein kleines Flüßchen sich ausgewaschen hat.

Man darf aber nicht meinen, daß die Ufer stets zu sehen seien. Die Breite des Stromes und der Reichtum der zwischen seinen Armen liegenden Inseln verhindert das. Das Schiff fährt stets auf einem dieser Arme, welche langgestreckte Kanäle bilden, die ihr Fahrwasser während der Zeit der Regen und Ueberschwemmungen so verändern, daß die Schiffahrt den Kurs sehr oft zu wechseln hat.

Wir waren übereingekommen, nur bis Goya zu fahren, und von dort aus in den Gran Chaco einzudringen. Für diese über siebenhundert Seemeilen lange Strecke hatte ich in erster Kajüte nach deutschem Gelde nicht ganz hundert Mark bezahlt, welcher Preis sich einschließlich sehr guter Beköstigung und sogar des Weines versteht. Die Yerbateros fuhren als Passagiere niederer Klasse wohl halb so billig. Ueberhaupt schien man es in diesem Punkte nicht allzu genau zu nehmen. Ich sah Indianerinnen an Bord kommen, welche trotz ihrer Erklärung, daß sie arm seien und kein Geld hätten, doch einen Platz erhielten und mitgenommen wurden.

Gegessen wurde gewöhnlich auf dem Deck. Dann versammelten sich um die Tafel die Indianer und Indianerinnen und erhielten so viel Speisereste zugereicht, daß auch sie satt wurden. Des Nachts lagen die Leute oben, wie und wo es ihnen beliebte. Wenn man da einen Gang unternahm, mußte man sehr aufpassen, nicht über den einen oder andern Schlafenden hinweg zu stürzen.

Da alle Welt mit Waffen versehen war und es keine Jagdeinschränkungen gab, so hörte man vom Morgen bis zum Abend die Gewehre knallen. Es wurde auf alles mögliche geschossen, und Tiere, auf welche man zielen konnte, gab es mehr als genug. Da ist zuerst das Wassergeflügel zu nennen, welches in großer Menge vorhanden war. Am häufigsten ließ sich der Cuervo sehen, eine schwarz gefärbte Scharbenart. Er ist wegen seiner eigentümlichen Manieren für den Reisenden sehr interessant. Er sitzt in Trupps beisammen, auf kleinen Inseln, schwimmenden Gegenständen oder Baumstümpfen und Aesten, welche an seichten Stellen aus dem Wasser ragen. Wird er aufgeschreckt, so stürzt er sich in urkomischer Weise in das Wasser und schwimmt davon; der Körper ist dabei untergetaucht, so daß nur der Kopf und ein Teil des Halses zu sehen sind. Das eifrige Nicken und ängstliche Verdrehen dieser Köpfe muß selbst den Ernstesten zum Lachen reizen.

Scheuer als der Cuervo sind die Enten, welche man oft zu Hunderten beisammen sieht, ohne aber leicht zum sichern Schusse zu kommen. Die schönste unter ihnen ist der Pato real mit seinem grün metallisch schimmernden Gefieder. Neben der Bandurria, einer Schnepfenart, sieht man Möwen und Seeschwalben, auch den weißen und schwarzhalsigen Schwan. An den Lagunen oder auf niedrigen Inseln steht der Storch, hier Tujuju genannt, und im Schilfe der Sümpfe sucht sowohl der weiße als auch der Löffelreiher fleißig nach Beute.

Auch Wasserschweine und Nutrias sahen wir oft. Dieser letztere Name bedeutet eigentlich Fischotter, doch wird hier eine große Rattenart so genannt, während man den eigentlichen Fischotter mit dem Worte Lobo bezeichnet, welches richtiger ›Wolf‹ bedeutet.

Zuweilen, besonders am frühen Morgen, sieht man einen Jaguar am Ufer schleichen, um sich ein Wasserschwein zu holen, dessen Fleisch er demjenigen anderer Tiere vorzuziehen scheint.

Am eifrigsten schoß man auf Alligatoren, hier Jacaré genannt. Sie liegen an sandigen Stellen, welche nicht steil, sondern flach zum Ufer gehen, und sind nicht leicht aus ihrem Gleichmute zu bringen. Schlägt auch ein halbes Dutzend Kugeln in der Nähe einer solchen häßlichen Reptilie ein, so rührt sie sich darum doch nicht im mindesten. Erst wenn eine oder mehrere Kugeln direkt auf den harten Panzer prallen, bequemt sich das Tier, seinen Platz zu verlassen und in das Wasser zu gehen, aus welchem es im Schwimmen gewöhnlich die Hälfte des Kopfes streckt. Die Schüsse waren alle verloren, denn nur diejenige Kugel, welche die Weichteile trifft, die aber durch den Panzer geschützt liegen, kann das Tier verletzen.

Durch eines dieser Tiere knüpfte sich eine Art schweigender Bekanntschaft zwischen mir und dem vorhin erwähnten Passagier an. Er hatte sich nicht an der Jagd beteiligt, doch wenn auf Krokodile geschossen wurde, so stand er auf, um den Erfolg zu beobachten. Er kehrte dann immer mit einem verächtlichen Kopfschütteln an seinen Platz zurück.

Wir näherten uns einer niedrigen Stelle des Ufers, auf welcher zahlreiche Jacarés lagen. Das schien endlich seine Jagdlust zu erwecken. Ich stand zufällig ganz in seiner Nähe und hörte, daß er von dem Neger sein Gewehr verlangte. Vielleicht hatte er die Absicht, zu beweisen, daß es ihm ein leichtes sei, einen Alligator zu erlegen. Er trat mit dem Gewehre an die Brüstung des Deckes und gab auf eines der Tiere die zwei Schüsse ab. Die erste Kugel ging fehl; man sah, daß sie sich in den Sand wühlte; die zweite Kugel traf die Bestie gerade auf den Rücken. Das Tier hob den Kopf ein wenig empor, ließ ihn wieder sinken und – blieb ruhig liegen, als ob nur eine Erbse auf seinen Körper gefallen sei.

War die Miene des Schützen erst ziemlich siegesgewiß gewesen, so legte sie sich jetzt in den Ausdruck zorniger Enttäuschung. Er warf mir einen kurzen Blick zu, als ob er sich schäme, und gab dem Diener das Gewehr zurück.

»Soll ich laden?« fragte der Schwarze.

»Nein. Die Alligatoren sind unverwundbar,« antwortete er, indem er sich wieder niedersetzte.

»In dieser Stellung, wenn sie auf dem Bauche liegen, kann man sie freilich wohl kaum erlegen,« sagte der Frater, welcher die Worte auch gehört hatte, zu mir.

»Warum nicht?« fragte ich.

»Wo sollte man die Kugel anbringen?«

Am Auge.«

»Unmöglich! Ich schieße doch auch gut.«

»Man braucht nicht genau das Auge zu treffen. Es giebt über den Augen eine Stelle, an welcher der Knochen nur dünn ist, so daß eine Kugel durchdringt.«

»Und diese Stelle glauben Sie zu treffen?«

»Gewiß. Ich hoffe sogar, die Kugel genau ins Auge zu bringen.«

»Das möchte ich sehen! Bitte, wollen Sie?«

»Wenn Sie wünschen, gern, lieber Bruder. Bestimmen Sie mir das Tier, auf welches ich schießen soll!«

Bei diesen Worten nahm ich meine Büchse zur Hand, auf welche ich mich verlassen konnte. Ich hatte mit derselben schon andere Schüsse thun müssen, als so einen Bestienschuß, Schüsse, bei denen es sich um das Leben handelte. Die erwähnte Stelle lag bereits hinter uns. Wir mußten warten, bis wir wieder einen Jacaré sahen. Der Passagier betrachtete mich mit neugierigem Blicke; ich zeigte das gleichgültigste Gesicht. Nach einiger Zeit sahen wir zwei der Tiere am flachen Ufer hegen. Sie waren vielleicht zwanzig Schritte voneinander entfernt, beide aber kaum halb so weit vom Wasser.

»Nun jetzt?« fragte der Bruder.

»Ja,« antwortete ich. »Passen Sie genau auf!«

Ich trat an den Bord und nahm das Gewehr halb auf. Der Fremde folgte mir, mit dem Ausdrucke großer Spannung im Gesichte, was eigentlich gar nicht begründet war, denn ein Krokodil zu schießen ist für einen Westmann kein Meisterstück.

Die beiden Tiere lagen halb im Profil zu dem Schiffe, die beste Stellung für einen sichern Schuß. Es gab noch einige andere, welche auch auf sie schießen wollten; aber der entfernt stehende Yerbatero sah, daß ich das Gewehr in der Hand hatte, und rief ihnen zu:

»Schießen Sie nicht, Sennores! Dort steht einer, der Ihnen zeigen wird, wie man treffen muß.«

Aller Blicke richteten sich auf mich, was mir gar nicht lieb war, denn wenn die beiden Patronen, die ich geladen hatte, nicht ganz fehlerfrei gearbeitet waren, so schoß ich fehl und war blamiert.

Jetzt war das Schiff so weit heran, daß der gegenwärtige Augenblick der geeignetste war. Ich warf nach Westmannsart das Gewehr an die Wange und drückte zweimal ab, scheinbar ohne genau gezielt zu haben, aber eben nur scheinbar. Der Prairiejäger drückt noch, bevor er das Gewehr aufnimmt, das linke Auge zu, um das Ziel zu visieren. Durch lange Uebung hat er die Geschicklichkeit erlangt, den Lauf sofort in die Sehachse zu bringen, ohne lange probieren zu müssen. In demselben Augenblicke, in welchem das Gewehr seine Wange berührt, liegt auch schon das Korn in der Kimme, und der Schuß kann abgegeben werden. Die ganze Kunst liegt eben nur darin, den Lauf sofort in die Sehachse zu werfen. Das erspart das lange Suchen und Visieren, durch welches der linke Arm ermüdet und wohl gar ins Zittern kommt. Der angehende Westmann steht stundenlang, um sich mit dem ungeladenene Gewehr einzuüben. Er wirft, indem er das linke Auge geschlossen und das rechte scharf auf das Ziel gerichtet hält, das Gewehr mit schnellem Rucke auf und nieder, bis er die Fertigkeit erlangt, den Lauf sofort auf das Ziel und das Korn in die Kimme zu bringen. Viele bringen es nie zu dieser Gewandtheit und sind dann schlechte Jäger, da oft das Leben davon abhängt, der erste am Schusse zu sein.

Für andere freilich erscheint es unbegreiflich, daß jemand, ohne langsam anzulegen und scheinbar ohne sorgfältig zu zielen, das Gewehr geradezu emporwirft, augenblicklich abdrückt und – einen Nagel durch das Schwarze treibt. Die Schnelligkeit, mit welcher das geschieht, ist verblüffend, aber eben weiter nichts als das erklärliche Resultat einer langen und unermüdeten Uebung.

So war es auch jetzt. Das Gewehr aufnehmen, zweimal abdrücken und es wieder sinken lassen, das war in einer Sekunde geschehen. Der erste Kaiman fuhr empor, that mit dem Schwanze einen Schlag und sank dann wieder nieder. Der zweite schoß vier oder fünf Schritte vorwärts, blieb dann halten, richtete den Kopf auf, sank auf die Seite, dann auf den Rücken und blieb so bewegungslos liegen. Beide waren tot. Lauter Beifall erscholl.

»Zwei außerordentliche und meisterhafte Schüsse!« rief der Fremde. »Oder waren sie Zufall?«

»Nein, Sennor. Sie waren kinderleicht,« antwortete ich.

Er warf mir unter den hoch emporgezogenen Brauen hervor einen erstaunten Blick zu, zog den Hut, machte mir eine tiefe, höfliche Verbeugung und kehrte auf seinen Sitz zurück. Von da an bemerkte ich, daß er mir und allem, was ich that, eine nicht ganz zu verbergende Aufmerksamkeit schenkte. Ich gab dem Yerbatero den Auftrag, sich unter der Hand zu erkundigen, wer er sei. Dieser gab sich alle mögliche Mühe und brachte mir endlich den Bescheid, daß niemand außer dem Kapitän ihn kenne; dieser aber habe seinen Namen nicht nennen wollen und nur angedeutet, daß der Sennor ein Oficialo nombrado sei, der ihm Schweigen anbefohlen habe. Natürlich war diese Auskunft nur geeignet, meine Neugierde zu vergrößern.

So waren wir also bis in die Nähe des Rio Guayquiaro gekommen. Das Wetter hatte uns bisher begünstigt, jetzt aber schien es dessen müde zu sein. Der südliche Horizont nahm eine schmutzig gelbe Färbung an, und die hohen Halme des Schilfes, die Zweige der Büsche begannen sich zu bewegen. Der Kapitän wendete den Blick wiederholt nach Mittag. Sein Gesicht verfinsterte sich. Dann kam Frick Turnerstick zu mir und sagte:

»Sir, der Capt'n glaubt, daß ein Pampero im Anzuge sei. Er macht dabei ein Gesicht wie ein Teifun. Ist denn so ein Pampalüftchen so gefährlich? Wir befinden uns doch nicht auf hoher See!«

»Eben darum ist Grund zur Sorge vorhanden. Auf hoher See ist, wenn weder Land noch Riffe in der Nähe sind, ein Sturm nicht sehr zu fürchten. Hier aber kann er uns ans Ufer oder auf eine der Inseln werfen.«

»So mag der Capt'n doch vor Anker gehen und warten, bis die Prise wieder eingeschlafen ist!«

»Das ist leicht gesagt, Sir. Zum Ankern gehört ein geeigneter Platz, und selbst wenn dieser gefunden ist, reitet das Schiff vor dem Sturm leicht so lange auf der Kette, bis es sich losreißt und zu Lande geht.«

»Das kann ich mir nicht denken.«

»Weil Ihr noch keinen Pampero erlebt habt.«

»Na, er mag kommen, dieser Master Pampero. Man wird ja sehen, ob er Zähne hat.«

»Wollen nicht hoffen, daß wir zwischen sie geraten!«

So wenig Zeit dieses kurze Gespräch in Anspruch genommen, hatte sich doch der Himmel während desselben stark verändert. Es war, als ob es schnell Nacht werden wolle, und ein starker aber unhörbarer Luftstrom bog die Pflanzen tief zum Boden nieder.

Ich ging nach dem Vorderdeck, um nach meinem Pferde zu sehen und es fester anzubinden. Eben rief der Kapitän mit lauter Stimme:

»Der Pampero kommt. Er wird nicht ein trockener, sondern ein nasser sein. Eilen Sie unter das Deck, Sennores!«

Die Schiffsbediensteten rannten hin und her, um alles gehörig zu befestigen. Ich zog mein Pferd zwischen den Kisten und Ballen, durch deren etwaigen Zusammensturz es scheu gemacht werden konnte, hervor und führte es, ohne zu fragen, ob dies erlaubt sei, nach der Mitte des Schiffes unter die dort ausgespannte Sonnenleinwand, wo ich es an einen im Boden angebrachten eisernen Ring band.

Als ich unter diesem Zeltdache hervortrat, war der Himmel rundum schwarz geworden, und der heranheulende Sturm überschüttete mich mit einer sehr großen Menge von Staub, Sand und Schmutz. Der bisher glatte Spiegel des Flusses wurde tief aufgewühlt und schickte seine schäumenden Wogenkämme hoch an dem Buge des Dampfers empor. Der Kapitän klammerte sich mit aller Gewalt an das eiserne Geländer der Kommandobrücke. Vier Männer standen am Steuer, dessen Rad sie kaum halten konnten. Ich wurde fast zu Boden geworfen. Ein Ruck – die Zeltleinwand wurde losgerissen und fortgefegt. Mein Pferd wollte sich losreißen und schlug hinten aus. Ich rollte den Lasso auf, warf ihn dem Tiere um die Hinterfüße und zog ihn dort zusammen, so daß es niederstürzte; dann band ich das andere Ende um die Vorderbeine; der Braune konnte also nicht auf und keinen Schaden anrichten. Und nun war es auch schon vollständig Nacht um uns. Haselnußgroße Regentropfen fielen, erst einzeln, dann aber in geschlossener Masse, als ob ein See herniederstürze.

»An die Glocke! Läuten, läuten, ohne Unterbrechung läuten!«

So rief der Kapitän mit einer Stimme, welche im Heulen des Sturmes kaum gehört werden konnte. Ich vernahm den Klang der Glocke dann leise, wie aus weiter Ferne, und mußte nun bedacht sein, unter Deck zu kommen. Es war bei dieser geradezu dicken Finsternis und der Gewalt des Orkanes nicht leicht, die Treppe zu erreichen. Dort traf ich auch Turnerstick, welcher in seinem seemännischen Stolze dem ›Lüftchen‹ hatte trotzen wollen, nun aber von demselben auch hinabgetrieben wurde.

»All devils!« sagte er, als wir unten ankamen. »Das hätte ich nicht gedacht. Da ist ja rein die Hölle offen!«

Er mußte die Worte brüllen, damit ich sie verstehen konnte. Ich antwortete nicht. Und wie sah es da unten aus! Wo gab es da einen Unterschied zwischen Passagieren erster und zweiter Klasse! Da stand, saß, lag und fiel alles bunt durch- und übereinander. Das Schiff stampfte und schlingerte so, daß nur kräftige Männer sich aufrecht halten konnten. Wer seine Stütze nur für einen Augenblick losließ, der kollerte sicher über den Boden hin. Jemand war auf die gute Idee gekommen, die Hängelampen anzubrennen. Das Licht derselben beleuchtete eine bunte, tolle Scene. Hans Larsen stand mit ausgespreizten Beinen, fest wie ein Fels im Meere. Drei Indianer und ein Weißer umklammerten ihn. Da kollerte ihnen der Neger des Offiziers zwischen die Beine, und aus war es mit dem Halt – die schöne Gruppe fiel nieder und wälzte sich bis dahin, wo es nicht mehr weiter ging.

Die kranke, alte Indianerin lag neben der Treppe in der Ecke. Ihr Sohn kniete bei ihr und suchte sie mit seinem Leibe zu schützen. Ich benutzte einen verhältnismäßig guten Augenblick, zog mein Messer und trieb die Klinge desselben mit dem als Hammer gebrauchten Gewehrkolben bis an das Heft in die dünne Holzwand. Indem ich mich nun an dem Messergriffe festhielt, stand ich schützend über den Beiden, bemüht, die zu uns Herankollernden mit den Füßen abzuwehren. Der Indianer dankte mir durch einen warmen Blick.

Bei den langen Wogen einer offenen See hätte die Verwirrung nicht so groß werden können. Die hohen, kurzen, scharfkantigen Wellen des Flusses aber spielten dem Schiffe so mit, daß ich mich kaum am Messer halten konnte. Ich mußte mit den Händen, welche mich schmerzten, oft wechseln.

Dazu das Heulen und Pfeifen des Sturmes; das Brausen des Regens, welcher das Deck durchschlagen zu wollen schien; das Aechzen und Stöhnen der Dampfmaschine. Wenn eine der Lampen brach und explodierte! Es war wirklich ganz, um angst und bang zu werden. Ein Glück, daß man unter dem Tosen der entfesselten Elemente die Stimmen der vielen Menschen nicht vernehmen konnte.

Desto deutlicher aber hörte man die Donnerschläge, wie ich sie so fürchterlich noch nie vernommen hatte. Durch die starken Scheiben der kleinen Fenster sahen wir Blitz auf Blitz herniederkommen. Aber diese Blitze bildeten nicht zuckende Linien oder Bänder, sondern sie fielen wie große, dicke Feuerklumpen herab. Es gab nur den einen Trost, daß ein so außerordentliches Wüten nicht lange anzudauern vermöge. Ich hatte schon manches Wetter über mich ergehen lassen müssen, so schlimm aber noch keines, außer einmal einen Schneesturm mit Blitz und Donner im Gebiete der Sioux.

Eben dachte ich an dieses letztere Ereignis und verglich es mit dem gegenwärtigen, als es noch viel, viel schlimmer kommen sollte. Wir erhielten nämlich alle einen Stoß, dem auch eine Riesenkraft nicht hätte widerstehen können. Selbst diejenigen, welche sich bis jetzt gehalten hatten, wurden niedergeworfen oder vielmehr niedergeschmettert. Wem die Glieder den Dienst nicht versagten, der raffte sich wieder auf. Und siehe da, es ging, denn das Schiff stampfte nicht mehr; es schien festen Halt gefunden zu haben und schlingerte nur hinten hin und her.

Aber die Freude, welche jemand darüber hätte empfinden können, wäre nur eine kurze gewesen, denn wir bemerkten, daß der Fußboden nicht mehr wagerecht blieb. Er hob sich vorn empor, und während einer Pause, welche der Sturm machte, hörte ich deutlich jenes eigenartige Geräusch, welches entsteht, wenn die Räder eines Dampfschiffes in die Luft anstatt in das Wasser greifen.

Ich hatte mich wieder emporgerichtet und hielt mich am Messergriffe fest. Turnerstick kam auf mich zu und brüllte mich an:

»An das Ufer gerannt!«

»Nein, sondern auf ein Fahrzeug oder Floß gerannt!« antwortete ich ihm, auch brüllend, damit er mich verstehen könne.

»Well! Könnt recht haben. Also schnell hinauf!«

Von dem Stoße, welchen wir erhalten hatten, war glücklicherweise keine der Lampen herabgeschleudert worden. Sie erleuchteten eine im Vergleich mit vorher friedlichere Scene. Da das Schiff nicht mehr stampfte, konnte man sich trotz der schiefen Lage des Bodens leichter auf den Füßen halten, und die wenigsten ahnten, welch furchtbare neue Gefahr die Krallen nach uns ausstreckte.

Turnerstick eilte fort; der Steuermann arbeitete sich durch das Gedränge nach der Treppe. Ich wollte folgen und zog mit Anstrengung aller Kräfte mein Messer aus der Wand. Ich konnte in die Lage kommen, es zu gebrauchen. Dabei fiel mein Auge auf den Indianer und seine Mutter. Ich hob die letztere auf und trug sie nach der Treppe, indem ich ihm einen Wink gab, mir zu folgen.

Droben angekommen, hatten wir einen Anblick, welcher einem die Haare zu Berge treiben konnte. Der Regen hatte wie mit einem Schlage aufgehört. Vor und über uns sah der Himmel noch schwarz aus; im Süden aber färbte er sich bereits heller. Infolgedessen begann die Finsternis zu weichen, und wir konnten sehen, wie es mit uns stand.

Das Schiff war auf ein gewaltiges Floß gefahren und hatte sich, vorn mehr und mehr sich hebend, in den Vorderteil desselben hineingearbeitet. Es stak zwischen mächtigen Baumstämmen. Die Räder hingen über Wasser, bewegten sich aber nicht mehr, da die Maschine gestoppt worden war. Dagegen wurde das Hinterteil so tief niedergedrückt, daß nur noch das Steuerrad aus dem Wasser hervorragte, das Rad mit den vier Männern, welche nicht von ihrem Posten wichen, obgleich die Wogen ihnen bis über die Schultern schäumten. Diese mutigen Leute boten ein Bild treuester Pflichterfüllung.

Man konnte nicht sehen, ob wir uns zwischen zwei Inseln oder zwischen einer und dem Ufer befanden. Zu beiden Seiten gab es flaches Land, welches links von uns nur mit dichtem Schilf bewachsen war, während rechts ein nackter Sandboden langsam anstieg, den ein Buschwerk begrenzte, über welches weiter oben die Wipfel von Bäumen hervorragten.

Der Sturm blies der Richtung des Flusses gerade entgegen. Seine Gewalt staute das Wasser und wühlte tiefe Wellenthäler in dasselbe, aus welchen hohe Wasserkämme aufstiegen und sich überstürzten, zu Schaum geschlagen und in Gischt zerstäubt. Der Wasserlauf, in welchem wir uns befanden, war nicht breit. Bei hellem, ruhigem Wetter konnten zwei Fahrzeuge einander ausweichen; auch ein Floß hätte an einem Dampfer vorüber gekonnt; aber bei diesem Sturme und der Finsternis, welche wir gehabt hatten, war das Unglück fast gar nicht zu vermeiden gewesen.

Die Flößer hatten zwar die Glocke läuten gehört, aber erst dann, als es zu spät gewesen war. Der Dampfer war, von dem Sturme getrieben, auf das Floß gefahren und mit dem Vorderteile auf dasselbe gehoben worden.

Glücklicherweise hatte sich beim Zusammenprall der Himmel so weit gelichtet, daß die Flößer ihre Lage überschauen konnten. Sie hatten sich geteilt gehabt. Die eine Hälfte arbeitete vorn, die andere hinten an den langen Rudern. Die ersteren hatten kaum Zeit, schnell zurück zu springen, so schmetterte der Dampfer auch bereits auf das erste Feld des Floßes und schob sich auf dasselbe empor. Sie rannten nach den auf dem hinteren Felde arbeitenden Ruderern zurück und halfen dieses Feld an das Ufer drängen, und zwar auf das zu unserer linken Hand liegende, welches ihnen am nächsten lag und wo sie das Floß mittels der stets bereit liegenden Seile und einiger Pfähle befestigten.

Der Kapitän hatte die Maschine stoppen lassen, aber doch zu spät. Das Vorderteil hatte sich auf die Stämme gearbeitet und saß nun fest. Das Hinterdeck stand, wie bereits erwähnt, unter Wasser. Das Rettungsboot war zu kurz gebunden gewesen und mit niedergezogen worden. Es hatte Wasser geschöpft und war gesunken.

Die starken Lianen, welche die Stämme des Floßes verbanden, rissen teilweise, und die gewaltigen Hölzer schlugen und stampften unaufhörlich gegen den Schiffskörper. Bohrten sie ein Leck, so mußte das Schiff binnen wenigen Minuten sinken. Dem Strudel, welcher dabei entstehen mußte, fielen dann gewiß zahlreiche Passagiere zum Opfer. Es war also geraten, sich so schnell wie möglich an das Land zu retten. Das aber konnte nur durch Schwimmen geschehen, da das Boot gesunken war.

Der Kapitän ließ Rückdampf geben; da aber die Räder nicht in das Wasser griffen, war das Schiff auf diese Weise nicht loszubringen. Vielleicht war es möglich, den Dampfer dadurch zu befreien, daß die Stämme, auf denen er saß, mit Hilfe von Aexten losgeschlagen wurden. Das war aber kein ungefährliches Unternehmen, da das Floß mit dem Schiffe auf und nieder getrieben wurde und am leichtesten ein Leck entstehen konnte.

Solange durften wir unmöglich warten. Hinter uns kamen die Yerbateros und der Offizier mit seinem Neger an Deck. Andere drängten nach. In kurzer Zeit war eine außerordentliche Verwirrung zu erwarten, welche die Rettung noch erschweren mußte.

Ich hatte die Indianerin bis zu meinem Pferde getragen, welches noch gefesselt am Boden lag und sich alle Mühe gab, loszukommen. Ich fragte ihren Sohn, ob er schwimmen könne. Er nickte zwar, gab mir jedoch durch einen Wink zu verstehen, daß er zweifle, seine Mutter bei diesem Wogengange schwimmend an das Land zu bringen. Eben band ich den Braunen los, um die Frau mit in den Sattel zu nehmen, da faßte mich der Offizier am Arme und rief mir mit aller Anstrengung zu:

»Ich komme hinüber, habe aber wichtige Papiere, welche nicht naß werden dürfen. Wollen Sie dieselben mitnehmen?«

Ich nickte. Er gab mir eine Brieftasche, welche ich unter den Hut steckte, welch letzteren ich mit dem Taschentuche auf dem Kopfe festband. Nachdem ich den Lasso mir um die Schultern gelegt und die Gewehre umgehängt hatte, stieg ich in den Sattel und nahm die Indianerin zu mir.

Es war die allerhöchste Zeit. Die Passagiere drängten in Menge nach dem Decke. Ihr Geschrei übertäubte sogar das Wüten des Sturmes. Der Frater war ins Wasser gesprungen. Die Yerbateros folgten ihm; der Offizier mit seinem Neger ebenso. Ich lenkte das Pferd nach dem Hinterdecke, bis die dasselbe überspülende Flut bis an den Sattel ging; dann trieb ich es vom Schiffe in das Wasser. Der Indianer folgte mir; er wollte an der Seite seiner Mutter sein.

Wir wurden so kräftig von den Wogen gepackt, daß der Kopf des Pferdes verschwand und sie mir bis an die Brust stiegen; doch arbeitete sich das kräftige Pferd schnell wieder in die Höhe.

Es war ein Glück, daß der Pampero die Wogen nicht ab-, sondern aufwärts trieb, sonst wären wir fortgerissen worden bis dahin, wo das Ufer steil aus dem Wasser stieg und wir nicht landen konnten. Dennoch bedurfte es gewaltiger Anstrengung, das Land zu erreichen. Das Pferd hielt aus. Ich mußte beim Nahen jeder Sturmwelle die Indianerin emporheben, damit ihr Gesicht nicht überspült wurde.

Endlich faßte der Braune festen Boden, den die anderen Schwimmer noch nicht erreicht hatten. Ich stieg ab, legte die Indianerin auf die Erde, warf die Gewehre ab und band den Lasso wieder los. Ich warf ihn zunächst dem Bruder zu, den ich an das Land zog, dann dem Theesammler Monteso, welcher, als er am Ufer war, sich sofort auch seines Lasso bediente, um das Gleiche zu thun. So gelang es uns, nach und nach alle an das Ufer zu ziehen, wo ich dem Offiziere seine Brieftasche zurückgab, welche vollständig trocken geblieben war. Uebrigens war ich ebenso durchnäßt wie die anderen.

Indessen war es fast vollständig hell geworden. Das Schiff hing gar nicht allzuweit vom Ufer auf dem Floße und wir sahen jeden einzelnen der Passagiere, welche sich jetzt alle auf den aus dem Wasser ragenden Teil des Verdeckes gedrängt hatten. Wir hörten ihr Geschrei durch den Sturm hindurch und ersahen aus ihren Bewegungen, daß sie sich in großer Angst befanden. Das Schiff sank hinten immer tiefer. Die vier Steurer hatten sich endlich nach vorn begeben müssen, denn das Rad wurde von den Wogen vollständig überspült. Auch vorn begann es, zu sinken. Die Flößer hatten sich mit ihren Aexten auf das zweite Feld gewagt, um das erste, auf welchem das Schiff saß, loszutrennen. Die Lianen wurden durchhauen, und das Wasser riß einen Stamm nach dem andern mit fort, wobei es nicht zu vermeiden war, daß die mächtigen Baumriesen scharf gegen den Schiffskörper stießen.

Jetzt konnten die Räder wieder Wasser fassen. Das Schiff ging mit Rückdampf ein wenig abwärts und kam dann wieder vor, um sich am flachen Ufer festzusetzen. Es war die allerhöchste Zeit, denn es hatte sich herausgestellt, daß ein Loch in den Bug gestoßen worden war. Das Wasser drang durch dasselbe ein und begann den unteren Raum zu füllen. Das Hinterdeck war wieder emporgekommen und wurde, als die beiden Anker ausgeworfen worden waren, ebenso wie das Vorderteil durch die vorhandenen starken Staken gesteift, so daß sich das Fahrzeug nicht auf die Seite legen konnte. Dann wurde das Boot aus dem Wasser gezogen und ausgeschöpft, um die Passagiere dann, wenn die Wogen nicht mehr so hoch gingen, an das Land zu bringen.

Hätten wir gewußt, daß die Gefahr auf diese Weise bewältigt wurde, so wären wir an Bord geblieben und nicht so arg durchnäßt worden.

Von einer Weiterfahrt war keine Rede. Das Schiff konnte mit dem Lecke nicht fort und mußte bis zur Ausbesserung desselben an Ort und Stelle bleiben. Das Wasser stieg schnell bis in den Maschinenraum und löschte das Feuer aus.

Das alles war freilich nicht so schnell gegangen, wie man es zu erzählen vermag. Seit dem Zusammenstoße hatte es fast zweier Stunden bedurft, um den Dampfer in Sicherheit zu bringen. Bis dahin hatte die Wut des Sturmes leidlich abgenommen, und die Passagiere wurden nach und nach an das Land gebracht.

Dann ließ sich der Kapitän nach dem Floße rudern, um den Flößern eine Strafpredigt zu halten, welche sie aber nicht verdient hatten. Er verlangte Schadenersatz, sie aber auch, da die Lösung des Dampfers ihnen ein ganzes Feld des Floßes gekostet hatte. Er warf ihnen vor, daß sie nicht auf seine Warnungsglocke geachtet hätten. Sie aber bewiesen ihm, daß er sich von dem Sturme in einen Arm des Flusses hatte treiben lassen, welcher ausschließlich von Flößen befahren werden sollte. Er mußte das schließlich zugeben und die Leute an die Kompagnie verweisen, welche die Besitzerin seines Dampfers war.

Was sollten wir nun thun?

In dem scharfen Winde trockneten unsere Anzüge außerordentlich schnell. Unterhalb des Gürtels hatte das Wasser bei mir aber nicht eindringen können; doch gehörte eine feste Gesundheit dazu, ohne Erkältung davonzukommen.

Sonderbarerweise hatte das Wasserbad auf die erkrankte Indianerin sehr günstig gewirkt. Ihr hemdartiges Gewand war sehr schnell trocken, und sie behauptete, sich wieder ganz wohl zu fühlen.

Der Kapitän sagte uns, daß wir erst übermorgen einen aufwärtsgehenden Dampfer zu erwarten hätten, mit welchem wir die Fahrt fortsetzen könnten. Er riet uns, mit Hilfe des Buschwerkes und Schilfes Hütten zu bauen und war dazu bereit, alle auf dem Schiffe vorhandenen Bequemlichkeiten an das Land schaffen zu lassen. Auch glaubte er, daß der Proviant bis dahin reichen werde. Wir stimmten ein, da es voraussichtlich keine andere und bessere Unterkunft für uns gab.

Indessen kam der Indianer, welcher mir für die Hilfe, die ich seiner Mutter geleistet hatte, eine große Dankbarkeit widmete, zu mir und sagte:

»Sennor, wenn Sie nicht hier bleiben wollen, wo Sie es vor den Mosquitos nicht aushalten können, wenn der Sturm sich gelegt haben wird, so könnte ich Sie an einen bessern Ort bringen.«

»Wo ist das?«

»Es giebt in der Nähe einen Rancho, auf welchem ich gedient habe. Der Besitzer ist auch ein Indianer und ein entfernter Verwandter von mir. Er heißt Sennor Antonio Gomarra und würde Sie mit Freuden bei sich aufnehmen.«

»Wie weit ist es von hier?«

»Zu gehen hat man drei Stunden, während man zu Pferde den Weg in nicht viel mehr als einer Stunde machen kann.«

»Ich werde Ihr Anerbieten wohl nicht annehmen können, da ich mich nicht von meinen Gefährten trennen kann.«

»Die können ja mit!«

»Es sind aber neun Mann außer mir!«

»Das sind nicht zu viel, nur möchte ich dem Ranchero nicht zumuten, sämtliche Passagiere bei sich aufzunehmen. Darum werde ich Ihnen die Bitte ans Herz legen, zu verschweigen, wohin Sie gehen.«

Das Anerbieten war mir nicht unwillkommen. Auf dem Rancho wohnte und schlief es sich jedenfalls besser, als hier am Flußufer. Dort konnten wir auch des Schadens, den wir doch vom Wasser davongetragen hatten, leichter Herr werden. Ich stellte also meinen Gefährten die Sache vor, und sie zeigten sich gern bereit, auf das Anerbieten des Indianers einzugehen.

Vom Kapitän erfuhren wir, daß das Schiff vor übermorgen mittag nicht zu erwarten sei, also konnten wir bis früh auf dem Rancho bleiben, ohne zu befürchten, die Fahrgelegenheit zu versäumen. Wir sagten denen, die uns fragten, daß wir lieber landeinwärts nach einem Unterkommen suchen wollten, und standen eben im Begriff, uns auf den Weg zu machen, als der Offizier mich um einige Worte bat.

Er hatte sich bereits dafür bedankt, daß ich seine Brieftasche trocken an das Ufer gebracht hatte, und sagte jetzt:

»Ich höre, daß Sie ein Fremder sind, Sennor. Darf ich fragen, welchen Reisezweck Sie verfolgen?«

»Ich möchte den Gran Chaco kennen lernen,« antwortete ich.

»Das ist eine eigentümliche und fast gefährliche Aufgabe, welche Sie sich gestellt haben, Sennor. Sind Sie vielleicht Naturforscher?«

›Ja,« antwortete ich, um ihn zu überzeugen, daß ich keine landesgefährlichen Absichten verfolge.

»Beschäftigen Sie sich auch mit Politik?«

»Nein. Dieses Feld liegt mir so fern wie möglich.«

»Das freut mich, und so will ich Sie denn auch fragen, ob Sie für sich ein festes Unterkommen wissen oder nur ins Ungewisse hineinwandern wollen?«

»Ich soll nach einem Rancho geführt werden. Wir halten das geheim, damit nicht alle anderen nachgelaufen kommen.«

»Würden Sie mich und meinen Neger mitnehmen? Ich habe dringende Gründe, mich hier nicht zu verweilen.«

»Sehr gern. Sie sind uns willkommen.«

So schloß er sich uns also an, und der Indianer hatte nichts dagegen. Ob zehn oder zwölf auf dem Rancho ankamen, das war wohl gleichgültig. Nur sollten nicht so viele Leute mitgebracht werden, welche essen und trinken wollten, ohne bezahlen zu können oder bezahlen zu mögen.

Ich wollte die Indianerin, welche natürlich auch mitging, in den Sattel setzen; sie ging aber nicht darauf ein. Sie erklärte, sich plötzlich ganz gesund zu fühlen. Da es lächerlich ausgesehen hätte, wenn ich geritten wäre, während die anderen liefen, so ging ich auch und wies die Gesellschaft an, ihre Habseligkeiten auf das Pferd zu packen.

Das Ufer stieg, wie bereits gesagt, an der Stelle, an welcher wir uns befanden, langsam an, bis es die Höhe der Barranca erreichte. Das Gebüsch, welches wir zu durchschreiten hatten, war nicht dicht. Hohe Mimosen standen in demselben zerstreut. Zuweilen gab es eine Sumpflache, die wir umgehen konnten, sonst aber bot uns der Weg gegen unser Erwarten gar keine Schwierigkeiten. Der Grund davon war, daß der Indianer die Gegend sehr genau kannte. Er sagte, daß es genug undurchdringliche Dickichte und weit in das Land dringende Lagunen gebe, die er aber zu vermeiden wisse.

Später verlor sich das Gebüsch und wir gingen durch einen lichten Mimosenwald. Die Bäume standen weit auseinander. Sie werden hier wohl nur höchst selten über zehn Meter hoch, bilden aber wegen der sich an ihnen bis zur Spitze emporrankenden und blühenden Schlingpflanzen einen allerliebsten Anblick.

Der Sturm hatte sich fast völlig gelegt, und die Sonne kam wieder zum Vorschein. Es war einer jener Pamperos gewesen, die nur kurze Zeit anhalten, aber dafür eine zehnfache Stärke enthalten. Hier im Walde bemerkten wir von dem Winde fast gar nichts mehr.

Ich hatte mich unterwegs mit Bruder Hilario unterhalten. Der Offizier war nebenher gegangen und hatte unserem Gespräche wohl zugehört, sich aber nicht daran beteiligt. Erst als der Frater eine Bemerkung fallen ließ und ganz zufälligerweise den Namen des Major Cadera erwähnte, fragte der Offizier schnell:

»Cadera? Kennen Sie diesen Menschen?«

»Ja,« antwortete ich, »falls Sie nämlich denselben meinen, von welchem auch wir sprechen.«

»Es muß derselbe sein, denn es giebt nur einen einzigen Major Cadera. Sind Sie Freunde oder Feinde von ihm?«

»Hm! Das ist eine Frage, welche sich nicht so ohne weiteres beantworten läßt.«

»O doch. Wer nicht mein Freund ist, der muß doch mein Feind sein!«

»Wohl nicht. Es giebt Menschen, welche uns sehr gleichgültig sind, und das ist mir Cadera jetzt.«

»Früher war er es also nicht. So ist er entweder Ihr Freund oder Ihr Feind gewesen. Es wäre mir höchst interessant, zu erfahren, welches von beiden der Fall war.«

»Es steht nicht in meiner Macht, Ihnen die gewünschte Auskunft zu erteilen.«

»Aus welchem Grunde denn, Sennor?«

»Auch den muß ich verschweigen, da ich Sie nicht kenne. Wir haben Cadera in einer Weise kennen gelernt, daß es uns am liebsten ist, wenn wir seinen Namen nicht mehr hören.«

»Ah! So ist er also feindlich gegen Sie aufgetreten?«

»Ja.«

Er betrachtete mich mit prüfendem Blicke; ich aber wendete mich ab, zum Zeichen, daß ich dieses Thema fallen lassen wolle. Er aber hielt es fest und sagte:

»Verzeihung, Sennor! Ich bemerke zwar, daß Sie nicht gern von diesem Manne sprechen, aber ich möchte doch gern noch einige Fragen über ihn an Sie richten. Wollen Sie mir das erlauben?«

»Es wird das zu nichts führen. Ich kann jemandem, der mir unbekannt ist, keine Auskunft erteilen über Personen, an die ich nicht mehr denken mag.«

»Sie können mir aber doch vertrauen! Sehe ich denn wie ein Mensch aus, vor welchem man sich in acht zu nehmen hat?«

»Nein; aber der bravste Mensch kann unser Gegner sein.«

»Das bin ich jedenfalls nicht.«

»Können Sie mir das beweisen?«

Er blickte still vor sich nieder und sagte dann.

»Auch ich kenne Sie nicht. Ich weiß nicht, ob ich wirklich glauben darf, daß Sie ein Fremder sind.«

»So will ich es Ihnen beweisen.«

Ich zog meine Brieftasche heraus, durch welche das Wasser nicht hatte eindringen können, und gab ihm meinen Paß. Er las ihn, reichte ihn mir zurück und sagte.

»Da sind Sie freilich als Fremder legitimiert, und ich ersehe aus dem Visum, daß Sie sich kaum zwei Wochen im Lande befinden.«

»Kann ich mich also mit parteilichen Umtrieben befaßt haben?«

»Doch! Wer ist denn Ihr Begleiter?«

Diese Frage bezog sich auf den Frater, welcher neben uns her schritt und alles hörte.

»Mein Name ist Frater Hilario,« antwortete er selbst.

»Ich kenne Sie nicht.«

»Nun, so haben Sie vielleicht unter einem anderen Namen von mir gehört. Man nennt mich zuweilen auch den Bruder Jaguar.«

»Jaguar!« rief der Offizier aus. »Ist das wahr? Wenn das ist, so kann ich freilich sicher sein, daß ich Ihnen vertrauen darf. Haben Sie vielleicht einmal den Namen Alsina gehört?«

»Alsina? Meinen Sie vielleicht Rudolfo Alsina, den berühmten argentinischen Obersten, welcher so siegreich im Süden gewesen ist?«

»Denselben meine ich.«

»Kennen Sie ihn?«

»Versprechen Sie mir, mich nicht zu verraten?«

»Ja, gern. Sind etwa Sie selbst dieser Sennor?«

»Ja, Bruder. «

»Cielo! Dann wagen Sie viel, sich in diese Gegend zu begeben!«

»Das weiß ich gar wohl; aber ich bin gezwungen, dieses Wagnis zu unternehmen.«

»Wissen Sie, daß sich die ganze Provinz Entre Rios in Aufruhr befindet?«

»Ja.«

»Und wissen Sie, daß wir uns gegenwärtig noch in dieser Provinz befinden?«

»Wir sind der Grenze nahe.«

»Desto gefährlicher für Sie, da man gerade die Grenze gut besetzt haben wird. Wenn man Sie entdeckt, werden Sie ergriffen.«

»Ich werde mich möglichst wehren. Am allergefährlichsten war es für mich dort am Flusse. Der Verkehr ist stark. Flöße und Boote kommen und gehen. Wie bald konnte ich von Leuten des Generals Lopez entdeckt und festgenommen werden! Lieber gehe ich tiefer in das Land.«

»Um dann wieder zu dem Schiffe zurückzukehren?«

»Wenn ich muß, ja. Findet sich aber eine passende Gelegenheit, so schlage ich den Landweg ein bis nach Palmar am Corrientesflusse, wo ich für kurze Zeit Station machen muß.«

»Wohl um Jordans willen?«

»Jordan! Wo lernten Sie ihn kennen?«

»Bei ihm selbst. Wir waren als Gefangene bei ihm.«

»Ist das möglich! Sie? Warum?«

»Das ist eine höchst abenteuerliche Geschichte. Wollten wir sie Ihnen erzählen, so würde das eine bedeutende Zeit in Anspruch nehmen.«

»Und doch möchte ich Sie dringend ersuchen, sie mir mitzuteilen. Ich komme eben jetzt nach der Provinz Corrientes, um von hier aus Jordan anzugreifen, während er zu gleicher Zeit im Süden gepackt wird. Ich teile Ihnen das natürlich unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit mit.«

»Sennor, das wird Ihnen schwer werden.«

»Warum?«

»Weil er einen Anhang besitzt, welchem Sie wohl kaum gewachsen sind.«

»Augenblicklich bin ich schwach. Ich hoffe aber nach Verlauf von einigen Wochen ein so starkes Corps beisammen zu haben, daß ich den Angriff unternehmen kann.«

»Dazu bedarf es vieler Pferde, welche Ihnen Corrientes nicht liefern kann.«

»Ist er denn gar so stark?«

»Ich glaube, daß er um sein Hauptquartier mehrere Tausend Reiter versammelt hat. Rechnen Sie dazu die zahlreichen übrigen Orte, an welchen er Garnisonen errichtet hat, so kommt ein ansehnliches Heer zusammen.«

»Das habe ich freilich nicht gedacht.«

»Und zudem liegt die Provinz Entre Rios zwischen Flüssen, welche eine natürliche Schutzwehr bilden.«

»Pah! Wir haben Schiffe!«

»Denen die Ladung versagt wird, wenn der Kampf einmal ausgebrochen ist.«

»Das ist freilich wahr. Aber diese eine Provinz kann sich unmöglich gegen die anderen halten! Und bedenken Sie, welch ein Geld Jordan braucht, um sein Unternehmen auszuführen!«

»Das hat er.«

»Gehabt! Ich bin überzeugt, daß sein Vermögen bereits zur Neige ist. Er muß seine Leute gut besolden, wenn sie ihn nicht verlassen sollen.«

»Das kann er. Das Ausland giebt ihm das Geld.«

»Das wird sich hüten. Welcher Staat wird ein Unternehmen unterstützen, welches gleich von Anfang an den Keim des Mißlingens in sich trägt?«

»Ein Staat wird das nicht thun, aber es können sich Privatpersonen finden.«

»Mit Millionen? Schwerlich!«

»Gewiß! Bedenken Sie nur zum Beispiel die Eisenbahnverhältnisse in Argentinien! Es haben sich Yankeegesellschaften zum Bau großer Straßen angeboten. Sie sind abgewiesen worden. Wenn nun so eine Gesellschaft Jordan unterstützt und dafür die Konzession zugesprochen erhält, falls er siegt?«

»Halten Sie das für möglich?«

»Sogar für sehr wahrscheinlich.«

Der Oberst sah dem Bruder prüfend in das Gesicht und sagte dann:

»Sie scheinen diese Ansicht nicht ohne allen Grund zu hegen. Ihr Gesicht verrät mir das. Ich möchte Sie herzlichst bitten, offener mit mir zu sein!«

»Dazu kennen wir uns zu wenig.«

»Frater, ich bitte Sie, wir haben doch keine Zeit, uns kennen zu lernen, und das, was Sie wissen, kann von der höchsten Bedeutung für die gerechte Sache und die Ruhe des Landes sein!«

»Das ist allerdings der Fall. Aber zum Sprechen ist es noch nicht Zeit. Uebrigens widerstrebt es meinem Berufe, dergleichen Mitteilungen zu machen.«

»So adressieren Sie mich an einen andern, der mich gleichfalls zu unterrichten vermag!«

»Das kann ich thun. Wenden Sie sich an meinen Freund, diesen Sennor, welcher Ihnen noch weit bessere Auskunft zu erteilen vermag, als ich.«

»Ist das wahr, Sennor?« fragte der Oberst nun mich.

»Vielleicht erzähle ich Ihnen alles, was wir erfahren haben,« antwortete ich ihm. »Doch ist hier nicht der Ort dazu. Warten wir, bis wir uns auf dem Rancho befinden, wo wir alle Ruhe und Bequemlichkeit zu einer Besprechung haben, wie Sie wünschen!«

»Das mag sein, Sennor. Aber ich bitte Sie, ja Ihr Wort zu halten!«

Wir waren gegen eine Stunde lang durch den Wald gekommen, welcher von zahlreichen Papageien bevölkert wurde. Auch hier hatte der Pampero große Verwüstungen angerichtet. Mächtige Zweige waren abgebrochen und davongeführt worden. Dichte Schlingpflanzenlauben hatte der Sturm losgerissen, zusammengeballt und dann in die Wipfel gehängt. Zerschmetterte Vögel und andere Tiere lagen auf dem Boden.

Dann wurde der Wald dünner und immer dünner, bis er ganz aufhörte und in einen mit Gras bewachsenen Camp überging, welcher genau den Camps von Uruguay glich.

Das war zunächst eine einsame Gegend, in welcher wir nur Ratten, Eulen und Aasvögel bemerkten. Später aber sahen wir im Nordwesten weidende Pferde und noch zahlreichere Rinder. Die Herden befanden sich in Kaktusumzäunungen, wie wir sie früher gesehen hatten. Und dann tauchten hinter diesen Zäunen die niedrigen Gebäude des Ranchos auf, welcher unser Ziel bildete. Wir waren doch länger als drei Stunden gegangen, und als wir den Rancho erblickten, war die Sonne dem Untergange nahe.

Bei den Corrals hielten einige indianische Gauchos Wacht, welche aber keine Lust zu haben schienen, uns Auskunft zu erteilen. Sie ritten davon, als sie uns kommen sahen. Jedenfalls hielten sie uns für ganz verkommene Leute, für Gesindel, denn hierzulande besitzt selbst der ärmste Mensch ein Pferd, während wir nur ein einziges bei uns hatten, obgleich wir zwölf Männer waren. Dieser Umstand konnte uns für den ersten Augenblick kein freundliches Willkommen bereiten.

Der Rancho lag auf einem freien, viereckigen Platze, um welchen sich vier Umzäunungen gruppierten. Um zu ihm zu kommen, mußte man zwischen zwei derselben hindurch, mochte man nun von Nord oder Süd, von Osten oder West kommen.

Diese Lage war ganz geeignet, eine gute Schutzwehr gegen etwaige Ueberfälle zu bilden. Ein Bach, der in der Nähe vorüberfloß, war in vier Armen in die einzelnen Corrals geleitet. Neben und hinter den Gebäuden gab es Gärten. Vor dem Hauptgebäude, welches aber die Bezeichnung Haus nicht verdiente, befanden sich einige auf Pfähle genagelte Bretter, welche als Sitze dienten.

Kein Mensch ließ sich sehen. Die Thüre war verschlossen. Wir klopften. Keine Antwort. Wir suchten hinter den Gebäuden und fanden keinen Menschen. Das war freilich keineswegs die gastliche Aufnahme, welche der Indianer mir versprochen hatte. Die Läden standen auf. Ich trat an einen derselben, um in das Innere zu blicken. Da aber sah ich den Lauf eines Gewehres, welcher mir entgegengehalten wurde, und eine Stimme rief in drohendem Tone:

»Zurück, sonst schieße ich!«

Ich wich aber nicht zurück, sondern antwortete:

»Gott sei Dank! Endlich überzeugt man sich, daß hier Menschen wohnen! Warum schließen Sie sich ein?«

»Weil es mir so beliebt. Sie sollen sich schleunigst wieder fortpacken.«

»Wir sind friedliche Leute!«

»Das glaube ich nicht. Spitzbuben seid ihr, welche keine Pferde haben und also stehlen wollen.«

»Wir haben keine Pferde, weil sie uns lästig gefallen wären. Wir sind zu Schiffe gekommen, und der Pampero hat uns an das Land getrieben.«

»Das machen Sie mir nicht weis! Warum sind Sie nicht mit dem Schiffe weitergefahren?«

»Weil es ein Loch, einen Leck bekommen hat und nun hilflos am Ufer liegt. Dort sollten wir warten bis übermorgen; aber einer unserer Begleiter hat uns hierher geführt und uns versprochen, daß wir da gastlich aufgenommen würden und bis übermorgen bleiben könnten.«

»Ich brauche keine Gäste! Machen Sie, daß Sie fortkommen!«

Ich wendete mich ratlos ab. Da trat der Indianer an das Fenster und fragte hinein:

»Wo ist Sennor Gomarra?«

»Der ist nicht da,« erklang es von drinnen heraus. »Er ist fort.«

»Aber wohin?«

»Das geht euch nichts an.«

»Aber so seien Sie doch verständig, Sennor! Ich habe mich lange Zeit auf diesem Rancho befunden und bin sogar mit Sennor Gomarra verwandt. Ich kann doch unmöglich von hier fortgewiesen werden!«

»Wie heißen Sie denn?«

»Gomez.«

»Ah! So ist Ihre Mutter die Haushälterin gewesen?«

»Ja. Sie ist auch mit hier.«

»Das ist etwas anderes. Da werde ich Sie bei mir empfangen. Warten Sie, ich komme gleich!«

Nach kurzer Zeit wurde die Hausthüre aufgeriegelt, und der Mann kam heraus. Er hatte das Aussehen eines echten, verwegenen Gaucho. Mit ihm kamen noch drei andere Männer, welche von ganz demselben Kaliber zu sein schienen und uns sehr aufmerksam betrachteten.

»Also Sie sind Gomez!« sagte er zu dem Indianer. »Hätten Sie das sogleich gesagt, so wären Sie sofort empfangen worden. Sie wollen also bis übermorgen dableiben?«

»Bis übermorgen früh. Sennor Gomarra, mein Vetter, wird nichts dagegen haben, sondern es gern erlauben und sich sogar darüber freuen.«

»Der hat nichts mehr zu erlauben hier. Ich habe ihm den Rancho abgekauft.«

»Also wohnt er nicht mehr da?«

»Doch, aber nur als Gast.«

»Das ist mir sehr unlieb. Warum hat er verkauft?«

»Weil er das ruhige Leben nicht länger aushalten konnte. Er wollte wieder Abwechslung und Abenteuer haben. Er ist fortgeritten, kommt aber heute abend zurück.«

»Erlauben Sie uns dennoch, zu bleiben?«

»Natürlich. Sie sind mir willkommen.«

»Ich bleibe gern im Freien, die Yerbateros auch. Aber für die andern Sennores werden Sie vielleicht einen Platz im Hause haben?«

»Leider nicht. Dieser Platz ist bereits versagt. Es kommen noch andere Gäste. Wenn Sie sich ein Feuer anbrennen wollen, so werden Sie sich unter dem freien Himmel viel wohler als in der dumpfen Stube befinden.«

»Das ist richtig,« fiel ich ein. »Wir werden also im Freien bleiben. Bitte, uns einen Platz anzuweisen, an welchem wir ein Feuer anbrennen können.«

»Gleich hier vor dem Hause. Dieser Platz wird stets dazu verwendet.«

»Und darf ich mein Pferd in den Corral bringen?«

»Es ist besser, wenn Sie darauf verzichten, weil ich fast lauter störrische Tiere darin habe, welche einander gern beißen und schlagen. Ich werde Ihnen für das Ihrige dort den Schuppen einräumen. Er ist leer, außer einigem Handwerkszeug, welches sich darin befindet.«

»Und Futter?«

»Werde ich besorgen, auch Wasser.«

»Schön! Und wenn Sie dann noch Fleisch für uns haben, sind wir zufriedengestellt und werden alles reichlich bezahlen.«

Bei diesen Worten hellte sich seine Miene auf. Er wurde zusehends freundlicher und brachte mein Pferd in den hölzernen Schuppen, in welchen ich ihn begleitete. Dort band er es an, nachdem er ihm den Sattel abgenommen hatte. Ich sah einige Hacken und Schaufeln und ähnliche Werkzeuge, wie Spaten und Beile, daliegen. Der Boden war nicht einmal festgerammt, sondern weich. Das Dach bestand auch aus Brettern. Der Schuppen war ziemlich groß und hätte über 20 Pferde aufnehmen können. Da er an der Nordseite des Rancho lag, hatte er von dem aus Süden kommenden Pampero nichts gelitten. Die Thüre des Rancho lag gegen Norden, so daß man sie von dem Schuppen aus vor den Augen hatte.

Ich erwähne das, weil es später für uns wichtig wurde. Die Thüre lag nicht weiter als 2o Schritte von dem Schuppen entfernt. Dieser hatte nur rechts und links seines Einganges je einen Laden, welche von innen verriegelt werden konnten.

Das Pferd bekam grünes Futter vorgelegt, welches von den Gauchos mit Sicheln geschnitten worden war. Dann begab sich der Ranchero mit seinen Begleitern in seine Wohnung, um Essen für uns zu besorgen, während die Gauchos uns eine ganze Menge Brennmaterial zum Feuer herbeibrachten. Ein kleines Trinkgeld, welches ich ihnen gab, machte sie so gutwillig, daß sie uns einen Haufen trockener Kaktuspflanzen brachten, welcher gewiß zwei Tage für uns ausgereicht hätte. Das Feuer wurde ganz in der Nähe des Schuppens angebrannt, ungefähr fünf Schritte von der Thüre desselben entfernt. Das Brennmaterial war an der Schuppenwand aufgerichtet worden. Beide Umstände sollten uns später zum großen Vorteile gereichen.

Der Ranchero kehrte mit den andern zurück. Er brachte uns so viel Fleisch, daß wir uns weit mehr als satt essen konnten. Aber es waren eigentümliche Blicke, welche er dabei auf den Obersten warf. Jetzt fielen mir dieselben freilich nicht auf. Später jedoch erinnerte ich mich derselben und wußte mir dann zu sagen, was sie zu bedeuten gehabt hatten.

Die Sonne war untergegangen, und der Abend brach an, als wir das Feuer in Brand gesetzt hatten. Jeder erhielt sein Fleischstück und steckte es an das Messer oder an ein Stück Holz, um es über der Flamme Bissen für Bissen zu braten. Wasser wurde aus dem nahen Bache geholt. Der Ranchero sah uns dabei zu, ohne sich aber in eine Unterhaltung mit uns einzulassen. Seine Begleiter, welche ich nicht für Untergebene von ihm hielt, waren fortgegangen und ließen sich nicht wieder sehen. Auch dieser Umstand fiel mir erst später auf, als ich erfuhr, daß sie heimlich fortgeritten waren, um ihre Kameraden herbeizuholen.

Als wir gegessen hatten, zog sich der Oberst in den Schuppen zurück und bat mich und den Bruder, uns zu ihm zu setzen. Wir saßen da gleich am Eingange, so daß wir alles übersehen konnten.

»Jetzt haben wir Zeit, Sennores, und sind auch unbeachtet,« sagte er. »Nun denke ich, daß Sie mir sagen können, was Sie von Jordan wissen.«

Der Frater winkte mir, daß er lieber nicht sprechen wolle; darum antwortete ich:

»Nachdem ich Ihren Namen und Charakter weiß, kann ich Ihnen wohl ohne Gefahr Auskunft geben. Freilich widerstrebt es mir einigermaßen, da ich mir fast wie ein Verräter vorkomme.«

»Verräter? Gewiß nicht. Ich diene der von Gott eingesetzten Obrigkeit. Jordan ist ein Empörer. Wenn Sie mir mitteilen, was Sie wohl über seine Pläne und Absichten wissen, so sind Sie nicht ein Verräter, sondern Sie thun etwas, was Ihre Pflicht ist. Nicht?«

»Ja, Sie mögen recht haben.«

»Ist das, was Sie wissen, wichtig?«

»Sogar außerordentlich wichtig.«

»So säumen Sie ja nicht, es mir mitzuteilen! Vielleicht verhüten Sie dadurch viel Blutvergießen, jedenfalls aber großes Elend.«

»Das glaube ich auch. Darum will ich Ihnen gleich die Hauptsache sagen. Jordan soll Geld und Waffen erhalten.«

»Ah! Woher?«

»Von einem Kaufmanne Namens Tupido in Montevideo, welcher den Unterhändler macht.«

»Tupido? Also der! Wir haben schon längst ein Auge auf diesen Tupido gehabt. Wissen Sie es aber auch genau, daß es wahr ist?«

»Jawohl. Ich sollte sogar die Kontrakte zu Jordan bringen. «

»Haben Sie das nicht gethan?«

»Nein.«

»Ah! Sie sollten sie nehmen und uns nach Buenos Ayres bringen!«

»Danke! Die Sache geht mich nichts an. Ich bin kein Spion. Jetzt aber sehe ich mich moralisch gezwungen, Ihnen die Mitteilung zu machen. Uebrigens sind wir dann später alle bei Jordan gefangen gewesen.«

»Warum?« »Hören Sie!«

Ich erzählte ihm unsere Erlebnisse, natürlich so kurz wie möglich, und auch, daß die für Lopez bestimmte Lieferung in Buenos Ayres lagere. Er hörte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu. Sein Erstaunen wuchs von Minute zu Minute, und als ich geendet hatte, sagte er:

»Aber, Sennor, das ist doch ganz und gar außerordentlich! Das sollte man gar nicht für möglich halten! Können Sie beschwören, was Sie sagen?«

»Mit dem allerbesten Gewissen.«

»So haben Sie sich durch Ihre jetzige Mitteilung um unsre gerechte Sache außerordentlich verdient gemacht. Ich werde sofort einen Kurier absenden nach Buenos Ayres, um den Präsidenten auf das schleunigste zu benachrichtigen. Sehr wahrscheinlich ist die Uebergabe dieser Geld-, Waffen- und Munitionssendung noch nicht erfolgt und kann verhindert werden.«

»Wen wollen Sie senden?« »Meinen Neger. Er ist zuverlässiger als jeder andere.« »Aber wie soll er nach Buenos Ayres kommen?« »Mit Schiff natürlich.« »So senden Sie ihn möglichst unauffällig fort!« »Warum?« »Weil niemand davon zu wissen braucht.« »Trauen Sie dem Ranchero nicht?«

»Ich kenne ihn nicht; das ist genug. Er hat ein finsteres, trotziges Gesicht. Besser ist's, er erfährt es nicht eher, daß der Neger fort ist, als bis er es bemerkt oder es ihm auffallen muß.«

»Sie haben recht. Ich werde sofort schreiben, und zur Vorsicht den Auftrag dem Neger auch mündlich erteilen. Er mag gleich aufbrechen. Man weiß nicht, wodurch er später gehindert werden könnte.«

»Und wird er den Weg zum Schiffe finden?«

»Ganz gewiß, denn er besitzt einen ungemein scharf ausgebildeten Ortssinn.«

Er zog seine Brieftasche, in welcher sich allerlei Dokumente und auch eine ansehnliche Zahl großer Banknoten zu befinden schienen, riß ein Blatt heraus, schrieb einige Zeilen und winkte dann seinen Neger herbei.

Der Ranchero war einmal in das Haus gegangen. Darum sah er nicht, daß der Schwarze seine Instruktion erhielt und dann, ohne vorher mit jemandem ein Wort gesprochen zu haben, fortging.

Das war also besorgt; aber nun wollte der Oberst noch weit mehr wissen und erfahren. Ich erteilte ihm die möglichste Auskunft. Dann erkundigte er sich:

»Und nun wollen Sie direkt nach dem Gran Chaco, Sennor?«

»Ja.«

»Das ist mir nicht lieb, denn Sie könnten mich vorher nach Palmar begleiten.«

»Das hat für uns keinen Zweck.«

»Aber für mich! Für Sie ist es übrigens höchst wahrscheinlich auch von Vorteil. Ich fühle mich auf dem Schiffe nicht sicher. Ich möchte lieber reiten, und wenn Sie mich begleiteten, würde ich doppelt sicher sein. Die Pferde würden wir ja hier bekommen. Ich würde sie gern für Ihre Kameraden bezahlen.«

»Das ist nicht nötig. Sie brauchen sie später doch.«

»Und sodann würde ich Ihnen aus Dankbarkeit einige wichtige Empfehlungen geben, die Ihnen später von großem Nutzen sein würden.«

Dieses Versprechen des Obersten, welcher später zu noch weit größerer Berühmtheit gelangte, fiel natürlich gewichtig in die Wagschale. Er sah, daß ich zauderte, hielt mir die Hand entgegen und bat:

»Schlagen Sie ein! Reiten Sie mit!«

»Ich kann nicht allein darüber entscheiden.«

»So sprechen Sie mit Ihren Kameraden.«

Mauricio Monteso kam auf einen Wink herbei und antwortete, als ich mich nach der zwischen hier und Palmar liegenden Gegend erkundigte:

»Wir haben von hier aus verschiedenes Terrain, offenen Camp, Wald, aber nicht dichten, und zuweilen auch Sumpf, doch nicht viel.«

»Und wie lange reiten wir?«

»Wenn wir am Morgen aufbrechen, so können wir übermorgen am Mittag in Palmar sein. Es ist anderthalber Tagesritt, nämlich nach meiner Schätzung. Wenn die Sümpfe, welche wir umgehen müssen, nicht wären, würden wir wohl schon am Abend am Ziele sein. Warum fragen Sie?«

»Dieser Sennor will hin, und wir sollen ihn begleiten. Er ist Oberst Alsina.«

»Himmel! Sennor Alsina, der Indianerbezwinger? Welch eine Ueberraschung!«

»Schreien Sie nicht so sehr!« warnte ich ihn. »Es darf niemand wissen, wer wir überhaupt sind. Wir befinden uns doch noch auf dem Boden von Entre Rios?«

»Jawohl.«

»So sind wir keineswegs sicher, müssen daher möglichst vorsichtig sein.«

»Ich denke, bis hierher an die Grenze wird Jordan noch nicht gekommen sein.«

»Wenn er ein kluger Mann ist, wird er gerade auf die Grenzen sein schärfstes Augenmerk gerichtet haben.«

»Also der Sennor will nach Palmar, und wir sollen mit? Das ist gut.«

»So fragen Sie die andern, aber leise, daß die Bewohner des Rancho nichts davon merken.«

»Sie werden doch erfahren, was und wohin wir wollen, da wir ihnen die Pferde abkaufen müssen!«

»Vom Pferdehandel brauchen Sie erst morgen zu erfahren. Uebrigens können wir uns die Tiere ja nur am Tage aussuchen, und selbst dann brauchen diese Leute nicht zu wissen, wohin wir reiten.«

Der Yerbatero ging. Bald kam der Kapitän zu uns und meldete:

»Sir, wir alle reiten mit, es ist uns lieb, zu Lande bleiben zu können. Auf diesen argentinischen Fahrzeugen ist ja kein Mensch seines Lebens sicher. Ich habe noch niemals eine solche Fahrt gemacht wie heute. Also wir reiten mit, und morgen früh werden wir die Pferde kaufen. Well!«

Er kehrte wieder zu dem Feuer zurück, wo er sich mit den andern so gut wie möglich in seinem englisch-spanischen Kauderwelsch zu unterhalten suchte.

Der Oberst war aufrichtig erfreut, daß wir so bereitwillig auf seinen Vorschlag eingingen. Ich hatte sehr gern ja gesagt. Das Land zu sehen war mir weit lieber, als nur auf dem Flusse zu bleiben. Am allerliebsten wäre ich mit bis in das Gebiet der Missiones geritten. Er reichte mir dankend die Hand und sagte:

»Ich habe Ihnen diese Bitte ganz besonders deshalb vorgetragen, weil ich mich bei Ihnen sicher fühlen kann. Sie und Ihre kleine Truppe sind mehr wert als dreißig oder fünfzig Argentinier.«

»O bitte!«

»Gewiß! Sie haben mir nicht alles erzählt, und das übrige nur oberflächlich. Aber ich kann doch dazwischen herauslesen, daß Sie sich selbst vor dem Teufel nicht fürchten.«

»Wer ein gutes Gewissen hat, der hat das freilich nicht nötig.«

»Ich meine es auch nur bildlich. Es hat eine Verwegenheit sondergleichen dazu gehört, Jordan zu entgehen. Sollten wir unterwegs ja zwischen Feinde geraten, so bin ich überzeugt, daß Sie sich nicht ergeben werden.«

»Feinde habe ich eigentlich nicht. Ich bin weder Anhänger noch Gegner von Jordan. Aber wenn mir Hindernisse in den Weg gelegt werden, so werde ich dieselben freilich beiseite zu stoßen trachten.«

»Und sehen Sie den Steuermann an, der doch auch ein Deutscher ist! Dieser Mann nimmt es mit seiner Riesenkraft wohl mit Zehnen auf. Ich stehe also unter einem ganz vortrefflichen Schutz und Schirm. Uebrigens habe auch ich ein Messer und zwei Revolver nebst Munition bei mir. Sind wir dann beritten, so müßten es schon viele sein, denen es gelingen sollte, mich in ihre Hand zu bekommen.«

»Sie haben wichtige Papiere bei sich?«

»Papiere und Gelder. Es wäre ein sehr großer Verlust, wenn diese in feindliche Hände fielen.«

»Nun, so wollen wir versuchen, Palmar glücklich zu erreichen. Jetzt aber dürfte es Zeit sein, sich zur Ruhe zu begeben, da wir jedenfalls morgen früh aufbrechen wollen.«

»Ja, Sennor. Wo schlafen wir? Im Freien oder in diesem Schuppen?«

»Ich ziehe das letztere vor.«

»Ich auch.«

»So mögen auch die andern, damit wir beisammen bleiben, sich mit hereinlegen. Aber wie war es denn? Sagte nicht der Ranchero, daß er noch andere Gäste erwarte?«

»Ja.«

»Es müssen mehrere sein, da wir in der Wohnung keinen Platz finden konnten. Und warum ließ er mein Pferd nicht in den Corral?«

»Weil seine Pferde beißen und schlagen, sagte er.«

»Pah! Die Beißer und Schläger muß er doch der übrigen Pferde wegen anbinden. Seine Weigerung scheint also einen anderen Grund zu haben. Am liebsten möchte ich warten, bis die erwarteten Gäste angekommen sind, weil ich wissen möchte, wer sie sind. Wie nun, wenn sie Anhänger Jordans wären?«

»Das wäre freilich höchst unangenehm, denn es befinden sich nicht nur Offiziere, sondern auch Soldaten bei ihm, welche mich gesehen haben und genau kennen.«

»Nun, so wollen wir also warten! Uebrigens kommt es mir sonderbar vor, daß der Ranchero sich jetzt nicht wieder sehen läßt.«

»Er wird bei seinen Pferden sein.«

»Dazu hat er die Gauchos. Wir sind seine Gäste und gehen also vor. Und wo sind die Leute, die sich bei ihm befanden, als er uns empfing? Auch fort ohne Adieu zu sagen oder, wenn sie hier geblieben sind, sich um uns zu bekümmern. Das ist mir auffällig. Hat der Ranchero keine Frau, keine Magd? Man sieht kein weibliches Wesen. Das Haus scheint ganz leer zu stehen. Ich werde mir das Innere einmal ansehen.«

Ich verließ den Schuppen und ging hinein. Man kam durch die Thüre gleich in die Stube, welche die ganze Breite des Hauses einnahm. Von hier aus, wo ein Licht brannte, führten zwei Thüren weiter, die eine links und die andere rechts. Letztere war nur angelehnt. Der Boden war mit Schilfmatten belegt, durch welche meine Schritte gedämpft worden waren. Ich trat leise zu der Thüre und sah durch die schmale Oeffnung derselben. Da lag ein kleiner Raum, jedenfalls zum Schlafen bestimmt. Zwei Lager nahmen den Boden ein, ein breites und ein schmales. Auf dem letzteren lagen zwei Kinder. Auf dem ersteren saß eine Frau, welche beim trüben Scheine einer Talglampe irgend ein schadhaftes Kleidungsstück ausbesserte.

Da war nichts zu hören und auch nichts zu erfahren. Ich begab mich also nach der andern Thüre, welche zur linken Hand lag. Diese war nicht mit einem Riegel, sondern mit einer Holzklinke versehen, welche sowohl von innen, wie auch von außen geöffnet werden konnte, und zwar durch ein kleines Loch, durch welches es möglich war, den Finger zu stecken. Ich machte sie auf.

Beim Scheine der Lampe, der aus der Stube hinausfiel, sah ich, daß es eine Art von Küche war, aus welcher wieder eine Thüre weiter führte, und zwar ins Freie, wie ich mich überzeugte. Diese Thüre konnte ebenso von innen wie von außen geöffnet werden. Trat man durch sie, so kam man hinter das Hauptgebäude des Rancho.

Dorthin ging ich und kehrte dann an das Feuer zurück, wo jetzt auch der Oberst mit dem Frater stand.

Eben wollte ich den Gefährten mitteilen, daß ich eine Frau mit zwei Kindern gesehen hätte und daß es mir sehr auffällig sei, daß diese drei Personen sich gar nicht blicken lassen, als der Ranchero zwischen zwei Corrals nach dem Rancho kam. Er war auch jetzt wieder nicht allein, sondern es begleitete ihn ein Mann, den ich noch nicht gesehen hatte, der vorher nicht bei ihm gewesen war.

Dieser Mann war noch ziemlich jung und trug die Jacke, die Schärpe und den Hut eines Gaucho. Aber seine Stiefel waren diejenigen eines vornehmeren Mannes. Seine Sporen leuchteten wie Gold, und seine Haltung zeigte eine Eleganz, welche ein Gaucho unmöglich besitzen konnte. Sollte dieser Mann nicht der sein, für den er sich ausgeben wollte? Sollte er verkleidet sein?

Die beiden kamen auf uns zu, und der Ranchero fragte:

»Haben die Sennores alles genug gehabt? Oder wünschen sie noch etwas?«

»Ich danke!« antwortete ich. »Wir haben keinen Wunsch und werden baldigst schlafen gehen.«

Der junge Mann betrachtete den Oberst prüfend. Ich sah, daß dieser letztere sich schnell abwendete, damit er sein Gesicht in den Schatten bringe. Dann sah der Mensch auch mich, den Bruder und die andern scharf an und fragte schließlich:

»Darf ich das Pferd noch versorgen und ihm Wasser geben, Sennor?«

Mit dieser Frage hatte er sich an mich gewendet. Ich antwortete:

»Schon gut! Das Pferd bedarf nichts. Uebrigens will ich doch nicht Sie belästigen!«

»Warum nicht?«

»Weil Sie kein Diener sind.«

»Aus welchem Grunde bezweifeln Sie das?« fragte er, indem er die Farbe wechselte.

»Aus verschiedenen Gründen. Wo kommen Sie her?«

»Vom Corral.«

»So! Nun, ich kann nichts dagegen haben; doch sind wir mit allem versorgt und brauchen wirklich nichts.«

Die beiden gingen, und zwar in das Innere des Rancho. Der Oberst wollte mir eine Bemerkung machen. Ich ahnte aber schon, was er mir zu sagen hatte, und durfte auch keine Minute oder Sekunde verlieren, ihm zuzuhören. Ich rannte in höchster Eile hinter das Haus, öffnete die Hinterthüre, schlich mich in die Küche und von da an die Thüre, welche zur Stube führte. Dort sah ich jetzt nur den jungen Mann stehen. Der Ranchero war nicht zu sehen. Nach weniger als einer Minute aber hörte ich seine Stimme. Er war bei der Frau und den Kindern gewesen, kam jetzt zurück und rief der ersteren noch zu, ehe er die Thüre zumachte:

»Also ihr löscht nun das Licht aus und kommt nicht eher zum Vorscheine, als bis ich euch hole; vor morgen früh gar nicht.«

Ich hörte, daß er die Thüre zuschob, und nun erst kam er zu dem andern und sagte:

»Nun, Lieutenant, hat der Sergeant recht gesehen? Ist es Oberst Alsina?«

»Kein Zweifel! Ich habe ihn in Buenos Ayres sehr oft gesehen.«

»Tempestad! Machen wir da einen Fang!«

»Größer als Sie denken!« lächelte der Lieutenant. »Aber gefährlich ist er.«

»Oho! So viele Reiter werden wohl einen Obersten ergreifen können! Seine Begleiter schlagen wir einfach nieder!«

»Das geht nicht so leicht. So ein Kerl fürchtet sich vor fünf oder zehn nicht, falls ich mich nicht irre. Wir machen nämlich einen doppelten, einen dreifachen, einen zehnfachen Fang. Diese Kerle werden von Jordan auch gesucht.«

»Wer sind sie denn?«

»Wenn meine Vermutung richtig ist, so sind sie die niederträchtigsten Schwindler, welche es nur geben kann. Sie haben die Absicht gehabt, Jordan zu betrügen und seine ganze Politik zu Schanden zu machen.«

»Ist das möglich?«

»Leider! Major Cadera nahm sie gefangen und brachte sie zu Jordan. Von dort haben sie sich losgelogen. Sie machten Jordan Teufelszeug weis, haben aber nicht Wort gehalten und Cadera sogar auf einer Flußinsel ausgesetzt.«

»Ist er ertrunken?«

»Nein. Er kam schnell und glücklich an das Ufer, nahm dem ersten besten Reiter, welcher ihm begegnete, das Pferd und jagte zu Jordan zurück. Dieser sandte den Kerlen natürlich sogleich heimlich Boten nach. Diese erfuhren in Buenos Ayres, daß die Halunken Schiffsbillets nehmen würden, um im Parana wohl bis nach Corrientes zu gehen. Nun ist der Fluß besetzt, um alle Schiffe anzuhalten.«

»Und sind sie denn nicht angehalten worden?«

»Nein. Sie wären ja sonst nicht hier. Man hat nicht schnell genug sein können. Glücklicherweise aber hat der Pampero sie zum Aussteigen gezwungen.«

»Sind es diese Leute wirklich?«

»Ich glaube es. Die Beschreibung stimmt genau. Der allerschlimmste soll derjenige mit dem ledernen Anzug sein. Wer ihn fängt, wird dreitausend Papierthaler von Jordan erhalten.«

»Animo! Die verdiene ich mir!«

»Uebrigens werde ich ganz genau gehen und mich überzeugen, daß ich mich nicht etwa täusche. Wir haben einen mit, welcher im Hauptquartiere war, als die Kerls sich dort befanden. Er hat sie alle ganz genau gesehen, und ich werde ihn herschicken, damit er sie sich ansehen kann.«

»Aber vorsichtig, damit sie nicht Verdacht fassen!«

›Ja. Dieser Weißlederne glaubte mir doch auch nicht, daß ich ein Gaucho sei. Er ist ein niederträchtiger MenscW Aber wir werden ihm die Flügel beschneiden!«

»Ist er wirklich so gefährlich?«

›Jeder von dieser Gesellschaft. Wir werden besser mit List als mit Gewalt verfahren.«

»Das ist doch überflüssig, Sennor. Denken Sie, daß hier gegen vierhundert Soldaten, welche nach der Grenze sollen, zufälligerweise vorhanden sind. Die Hälfte ist bereits da und hat die Gänge und Corrals besetzt. Die andere Hälfte wird in kaum einer Viertelstunde kommen. Wozu da eine so große Vorsicht?«

»Weil Sie diese Leute nicht kennen. Der Major Cadera hat gesagt, daß sie den Teufel im Leibe haben. Wir müssen warten, bis sie schlafen. Dann beschleichen wir sie und fallen über sie her. Da haben wir sie, ohne daß ein Tropfen Blut vergossen wird. Wo werden sie schlafen?«

»Im Freien oder im Schuppen.«

»Warum nicht hier in der Stube?«

»Weil die Herren Offiziere da schlafen wollten.«

»Davon konnten Sie getrost abweichen. Schliefen die Männer hier, so könnten wir uns am allerleichtesten ihrer bemächtigen.«

»Ja, das habe ich freilich nicht gewußt. Ich hielt sie nur für Vagabunden.«

Die beiden sprachen noch weiter. Da ich aber beim Feuer sein wollte, wenn sie aus dem Rancho kamen, so schlich ich mich zurück und wartete dort. Es dauerte gar nicht lange, so kam der Lieutenant heraus, leider allein. Sollte ich ihn entkommen lassen, um den Ranchero nicht mißtrauisch zu machen? Es war das eine wichtige Frage. Hielt ich den Lieutenant fest, so konnte mir der Ranchero entgehen, indem er schnell entfloh. Ließ ich ihn aber fort, so half mir die Festnahme des Ranchero nichts. Ich verzichtete also darauf, einen oder den andern von ihnen allein zu ergreifen, und ließ den Lieutenant an uns vorübergehen.

Bis jetzt hatte ich den Gefährten nichts gesagt. Sie wußten aber doch, daß irgend etwas geschehen sei, worüber ich schon noch sprechen werde. Nun, als der junge Offizier fort war, fragte ich den Oberst:

»Sie wendeten sich vorhin ab. Warum?«

»Sennor, ich bin verraten,« antwortete er.

»Dieser sogenannte Gaucho kannte Sie?«

»Ja. Er war ein Offizier, ein Lieutenant im Dienste von Lopez.«

Er stand früher in Buenos Ayres, und dann hörte ich, daß er zu Lopez Jordan übergegangen sei. So sagte er dem Ranchero.«

»Sie haben ihn belauscht?«

»Ja. Einer der Männer, welche vorhin hier waren, ist Sergeant. Er hat Sie erkannt und es gemeldet.«

»So müssen sich also doch Soldaten hier befinden?«

»Allerdings. Zweihundert Mann, welche bereits die Ausgänge besetzt haben. In wenigen Minuten aber kommen noch weitere zweihundert Mann.«

»Demonio! Was wollen so viele Soldaten plötzlich hier?«

»Sie sind nach der Grenze beordert, und da Sie zufälligerweise von dem Sergeanten erkannt wurden, hat man sie schnell herbeigeholt, um Sie zu ergreifen. Uebrigens ist nun auch der Fluß besetzt, um sich unserer zu bemächtigen.«

»So dürfen wir nicht dorthin zurück, was wir ja auch gar nicht beabsichtigen, sondern wir müssen schleunigst nach der Grenze!«

»Wie wollen Sie das anfangen?«

Er hatte schnell gesprochen. Jetzt kratzte er sich hinter dem Ohre und antwortete viel langsamer:

»Ja, ja, da haben Sie recht. Daran dachte ich ja gar nicht. Die Ausgänge sind doch besetzt. Sollte es keine Hilfe geben?«

»Pah! Man bekommt uns noch lange nicht. Vor Anbruch des Tages wird sich freilich nicht viel thun lassen, denn wir müssen sehen, gegen wen wir uns zu verteidigen haben. Allzulang aber dürfen wir uns auch nicht verweilen, sonst zieht man noch mehr Truppen herbei, so daß dann ein Entkommen ganz und gar unmöglich ist. Wir werden also am besten den Tagesanbruch abwarten.«

»Sind Sie denn so gewiß, daß es uns dann gelingen wird?«

»Ich denke es. Geht es nicht auf die eine Weise, so wird es auf die andere erzwungen.«

»Aber meinen Sie denn wirklich, daß wir es mit vierhundert Mann aufzunehmen vermögen? Das wäre doch ein außerordentliches Selbstbewußtsein!«

»Ich habe es. Wenigstens ist mir bis jetzt noch nicht bange. Für Sie ist die Hauptsache, daß Sie Ihre Botschaft glücklich fortgebracht haben, und ich hoffe, daß es dem Neger gelungen ist, nach dem Flusse zu gelangen.«

»Aber wie wollen Sie es denn anfangen, beim Tagesgrauen durch diese Leute zu entkommen?«

»Entweder geschieht es ganz offen oder heimlich. Werden erst sehen.«

Bis jetzt hatte nur der Oberst gesprochen. Nun fragte der Kapitän Turnerstick, welcher unser Spanisch nicht sogleich verstand, was wir so eifrig zu besprechen hätten. Als ich es ihm erklärte, meinte er zornig:

»Schon wieder! Diese Schufte mögen uns doch einmal in Ruhe lassen! Wir haben ja gar nichts mit ihnen zu schaffen und wollen auch nichts von ihnen wissen. Wenn sie uns nicht fortlassen, nun, so habe ich verschiedene Dutzende von Patronen für die Revolver und auch für das Gewehr, welche ich glücklich durch die Nässe gebracht habe. Fangen lasse ich mich nicht wieder und erschießen nun vollends nicht. Ich habe keine Lust, hier in diesem Camp zu allen meinen Vätern versammelt zu werden!«

Und sein Steuermann fügte seinerseits hinzu, indem er seine gewaltigen Hände freundlich anschaute:

»Jetzt endlich könnte es die ersehnte Gelegenheit geben, einige von diesen Menschenkindern zwischen die Finger zu bekommen. Ich freue mich darauf!«

Jetzt kam der Ranchero aus dem Hause. Er wollte zu uns, damit der Soldat, den er erwartete, dadurch Veranlassung bekäme, auch nahe an uns heranzutreten und uns genau zu betrachten. Eben sahen wir auch diesen Mann durch einen der Kaktusgänge herankommen. Er trug die Kleidung eines Gaucho.

»Steuermann,« flüsterte ich Larsen schnell zu, »wenn ich Ihnen einen Wink gebe, nehmen Sie den Ranchero schnell beim Kragen, doch so, daß er nicht schreien kann!«

»Soll geschehen, Herr!« nickte der Riese.

Der Ranchero war nun da. Er that, als ob er den Gauchosoldaten erst jetzt bemerke und wendete sich zu ihm:

»Was willst du? Diese Sennores brauchen nichts.«

»Ich wollte nur fragen, ob ich ihr Pferd vielleicht hinaus zum Camp auf die Weide bringen soll.«

»Nein,« antwortete ich. »Es bleibt bei uns, wo es sich in größerer Sicherheit befindet.«

»Wer sollte ihm draußen etwas thun? Raubtiere giebt es hier ja nicht.«

»Aber Raubmenschen.«

»Auch nicht. Pferdediebe sind seit Menschengedenken nicht hier gewesen. Und selbst wenn so ein Kerl käme, halten wir Gauchos so gut Wache, daß er sich unverrichteter Dinge wieder zurückziehen müßte.«

»Aber wenn nun ihr selbst es auf das Pferd abgesehen hättet?«

»Wir?« fragte er lang gedehnt und im Tone des Erstaunens.

»Ja, ihr!«

»Sennor, wir stehen im Dienste des Ranchero und werden doch seine Gäste nicht in Schaden bringen! Uebrigens sind wir ehrliche Leute, und keiner von uns hat jemals ein Pferd gestohlen.«

»Das glaube ich nicht. Es würde euch sehr lieb sein, das einzige Pferd zu bekommen, welches wir haben. Ich kann mir das denken.«

»Sie irren sich sehr!«

»Sie kennen mich ja und wissen also, daß ich mich nicht irre.«

»Ich? Sie kennen?! Ich habe Sie noch niemals in meinem Leben gesehen.«

»Sie wissen es nur zu genau. Ihr Lieutenant hat Sie gesandt.«

»Lieutenant? Wer ist das?«

»Der Gaucho, welcher vor einigen Minuten hier war. Er hat Sie hergesandt, um sich zu überzeugen, daß ich wirklich derjenige bin, für den ihr mich haltet.«

»Davon weiß ich kein Wort!«

»Wissen Sie auch nichts davon, daß Sie sich noch vor einigen Tagen bei Lopez Jordan befunden haben?«

»Ist mir nicht eingefallen!«

»Sie sahen uns, als wir aus dem Hause nach dem Brettergebäude geführt wurden, in welchem wir während der Nacht bleiben sollten?«

»Nein.«

»Sie befanden sich sogar unter den Leuten, welche uns bedrohten und nur auf den strengen Befehl des uns begleitenden Rittmeisters zurückwichen?«

»Sennor, ich habe keine Ahnung davon!«

»Sie sind wirklich Gaucho im Dienste dieses Ranchero?«

»Ja.«

»Nun, so werden Sie sich auch nicht scheuen, unserer Einladung zu folgen und während der Nacht hier bei uns im Schuppen zu bleiben.«

»Gern! Vorher aber muß ich noch einmal in den Corral!«

»Das ist nicht nötig. Aus einem Corral können die Pferde nicht ausbrechen; sie befinden sich da ganz sicher. Sie bleiben also sogleich bei uns, um uns Gesellschaft zu leisten.«

»Aber es kann Ihnen doch sehr gleichgültig sein, ob ich bei Ihnen schlafe oder anderswo!«

»Nein! das ist uns eben nicht gleichgültig. Sie sollen uns dadurch beweisen, daß Sie wirklich Gaucho sind und zu diesem Ranchero gehören.«

Der Mann hatte keine andere Waffe als sein Messer bei sich. Er konnte uns keinen Widerstand leisten. Meine Gefährten hatten um ihn und den Ranchero einen Kreis geschlossen. Der Steuermann stand hinter dem letzteren und ich vor dem Soldaten.

»Wozu ein solcher Beweis?« fragte dieser. »Mein Herr hier kann es mir bezeugen.«

»Ja, Sennores,« fiel der Ranchero ein. »Sie haben diesen braven Gaucho in einem ganz falschen Verdachte.«

»Der Verdacht ist richtig,« antwortete ich ihm. »Und nicht er allein, sondern auch Sie selbst stehen unter demselben. Haben Sie nicht gehört, daß ich einen Lieutenant erwähnte, welcher soeben auch als Gaucho hier gewesen ist?«

»Das ist eben ein ganz gewaltiger Irrtum Ihrerseits.«

»So ist wohl auch alles das, was Sie mit ihm in der Stube gesprochen haben, Irrtum gewesen?«

»Was?«

»Daß Sie zunächst Ihrer Frau befohlen haben, die Schlafkammer nicht eher zu verlassen, als bis es ihr erlaubt wird? Sie wollten diese Maßregel treffen, damit Ihr braves Weib nicht erfahren solle, welche Schlechtigkeiten hier unternommen werden.«

»Welche Schlechtigkeiten wären das? Ich muß mir solche Reden verbitten!« brauste der Ranchero auf.

»Nicht so laut, Sennor! Ist es nicht eine Schlechtigkeit, wenn jemand seine Gäste an das Messer liefern will?«

»Wer ist dieser Jemand?«

»Sie sind es!«

»Nein und abermals nein!«

»Pah! Sie sprachen von einem Sergeanten, von Boten, welche fortgeschickt worden sind, von zweihundert Soldaten, welche hier die Ausgänge besetzt halten, von abermals zweihundert, welche noch kommen wollen, von diesem Manne hier, welcher nachschauen solle, ob wir wirklich diejenigen sind, welche Jordan so gar zu gern fangen will! Wollen Sie auch jetzt noch leugnen?«

»Sie haben gehorcht?« fragte er betroffen.

»Allerdings, und ich habe ein jedes Wort gehört.«

»Das war nur Scherz. Gehen Sie nach jeder Richtung. Sie werden keinen einzigen Soldaten finden!«

»Danke! Ich würde Ihnen geradezu in die Hände laufen.«

»Nein. Es ist wahr!«

»Nun, wenn Sie das so fest versichern, so kann es Ihnen ja sehr gleichgültig sein, wenn wir auch Sie auffordern, die ganze Nacht bei uns im Schuppen zu bleiben.«

»Das geht nicht. Ich muß natürlich in meiner Wohnung sein.«

»Damit machen Sie sich verdächtig!«

»Meinetwegen. Lassen Sie mich fort!«

Er wurde zornig.

»Bleiben Sie nur!« lachte ich ihm in das Gesicht. »Der Lieutenant sagte Ihnen vorhin, daß wir wahre Teufel seien. Sie aber hielten es für leicht, uns zu ergreifen. Sie werden jetzt erfahren, daß er recht gehabt hat. Sie bleiben bei uns!«

»Und wenn ich nicht will?« fuhr er auf.

»So werden wir Sie zwingen.«

»Ich gehe!«

»Versuchen Sie es!«

Er wollte fort. Ich gab dem Steuermann den Wink, und dieser nahm ihn bei Brust und Rücken, eine Hand vom, die andere hinten, daß ihm der Atem ausging und er kein Wort mehr sagen konnte.

»Soll ich ihn zerquetschen, Sennor?« fragte mich der Riese.

»Nein. Aber binden müssen wir ihn, an den Händen und den Füßen.«

Larsen legte den Ranchero auf den Boden nieder. Sogleich waren Riemen genug da, ihn zu fesseln. Er konnte wieder Atem schöpfen, stöhnte ängstlich auf, wagte aber nicht zu rufen, da der Yerbatero ihm das Messer vor die Brust hielt. Der Soldat hatte das mit angesehen, ohne sich von der Stelle zu rühren. Es war, als ob er vor Schreck sich gar nicht mehr bewegen könne.

»Aber, Sennor!« rief er jetzt aus. »Was thun Sie da? Der Ranchero ist doch Ihr Feind nicht!«

»Pah! Er ist es ebenso, wie Sie es sind. Oder wollen Sie leugnen, daß Sie nicht Gaucho, sondern Soldat sind?«

»Lassen Sie mich fort von hier,« antwortete er, ohne auf meine Frage ein direktes Wort zu sagen. Er machte eine Bewegung, als ob er sich schnell entfernen wolle; ich hielt ihn aber beim Arme zurück und sagte:

»Nicht so plötzlich, mein Lieber! Sehen Sie diesen Revolver! Sobald Sie ohne meine Erlaubnis noch einen Schritt thun, sitzt Ihnen die Kugel im Kopfe! Wir sind nicht Leute, welche Spaß mit sich treiben lassen!«

Jetzt bekam er Angst.

»Sennor,« sagte er in bittendem Tone, »was kann ich dafür? – Bin ich schuld? – Muß ich nicht gehorchen?«

»Das weiß ich, und darum soll Ihnen kein Leid geschehen, obgleich Sie als Spion zu uns gekommen sind. Wenn Sie meine Fragen der Wahrheit gemäß beantworten, so soll Ihnen nichts geschehen; ich werde Sie sogar zurückkehren lassen. Aber sobald ich Sie auf einer Lüge ertappe, ist es um Sie geschehen. Wollen Sie aufrichtig antworten?«

»Ja, Sennor!«

Der Mann war kein Held. Daß er zu uns geschickt worden war, hatte er nicht etwa seinem Mute, sondern nur dem Umstande zu verdanken, daß er uns kannte. Sein Blick irrte von einem zum andern und blieb angstvoll auf unsern Waffen haften.

»So sagen Sie mir, wo Lopez Jordan sich jetzt befindet!« forderte ich ihn auf.

»Noch im dermaligen Hauptquartiere.«

»Major Cadera?«

»In Parana. Er leitet die Truppen, welche Sie auf den Schiffen suchen sollen.«

»Wie viele Leute sind jetzt am Rancho beisammen?«

»Vierhundert.«

»Wer kommandiert sie?«

»Ein Major.«

»Ist Antonio Gomarra, der frühere Besitzer dieses Rancho, mit dabei?«

»Ja. Als Führer, da er diese Gegend genau kennt. Er hat den Rang eines Oberlieutenants.«

»Warum kam er nicht zum Rancho?«

»Weil wir ihn noch mit den andern zweihundert Mann erwarten.«

»Wo wollten Sie hin?«

»Ueber die Grenze nach Corrientes, Pferde zu holen und Soldaten zu werben.«

»Das heißt so viel wie Pferde stehlen. Ich weiß es. Sind noch andere Trupps hier in der Nähe?«

»Nein.«

»Aber es könnten schnell welche herangezogen werden?«

»So schnell nicht. Es würde wohl einige Tage dauern.«

»Ist Euer Major bei Euch oder kommt er erst?«

»Er ist da, rechts am Ausgange der beiden Corrals.«

»Wie hat er seine Truppen verteilt?«

»An jedem Ausgange fünfzig.«

»Patrouillieren sie?«

»Nein. Dann wären sie ja nicht da, wenn Sie durchbrechen wollten.«

»Sehr klug! Wie werden die zweihundert verteilt, welche noch kommen?«

»Gerade auch so, so daß vor jedem Durchgange zwischen den vier Corrals je hundert Mann stehen.«

»Das ist dumm, sehr dumm! Auf diese Weise kommen wir nicht durch!«

Ich sagte das im Tone des Bedauerns, ja sogar im Tone großer Besorgnis. Der Mann fiel schnell ein:

»Da haben Sie sehr recht, Sennor. Sie können uns unmöglich entkommen.«

»Das scheint wirklich so. Hm! Mit hundert Mann nehmen wir es freilich nicht auf!«

»Nein. Und dazu kommt noch ein wichtiger Umstand, welchen Sie nicht vergessen dürfen. Sobald Sie auf der einen Seite durchbrechen wollen, ruft der Major die Besatzung der drei andern Ausgänge herbei. Sie haben dann alle vierhundert Mann gegen sich.«

»Pah! So gescheit ist der Mann nicht!«

»O doch! Ich habe ja gehört, was er sagte.«

»Er wird Ihnen, der Sie ein gewöhnlicher Soldat sind, doch nicht etwa seine Dispositionen mitteilen?«

»Nein. Aber ich hielt in der Nähe, als er den andern Offizieren seine Befehle gab. Da hörte ich es.«

»Caspita! Das ist allerdings sehr schlimm! Wir können ausbrechen, wo wir nur wollen, so haben wir vierhundert Mann gegen uns! Da werden wir augenblicklich zusammengeschossen!«

»Ganz gewiß, Sennor! Darum rate ich Ihnen, sich lieber gleich freiwillig zu übergeben.«

»Freiwillig?« brummte ich, indem ich mir den Anschein gab, als ob ich im höchsten Grade verdrießlich sei. »Das hätte ich nicht gedacht! Ich wollte mich meiner Haut wehren.«

Es gelang mir, ihn durch dieses Verhalten irre zu machen.

Dieser Schwachkopf nahm alles für bare Münze und glaubte nun gar, mir gute Lehre geben zu können.

»Es ist das Klügste und Allerbeste, was ich Ihnen raten kann, Sennor,« sagte er in einem plötzlich sehr zutraulichen Tone. »Sie können wirklich nicht fort, denn Sie sind ja von allen Seiten so gut eingeschlossen, daß wohl keine Ratte oder Maus hindurch könnte. Befolgen Sie also meinen Rat. Ich meine es sehr gut mit Ihnen; das können Sie mir glauben. Es ist sonst keine Rettung vorhanden.«

»Hm! Sie scheinen allerdings recht zu haben. Wir sind da ganz ahnungslos in eine schlimme Falle gegangen. Dennoch möchte ich mich nicht so ohne allen Widerstand ergeben. Es muß doch noch irgend ein Rettungsweg vorhanden sein. Wie nun, wenn wir ganz ruhig hier sitzen bleiben?«

»So kommen wir herein.«

»Wir postieren uns an die vier Corralgänge und verteidigen dieselben.«

»Bitte, Sennor, wie wollen Sie das denn eigentlich anfangen?« lachte der gute Mann in überlegener Weise.

»Sehr einfach. Wir sind doch bewaffnet!«

»Wir auch. Durch jeden Gang kommen hundert Mann von uns. Sie aber haben diesen hundert kaum drei entgegen zu stellen. Es bleibt Ihnen wirklich nichts anderes übrig, als sich zu ergeben.«

»Das will ich mir doch erst noch einmal überlegen.«

»Thun Sie das! Aber es wird wohl vergeblich sein. Vielleicht giebt Ihnen der Herr Major eine kurze Bedenkzeit. Soll ich ihn fragen?«

»Jetzt noch nicht. Sie sind ja noch nicht bei ihm!«

»So senden Sie mich hin!«

Es schien ihm sehr darum zu thun zu sein, möglichst schnell von uns fortzukommen, obgleich unser Aussehen bedeutend weniger drohend war, als vorher. Sobald ich eine scheinbar bedenkliche Miene angenommen hatte, thaten auch meine Gefährten ganz so, als ob sie nun von großen Befürchtungen erfüllt seien und den Gedanken an Rettung aufgeben wollten. Sie verstellten sich natürlich ebenso, wie ich mich selbst verstellte. Was mir der Mann mitteilte, war nicht nur nicht beunruhigend, sondern sogar sehr beruhigend für uns. Es erschien mir jetzt als eine ziemlich leichte Sache, uns aus dieser Falle zu ziehen. Dennoch sagte ich auch jetzt in sehr bedenklichem Tone zu dem Soldaten:

»Ich kann hin- oder hersinnen, so ersehe ich keinen Ausgang. Sie haben uns geradezu überrumpelt!«

»Nicht wahr?« lachte er gemütlich. »Ja, wir wissen einen Lasso zu werfen!«

»Befanden Sie sich denn so gar sehr in der Nähe?«

»Ja. Wir wollten eben nach dem Rancho, um da Nachtlager zu machen. Wir hatten unsre Quartiermacher vorausgeschickt.«

»Ah! Unter denen der Sergeant war?«

»Ja. Sie gingen natürlich nicht als Soldaten, denn man muß vorsichtig sein.«

»Warum hatten Sie denn gerade diesen Rancho gewählt?«

»Er war uns vom Führer vorgeschlagen worden, welcher ihn ja ganz genau kannte, da er bis vor kurzer Zeit Besitzer desselben gewesen war.«

»Und Ihre Pferde haben Sie in den Corrals untergebracht, wie sich ja von selbst versteht?«

»Nein. So dumm waren wir nicht. Das hätten Sie ja doch bemerken müssen.«

»Was hätte das geschadet?«

»Sie hätten ja gesehen, daß Truppen einrückten, und wären uns da ganz gewiß entflohen. Darum haben wir die Pferde außerhalb der Corrals gelassen, welche nun freilich leer stehen. «

»Leer? Die Tiere des Ranchero befinden sich doch wohl jedenfalls darinnen?«

»Nein, sie wurden still fortgetrieben, um den unsrigen Platz zu machen.«

»Ah so! Nun, dann können Sie ja Ihre Pferde in die Umzäunung treiben, da es nichts mehr zu verraten giebt. Wir wissen ja nun, daß Sie sich hier befinden und uns eingeschlossen haben.«

»Auch das werden wir wohl schwerlich thun. Wie nun, wenn es Ihnen gelingt, sich durchzuschlagen? Man muß eben mit allem rechnen. Man ist ja Soldat!«

»Nun, was meinen Sie?«

»Dann können wir Sie nicht verfolgen, denn ehe jeder sein Tier aus den Corrals gefunden hat, sind Sie ja über alle Berge fort.«

»Hm! Auch das ist richtig. Ich sehe jetzt, wie klug Ihr Major seinen Plan angelegt hat. Sie können ihm meinetwegen sagen, daß ich ihn für einen außerordentlich gescheiten Mann halte!«

»Danke! Werde mich hüten! Er braucht nicht zu wissen, wie lange und was ich hier geschwatzt habe.«

»Auch wieder richtig! Aber es giebt wohl doch noch ein Mittel, mich zu wehren. Soeben fällt es mir ein. Ich habe ja Geiseln.«

»Ah so! Etwa mich?«

»Nein. Ich habe Ihnen ja versprochen, Sie fort zu lassen.«

»Der Major würde Sie meinetwegen auch nicht verschonen. «

»Das glaube ich selbst. Ja, wenn Sie ein hoher Offizier wären! Ich habe aber doch Personen, wegen deren Ihr Kommandant Rücksicht gebrauchen muß. Ich werde sie Ihnen jetzt zeigen.«

»Wohl den Ranchero hier? Auf den wird der Major nicht allzu viel geben.«

»So hole ich die andern. Der Herr Oberst Alsina, dessen Namen ich nun wohl nennen kann, weil er doch erkannt worden ist, mag Sie indessen weiter fragen.«

Der Oberst wollte jedenfalls gern möglichst viel über Jordan und seine Pläne wissen; darum konnte ich mir denken, daß er diesen Soldaten auszufragen beabsichtige. Konnte er von demselben auch nichts Direktes erfahren, so war es doch möglich, aus den Angaben und Antworten dieses Mannes indirekte Schlüsse zu ziehen.

Ich ging in den Rancho, und zwar nach der Schlafstube. Als ich die Thüre derselben öffnete, war es dunkel darinnen. Aber der Schein der Stubenlampe war hinreichend, mir zu zeigen, daß die Frau noch wach sei. Sie bewegte sich. Als sie sah, daß ein Fremder dastand, fragte sie erschrocken:

»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«

»Ich will Sie zu Ihrem Manne holen.«

»Ich komme gleich!«

»Bringen Sie auch die Kinder und einige Betten mit in den Schuppen.«

»Warum?«

»Die Offiziere werden das ganze Haus haben wollen, und so giebt es hier keinen Platz für Sie.«

»Ich komme gleich, Sennor.«

Sie hielt mich nicht für einen Soldaten. Sie mußte mich ja bei unserer Ankunft gesehen haben. Da sie jetzt glaubte, daß ich im Auftrage des Militärs handle, konnte sie also noch gar nicht wissen, daß die Soldaten unsere Gegner seien. Ihr Mann hatte alles vor ihr geheim gehalten.

In so einem Rancho schläft man nur selten entkleidet. Die Frau war sofort fertig, mir zu folgen. Sie lud einige Decken auf und rief die Kinder zu sich. Wir gingen hinaus.

Ich führte sie in den Schuppen und ging so an ihrer Seite, daß sie ihren noch an der Erde liegenden Mann nicht sehen konnte. Drin machte sie sich dann für sich und die Kinder das Lager zurecht, und ich winkte einen der Yerbateros an die Thüre, welcher darüber wachen sollte, daß sie sich nicht entferne. Ebenso winkte ich den Indianer zu mir und erkundigte mich bei ihm:

»Glauben auch Sie, daß Sie sich in Gefahr befinden?«

»Natürlich, ich und meine Mutter. Mitgegangen, mitgefangen.«

»Hm! Angst brauchen Sie aber nicht zu haben. Was für ein Mann ist denn eigentlich Ihr Verwandter, der frühere Besitzer dieses Rancho? Ein böser Mensch?«

»O nein. Er ist nur sehr ernst und verschlossen. Es wurde ihm ein Bruder getötet, den er sehr lieb gehabt hat. Seit jener Zeit ist er Menschenfeind.«

»Und Anhänger von Jordan?«

»Wie er dazu kommt, das weiß ich wirklich nicht. Er ist niemals der Anhänger einer Partei gewesen.«

»Sie sagten, er sei Indianer?«

»Ja, gerade wie ich.«

»Nun, Jordan scheint den Indianern große Vorteile und Freiheiten vorzuspiegeln. Da ist es kein Wunder, wenn er unter ihnen Anhänger findet. Aber begeistert kann der Mann doch nicht sein!«

»Man weiß es nicht, da er zum Oberlieutenant gemacht worden ist. So etwas pflegt nicht ohne Eindruck zu sein.«

»Was war er früher?«

»Chinchilla-Jäger.«

Die Chinchilla gehört zu den Wollmäusen, lebt in bedeutender Höhe in den Anden und wird unter großen Gefahren wegen ihres wertvollen Pelzwerkes gejagt. Hatte sich der Ranchero mit der Jagd dieser Tiere beschäftigt, so besaß er also Eigenschaften, welche man zu achten und anzuerkennen hatte.

»Ich werde ihn mir schicken lassen,« sagte ich zu dem Indianer, »um zu unterhandeln.«

»Diesen Wunsch wird man erfüllen; nur wird es zu nichts führen.«

»Ich weiß das; aber ich habe eine gewisse Absicht dabei.«

Jetzt trat ich wieder zu dem Feuer, an welchem der Oberst noch mit dem Soldaten sprach. Aus der befriedigten Miene des ersteren war zu ersehen, daß seine Erkundigungen wohl nicht so ganz ohne Resultat gewesen seien. Als ich kam, machte er mir Platz und sagte:

»Es wird wohl dabei bleiben, Sennor, daß wir uns ergeben müssen. Diese Leute sind uns an Zahl weit überlegen.«

»Ja,« nickte ich. »Und dazu haben sie ihre Vorkehrungen so außerordentlich gut unternommen und getroffen, daß kein Mensch entkommen kann, ohne kämpfen zu müssen.«

»Was thun wir also?«

»Nun, haben Sie denn gar so große Lust, möglichst bald Gefangener von Jordan zu sein?«

»Das freilich nicht. Ich möchte mich gerne meiner Haut wehren. Es geht aber nicht. Und mich ganz unnötigerweise und ohne den geringsten Erfolg in den Tod stürzen, das kann mir doch auch nicht einfallen.«

»Mir ebensowenig. Aber ich habe da ein Mittel entdeckt, wenigstens einen Angriff abzuwehren und Zeit zur Verhandlung zu gewinnen. Der Ranchero ist gefangen, und soeben habe ich auch seine Frau und Kinder in den Schuppen geschafft. Sobald man uns überfällt, werden wir diese Personen erschießen.«

»Alle Wetter! Das ist freilich ein sehr guter Gedanke!«

»Nicht wahr? Ich bin vollständig entschlossen, diese Leute zu töten, sobald der Feind hier durch einen der vier Gänge brechen oder eine Kugel nach uns senden sollte!«

»Qué desgracia – welch ein Unglück!« stieß der Ranchero hervor.

»Sie sind selbst schuld daran!« antwortete ich ihm. »Sie haben den Verräter gegen uns gespielt. Wir waren Ihre Gäste, und Sie lieferten uns dem Feinde aus. Nun hängt Ihr Leben an einem einzigen Haare. Larsen, schaffen Sie ihn fort, und bringen Sie ihn zu seiner Frau! Aber diese muß auch gebunden werden, damit sie nicht etwa auf den dummen Gedanken geraten kann, ihm die Fesseln zu lösen.«

»Soll besorgt werden, Sennor!«

Nach diesen Worten nahm der riesige Steuermann den Ranchero auf die Schulter und trug ihn in den Schuppen. Ich aber wendete mich an den Soldaten:

»Sie sehen, wozu wir entschlossen sind. Seien Sie überzeugt, daß wir thun, was ich gesagt habe.«

»Das ist Mord, Sennor!« antwortete er. »Und Sie verbessern sich dadurch Ihre Lage nicht. Sie können höchstens die Entscheidung um einige Stunden hinausschieben.«

»So ist wenigstens Zeit gewonnen.«

»Die Ihnen aber nichts nützen wird!«

»Wollen sehen. Uebrigens ist dies nicht das einzige, was ich thun will. Ich bin erbötig, mit dem Major zu unterhandeln und seine Bedingungen zu hören.«

»Soll ich ihm das sagen?«

»Ja. Ich bitte Sie darum. Warten Sie aber noch einen Augenblick! Ich wünsche, daß er seinen Führer, den Oberlieutenant Sennor Gomarra sendet.«

»Warum gerade diesen?«

»Weil er die Gegend und die hiesigen Verhältnisse genau kennt. Was er sagt, muß also doppelten Wert für uns haben.«

»Das gebe ich zu und werde also Ihren Wunsch dem Major mitteilen.«

»Und sodann – doch, ich will mich erst mit dem Obersten besprechen.«

Ich wandte mich an den letzteren, nahm ihn einige Schritte beiseite und sagte ihm leise, wie er sich jetzt verhalten solle. Dann thaten wir, als ob wir uns eifrig und mit halber Stimme besprächen, und endlich sagte der Oberst wie im Eifer und zwar so, daß der Soldat es hörte, aber scheinbar ohne es hören zu sollen:

»Darauf gehen sie nicht ein!«

»Sie müssen!«

»Nein! Wir können sie nicht zwingen.«

»So überfallen wir sie, höchstens eine Stunde, nachdem der Unterhändler sich entfernt hat. Aber reden Sie doch nicht so laut, denn dieser Kerl darf das nicht hören!«

Wieder sprachen wir leise; dann that ich, als ob ich zornig werde und sagte lauter und für den Soldaten hörbar:

»Es ist gar nicht schwer und gefährlich!«

»Sogar sehr! Wir können alle miteinander erschossen werden!«

»Ja, wenn die Kerle aufpaßten. Aber ich wette, daß sie müde werden. Wir kommen ganz plötzlich und schnell über sie.«

»Nach welcher Richtung?«

»Nach Süd, weil da das Schiff liegt, mit welchem wir fort wollen. Wir werfen uns plötzlich zwischen die beiden Corrals, zwischen denen der Gang südwärts führt. Binnen einer Minute haben wir uns durchgeschlagen.«

»Hm! Es mag vielleicht gehen.«

»Auf alle Fälle geht es; es muß ja gehen. Aber sprechen Sie nicht so laut! Der Mann könnte es hören, und dann würde er es verraten. In diesem Falle würde es dann keine Rettung für uns geben.«

Wir gaben uns noch für ein kleines Weilchen den Anschein, als ob wir miteinander verhandelten, dann wendeten wir uns zu den andern zurück. Um die Lippen des Soldaten spielte ein triumphierendes Lächeln. Er war vollständig überzeugt, in unser tiefstes Geheimnis eingedrungen zu sein. Die Art und Weise, wie wir das ausgeführt hatten, hätte wohl auch einen Klügeren, als dieser war, zu täuschen vermocht. Unsere Unterhaltung hatte einen so natürlichen Anstrich gehabt, daß nur schwer auf eine beabsichtigte Täuschung zu schließen war.

»Ich bin mit diesem Sennor einig geworden,« sagte ich zu dem Manne. »Er hat sich auch entschlossen, daß wir unterhandeln. Der Major soll uns sagen, wen er überhaupt gefangen nehmen will.«

»Alle natürlich, alle!«

»Oho! Es sind auch Männer bei uns, mit denen er gar nichts zu schaffen hat.«

»Das weiß ich nicht. Das ist seine Sache.«

»Und das Lösegeld will ich wissen.«

»Das wird's nicht geben, weil er die Gefangenen abzuliefern hat.«

»Das wollen wir doch sehen. Also sagen Sie dem Major, daß wir nur Sennor Gomarra als Parlamentär haben wollen!«

»Wenn er nun nicht darauf eingeht, sondern einen andern schickt?«

»So behalten wir diesen als Gefangenen, als Geisel bei uns. Nur Sennor Gomarra lassen wir wieder fort, weil er der Freund unseres Führers ist. Er weiß vielleicht schon, daß dieser sich hier befindet, nämlich Gomez, sein Anverwandter.«

»Er wird es wohl gleich bei seiner Ankunft erfahren haben. Soll ich auch noch anderes melden?«

»Ja. Gomarra soll allein kommen, ohne alle Begleitung.«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Sagen Sie ferner, daß wir die vier Ausgänge der Kaktushecken, welche nach dem Rancho münden, besetzen werden, um jeden niederzuschießen, welcher sich zu uns wagt. Ich betrachte nämlich die Zeit zwischen jetzt und dem Ende unserer Verhandlung als die Zeit des Waffenstillstandes, während welcher jede Feindseligkeit zu unterbleiben hat. Sollte das nicht beobachtet werden, so würden wir den Unterhändler augenblicklich erschießen. Jetzt gehen Sie!«

»Gott sei Dank!« rief er tief aufatmend. »Endlich, endlich!« Als er verschwunden war, fragte der Oberst:

»Sennor, Sie scheinen einen Rettungsplan zu haben?«

»Einen ganz vortrefflichen. Wir rücken aus, vielleicht noch während der Verhandlung.«

»Das ist doch nicht möglich!«

»Sogar sehr wahrscheinlich. Wenigstens beabsichtige ich es.«

»Zwischen Absicht und Ausführung pflegt ein bedeutender Weg zu sein.«

»Hier nicht.« »So! Aber wohin?« »Nach Nord.« »Also nicht nach Süd! Sie sagten vorhin doch so?«

»Weil ich diesen Mann täuschen wollte. Man wird nun südwärts die meisten Leute stellen. Uebrigens wäre es eine Dummheit, nach dieser Richtung zu fliehen, da wir ja nach Corrientes, also nach Norden wollen und es uns überhaupt versagt ist, zum Schiffe zurückzukehren.«

»Ganz recht! Aber in welcher Weise?« »Nun, durchbrechen.« »Das kostet Blut!« »Allerdings.«

»Ah, ich begreife Sie. Sie werden einen Scheinangriff nach Süd unternehmen, aber sich dann schnell nach Norden wenden?«

»Dieses letztere jedenfalls.«

»Also eine Finte! Sie denken, daß die nordwärts postierten Soldaten ihren Ort verlassen, wenn sie im Süden die Schüsse hören?«

»Wahrscheinlich. Wir können dann recht gemächlich fort. Wir gehen durch die Kaktushecken.«

Er war starr vor Erstaunen.

»Ah – – – so! Glauben Sie denn, daß dies gelingt?«

»Ja. Wenn der Major seine bisherigen Dispositionen nicht verändert, so muß es gelingen, und zwar sehr leicht.«

»Man wird auf uns schießen!«

»Das bezweifle ich. Man schießt nicht auf jemand, den man weder sieht, noch hört.«

»Sennor, Sennor, stellen Sie sich die Sache nicht so leicht vor!«

»Das pflege ich nie zu thun. Ich male mir im Gegenteile alles schwer aus, um dann nicht enttäuscht zu werden. Hören Sie!«

Indem ich meine Ausführung mit den erklärenden Handbewegungen begleitete, fuhr ich fort:

»Die Besitzung bildet ein großes Viereck, welches aus wieder vier zusammengeschobenen Vierecken besteht, in deren Mittelpunkte, da, wo sie mit den Ecken zusammenstoßen, der Rancho liegt. Diese Vierecke sind durch vier gradlinige Wege voneinander getrennt, welche alle zum Rancho führen. Sie sind ferner von Kaktushecken umgeben, welche Ausgänge nur hier gegen den Rancho und gegen die äußern Ecken haben. Es stoßen also hier am Rancho vier Ausgänge aufeinander; an den Grenzen der Corrals aber sind nur die Ecken zu öffnen. Nun aber hat der Major die Wege besetzt; es steht zu erwarten, daß er auch die Ecken besetzt hat, da wir sonst so einen Ausgang öffnen und entfliehen könnten. Die ganze Linie des einzelnen Corrals ist aber nicht besetzt. Posten stehen an den Ecken und Gängen, dazwischen aber niemand. Und da müssen wir hindurch.«

»Aber wenn Sie ein Loch in den Kaktus machen, zerreißen Sie sich die ganze Haut!«

»Bei meinem ledernen Anzuge? Sie werden sehen, wie glatt das geht. Ich habe das nicht zum erstenmal unternommen. Doch still, ich höre Schritte!«

Es war eigentümlich, daß es mir gar nicht einfiel, die Mündungen der Gänge zu besetzen. Eigentlich konnte es gar keine größere Unvorsichtigkeit geben. Aber ich hatte die feste Ueberzeugung, daß man wenigstens jetzt an keinen Angriff denken werde. Und wie leicht hätte man uns überwältigen können! Die Soldaten brauchten nur eben leise herbeizuschleichen und über uns herzufallen. Jeder Widerstand unsererseits wäre vergeblich gewesen. Statt dessen kam ein einzelner Mann langsamen Schrittes herbei. Er trug keinerlei Waffen an sich, wie das von einem Unterhändler sich ganz von selbst versteht. Seine lange, hagere Gestalt steckte in keiner außergewöhnlichen Kleidung. Er trug den ordinären GauchoAnzug. Um seinen breitkrämpigen Hut hatte er ein buntes Tuch gebunden, welches unter dem Kinn fest geknüpft war. Die Züge waren indianisch, sehr ernst, ja finster. Sein großes Auge schien gar nicht freundlich blicken zu können, zeigte aber ungewöhnliche Intelligenz und Willenskraft.

Als unser Führer ihn erblickte, sprang er schnell auf, trat auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte:

»Endlich, Sobrino, bist du da! Endlich sehe ich dich! Nun wird alles gut!«

Der Ernste nickte ihm zu und sagte in einfachem Tone:

»Bleib' sitzen! Was ereiferst du dich?«

»Soll man sich da nicht ereifern?«

»Gar nicht! Dich geht's nichts an!«

»Sogar sehr viel, ebenso wie jeden andern. Es wurde ja gesagt: Mitgegangen, mitgefangen!«

»Das betrifft dich nicht, Vetter. Dir wird niemand etwas thun. Aber die andern sind verloren.«

»Sie sind meine Freunde! Ich habe sie hierher geführt!«

»So müssen sie dich sogar dafür bezahlen!«

»Aber ich habe sie ins Verderben geleitet! Und dieser Sennor hat meiner Mutter während des Pampero das Leben gerettet! «

»Das ist sehr hübsch von ihm. Sie wird sich doch auch bei ihm bedankt haben!«

»Dafür soll er gefangen werden?«

»Gefangen? Pah! Sterben muß er.«

»Cielo!«

»Was giebt es da zu erschrecken? Was ist das Sterben weiter? Mancher muß fort, sogar durch Mördershand!«

»Denke doch nicht stets und immer an deinen Bruder!«

»Ich muß aber an ihn denken, immer und immer wieder.«

»Das gehört nicht hierher!«

»Das gehört dahin, wohin ich selbst gehöre. Und nun schweig'! Du bist in Sicherheit. Ich werde dich dann gleich mitnehmen.«

»Ich gehe nur mit, wenn die andern gehen.«

»So kann ich es nicht ändern. Bleibe also da!«

Er blickte uns der Reihe nach an, setzte sich dann mir gegenüber nieder und sagte:

»Nach der Beschreibung vermute ich, daß Sie der Deutsche sind?«

»Ich bin es,« antwortete ich.

»Sie führen hier das Wort, wurde mir gesagt, und ich wende mich deshalb an Sie. Was haben Sie mir zu sagen?«

»Zunächst und mit mehr Recht möchte ich wissen, was Sie mir zu sagen haben.«

»Ich habe Ihnen vom Major zu melden, daß ich mit Ihnen unterhandeln soll, da Sie es so gewünscht haben.«

»Gut! So wollen wir zunächst die Grundlagen feststellen, auf denen eine solche Unterhandlung möglich ist. Was verlangt der Major?«

»Sie alle.«

»Wir sollen uns ihm als Gefangene überliefern?«

»So ist es.«

»Und wenn wir uns weigern?«

»So werden Sie niedergeschossen.«

»Was wird mit uns geschehen, wenn wir uns ausliefern?«

»Das hat Lopez Jordan zu bestimmen.«

»Wir würden in diesem Falle wenigstens Garantie verlangen, daß keiner von uns getötet wird.«

»Die kann der Major nicht geben.«

»Aber, Sennor, bemerken Sie denn nicht, was Sie verlangen? Wir sollen uns auf Gnade und Barmherzigkeit ausliefern, ohne dafür irgend etwas zu empfangen, keine Garantie, kein Versprechen, kein Wort, nicht einmal einen Trost!«

»So ist es.«

»Darauf können wir nicht eingeben.«

»Schön! So sind wir also schon fertig, und ich kann gehen.«

»Ich wollte Sie nur noch fragen, was wir verbrochen haben!«

»Das geht mich nichts an. Sie wissen das jedenfalls besser als ich.«

»Wir selbst sind es, an denen man sich vergangen hat!«

»Streiten wir uns nicht! Ich habe meinen Auftrag auszurichten; das andere alles mag ich nicht hören.«

»Wir können uns nicht ausliefern. Bedenken Sie doch, daß wir unterhandeln wollen und daß wir uns noch keineswegs in Ihrer Gewalt befinden!«

»Nicht? Das ist verrückt!«

Ich behielt trotz seines harten Wesens meine gedrückte Haltung und den Ton meiner Stimme bei, indem ich antwortete:

»Das ist Ihre Ansicht, aber nicht die meinige.«

»Jede Gegenwehr ist nutzlos!«

»Vielleicht warten wir gar nicht, bis für uns die Gegenwehr notwendig ist.«

»Weiß schon!« lachte er höhnisch. »Man kennt das!«

jedenfalls hatte er erfahren, daß wir nach Süden hatten durchbrechen wollen. Ich sah seinem Gesichte an, daß mein Plan bereits Früchte trug. Aber eben darum zeigte ich keine Spur von Freude, sondern ich sagte so, als ob ich meiner eigenen Versicherung nicht traue:

»Wir können immerhin noch durchbrechen, selbst wenn sie uns von allen Seiten umgeben haben! Und greifen sie uns an, so besetzen wir hier die Eingänge, durch welche sie kommen müssen!«

»Drei Mann gegen hundert!« lachte er.

»Ja, aber diese drei Mann haben über zwanzig Schüsse!«

»Pah! Man schießt selbst mit Revolvern nicht zwanzigmal in einer Minute.«

Er zog die Stirne in die Falten, musterte mich mit einem verächtlichen Blicke, zuckte die Achseln und fragte:

»Sennor, darf ich Ihnen etwas recht aufrichtig, ganz aufrichtig sagen?«

»Thun Sie es!«

»Ich will Ihnen nämlich sagen, daß Sie ein Dummkopf sind!«

Das war eine sehr überraschende Mitteilung. Meine Gefährten richteten sogleich alle ihre Blicke auf mich. Sie mochten glauben, daß ich zornig über den Sprecher herfallen werde. Das kam mir aber gar nicht in den Sinn. Ich mußte mir Mühe geben, nicht laut aufzulachen. Ruhig zu bleiben, das fiel mir gar nicht schwer. Ich blickte ihm also weder erstaunt, noch zornig in das Gesicht und antwortete:

»Daß Sie das sagen, nehme ich Ihnen nicht übel. Sie scheinen zu denken, daß Sie diese Reden wagen dürfen, weil wir uns an Ihnen, als einem Unterhändler, nicht zu vergreifen wagen?«

»Pah! Sie würden es auch außerdem nicht wagen!« rief er stolz. »Sie kennen mich nicht. Ich bin zwar nur von indianischen Eltern geboren; aber ich habe Lesen und Schreiben gelernt, wie Sie. Und ich habe in den Bergen nach Gold gesucht und nach der Chinchilla gejagt und dabei tausenderlei Gefahren überstanden. Wer von Ihnen thut mir das nach? Ich tausche mit keinem von Ihnen, mit keinem einzigen! Das will ich Ihnen sagen!«

Dieses Selbstbewußtsein ließ mich ernsthaft bleiben. Ein schlechter Mann ist derjenige, welcher nicht weiß, was er kann; freilich ein noch schlechterer Mann ist der, welcher meint, er könne mehr, als er vermag. Aber wer erwartet auch, bei einem südamerikanischen Indianer den richtigen Maßstab für sich selbst zu finden?

Da ich ernsthaft blieb, gaben auch die andern sich Mühe, es zu sein. Nur der Steuermann konnte es nicht über das Herz bringen, still zu sein. Er sagte:

»Sennor, tragt den Teer nicht gar zu dick auf, sonst bleibt Ihr kleben. Das Lesen und Schreiben soll mich jetzt einmal nichts angehen, aber mit Euch selber will ich mich ein wenig beschäftigen.«

Er trat zu ihm, faßte ihn mit der rechten Hand schnell beim Gürtel, hob ihn empor, schwang sich ihn acht- oder zehnmal um den Kopf und legte ihn dann wie ein Kind lang auf den Boden nieder. Dann stellte er sich aufrecht neben ihn, stemmte die Fäuste in die Seiten und sagte:

»So! Und nun, Sennor, macht's einmal mir nach!«

Der Indianer raffte sich auf, sah dem Goliath erstaunt in das Gesicht und meinte ganz betroffen:

»Ja, das – das – das kann ich nicht!«

»Nun, so haltet auch nicht mehr von Euch, als recht und billig ist. Wir sind hier drei oder vier, die es ebenso machen wie ich, indem sie Euch wie eine Puppe durch die Luft drehen. Und außerdem hat dann ein jeder noch einige andere Griffe, Kunststücke und Eigenschaften, bei denen Ihr ebenso sagen würdet wie jetzt: ›ja, das – das – das kann ich freilich nicht!‹ Seid froh, wenn wir Euch nicht zeigen, was wir können!«

Er setzte sich wieder nieder, und auch Gomarra nahm seinen Platz von neuem ein. Der letztere suchte den Eindruck, den die Stärke des Friesen auf ihn gemacht hatte, zu verwischen und sagte zu mir:

»Trotz alledem kann Euch diese Stärke nichts helfen. Was nützt die Stärke eines Riesen gegen eine Kugel! Und Sie, Sennor, sind wohl der Ungefährlichste von allen. Ich weiß gar nicht, mit welchem Rechte man mir eine solche Beschreibung von Ihnen gemacht hat!«

»So! Hat man das?«

»Ja. Nach dem, was ich von Ihnen hörte, hätte man sich bereits schon vor Euerm Blicke fürchten mögen. Und Scharfblick, Scharfsinn sollten Sie haben, einem jeden die Gedanken sofort aus dem Kopfe zu lesen! Aber Sie sind nicht der Mann, mit uns zu kämpfen! Ihnen fällt es gar nicht ein, Ihr Leben an eine Kugel zu wagen. Sie werden sich uns ergeben.«

»Natürlich! Aber ich möchte doch gern günstige Bedingungen haben.«

»Für sich selbst haben Sie solche nicht zu erwarten.«

»Aber für meine Gefährten?«

»Vielleicht.«

»Nun gut, so will ich Ihnen meine Vorschläge machen. Ich hoffe trotz alledem, auch noch eine bessere Beurteilung meiner Person selbst zu finden. Ich verlange also, daß mein Führer und seine Mutter frei gegeben werden. Wir dagegen geben uns gefangen – –«

»Gut.«

»Wollen auch unsere Waffen abliefern –«

»Das ist unumgänglich nötig.«

»Aber alles andere, unser Geld zum Beispiel, behalten wir.«

»Was noch?« fragte er höhnisch.

»Auch die Pferde. Wir brauchen sie natürlich zum Reiten.«

»Pferde? Sie haben doch nur eins!«

»So wissen Sie nicht, daß wir unsere Pferde auf dem Dampfer haben. Wir müssen ja ihrethalben dorthin zurück. Wir nahmen nur das eine für die Mutter unseres Führers mit, weil dieselbe krank geworden war.«

»Ah so! Also gut, die Pferde holen wir. Was noch?«

»Wir werden nicht gefesselt. Sie nehmen uns in die Mitte, so daß wir nicht fliehen können.«

»Sind Sie nun fertig?«

›Ja. In genau einer halben Stunde erwarte ich Ihre Antwort, weder eher noch später, sonst schießen wir. Ich werde sogleich die Gänge besetzen lassen.«

Ich gab den Yerbateros einen Wink. Sie und der Steuermann mit dem Kapitän gingen sofort, um sich zu je Zweien mit den Gewehren an den betreffenden Punkten aufzustellen. Gomarra blieb stehen, bis das geschehen war, nickte ernst vor sich hin, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte:

»Sennor, besser wäre es, Ihr könntet die Sache mit dem Major abmachen, der euch allen gleich Bescheid zu sagen vermag.«

»Auf welche Weise ist das möglich?«

»Sie kommen mit zu ihm.«

»Danke! Das ist denn doch zu viel von mir verlangt!«

»Sie kommen als Unterhändler und sind also unverletzlich!«

»Ich kenne das! Man hat mir nicht nur einmal das Wort gebrochen!«

»Nun gut, so mag der Major zu Ihnen kommen!«

»Das kann er ohne Sorge. Bei uns hat niemand einen Wortbruch zu befürchten.«

»Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß der Major als Parlamentär von Ihnen betrachtet wird und, sobald es ihm beliebt, zu uns zurückkehren kann?«

»Ja.«

»Der Herr Oberst auch?«

»Ich auch,« antwortete der Gefragte.

»So werde ich es ihm sagen.«

»Schön!« stimmte ich bei. »Aber nun sind wir auch nicht gewillt, einen andern zu empfangen. Entweder den Major oder keinen. Verstanden? Wir wollen sogleich sicheren Bescheid haben. Und damit Sie dem Major alles hier Gesehene und hier Gehörte gehörig mitteilen können, wollen wir Ihnen eine volle Stunde Zeit lassen. Auf jeden, der vorher oder nachher kommt, wird geschossen. Sollte aber ein Angriff unternommen werden, so erschießen wir den Ranchero mit seiner Familie.«

»So sind wir nun fertig.«

Er kreuzte die beiden Arme über seine Brust, sah mich dann mit einem ganz eigenartigen Blicke an und sagte:

»Sennor, ich kann nicht anders, wirklich nicht. Sie haben aber das Pulver nicht erfunden. Das muß ich Ihnen unbedingt noch sagen, bevor ich gehe. Man hat mich wirklich über Sie belogen. Sie locken keinen Papagei vom Baume – wirklich nicht!«

Er lachte heiser vor sich hin, drehte sich um und entfernte sich. Ich blickte ihm nach, bis er nicht mehr in dem dunkeln Gange zu sehen war, dann sagte der Bruder:

»Schon oft habe ich Sie nicht begriffen und dann stets erfahren, daß das für mich Unbegreifliche eine Klugheit von Ihnen war. Jetzt aber werde ich wirklich an Ihnen irre. Warum duldeten Sie die Grobheiten dieses Mannes?«

»Um ihn irre zu führen, was mir auch ganz vortrefflich gelungen zu sein scheint. Er sollte mich für ziemlich befangen halten, und das thut er jetzt. Er sollte zu der Ueberzeugung gelangen, daß wir weder die nötige Klugheit und Einsicht, noch den Mut besitzen, uns hier herauszufinden. Uebrigens habe ich jetzt keine Zeit zu langen Erklärungen. Ich muß fort in den Corral.«

»Was wollen Sie dort?«

»Davon später! Sehen Sie darauf, daß die bisherige Ordnung bleibt. Lassen Sie vor einer Stunde keinen herein!«

»Und wenn doch jemand kommt?«

»So schießen Sie, ganz so, wie ich gesagt habe!«

Ich ging am Schuppen hin und nach der Thüre, welche von dem Rancho aus in den nördlichen Corral führte. Sie bestand aus starken Holzplanken, welche kein Pferd oder Stier einzurennen vermochte. Damit mein Körper hindurch könne, brauchte ich nur zwei dieser Bohlen zurückzuschieben. Dann stand ich im Corral.

Er war leer. Der Mond war noch nicht aufgegangen, doch konnte ich zur Genüge sehen. Eigentlich hätte die Vorsicht erfordert, den ganzen Platz mit seinen vier Seiten abzusuchen. Aber dazu mangelte mir die Zeit. Auch hegte ich die Ueberzeugung, daß ich mich in der Lage der Sache gar nicht täusche.

Ich stand am Eingange, hinter mir der Rancho. Rechts und links zogen sich die zwei Seiten des Corrals, gerade mir quer gegenüber die vierte hin. Diese Seiten bestanden aus hohen Kaktusstauden. In den beiden Ecken, rechts und links schief vor mir, gab es ähnliche Bohlenthüren wie diejenige, durch welche ich jetzt gestiegen war. Dort waren Soldaten postiert, damit wir nicht hinaus könnten. Gerade vor mir aber war die Mitte des langen Kaktuszaunes frei. Dort stand gewiß niemand, und dort also mußte ich einen Ausweg bahnen. Ich schritt also nach dieser Stelle.

Der Boden war von den Tieren weichgestampft, so daß man die Schritte nicht hören konnte. Dazu war der Corral so groß, daß von den beiden Seiten sicherlich kein Blick zu mir reichte.

An der Hecke angekommen, legte ich mich nieder, um zu horchen. Es war kein Mensch da.

Nun begann die Hauptarbeit, das Schneiden einer Thüre in den Kaktus. Wer das für ein Leichtes hält, der irrt sich gar sehr. Erstens durfte ich nicht etwa ein Loch schneiden, denn es wäre sehr leicht möglich gewesen, daß jemand vorüberkam, der dasselbe bemerkte, noch bevor wir es hatten benutzen können. Nein, es mußte eine Thüre geschnitten werden, welche bis zum Augenblicke der Flucht nicht geöffnet werden durfte. Das macht man folgendermaßen:

Der Kaktus bildet eine mehr oder weniger hohe und dicke, stets aber fest verwachsene Wand. In diese Wand schneidet man nun, aber durch und durch, eine ganz schmale, vielleicht nur zwei oder drei Finger breite Lücke von oben nach unten. Dann schneidet man von dieser Lücke aus eine mehr als doppelt so breite wagerecht unten in der Nähe des Bodens hin. Dadurch entsteht im Zaune ein Doppellinienschnitt, welcher einen rechten Winkel bildet. So ist nun die Thüre fertig.

Sie ist links und unten von der Hecke getrennt und hängt rechts noch vollständig mit derselben zusammen. Die einzelnen Teile, Stauden, Stängel, Zweige und Blätter greifen vermöge ihrer Stacheln noch fest ineinander. Die Thüre bildet also eine feste Fläche. Da nun der Zaun nicht dürr, sondern saftig, lebend ist, so läßt sich diese Thüre wie in einer Angel bewegen.

Aber wie unendlich schwierig ist es, die beiden Schnitte zu machen! Man muß ein ausgezeichnetes Messer haben, und glücklicherweise war mein Bowiekneif ein solches, und trotzdem kommt man nicht durch, wenn der Kaktus trocken ist. In diesem Falle entsteht auch zu starkes Geräusch, durch welches man verraten wird. Darum sucht man sich möglichst saftige und zugleich dünne Stellen des Kaktus aus. Dann ist es notwendig, sich vor den Stacheln zu schützen, deren jeder, wenn er sich in das Fleisch sticht und dort abbricht, eine langsam schwärende, sehr schmerzhafte Wunde verursacht.

Hier ist nun ein lederner Jagdrock von außerordentlichem Vorteile. Man knüpft ihn zu, zieht den Kragen hoch, stülpt den Hut tief herein und zieht die Aermel weit vor über die Hände. So legt man sich zur Erde nieder, schiebt sich an die Stacheln von unten heran, sie mit dem Rücken hebend und zerdrückend und dabei mit dem Messer weiter arbeitend. Und das muß geräuschlos geschehen, damit man nicht entdeckt wird! Aber Uebung und Vorsicht macht auch hier den Meister. Freilich darf man eine solche Thüre nicht mit den Händen öffnen, welche man sogleich voller Stacheln haben würde. Man muß das Gewehr oder sonst einen harten Gegenstand dazu nehmen.

Es währte weit über eine Viertelstunde, bevor ich fertig wurde. Dann kehrte ich nach dem Feuer zurück, wo ich alles noch in derselben Ordnung fand.

»Nun?« fragte mich der Oberst. »Wir hatten Angst um Sie.«

»Es war eine schwere Arbeit, eine Thüre durch den Kaktus zu schneiden.«

»Das ist ja nicht möglich! Wie wollen Sie denn das gemacht haben?«

»Mit dem Messer in die Kaktuswand geschnitten.«

»Noch dazu des Nachts! Wie sieht denn da Ihre Haut aus?«

»Wie vorher. Doch, lassen Sie uns jetzt noch die letzte Vorbereitung treffen.«

Ich zog das Pferd aus dem Schuppen und führte es in den Corral, wo ich es hinter der Thüre festband, daß ich es leicht erlangen konnte. Was wir an Kleinigkeiten bei uns liegen hatten, mußte ein jeder zu sich stecken. Dann waren wir fertig und konnten den Major ruhig kommen sehen.

Genau als die Stunde vergangen war, meldete der Steuermann, daß er einen Menschen durch den Gang sich nähern sehe. Die acht, welche an den Eingängen standen, blieben dort stehen. Wir anderen saßen am Feuer.

Der Mann, welcher jetzt kam, war wohl im Anfange der fünfziger Jahre und militärisch gekleidet, trug aber auch keine Waffen bei sich. Er kam auf uns zu, hielt vor uns an, machte dem Obersten eine Verbeugung und sagte, ohne daß er die anderen zu bemerken schien:

»Sennor, Sie haben gewünscht, mit mir zu sprechen, und ich hielt es für eine Pflicht der Höflichkeit, diesem Wunsche nachzukommen.«

Wenn er eine Antwort erwartet hatte, so war er sehr im Irrtum gewesen. Der Oberst that, als ob er ihn weder gesehen noch gehört hätte. Er warf nur mir einen bezeichnenden Blick zu, daß ich an seiner Stelle sprechen solle. Darum antwortete ich:

»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sennor. Ich hatte gehofft, mit Ihnen bedeutend schneller zum Ziele zu gelangen, als mit einem Ihrer Leute.«

Ich war bei diesen Worten langsam aufgestanden. Er warf mir einen leidlich verächtlichen Blick zu und fragte:

»Wer sind Sie?«

»Hoffentlich wissen Sie es!«

»Mag sein. Aber mit Ihnen habe ich nicht zu sprechen, sondern mit Ihrem Vorgesetzten, dem Sennor Oberst.«

Sein Betragen bedurfte einer Verbesserung. Ich gab dieselbe, indem ich ihm erklärte:

»Sie scheinen sich in einem mehrfachen Irrtum zu befinden, Sennor. Ich bin nicht ein Untergebener des Herrn Obersten, sondern augenblicklich der Befehlshaber dieser kleinen Truppe.«

Er zuckte verächtlich die Achsel.

»Ich spreche nicht mit Ihnen. Sie sind nicht Offizier. Ich habe mit dem Obersten zu reden.«

»Das können Sie nicht von ihm verlangen, weil kein braver Offizier mit einem Empörer, einem Aufrührer in Verhandlung tritt. Ich als Civilist kann das leichter thun, ohne meiner Ehre zu schaden.«

»Tormento!« fuhr er auf. »Ich werde Sie züchtigen lassen, wenn Sie mich beleidigen!«

»Jetzt wohl noch nicht. Dazu müßten Sie mich erst in Ihren Händen haben.«

»Das wird in kurzer Zeit der Fall sein,«

»Möglich. Ich halte diesen Fall sogar für wahrscheinlich, und darum habe ich gewünscht, mit Ihnen sprechen zu können.«

»Ich erklärte Ihnen bereits, daß ich nicht mit Ihnen rede!«

»Dann, Sennor, begreife ich gar nicht, weshalb und wozu Sie. sich zu uns bemüht haben! Wir sind fertig!«

Ich wendete mich ab. Das brachte ihn in Verlegenheit. Ohne Resultat wollte er doch nicht fort. Er sagte:

»Nun, ich will mit Ihnen verhandeln, Sennor. Bitte, kommen Sie näher.«

Daraufhin drehte ich mich wieder um, schritt langsam zu ihm hin und setzte mich ihm gegenüber. Er fühlte, daß er die erste Karte verloren hatte; das verbesserte seine Laune keineswegs. Es war seinem Gesichte anzusehen, daß wir keine Gnade finden würden, sobald wir in seine Hände übergegangen seien.

»Was haben denn die dort zu thun?« fragte er, auf unsere Posten zeigend.

»Jeden niederzuschießen, welcher es wagt, sich uns ohne meine ausdrückliche Erlaubnis zu nähern.«

»Pah! Ziehen Sie diese Posten getrost ein! Sie sind doch zu nichts nütze, und Sie werden wohl binnen einer Viertelstunde hier nichts mehr zu befehlen haben.«

»Davon bin ich selbst überzeugt.«

»Also spielen Sie doch nicht Soldaten! Das ist ein Spiel, wovon Sie nichts verstehen.«

»Keine solche Bemerkung! Ich bin vielleicht ein besserer Soldat als Sie, obgleich ich den Krieg und die Aufwiegelung nicht zu meinem Handwerke mache! Beurteilen Sie mich nicht falsch! Es wäre für manchen Major besser, wenn er Holzhacker geworden wäre!«

»Diabolo! Lassen Sie endlich das Gift sehen, von welchem Gomarra nichts bemerkt zu haben behauptete? Nun, mir kann es lieb sein, daß die Unterredung ein wenig belebter und erregter wird, als es den ersten Anschein hatte.«

»Gut! Beginnen wir!«

»Schön! Vorher aber die notwendigste Frage: Ich habe unter allen Umständen freies Geleit?«

»Nicht unter allen.«

»So! Welche Ausnahme machen Sie?«

»Wenn während Ihrer Anwesenheit etwas Feindseliges gegen uns geschieht, so holt die Katze Ihr Leben!«

»Ich beabsichtige nichts derartiges.«

»So sind Sie bei uns sicherer als ich bei den Offizieren Ihrer Farbe.«

»Dort haben Sie allerdings Ihr Leben verwirkt.«

»Meinetwegen. Sie wissen, wie hier am Orte die Verhältnisse stehen. Glauben Sie wirklich, daß es für uns keine Rettung giebt?«

»Ja, davon bin ich vollständig überzeugt, Sennor.«

»Aber wir können uns wehren.«

»Pah! Mit Tagesanbruch können wir sehen. Dann schlagen wir Bresche in die Kaktushecken und stürmen den Kram!«

»Dasselbe können wir umgekehrt thun, nämlich wir schlagen ebenso Bresche und fliehen.«

»Sie haben keine Pferde!«

»Desto leichter können wir uns im Gesträuch verbergen.«

»So weit lassen wir Sie ja gar nicht kommen!«

»So sagen Sie mir doch einmal gefälligst, warum Sie erst am Tage sich durch den Kaktus wagen wollen.«

»Da hört man es, daß Sie kein Offizier sind und von der Taktik nichts verstehen! Während wir hüben, von außen, am Kaktus arbeiten, geben Sie uns von drüben, von innen, Ihre Kugeln.«

»Ah, welch ein Glück, daß wir nicht auf den Gedanken gekommen sind, durch den Kaktus zu brechen!«

»Wir hätten Sie schön empfangen wollen! Was nicht unter unsern Kugeln gefallen wäre, das hätten unsere Bolas niedergerissen.«

»Schrecklich! Denken Sie nur, Frater!«

Diese ironischen Worte richtete ich an den Bruder, welcher sehr ernst nickte, so daß der Major fortfuhr:

»Sie haben doch gar keinen Begriff, wie schwer es ist, durch den Kaktus zu kommen! Dazu muß man Aexte, Beile und Stangen haben. Und das Geräusch, das Prasseln, welches eine solche Kaktuswand verursacht! Ich hätte sofort meine tausend Mann dort beisammengehabt.«

»Tausend?« fragte ich. »Ich denke vierhundert!«

»Da irren Sie sich. Ich habe tausend. Sie sehen, daß Sie unmöglich entrinnen können.«

»Wenn wir von einer solchen Uebermacht eingeschlossen sind, so können wir allerdings nicht an Rettung denken!«

»Es wäre Wahnsinn. Ergeben Sie sich also auf Gnade und Ungnade. Wenn Sie sich ohne Widerstand ergeben, werde ich mein möglichstes thun, Ihnen ein mildes Urteil zu erwirken.«

»Meinen Gefährten auch?«

»Ja.«

»Und der Führer mit seiner Mutter?«

»Beide sind frei. Mit ihnen haben wir nichts zu schaffen.«

»Dürfen wir frei mit Ihnen reiten? Ungefesselt?«

»Nein. Das kann ich nicht zugeben.«

»Wir würden wohl auf die übrigen Bedingungen eingehen, nur aber auf diese nicht.«

»Ich kann nicht von derselben abgehen. Ich will Ihnen noch eine Bedenkzeit von zehn Minuten geben. Ist diese verstrichen, so sind wir fertig, und ich habe als Unterhändler nichts mehr mit Ihnen zu schaffen.«

»Nun gut! Kommen Sie in das Haus.«

»Was soll ich dort?«

»Sie sollen erfahren, daß wir einen Parlamentär höflich zu behandeln verstehen.«

»Das will ich mir gefallen lassen. Ich trank am ganzen Tage nichts als Wasser. Vielleicht giebt es noch einen besseren Tropfen im Rancho.«

Der Steuermann band die Frau los. Sie mußte mit mir und dem Major in die Stube. Dort erklärte sie, daß Wein vorhanden sei, den sie holen wolle. Auch Fleisch und Brot sollte der Major bekommen. Sie ging fort, und ich wartete, bis sie die Sachen auf den Tisch stellte. Als er sich da niedersetzte, um zu essen und zu trinken, sagte ich:

»Speisen Sie indessen; ich gehe jetzt. Also zehn Minuten geben Sie uns Zeit?«

»Ja, von jetzt an.«

»Wir werden uns im Schuppen beraten.«

»Warum nicht außen am Feuer?«

»Sie möchten aus unserm Verhalten erraten, wer dafür und dagegen ist, und die letzteren dann strenger nehmen.«

»Sie sind äußerst vorsichtig! Aber – – Sie planen doch nicht etwa Verrat gegen mich?«

»Fällt uns nicht ein!«

»Ich kann gehen, wenn ich will?«

»Sobald es Ihnen beliebt.«

»Schön! So beraten Sie! Aber ich gebe Ihnen nochmals zu bedenken, daß es für Sie kein Entrinnen giebt.«

Ich verließ ihn und ging wieder hinaus.

Ohne daß ich es den Gefährten gesagt hatte, wußten sie, daß der Augenblick jetzt gekommen sei. Sie hatten sich alle, während ich in der Stube war, nach dem Eingange des Corrals geschlichen und dort auch bereits das Pferd losgebunden. Dort erwarteten sie mich mit meinen Gewehren, welche ich nicht mit in die Wohnung hatte nehmen können.

»Fort?« fragte der Oberst.

»Ja,« antwortete ich. »Schnell, aber leise. Doch vorher schieben wir von innen die Planken wieder vor, damit der Major nicht sofort merkt, wo wir hinaus sind.«

Das wurde gethan, dann machten wir uns auf den Weg. Das Pferd führte ich, da es in meiner Hand am ruhigsten war. An der Hecke angekommen, zog ich die künstlich natürliche Thüre mit meinem Flintenlaufe auf und huschte hinaus. Niemand war zu hören und zu sehen. Die andern kamen nach. Dann schritten wir möglichst leise und gradaus ins Feld hinein. Dabei legte ich meinem Pferde die Hand auf die Nase, damit es nicht schnauben oder gar wiehern solle. Erst ungefähr sechshundert Schritte von der Kaktushecke entfernt hielt ich an.

»Was hier?« fragte der Oberst. »Warum nicht weiter fort?«

»Zu Fuße? Damit sie unsre Spuren finden, wenn es Tag ist, und uns einholen? Nein, wir müssen Pferde haben.«

»Ah! Woher aber nehmen?«

»Von den Soldaten.«

»Stehlen?«

»Ja. Unter diesen Verhältnissen halte ich das für keine Sünde, zumal ich vollständig überzeugt bin, daß keiner dieser Männer sein Pferd ehrlich bezahlt hat.«

»Aber, Sennor, wenn man Sie bemerkt, werden Sie ergriffen, oder man entdeckt uns!«

»Keins von beiden.«

»Wie wollen Sie es denn anfangen, um zehn Pferde zu erhalten?«

»Das kommt darauf an, wie ich die Verhältnisse finde.«

»Hm! Sie benehmen sich ja wie ein professionierter Pferdedieb!«

»Das muß man auch, wenn man Pferde stehlen will. Nur Sennor Mauricio Monteso mag mich begleiten. Wir nehmen die Gewehre nicht mit, denn ich glaube, daß wir nur die Messer brauchen werden. Die andern warten, bis wir wiederkommen.«

»Pferde stehlen!« lachte der Yerbatero leise vor sich hin. »Das wird höchst interessant. Ich gehe gar zu gern mit.«

Wir schlichen miteinander dem Kaktuszaune wieder zu, aber weiter nach rechts, da, wo ich Soldaten vermutete. Bald hörten wir das Schnauben von Pferden.

»Legen Sie sich jetzt auf den Boden,« flüsterte ich dem Yerbatero zu. »Und kriechen Sie hinter mir her, aber leise, ganz leise!«

»Werden wir denn Pferde bekommen?« fragte er gespannt.

»Gewiß. Die besten, die es giebt. Und ich will noch mehr, weit mehr.«

»Stehlen?«

›Ja. Einen Menschen sogar!«

»Sind Sie bei Sinnen?«

»Sehr gut. Aber sprechen Sie leiser! Sonst entgeht mir der Fang, den ich machen will.«

»Sie werden uns dadurch den Pferdediebstahl verderben und sich und mich ganz unnötigerweise in Gefahr bringen.«

»Wenn ich das bemerke, so lasse ich ab davon.«

»Auf wen haben Sie es denn abgesehen, Sennor?«

»Auf keinen andern als auf den Herrn Oberlieutenant Antonio Gomarra.«

»Warum auf diesen?«

»Um ihn für seinen Uebermut zu strafen und weil er diese Gegend sehr genau kennt. Er ist der Führer dieser Leute. Zwinge ich ihn, mit uns zu reiten, so vermögen sie uns nicht zu folgen, während seine Ortskenntnis uns zu gute kommt.«

»Das ist klug!«

»Nicht wahr? Aber wir müssen uns beeilen. Es sind nun, seit ich den Major verlassen habe, über zehn Minuten vergangen. Er wird noch ganz ahnungslos beim Fleische sitzen. Aber sobald er bemerkt, daß wir verschwunden sind, wird er ein lautes Hallo erheben. Kommen Sie also weiter!«

Wir brauchten gar keine bedeutende Strecke zurückzulegen. Bereits nach ganz kurzer Zeit sahen wir die Gestalten von weidenden Pferden vor uns. Das uns nächste war höchstens zwölf Schritte von uns entfernt.

»Warten Sie!« flüsterte ich dem Yerbatero zu. »Verlassen Sie diesen Ort nicht eher, als bis ich zu Ihnen zurückkehre!«

Wo weidende Pferde sind, muß sich auch der Hirt, der Aufseher, der Posten befinden. Dieser war unschädlich zu machen. Ich schob mich also weiter und weiter fort, bis ich mich inmitten der Pferde befand. Und da sah ich hinter zweien nebeneinander stehenden Tieren nicht einen, sondern zwei Wächter stehen. Das war dumm! Sollte oder vielmehr konnte ich zwei Menschen auf mich nehmen? jawohl, aber während ich den einen niederschlug und den andern packte, konnte dieser um Hilfe rufen. Dennoch kroch ich näher. Sie sprachen miteinander. Ich hörte ihre Stimmen, ihre Worte ganz deutlich. Und fast hätte ich vor Freude die Hände zusammengeschlagen, als ich in der Stimme des einen diejenige des Oberlieutenants erkannte.

Ich hatte mich darauf gefaßt gemacht, lange und unter Gefahr nach ihm suchen zu müssen, und nun war ich ihm gerade vor die Fährte gekommen! Beide zugleich konnte ich nicht fassen. Ich mußte darauf rechnen, daß Gomarra nur für einen Augenblick hierhergekommen sei, um nach seinen Pferden zu sehen und dann wieder zurückzukehren. Darum kroch ich noch eine Strecke weiter und blieb dort still im Camposgrase liegen. Wohl fünf Minuten hatte ich gewartet, da erklangen von dem Rancho her laute Rufe:

»Herein, herein, alle! Die Kerle sind weg! Sie haben sich versteckt. Herein, herein!«

Das war der Major. Hinter mir, gegen die Kaktushecken zu, hörte ich nun Stimmengewirr und eilende, drängende Schritte. Vor mir hatte sich der Indianer, der Oberlieutenant, auch sofort in Bewegung gesetzt. Er eilte auf den Rancho zu und mußte an mir vorüberkommen. Jetzt war er da!

Er sah mich nicht. Indern er vorbei wollte, ergriff ich seinen Fuß. Er stürzte zu Boden, und sofort lag ich auf ihm, indem ich ihm die Gurgel zusammendrückte. Er war mein. Nun nahm ich ihn auf die linke Schulter und ging schnurstraks zu dem Wächter der Pferde. Vor diesem einen Manne hatte ich gar keine Sorge, zumal ich darauf rechnete, daß er vor Schreck halbtot sein werde. Als er mich mit meiner Last erblickte, fragte er:

»Was ist denn das für ein Lärm in dem Rancho?«

»Der Major ruft die Leute,« antwortete ich.

»Warum?«

»Davon nachher! Wo stehen noch andre Pferde?«

»Weit um die nächste Ecke.«

»Wie viele Wächter?«

»Nur einer, gerade wie hier.«

Der Mann antwortete mir wunderhübsch. Nun aber kam ihm doch der Verdacht, denn er fügte hinzu:

»Was ist denn das? Was haben Sie? Das ist ja ein Mensch? Was sind Sie?«

»Der Deutsche, den ihr fangen wollt, und dieser hier ist der Oberlieutenant Gomarra, den ich anstatt dessen nun mir gefangen habe. Melde das dem Major, wenn du ausgeschlafen hast! Einige Pferde nehmen wir uns mit. Gute Nacht!«

Er empfing meinen Hieb, ohne sich zur Flucht von der Stelle gewendet zu haben, und fiel zu Boden.

»Sennor Monteso!« rief ich ziemlich laut, denn ich brauchte nicht mehr vorsichtig zu sein.

»Was?« fragte er.

»Holen Sie schnell die andern herbei! Pferde sind die schwere Menge da, und zwar die besten unter allen.«

Er rannte fort und brachte in kürzester Zeit die Gefährten herbei. Das Erstaunen derselben läßt sich kaum beschreiben.

»Um des Himmels willen, welche Unvorsichtigkeit!« meinte der Oberst. »So nahe am Rancho, wo die Feinde stehen!«

»Die stehen nicht da, sondern sie befinden sich im Innern des Rancho, um nach uns zu suchen.«

»Und wer liegt denn da?«

»Der Wächter und der Oberlieutenant, den wir mitnehmen. Aber fragen Sie nicht, sondern beeilen Sie sich, daß wir fortkommen! jeder mag sich ein Pferd nehmen. Gesattelt sind sie ja alle.«

»Ein Pferd? Da es einmal so steht, so mag jeder so viel Tiere beim Zügel nehmen, als er fortzubringen vermag. Dann aber weiter.«

Nach diesem Befehle des Obersten wurde gehandelt. Die Pferde waren alle an Lassos gepflockt. Man brauchte die Pflöcke nur aus der Erde zu ziehen, so hatte man Pferd, Lasso, Sattel und das ganze Zeug. Gewiß ein billiges Geschäft! jeder nahm, was er erwischte; dann wurde aufgestiegen. Ich hob den ohnmächtigen Oberlieutenant zu mir in den Sattel, und dann ging es fort. Nach mehreren Minuten, als wir uns nicht mehr in der gefährlichen Nähe des Rancho befanden, wurde zunächst ein ganz kurzer Halt gemacht, um den Gefangenen zu binden, damit er beim Erwachen keine Beschwerden machen könne.

»Und wo aber nun hin?« fragte der Oberst.

»Zunächst nach Nordost,« antwortete der Yerbatero. »Da es dunkel ist, müssen wir langsam reiten, um zunächst aus dem Gesumpf des Parana glücklich herauszukommen. In kurzer Zeit geht der Mond auf. Dann wird es sich leichter reiten lassen.«

Er hatte recht. Nach einer halben Stunde erschien der Mond am Himmel, welch' letzterer jetzt so rein und wolkenlos war, daß man ein Wetter wie das heutige gar nicht für möglich gehalten hätte. Es war eben ein sehr nasser Pampero gewesen, der seinen Grimm schnell erschöpft hatte.

Nun ging es im Galopp über den Camp, immer in nordöstlicher Richtung. Zuweilen kam ein schmaler Wasserlauf, den wir leicht übersetzten. Sumpfige Stellen unterschieden wir auch nicht schwer, da die dort befindliche Vegetation sich selbst im Mondenschein von dem Camposgrase absehen läßt.

So ritten wir eine Stunde, zwei Stunden und darüber. Mein Gefangener bewegte sich nicht. Es wurde mir angst um ihn. Sollte ich ihn erwürgt haben? Das war nicht meine Absicht gewesen und mußte mir für immer auf der Seele liegen. Ich hob ihn hoch und sah ihm nach den Augen. Sie waren geschlossen. Da hatte ich nicht länger Ruhe. Ich ließ anhalten und absteigen. Gomarra wurde in das Gras gelegt und von seinem Fußriemen befreit. Siehe da, er sprang augenblicklich auf, öffnete die Augen und ließ eine fürchterliche Strafrede los. Wir lachten allesamt. Ich ließ ihn mit seinem Zornesergusse zu Ende kommen und sagte dann:

»So schnell habe ich noch keinen ins Leben zurückkehren sehen! Ich denke, Sie sind tot, Sennor! Warum bewegten Sie sich denn nicht?«

»Konnte ich?«

»Aber Sie hätten sprechen können.«

»Um Ihnen zu sagen, was für ein schrecklicher Kerl Sie sind? Dazu ist's auch jetzt noch Zeit! Wäre ich nur nicht gefesselt!«

»Ja, da würden Sie wieder sagen, daß man Ihnen über mich sehr viel weisgemacht hat, daß ich ein dummer Kerl bin und keine Ehre habe. Eben weil ich klüger war als Sie, schwieg ich, und eben weil ich Ehre hatte, ließ ich Ihre Beleidigungen einstweilen hingehen, weil ich wußte, daß Sie sich nun jetzt vor mir schämen müßten. Aber es geschieht Ihnen nichts, Sie gefallen mir.«

»Aber was beabsichtigen Sie denn eigentlich mit mir?«

»Sie sollen unser Führer sein.«

»Danke! Zum Führer ist niemand zu zwingen.«

»Sehr leicht sogar.«

»Möchte wissen! Wenn ich Sie nun irreführe?«

»So schießen wir Sie nieder. Uebrigens ist es nicht so leicht, uns irre zu führen. Wir sind keine Maulwürfe, welche sich nur in der Erde fortfinden. Ich bin überzeugt, daß es Ihnen bald bei uns gefallen wird.«

»Und ich sage Ihnen, daß ich so bald wie möglich von Ihnen fortzukommen versuchen werde!«

»Machen Sie diesen Versuch! Zunächst aber wird er nicht gelingen. Wir werden Sie auf das Pferd binden.«

Das geschah. Die Beine wurden ihm an den Pferdegurt gebunden, und die Zügel bekam er in die gefesselten Hände. So ging es weiter und weiter, bis wir alle nach den Anstrengungen des vorhergehenden Tages der Ruhe bedurften. In einer Vertiefung des Campos gab es ein Gebüsch. Dort stiegen wir ab. Die Pferde wurden angepflockt. Dann legten sich die Reiter nieder. Einer mußte Wache halten und ganz besonders acht auf Gomarra geben. Es gab hier weder etwas zu essen, noch etwas zu trinken. Danach aber fragte auch keiner. Nur Ruhe wollten alle.

So, wie wir uns nebeneinander legten, in derselben Reihenfolge traf uns die Wache. Ich war der erste. Und da ich Gomarra neben mir hatte haben wollen, so lag er jetzt, indem ich auf und nieder ging, am Ende der Schlafenden.

Der Mond stand hoch über uns und warf einen magischen Schimmer über den Campo. Frösche schrieen in nahen Pfützen, welche von dem Pampero gefüllt worden waren; sonst lag tiefe Stille über die Ebene ausgebreitet.

Um die Kameraden nicht durch meine Schritte zu stören, setzte ich mich nach einer Weile auf meinen Platz, zog die Kniee empor, stemmte den Ellbogen darauf und legte den Kopf in die hohle Hand. Was man in solchen Stunden denkt? Wer weiß es; wer kann es später sagen! Vielleicht hat man an sehr viel, vielleicht aber auch an gar nichts gedacht. Oft ist es ein eigenartiges Halbdunkel, in welchem sich die Seele befindet. So hatte ich längere Zeit gesessen, als ich plötzlich leise hörte:

»Sennor?«

Es war Gomarra.

»Was wollen Sie?« fragte ich ihn.

»Werden Sie mir etwas sagen, ganz aufrichtig sagen?«

»Gewiß, wenn ich es weiß.«

»Sie sagten zu mir, ich gefiele Ihnen. Ist das keine Ironie, kein Hohn gewesen?«

»Nein, Sennor, ich habe es aufrichtig gemeint, als ich sagte, daß Sie mir gefallen.«

»Nun, nennen Sie mich nicht kindisch. Aber es kommt selbst dem härtesten Menschen einmal eine weiche Stunde, und in einer solchen möchte ich Sie fragen, aus welchem Grunde ich Ihnen gefalle. Bitte, Sennor, haben Sie die Güte, es mir zu sagen!«

Wie so ganz verschieden von seinem ersten Auftreten war sein jetziges! Seine Stimme klang beinahe weich; es mochte wirklich so sein, wie er sagte: er hatte eine weiche Stunde. Ich selbst wußte eigentlich nicht, warum dieser Mann auf mich einen mehr als oberflächlichen Eindruck gemacht hatte. Und dieser Eindruck war nicht ein böser, sondern ein guter gewesen. Antonio Gomarra hatte wohl Erlebnisse hinter sich, welche ihn in sich selbst zurückgetrieben hatten. Nun zeigte er eine rauhe Schale, welche aber wohl einen guten Kern in sich schloß. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen; aber es war mir, als müsse ich einen wehmütigen Zug in demselben erblicken, einen Zug, der mir sympathisch sein werde. Darum antwortete ich in freundlichem Tone:

»Sie sollen es erfahren. Habe ich recht, wenn ich annehme, daß Sie früher nicht der finstere, verbitterte Mann waren, der Sie jetzt sind?«

»Ja, da haben Sie wohl recht, Sennor. Ich war ein munterer, lebenslustiger Mann.«

»Irgend ein trauriges Ereignis hat die Veränderung hervorgebracht?«

»Allerdings.«

»Darf ich erfahren, welches Ereignis das gewesen ist?«

»Ich pflege nicht davon zu sprechen.«

»Aber, wenn man eine Last auf dem Herzen hat, kann man sich ihrer nicht dadurch entledigen, daß man sie still mit sich herumschleppt und sie keinem teilnehmenden Herzen anvertraut!«

»Das mag richtig sein. Aber suchen Sie mir doch ein wirklich aufrichtig teilnehmendes Herz, Sennor! Es giebt keinen solchen Menschen!«

»O doch! Sie scheinen Menschenfeind geworden zu sein. Bedenken Sie aber, daß es neben den bösen Menschen noch viel mehr gute giebt!«

»Das will ich keineswegs bestreiten, aber was nützt es mir, von vergangenen Dingen zu sprechen, welche doch nicht mehr zu ändern sind?«

»Geteiltes Leid ist halbes Leid. Dieses alte Sprichwort kennen Sie doch?«

»Aber ebenso wahr ist es, wenn man sagt, geteiltes Leid ist doppeltes Leid. Und was hätte ich davon, wenn ich wirklich einen fände, welcher aufrichtig teil an mir nähme? Könnte er mich in meiner Rache unterstützen? Könnte er mir den Menschen bringen, den ich, um ihn zu bestrafen, seit Jahren gesucht habe, ohne ihn zu finden? Nein, gewiß nicht! Also sehe ich nicht ein, weshalb ich von Dingen sprechen soll, welche nun einmal nicht zu ändern sind.«

»Wenn Sie nicht wollen, so kann ich Sie freilich nicht zwingen; aber ich ahne doch, was Sie so verbittert hat.«

»Sie? Ein so Fremder?«

»Ja. Ist es nicht die Ermordung Ihres Bruders?«

»Sennor,« fragte er überrascht, »was wissen Sie von Juan, meinem Bruder?«

»Eben, daß er ermordet wurde, hat Ihr Verwandter, unser Führer, mir gesagt.«

»Diese Plaudertasche! Wer hat ihm geheißen, von meinen Angelegenheiten zu sprechen?«

»Zürnen Sie ihm nicht! Hätte er es nicht gethan, so lebten Sie wahrscheinlich jetzt nicht mehr. Sie sind so gegen mich aufgetreten und haben mich eigentlich so schwer beleidigt, daß ich Ihnen nicht mit Worten, sondern ganz anders geantwortet hätte, wenn ich nicht vorher durch Ihren Vetter über Sie unterrichtet gewesen wäre.«

»Pah! Ich war Parlamentär!«

»Ein solcher hat aber doppelt höflich und vorsichtig zu sein; beides aber waren Sie nicht, wie Sie zugeben werden. Ihr Leben hing an einem Haare. Ich hatte aber gehört, daß Sie seit der Ermordung Ihres Bruders ein ganz anderer Mann geworden seien. Wer sich den Tod eines lieben Anverwandten so sehr zu Herzen nimmt, muß aber ein braver Mensch sein. Und das ist der Grund, weshalb ich Ihnen die Teilnahme widme, über welche Sie soeben Aufklärung verlangten.«

»Das also war es, das!«

Er schwieg eine Weile, und ich unterbrach dieses Schweigen nicht. Wollte er über diesen Gegenstand mit mir sprechen, so sollte das freiwillig geschehen. Erst nach längerer Zeit fragte er:

»Hat mein Vetter Ihnen alles gesagt, was er wußte?«

»Ich weiß nicht, wie weit er unterrichtet ist. Er teilte mir nur mit, daß man Ihren Bruder ermordet habe.«

»Nun, viel mehr weiß er allerdings nicht. Ich bin auch gegen ihn nicht mitteilsam gewesen. Es hätte keinen Zweck gehabt.«

»Dann darf ich mir freilich nicht einbilden, daß Sie gegen mich, den Fremden, mitteilsamer sein werden.«

»Vielleicht doch, Sennor!«

»Sollte mich freuen, wenn Sie Vertrauen zu mir fassen wollten.«

»Das ist es ja eben, Sennor! Vertrauen habe ich zu Ihnen. Sie sind zwar mein Feind; ich bin Ihr Gefangener und weiß nicht, was Sie mit mir vorhaben. Aber Sie haben eine Art und Weise, welche keine Angst und auch keine wirkliche Feindschaft aufkommen läßt. Ich sehe ein, daß ich mich sehr, sehr in Ihnen geirrt habe. Ich hörte auf dem Ritte hierher Ihre Gespräche und weiß nun, was für ein Mann Sie sind. Sie allein sind es, dem es zu verdanken ist, daß Ihre kleine Gesellschaft uns entkommen konnte. Und wenn ich bedenke, wie Sie sich meiner bemächtigt haben, so möchte ich meinen, Sie müßten alles können, was Sie nur wollen. Dazu habe ich während unseres jetzigen Rittes gehört, daß Sie nicht hier bleiben, sondern nach dem Gran Chaco wollen. Beabsichtigen Sie das wirklich?«

»Jawohl.«

»Und dann gar nach dem Gebirge?«

»Vielleicht über dasselbe hinüber bis nach Peru.«

»Hm! Letzteres ist es, was mir den Mund öffnet. Vielleicht könnten Sie durch Zufall die Spur finden, nach welcher ich bisher vergeblich geforscht habe. Das Blut meines Bruders schreit nach Rache. Ich fühle und höre diesen Schrei des Tages und des Nachts in meinem Innern, und doch ist er bis heute ohne allen Erfolg erklungen. Sollten aber Sie in jene Gegend kommen, so ist es mir, als ob Ihrem Auge die betreffende Spur nicht entgehen könne.«

»Trauen Sie mir nicht so viel zu! Wie alt ist diese Spur?«

»Freilich viele Jahre. Aber es giebt noch einen Punkt, an welchem sie beginnt und von dem aus ich sie immer wieder aufgenommen habe, um sie aber stets gleich wieder zu verlieren. Könnte ich Sie an diese Stelle bringen, so würden Sie vielleicht – – doch nein, es ist ja gar nicht menschenmöglich!«

»Was?«

»Daß jemand, und sei er noch so klug und noch so scharfsinnig, den Mörder zu entdecken vermag, wenn man ihn nach einer so langen Reihe von Jahren nach der Stelle führt, an welcher die That geschehen ist.«

»Das ist freilich fast undenkbar.«

»Ja, zumal der Ort in einer grausen Einöde liegt, in welcher die Stürme schon nach Tagen jede Spur verwischen.«

»Ist Ihr Bruder dort begraben?«

»Ja.«

»Und sein Grab ist der einzige Anhalt, den Sie für die Auffindung des Mörders jetzt besitzen?«

»Nein. Die Flasche ist zum Glück noch da.«

»Welche Flasche?«

»Die Flasche mit den Schnuren, welche der Mörder dort damals vergraben hat.«

»Schnuren? Meinen Sie etwa Kipus, peruanische Dokumente, in Schnuren geknüpft? Dann dürfen Sie nicht gegen mich schweigen; Sie müssen mir erzählen, was geschehen ist!«

Ich mußte unwillkürlich an den Sendador denken, gegen welchen ja schon früher mein Verdacht erwacht war. Er befand sich jetzt nur im Besitze der alten Zeichnungen, der beiden Pläne; von den Kipus hatte er zu dem Yerbatero nichts gesagt. Jedenfalls hatte er sie versteckt, damit sie nicht etwa in die Hände eines Menschen kämen, welcher sie entziffern und dann den Ort, an welchem die Schätze verborgen waren, aufsuchen und finden könne. Wie nun, wenn das dieselben Kipus wären, von denen jetzt Gomarra sprach! Ich war durch das Gehörte überrascht und hatte die letzten Worte wohl mit größerer Hast ausgesprochen, denn der Indianer fragte:

»Was haben Sie? Sie thun ja ganz erstaunt, Sennor!«

»Nun, weil Sie von Kipus sprachen, für die ich mich außerordentlich interessiere.«

»Können Sie solche Schnuren lesen?«

»Hm! Ich habe einige Bücher in den Händen gehabt, welche sich mit der Enträtselung der Kipus befaßten; auch bin ich der betreffenden Sprache leidlich mächtig; dennoch bezweifle ich, daß es mir gelingen würde, solche Schnuren zu lesen.«

»Ist es schwer?«

»Sehr schwer. Eine große Erleichterung aber ist es, wenn man weiß, wovon so ein Kipu überhaupt handelt. Unter dieser Voraussetzung wäre es vielleicht auch mir möglich, die Knoten wenigstens stellenweise zu entziffern.«

»Wüßte ich nur, auf was sich diese Schnuren beziehen!«

»Vielleicht könnte man es erraten? Hängen sie denn mit der Ermordung Ihres Bruders zusammen?«

»Natürlich, Sennor!«

»Nun, so erzählen Sie mir doch, wie die Unthat sich zugetragen hat! Vielleicht finde ich einen Zusammenhang zwischen ihr und dem Inhalte der rätselhaften Schnuren. Wo ist der Mord geschehen?«

»Droben in der wüsten Pampa de Salinas in den bolivianischen Anden. Kennen Sie dieselbe?«

»Ich war noch nie in Südamerika und also auch noch nicht in den Anden; aber ich habe von der Pampa de Salinas gelesen. Ist die Gegend dort wirklich so traurig, wie man sie beschreibt?«

»Ueber alle Maßen. Es giebt da mehrere Tagereisen weit außer einigen Salzpflanzen weder Baum noch Strauch. Auch ich wäre nie da hinaufgekommen, wenn mich nicht die Jagd hinaufgelockt hätte. Wir mußten da vorüber, wenn wir in das Gebiet gelangen wollten, wo die Chinchillas in Massen anzutreffen sind.«

»Es giebt dort einen Salzsee?«

»Einen höchst bedeutenden. Er bedeckt die ganze Sohle des weiten, einsamen Thales. Man sagt, daß früher, bevor die Weißen in das Land kamen, an diesem Salzsee mehrere blühende Ortschaften gelegen haben, welche im Kriege zerstört worden seien. Jetzt ist keine Spur mehr von ihnen vorhanden.«

»Vielleicht sind die Ruinen versunken, wie so etwas besonders in Gegenden vorkommt, in denen es Vulkane giebt.«

»Die giebt es dort freilich überall.«

»Oder ist der See früher kleiner gewesen und dann gestiegen und hat sie überflutet. Hat dieser See Zuflüsse?«

»Ja, mehrere; aber sie sind klein und von kurzem Laufe.«

»Ich hörte, daß der See eine feste Salzdecke habe?«

»Die ist vorhanden. Sie besitzt eine solche Stärke, daß man über sie gehen und sogar auch reiten kann. Ich habe das sehr oft versucht. Zur Regenzeit schwillt aber der Fluß an und hebt die Salzdecke empor. Dann schwimmt sie obenauf und bekommt Risse und wird stellenweise so weich, daß man sich nicht mehr auf sie wagen darf.«

»So ist es freilich möglich, daß der See gewachsen und jetzt viel größer ist als früher.«

»Wie so?«

»Sein Wasserinhalt wird durch die Zuflüsse bereichert, und da die Oberfläche eine Salzdecke besitzt, welche die Sonnenstrahlen abhält, so kann nicht ebensoviel Wasser verdunsten, wie zufließt. Also kann man wohl annehmen, daß der See in einem zwar wohl langsamen, aber steten Wachstum begriffen sei und dabei die Ruinen der Ortschaften, welche an seinem früheren Ufer lagen, verschlungen hat. Also da oben haben Sie den Bruder verloren? Das war wohl während einer Jagdpartie?«

»Ja. Wir wollten hinauf in das Gebiet der Chinchillas und waren bis an die Pampa de Salinas gekommen.«

»Sie mit Ihrem Bruder allein?«

»Nein. Zwei Personen dürfen sich nicht in jene Gegend wagen. Wir waren acht Personen, lauter tüchtige und erfahrene Andensteiger und Jäger. Wir hatten an dem See übernachtet und uns an einem kleinen Feuer erwärmt, welches wir mit trockenen Salzpflanzen mühsam unterhalten konnten. Am Morgen brachen wir wieder auf, um weiter zu reiten. Das Maultier meines Bruders hatte sich verlaufen, und er mußte es suchen. Wir wollten ihm dabei helfen, aber er meinte, es sei das nicht nötig. Da wir für diesen Tag einen weiten Ritt vor uns hatten, so sagte er, wir sollten die Zeit nicht versäumen und immer langsam voranreiten.«

»Giebt's dort keine wilden Tiere?«

»Wenigstens reißende nicht. Es können Jahre vergehen, ehe sich einmal ein Jaguar dorthin verirrt, denn diese Tiere wissen, daß sie dort hungern müssen, da die Geier alles Aas sofort wegnehmen.«

»Aber Menschen kann man dort begegnen, denen man nicht trauen darf?«

»Nicht so leicht. Es giebt da zwar einen Paß, welcher über die Anden führt; aber er ist sehr hoch und ungeheuer beschwerlich. Wer ihn benutzen wollte, müßte ein großer Wagehals sein und nur die beste Jahreszeit benutzen, da er Thäler zu passieren hätte, welche fast ganz mit Schnee gefüllt sind. Höchstens versteigt sich einmal ein kühner Goldsucher hinauf, der aber auch nur auf kurze Wochen dort auszuhalten vermag.«

»Ah, dachte es mir!«

Diese Worte entfuhren mir, da ich jetzt unwillkürlich an den sterbenden Oheim bei dem Ranchero Bürgli denken mußte.

»Was dachten Sie?« fragte Gomarra neugierig.

»Ich habe einen Goldsucher getroffen, welcher da oben gewesen ist.«

»Ganz allein? Wirklich? Den müßte ich kennen. Es giebt nur zwei Menschen, die sich allein da hinaufgewagt haben, nämlich ich und ein alter Gambusino, welcher ein Deutscher war.«

»Kennen Sie seinen Namen?«

»Nein. Er ließ sich eben nur Gambusino nennen. Aber ich weiß, daß er drüben in der Banda oriental Verwandte hatte, wenn ich mich nicht irre, in der Nähe von Mercedes.«

»Das stimmt. Ich kenne ihn.«

»Welch ein Zufall! Wissen Sie, wo er sich jetzt befindet?«

»Er ist tot. Ich habe an seinem Sterbebette gestanden.«

»Tot! Im Bette gestorben, anstatt nach echter Gambusinoart droben im Gebirge zu verschwinden! Ihm sei die ewige Ruhe! Er war stets still und in sich gekehrt. Man konnte ihn nur schwer zum Sprechen bringen. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben. Wissen Sie nichts davon?«

Ich antwortete ausweichend. Der Sterbende hatte mir gestanden, daß er gesehen habe, wie ein Mensch – der Sendador – einen anderen tötete. Der Mörder nahm ihm einen Schwur ab, daß er ihn niemals verraten wolle. Dasselbe erzählte der Sterbende dem Frater. Es war sicher, daß der Ermordete Gomarras Bruder und der Mörder der Sendador war.

Ich antwortete also:

»Warum sollte er mich zu seinem Vertrauten gemacht haben, da er mit anderen, die er weit besser kannte, nicht sprach?«

»Nun. Vielleicht haben Sie ein besonderes Interesse, über diesen Punkt etwas zu erfahren?«

»Möglich. Hat dieser Gambusino gewußt, daß Ihr Bruder ermordet worden ist?«

»Nein. Ich habe ihm nichts davon gesagt, da ich überhaupt nicht davon sprach. Uebrigens war ich nur ganz zufällig und vier Stunden mit ihm beisammen. Er ließ merken, daß er lieber allein sei. Da ich ganz denselben Wunsch hatte, so gingen wir, wenn wir uns ja einmal trafen, nach etlichen Fragen und kurzem Gruße schnell wieder auseinander. Ich erfuhr nichts von ihm und er nichts von mir.«

»Also das ist der einzige Mensch, den Sie jemals da oben getroffen haben?«

»Wenigstens der einzige, die Wollmausjäger natürlich ausgenommen, von welchem man sagen konnte, daß er in ehrlicher Absicht in die Berge gegangen sei.«

»So giebt es also auch Leute, von denen man das nicht sagen kann?«

»Ja. Das sind Halunken, welche sich für Arrieros ausgeben und den Reisenden weismachen, daß es da hinauf einen guten Uebergang über die Anden gebe. Solche Reisende verunglücken stets. Man hört nie wieder von ihnen; die Führer aber, die Arrieros, kommen stets glücklich zurück. Und so einem Menschen ist mein Bruder in die Hände gefallen.«

»Das möchte ich doch bezweifeln, weil er doch wohl ebensogut wie Sie die Verhältnisse kannte. Er wird sich also nicht einem solchen Menschen anvertraut haben.«

»Das hat er auch keinesfalls. Aber er ist von ihm überfallen und ermordet worden.«

»Wie können Sie da wissen, wie die That sich zugetragen hat? Wenn er ermordet wurde, kann er es doch Ihnen nicht gesagt haben.«

»Er lebte noch; der Mörder ließ ihn für tot liegen.«

»Und so fanden Sie ihn?«

»Ja, Sennor. Das Herz bebt mir noch heute im Leibe, wenn ich daran denke. Wir hatten ihn zurückgelassen und waren aufwärts geritten. Vom See weg krümmt sich der Bergpfad in engen Serpentinen von einem Felsenabsatze zum nächsten empor. Tritt man an die Kante dieser Absätze, so kann man den darunterliegenden genau überblicken. Wir ritten sehr langsam, damit mein Bruder uns bald einholen könne. Nach einiger Zeit begegnete uns ein Arriero, welcher allein von den Bergen kam. Das mußte uns auffallen, zumal er zwei Maultiere hatte.«

»So hatte er einen Reisenden über das Gebirge geführt und kehrte nun allein zurück, weil er drüben niemand fand, der die Reise zurück mitmachen wollte.«

»So sagte er auch.«

»Also haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Nein, ich nicht, sondern meine Gefährten. Ich war zufällig seitwärts geritten, um von einer Höhe nach meinem Bruder auszuschauen. Als ich mich wieder zu den andern fand, war der Arriero schon wieder fort.«

»Haben sie ihn nach seinem Namen gefragt?«

»Ja. Er hat ihnen allerdings einen genannt; aber durch fortgesetzte Nachfragen überzeugte ich mich, daß es ein falscher gewesen war, denn einen Arriero, einen Andenführer dieses Namens hatte es gar nie gegeben.«

»Aber sie würden ihn wohl wieder kennen, wenn sie ihn jetzt sähen?«

»Gewiß; aber sie sind nicht mehr da. Einige sind in den Bergen verunglückt; einer ging ins Brasilien hinein und ist nicht wiedergekommen, und die andern kamen in den Kämpfen dieses Landes ums Leben.«

»So sind Sie freilich auf sich allein angewiesen, ohne allen Anhalt als den Ort der That, den Sie wissen, und – – die Flasche, von welcher Sie sprachen. Welche Bewandtnis hat es mit dieser?«

»Lassen Sie es sich erzählen! Es war Mittag geworden, als wir anhielten. Wir wollten jetzt nicht eher weiter, als bis mein Bruder zu uns gestoßen sei. Aber wir warteten vergeblich. Mir wurde es angst und bange, denn nach allem, was die Gefährten mir von dem Arriero sagten, mußte er mir verdächtig vorkommen. Ich brach also auf, um zurückzureiten, und nahm noch einen Kameraden mit. Die Tage waren kurz und der Abend war nahe, als ich auf dem letzten Felsenabsatze ankam, welcher sich über dem See erhob. Da sah ich meinen Bruder liegen, ganz drüben an der Kante des Absatzes. Ein Blutstreifen auf dem Boden zeigte, daß er sich bis dorthin geschleppt hatte. Wir sprangen von den Tieren und eilten hin zu ihm. Er bewegte sich nicht.«

»Aber er war nur ohnmächtig?«

Gomarra antwortete nicht. Erst nach einer langen Pause sagte er:

»Soll ich Ihnen beschreiben, was ich empfand, was ich noch heute empfinde, wenn ich an jenen Augenblick denke? Nein! Nur wem dasselbe passiert ist, der kann mich verstehen!«

»Ich kann es mir denken.«

»Nein, auch denken nicht! Mein Bruder war mein zweites Ich und mir so lieb wie mein Leben. Damit ist alles gesagt. Es war mir, als ob ich den Schuß in meine eigene Brust erhalten hätte. Die Kugel war ihm in der Nähe des Herzens eingedrungen und hinten am Rücken wieder aus dem Leibe gegangen. Ich warf mich über ihn und jammerte überlaut. Da öffnete er die Augen und sah mich an. Er lebte noch. Ich nahm mich mit aller Gewalt zusammen, um ruhig zu sein. Ich fragte ihn und legte mein Ohr an seine Lippen, um seine leisen Antworten zu hören, welche er nur hauchen konnte. Dann starb er.«

»Hoffentlich hat er Ihnen noch genug mitteilen können, so daß Sie wissen, wie die That geschehen ist?«

»Genug! Es war, als ob das Leben nicht eher von ihm weichen wolle, als bis er es mir offenbart habe.«

»Der Arriero war der Mörder?«

»Ja, natürlich. Und die schwarze That geschah jedenfalls, um ein Geheimnis zu verbergen. Mein Bruder fand sein Maultier sehr spät. Er ritt uns nach. Als er die erste Höhe erreichte, sah er zwei Maultiere am Felsen stehen. Daneben kauerte ein Mann, welcher im Begriffe stand, eine Flasche zu vergraben. Mein Bruder befand sich, nachdem er um den Felsen gebogen war, sogleich hart neben ihm und rief ihn an. Der Mann erschrak, fuhr empor und starrte ihn erschrocken an. Dann aber riß er sein Gewehr empor und schoß auf meinen Bruder, ehe dieser sich zu wehren vermochte. Juan stürzte sogleich aus dem Sattel und verlor die Besinnung. Als er erwachte und um sich blickte, war er allein, Sein Maultier war fort, und das Loch, in welches der Mörder die Flasche hatte vergraben wollen, stand offen und leer. Er nahm seine Kraft zusammen und kroch nach der äußersten Kante des Felsens, um den Arriero vielleicht noch zu erblicken.«

»Gelang ihm das?«

»Ja. Der Mörder kniete unten am See und grub hart an einem Felsen ein zweites Loch. Drei Maultiere befanden sich bei ihm. Infolge der Anstrengung verlor Juan abermals die Besinnung. Er erwachte erst, als ich mich bei ihm befand. Als er mir das alles zugeflüstert hatte, starb er.«

»So hatte der Arriero ihn für tot gehalten?«

»Ja, und ihn vollständig ausgeraubt. Ich fand nicht den geringsten Gegenstand mehr bei ihm.«

»Konnte er Ihnen die Stelle am See bezeichnen, wo der Arriero das zweite Loch gemacht hatte?«

»Ja; ich merkte sie mir.«

»Und was thaten Sie dann? Jagten Sie nicht dem Mörder nach?«

»Dazu war es zu spät, denn der Abend brach herein. Im Dunkel der Nacht konnte ich keine Spur sehen. Wir gruben dem Toten in der Dunkelheit ein Grab, damit die Condors seine Leiche nicht zum Fraße bekämen. Beim Morgengrauen begruben wir ihn, beteten drei Paternoster und Ave Maria an der Grube, deckten sie zu und legten ihm aus einzelnen Steinen ein Kreuz darauf. Dann trennten wir beide uns.«

»Warum trennen? Ein Gefährte mußte Ihnen doch notwendig sein!«

»Noch notwendiger war er dazu, die andern von dem Geschehenen und daß ich den Mörder verfolgen werde, zu benachrichtigen. Auch hatte ich – – – noch einen andern Grund, ihn nicht mitzunehmen. Ich konnte mir denken, daß es sich mit der Flasche um ein Geheimnis handle. Das wollte ich keinen zweiten wissen lassen.«

»Aber er hatte doch von der Flasche gehört?«

»Nein. Mein Bruder konnte seine Worte nur hauchen, so daß kaum ich sie vernahm. Und was Juan mir sagte, habe ich dem Gefährten nicht alles gesagt.«

»Vielleicht war das klug, vielleicht auch unklug gehandelt. Sie haben also am Morgen die Verfolgung sofort aufgenommen?«

»Nicht sofort. Als der Kamerad sich entfernt hatte, bin ich erst nach dem See geritten, nach der Stelle, an welcher der Arriero das zweite Loch gemacht hatte. Während der Nacht hatte sich ein starker Wind erhoben; dennoch aber fand ich den Ort, da ich ihn mir oben von der Felskante aus sehr genau gemerkt hatte. Ich grub nach und fand die Flasche. Sie enthielt aber nur geknüpfte Schnuren.«

»Wußten Sie denn nicht, welche Bedeutung diese Schnuren haben, daß sie alte Dokumente sind?«

»Damals noch nicht; als ich mich aber erkundigte, erfuhr ich es und freute mich, daß ich sie nicht vernichtet hatte.«

»Sie nahmen sie wohl mit?«

»O nein; so dumm war ich nicht. Ich mußte die Flasche samt ihrem Inhalte genau so wieder vergraben, wie sie vorher im Loche gesteckt hatte, damit der Mörder nicht ahnen sollte, daß sein Geheimnis entdeckt sei.«

»Sie glaubten also, daß er zurückkehren werde?«

»Natürlich! So etwas vergräbt man doch nicht, um es für immer stecken zu lassen. Uebrigens ist er öfters da gewesen.«

»Das wissen Sie?«

»Ja. Ich hatte mir ein bestimmtes Zeichen gemacht, an welchem ich so oft, als ich wiederkam, bemerkte, daß er auch wieder dagewesen sei. Ich grub allemal nach und machte das Zeichen von neuem.«

»Aber sonst haben Sie keine Spur von ihm entdecken können?«

»Nein.«

»Hm! Hoffentlich haben Sie sich bei den nächsten Ansiedelungen genau erkundigt?«

»Mehr als genau. Ich bin sogar peinlich verfahren, habe mich monatelang dort aufgehalten und nachgeforscht, vergeblich!«

»Haben Sie denn nicht daran gedacht, den Inhalt der Flasche einmal jemandem zu zeigen, welcher die Kipus entziffern konnte?«

»Ja, aber ich fand keinen, welcher diese Kunst verstand. Nun ich aber Sie gefunden habe, wünsche ich, daß – – – «

Er hielt inne, als ob er zu viel gesagt habe.

»Was?« fragte ich.

»Es ist unmöglich! ich bin ja Ihr Gefangener, Ihr Feind, und ich vermute, daß Sie kurzen Prozeß mit mir machen und mir eine Kugel geben werden.«

»Da irren Sie sich sehr, mein Lieber. Wäre es unsre Absicht, kurzen Prozeß mit Ihnen zu machen, so hätten wir Sie nicht so weit mitgenommen und Sie schon längst erschossen.«

»Was aber wollen Sie denn mit mir?«

»Das wird sich bald zeigen, denke ich. Wahrscheinlich freilassen.«

»Sennor, wenn das Ihr Ernst ist, so hätte ich nur den Wunsch, mit Ihnen reiten zu dürfen, um Sie nach der Pampa de Salinas zu führen. Sie wollten ja in die Berge?«

»Aber nicht da hinauf!«

»Vielleicht aber verlohnt es sich für Sie, den Ort aufzusuchen und die Flasche zu untersuchen.«

»Wahrscheinlich. Uebrigens bin ich schon seit einer Viertelstunde beinahe entschlossen, den Salzsee aufzusuchen. Ich denke sogar, daß es mir gelingen kann, den Mörder zu finden.«

»Cielos! Wenn das wäre!«

»Ich halte es für nicht unmöglich. Aber Sie sind dann später Ranchero geworden. Hatten Sie Ihr Jägerleben aufgegeben?«

»Ja. Ich fühlte mich wenigstens für einstweilen des Umherstreifens müde, besonders da es mir nicht gelingen wollte, den Mörder zu entdecken. Monatelang hielt ich mich am See verborgen, um ihm aufzulauern. Ich dachte, er müsse mir endlich doch einmal in die Hände laufen. Ich war allüberall und stets von Gefahren umgeben, litt Hunger, Durst und Kälte – -vergebens; er kam nicht. Hatte ich mich dann entfernt, so bemerkte ich bei meiner Rückkehr, daß er später dagewesen war. Dieser Mensch hat ein ungeheures Glück.«

»Vielleicht ist es mehr als Glück?«

»Nur Glück, und zwar ein ganz unvergleichliches Glück. Es ist mir passiert, daß ich vorgestern die Stelle untersucht hatte; kam ich heute wieder hin, so war er dagewesen. Ist das nicht Glück.«

»Ich denke, daß es mehr eine Folge der Schlauheit und Vorsicht ist. Er ist jedenfalls nicht nur ein höchst schlauer und durchtriebener Mensch, sondern auch ein ganz ausgezeichneter Kenner jener Gegend und ihrer Verhältnisse.«

»Sie mögen recht haben. Er scheint wie aus den Wolken zu fallen und wieder droben in denselben zu verschwinden. Ich habe ganz genau gesehen, daß er bei dem Versteck gewesen ist, aber nie eine weitere Spur von ihm bemerkt.«

»Das ist eben nur ein Beweis, daß meine Meinung die richtige ist. Er ist ein höchst erfahrener und behutsamer Mann.«

»Ja, er muß der wahre Geronimo Sabuco sein.«

»Wer ist das?«

»Haben Sie diesen Namen noch nie gehört? Der Mann, welcher so heißt, ist der berühmteste Kenner der Anden. Er ist als Führer so unvergleichlich, daß er nicht anders als nur el Sendador genannt wird.«

»Haben Sie ihn schon einmal gesehen?«

»Sonderbarerweise das noch nicht.«

»Ist er oft in jener Gegend?«

»Dort und überall. Sein eigentliches Standquartier aber soll er im Gran Chaco haben. Wissen Sie noch nichts von ihm?«

»Ich habe den Namen Sendador gehört.«

»Man erzählt sich außerordentlich viel von seiner Kühnheit und seiner ganz unvergleichlichen Kenntnis des Gebirges. Er soll sogar im Winter es gewagt haben, über die Anden zu gehen.«

»Das ist wohl Fabel!«

»Nach dem, was man sonst von ihm hört, ist es ihm zuzutrauen. Wenn Sie über die Anden wollen, so rate ich Ihnen, ihn zu engagieren und keinen andern.«

»Das beabsichtige ich auch.«

»Wirklich? So bekomme ich zehnfach Lust, Sie bis zum Salzsee zu begleiten. Denken Sie nach, ob mir dieser Wunsch erfüllt werden kann.«

»Schwerlich! Sie sind ein Anhänger von Lopez, also ein Gegner von mir.«

»Pah! Was geht mich Lopez Jordan an! Es litt mich nicht länger auf dem ruhigen Rancho. Ich wollte wieder in die Berge, um den Mörder vielleicht doch noch zu ertappen. Darum ergriff ich die erste Gelegenheit, den Rancho zu verkaufen. Das Geld, welches ich erhielt, trug ich nach der Hauptstadt von Entre Rios Concepcion del Uruguay, um es dort sicher anzulegen. Dann wollte ich nach den Anden. Unterwegs hielten mich Jordans Leute an, um mich als Führer nach Corrientes zu engagieren. Da mir ein gutes Geld geboten wurde, nahm ich den Vorschlag an und erhielt den Titel eines Offiziers. Das ist alles.«

»Sie gebärdeten sich aber wie ein eingefleischter Jordanianer!«

»Zum Scheine, denn mit den Wölfen muß man heulen.«

»Hm! Wer kann trauen!«

»Sennor, ich belüge Sie nicht!«

»Gut, ich habe Lust, Ihnen das zu glauben.«

»Ich werde Ihnen sogar einen ganz eklatanten Beweis geben, daß Sie mir jetzt mehr gelten als Lopez Jordan.«

»So? Wie wollen Sie das anfangen?«

»Ich gebe Ihnen Ihre Gegner, welche Sie verderben wollen, in die Hände.«

»In welcher Weise wäre das möglich?«

»Dadurch, daß wir sie in die Sümpfe des Espinilla locken, des Grenzflusses zwischen Entre Rios und Corrientes.«

»Hm! Daß sie uns verfolgen, ist freilich sicher. Aber wir haben einen bedeutenden Vorsprung.«

»Glauben Sie das ja nicht, Sennor! Sie sind nahe hinter uns her.«

»Des Nachts, wo sie keine Spur von uns sehen können?«

»Sie brauchen keine Spur. Sie wissen, daß Sie über die Grenze wollen und reiten in dieser Richtung. Wenn sie sich dann am Anbruch des Tages nach beiden Seiten ausstreuen, müssen sie auf unsere Bahn kommen.«

»Sie haben recht. Und darum sind wir gezwungen, so bald wie möglich wieder aufzubrechen.«

»Ja. Dann reiten wir gerade gegen die Sümpfe, und die Jordanisten werden uns gewiß dorthin folgen.«

»Um uns da drinnen festzunehmen!«

»O nein! Ich kenne die Wege und die Schliche zu genau, als daß wir uns verirren und da stecken bleiben könnten. Ich führe Sie wieder heraus.«

»Hm! Sehen Sie denn nicht ein, daß ich Ihnen ein solches Vertrauen unmöglich schenken darf!«

»Sie dürfen es, und ich bitte Sie darum, es zu thun!«

»Das ist viel verlangt! Wie nun, wenn Sie uns da in eine Falle locken? Noch haben Sie mir nicht im geringsten bewiesen, daß Sie wirklich nicht mit dem Herzen zu Jordan gehören.«

»Ich sagte ja, daß nur der Zufall und die Rücksicht auf meinen Vorteil mich bewog, mich diesen Leuten anzuschließen!«

»Und nun wollen Sie wieder weg von ihnen? Sehen Sie nicht ein, daß Sie da eigentlich an Ihren bisherigen Kameraden einen Verrat auszuüben beabsichtigen? Und kann man einem Verräter Vertrauen schenken?«

Er antwortete erst nach längerer Zeit:

»Sie haben recht, Sennor, obgleich Ihre Worte keineswegs schmeichelhaft für mich sind. Aber Sie nehmen die Sache wohl zu scharf. Jordan ist, streng genommen, selbst ein Verräter und darf sich nicht wundern, wenn er erntet, was er gesäet hat. Ich habe seiner Sache treu gedient, so lange ich bei ihm war. Jetzt bin ich von ihm fort und fühle mich aller Verpflichtungen gegen ihn ledig. Die Pietät für meinen Bruder steht mir höher, als die Rücksicht gegen einen Empörer, dessen Offizier ich nur dem Namen nach war und bei dem ich, streng genommen, nur im Tagelohne stand. Ich denke, Sie können mir schon deshalb vertrauen, weil ich mich in Ihrer Gewalt befinde. Ich bin ja an Händen und Füßen gefesselt, und Sie können mich augenblicklich töten, sobald Sie bemerken, daß ich es nicht ehrlich mit Ihnen meine.«

»Es fragt sich, ob wir Zeit und Macht hätten, Sie zu bestrafen, wenn wir uns einmal in der Falle befänden.«

»Ich versichere es Ihnen mit allen möglichen Eiden, daß ich aufrichtig bin! Bedenken Sie doch, daß ich Sie nach dem Salzsee führen will! Sie wagen wirklich gar nichts, wenn Sie mir Glauben schenken. Wollen Sie, Sennor?«

»Nun, ich will Ihnen gestehen, daß ich jetzt anders sprach, als ich dachte. Ich wollte nur hören, was Sie antworten würden. Hier haben Sie nun auch meinen Bescheid auf Ihre letztere Frage.«

Ich bog mich zu ihm nieder und knüpfte ihm die Riemen auf. Als das geschehen war, sprang er empor, dehnte und reckte sich und fragte:

»Sie lösen mir die Fesseln? Soll das heißen, daß ich frei bin, Sennor?«

»Was denn anders?«

»Aber, wenn ich nun fliehe?«

»Das wäre keine Flucht, denn nur ein Gefangener kann fliehen; Sie aber sind nun kein solcher mehr. Uebrigens bin ich sehr überzeugt, daß Sie bei mir bleiben werden, Sennor Gomarra.«

»Ja, ja, deß können Sie überzeugt sein. Ich weiche und wanke nicht von Ihrer Seite. Ich danke Ihnen, danke Ihnen herzlich für das Vertrauen, welches Sie mir schenken, Sennor!«

Er drückte mir voller Freude die Hände und fügte hinzu:

»Was werden diese Schläfer sagen, wenn sie aufwachen und sehen, daß Sie mich freigelassen haben!«

Er sollte sogleich hören, was wenigstens einer von ihnen sagen werde. Der Oberst hatte an seiner andern Seite gelegen und war durch seine Bewegungen aufgeweckt worden. Das schadete nichts, denn die Reihe, zu wachen, kam nach mir an ihn, und meine Zeit war schon vorüber. Er stand auf, trat zu uns und sagte erstaunt:

»Was ist denn das? Der Gefangene frei? Sind Sie des Teufels, Sennor!«

»Sehr bei Verstand bin ich,« antwortete ich. »Man darf einen Freund nicht mißhandeln, und dieser Mann ist zu uns übergetreten und will seine bisherigen Kameraden in unsere Hände liefern.«

»Diablo! Und Sie vertrauen ihm?«

»Vollständig.«

»Nun, ich kenne Sie als einen Mann, welcher gar wohl weiß, was er will und warum er etwas thut. Ich kann also nichts dagegen haben, wenn Sie diesem Manne die Freiheit geben. Aber wie will er sein Wort halten?«

»Ich halte es, wenn es auch schwierig sein sollte,« antwortete Gomarra. »Leicht aber, sogar kinderleicht würde es sein, wenn wir die doppelte Anzahl wären, indem wir dann die Gegner von zwei Seiten nehmen könnten.«

»Hm! Wo denn?«

»Wissen Sie, daß der Grenzfluß stellenweise von gefährlichen Sümpfen umgeben ist?«

»Das weiß ich freilich. Die Sümpfe sind auf unsern Karten sehr genau verzeichnet; aber ich mag mich nicht zwischen sie wagen. Um das zu thun, müßte man sie sehr genau kennen.«

»Das ist bei mir der Fall. Wie ich bereits sagte, werden die Jordanisten uns verfolgen. Wenn wir zwischen die Sümpfe reiten, kommen sie hinterher. Ich führe Sie an eine Stelle, an welcher höchstens zwei Reiter nebeneinander passieren können. Sind wir da vorüber, so brauchen wir nur zu halten und umzukehren. Einige Mann von uns halten den ganzen Zug der Feinde in Schach, da diese sich nicht in die Breite entwickeln können.«

»Da werden sie wenden und sich zurückziehen.«

»Das ist ja eben der Grund, weshalb ich wünsche, daß wir zahlreicher sein möchten.«

»Nun,« antwortete ich, »ich denke, einer von uns nimmt es recht gut mit einigen von ihnen auf.«

»Das glaube ich gern, Sennor, denn Sie haben es bewiesen. Aber das reicht nicht aus. Sie werden zwar nicht alle kommen können, da wir ihnen eine ganze Anzahl Pferde entführt haben, aber sie sind doch mehrere Hundert gegen uns wenige. Bedenken Sie, daß der größte Held gegenüber der Kugel des größten Feiglings wehrlos ist!«

»Richtig! Ihr Plan wäre sehr gut. Welch ein Streich wäre es, diese bedeutende Truppe zu fangen, nachdem es ihr nicht gelungen ist, uns wenige zu halten! Aber wir werden leider verzichten müssen, da wir nicht zahlreich genug sind.«

»Hm!« brummte der Oberst nachdenklich. »Wenn es so steht, so könnte uns geholfen werden. Ich weiß nur nicht, ob ich aufrichtig sprechen darf.«

»Warum nicht?«

»Weil dieser unternehmende Sennor Gomarra bis vor wenigen Augenblicken unser Feind war. Man kann es wohl schwerlich verantworten, ihm Vertrauen zu schenken.«

»Ich verantworte es!«

»Nun, so kommen, wenn Sie sich irren, alle Folgen über Sie!«

»Ich nehme sie getrost auf mich. Sie hatten soeben einen Plan, irgend eine Idee?«

»Ja. Ich gehe nach der Provinz Corrientes, um von da aus den Angriff gegen Lopez Jordan zu organisieren. Ich werde da erwartet. Ich habe Offiziere vorausgesandt, welche bereits thätig gewesen sind. Sie bewachen vorläufig die Grenze, an welcher in gewissen Intervallen Kommandos stehen. Leider sind das einstweilen nur Fußtruppen, da uns die Pferde fehlen. Jordan ist so schlau gewesen, vor Beginn seines Aufruhrs alle Pferde aufzukaufen oder auch stehlen zu lassen. Darum freute ich mich so herzlich darüber, daß es uns gelungen ist, uns einer Anzahl dieser höchst notwendigen Tiere zu bemächtigen.«

»Was das betrifft,« meinte Gomarra, »so würden wir bald einige hundert Pferde haben, wenn wir nur die dazu nötigen Reiter hätten.«

»Für diese könnte ich sorgen durch Zusammenziehen und Herbeirufen einiger der erwähnten Kommandos.«

»Wird sich das thun lassen?«

»Jedenfalls, wenn ich einen sicheren Boten hätte, oder noch lieber selbst hin könnte, was aber nicht möglich ist, da ich den Weg nicht kenne.«

»Sennor, ich führe Sie!«

»Sie mich? Und wer führt die andern?«

»Ich auch. Sie reiten mit uns, bis wir die Region der Moräste erreichen. Dort geleite ich Sie über die Stelle, an welcher der feste Weg eine nur zwei Ellen breite Brücke durch das tiefe, lebensgefährliche Moor bildet. Haben Sie diesen Pfad hinter sich, so erreichen Sie das feste Ufer des Flusses, wo Sie sich aufstellen können, um den Feind zu empfangen, der gegen Sie nichts vermag, weil er nur zu zweien vordrängen kann. Ist das geschehen, so setzen wir beide schleunigst über die Grenze, um die Soldaten herbeizuholen, mit denen wir dem Feinde in den Rücken kommen. Dann muß er sich ohne alle Bedingungen ergeben, wenn er nicht vernichtet sein will.«

»Der Plan ist ausgezeichnet!« meinte der Oberst, von dem Vorschlage Gomarras ganz begeistert, »wenn – wenn er nämlich gelingt.«

»Er muß gelingen, wenn wir Ihre Soldaten rechtzeitig zur Stelle bringen.«

»Ich hoffe, daß uns das gelingt.«

»Aber wohl nur dann, wenn wir keine Zeit versäumen und jetzt sofort aufbrechen. Wir dürfen uns die Verfolger nicht zu nahe kommen lassen, da wir Zeit brauchen, um die Kommandos herbeizuholen.«

»Ganz recht. Aber können Sie denn den Weg auch in der Dunkelheit finden?«

»So gut wie am hellen Tage. Uebrigens scheint ja der Mond ein wenig.«

»Und – – dürfen wir uns auf Sie verlassen?«

»Sennor, Sie können mich wieder fesseln. Auch bin ich ohne Waffen. Sie können mich ja jeden Augenblick niederschießen, ohne daß ich mich zu wehren vermag.«

»Richtig! Und das würde ich aber auch thun, sobald Sie mir Veranlassung geben, den geringsten Verdacht zu hegen. Was sagen Sie dazu, Sennor?«

Da diese Frage an mich gerichtet war, so antwortete ich:

»Ich bin vollständig einverstanden und hege keinen Zweifel, daß Gomarra es ehrlich mit uns meint.«

»Nun, so müssen wir die Schläfer wecken. Wir können ihnen nicht helfen. Sie mögen später weiterschlafen.«

Die Leute waren zunächst darüber unwirsch, daß sie geweckt wurden. Als sie aber hörten, welchem Unternehmen es galt, zeigten sie sich sofort einverstanden. Dem Feinde eine solche Nase zu drehen, dazu waren sie alle gern bereit. Es wurde aufgesessen; jeder nahm seine Pferde am Leitzügel, und dann ging es im Galopp wieder weiter, über den Camp, zuweilen zwischen Büschen und oft auch unter Bäumen dahin.

Ich ritt mit Gomarra voran. Obgleich ich volles Vertrauen zu ihm hatte, hielt ich es doch für keinen Fehler, die vollste Vorsicht anzuwenden. Darum hielt ich den Revolver locker, um dem Führer sofort eine Kugel zu geben, falls er uns etwa täuschen sollte. Doch das fiel ihm gar nicht ein; es zeigte sich vielmehr, daß er uns ganz ergeben sei.

Gegen Morgen erreichten wir Wald. Doch war derselbe licht. Die Bäume standen so weit auseinander, daß sie uns gar nicht störten, unsern Galopp beizubehalten. Wir gaben uns nicht etwa Mühe, unsere Spur zu verbergen, sondern wir machten unsere Fährte ganz im Gegenteile so sichtbar wie nur möglich, damit die Feinde uns recht leicht zu folgen vermöchten.

Nach einiger Zeit kamen wir an kleinen Bächen vorüber, deren Wasser ein nur ganz unbedeutendes Gefälle hatte. Gomarra sagte uns, daß wir uns dem Espinilla, dem Grenzflusse näherten, in welchen diese Bäche ihr träges Wasser sendeten, nachdem sie größere oder kleinere Sümpfe gebildet hätten.

»Nun kommt die Zeit, in welcher sich Ihre Aufrichtigkeit zu bewähren hat,« sagte ich zu ihm. »Bedenken Sie das!«

»Keine Sorge, Sennor,« antwortete er. »Sie sollen sich nicht in mir getäuscht haben.«

»Wenn das der Fall ist, so werde ich Ihnen auf eine Weise dankbar sein, welche Sie nicht für möglich halten.«

»Darf ich schon etwas davon erfahren?«

»Sie werden den Mörder Ihres Bruders sehen.«

»Wie? Was? Sagen Sie die Wahrheit? Sie müssen also doch wohl eine Ahnung haben, wer er ist?«

»Ich ahne es allerdings.«

»Sennor, ich bitte Sie, sagen Sie mir seinen Namen!«

»Sie haben ihn mir selbst genannt, als Sie mir von dem Morde erzählten.«

»Daß ich nicht wüßte. Ich habe da keinen Namen genannt. «

»Besinnen Sie sich!«

»Ja, da fällt es mir ein: Den alten Gambusino habe ich erwähnt, den Sie sterben sahen. Aber seinen Namen nannte ich nicht, da ich denselben überhaupt nicht kenne.«

»Sie sprachen ja auch noch von einem anderen, welcher da oben am Salzsee bekannt sein muß, da Sie von ihm behaupten, daß er die ganzen Anden besser kenne als jeder andere.«

»Meinen Sie etwa Geronimo Sabuco? Den Sendador? – Unmöglich!«

»Warum unmöglich?«

»Sennor, da täuschen Sie sich. Der Sendador ein Mörder! Er, der sein Leben unzähligemale gewagt hat, um Reisende, welche sich ihm anvertraut hatten, glücklich an das Reiseziel zu bringen!«

»Das ändert meine Ansicht nicht im geringsten. Es ist gar mancher äußerlich ein Ehrenmann, im stillen aber ein Schelm. Sie kennen ihn nicht; Sie haben ihn weder gesehen, noch gesprochen und verteidigen ihn doch in dieser Weise!«

»Weil ich genau weiß, welchen Rufes er sich erfreut und welch ein Vertrauen er genießt. Haben Sie denn Grund, so Schlimmes von ihm zu denken?«

»Lassen wir das einstweilen.«

»Nein. Sie können sich doch denken, daß ich vor Begierde brenne, ihn kennen zu lernen.«

»Später, später! Ich habe Ihnen jetzt nur zeigen wollen, daß ich Sie zu belohnen vermag, falls ich mit Ihnen zufrieden bin. «

»Aber ich sterbe vor Ungeduld, Sennor!«

»So beeilen Sie sich, uns noch vor Ihrem Tode die Jordaner in die Hände zu bringen, so wird es noch Zeit sein, Sie zu retten!«

»Wissen auch andere davon?«

»Nein. Nur der Frater ist eingeweiht, daß der Sendador ein Mörder ist. Mit ihm allein dürfen Sie darüber sprechen. Die andern und ganz besonders die Yerbateros dürfen keine Ahnung haben; sie müssen Geronimo Sabuco nach wie vor für einen Ehrenmann halten.«

»Es wird auch mir schwer, wenn nicht gar unmöglich, ihn für etwas anderes zu halten. Ich bin fast überzeugt, daß Sie sich irren.«

»Ich irre mich nicht und will Sie nur eins fragen: »Sie haben mir von dem alten Gambusino erzählt. Halten Sie ihn für einen Lügner?«

»Den? Alle andern Menschen viel eher als ihn. Er sprach wenig, und was er sagte, das war sicherlich die Wahrheit.«

»Nun, so will ich Ihnen sagen, daß er mir kurz vor seinem Tode erklärt hat, der Sendador sei ein Mörder.«

»Sennor! Sollte man das für möglich halten?«

»Es ist wahr. Der Sendador hat einen Pater ermordet, einen geistlichen Herrn. Denken Sie!«

»Das wäre eine Sünde, welche gar nicht vergeben werden kann. Woher aber wußte es denn der Gambusino?«

»Er hat es gesehen.«

»Hat ihn denn der Gambusino nicht an der Mordthat gehindert?«

»Er konnte nicht, denn er befand sich auf einem Felsen hoch über dem Orte, an welchem die That geschah. Er rief ihm erschrocken und entsetzt zu, doch vergebens.«

»So mußte der Sendador ihn als Zeugen der Blutthat fürchten und also danach trachten, ihn beiseite zu schaffen!«

»Wenigstens ihn unschädlich zu machen, ja; das that er denn auch. Sie waren Freunde; darum tötete er ihn nicht; aber er zwang ihm einen Eid ab, niemals etwas davon zu erzählen. «

»Schrecklich, entsetzlich! Und der Gambusino hat es Ihnen doch erzählt und also seinen Eid gebrochen?«

»Erzählt nicht, denn ich hatte schon vorher einiges gehört und setzte mir das Fehlende hinzu. Als ich ihm die Sache dann genau so erzählte, wie sie geschehen war, konnte er mir nicht widersprechen.«

»Also wirklich ein Mörder, wirklich! Sennor, ich erschrecke. Sollte sich nicht auch der Gambusino geirrt haben?«

»Nein, das ist ganz unmöglich. Uebrigens stimmt alles sehr genau. Die beiden Mordthaten haben kurze Zeit, ganz kurze Zeit nacheinander stattgefunden. Die Flasche, von welcher Sie sprechen, enthielt die Kipus, welche der Sendador dem Padre abgenommen hatte.«

»Das wissen Sie genau?«

»Ja. Er hat den Padre nicht nur der Kipus wegen, sondern noch wegen anderer Umstände getötet. Doch davon später. Ich weihe Sie in dieses Geheimnis ein und schenke Ihnen ein Vertrauen, welches nicht einmal der Yerbatero besitzt, welcher doch mein erster Freund hier wurde. Ich hoffe, daß Sie es nicht mißbrauchen!«

»Ich werde kein Wort davon sprechen.«

»Nur mit dem Frater Hilario dürfen Sie darüber reden, aber nur so, daß es kein anderer hört. Auch dem Sendador selbst dürfen Sie nichts merken lassen.«

»Aber wie kann ich mich denn da an ihm rächen?«

»Sie sollen sich rächen, aber das kommt später und ganz von selbst. Er würde leugnen, wenn Sie es ihm vorwürfen. Er muß überrascht, überrumpelt werden. Wir bringen ihn an den Ort, an welchem sich die Flasche befindet, ohne daß er es ahnt, daß wir es wissen.«

»Auf diese Weise! Sie meinen, der Schrecken werde ihm das Geständnis erpressen?«

»Ja, der Schrecken. Die Gewalt der Thatsache muß ihn niederschmettern, so daß er sich gar nicht zu erheben vermag.

Doch, nun habe ich Ihnen wirklich alles gesagt, was ich noch verschweigen wollte. Ich bin schwach gegen Sie gewesen. Hoffentlich sehen Sie ein, wie gut ich es mit Ihnen meine.«

»Ja, das sehe ich ein, und ich werde Ihnen dankbar sein, Sennor. Wie gern würde ich noch weiter über diesen Gegenstand mit Ihnen sprechen, aber Sie werden nicht darauf eingehen, und ich sehe soeben, daß wir da angekommen sind, wo ich mich mit dem Oberst von Ihnen trennen muß.«

»Von mir nicht. Ich bin entschlossen, mitzureiten. Ich mag den Oberst nicht so allein reiten lassen.«

»Ich bin doch bei ihm!«

»Drei sind besser als zwei, und hier an der Grenze muß man vorsichtig sein.«

Als der Oberst hörte, daß man ihn begleiten wollte, freute er sich darüber, denn er traute dem Führer nicht so recht.

Wir befanden uns auf einem ebenen, grünen Plan. Die Hufe unserer Pferde standen auf Camposgras, welches nicht eine so gesättigte, fast braungrüne Farbe hatte wie die vor uns liegende Fläche. Ein schärferer Blick auf diese letztere zeigte, daß die darauf befindliche Vegetation aus Sumpfpflanzen bestand, und als ich einige Schritte weit zur Seite ritt und vom Pferde stieg, um das Terrain zu untersuchen, rief mir Gomarra schnell zu:

»Nehmen Sie sich in acht, Sennor! Nur noch einen Schritt weiter, und Sie geraten in Sumpf.«

»Nur hier links?«

»Auch rechts. Wir befinden uns an der Stelle, von welcher ich Ihnen erzählt habe.«

Er hatte recht. Ich überzeugte mich, daß es zu beiden Seiten tiefes, weiches Moor gab, in welchem ein Mann leicht versinken konnte. Unser früherer Führer, der Indianer Gomez, welcher sich mit seiner jetzt ganz gesund gewordenen Mutter noch bei uns befand, wollte es uns beweisen, daß das Moor im höchsten Grade gefährlich sei. Er zog sich aus, ließ sich einen Lasso unter die Arme befestigen und trat auf die trügerische Decke. Er sank bis an die Kniee, zwei Schritte weiter aber schon bis über die Hüfte ein, und der Sumpf schloß so fest um ihn, daß man ziemliche Kraft anwenden mußte, ihn heraus zu ziehen. Diese Probe machte er auf beiden Seiten. Daß er dabei schmutzig wurde, war ihm sehr gleichgültig. Der Fluß, in welchem er sich waschen konnte, war ja nahe.

So hatten wir also den Beweis erhalten, daß man hier nach keiner der beiden Seiten ausweichen könne. Griffen uns die Gegner hier wirklich an, so konnten sie, ganz wie Gomarra gesagt hatte, nur zu zweien nebeneinander reiten, während wir drüben auf festem Boden hinter Schilf und Sträuchern lagen und die ganze Fläche mit unsern Kugeln zu bestreichen vermochten. Auf diese Weise konnten wir sie ganz leicht paarweise wegputzen. Und wendeten sie sich zur Flucht um, und es standen dann unsere Soldaten plötzlich hinter ihnen auf festem Boden, ungefähr da, wo wir uns in diesem Augenblicke befanden, so waren sie gezwungen, sich zu ergeben. Es fragte sich überhaupt, ob es ihnen gelingen werde, ihre Pferde auf der schmalen Bahn zwischen den beiden Sümpfen zu wenden. Brachten sie das nicht fertig, so war ihre Lage doppelt schlimm.

Jetzt mußten wir eine lange Reihe bilden. Gomarra ritt voran. Wir andern folgten einzeln, und je zwei von uns hatten einige ledige Pferde zwischen sich. In dieser Weise ging es nun zwischen den Mooren hin. Durchschnittlich war der Weg zwei Ellen breit, oft schmaler, zuweilen etwas breiter. Er dehnte sich viel, viel länger aus, als ich vorher gedacht hatte, und führte auch nicht gerade, sondern in sehr unregelmäßigen Windungen nach dem Flusse. Seine Länge war so bedeutend, daß unsere Feinde völlig Platz darauf hatten. Wenn der letzte von ihnen den gefährlichen Pfad betreten hatte, war der erste noch nicht drüben angekommen. Und das will etwas heißen bei gegen vierhundert Reitern. Uebrigens war der Weg nicht etwa hart, sondern ziemlich weich und schlüpfrig. Unsere Pferde versanken stellenweise bis über die Hufe in dem dicken, schwarzen Schlamme. Aber wir kamen drüben ganz glücklich an. Da gab es einen sehr hübschen, von Büschen eingefaßten und von Baumwipfeln überragten Platz, auf welchem die Gefährten lagern und in aller Gemächlichkeit unsere Rückkehr erwarten konnten. Sie wollten absteigen, aber Gomarra, welcher mehr und mehr bewies, daß er ein kluger und außerordentlich umsichtiger Mensch sei, sagte ihnen:

»Bleiben Sie noch im Sattel, Sennores! Sie müssen noch eine kleine Strecke reiten, um dann zu Fuße zurückzukehren.«

»Warum zu Fuße?«

»Sagten Sie nicht, Sennor, daß Ihre Soldaten keine Pferde hätten?«

»Ja, allerdings.«

»Nun, da müssen wir ihnen helfen, schnell fortzukommen. Wir nehmen die sämtlichen Pferde mit, um den Truppentransport zu beschleunigen.«

»Der Gedanke ist freilich nicht übel.«

»Nicht wahr? Wir haben weit über dreißig Pferde. Setzen sich je zwei Mann auf eins, so kommen siebzig Soldaten schnell herbei. Und das ist notwendig, da wir nicht wissen, wie lange wir auf die Ankunft der Feinde zu warten haben.«

»Giebt es denn einen guten Weg von hier fort?«

»Auch so einen verborgenen wie den bisherigen. Wir gehen über den Fluß, so daß diesseits gar keine Spur zu finden ist. Haben wir wieder festes Land, so bringen wir drei die Pferde leicht fort; bis dahin aber müssen uns die andern Sennores begleiten.«

So geschah es. Wir schwenkten rechts ab, am Ufer aufwärts. Dort gab es wieder tiefen Sumpf, durch welchen wir uns nur auf sehr schmalem Pfade einzeln bewegen konnten. Die Pferde folgten langsam und vorsichtig, und keins von ihnen machte eine übermütige Bewegung, denn der Instinkt sagte ihnen, daß sie sich hier in Gefahr befanden. So erreichten wir eine härtere Stelle und sahen, daß sich am jenseitigen Ufer eine feste Sandbank befand.

»Hier setzen wir über,« sagte Gomarra. »Drüben giebt es sichere Erde bis hinaus auf den Campo. Nun brauchen wir die anderen Sennores nicht mehr. Sie können umkehren, nachdem sie vorher uns geholfen haben, die Pferde in das Wasser zu treiben.«

Wir drei, der Oberst, Gomarra und ich, ritten in den Fluß.

Die andem stiegen ab und trieben die Pferde in das Wasser, nachdem sie ihnen Zügel und Bügel kurz gebunden hatten. Das ging ganz vortrefflich, denn der Fluß war weder breit noch reißend. Drüben angekommen, bildeten wir aus den Pferden eine Tropa, welche uns aus Angst vor den fleißig geschwungenen Lassos willig folgte. Unsere Gefährten kehrten an den Platz zurück, an welchem sie vorhin hatten absteigen wollen. Wir verließen den Fluß im rechten Winkel, erst langsam, da das Terrain doch kein ganz sicheres war. Als wir aber den Campo erreichten, fielen wir in Galopp und fegten nach rechts ab, in östlicher Richtung hin, weil der Oberst dort Soldaten zu finden erwartete.

Wir waren kaum eine Viertelstunde geritten und hatten uns dabei fleißig nach Spuren umgesehen, so bemerkten wir zwei Reiter, welche am nördlichen Horizonte auftauchten und schnell auf uns zukamen. Natürlich hatten sie auch uns gesehen und wollten nun wissen, wer wir seien. Der Oberst blickte ihnen gespannt entgegen und rief erfreut, als sie näher gekommen waren:

»Rittmeister Manrico! Ihn habe ich vorausgesandt. Der Sennor bei ihm ist ein Lieutenant. Welch ein Glück, sie zu treffen!«

Der Rittmeister erkannte seinen Chef und grüßte ihn bereits von weitem. Nahe herangekommen, konnte er seinem Erstaunen, den Oberst hier so unerwartet zu treffen, gar nicht genug Ausdruck geben.

»Davon nachher, mein Lieber,« unterbrach ihn der Oberst. »Jetzt vor allen Dingen, was thun Sie hier?«

»Wir ritten zu einer Grenzdienstübung.« Er deutete nach Ost. »Dort stehen unsere Truppen.«

»Wie viele?«

»Zweihundert Mann mit etwa siebzig Pferden. Es waren trotz aller Mühe nicht mehr Pferde zusammenzubringen. Jordan hat sie alle weggekapert und über die Grenze geschafft. «

»Weiß schon. Siebzig, und wir haben dreißig. Zwei Mann auf ein Pferd, so bringen wir zweihundert Mann fort. Getrauen Sie sich, mit zweihundert Mann vierhundert Leute von Jordan gefangen zu nehmen?«

»Wenn das Terrain halbwegs günstig ist, ganz gewiß.«

»Wie sind Ihre Leute bewaffnet?«

»Alle mit Remington-Gewehren.«

»Das ist vortrefflich. Das Terrain ist ausgezeichnet. Kommen Sie schnell! Führen Sie uns zu den Truppen; wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Jetzt ging es wieder vorwärts, und zwar mit möglichster Schnelligkeit. Unterwegs erzählte der Oberst den beiden Offizieren sein Abenteuer in kurzen Zügen. Sie beglückwünschten ihn ob seiner Rettung und waren ganz Feuer und Flamme, ihn zu rächen.

Bald erreichten wir den Camp, wo die Truppen standen. Sie hatten heute längs dem Flusse verteilt werden sollen, um da zur Probe zu manövrieren. Nun bekamen sie im Ernste zu thun. Es waren zwar zusammengewürfelte Leute, doch machten sie nach hiesigen Verhältnissen keinen üblen Eindruck. Ihre Uniform glich dem Anzug der Basken; ihre Gewehre waren neu und gut. Nur die kleine Hälfte war beritten; das that aber nichts, denn unsere dreißig Pferde machten die Zahl der notwendigen Tiere voll, wenn jedes zwei Reiter tragen sollte.

Die vorhandenen Offiziere traten zusammen, und es wurde Kriegsrat gehalten, nach dessen Beendigung die Leute aufstiegen. Je einer setzte sich in den Sattel und nahm den andern hinter sich. Dann ging es im Galoppe wieder zurück, aber nicht ganz bis dahin, wo wir über den Fluß gesetzt waren. Dies geschah aus dem Grunde, weil es möglich war, daß die Feinde bereits angekommen waren. In diesem Falle mußte man sich beeilen, sie schnell in dem Rücken zu nehmen.

Gomarra wußte außer der ersteren Stelle eine zweite oberhalb derselben. Dort war das Uferland auch hart und wir setzten über. Dann ritten wir die betreffende Strecke abwärts, bis wir so nahe waren, daß wir uns vor dem Sumpfe in acht nehmen mußten. Dieser wurde umritten und dann ritt ich mit Gomarra allein vor, um zu erkunden, ob unsere Verfolger bereits da seien. Sie waren glücklicherweise noch nicht angekommen.

Späher durften nicht ausgesandt werden, da dieselben dem weichen Boden ihre Spuren eingedrückt hätten. Darum blieben die Soldaten halten, hinter Sträuchern verborgen, und ich entfernte mich mit Gomarra, um unsere Gefährten wieder aufzusuchen. Vorher wurde verabredet, daß der Oberst, welcher bei den Truppen blieb, sobald er einen Schuß höre, hervorbrechen, einen Bogen reiten und den Feind im Rücken nehmen solle.

Gomarra wußte einen Weg, welcher uns auch von hier aus nach unserm Ziele brachte. Die Gefährten freuten sich königlich, daß unsere Sendung einen so ausgezeichneten Erfolg gehabt hatte. Sie hatten es sich bequem gemacht, und wir setzten uns zu ihnen, um der Dinge zu harren, die da kommen sollten.

Von da aus, wo wir saßen, konnten wir weit in den Campo hinausblicken. Wir mußten die Erwarteten schon aus bedeutender Entfernung sehen. An eine Ueberraschung war nicht zu denken, und so machte ich den Vorschlag, den versäumten Schlaf nachzuholen. Die Wache konnte die Schlafenden ja rechtzeitig wecken. Das wurde sehr gern acceptiert. Bald lagen sie alle in Schlummer außer mir und dem Frater, welcher die Wache an erster Stelle überkommen hatte.

Ich nahm diese Gelegenheit wahr, ihm alles zu erzählen, was ich von Gomarra gehört hatte, und er erstaunte nicht wenig, als er vernahm, daß nun schon die Kipus entdeckt seien, welche der Sendador dem Yerbatero als nicht mehr vorhanden bezeichnet hatte.

»Da sieht man wieder, es giebt keinen Zufall. Oder sollte es ein so ganz zufälliges Zusammentreffen der Umstände sein, daß Sie erst dem Yerbatero begegnen, welcher von den Zeichnungen des Sendador weiß, dann dem sterbenden Gambusino, welcher die Mordthat kennt und die Kipus entdeckt hat? Wenn das keine Fügung des Himmels ist, so giebt es überhaupt weder Himmel noch Gott. Wollen Sie mit hinauf nach dem Salzsee?«

»Gewiß.«

»Ich gehe mit. Der Sendador muß uns hinführen.«

»Ob er es thun wird?«

»Ja; denn wir werden ihm eine ausgezeichnete Bezahlung versprechen. Haben Sie Hoffnung, die Kipus zu enträtseln?«

»Nein. Dazu besitze ich die Kenntnisse nicht. Ich werde sie mir aber anzueignen suchen, sobald ich die Schnuren habe, und dann ruhe ich gewiß nicht eher, als bis mir das Dechiffrieren gelungen ist.«

»Aber aus den Zeichnungen, welche der Sendador hat, werden wir wohl klug werden?«

»Hoffentlich. Wenigstens habe ich keine Angst davor, obgleich ich sonst kein Bleistiftkünstler bin.«

»Und so haben Sie also diesem Gomarra alles gesagt, was Sie wissen?«

»Nein. Daß es sich um verborgene Schätze handelt, weiß er nicht. Aber er soll es erfahren, allerdings so spät wie möglich, damit er sich nicht etwa Hoffnungen in den Kopf setzt, welche in keiner Weise in Erfüllung gehen können.«

Der Bruder blickte mich lächelnd an und sagte:

»Sie scheinen an diesen Schatz nicht recht zu glauben?«

»Die Peruaner besaßen ungeheure Reichtümer. Es ist erwiesen, daß unschätzbare Werte vergraben wurden. Wenn echte Kipus und echte Pläne über eine Stelle, an welcher solche Kostbarkeiten vergraben wurden, vorhanden sind, so zweifle ich nicht an der Wahrheit der Sache.«

»Und doch läßt diese Sache Sie so kalt! Wie erkläre ich mir das?«

»Es giebt verschiedenerlei Schätze. Ein Klumpen Gold oder ein kürbisgroßer Diamant ist gewiß etwas sehr Schönes; aber ein Schluck frischen Wassers, wenn man rechten Durst hat, ist noch viel besser und eine Handvoll Schlaf ist mir augenblicklich nötiger. Erlauben Sie mir also, die Augen zu schließen, mein lieber Frater!«

Ich legte mich um und schlief auch fast augenblicklich ein, mochte aber wohl kaum zehn Minuten geschlafen haben, als ich von des Fraters lauter Stimme geweckt wurde:

»Wacht auf, Sennores; sie kommen!«

Wir sprangen alle im Nu auf und blickten auf den Camp hinaus. ja, da kamen sie im Galopp herbei. Einige von ihnen hatten Kameraden hinter sich sitzen. Das waren diejenigen, deren Pferde wir mitgenommen hatten. Sie ritten in breiter Reihe und schienen den Sumpf gar nicht zu bemerken.

»Cielo! Sie reiten hinein!« sagte der Frater. »Man muß sie warnen.«

Er legte die Hände an den Mund und wollte einen Ruf ausstoßen. Ich hinderte ihn daran.

»Still, Bruder! Wenn auch einige hinein geraten, so haben sie genug Kameraden bei sich, von denen sie wieder herausgezogen werden können.«

Es kam übrigens auch gar nicht so weit, daß einer verunglückte. Sie riefen einander selbst zur Vorsicht an und parierten noch im letzten Augenblicke die Pferde. Einige stiegen ab, um den Sumpf zu untersuchen. Sie nahmen ihre Lanzen und stießen sie in das Moor. Da erkannten sie nun freilich, daß hier nicht zu spaßen sei. Der Major rief seine Offiziere zusammen und beriet sich mit ihnen.

»Ob sie kommen werden?« fragte der Yerbatero begierig.

»Jedenfalls!« antwortete einer seiner Kameraden.

»Da wären sie verrückt.«

»Sie können doch nicht wissen, daß wir uns hier befinden?«

»Aber man kann wenigstens vorher nachsehen lassen, ob – – – ah! siehe da, der Major thut es wirklich. Ja, er ist ein Offizier, der seine Sache vortrefflich gelernt hat!«

Der Kommandant schickte nämlich zwei Reiter ab, welche den Weg untersuchen sollten. Sie ritten langsam vor, sich ganz in unsern Stapfen haltend.

»O wehe!« meinte Turnerstick. »Jetzt schickt er die beiden Avisoboote aus. Wenn die ganz herüber kommen, so werden sie uns sehen und alles verraten.«

»Sie dürfen uns eben nicht sehen,« antwortete ich. »Wir müssen uns verstecken. Schilf und Büsche giebt's ja genug.«

»Aber sie werden hier bleiben, um die andern zu erwarten. Da sind sie uns im Wege.«

»Werde sie aus dem Wege schaffen!« meinte Larsen, der Steuermann, indem er seine Fäuste behaglich ausstreckte. »Will auch mal was zu thun haben, Sir.«

»Nur keine Uebereilung!« bat ich. »Körperkraft thut es hier nicht. Man muß sie am Schreien verhindern.«

»Werde schon zugreifen, daß ihnen die Musik im Halse stecken bleibt.«

Es sollte ihm aber nicht so wohl werden, seine Riesenstärke in Anwendung zu bringen. Wir versteckten uns, und die beiden Reiter kamen herbei. Sie sahen sich auf dem Platze um, an welchem wir gelagert hatten. Das beunruhigte sie. Dann sahen sie die Fährten, welche ich mit dem Oberst und Gomarra gemacht hatte, als wir fortgeritten waren, und das beruhigte sie wieder. Sie schienen zu meinen, daß wir hier eine kurze Zeit geruht hätten und dann weiter geritten wären. Jetzt durften wir uns noch nicht an ihnen vergreifen. Erst mußten sie das Zeichen geben, daß alles in Ordnung sei und die übrigen kommen könnten. Aber das thaten sie nicht, sondern ritten zurück, um dem Major zu rapportieren.

»Schade, jammerschade!« meinte der Steuermann. »Ich bekomme doch all meine Lebtage nichts mehr in die Hände!«

Es war aber besser so, sowohl für die beiden Reiter als auch für uns. Es hätte uns mißglücken können, sie lautlos zu überwältigen, und dann wären wir verraten gewesen.

Wir sahen, daß der Major mit den beiden sprach; dann gab er das Zeichen, dem Pfade zu folgen, und setzte sich an die Spitze des Zuges, der sich nun langsam auf uns zuschlängelte. Der Major war ungeduldig und trieb sein Pferd mehr an als die andern, welche dem gefährlichen Wege mit mehr Vorsicht folgten. So kam er seinen Leuten ziemlich weit voran.

»Was ist da zu thun?« fragte der Bruder. »Lassen wir ihn heran oder nicht?«

»Natürlich!« antwortete ich.

»So kommen aber auch seine Leute, und wenn wir sie bis hierher auf den festen Boden lassen, so kommt es ganz sicher zum Kampfe, was wir doch lieber vermeiden sollten.«

»Haben Sie keine Sorge! Er wird, wenn ich ihn packe, schon so laut schreien, daß sie halten bleiben.«

»Packen?« fragte der Steuermann. »Soll nicht ich das lieber besorgen?«

»Meinetwegen. Aber zerbrechen Sie ihn nicht! Setzen Sie ihn aus dem Sattel hierher auf die Erde. Das genügt.«

Wir stellten uns hinter den Sträuchern so auf, daß er uns nicht sofort sehen konnte. Jetzt hatte er den Pfad hinter sich und gelangte auf festen Boden. Er trieb sein Pferd durch die Büsche und – erblickte uns. Einen Augenblick lang war er wie starr vor Schrecken; dann aber schrie er auf. Klug wäre er gewesen, wenn er zum schnellen Angriffe kommandiert hätte; aber er rief:

»Halt! Zurück, zurück! Sie sind da!«

Also hatte er uns fangen wollen und jagte nun, als er uns sah, seine Leute zur Flucht! Sonderbarer Mensch! Zugleich wollte er sein Pferd wenden. Da aber hatte ihn auch schon der Steuermann beim Gürtel, riß ihn aus dem Sattel und schwang ihn im Halbkreise auf die Erde nieder, wo der Offizier nicht allzu sanft zum Aufsitzen kam.

Ein Blick überzeugte mich, daß die Kolonne zum Stehen gekommen war. Der vorderste Reiter hielt ungefähr zehn Pferdelängen von uns. Der hinterste hatte auch schon den festen Boden verlassen und befand sich zwischen den Sümpfen, so daß wir nun die ganze Kolonne glücklich so hatten, wie wir sie hatten haben wollen. Der Major sah sich umringt. Die Flucht war ihm, wenn er nicht von den Seinen herausgehauen wurde, unmöglich. Er blickte ganz ratlos von einem zum andern und sagte zunächst kein Wort.

»\Willkommen, Sennor!« begrüßte ich ihn. »Endlich sehen wir Sie wieder, aber an einem anderen Orte.«

Er biß sich auf die Lippen und antwortete nicht.

»Wir warteten so lange auf Ihre Rückkehr,« fuhr ich fort, »aber das Essen, welches die Ranchera Ihnen präsentiert hatte, schien Sie so sehr zu fesseln, daß wir unmöglich länger warten konnten. Wir gingen also fort. Ich hoffe, daß Sie das nicht für eine Versündigung gegen die gute Sitte erklären werden.«

Er schwieg noch immer. Darum meinte der Yerbatero:

»Die Freude, uns wiederzusehen, hat den armen Teufel um die Sprache gebracht!«

»Tormenta!« antwortete er jetzt. »Ich verbitte mir solche Beleidigungen!«

»Nun!« antwortete ich. »Sie befinden sich in einer Lage, welche keineswegs zur Hochachtung und Bewunderung hinreißt.«

»Ich werde Sie darüber seiner Zeit zur Rechenschaft ziehen. Wie können Sie es wagen, sich an mir zu vergreifen!«

»Mit einem größeren Rechte als demjenigen, mit welchem Sie sich an uns vergreifen wollten. Sie sind unser Gefangener.«

Er sprang von der Erde auf und griff nach seinem Säbel. Ich hielt ihm den Revolver vor die Nase und drohte:

»Die Hand vom Degen, sonst schieße ich! Sie verkennen Ihre Lage. Sie befinden sich mit allen Ihren Leuten in unsern Händen.«

»Oho. Ich brauche nur den Befehl zu geben, so avancieren meine Leute und treten euch nieder!«

»Versuchen Sie das! Sehen Sie denn nicht, daß stets nur zwei Ihrer Leute front gegen uns sind? Wir schießen die vorderen Paare nieder; diese bilden dann für uns einen Wall, über welchen die andern nicht angreifen können. Auf diese Weise sind wir dann unangreifbar.«

»So lasse ich Sie umgehen und von der Seite nehmen.«

»Das ist auch ein ganz unausführbarer Vorsatz, wie ich Ihnen beweisen werde. Sie sagen ›Ich lasse – –‹ Sie haben nach unserem Willen zu handeln. Damit Sie denselben kennen lernen, fordere ich hiermit von Ihnen, daß Sie Ihren Leuten den Befehl erteilen, erst ihre Waffen und dann sich selbst an uns auszuliefern!«

Er machte ein so erstauntes Gesicht, wie nur selten eines zu sehen ist.

»Wir – – uns Ihnen ausliefern!« rief er aus. »Vierhundert Mann sollen sich an zehn Civilisten ergeben!«

Er schlug ein lautes Gelächter auf.

»Pah! Lachen Sie!« meinte ich ruhig. »Sie befinden sich in einer Lage, in welcher sich Ihre ganze Truppe mir allein ergeben müßte, wenn ich wollte. Wenn ich die ersten und die letzten vier oder sechs Pferde erschieße, so können Ihre Leute weder vor- noch rückwärts. Und wollten sie zur Seite, so würden sie den sichern Untergang im Moraste finden. Sehen Sie nicht, daß Ihre Pferde und Leute immer tiefer einsinken? Dieser Weg ist nicht fest genug, die Last einer solchen Reitermenge zu tragen. In zehn Minuten sinkt er ein, und Ihre gerühmten vierhundert Mann sind verloren.«

Er warf einen forschenden Blick hinaus und erbleichte. Er sah, daß ich recht hatte. Der Weg gab wirklich nach; er sank ein, und die Soldaten, welche sich nicht erklären konnten, daß sie nicht vorwärts durften und auf dem trügerischen, gefährlichen Terrain halten mußten, begannen laut zu murren und zu rufen. Es war wirklich keine Zeit zu verlieren, wenn die Leute nicht versinken sollten. Darum fuhr ich fort:

»Sie meinen, nur uns hier gegen sich zu haben, befinden sich aber in einem bedeutenden Irrtume. Hätten Sie die Gegend untersuchen lassen, bevor Sie sich auf den Sumpf wagten, so hätten Sie gewiß die Falle entdeckt, welche wir Ihnen gestellt haben und in welche Sie gegangen sind. Passen Sie auf: Ich werde sie jetzt zuklappen lassen!«

Ich winkte dem Yerbatero, und dieser schoß sein Gewehr ab. Kaum war das verklungen, so kamen von finks her die Truppen des Obersten herbeigejagt, je zwei Mann auf einem Pferde. Die Sattelreiter blieben sitzen. Die hinter ihnen befindlichen aber sprangen ab. Im Nu war eine Doppellinie gebildet, welche den Aufrührerischen den Rückweg versperrte, vorn hundert Mann zu Fuß und hinter ihnen ebenso viele Reiter, alle mit guten Gewehren bewaffnet, während die Leute des Majors nur wenige derselben besaßen und ihre Lassos und Bolas gar nicht gebrauchen konnten.

Diese letztern erkannten, daß ihnen der Rückweg verlegt war, und indem nun auch wir vortraten und die Gewehre auf sie richteten, mußten sie einsehen, daß sie auch nicht vorwärts konnten, ohne sich unsern Kugeln preiszugeben.

Die Gefährlichkeit ihrer Lage wurde noch dadurch erhöht, daß der schmale Pfad, auf welchem sie hielten, sich immer mehr senkte. Er bestand nur aus einer festeren Moorlage, welche auf dem weichen Sumpfe ruhte und nachgeben Mußte, wenn sie eine zu große Last zu tragen hatte. Ein solches Uebergewicht war jetzt vorhanden. Es war vorauszusehen, daß sämtliche Reiter einsinken und im Moore ersticken würden, wenn es ihnen nicht möglich würde, noch zur rechten Zeit festen Boden zu gewinnen. Jenseits des Sumpfes ertönte die Stimme des Obersten, welcher die Feinde aufforderte, sich zu ergeben. Diesseits richtete ich dasselbe Verlangen an den Major, welcher zähneknirschend die Lage seiner Leute überschaute und mir dennoch in grimmigem Tone antwortete:

»Mögen sie versinken und zu Grunde gehen. Meine Leute bekommen Sie nicht!«

»So mag ich auch Sie nicht haben. Ich gebe Sie frei. Kehren Sie also zu den Ihrigen zurück!«

Er sah mich ganz erstaunt an und fragte:

»Aber Sie begeben sich da eines großen Vorteiles!«

»Nur aus Freundschaft für Sie. Wollen Sie Ihre Leute wirklich opfern, so will ich Ihnen Gelegenheit geben, an dem Schicksale derselben teilzunehmen. Man wird Sie als einen großen Helden preisen, wenn man erfährt, daß Sie mit den Ihrigen in den Tod gegangen sind.«

Jetzt erschrak er.

»Das können Sie doch nicht wollen!« rief er aus.

»Ich will es, Sennor! Sollten aber Sie es nicht wollen, so zwinge ich Sie. Ich lasse Sie mit dem Lasso zu Ihren Leuten hinüberpeitschen, wenn Sie nicht freiwillig gehen. Ich gebe Ihnen nur eine einzige Minute Zeit. Fordern Sie bis dahin Ihre Leute auf, sich zu ergeben und uns ihre Waffen auszuliefern, dann gut. Thun Sie aber das nicht, so sollen Sie denselben Tod erleiden, in welchen Sie diese armen Menschen jagen. Ich scherze nicht! Hören Sie?«

Die Angst seiner Leute war höher und höher gestiegen; ihre Pferde gehorchten nicht mehr. Sie riefen ihm zu, sich zu ergeben. Die letzten wendeten bereits um und überlieferten sich den Leuten des Oberst, um ihr Leben zu retten. Sie sprangen, sobald sie festen Boden erreichten, von den Pferden und warfen alle Waffen von sich. Einer folgte dem andern. Der Major sah nun ein, daß seine Weigerung fruchtlos sei. Seine Leute gehorchten ihm nicht mehr, und da es mit seinem persönlichen Heldentume im Angesichte des Todes auch nicht glänzend stand, so sagte er:

»Nun gut, für diesesmal haben Sie das Spiel gewonnen; hoffentlich aber beginnen wir baldigst eine neue Partie, welche Sie dann sicher verlieren werden. Ich ergebe mich!«

»Das ist überflüssig, denn wir haben Sie ja schon. Ich verlange von Ihnen den Befehl an Ihre Truppe, umzukehren und sich dem Obersten zu überliefern.«

Er rief seinen Leuten die betreffende Weisung zu, und sie gehorchten derselben mit größter Bereitwilligkeit. Diejenigen, welche uns nahe waren, wollten nicht erst umkehren, sondern gleich zu uns herüber, da ihnen der Rückweg als gefährlich erschien, aber ich duldete es nicht, da wir hier nicht zahlreich genug waren und auch nicht den genügenden Raum hatten, sie bei uns aufzunehmen. Sie mußten zurück, obgleich der Weg von Minute zu Minute gefährlicher wurde. Da sie gezwungen waren, sehr vorsichtig und langsam zu reiten, so kamen sie nur einzeln drüben an und konnten also ohne Mühe unschädlich gemacht werden. Ihre Pferde wurden zur Seite geschafft, ihre Waffen ebenso. Sie mußten sich lagern und wurden eng umschlossen. Keinem von ihnen kam wohl der Gedanke, daß er jetzt noch fliehen könne.

Da der Sumpfpfad zu sehr gelitten hatte, so war es für uns gefährlich, denselben zu benutzen. Wir machten also einen Umweg am Flusse entlang, bis wir rechts abbiegen konnten und nun von dieser Seite zu dem Oberst stießen. Der Major hatte gehen müssen, Als wir drüben anlangten, stellte er sich dem Genannten mit den Worten vor:

»Sennor, heute war das Glück für Sie. Ich hoffe, Sie werden Ihr Verhalten nach der Ueberzeugung richten, daß es nächstens gegen Sie und für uns sein kann!«

Der Angeredete warf ihm einen verächtlichen Blick zu und antwortete:

»Ich mache mein Verhalten nie vom Glücke, sondern nur von meiner Pflicht abhängig. Wer seiner Pflicht untreu wird, hat von mir weder Achtung noch Rücksicht zu erwarten. Sie sind ein Aufrührer, der seinen Eid gebrochen hat. Als Anführer von Empörern sind Sie als der Verführer derselben zu betrachten und also zehnfach straffällig. Ihr Rang ist für mich nicht ein Grund, Sie besser zu behandeln als die Irregeleiteten, sondern in ihm liegt für mich die Aufforderung, so streng wie möglich gegen Sie vorzugehen. Weiter habe ich Ihnen nichts zu sagen!«

Er wandte sich ab. Der Major rief ihm zornig nach:

»Sie haben uns nur durch Verrat in Ihre Hände bekommen. Ein Mann, der seine Erfolge einem Verräter verdankt, sollte sich hüten, so stolze Worte zu sprechen!«

Und zu Antonio Gomarra gewendet, fuhr er fort:

»Du bist es, der uns in diese Falle gelockt hat. Hüte dich, je einmal in meine Hand zu geraten. Der Strick würde dir sicher sein!«

»Nun, wenn es so wäre, so dürften am allerwenigsten Sie mich anklagen, der Sie selbst ein Verräter an dem Präsidenten sind, dem Sie Treue geschworen haben. Wer ist da ein größerer Halunke, Sie oder ich?« antwortete Gomarra.

»Schurke, kommst du mir so? Ich erwürge dich!«

Er sprang auf Gomarra ein. Der Oberst aber trat schnell zwischen beide und gebot seinen Leuten:

»Bindet ihn, damit er einsehe, daß er ohne meine Erlaubnis weder etwas sagen noch unternehmen darf. Ueberhaupt werden allen Gefangenen die Hände mit ihren eigenen Lassos gebunden; dann mögen sie in die Sättel steigen, und wir brechen auf! Ich will nach Palmar und habe keine Zeit zu verlieren.«

Dieser Befehl, gegen den sich die entwaffneten Gegner nicht wehren konnten, wurde sofort ausgeführt. Die erbeuteten Lassos bildeten die Fesseln; die Waffen wurden unter die Sieger verteilt. Dann nahmen wir die Gefangenen zwischen uns und brachen auf, um der Stadt Palmar und neuen Ereignissen entgegenzureiten. – –


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