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Am andern Morgen war ich sehr zeitig wach, und lange vor der Zeit, in welcher der Yerbatero kommen wollte, hatte ich meine kleinen Angelegenheiten in Ordnung gebracht. Dazu bedurfte es keiner großen Mühe und Arbeit. Ich war echt amerikanisch gereist. Ein kleiner Koffer hatte all mein Eigentum enthalten, und diesen Inhalt trug ich jetzt auf dem Leibe. Den leeren Koffer hatte ich dem Kellner und den gestern getragenen Anzug dem Hausknecht geschenkt. Einige Hemden, Taschentücher und sonstige Notwendigkeiten lagen in Leder geschnallt auf dem Tische. Ich war zur Abreise bereit.
Die Hotelrechnung war berichtigt, und der Kellner hatte nebst dem Koffer noch ein Trinkgeld erhalten. Er war ein Schweizer und schien sehr schweigsam zu sein. Das Geschenk aber hatte ihn redselig gemacht. Als er erfuhr, daß ich die Reise zu Pferde und in gleicher Gesellschaft machen werde, beglückwünschte er mich, daß ich so klug gewesen sei, diese Art des Fortkommens zu wählen. Er entwarf mir eine entsetzliche Schilderung der Reise in der Diligence, und ich fand diese Beschreibung später vollständig bestätigt.
Diese sogenannte Staatskutsche ist ein mehr als solid gebauter Wagen von riesigen Verhältnissen. Sie besteht aus Coupé, Cabriolet und Rotunde und bietet zehn bis zwölf Personen Platz. Sie wird gezogen von sieben gewöhnlich ausgehungerten ›Rössern‹, davon vier neben einander unmittelbar vor dem Wagen, vor denselben nur zwei, und vor diesen letzteren eins, auf welchem der Vorreiter sitzt. Ein anderer Peon sitzt auf dem hinteren Sattelpferde. Auf einem achten Tiere galoppiert ein dritter Reiter nebenher, welcher ohne Unterlaß, mit Grund oder ohne Grund, mit einer großen Hetzpeitsche auf die Pferde losschlägt, um sie anzutreiben.
Dem Vorreiter liegt es ob, dem unbeholfenen Fuhrwerke die Richtung zu geben. Der Kutscher, Mayoral genannt, thront vom oben, mit einem stereotyp verächtlichen Gesichte, aus welchem zu ersehen ist, daß es ihm höchst gleichgültig erscheint, ob die Fuhre glücklich von statten geht oder einige der Pferde totgehetzt liegen bleiben und er beim Umwerfen die gebrochenen Glieder der Passagiere aus dem Wagen auf die Pampa schüttet.
Man erlaubt den Pferden niemals, in Schritt zu gehen; auch der Trab ist selten und fällt dann schlecht und unregelmäßig aus. Meist oder vielmehr stets geht es im sausenden Galopp vorwärts, und grad an den schlechtesten und gefährlichsten Stellen wird dieser Galopp zum Rasen.
So kommt es, daß man per Diligence trotz des miserablen Weges pro Tag bis und über fünfzehn deutsche Meilen zurücklegt, eine Leistung, worüber ein deutscher Postillon den Kopf schütteln würde.
Wenn ich von einem Wege spreche, so ist das nur figürlich gemeint, denn einen Weg giebt es eben nicht. Man sieht keine Andeutung oder Spur eines solchen. Man fährt über die natürliche Fläche, wie sie eben geschaffen ist, und der Europäer traut seinen eigenen Augen nicht, wenn er sieht, daß auf einem solchen Terrain gefahren werden kann.
So geht es über Stock und Stein – auch nur figürlich gemeint, denn Stöcke oder Steine giebt es in der Pampa nicht, desto mehr aber Unebenheiten, ausgetrocknete Bäche und andere Erhöhungen und Vertiefungen, über und durch welche der Wagen wie im Fluge fortgerissen und fortgeschleudert wird, so daß die Reisenden unaufhörlich gegeneinander stoßen und ihnen Hören und Sehen vergehen möchte.
»War das Ihr Kopf, Sennor?«
»Nein, der Ihrige, Sennorita?«
»Herr, Sie treten mich ja an den Leib!«
»Nein, Sennor, Ihr Fuß stieß mir den Schenkel wund!«
»Haben Sie Ihr Leben versichert, Herr Nachbar?«
»Nein, denn wenn ich hier den Hals breche, was höchst wahrscheinlich ist, so bekommen lachende Erben den Betrag. Ich habe keine Familie.«
»Sie Glücklicher! Ich habe Frau und Kinder. Seit ich in dieser Diligence sitze, kann ich sie mir nur noch als verwitwet und verwaist denken.«
Solche und ähnliche Interjektionen, scherzhaft oder ernst gemeint, ertönen unablässig aus dem Munde der Passagiere, welche für ihr teures Geld am Rande des Todes dahingezerrt werden.
Der Kutscher schreit; der Vorreiter brüllt; der hinterste Peon wettert; der Seitenreiter flucht und haut wie verrückt auf die armen Tiere ein, welche, hungernd und entkräftet, kaum mehr vorwärts können. Die wilde Jagd geht steil bergab in den Fluß hinein, welcher hoch aufschäumt. Halb vom Wasser getragen und halb von den Pferden gerissen, gelangt der Wagen, als ob er einzelne Sprünge mache, an das andere Ufer und wird unter Heulen, Schreien und Peitschenhieben an demselben emporgezerrt. Dort hält die zerlumpte Schar. Ein Pferd ist gestürzt. Man durchschneidet den Riemen, mit dem es an den Wagen gehängt war, nimmt ihm den Sattel ab, und dann geht es weiter, weiter, weiter!
Dem Pferde hängt die Zunge aus dem weit offenen Maule. Seine Flanken schlagen, und aus den Augen bricht ein jammernder Blick. In zwei – drei Minuten ist es von Raubvögeln umgeben, welche nur auf die letzte Bewegung des zu Tode gehetzten Tieres warten, um ihm das warme Fleisch von den Knochen zu reißen.
Ueberall sieht man die gebleichten Knochen dieser armen Geschöpfe auf der Pampa liegen. Kein Mensch denkt sich etwas dabei. Pferde giebt es im Ueberflusse. Eine Stute kostet nach deutschem Gelde zwölf bis sechzehn Mark. Man schämt sich, auf Stuten zu reiten. Diese Tiere haben so wenig Wert, daß man mit ihren Knochen und ihrem Fette die Ziegelöfen heizt.
Einen Stall giebt es im ganzen Lande nicht. Die Pferde befinden sich bei Tag und Nacht, zur Winters- und Sommerszeit, in Sonnenglut und Gewitterstürmen im Freien. Sie genießen nicht die geringste Pflege. Eine Fütterung mit Hafer, Mais oder Heu giebt es nicht. Das Tier hat eben für sich selbst zu sorgen. Das einzige, was der Besitzer thut, ist, daß er ihm seinen Stempel einbrennt. Braucht er es, so wird die Herde von den Peons oder Gauchos in den Corral gehetzt und man fängt sich das betreffende Pferd mit dem Lasso heraus.
Uruguay wird von den Bewohnern desselben die Banda oriental, d.h. die östliche Seite, genannt, und der Uruguayense bezeichnet sich infolgedessen gerne als ›Orientale‹. Das Land stößt im Norden an Brasilien, im Westen an den Uruguayfluß, von welchem es den Namen hat, im Süden an den La Plata und im Osten an den atlantischen Ocean. Es ist durchweg welliges Hügelland, durch welches von Nordost nach Südwest, also in der Diagonale, der Rio Negro fließt, ein Fluß ungefähr von der Größe unserer Oder. Er läuft parallel einem Höhenzuge, welcher der Cuchillo grande genannt wird. Cuchillo heißt im Spanischen das Messer, und dieses Wort ist eine sehr treffende Bezeichnung für diesen schmalen, sich gleich einer Messerklinge erhebenden Gebirgszug. Die von Flüßchen und Bächen zerrissene, wellenförmige Fläche des Landes ist meist mit Gras bewachsene Pampa. Höchstens in den Furchen der genannten Wasserläufe findet man niedriges Buschwerk, welches nach Norden in Wald übergeht, ohne aber den eigentlichen Charakter eines geschlossenen Waldes anzunehmen.
Dörfer nach unserm Sinne giebt es in diesem Lande nicht, sondern nur größere Landgüter und einzelne Gehöfte. Unter diesen ersteren muß man eine Unterscheidung zwischen Estancias, das sind Viehgüter, und Haziendas, das sind Ackerbaugüter, treffen. So ein Gehöft besteht meist aus weiß getünchten Gebäuden und nimmt sich aus der Ferne recht stattlich aus, zeigt sich aber in der Nähe als ein höchst einfaches und aus mangelhaftem Materiale hergestelltes Bauwerk.
Ranchos sind kleinere Güter, in welchen die weniger wohlhabenden Leute wohnen. Die mit Stroh oder Schilf gedeckten Mauern eines solchen bestehen meist aus festgestampftem Rasen.
Der Viehstand des Landes ist sehr bedeutend. Wenn man durch dasselbe reitet oder fährt, so kann man nach jeder halben Stunde eine große Herde von Hornvieh, Pferden oder Schafen zu sehen bekommen. Ein ausgewachsener, vollwichtiger Schlachtochse kostet kaum fünfzig Mark, eine Pferdestute, wie bereits erwähnt, höchstens sechzehn Mark. Bei diesen Preisen achtet der Besitzer das einzelne Stück gering; es ist ihm gleichgültig, ob es hungert und dürstet oder von den Peons tot gequält wird. Ein ›Orientale‹ würde die teilnehmende Fürsorge, welche ein armer deutscher Landmann seinem Pferde, seiner Kuh, ja seiner Ziege und sogar seinem Schweine widmet, laut verlachen.
Es war nahe an neun Uhr, als lautes Pferdegetrappel mich veranlaßte, an das Fenster zu treten. Da unten hielten die sechs Yerbateros. Der Anblick, welchen sie boten, war köstlich.
Die Reiter habe ich schon beschrieben. Sie waren heute nicht anders und besser gekleidet als gestern. Ihre Pferde paßten zu ihnen. Es waren magere, ruppige, struppige Gäule. Aber wie waren sie gesattelt und aufgezäumt! Das Lederzeug war mit Silber geschmückt. Federn und Quasten wankten auf den Köpfen und von denselben herab. Die Sattelponchos waren mit klingenden Schellen versehen, und in die Schwänze hatte man bunte Seidenbänder eingeflochten. Auch die Steigbügel waren von Silber, aber eben nur groß genug für eine Zehe. Die Reiter hatten an ihre nackten Füße Sporen geschnallt, deren Räder wohl vier Zoll im Durchmesser hatten. Wie sehr man sich dieser Sporen bediente, das bewiesen die blutrünstigen und eiternden Stellen rechts und links in den Weichen der Pferde.
So einen Aufputz liebt der Südamerikaner, und der Yerbatero also auch. Kehrt der Theesammler nach harter Arbeit aus den Wäldern zurück, so ist es gewöhnlich seine erste Sorge, sich so ein glänzendes Reitzeug zu verschaffen, für welches er gern sein sauer verdientes Geld hingiebt.
Es ist gar nichts Seltenes, einem Reiter zu begegnen, dessen Pferd in so glänzender Weise herausgeputzt ist; er selbst aber hat weder Stiefel oder Schuhe noch Strümpfe, und seine Hose, seine Jacke sind so zerlumpt, daß ein europäischer Bettler sich sehr bedenken würde, ob die Polizei ihm erlauben werde, sich in einem solchen Habitus auf der Straße sehen zu lassen.
Dann vertrinkt und verspielt der Yerbatero das Geld, welches ihm übrig geblieben ist, verspielt schließlich sogar das Pferd mitsamt dem Flitterkram und kehrt in den Urwald zurück, um von neuem sechs oder neun Monate lang als Sklave seines Auftraggebers zu arbeiten. Da denkt er mit Wonne an die Tage zurück, in denen er als angestaunter Stutzer durch die Straßen von Montevideo, Asuncion oder Corrientes ritt.
Daß meine neuen Freunde, heute, wo sie Montevideo verließen, sich noch im Besitze all dieses Putzes befanden, war ein sicherer Beweis, daß sie nicht zu den ärmsten ihres schweren Berufes gehörten.
Sennor Mauricio Monteso war vom Pferde gestiegen und kam herauf zu mir in das Zimmer, um mich abzuholen. Ich ging ihm bis an die Thüre entgegen, um ihn zu begrüßen. Er aber hörte die Worte gar nicht, welche ich sagte, und sah auch nicht, daß ich ihm die Hand entgegenstreckte. Er war unter der geöffneten Thüre stehen geblieben und starrte mich mit einem unbeschreiblichen Erstaunen an. Er schien ganz fassungslos zu sein. Sprachlos war er ganz bestimmt, denn er hatte den Mund weit offen, brachte aber keinen Laut heraus.
»Willkommen, habe ich gesagt, Sennor!« erinnerte ich ihn. »Hoffentlich komme ich Ihnen nicht ganz unbekannt vor, und Sie erinnern sich, was wir gestern miteinander gethan und gesprochen haben!«
»Gott stehe mir bei!« Diesen Ausruf stieß er hervor, weiter nichts.
»Was bringt Sie denn so sehr aus der Fassung?«
Er trat vollends in die Stube und machte wenigstens die Thüre zu.
»Kommen Sie doch zu sich!« lachte ich. »Was haben Sie denn an mir auszusetzen?«
Er faßte mich am Arme, zog mich näher zum Fenster, betrachtete mich vom Kopfe bis zu den Füßen und stieß dann ein so schallendes Gelächter aus, daß es klang, als ob die Fenster mitzitterten. Hierauf rief er aus:
»Sennor, was ist denn geschehen? Wer hat Ihnen denn das angethan? Man erlebt ein wahres Wunder an Ihnen. Ich muß mich in der Zeit verrechnet haben. Springen Sie mir doch zu Hilfe, und sagen Sie mir gütigst, ob wir gegenwärtig vielleicht in der Fastnachtszeit leben!«
Er begann von neuem zu lachen. Ich ließ ihm Zeit, sich zu beruhigen. Ich wußte natürlich, daß mein Anzug es war, welcher ihn in diese überaus heitere Laune versetzte. Endlich, als er nicht mehr zu lachen vermochte, trat er weit von mir zurück, betrachtete mich durch seine beiden Hände, welche er sich wie ein Fernrohr vor das Auge hielt, und fragte:
»Sennor, sagen Sie mir einmal aufrichtig, wer von uns beiden ein Narr ist, Sie oder ich?«
Jetzt machte ich ein recht ernstes Gesicht, denn einen solch vertraulichen Ton wollte ich zwischen uns doch nicht aufkommen lassen, und antwortete:
»Jedenfalls Sie! Als ich Sie zum erstenmale sah, war Ihre Erscheinung mir ebenso fremd, wie die meinige jetzt Ihnen zu sein scheint; aber ich habe mich wohl gehütet, mich über Sie lustig zu machen oder gar Sie einen Narren zu nennen.«
Das wirkte augenblicklich. Er ließ die Hände sinken und sagte in entschuldigendem Tone:
»Verzeihen Sie, Sennorl So waren meine Worte nicht gemeint. Aber Sie geben doch zu, daß Sie in diesem Anzuge eine gar zu komische Figur machen!«
»Das gebe ich durchaus nicht zu. Mir erscheint es vielmehr komisch, mit nackten Beinen in den Urwald zu wollen und das Pferd mit Flittern zu behängen, während der Reiter die Hose und Jacke voller Flecke und Löcher hat. Wenn Sie mich für einen so komischen Menschen halten, welcher die Lachlust anderer herausfordert, so haben Sie es frei, sich nach einem ernsteren Begleiter umzusehen!«
Jetzt wurde er ängstlich.
»Aber bitte tausendmal um Verzeihung, werter Sennorl Ich wiederhole, daß ich ganz und gar nicht die Absicht hegte, mich über Sie lustig zu machen. Sie kommen mir so außerordentlich fremdartig vor, daß es mir für den Augenblick unmöglich war, an mich zu halten. Nehmen Sie das ja nicht übel, und haben Sie lieber die Güte, mir zu erklären, in welcher Weise diese lederne Kleidung für unsre Reise geeignet sein soll!«
»Das ist ganz genau der Anzug eines nordamerikanischen Westmannes.«
»So mag ein solcher Lederanzug wohl für Nordamerika passen, aber für den Süden doch unmöglich.«
»Sie scheinen anzunehmen, daß es im Norden nur kalt und im Süden nur warm ist. Am Aequator ist die größte Hitze; je weiter man sich von demselben nach Norden oder Süden entfernt, desto mehr nimmt die Wärme ab. Wir befinden uns gegenwärtig fünfunddreißig Grad südlich des Aequators. Ebenso viele Grade nördlich desselben haben wir im allgemeinen dasselbe Klima zu suchen. Ich habe mich aber noch weit südlicher befunden und dabei doch die lederne Kleidung getragen.«
»Das ist mir zu gelehrt.«
»So will ich populärer sein. Sie haben im allgemeinen hier warme Tage und kalte Nächte. Das Leder aber ist ein schlechterer Wärmeleiter als das Zeug, aus welchem Ihre Kleidung besteht. Infolgedessen werde ich am Tage weniger schwitzen und des Nachts weniger frieren als Sie. Während Sie sich des Nachts in mehrere Ponchos hüllen, schlafe ich in dieser Kleidung im Freien, ohne daß die Kühle mich aus dem Schlafe weckt.«
»Dann wäre sie freilich praktisch!«
»Sie haben hier oft starke Regengüsse. Durch dieses indianisch zubereitete Leder dringt der Regen nicht, während er bei Ihnen sofort bis auf die Haut geht. Mir können die Stachelgewächse des Urwaldes nichts anhaben, während Ihnen die Kleidung durch die Dornen in Fetzen gerissen wird. Und sehen Sie, wie eng meine Kleidung am Halse schließt! Kein Moskito vermag es, bis auf meine Haut zu dringen. Wie aber steht es bei Ihnen?«
»O, Sennor,« seufzte er, »wenn ich mich vier oder fünf Tage bei der Arbeit befinde, so ist mein ganzer Körper ein einziger Moskitostich!«
»So wird es Ihnen sehr leicht sein, einzusehen, daß Sie über etwas gelacht haben, um was Sie mich beneiden sollten.«
»Ja, aber Sie können sich doch gar nicht bewegen! Sie sehen aus wie ein Taucher in seiner Rüstung. Diese schrecklichen Stiefel!«
Er betastete die genannte Fußbekleidung, deren Aufschlageschäfte mir allerdings sogar die Oberschenkel bedeckten.
»Sie sind nicht schrecklich, sondern außerordentlich praktisch. Durch diese Stiefel dringt kein Giftzahn einer Schlange und auch kein Wassertropfen. Ich reite bis zur Sattelhöhe im Flusse, ohne naß zu werden.«
»Und diese Hose mit den eigentümlichen Fransen!«
»Das sind indianische Leggins, aus der Haut einer Elenkuh gefertigt, fast unzerreißbar zu nennen.«
»Und dieses Kleidungsstück?«
»Ist ein indianisches Jagdhemde aus dem Felle eines Büffelkalbes. Es ist so dünn und leicht wie ein Leinwandhemde, reißt nicht und kann gewaschen werden. Und das Oberkleid ist ein indianischer Jagdrock aus Wapitifell, dessen Zubereitung über ein Jahr erfordert hat. So dünn das Leder ist, es dringt kein Pfeil hindurch, der nicht ganz aus der Nähe abgeschossen ist.«
»Das wäre prächtig! Wissen Sie, Sennor, daß es im Gran Chaco und den angrenzenden Nordgegenden Indianer giebt, welche sich vergifteter Pfeile bedienen? Nur ein leiser Ritz durch einen solchen Pfeil tötet den Getroffenen binnen kurzer Zeit!«
»Das weiß ich, und gerade darum habe ich diesen Anzug mitgebracht.«
»Ich beginne einzusehen, daß ich unrecht hatte. Aber die Hauptsache fehlt, Sennor, die Sporen.«
»Die habe ich eingepackt. Ich lege sie nur an, wenn ich sie brauche.«
»Aber Sie werden ja reiten und brauchen sie also! Kein hiesiges Pferd läuft, ohne daß es die Sporen bekommt.«
»Das hat seinen Grund. Sie gebrauchen dieses Reizmittel zu oft, so daß die Pferde es gar nicht mehr beachten und Sie es in stets größerer Stärke anwenden müssen. Ich bin tagelang geritten, ohne das Pferd mit dem Stachel berührt zu haben. Das ist eben das Kennzeichen eines guten Reiters. Er braucht die Haut des Pferdes nur ganz leise mit dem Sporn zu berühren, so geht es bereits in die Luft.«
Was für Augen machte mir da der Mann! Einen Vortrag wie diesen hatte er nicht erwartet; aber er schwieg. Er betrachtete meine Gewehre, meine Revolver, den Inhalt meines Gürtels. Er fand viel, was ihm unnötig erschien, und er vermißte noch weit mehr, was er für das größte Bedürfnis hielt. Doch unterließ er es, sich darüber in eine Diskussion einzulassen. Meine Abweisung seiner Kordialität wirkte noch nach, und das konnte gar nichts schaden.
Vom Fenster aus bemerkte ich das ledige Pferd, welches für mich bestimmt war. Es war nicht mehr wert als die andern auch. Es blutete ebenso an den beiden Weichen und hatte einen tückisch ängstlichen Blick wie alle diese Tiere, welche keine Liebe und Pflege finden.
»Das ist für mich?« fragte ich.
»Ja, Sennor. Ich habe Ihnen das ruhigste und zuverlässigste ausgewählt.«
»Dafür bin ich Ihnen nicht dankbar, ebensowenig auch dafür, daß Sie es angeputzt haben wie die andern. Ich liebe das nicht. Sie können das alles abnehmen und die Decke auch. Ich reite hart und sitze also auf dem bloßen Sattel.«
»Behüt' mich Gott, sind Sie ein Mann! Sie werden es bereuen, die Decken verschmäht zu haben! Soll ich hinabgehen, um sie wegzunehmen?«
»Ja, bitte!«
Er ging.
Ich hatte noch einen zweiten, sehr triftigen Grund, diese Decken zurückzuweisen, aber ich sagte ihm denselben nicht. Dieser Grund bestand in dem Ungeziefer, mit welchem diese Leute bis zur Ueberfülle behaftet zu sein pflegen, und ich fühlte keine Lust, gleich am ersten Tage mit einer solchen Einquartierung bedacht zu werden.
Durch das Fenster blickend, sah ich, daß er die Decken abschnallte. Dabei schien er seinen Gefährten etwas zu erklären. Ich vermutete, daß er ihnen verbot, über meinen ungewöhnlichen Anzug zu lachen. Er schob das Tier hin und her, und dabei bemerkte ich, daß das Pferd das eine Hinterbein schnell und zuckend hob, im Sprunggelenk stark bog und rasch wieder auf den Boden setzte. Ah, hielt man mich für einen so schlechten Reiter, daß man mir ein solches Tier anbieten konnte? Ich öffnete das Fenster und rief hinab:
»Aber, Sennor, das Pferd leidet ja ganz stark am Zuckfuß!«
»Nur ein wenig,« antwortete er herauf.
»Das ist mehr als ein wenig!«
»Sie werden es nicht bemerken, wenn Sie im Sattel sitzen!«
»Ich werde gar nicht auf diesem Pferde sitzen.«
Ich machte das Fenster zu, um den Wirt aufzusuchen. Er gehörte zu den wenigen, welche einen Stall besaßen. In demselben hatte ich mehrere Pferde stehen sehen, von denen eins mir besonders gefallen hatte. Er stand mit seiner ganzen Dienerschaft bereit, mir einen höflichen Abschied zu bereiten. Ich trug ihm mein Anliegen vor, und er war bereit, mir das Pferd abzulassen, und ließ es in den Hof bringen. Ritt ich schlechte Pferde, so war ich gezwungen, oft zu wechseln. Ich brauchte ein Tier, welches sich an mich gewöhnte und auf welches ich mich verlassen konnte. Wechseln wollte ich so wenig wie möglich, am liebsten gar nicht.
ja, das war ein ganz anderes Tier als der Zuckfuß! Ein vierjähriger Brauner, voll Feuer, stark und doch elegant gebaut, mit hübsch aufgesetztem Halse und prächtiger Hinterhand. Die Yerbateros standen dabei und betrachteten ihn mit bewundernden Blicken.
»Da darf man sich noch nicht aufsetzen,« erklärte Monteso. »Der muß erst einen Tag lang nebenher gehen, um müde zu werden.«
»Ja,« stimmte der Wirt bei. »Er wurde nicht gebraucht und hat über eine Woche im Stalle gestanden. Uebrigens reite ich ihn nur selbst. Er duldet keinen andern im Sattel. Sie werden Ihre Not haben, wenn Sie ihn kaufen, Sennor!«
»Was kostet er?« fragte ich kurz, anstatt der Antwort.
»Sie sollen ihn für fünfhundert Papierthaler haben.«
Das waren nach deutschem Gelde achtzig Mark. Ich handelte nichts ab und zahlte ihm die Summe sofort aus. Ich hätte ihm auch noch mehr gegeben. Im Stalle hatte ich einen englischen Sattel mit zugehörigem Zeuge hängen sehen. Ich kaufte auch das noch und hatte dafür hundert Papierthaler, also sechzehn Mark, zu zahlen.
Nun war Pferd und Sattel mein, und ich konnte machen, was mir beliebte. Sämtliche Insassen und Bewohner des Hotels hatten sich auf dem Hofe eingefunden. Der Braune hatte keinen Augenblick still gestanden. Er sprang in graziösen Bewegungen im Hofe umher, und der Peon, welcher ihn aus dem Stalle gelassen hatte, gab sich vergeblich Mühe, ihn am Halfterbande zu fassen. Als noch zwei andere Knechte sich diesen Bemühungen anschlossen, wurde das Pferd geradezu wild und verteidigte sich mit den Hufen gegen die es bedrängenden Männer. Es wurden Lassos herbeigeholt; aber das Tier schien die Weise, wie man sich dieser Riemen bedient, genau zu kennen. Er that so oft die Schlinge geflogen kam, um sich um seinen Hals zusammenzuziehen, einen Seitensprung, durch welchen es ihm gelang, der Gefangenschaft auszuweichen.
Monteso lachte die Knechte aus. Er behauptete, sie seien im Gebrauche des Lasso nicht geschickt genug. Aber als er es dann selbst versuchte, hatte er ganz denselben Mißerfolg, wie sie, und seinen Kameraden erging es ebenso.
»Sennor, Sie müssen sich der Bola bedienen,« sagte er zu mir. »Das Pferd hat den Teufel im Leibe. Werden ihm nicht die Kugeln um die Hinterbeine geworfen, so daß es stürzen muß, so bekommen Sie es nicht in Ihre Gewalt.«
»Meinen Sie? Ich denke, daß der Lasso genügend ist, es zu fangen. Denn ich glaube, daß es bisher am nötigen Geschick gefehlt hat.«
Er machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht und musterte mich mit einem Blicke, ungefähr wie ein Rechenkünstler einen Schulknaben ansehen würde, welcher behauptet, im Kopfe aus einer hundertstelligen Zahl die Kubikwurzel ziehen zu können.
»Das klingt sehr hübsch aus Ihrem Munde!,« lachte er. »Getrauen etwa Sie sich, es besser zu machen als wir alle? So versuchen Sie es! Sie werden ausgelacht werden, wie ich.«
Ich rollte meinen Riemen auf, legte die Schlinge und näherte mich dem Pferde. Es sprang weiter, und ich folgte ihm langsam von der Seite. Dabei schwang ich den Lasso um den Kopf. Jetzt machte ich eine schnelle Armbewegung, als ob ich die Schlinge schleudern wolle, that dies aber nicht. Der Braune ließ sich betrügen; er machte einen Seitensprung. Kaum jedoch hatten seine Hufe den Boden wieder berührt, so flog ihm der Riemen um den Hals. Ich hielt das andere Ende desselben fest und wurde vom Pferde einmal um den Hof gezerrt. Dabei aber zog sich die Schlinge so fest zusammen, daß dem Tiere der Atem verging und es stehen bleiben mußte. Augenblicklich stand ich neben ihm und sprang auf. Ich lockerte die Schlinge, und nun gab es sich alle Mühe, mich abzuwerfen. Es folgte ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, welcher mir den Schweiß in dicken Tropfen in das Gesicht trieb; aber ich blieb Sieger, und der Braune mußte sich ergeben.
Nun stieg ich ab, schickte nach meinen Sachen, welche sich noch oben in dem Zimmer befanden, und legte dem Pferde indessen den Zaum an. Als ich dann meine schöne Santillodecke auf den Rücken des Pferdes gab, um den Sattel darauf zu legen, sagte Monteso:
»Sie sind ein sehr tüchtiger Reiter, Sennor!«
»Und wie ist es mit dem Lasso?«
»Nun, den werfen Sie ausgezeichnet. Ich bin beinahe überzeugt, daß Ihre Begleitung uns wenigstens keine schweren Hindernisse bereiten wird.«
»Ich danke Ihnen für diese Aufrichtigkeit! Vielleicht sehen Sie ein, daß ich Ihnen nützlich, anstatt hinderlich bin. Steigen wir jetzt auf!«
Meinen Henrystutzen umhängend, stieg ich in den Sattel und ritt auf die Straße. Der Wirt und seine Untergebenen machten mir tiefe Verbeugungen und knixten noch hinter mir her. Der Umstand, daß ich mich nicht vom Pferde hatte werfen lassen, hatte ihre Achtung für mich erhöht.
Der erste Mensch, welchen ich sah, als ich auf die Straße kam, war Sennor Esquilo Anibal Andaro, der famose Haziendero, welcher mir den Bravo nachgeschickt hatte. Er stand dem Thore des Hauses gegenüber, und es hatte den Anschein, als ob er nur gekommen sei, Zeuge meiner Abreise zu sein. Wußte er denn, daß ich jetzt Montevideo verlassen wollte? Von wem hatte er das erfahren können? Er warf einen langen, giftigen und dabei wie triumphierenden Blick auf mich. Wäre ich willens gewesen, noch länger hier zu bleiben, so hätte dieser Blick mich warnen müssen, denn derselbe sagte mir ganz deutlich: »Gestern ist es nicht gelungen, aber ich habe dir eine andere Falle gestellt, in welcher du ganz gewiß stecken bleiben wirst!«
Einen Augenblick hatte ich zu warten, bis die Yerbateros aufgestiegen waren. Als wir uns dann in Bewegung setzten, kam Andaro auf uns zu, schritt schnell quer vor dem Kopfe meines Pferdes vorüber und rief mir dabei in höhnischem Tone zu:
»Glück zur Reise, Sennor!«
Ich antwortete ihm natürlich kein Wort, sondern that, als ob ich ihn gar nicht gesehen hätte. Monteso aber war ganz ergrimmt über diese Frechheit. Er stieß seinem Pferde beide Sporen in den Leib, daß es emporstieg, riß es zur Seite und zwang es dann, einen Satz zu thun, durch welchen Andaro zur Erde geschleudert wurde. Seine Flüche und Verwünschungen folgten uns laut nach.
»Dieser Halunke hätte eigentlich von meinem Pferde zertreten werden sollen!« schimpfte der Yerbatero. »In seinem Gesicht lag etwas Drohendes; blieben wir noch da, so hätten wir wohl Gefahr zu befürchten.«
»Davon bin ich überzeugt. Ja, ich möchte fast glauben, daß er jetzt noch im Sinne hat, mir eine Schlinge zu legen. Vielleicht ist sie schon gelegt, und ich tappe ganz ahnungslos hinein.«
»So sah er allerdings aus. Aber worin könnte diese Schlinge bestehen? Höchstens könnte er irgendwo einen Kerl hingestellt haben, welcher auf Sie schießen soll.«
»Das ist möglich. Kommen wir durch Waldung?«
»Welch eine Frage! Von Waldung ist hier keine Rede. Das Land besteht aus lauter wellenförmigen Erhöhungen, in deren Vertiefungen, wenn es Feuchtigkeit giebt, ein lichtes Buschwerk steht. Bäume aber finden Sie nur an den Gebäuden stehen, welche über das Land zerstreut liegen.«
»So würden wir also einen Hinterhalt, den man mir gelegt haben könnte, sofort bemerken?«
»Augenblicklich. Uebrigens werde ich zwei meiner Leute beordern, in gewissem Abstande voran zu reiten, so lange wir rechts und links noch Bauten haben, hinter denen jemand stecken könnte. Indessen sind wir nicht ganz allein auf uns angewiesen, denn es reitet ein Sennor mit uns, welcher uns in dieser Beziehung von Nutzen sein kann.«
»Wie? Sie haben, ohne mich vorher zu fragen, jemanden die Erlaubnis erteilt, sich uns anzuschließen?«
»Ja, denn ich war Ihrer Zustimmung sicher, wenn es überhaupt einer solchen bedarf.«
Er sagte das in etwas wichtigem Tone. Darum antwortete ich:
»Gewiß bedarf es meiner Einwilligung. Ich pflege nur mit Leuten zu reisen, welche mir angenehm sind. Darum hätte es sich ganz von selbst verstanden, daß Sie mich vorher fragen mußten.«
»Ich bitte aber, zu bedenken, daß eigentlich ich der Anführer unserer kleinen Reisegesellschaft bin!«
»Einen Anführer giebt es nicht. Meiner Ansicht nach hat jeder gleiche Rechte. Sie mögen die Direktion haben, wenn Sie mit Ihren Kameraden in den Urwald reiten, um Yerba zu sammeln. Da ich aber kein unter Ihnen stehender Yerbatero bin, so kann ich Sie nicht als meinen Anführer anerkennen. Soll ich von den Anordnungen eines andern abhängig sein, so reise ich lieber allein.«
Hatte ich vorhin seine allzu große Vertraulichkeit zurückgewiesen, so mußte ich ihn jetzt von dem Gedanken abbringen, daß ich in irgendwelche Abhängigkeit zu bringen sei. Er war ganz gewiß ein sehr braver Mann; aber er durfte nicht glauben, auch nur den geringsten Vorrang vor mir zu haben. Leute seines Bildungsgrades greifen dann leicht weiter, als sie eigentlich sollen. Meine Worte versetzten ihn in Bestürzung.
»So ist es nicht gemeint, Sennor!« sagte er schnell. »Ich habe Ihnen nicht zu gebieten; das weiß ich ja. Es fällt mir gar nicht ein, Ihnen gegenüber den Anführer spielen zu wollen. Wenn ich ja ein kleines Vorrecht beanspruche, so ist es nur dasjenige, Sie beschützen zu dürfen.«
»Dagegen habe ich freilich gar nichts.«
»Und darüber, daß ich diesem Caballero erlaubt habe, mit uns zu reiten, dürfen Sie nicht zürnen. Sie haben keine Veranlassung dazu.«
»Also ein Caballero ist er, kein gewöhnlicher Mann?«
»Er ist ein fein gebildeter Herr, ein höherer Polizeibeamter.«
»So habe ich nichts gegen seine Begleitung einzuwenden, vorausgesetzt, daß er das auch wirklich ist, wofür er sich ausgiebt.«
»Natürlich ist er es. Warum sollte er es nicht sein und mich belogen haben?«
»Hm! Aus Ihren Worten ist zu vermuten, daß Sie ihn eigentlich nicht genau kennen?«
»Ich kenne ihn, und zwar sehr gut.«
»Seit wann?«
Er wurde ein wenig verlegen.
»Nun,« antwortete er, »eigentlich erst seit – gestern.«
»Ah! Das nennen Sie eine gute Bekanntschaft?«
»Unter diesen Umständen, ja. Sie selbst kennen ihn ja auch. Erinnern Sie sich nur des Herrn, welcher sich gestern abend in unsere Nähe setzte und um die Erlaubnis bat, mit uns spielen zu dürfen.«
»Dieser ist es? Hm!«
Ich brummte nachdenklich vor mich hin. Dies veranlaßte ihn zu der Frage:
»Haben Sie etwa ein Bedenken?«
»Ja. Für ein so wichtiges Amt, welches große Erfahrungen und eine ziemlich bedeutende Karriere voraussetzt, scheint der Mann doch wohl zu jung zu sein.«
»Denken Sie das nicht! Hier macht man schneller Karriere als anderwärts. Es giebt noch höhere Beamte, welche nicht viel älter sind. Sie werden ihn als einen hochgebildeten und sehr unterrichteten Mann kennen lernen. Als ich ihm mitteilte, daß ein vielgereister Deutscher mit uns reite, war er ungemein erfreut davon.«
»Wo befindet er sich jetzt? Holen wir ihn an seiner Wohnung ab?«
»Nein. Wir verabredeten, daß wir draußen vor der Stadt mit ihm zusammentreffen würden.«
»Das ist mir nicht lieb. Ein Beamter von solcher Stellung gesellt sich nicht draußen vor der Stadt wie ein Wegelagerer zu seinen Reisegenossen. Warum kam er nicht in das Hotel, sich mir vorzustellen? Warum läßt er sich nicht an seiner Wohnung abholen? Kennen Sie überhaupt dieselbe?«
»Nein.«
»Aber wenigstens ist Ihnen sein Name bekannt?«
»Ja. Er heißt Sennor Carrera.«
»Der Name klingt gut. Wollen hoffen, daß er zu dem Manne stimmt! Wären wir nach seiner Wohnung geritten, um ihn abzuholen, so hätten wir den Beweis gehabt, daß er wirklich derjenige ist, für den er sich – – ah, Sennor, welch eine Nachlässigkeit!«
Ich hatte während der letzten Worte an meine Tasche gegriffen, als ob ich etwas suche. Jetzt hielt ich mein Pferd an und ließ ein möglichst beunruhigtes Gesicht sehen.
»Was ist's? Was fehlt Ihnen?« fragte er.
»Soeben bemerke ich, daß ich meinen Geldbeutel im Hotel auf dem Zimmer liegen gelassen habe.«
»Das ist kein Unglück, denn er liegt jedenfalls noch dort. Ich werde einen meiner Leute zurücksenden, ihn zu holen.«
»Danke! Ich hole ihn selbst. Mein Pferd ist wohl schneller als die Ihrigen. Wenn Sie langsam reiten, werde ich Sie bald einholen.«
Ohne seine Gegenrede abzuwarten, wendete ich mein Pferd und galoppierte zurück, aber nicht nach dem Hotel, denn ich hatte den Geldbeutel in der Tasche, vielmehr nach dem Polizeigebäude, welches in der Nähe des Domes lag. Dort angekommen, band ich das Pferd an und ließ mich dann zu dem obersten der anwesenden Beamten führen. Der Mann machte große Augen, als er mich in dem hier so fremdartigen Trapperanzug eintreten sah. Ich stellte mich ihm vor und fragte, ob es einen Comisario criminal Carrera gebe.
»Nein, den gibt es nicht, Sennor,« lautete die Antwort. »Wahrscheinlich haben Sie als Fremder den Namen verhört?«
»O nein. Der Mann hat sich selbst als einen Polizeibeamten dieses Ranges bezeichnet.«
»Gewiß war es ein Scherz.«
»Dann scheint aber Grund vorhanden zu sein, dem Scherze ein wenig zu Leibe zu gehen, weil ich vermute, daß der angebliche Kriminalist Böses im Schilde führt, und zwar gegen meine Person.«
»Dann muß ich mich freilich eingehender mit der Angelegenheit befassen. Bitte, setzen Sie sich!«
Er deutete auf einen Stuhl, auf welchem ich mich niederließ, und nahm an seinem Tische Platz. Dort legte er einige Bogen weißen Papieres vor sich hin, tauchte die Feder in die Tinte und begann:
»Zunächst muß ich mir Ihren Namen, Ihr Alter, Ihre Nationalität, den Geburtsort, den Stand, die Vermögensverhältnisse, den Grund Ihrer Anwesenheit und anderes notieren. Sie werden die Güte haben, mir meine Fragen zu beantworten.«
»Um Himmels willen!« rief ich, gleich wieder aufstehend. »Soll das ein wirkliches, ausführliches Legitimationsverhör werden?«
»Allerdings. Es ist unumgänglich nötig!«
»Ich kam nur, um Anzeige zu erstatten und Sie zu ersuchen, mir einen Beamten mitzugeben, welcher sich des Betreffenden bemächtigen soll.«
»Das ist sehr viel verlangt. Haben Sie denn ganz besondere Gründe, anzunehmen, daß der Mann Böses gegen Sie im Schilde führe?«
»Allerdings. Man hat gestern zwei Mordanfälle auf mich gemacht. Jetzt stehe ich im Begriff, nach Mercedes zu reiten. Ich befand mich bereits unterwegs; da erfuhr ich, daß ein junger Mensch mit uns will, welcher sich Carrera nennt und als Kriminalkommissar bezeichnet. Ich habe den Mann im Verdachte, sich in böser Absicht an meine Person machen zu wollen.«
»Was Sie da erzählen! Zwei Mordanfälle? Und davon wissen wir nichts! Sennor, Sie werden nicht nach Mercedes reisen. Wir müssen diesen Fall in die Hand nehmen und untersuchen. Sie werden als Zeuge hier bleiben.«
»Wie lange?«
»Das kann ich jetzt nicht wissen. Es kann einen oder auch mehrere Monate dauern.«
»Dann danke ich! So lange Zeit habe ich nicht. Mein Wunsch läuft nur darauf hinaus, von der Person befreit zu werden, welche sich einen falschen Stand beigelegt hat.«
»So müssen Sie auch in aller Form Anzeige erstatten.«
»Das thue ich ja hiermit!«
»Ja, aber der nötigen Form zu genügen, scheinen Sie eben nicht Lust zu haben. Ich muß auf jeden Fall die erwähnten Fragen aussprechen.«
»Und sie mit meinen Antworten zu Protokoll nehmen?«
»Ja. Dann werde ich Ihnen zwei Offizials mitgeben, welche den Mann arretieren und ihn mit Ihnen zu mir bringen.«
»Und dann?«
»Dann werde ich sofort die Vorarbeiten fertigen und die Sache dem Kriminalrichter übergeben.«
»Es wird also eine förmliche Kriminaluntersuchung anhängig gemacht werden?«
»Ganz selbstverständlich.«
»Und wie lange ist da meine Gegenwart notwendig?«
»Bis zum Urteilsspruch, also einige Wochen.«
»Das ist ganz und gar nicht nach meinem Geschmack, Sennor. Ich muß nach Mercedes. Soll ich des Kerls wegen hier bleiben, so bedaure ich, Sie belästigt zu haben, und verzichte auf alles. Empfehle mich Ihnen!«
Ich setzte meinen Hut auf und eilte nach der Thüre.
»Halt, halt!« rief er mir nach. »Sie können verzichten, wir aber nicht. Da wir nun einmal wissen, daß –«
Mehr hörte ich nicht, denn nun war ich draußen. Aber hinter mir riß er die Thüre wieder auf und fuhr fort:
»Daß zwei Mordanschläge auf Sie gemacht worden sind –«
Jetzt war ich unten an der Treppe. Er stand oben und fügte hinzu, indem er mir nachkam:
»Gemacht worden sind, so sehe ich mich gezwungen, die Sache zu untersuchen und Sie – – –«
Ich befand mich unter dem Thore und band mein Pferd los. Er hatte die unterste Stufe erreicht und schrie:
»Und Sie bis Austrags der Sache hier festzuhalten. Darum muß ich Ihnen – – –«
Ich saß im Sattel, und er erreichte das Thor. Beide Arme nach meinem Pferde ausstreckend, wetterte er:
»Muß ich Ihnen jetzt allen Ernstes befehlen, hier zu bleiben, sonst werden Sie arretiert und so lange eingesperrt, bis – –«
Weiter vernahm ich nichts, denn ich jagte fort, nach der Markthalle zu, neben welcher mein Weg aus der Altstadt hinaus führte. Es fiel mir gar nicht ein, meine schöne Zeit an einen uruguayischen Kriminalprozeß zu verschwenden. Wollte er mich wirklich dazu zwingen, so konnte er ja versuchen, mich zu arretieren. Ich hatte nichts dagegen.
Es ging zur Bai hinab und dann wieder zu der Straße hinauf, an deren Ende die Yerbateros auf mich warteten.
»Nun,« rief Monteso mir entgegen, »da sind Sie endlich! Schon glaubte ich, Sie hätten aus Versehen eine andere Richtung eingeschlagen. Haben Sie das Geld gefunden?«
»Ich habe es. Und wo befindet sich der Gefährte, welchen wir erwarten? Ich sehe ihn nicht. Er hat doch vor der Stadt zu uns stoßen wollen!«
»Er wird noch etwas weiter vorangeritten sein. Darf ich vielleicht annehmen, daß Sie sich nicht unfreundlich zu ihm verhalten?«
»Mein Betragen wird sich ganz genau nach dem seinigen richten.«
»So bin ich beruhigt, denn er ist ein außerordentlich höflicher Mann, ein Caballero durch und durch.«
»Was sich bei einem Comisario criminal von selbst versteht!«
Vielleicht hatte ich das in einem etwas ironischen Tone gesagt, denn Monteso fragte:
»Glauben Sie es immer noch nicht, daß er es ist?«
»Ich will Ihnen den Gefallen thun, keinen Zweifel mehr hören zu lassen.«
»Schön! Sie werden sich überzeugen, daß er wirklich ein Kriminalist ist. Er hat uns so viele interessante Fälle erzählt, in denen es ihm durch großen Scharfsinn und wahrhaft bewundernswerte Gewandtheit gelungen ist, die Schuldigen zu entdecken. Er hat oft sogar sein Leben riskiert.«
Wir hatten die Stadt bald so weit hinter uns, daß wir sie nicht mehr sehen konnten. Hier und da gab es noch ein vereinzeltes Feld, welches zum Schutze gegen die Herden von mächtigen Kaktus- und Agavehecken eingeschlossen war; sonst aber befanden wir uns im offenen Lande, dessen Charakter fast durch ganz Uruguay derselbe bleibt: eine hügelige Fläche, welche von dem feinen, selten über einen Fuß hohen Camposgrase bewachsen ist, und in den Vertiefungen lichtes Buschwerk, auf welches der Name Gebüsch eigentlich nicht angewendet werden konnte. Weidende Tiere sah man überall, Pferde, seltener Schafe, zumeist aber Rinder.
Ein vor uns reitender Mann hatte sich umgeblickt und uns gesehen. Er hielt sein Pferd an, um auf uns zu warten. Als wir ihm so nahe gekommen waren, daß ich sein Gesicht deutlich erblickte, erkannte ich den jungen Menschen, dem ich gestern abend meinen Stuhl überlassen hatte.
»Da haben wir Sie ja!« redete Monteso ihn an. »Guten Tag, Sennor! Hier sehen Sie den deutschen Caballero, von dem ich Ihnen erzählt habe.«
Der Mann war in weite, blaue Hosen und eine ebensolche Jacke gekleidet. Seine Weste war weiß, ebenso die Schärpe, welche er sich um die Taille geschlungen hatte und in welcher ein Messer und eine Pistole steckte. Ein Gewehr hing an seinem Sattelknopfe. Er zog den Hut vom Kopfe, erhob sich in den Bügeln und grüßte:
»Mei-ne Em-pfeh-lung, Herr!«
Das klang gebrochen und in einem Tone, wie wenn ein Papagei die ihm eingelehrten Worte ausspricht.
»Sie sprechen meine Muttersprache?« fragte ich spanisch.
»Nein,« antwortete er in derselben Sprache. »Ich kenne nur diesen Gruß, welchen ich mir in Buenos-Ayres gemerkt habe, wo ich mit Deutschen verkehrte. Ich wollte Sie durch die Klänge Ihres Vaterlandes erfreuen. Darf ich hoffen, daß Sie meinem Anschlusse an Ihre kleine Gesellschaft Ihre Zustimmung erteilen?«
»Jeder ehrliche Mann ist mir willkommen.«
»So nehmen Sie mir eine Sorge vom Herzen. Ich danke Ihnen sehr!«
Er reichte mir die Hand, und ich gab ihm die meinige. Der angebliche Kriminalist war höchstens dreißig Jahre alt. Sein Gesicht sah nicht so aus, wie dasjenige eines mutigen, sogar verwegenen Menschen. Weit eher hielt ich ihn für einen verschlagenen Feigling, welcher seine Absichten am liebsten durch Hinterlist auszuführen sucht.
Wir ritten weiter. Die Yerbateros hielten sich hinter uns. Sie mochten denken, es sei eine Pflicht der Höflichkeit, die beiden Vornehmen voran zu lassen. Wir waren also gezwungen, hier und da eine Bemerkung auszutauschen, doch erkannte ich bald, daß dem Comisario an meiner Nähe nichts gelegen sei. Er hielt sich außerordentlich wortkarg, jedenfalls aus Sorge, daß er sich verraten könne.
Dadurch, daß ich in die Stadt zurückgekehrt war, hatte Monteso seinen Vorsatz gar nicht ausführen können, zu meiner Sicherheit zwei seiner Leute voraus reiten zu lassen. Jetzt war dies gar nicht mehr nötig, denn wir befanden uns auf freiem Felde und hatten eine ganz vortreffliche Fernsicht. Ich wendete meine Aufmerksamkeit fast ausschließlich der Gegend zu, was dem Criminalo jedenfalls sehr lieb war. Die Pferde liefen gut, diejenigen der andern nur deshalb, weil sie ohne Unterlaß angetrieben wurden; mein Brauner aber wäre gern ein wenig mit mir durchgegangen; ich mußte ihn scharf im Zügel halten.
Wir gelangten noch vor Mittagszeit an einige niedrige Höhenzüge, auf denen einzelne Felsblöcke lagen. Dies waren die Ausläufer der Cuchilla, über welche wir hinweg mußten. Eine Stunde später sahen wir zu unsrer Rechten einen bewohnten Ort liegen, dessen Name mir entfallen ist. Vor demselben lag in einiger Entfernung ein ziemlich großes Gebäude, welches Monteso als Poststation bezeichnete.
Daß es eine solche sei, erkannte man an den vielen Geleisen, welche hier zusammentrafen, während sie sonst auseinander gehen, da ein jeder fährt, wie es ihm beliebt. Die Yerbateros hielten da an und erklärten, einen Schluck thun zu müssen. Auch ich stieg ab und setzte mich auf die mit Rasen bekleidete Lehmbank, welche vor dem Hause stand. Es gab einen Laden da. Der Criminalo ging hinein und brachte drei Flaschen Wein und Gläser heraus. Er hatte die Absicht, die Yerbateros zu traktieren, und auch ich sah mich gezwungen, ein Glas zu nehmen, dachte aber nicht daran, ihm Revanche zu geben.
In der Nähe des Hauses gab es einen kleinen Fluß, welcher sein Wasser dem Rio Negro zusendet. Die Ufer desselben waren scharf und tief eingeschnitten, und doch sah ich an den Geleisen, welche quer über den Fluß führten, daß man ihn zu Wagen passieren könne. Aber in welcher Weise das geschieht, bekam ich sehr bald zu sehen. Wir wollten eben aufbrechen, als sich uns aus der Gegend, aus welcher wir gekommen waren, ein Lärm näherte, als ob die wilde Jagd im Anzuge sei. Ich kehrte um die Ecke des Hauses zurück und erblickte eine der beschriebenen Diligencen, welche in rasendem Galoppe näher kam.
Der Kutscher und die drei Pferdeführer schlugen wie verrückt auf die Tiere los, welche alle ihre Kräfte anstrengten, das schwere Vehikel fortzuzerren. Ich glaubte, der Wagen müsse jeden Augenblick umstürzen, so ruckweise wurde er vorwärts gerissen. Die Kerle brüllten wie die Unsinnigen; aus dem Innern des Wagens und vom Verdecke ertönten kreischende und bittende Stimmen. Es gab Passagiere, welche um langsameres Fahren bitten oder hier am Hause einmal aussteigen wollten. Vergebens! Die Hetzjagd flog vorüber, auf den Fluß zu, das steile Ufer hinab, durch die hoch aufspritzenden Wasser und am jenseitigen Ufer wieder hinauf, wobei die Pferde vor Anstrengung fast auf den Bäuchen lagen. Mir wollte Hören und Sehen vergehen. Lieber auf dem allerschlechtesten Pferde reiten, als sich in einer solchen Kutsche über die Campos schleudern, schlingern und zerren lassen!
Nun brachen wir wieder auf. Wir mußten durch das Wasser, welches mir bis über die Füße ging. Drüben kam den Yerbateros der Gedanke, die Diligence einzuholen. Darum wurde im Galopp geritten. Als wir uns ihr näherten und der Beireiter unsre Absicht erkannte, ging er auf den tollen Wettlauf ein. Es war, als ob vor uns die ganze Hölle losgebrochen sei, so ein Gebrüll erhob sich. Die Hiebe fielen hageldicht auf die armen Pferde nieder. Der Wagen wurde in einzelnen Stößen fortgerissen. Er neigte sich bald nach rechts, bald nach links, und es sah aus, als ob er in großen Sprüngen über den Campo dahineile.
Alles, was sich bei und in dem Wagen befand, schrie, heulte und brüllte, die einen vor Angst und die andern in der Aufregung des Wettrennens. Meine Yerbateros erhoben auch ihre Stimmen. Es klang, als ob eine Rotte von Jaguaren oder Pumas die andere hetze.
Die Aufregung hatte auch mein Pferd ergriffen, aber ich hielt es zurück. Das Rennen war nicht nach meinem Geschmack. Die gesunden Glieder derer, welche in der Kutsche saßen, befanden sich in der größten Gefahr. Darum rief ich meinen Gefährten zu, abzulassen. Doch das war vergebens. Sie bearbeiteten mit ihren Sporen die Pferde, daß diese vor Schmerz wie unsinnig vorwärts rannten.
Das Terrain war hier ziemlich eben. Sobald aber die Kutsche an irgend ein Hindernis stieß, war hundert gegen eins zu wetten, daß sie umstürzen werde. Und da, da sah ich es von weitem, dieses Hindernis! Ein zwar nicht breiter, aber tief eingeschnittener Bach kam von der Seite her und floß quer über unsre Richtung. Alle diese Wasserläufe zeichnen sich durch solche schroff in den Lehm eingefressene Ufer aus.
Die Peons sahen die Gefahr natürlich auch; aber sie waren gewöhnt, gerade an solchen Stellen die größte Eile zu entfalten, und wollten sich nicht von uns einholen lassen. Rosse und Wagen flogen auf den Bach zu. Ein Sprung in das Wasser – die Diligence neigte sich nach rechts. Die drei Passagiere, welche auf dem Verdecke saßen, streckten vor Angst brüllend die Hände empor. Die Pferde kamen durch das Wasser. Sie rangen sich in gleicher Eile und mit der größten Anstrengung jenseits desselben empor, und der Wagen neigte sich nun nach links. Die Pferde waren auf der Höhe des Ufers angelangt und zogen, von den Peons gepeitscht, nun doppelt stark an. Das gab dem Wagen einen gewaltigen Ruck – er neigte sich wieder nach rechts – ein zweiter Ruck – die Diligence machte einen Sprung und fiel auf die zuletzt angegebene Seite. Sie wurde von den Pferden noch eine kurze Strecke weit fortgerissen. Die drei waren herabgeschleudert worden. Sie lagen an der Erde und streckten Arme und Beine von sich. Sie befanden sich in der Gefahr, von den Pferden meiner Yerbateros verletzt zu werden, denn wir hatten uns hart hinter der Diligence befunden.
Diese lag nun an der Erde, daneben der Mayoral mit zwei Passagieren, welche hinter ihm gesessen hatten. Das Pferd des Vorreiters war gestürzt, ebenso eins der beiden Tiere, welche sich hinter demselben befanden. Mehrere Lassos waren gerissen. Das Zuggeschirr ist nämlich in jenen Gegenden ein sehr mangelhaftes. Es besteht nur aus einem Riemen, welcher um den Leib des Pferdes läuft. An diesen Riemen wird ein Lasso befestigt und mit dem andern Ende an den Wagen gebunden. Auf diese Weise müssen die Pferde den letzteren ziehen. Stürzt eins der Tiere, und muß es liegen bleiben, nun, so nimmt man ihm einfach den Riemen und den Lasso ab, und man ist mit ihm fertig.
Wir hielten neben dem verunglückten Vehikel an. Es herrschte da ein Skandal, welcher gar nicht zu beschreiben ist, Pferde und Peons wälzten sich am Boden. Die von ihren Sitzen Geschleuderten jammerten oder fluchten aus Leibeskräften. Noch weit schlimmer als sie waren diejenigen daran, welche im Innern der ›Staatskutsche‹ steckten. Diese lag jetzt auf der Seite, und die Passagiere befanden sich infolgedessen in jedenfalls nicht sehr bequemen Stellungen. Sie zeterten, so laut es ihre Lungen erlaubten. Ganz besonders kräftig ließ sich eine weibliche Stimme vernehmen.
»Mein Hut, mein Hut!« schrie sie unausgesetzt.
»Zum Teufel mit Ihrem Hute!« brüllte eine männliche Stimme. »Treten Sie mir nicht im Gesicht herum!«
»Ich bin verwundet! Hinaus, hinaus!« schrie ein anderer.
Ich sprang vom Pferde und öffnete den Schlag, welcher sich jetzt obenauf befand. Das Glasfenster desselben war zerbrochen, und jedenfalls waren die Trümmer desselben in das Innere des Wagens geflogen.
Zuerst erschien ein Mann, welcher am Arme verletzt sein mochte, denn er versuchte vergeblich, sich oben heraus zu arbeiten. Ich half ihm, dem engen und gefährlichen Gefängnisse zu entkommen. Dann schwang sich ein kleiner, schmächtiger Kerl heraus; nach ihm kam ein dritter, welcher so dick war, daß Monteso mir helfen mußte, ihn an das Tageslicht zu zerren.
»Mein Gott, mein Hut, mein Hut!« schrie es noch immer im Innern. »Treten Sie nicht, treten Sie nicht, Sennor! Sie verletzen mich und verderben mir meinen schönen Hut!«
»Was geht mich Ihr Hut an! Lassen Sie mich hinaus!«
Der Passagier, welcher diese zornigen Worte ausgestoßen hatte, kam langsam herausgekrochen. Dann erschienen zwei lange Frauenarme, denen der Kopf der jammernden Dame folgte. Sie hatte ganz zusammengekauert im Wagen gesteckt. Jetzt ragte ihre Gestalt lang und dürr aus dem Schlage hervor.
»Mein Hut, mein Hut!« jammerte sie noch immer, als ob es sich um den Verlust eines geliebten Familiengliedes handle, so herzbrechend war ihre Stimme. Sie blutete im Gesicht; auch ihre Kleidung hatte unter den erhaltenen Stößen, Tritten und Verletzungen gelitten.
»Steigen Sie nur erst aus, Sennora!« sagte ich. »Ihr Hut wird dann auch gewiß gerettet werden.«
»O, Sennor, er ist ganz neu, die allerneuste Pariser Façon! Ich habe ihn erst gestern in Montevideo gekauft.«
»Bitte, retten Sie sich nur selbst erst! Ich werde Ihnen helfen, wenn Sie es mir erlauben.«
Ich stieg auf den alten Kasten, faßte sie um die Taille und hob sie heraus und herab. Sie war noch länger als ich selbst. Kaum hatte sie den Boden berührt, so beugte sie sich über die Oeffnung des Kutschenschlages und langte in dieselbe hinein. Sie brachte einen formlosen Gegenstand heraus, den sie einen Augenblick lang vor sich hinhielt, um ihn zu betrachten, dann aber vor Entsetzen fallen ließ.
»O, welch ein Schmerz, welch ein Unglück!« rief sie aus, indem sie die Hände zusammenschlug. »Die Hutschachtel ist ganz zusammengetreten; wie mag da erst der Hut aussehen!«
Sie befand sich in der größten Aufregung. Die Sorge um den kostbaren Schmuck ihres Hauptes war noch größer, als diejenige um sich selbst. Aber ihre Klagen waren nicht die einzigen, welche man hörte. Wer einen Mund hatte, ließ seine Stimme vernehmen. Die einen untersuchten fluchend ihre Gliedmaßen; die andern schimpften aus Leibeskräften auf den Mayoral und die Peons ein; die letzteren wieder zankten untereinander, da ein jeder dem andern die Schuld des Unglückes beimaß. Die Passagiere drohten mit Beschwerde und Klage auf Schadenersatz und Erstattung der Kurkosten. Die Lenker des Wagens und der Rosse verteidigten sich mit der Behauptung, die Passagiere hätten die Pferde durch ihr grundloses und unnützes Geschrei erschreckt und wild gemacht. So wurden die Vorwürfe hin- und zurückgeworfen, und es wäre wohl gar eine tüchtige Prügelei entstanden, wenn die Yerbateros sich nicht Mühe gegeben hätten, die streitenden Parteien zu trennen.
Sich zunächst um die Hauptsache, nämlich den Wagen zu bekümmern, war noch keinem eingefallen. ich untersuchte ihn und fand, daß die beiden rechtseitigen Räder, auf denen die Kutsche jetzt lag, zerbrochen waren, das eine geradezu in Stücke.
Als ich das mitteilte, erhob sich der eben erst gestillte Lärm von neuem, denn der Mayoral erklärte, daß zunächst an eine Fortsetzung der Fahrt nicht zu denken sei. Er wolle versuchen, die Räderstücke durch Lassos zusammen zu binden. Das werde, selbst wenn es gelinge, lange Zeit in Anspruch nehmen, und dann könne man nur im Schritte weiter fahren.
Als die Dame, welche noch immer neben ihrem an der Erde liegenden Hutfutterale stand, dies vernahm, schrie sie:
»Welch ein Unglück! Welch ein Elend! Stundenlang warten! Und dann im Schritt fahren! Das darf ich nicht zugeben!«
Sie trat zum Mayoral, nahm eine sehr kampfesmutige Haltung an und schrie ihm in das vor Verlegenheit hochrote Gesicht:
»Sennor, behaupten Sie wirklich, daß wir nicht sofort aufbrechen können?«
»Das ist leider hier nicht zu ändern. Wir müssen versuchen, uns so leidlich wie möglich bis nach San Lucia zu schleppen. Vielleicht finden wir dort ein Fahrzeug.«
»Vielleicht finden wir, vielleicht! Sennor, auf Ihr Vielleicht kann ich mich nicht einlassen! Ich befehle Ihnen strengstens, ganz gewiß eine Kutsche zu finden, und jetzt sofort aufzubrechen!«
»Das ist unmöglich. Sie werden das einsehen!«
»Nichts sehe ich ein, ganz und gar nichts! Ich erkenne keine Unmöglichkeit an! Was ich verlange und wir alle verlangen, muß möglich gemacht werden. Wissen Sie, wer ich bin, Sennor?«
»Ich schmeichle mir, Sie allerdings oft gesehen zu haben, kann aber Ihre Frage nicht genau beantworten.«
»Ich bin die Schwester des Bürgermeisters von San José, heiße Sennora Rixio und bin die Gattin des Kauf- und Handelsmannes gleichen Namens. Wissen Sie es nun?«
Er bejahte durch eine stumme Verneigung.
»Und,« fuhr sie fort, »ich muß unbedingt auf das schnellste nach Hause. Ich habe heute abend eine Gesellschaft, eine großartige Tertullia, zu welcher die Vornehmsten der Stadt geladen sind. Ich kann meinen Pflichten nicht entsagen und die Gäste auf mich warten lassen. Ich bin die Leiterin, die Königin des gesellschaftlichen Lebens und darf mir nicht die Blöße geben, bei einer Tertullia zu fehlen, zu welcher ich selbst die Einladung erlassen habe. Sie haben alle Rücksicht auf diese meine Stellung zu nehmen und augenblicklich aufzubrechen!«
Die ›Königin des gesellschaftlichen Lebens‹ sagte das in einem Tone, welcher unter andern Verhältnissen geeignet gewesen wäre, jeden Versuch eines Widerspruches abzuschneiden. Die andern Passagiere, von denen glücklicherweise keiner eine wirkliche Verletzung davongetragen hatte, standen still umher. Sie sahen ein, daß es für sie am allerbesten sei, zu schweigen, da die energische Dame ihre Angelegenheit nach besten Kräften führen werde. Der Mayoral aber deutete kopfschüttelnd auf den Wagen und blieb bei seiner Behauptung:
»Es ist wirklich ganz unmöglich, Ihrem Wunsche nachzukommen. Sie müssen sich ebenso wie wir alle in die Notwendigkeit fügen!«
»Das fällt mir nicht im Schlafe ein! Ich bin wegen meiner Tertullia nach Montevideo gefahren, um mir einen Hut nach dem neuesten Pariser Muster zu holen. Den Hut habe ich und nun muß ich unbedingt heim, um ihn – – O Himmel!« unterbrach sie sich. »Dort liegt er an der Erde! Wie wird er aussehen! In welchem Zustande mag er sich befinden! Ihre Diligence geht mich nichts an; sie möchte immerhin zerschellt und zerbrochen sein; aber mein Hut, mein Hut! Welch ein schweres Geld habe ich zahlen müssen; nun ist er verschimpfiert, und ich soll außerdem zu spät zur Tertullia kommen! Ich glaube, ich falle in Ohnmacht, wenn ich die Schachtel öffne!«
Sie eilte zu der Stelle zurück, an welcher der Hut lag, und ich hob denselben auf, um ihn ihr hinzureichen. Kein Maler hätte es vermocht, das Gesicht wiederzugeben, welches sie machte, als sie die zusammengequetschte Form nun näher betrachtete, als es vorhin der Fall gewesen war. Nie wieder habe ich bei einer Dame ein so deutlich ausgesprochenes Herzeleid gesehen, auf einen erhofften Vorzug verzichten zu müssen. Die Klagen, welche sie ausstieß, hätten eigentlich Lachen erregen müssen, erweckten aber meine Teilnahme. Sie bemühte sich vergeblich, die verbogene Schachtel zu öffnen. Endlich warf sie dieselbe zur Erde und rief im höchsten Zorne:
»Ich kann nicht einmal zu dem Hute! Man hat mir auf denselben getreten. Das herrliche Frühjahrsmodell ist mir verdorben. Wer kann es mir ersetzen, und wer wird mich überhaupt entschädigen, wenn ich meine Tertullia versäume! Ich werde es meinem Bruder sagen, die ganze Gesellschaft einzusperren!«
Ich hob die weggeworfene Schachtel wieder auf, betrachtete sie und sagte in tröstendem Tone:
»Vielleicht läßt sich der Schaden wieder heilen, Sennora!«
»Das ist unmöglich! Sie sehen ja, wie zusammengedrückt das Dings ist! Man kann es ja nicht einmal öffnen!«
»Darf ich es versuchen?«
»Bitte, bitte, haben Sie die Güte! Vielleicht gelingt es Ihnen besser als mir.«
Es gelang mir allerdings besser, aber erst nach längerem Bemühen. Ich bog zunächst die Knillen der Schachtel aus und zog sodann das ›Frühjahrsmodell‹ aus derselben. O weh! Wie sah der Hut aus! Er war von sehr hoher Façon gewesen, jetzt aber ganz und gar zusammengedrückt. Die Sennora schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und schrie:
»Entsetzlich! Dieses Meisterstück ist mir für alle Zeit verdorben! Sieht es nicht wie die reinen Eierkuchen aus? Ich zittere vor Entsetzen! Der Schreck kann mich töten! So ein Unglück wurde noch niemals erlebt, von keinem Menschen!«
Ich untersuchte den Hut. Er bestand aus einer Façon aus dünnstem Drahte, welcher mit einem spinnwebfeinen Zeuge überzogen war. Der daraufliegende Grund war von schwarzem, dünnem Schleierstoffe, und der Ausputz bestand in einer seidenen Bandschleife, zwei aufgepufft gewesenen Rosetten und einer weißen Straußenfeder. Diese Teile befanden sich freilich in einem sehr tristen Zustande. Das Gesicht der Dame aber sah noch weit trauriger aus.
»Beruhigen Sie sich, Sennora!« tröstete ich sie. »Vielleicht läßt sich diese Ruine wieder herstellen. Die Façon wird sich wohl ausbiegen lassen, und die Feder kann wieder gerade gerichtet und gekräuselt werden.«
»Meinen Sie?« fragte sie in hoffnungsvollerem Tone.
»Ja, gewiß. Die Schleife muß freilich abgenommen und von neuem gesteift werden, was mit Hilfe von Weizenkleie und einem Plätteisen sehr gut möglich ist, und den Rosetten kann man wohl ihr früheres Aussehen auch wieder geben.«
Sie sah mich mit großen Augen an.
»Verstehen Sie denn etwas von solchen Dingen, Sennor?« fragte sie. »So sind Sie wohl zufälligerweise ein Modisto?«
»Das nicht, Sennora,« lächelte ich, da mein Aussehen eine solche Vermutung eigentlich gar nicht zuließ.
»Oder ein Hutmacher?«
»Auch das nicht. Aber ich habe eine Schwester, welche sich ihre Hüte stets selbst aufputzt, und bin oft mit großem Interesse Zeuge solcher Arbeit gewesen. Ich habe mir die dabei vorkommenden Kunstgriffe genau gemerkt und möchte behaupten, daß ich Ihren Hut recht leidlich zu reparieren vermag.«
»Durch diese Mitteilung versetzen Sie mich in die höchste Seligkeit. Ich würde Ihnen ganz unbeschreiblich dankbar sein, wenn Sie sich meiner erbarmen wollten!«
»Sehr gern, Sennora. Aber hier im Campo ist das nicht gut möglich.«
»Wir werden ja doch nicht hier bleiben. Wohin reisen Sie denn?«
»Wir gehen nach San José, wo wir für die nächste Nacht zu bleiben beabsichtigen.«
»Das ist ein sehr glückliches Zusammentreffen. Sie werden mir dort, bevor die Tertullia beginnt, den Hut herstellen. Wollen Sie das? Wollen Sie mein Retter sein?«
Sie ergriff bittend meine Hand.
»So weit es in meinen Kräften steht, bin ich zu Ihrer Verfügung. Aber wie wollen Sie bis zum Abend nach San José kommen? Die beiden Räder der Diligence sind so kaput, daß ein Zusammenbinden der Stücke nicht möglich ist. Man wird den Wagen fortschleifen müssen.«
»So bin ich freilich verloren! Mein Ruf steht auf dem Spiele; ja, er ist so gewiß wie ganz dahin!«
»Hm! Wenn Sie reiten könnten, Sennora!«
»Das kann ich. Welche Dame dieses Landes könnte nicht reiten! Ich bin in Matara am Rio Salado geboren, wissen Sie, in der Gegend, wo Frauen selbst ohne Sattel reiten oder gar sich hinter ihren Männern auf das Pferd setzen.«
»Und das können auch Sie?«
»Ja. Ich habe schon als kleines Mädchen, hinter meinem Vater sitzend, weite und schnelle Ritte unternommen.«
»Nun, so steht also Ihrem Fortkommen kein Hindernis im Wege. Sennor Monteso!«
Der Yerbatero, welchen ich rief, stand bei einem der Passagiere, mit welchem er sich im Gespräch befand. Er kam herbei und ich bat ihn, der Dame das ledige Pferd zu leihen.
»Warum sagten Sie mir das nicht eher!« antwortete er. »Nun habe ich es verkauft an jenen Sennor, mit welchem ich sprach. Er sah, daß es unmöglich sei, zu Wagen fortzukommen. Er zählte unsere Pferde, und da er bemerkte, daß eins derselben überzählig sei, fragte er, ob wir es ihm verkaufen möchten. Ich war froh, den Hahnentreter los zu werden.«
»Das ist höchst unangenehm. Ist der Handel nicht rückgängig zu machen?«
»Nein, denn er hat mich bereits bezahlt. Hier sehen Sie!«
Er öffnete die Hand und zeigte uns eine Anzahl Papierthaler, welche er in derselben hielt.
»So kaufe ich ihm das Pferd wieder ab,« meinte die Dame. »Sollte mein Geld nicht reichen, so bitte ich Sie um einen Vorschuß, welchen ich Ihnen sofort nach unserer Ankunft in San José zurückerstatten werde.«
»Ich stelle Ihnen meine Mittel gern zur Verfügung, Sennora,« antwortete ich. »Bitte, kommen Sie zu dem Manne! Wollen sehen, ob er sich bereit finden läßt.«
»Er kann einer Dame ein solches Ansuchen nicht abschlagen. Thäte er es, so wäre er kein Caballero.«
Leider hatte sie sich geirrt. Der Mann wollte lieber auf die Bezeichnung eines Caballero verzichten, als sich in den einsamen Campo setzen und, wer weiß wie lange, auf eine Gelegenheit zum Fortkommen warten. Als ich der Dame diese Erklärung mitteilte, deutete sie auf mein Pferd und sagte:
»Dies ist von Ihren Pferden das beste und kräftigste. Wer reitet es?«
»Ich selbst, Sennora.«
»Glauben Sie, daß es zwei Personen tragen kann?«
Diese Frage klärte mich über die Absicht der Dame vollständig auf. Fast hätte ich laut gelacht.
»Es ist stark genug dazu,« antwortete ich so ernsthaft wie möglich.
»So könnten Sie mich hinter sich aufnehmen. Ich halte mich an Ihnen fest, wenn das Sie nicht geniert. Den Hut binden Sie an den Sattelknopf. Mein Tuch breiten wir über den Sattel und die Croupe des Pferdes aus. Gehen Sie darauf ein, so können Sie meiner allergrößten Dankbarkeit versichert sein.«
»Ich bin mit dem größten Vergnügen bereit dazu.«
»Sind Sie in San José bekannt, Sennor?«
»Ich war niemals dort. Ich befinde mich erst seit gestern hier im Lande.«
»Und haben Sie schon bestimmt, wo Sie dort bleiben werden?«
»Jedenfalls im Posthause.«
»Nein, das dürfen Sie nicht. Das kann ich unmöglich zugeben. Sie müssen mit zu mir, um mein Gast zu sein. Ich werde Sie meinem Bruder vorstellen, und Sie sollen teil an meiner prächtigen Tertullia nehmen.«
»Das ist nicht möglich, Sennora, weil ich dazu eines Anzuges bedarf, welchen ich nicht besitze. Ich muß mir also den Eintritt in ein Paradies versagen, welches mir mit solcher Freundlichkeit angeboten und geöffnet wird.«
Sie strahlte im ganzen Gesichte vor Vergnügen.
»Paradies!« sagte sie. »Alle Ihre Worte legitimieren Sie als einen Poeta! Aber dieses Paradies soll Ihnen nicht verschlossen bleiben. Sie dürfen in diesem Anzuge erscheinen. Ich werde Sie entschuldigen, und Sie können des freundlichsten Empfanges sicher sein. Also, ich reite mit Ihnen, ja?«
»Gewiß.«
»Und Sie nehmen meine Einladung an?«
»Wenn ich überzeugt sein könnte, Nachsicht zu finden, ja.«
»Sie haben nie um Nachsicht zu bitten. Sie werden die Honoratioren und hervorragenden Schönheiten der Stadt bei mir versammelt finden. Nun freue ich mich doppelt auf den heutigen Abend und auf meine Tertullia. Mein Sohn ist auch geladen und wird von Mercedes herüberkommen, wo er jetzt mit seiner Eskadron steht. Er ist Rittmeister und kommandiert unter Latorre, von welchem Sie trotz Ihres kurzen Aufenthaltes vielleicht gehört haben werden.«
»Dies ist allerdings der Fall. Es ist möglich, daß ich Ihrem Sohne eine sehr wichtige Mitteilung zu machen habe. Haben Sie Latorre bereits einmal gesehen?«
»Noch nicht.«
»Dachte es mir! So scheint dem Herrn Rittmeister eine kleine Ueberraschung bevorzustehen. Doch davon später. Würden Sie mir jetzt gestatten, mich als Ihren Arzt zu betrachten? Sie sind leider im Gesicht von den Splittern der Fensterscheibe verwundet worden.«
Ich führte die Dame an das Wasser zurück, um ihr mit ihrem Taschentuche das Gesicht vom Blute zu reinigen, und bedeckte dann die Risse der Haut mit schmalen Pflasterstreifen; ich hatte Heftpflaster bei mir. Das sah allerdings unschön aus, war aber nicht zu ändern.
Uebrigens gehörte die Sennora ihrem Aussehen nach keineswegs zu den Xantippen. Sie war zwar lang und hager und hatte vorhin im Zorne gesprochen. Jetzt aber befand sie sich in ruhiger Gemütsstimmung und machte auf mich den Eindruck einer zwar energischen, dabei aber auch gutmütigen Dame. Sie mochte früher sogar schön gewesen sein, und ihr Benehmen bewies jetzt, daß sie die Herrin eines nach hiesigen Verhältnissen fein zu nennenden Hauses sei.
Als wir zum Wagen zurückkehrten, sah ich, daß eins der beiden gefallenen Pferde, welches sich nicht hatte aufrichten können, ausgesträngt worden war. Man zerrte es an einem Beine auf die Seite, um dort liegen gelassen zu werden. Dabei schnaubte und stöhnte es in einer Weise, welche bewies, daß es große Schmerzen leide. Um nicht von seinen Hufen getroffen zu werden, zog man es an einem Lasso, welcher ihm um das Bein geschlungen worden war.
»Was ist mit dem Tiere?« fragte ich.
»Es hat sich ein Bein gebrochen,« antwortete der Mayoral. »Es kann nicht mehr gebraucht werden.«
»Welches Bein ist es?«
»Das hintere linke.«
»Also grad das, an welchem Sie es zerren! Denken Sie denn nicht daran, daß Sie ihm dadurch große und unnötige Schmerzen bereiten?«
»Pah! Ein Pferd!« antwortete er roh.
»So! Was soll nun mit dem Pferde werden?«
»Es bleibt liegen und mag verrecken.«
»Und wird von den Caranchos und Chimangos bei lebendigem Leibe zerrissen. Das Tier ist, den Beinbruch abgerechnet, noch ganz gesund und kräftig. Es kann noch tagelang hier liegen, bis es verschmachtet und ihm das Fleisch von den Knochen gerissen worden ist.«
»Das geht uns gar nichts an! Es ginge nur mich an, nicht aber Sie!«
»Sie irren! Auch die Tiere sind Gottes Geschöpfe. Sie sind nicht da, um nur allein die Qualen des Daseins zu tragen und dann lebendig zerfleischt zu werden. Ich fordere von Ihnen, daß Sie es töten!«
»Dazu ist mir mein Pulver zu teuer!«
Er hatte kein Gewehr bei sich und nur eine alte Pistole im Gürtel stecken. Er wendete sich ab, als ob ihn die Sache nichts mehr angehe und er sie als beendet betrachte. Ich aber hielt dem Pferde die Mündung meines Gewehres an den Kopf und schoß es tot. Kaum war das geschehen, so traten die Peons zusammen und sprachen einige Augenblicke leise miteinander. Dann kam der Mayoral zu mir und sagte, indem er eine sehr strenge Miene zog:
»Sennor. Gab Ihnen der Besitzer die Erlaubnis, es zu töten?«
»Nein!«
»So haben Sie es zu bezahlen. Dieses Pferd kostet hundert Papierthaler, welche ich mir jetzt ausbitten muß.«
»Ah so! Läuft es darauf hinaus! Es war unbrauchbar geworden, und Sie gaben es dem langsamen Tode anheim, welchen ich abgekürzt habe. Sie bekommen nichts.«
»Und ich bestehe auf meinem Verlangen!«
»Thun Sie das immerhin! Ich bestehe auf meiner Weigerung.«
Ich wollte von ihm fort; da aber stellte er sich mir in den Weg, und die drei Peons kamen herbei, um ihn zu unterstützen. Sie nahmen eine sehr feindselige Haltung an. Als das Monteso sah, kam er mit den Yerbateros, um mir beizustehen.
»Ich lasse Sie nicht eher fort, als bis Sie gezahlt haben!« erklärte der Mayoral.
»Oho!« meinte da Monteso. »Dieser Sennor hat recht. Wir alle haben gehört, daß Ihr das Pferd liegen lassen wolltet, bis es verreckt!«
»Bitte!« sagte ich ihm. »Bringen Sie sich nicht meinetwegen in Unannehmlichkeiten! Ich werde ganz allein mit diesen vier Sennors fertig.«
»Und wir mit Ihnen noch viel eher!« rief der Mayoral. »Wollen Sie das Geld sofort zahlen oder nicht?«
Bei diesen Worten trat er ganz an mich heran und legte die Hand an meinen Arm.
»Die Hand fort!« gebot ich ihm. »Ich dulde keine solche Berührung!«
»Sie werden es doch dulden müssen! Heraus mit dem Gelde, oder wir nehmen es uns selbst!«
Er schlang die Finger fester um meinen Arm und versuchte, mich zu schütteln. Ich riß mich los, stand im nächsten Augenblicke hinter ihm, faßte ihn mit der Linken am Kragen, mit der Rechten unten an der Hose, hob ihn empor und warf ihn fort, an den noch auf der Seite liegenden Wagen, so daß das alte Fuhrwerk wie eine morsche Holzkiste krachte. Seine drei Peons wollten nach mir fassen, aber ich warf den mir nächsten seinem Mayoral nach, gab dem andern die Faust unter das Kinn, daß er sich überschlug, und der dritte wich selbst zurück.
»Bravo!« rief Monteso. »Ich sehe, Sennor, Sie brauchen niemanden zur Hilfe. Aber geben sich die Kerle auch nun nicht zufrieden, so werden wir ihnen unsere Komplimente dennoch auch noch machen!«
Das zeigte sich als nicht nötig. Die Peons hatten Respekt bekommen. Sie rafften sich auf und standen beisammen, wütende Blicke auf mich werfend, aus denen ich mir nichts zu machen brauchte. Der Mayoral aber konnte sich doch nicht enthalten, uns zu drohen:
»Sie gehen nach San José. Auch wir kommen dorthin und werden dort Anzeige machen.«
»Immer thut das!« antwortete ihm die Sennora, welche diese Gelegenheit ergriff, sich wieder streitbar und mir ihre Freundschaft zu zeigen. »Mein Bruder wird Euch wegen Erpressung einsperren lassen. Ich werde ihm die Angelegenheit mitteilen. Kommen Sie, Sennor! Verlassen wir diesen Platz und diese Menschen!«
Sie legte ihren Arm in den meinen, und ich führte sie zum Pferde. Dort breiteten wir ihr Tuch in der angedeuteten Weise auf den Rücken des Tieres und ich band die liebe Hutschachtel an den Sattel.
Da ich dem angeblichen Polizeibeamten nicht traute, so hatte ich ihn stets im Auge behalten. Auch er war, wie wir, vom Pferde gestiegen. Sonderbarerweise aber hatte er sich dann hinter dasselbe zurückgezogen, und zwar, wenn meine Beobachtung mich nicht täuschte, von dem Augenblicke an, an welchem die Dame aus der umgestürzten Kutsche gestiegen war. Es schien mir, als ob er sich von derselben nicht gerne sehen lassen wolle. Hatte er einen Grund dazu? Um denselben kennen zu lernen, hatte ich die Sennora in einem kleinen Bogen zu meinem Braunen geführt. Der Verdächtige aber war dabei in der Weise langsam um sein Pferd geschritten, daß dieses letztere sich genau zwischen ihm und uns befand. Darum machte ich sie nun direkt auf ihn aufmerksam, indem ich auf ihn zeigte und dabei sagte:
»Sollten die Peons mich etwa noch belästigen wollen, so habe ich Hilfe in nächster Nähe. Da ist ein Herr, welcher uns begleitet, Sennor Carrera, welcher in Montevideo das Amt eines Polizeikommissars bekleidet.«
Jetzt war er gezwungen, sich zu zeigen. Kaum war ihr Blick auf ihn gefallen, so rief sie aus:
»Mateo, du!«
Er wurde blutrot im Gesicht, gab sich aber Mühe, gefaßt zu erscheinen, und fragte im Tone des Erstaunens:
»Sprechen Sie mit mir, Sennora? Was wollen Sie mit diesem Namen sagen?«
»Er ist doch der deinige. Wo kommst du denn her?«
»Verzeihung, Sennora! Ihr Benehmen läßt mich stark vermuten, daß Sie mich mit irgend einer Person verwechseln, welche Ihnen bekannt zu sein scheint!«
»Bekannt ist sie mir allerdings, sehr bekannt! Aber von einer Verwechslung ist hier keine Rede. Ich werde doch dich, unsern einstigen Lehrling, kennen!«
»Sie irren sich wirklich ungeheuer. Ich bin nicht derjenige, für welchen Sie mich halten. Ich befinde mich, wie dieser Sennor bereits sagte, in Montevideo,« antwortete der Gefragte in scharfem Tone, »heiße Carrera und bin Beamter der dortigen Polizei.«
»Polizei!« wiederholte sie, ihn immer von neuem fixierend. »Das ist unmöglich. Sie scherzen, Mateo!«
»Ich scherze nicht, Sennora. Ich bin sehr gern höflich gegen Damen, so weit es meine amtliche Stellung erlaubt, aber solche Beleidigungen, wie sie in Ihren Worten, Ihren Blicken und Ihrem Tone liegen, muß ich energisch von mir weisen. Ich habe Ihnen gesagt, wer und was ich bin, und muß Sie also ersuchen, dies zu beachten!«
Man sah es der Dame an, daß sie im Zweifel war, ob sie ihn auslachen, oder sich über ihn ärgern sollte. Sie that keins von beiden. Ihr Gesicht wurde sehr ernst, als sie ihm jetzt in warnender Weise sagte:
»Mateo, ich bitte Sie, um Ihrer Eltern willen keine Dummheiten zu machen. Ich vermute aus Ihrem Benehmen, daß Sie unsere damaligen Warnungen nicht beachtet haben. Sie geben sich für einen andern aus, als Sie sind. Die Gründe, infolge deren Sie dies thun, können keine lobenswerten sein.«
»Jetzt ist's genug, Sennora!« brauste er auf. »Ich darf kein Wort mehr hören, sonst muß ich Sie wegen Beleidigung bestrafen lassen, obgleich Ihr Bruder Bürgermeister ist, wie ich Sie vorhin sagen hörte.«
Die Dame schien fassungslos zu werden. Sie errötete und erbleichte abwechselnd. Ich sah, daß sie sich von ihm abwenden wollte; da aber fragte ich sie:
»Bitte, wer ist der Mateo, von welchem Sie sprachen?«
»Ein früherer Lehrling meines Mannes. Er mußte plötzlich entlassen werden, weil er die Kasse bestohlen hatte.«
»Und Sie erkennen ihn in diesem Manne wieder? Ist es nicht möglich, daß Sie sich täuschen?«
»Nein. Er ist aus San José, und ich kenne ihn seit der Zeit, als er noch Knabe war. Eine Täuschung ist da unbedingt ausgeschlossen.«
»Pah!« lachte jener, indem er auf sein Pferd stieg. »Weibergeklatsch!«
»Bitte, Sennor!« antwortete ich ihm. »Ich kann mich diesem Ihrem Urteile nicht anschließen, sondern ich glaube alles, was die Dame gesagt hat. Sie sind jener Mateo, jener Dieb, welcher sich jetzt vielleicht auf noch weit schlimmerem Wege befindet, als damals.«
»Hüten Sie sich! Sie wissen ganz genau, was ich bin!«
»Das weiß ich allerdings sehr genau. Sie sind ein Lügner, ein Schwindler!«
»Wollen Sie, daß ich mich meines Gewehres bediene!« drohte er.
»Immerhin! Aber nur nicht aus dem Hinterhalte, wie Sie vielleicht die Absicht hegen. Ich habe mich auf der Polizei erkundigt. Es giebt keinen Polizeikommissar Namens Carrera. Ich vermute, die Polizisten sind bereits hinter Ihnen her, um Sie festzunehmen. Haben Sie also die Güte, abzusteigen, um die Zusammenkunft mit diesen Herren nicht zu verzögern!«
Er warf einen sehr besorgten Blick nach rückwärts. Dort war niemand zu sehen. Das gab ihm die fast verlorene Frechheit zurück. Er sagte:
»So werde ich ihnen entgegen reiten und dann mit ihnen umkehren, um Sie und diese Frau festnehmen zu lassen. Beleidigungen, wie die gegenwärtigen, müssen schwer geahndet werden!«
Er ritt fort, zurück, über das Flüßchen hinüber, wo er hinter dem Posthause verschwand.
»Sennor, was haben Sie gethan!« sagte Monteso. »Sie haben ihn auf das tödlichste beleidigt. Die Folgen werden nicht ausbleiben, denn er ist wirklich Polizeikommissar!«
»Unsinn!« sagte ich und klärte ihn dann auf.
»Warum hat der Mann uns dann belogen?« fragte er.
»Um sich in dieser guten Weise an mich machen zu können. Mut hat er nicht, und verwegen ist er noch viel weniger. Direkt auf mein Leben hat er es nicht abgesehen. Zu einem Morde ist er zu feig. Er hat etwas anderes vor, irgend eine Teufelei, die ich aber vielleicht noch herausbekommen werde.«
»Das ist nun nicht mehr möglich. Er ist ja fort.«
»Er kommt wieder; aber er wird uns heimlich folgen, um sein Vorhaben doch noch auszuführen. Setzen Sie sich auf Ihr Pferd, und folgen Sie mir nur fünf Minuten! Ich werde Ihnen den Beweis liefern, daß es ihm gar nicht einfällt, nach Montevideo zurückzugehen.«
Ich stieg auf, und er that dasselbe. Wir ritten über den kleinen Fluß zurück bis an das Gebäude der Poststation. Als wir um die Ecke desselben blickten, sahen wir den Kerl, welcher in gestrecktem Galoppe die Richtung nach der Hauptstadt verfolgte.
»Da sehen Sie, daß er doch nach Montevideo will!« sagte Monteso.
»Er hält diese Richtung nur so lange ein, als wir ihn sehen können. Passen Sie auf!«
Ich nahm mein Fernrohr vom Riemen und richtete es. Der Reiter wurde für das bloße Auge kleiner und immer kleiner, bis er endlich verschwand. Durch das Fernrohr sah ich ihn aber dann auf dem Kamme einer Bodenwelle erscheinen und bemerkte zu meiner Genugthuung, daß er nach links eingelenkt hatte. Ich gab Monteso das Fernrohr und zeigte ihm den Mann.
»Wahrhaftig, er reitet jetzt nach Nord!« gab er zu. »Sie haben recht, Sennor.«
»Er kehrt zurück und wird in einiger Entfernung von hier wieder über das Flüßchen gehen, um uns zu folgen. Sind Sie nun überzeugt?«
»Vollständig.«
»Ich hege nicht den geringsten Zweifel, daß er der Dieb Mateo ist. Läßt er sich vor mir wiedersehen, so werde ich sehr kurzen Prozeß mit ihm machen. Kommen Sie!«
Wir kehrten zum Wagen zurück. Noch ehe wir denselben erreichten, begegneten uns zwei der Peons, welche klugerweise nach der Station wollten, um dort Hilfe zu holen, die Diligence transportabel zu machen. Der Mayoral war mit dem dritten Peon zurückgeblieben. Die Passagiere hatten sich in das Gras gesetzt, um das weitere zu erwarten. Nur der eine von ihnen, welcher das Pferd gekauft hatte, brauchte nicht zu bleiben. Er bat um die Erlaubnis, sich uns anschließen zu dürfen, und sie wurde ihm selbstverständlich gewährt.
Jetzt hob Monteso die Dame auf mein Pferd. Ich merkte gleich, daß sie nicht zum erstenmal in ihrem Leben einen solchen Sitz einnahm. Sie legte beide Arme um mich, und dann konnte der unterbrochene Ritt wieder beginnen.
Während der ersten Viertelstunde saß ich wie auf glühenden Kohlen. Hinter sich eine Sennora, in deren Umarmung man sich befindet, und vorn am Sattel einen neuen, aber zusammengedrückten Frühjahrshut, welchen vollständig herzustellen man versprochen hat, das ist eine Situation, an welche man sich nur langsam gewöhnt.
Meine Gefährtin saß natürlich als Dame zu Pferde, beide Füße nach derselben Seite. Das ist ein wahrer Kunstreitersitz, aber ich habe dann später sehr oft Frauen in derselben Weise über die Pampa fliegen sehen, ohne daß sie auf ihrem Sitze nur einen Zoll gerückt wären. Ich sah Frauen, welche sich nicht einmal am Reiter festhielten und doch so sicher saßen, als ob sie sich selbst im Sattel befunden hätten. Wir unterhielten uns ausgezeichnet miteinander, und als wir das Ziel erreichten, war ich ebensogut über ihren Lebenslauf unterrichtet, wie sie über den meinigen. Wer vermag es, gegen eine Dame einsilbig und verschwiegen zu bleiben, wenn sie Bildung hat, Teilnahme für einen empfindet und dabei das richtige ›Plapperment‹ besitzt!
San José hat einen kleinen Marktplatz, an welchem die turmlose Kirche liegt. Gegenüber derselben wohnte der Kaufmann Rixio, der Gemahl meiner Mitreiterin, welche ich bis zu ihrer Thüre brachte. Dort stieg sie ab, während ich nach dem nahen Postgebäude ritt, wo die Yerbateros bleiben wollten. Doch mußte ich der Dame versprechen, mich so bald wie möglich bei ihr einzufinden.
Kaum hatte ich mich von dem anhaftenden Staube gereinigt, so kam ein junger Herr, welcher sich mir als Rittmeister Rixio vorstellte, und den Auftrag hatte, mich zu seinen Eltern zu bringen. Ich mußte ihm sofort folgen.
Das Haus war groß und geräumig, aber nach europäischen Begriffen nur dürftig ausgestattet. Im Empfangszimmer wurde ich von den Eltern des Rittmeisters erwartet, welche mich mit ausgezeichneter Freundlichkeit willkommen hießen. Die Frau konnte ihrem Gemahle nicht genug rühmen, wie gut ihr der Ritt mit dem deutschen Poeta – sie hielt mich in der That für einen Dichter – gefallen habe. Ich wurde in die Fremdenzimmer geführt, von denen ich mir eins auswählen durfte. Dann holte man meine Sachen und sogar mein Pferd. Ich sollte eben im weitesten Sinne des Worts Gast des Hauses sein.
Der Sohn des Hauses lud mich zu einem Spaziergange in den Garten ein, doch fand ich jetzt keine Zeit dazu, denn seine Mutter brachte mir den verunglückten Hut, den ich reparieren sollte. Sie war höchst gespannt darauf, ob mir dies gelingen würde, und jubelte vor Glück, als ich ihn nach einer halben Stunde so hergestellt hatte, daß sie behauptete, er sei sogar noch schöner als vorher. Dann führte mich der Offizier in den Garten. Es gab da einige Pappeln und zwei mir fremde Bäume. Von einem im Sommer schattigen oder gar ›lauschigen‹ Aufenthalte war keine Rede. Diese letztere Bezeichnung ließ sich höchstens auf die Wildwein-Laube anwenden, in welcher wir uns niederließen. Der Offizier bat mich um Verzeihung, daß ich einstweilen nur auf seine Gesellschaft angewiesen sei; die Eltern seien zu sehr mit der Vorbereitung zur abendlichen Tertullia beschäftigt. Wir unterhielten uns trefflich. Der junge Mann gefiel mir. Er hatte so etwas Bedächtiges, Gründliches an sich. Ich konnte nicht umhin, ihm zu sagen:
»Sie scheinen viel nachgedacht zu haben. Das bringt Ueberzeugung und Ruhe.«
»O, wenn das ein Vorteil ist, so habe ich es nicht mir selbst zu verdanken. Ich habe einen Lehrer und Freund, dessen aufmerksamer Schüler ich bin. Sie hörten auch von ihm. Ich meine Latorre.«
»Ah, dieser! Woher wissen Sie, daß ich von ihm hörte?«
Ein schlaues, überlegenes Lächeln glitt über sein hübsches Gesicht. Er blickte mich schalkhaft an und antwortete:
»Ich bemerkte, als ich mich Ihnen im Posthause vorstellte, in Ihren Zügen eine gewisse Spannung. Auch haben Sie zu meiner Mutter von einer Ueberraschung gesprochen. Ihre Spannung wurde nicht befriedigt, und die Ueberraschung ist ausgeblieben. Ist es nicht so, Sennor?«
»Genau so!«
»Sie hatten auf Ihre Aehnlichkeit mit Latorre gerechnet?«
»Ja. Aber wie können Sie wissen, daß – –«
»Pst! Es giebt überall Agenten und scharf geöffnete Augen. Man sah Sie in Montevideo ans Land steigen. Ihre Aehnlichkeit fiel auf. Sie wurden beobachtet. Ein gewisser Andaro war bei Ihnen. Vielleicht kann man erfahren, was er bei Ihnen gewollt hat. So viel ist gewiß, daß Sie von ihm mit Latorre verwechselt worden sind.«
»Sennor, ich erstaune über das, was ich von Ihnen höre!«
»Es ist gar nicht erstaunlich. In einem Lande, in welchem ein jeder schnell steigen und ebenso schnell fallen kann, ist Vorsicht die größte der Tugenden. Sie wären ganz gewiß von einem der Unserigen besucht worden. Dies unterblieb aber, als man erfuhr, daß Sie nach Mercedes wollen, also über San José kommen mußten. Hier erwartete ich Sie und hätte im Posthause mit Ihnen gesprochen, wenn nicht das Abenteuer meiner Mutter Sie uns näher gebracht hätte.«
»Aber, sagen Sie, wie konnte man wissen, daß ich nach Mercedes will? Das wurde erst spät am gestrigen Abende entschieden.«
»Allerdings, und zwar in einem Spiellokale, in welchem außer Ihnen noch andere saßen, als Sie eintraten, die Ihnen dann aufmerksam zuhörten. Man hatte Sie mit dem Yerbatero gesehen. Man wußte, wo dieser zu verkehren pflegt, und man ahnte, daß er Sie dorthin bringen werde. Doch, da kommt Vater. Lassen Sie uns dieses Gespräch gelegentlich fortsetzen! Sollte es aber Vater für angezeigt halten, jetzt von demselben Gegenstande zu beginnen, so ersuche ich Sie ebenso herzlich wie dringend, ihm keine verneinende Antwort zu erteilen. In Ihrem eigenen Interesse liegt es, daß Sie sich unsere Partei zum Dank verpflichten. Wir können Ihnen bedeutende Vorteile bieten.«
Das klang bittend und beinahe feierlich. Mich aber befremdete es. Was hatte ich mit seiner Partei zu thun? Sowohl die Blancos oder Weißen, wie auch die Colorados oder Roten waren mir sehr gleichgültig. Wer sich in Gefahr begiebt, muß sich darauf gefaßt machen, in derselben umzukommen. Am allerwenigsten fiel es mir ein, die gebratenen Kastanien für andere aus dem Feuer zu holen und mich zum Danke dafür mit jenem wackern, sprichwörtlich gewordenen Huftiere vergleichen zu lassen, von welchem man sagt, daß es auf das Eis tanzen gehe, wenn es ihm zu wohl geworden ist.
Sennor Rixio kam in würdevoller Haltung auf uns zu, verbeugte sich mit spanischer Grandezza vor mir und bat mich um die Erlaubnis, bei uns Platz nehmen zu können. Die einfache, herzliche Freundlichkeit, mit welcher er mich in seinem Hause empfangen hatte, war von ihm gewichen. Sein Gesicht lag in ernsten, feierlichen Zügen.
Es geschah, was der Rittmeister angenommen hatte. Sein Vater hielt es für geraten, das betreffende Thema sofort aufzunehmen, denn er fragte den Sohn:
»Hast du dem Sennor bereits eine Mitteilung gemacht?«
»Ueber Allgemeines sprachen wir. Näheres zu sagen, habe ich vermieden,« antwortete der Gefragte. »Der Sennor weiß aber bereits, daß wir ihn zu uns dirigiert hätten, selbst wenn Mutter nicht so glücklich gewesen wäre, ihn unterwegs kennen zu lernen.«
»So ist die Einleitung geschehen, und Sie werden sich nicht wundern, wenn ich Sie frage, Sennor, zu welcher Partei Sie halten, zu den Roten oder zu den Weißen?«
Er blickte mir mit einer Spannung in das Gesicht, als ob von meinem Bescheide das Glück des ganzen Landes abhänge.
»Ich wundere mich allerdings, diese Frage zu hören, Sennor,« sagte ich. »Ich bin ein Deutscher und lege auch im Auslande meine Nationalität nicht ab.«
»Nun, so will ich meine Frage anders formulieren: Welcher Partei geben Sie recht, den Colorados oder den Blancos?«
»Ich bin nicht zum Richter über sie gesetzt.«
»Aber, Sennor, es handelt sich ja gar nicht um einen Urteilsspruch. Es verlangt mich nur, Ihre persönliche Ansicht zu hören.«
»Die können Sie leider nicht hören, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich keine Ansicht habe. Um zu wissen, wer recht hat, müßte ich die hiesigen Verhältnisse studiert haben, was aber nicht der Fall ist. Ich beschäftige mich nicht mit Politik, da ich eingesehen habe, daß ich nicht die geringste staatsmännische Begabung besitze. Mich interessieren die allgemein geographischen und ethnographischen Verhältnisse eines Landes. Auf andere Betrachtungen lasse ich mich niemals ein.«
Er zog die Brauen enger zusammen, gab sich aber Mühe, das Gefühl der Enttäuschung nicht merken zu lassen. Er fand keine Handhabe, an welcher er mich zu fassen vermochte.
»Aber, Sennor,« sagte er, »Sie müssen doch wenigstens eine Art von Teilnahme für die Zustände desjenigen Landes haben, in welchem Sie sich jeweilig befinden!«
»Das ist natürlich auch der Fall, nur daß mir gerade diejenige Art der Zustände, welche man politisch nennt, gleichgültig ist. Ich verspeise das Brot, ohne mich um den Bäcker zu bekümmern, der es gebacken hat, und Millionen freuen sich des Frühlings, ohne Astronomie studieren zu müssen, um die Ursache desselben kennen zu lernen.«
»Sennor, Sie bringen mich in Verlegenheit. Sie sind glatt wie ein Aal; Sie weichen mir aus, obgleich Sie jedenfalls recht gut wissen, worüber ich mit Ihnen sprechen will. Sie wissen doch, daß bei uns zwei Parteien sich gegenüberstehen?«
»So viel weiß ich.«
»Die Partei, zu welcher ich gehöre, hat das wirkliche Wohl des Landes im Auge. Sie will Ordnung, Gerechtigkeit und Wohlstand schaffen, während die andere Partei das Gegenteil, die Verwirrung wünscht, um im Trüben fischen zu können. Wir wissen, daß wir siegen werden; aber bis dahin kann noch eine lange Zeit vergehen, welche große Opfer fordert. Wir stehen im Begriff, diese Opfer zu sparen, indem wir zu einer großen, unerwarteten That schreiten. Gelingt dieselbe, so sind unsre Gegner vernichtet, oder doch wenigstens für Jahrzehnte hinaus unschädlich gemacht. So unglaublich es klingen mag, so sind Sie es, welcher außerordentlich viel zu diesem Gelingen beitragen kann.«
»Ich? Sie überraschen mich auf das höchste! Ich, der Fremde, der sich erst seit gestern im Lande befindet, sollte so etwas vermögen!«
»Der Grund liegt in Ihrer außerordentlichen Aehnlichkeit mit dem Manne, welchen wir an unsre Spitze zu stellen beabsichtigen.«
»Mit Latorre also? Darf ich um die Erklärung bitten?«
»Sie würde sehr einfach sein, wenn ich mich auf Ihre Diskretion vollständig verlassen könnte.«
»Ich gebe Ihnen das Versprechen der strengsten Verschwiegenheit.«
»Nun, so will ich, obgleich ich Sie nicht näher kenne, im Vertrauen auf Ihr ehrliches Gesicht es wagen, Ihnen einige Andeutungen in Beziehung auf unsern Plan zu geben. Wir wünschen uns Latorre zum Präsidenten –«
»Das vermutete ich.«
»Also haben Sie doch nachgedacht, was Sie vorhin in Abrede stellten. Soll dieser Wunsch in Erfüllung gehen, so dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen; wir müssen vielmehr arbeiten. Aber nicht nur wir, sondern auch Latorre selbst muß eine Thätigkeit entfalten, welche seine ganzen Kräfte in Anspruch nimmt. Das werden Sie einsehen, Sennor?«
»Natürlich! Kein Ziel ohne Streben, kein Preis ohne Anstrengung und kein Lohn ohne Arbeit.«
»Nun aber ist Latorre Offizier. Er ist an diesen Beruf gebunden, dem er sich ganz zu widmen hat. Das ist ein großes Hindernis. Er muß also seinen Abschied oder wenigstens einen längern Urlaub nehmen, um die notwendige Muße zu gewinnen und außerdem sich der bei seinen dienstlichen Verhältnissen unvermeidlichen Beaufsichtigung entziehen zu können.«
»Diese Notwendigkeit sehe ich ein. Was aber hat dies mit meiner unbedeutenden Persönlichkeit zu thun?«
»Außerordentlich viel. Unser späterer Präsident hat seine Dispositionen in tiefster Verborgenheit zu treffen. Er hat Reisen zu unternehmen, von denen unsre Gegner nichts ahnen dürfen. Da giebt es Besuche, Konferenzen und dergleichen, welche nur im stillen abgehalten werden dürfen. Da man aber ahnt, was im Werke liegt, so beobachtet man ihn auf das allerstrengste. Darum müssen wir ein Mittel zu entdecken suchen, welches geeignet ist, diese lästige und gefährliche Aufmerksamkeit von ihm abzulenken. Wir haben es gefunden. Dieses Mittel sind – – Sie, Sennor.«
»Ich, ein Mittel? Schön! Aber wollen Sie mir auch sagen, welche Wirkung dieses Mittel haben soll?«
»Indem wir die Aufmerksamkeit unsrer Gegner von Latorre abziehen und auf Sie lenken.«
»Ah, jetzt beginne ich, zu begreifen. Ihre Gegner sollen mich für ihn halten?«
»Ja.«
»Soll ich vielleicht seinen militärischen Rang einnehmen und seine bezüglichen Pflichten erfüllen, während er sich nach einem Orte zurückzieht, an welchem er unbeobachtet für Ihre Partei wirken kann?«
»Ihre Frage trifft die Wahrheit halb, zur andern Hälfte geht sie über dieselbe hinaus. Seinen Rang können Sie nicht einnehmen; das ist sehr klar. Aber die Angelegenheit soll so arrangiert werden, daß Latorre sich einen Urlaub nimmt, um auf einer entlegenen Hazienda oder Estanzia seine angegriffene Gesundheit zu kräftigen. Dorthin reisen Sie; dort tragen Sie seine Uniform; dort sind Sie ganz Latorre. Man wird alle Aufmerksamkeit auf Sie richten und dann finden, daß Sie in tiefster Einsamkeit nur allein Ihrer Gesundheit leben. Inzwischen geht Latorre incognito nach einer ganz andern Gegend, wo er seine Anhänger sammelt, seine Pläne entwirft und dann zur geeigneten Stunde losbricht.«
»Und was wird aus mir zu dieser geeigneten Stunde?«
»Sie setzen Ihre unterbrochene Reise fort, nachdem Sie die eklatantesten Beweise unsrer Dankbarkeit empfangen haben.«
»Und worin werden diese Beweise bestehen? Meinen Sie irgend eine Bezahlung?«
»Bezahlung! Wer wird sich so eines Wortes bedienen! Nennen wir es Honorar, Dotation oder dergleichen! Bestimmen Sie die Höhe der Summe, welche Sie für zureichend halten, das Opfer zu ersetzen, welches Sie uns bringen.«
»Ich kenne die Art und die Größe dieses Opfers nicht. Es kann sich um eine kleine Zeitversäumnis, aber auch um mein Leben handeln, Sennor.«
»Das letztere unmöglich!«
»O doch. Wenn der echte Latorre losbricht, können seine Gegner sich sehr leicht über den unechten hermachen, um ihn ein wenig tot zu schießen. Werde ich füsiliert, so bin ich nicht mehr imstande, mich der Dotation zu erfreuen, welche Sie mir so freundlich bewilligen wollen.«
Der Rittmeister hatte bisher seinen Vater sprechen lassen. Jetzt sagte er.
»Sennor, fürchten Sie sich? Ich habe Sie für einen mutigen Mann gehalten!«
»Ich bin kein Feigling; das habe ich schon oft bewiesen und finde wahrscheinlich Gelegenheit, es auch fernerhin zu beweisen. Aber es ist zweierlei, das Leben für sich selbst, für die Seinigen, für sein Vaterland zu wagen oder es um Geldes willen für fremde Interessen auf das Spiel zu setzen. Was das Wagnis an sich betrifft, so wollte ich mich getrost für Latorre ausgeben und die Folgen ruhig erwarten. Ihre Gegner fürchte ich gerade so wenig, wie ich auch vor Ihnen keine Angst besitze. Brächte mich diese Angelegenheit in Gefahr, so traue ich mir Mut und List genug zu, derselben zu entkommen. Also die Rücksicht auf einen etwaigen Schaden, den ich erleiden könnte, ist es nicht, was mich verhindert, auf Ihre Offerte einzugehen.«
»Welchen andern Grund hätten Sie dann?«
»Den, daß die Sache mir nicht gefällt. Ich hasse die Unwahrheit, die Lüge, und einer großen, ungeheuern Lüge würde ich mich schuldig machen, wenn ich Ihren Wunsch erfüllte.«
»Aber es ist für die gute Sache!«
»Jeder andere würde mir ganz dieselbe Versicherung geben.«
»Sennor, Sie sind sehr schwer zu bekehren!«
»Weil ich überhaupt nicht bekehrt sein will.«
Bei diesen Worten stand ich auf. Der Kaufmann ergriff schnell meinen Arm, zog mich auf den Sitz nieder und sagte:
»Handeln Sie nicht zu schnell, Sennor! Sie bleiben mein Gast auf alle Fälle, selbst wenn die Hoffnungen, welche wir auf Sie setzten, nicht erfüllt werden. Ich zweifle übrigens noch nicht daran, daß wir dennoch einig werden. Vielleicht wissen Sie nicht, welche Gegenleistung Sie von unsrer Dankbarkeit erwarten dürfen. Es sind reiche, sehr reiche Männer unter uns, und der Vorteil, welchen Ihre Aehnlichkeit mit Latorre uns bietet, ist so groß, daß Sie durch die Annahme meines Vorschlages geradezu Ihr Glück machen können.«
»Was nennen Sie Glück?«
»Als Kaufmann verstehe ich unter dem Ausdrucke ›sein Glück machen‹ die Erlangung großer geschäftlicher Vorteile, also besonders die Erwerbung einer Summe Geldes von so bedeutender Höhe, daß man für die Lebenszeit aller Sorgen enthoben ist. Sagen Sie mir, welche Summe Sie verlangen!«
»Gar keine. Ich sehe mich ganz außer stande, Ihnen den gewünschten Dienst zu erweisen.«
»Hoffentlich ist das nicht Ihr letztes Wort in dieser Angelegenheit, welche Ihre ganze Zukunft bestimmen kann.«
»Mein Entschluß lautet nicht anders, und ich pflege solche Entschlüsse niemals aufzugeben.«
»Dennoch bitte ich Sie, sich die Sache doch noch zu überlegen. Ich will jetzt nicht näher in Sie dringen. Sie haben heute abend Gelegenheit, uns kennen zu lernen. Wenn Sie sich dann meinen Vorschlag beschlafen, so werden Sie mir morgen früh gewiß Ihre Zusage erteilen.«
Ich wollte eine Gegenbemerkung machen; aber er stand auf und wehrte mir mit den Worten ab:
»Bitte, sagen Sie jetzt nichts mehr! Sie wissen nun, um was es sich handelt. Bis morgen wird Ihnen wohl der bessere Entschluß kommen. Ich sehe, daß man die Lichter anbrennt. Die Gäste werden jetzt kommen. Begeben wir uns in das Haus.«
Es war beinahe dunkel geworden. Wir befanden uns im Oktober, also im südamerikanischen Frühlinge, wo die Abende zeitig anbrechen. Vom Hause her flimmerte Lichterschein. Die berühmte Tertullia sollte beginnen. Darum begaben Vater und Sohn sich nach den Gesellschaftsräumen; ich aber suchte meine Stube auf, um nicht der erste der Gäste zu sein. Vorher aber ging ich zu einem Bäcker, welcher nebenan wohnte, wie ich bemerkt hatte, und kaufte mir ein Schwarzbrot, wie es hier von den armen Leuten gegessen wird. Mit demselben begab ich mich in den Stall, um mein Pferd zu füttern.
Der Knecht war anwesend. Er wunderte sich nicht wenig, als er das Brot sah und daß ich es zerschnitt und dem Pferde gab. Auch für das Tier war diese Gabe etwas ganz Ungewohntes. Es fraß und rieb dabei den Kopf dankbar an meiner Schulter. Jedenfalls war es das erstemal, daß es bei einem Menschen Liebe fand. Als ich es streichelte, wieherte es freudig auf. Ich war überzeugt, daß es mir gelingen werde, es an mich zu gewöhnen.
Das Zimmer, welches ich mir ausgewählt hatte, lag nach dem Hofe zu. Es hatte zwei Fenster, zwei wirkliche Fenster mit Glasscheiben, ein Luxus, auf welchen der Reisende zu verzichten bald gezwungen ist. Es gab da ein gutes Bett, einen Tisch und einige Stühle. Auf einem der letztern stand ein breiter Wassertopf, und dabei lag ein feines, weißes Taschentuch. Beides stellte das Waschgeschirr vor. Anstatt des Sofas gab es eine Hängematte, welche an zwei Mauerringen hing. Auf dem Tische lag ein Carton mit Cigaretten. Das war eine dankenswerte Aufmerksamkeit des Wirtes gegen mich. Freilich rührte ich die kleinen Dinger nicht an. Ein wirklicher Raucher, wenn er nicht Südamerikaner ist, mag von Cigaretten nichts wissen. Er will Tabak haben, aber nicht Papier.
Zu meiner Genugthuung bemerkte ich, daß sich an der Thüre ein Nachtriegel befand, Ich hegte natürlich nicht das geringste Mißtrauen gegen die Bewohner des Hauses; aber ich dachte an den falschen Polizeikommissar, der sich höchst wahrscheinlich nun auch hier im Städtchen befand. Er hatte bei Rixio gelernt und kannte also die Räume des Gebäudes ganz genau. Vielleicht kam er auf den Gedanken, mir einen nächtlichen Besuch zu machen. Das konnte durch den Riegel verhütet werden.
Ich hatte ein Rindstalglicht brennen, welches auf dem Tische stand. Eben war ich beschäftigt gewesen, den Riegel hin und her zu schieben, um mich von der Brauchbarkeit desselben zu überzeugen, da sah ich, mich umwendend, ein Gesicht, welches zum Fenster hereingeblickt hatte und jetzt so schnell verschwand, daß es mir unmöglich war, die Züge desselben zu erkennen. Ich vermochte nicht einmal zu sagen, ob es ein männliches oder weibliches sei.
Ein Sprung brachte mich zum Fenster. Es war verquollen, vielleicht seit langer Zeit nicht geöffnet worden, daß es mir schwer gelang, den einen Flügel aufzumachen, und als ich dann in den Hof blickte, sah ich keinen Menschen. Es war dunkel draußen, da der Mond erst in einer Viertelstunde aufging.
Besorgniserregend war die Sache nicht. Vielleicht war einer der vielen dienstbaren Geister des Hauses neugierig gewesen, zu sehen, was der Fremde in seiner Stube eigentlich treibe. Doch verschloß ich nunmehr das Fenster fest, so daß es von draußen nicht geöffnet werden konnte.
Bald kam der Rittmeister, um mich abzuholen. Er erwähnte das vorhin gehabte Gespräch mit keinem Worte und war so freundlich und höflich wie zuvor gegen mich. Jedenfalls war er ganz der Ansicht seines Vaters, daß ich meinen Entschluß doch noch ändern werde.
Im Salon war eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft von Damen und Herren versammelt. Die Blicke, welche sich bei meinem Eintritte auf mich richteten, sagten mir, daß von mir bereits die Rede gewesen war. Ich wurde vorgestellt und hörte eine Menge langer, hochtönender Namen und Titel, welche ich augenblicklich wieder vergaß. Der Spanier ist in dieser Beziehung fast wie ein Araber: Er liebt es, seinem Namen die Namen und einstigen Würden seiner Vorfahren beizufügen. Dem Fremden klingen diese wohllautenden Worte sehr angenehm in das Ohr; wenn man sie aber in das Deutsche übersetzt, so verschwindet die Poesie und das Imponierende. Don Gänseschmalz von Ofenruß, Donna Maria Affensprung von Hobelspan und ähnliche Namen haben nur im Spanischen Wohlklang, aber im Deutschen nicht.
Für einen oberflächlichen Beobachter konnte es leicht sein, die Gesellschaft eine glänzende zu nennen; leider aber besaß ich scharfe Augen. Mir fiel der viele Puder auf, das stumpfe Schwarz der Augenbrauen und Stirnlöckchen, welches auf die Anwendung gewisser Färbemittel schließen ließ. Ich sah die zierlichsten Füßchen mit Schuhen Nummer Null; aber an diesen Schuhen war irgend eine Naht geplatzt oder die Sohle klaffte los. Zarte Damenhände mit schwarzgeränderten Fingernägeln, rauschende Seide mit Brüchen und die Säume ausgefranst, falsche Steine in kunstvoller Fassung – und wie die Kleidung, der Putz, so war auch alles andere darauf berechnet, das Auge, das Ohr, die Sinne zu bestechen; Echtheit aber fand ich nicht.
So war es auch bei der Tafel. Mein Messer hatte einen Griff von Elfenbein, die Gabel einen von papierdünnem Silber, mit Kolophonium ausgefüllt; der Löffel war zerbrochen gewesen und zusammengelötet worden. Die Früchte erschienen in kostbar gewesenen Vasen, an denen Stücke fehlten. So war das ganze Geschirr beschaffen, aber die Speisen waren gut. Vorzüglich mundete mir der landesübliche Asado, welcher ganz vortrefflich war.
Asado ist ein Spießbraten. Das Leibgericht des Gaucho aber ist Asado con cuero, Spießbraten in der Haut. Wird ein Rind oder Pferd geschlachtet, so schneidet sich der Gaucho ein Stück des noch dampfenden Fleisches samt der Haut ab, steckt es an ein Holz und hält es über das Feuer. Nun wartet er nicht etwa, bis das Stück ganz durchbraten ist, sondern er bratet Bissen um Bissen. Dabei fährt er mit dem Fleische abwechselnd an den Mund und wieder an das Feuer und hantiert sich mit dem scharfen, langen Messer so vor der Nase her, daß einem angst und bange um dieselbe wird, denn er beißt in das Fleisch, bevor er sich den Bissen abschneidet.
Unser heutiger Asado war ohne Haut, doch war es nichts weniger als appetitlich, zu sehen, wie er verspeist wurde. Ich sah Damen, welche sehr einfach die Hände als Gabeln und die Zähne als Messer benutzten. Das fiel hier gar nicht auf. Ich erhielt vielmehr von mehreren Seiten die wohlgemeinte Aufforderung, es mir ebenso bequem zu machen und nicht wie eine Gouvernante zu essen.
Später wurde getanzt. Darauf hatte ich mich gefreut. Ich sehnte mich, allein in einer Ecke zu sitzen und zuzuschauen.
Leider aber kam ich nicht dazu. Man gab mich nicht frei. Ich war und blieb der Mittelpunkt der Unterhaltung, aber einer ganz und gar gehaltlosen Konversation. Man sprach von allen Seiten auf mich ein. Ich sollte und mußte auf alle möglichen und unmöglichen Fragen Antwort erteilen. Es wurde mir zu Mute wie einem alten Uhu, welcher, an seinen Sitz gefesselt, von einer Schar Krähen und Elstern umschwärmt wird, deren er sich nicht erwehren kann. Und dabei war man überzeugt, ich sei entzückt, mit solcher Liebenswürdigkeit behandelt zu werden. Man tanzte nach den Tönen von Guitarren, deren mehrere vorhanden waren. Diese Instrumente wurden meisterhaft gespielt. Der Spanier scheint als Guitarrero geboren zu werden.
Nun hatte man sich unterhalten, gegessen, getanzt, und es blieb nur noch eins zu thun – – zu spielen. Bald saßen sie alle, Männlein und Weiblein, bei den Karten. Ich beteiligte mich nicht, was mit Kopfschütteln kritisiert wurde. Eine Zeitlang interessierte es mich, den Zuschauer zu machen; als aber der Teufel des Spieles seine Samtpfötchen nach und nach in Krallen verwandelte und ich aus schön sein sollendem Munde so manches Fluchwort hörte, da schlich ich mich heimlich fort. An einem deutschen Skate mag man sich beteiligen, an einem südamerikanischen Juego aber nicht. Es ist kein Vergnügen, die Leidenschaften zu beobachten, welche das Gesicht eines solchen Spielers oder gar so einer Spielerin verzerren. Die berühmte Tertullia war jetzt für mich zu Ende, und ich kann nicht behaupten, daß ich von ihr sehr erbaut gewesen sei.
Draußen im Vorzimmer saßen die bedienenden Peons und – spielten auch. Mein Erscheinen war für sie keine Veranlassung, sich stören zu lassen.
Ich hatte meine Stube nicht verschlossen, da es möglich war, daß die Dienerschaft während meiner Abwesenheit da noch zu thun hatte. Der Mond schien so hell zum Fenster herein, daß ich einer andern Beleuchtung nicht bedurfte. Ich überzeugte mich, daß die Fenster noch so wie vorher verschlossen waren. Unter das Bett zu schauen, das vergaß ich.
Vielleicht hätte ich es gethan, aber man hatte mir so fleißig zugetrunken, und ich war gezwungen gewesen, so viel Bescheid zu thun, daß der schwere, gefälschte Fabrikwein mich ermüdet hatte. Ich schob den Riegel vor und fiel, als ich mich gelegt hatte, sofort in einen tiefen Schlaf.
Der Aufenthalt in den Prairien hatte meine Sinne so geschärft. daß sie sich selbst während dieses tiefen Schlafes nicht ganz außer Thätigkeit befanden. Mir träumte, ich liege im Walde und werde von Indianern beschlichen. Einer derselben kam an mich heran und holte aus, um nach mir zu stechen. Ich sprang auf, um mich zu wehren, und – erwachte. Ich saß im Bette.
Noch lag der Mondschein in der Stube; nur die Thürgegend war im Dunkel. Es war mir, als ob dort sich eine menschliche Gestalt bewege.
»Wer da?« fragte ich.
Ich erhielt keine Antwort, vernahm aber ein leises Knarren. Ich sprang aus dem Bette und nach der Thüre. Sie war zu. Also hatte ich mich wahrscheinlich getäuscht. Darum legte ich mich beruhigt wieder nieder und schlief nun ohne Unterbrechung bis zum Morgen.
Als ich da aufstand und nach dem Waschen die Stube verlassen und also den Riegel zurückschieben wollte, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß derselbe bereits zurückgeschoben war.
Ich wußte ganz genau, daß ich ihn am Abende vorgeschoben hatte. Ebenso genau wußte ich, daß ich ihn dann, als ich aus dem Traume erwachte und eine Gestalt zu erblicken meinte, nicht geöffnet hatte. Wie kam es, daß er jetzt offen war?
Ich durchsuchte das Zimmer, fand aber keine Spur, welche angedeutet hätte, daß sich jemand bei mir befunden habe. Von meinen Kleidern und Sachen, von dem Inhalte meiner Taschen war nichts abhanden gekommen. Auch die Waffen befanden sich im besten Zustande. Auf der Diele sah ich einen roten, seidenen Faden liegen. Er war ganz kurz abgerissen und vierfach genommen, als hätte er sich in einer Nähnadel mit starkem Oehr befunden und sei nach dem Nähen abgerissen worden.
Hatte dieses Fadenende schon gestern hier gelegen? Wahrscheinlich! Gewiß kam doch kein Dieb in meine Stube, um mir einen Faden herzulegen. Ich hatte wohl dennoch in der Nacht den Riegel zurückgeschoben, um die Thüre zu öffnen und hinauszusehen. In der Schlaftrunkenheit hatte ich dann vergessen, wieder zu schließen. Auf diese Weise war die Erklärung sehr einfach.
Mochte dem sein, wie ihm wolle, ich beruhigte mich, da mir gar nichts abhanden gekommen war, und begab mich in das Speisezimmer, wo die Familie bereits bei der Chokolade saß.
Nach Beendigung des Frühstückes entfernte sich die Dame, und die beiden Herren ergriffen die Gelegenheit, das gestrige Thema wieder zur Sprache zu bringen. Sie schienen überzeugt zu sein, daß ich mich nun eines Bessern besonnen habe, mußten aber von mir das Gegenteil erfahren. Sie ergingen sich in allen möglichen Vorstellungen und Zureden, welche aber keinen Eindruck auf mich machten. Es war mir sehr gleichgültig, wer heute oder morgen oder übers Jahr Präsident der Banda oriental sein werde, und es fiel mir gar nicht ein, mich aus Rücksichten für fremde politische Meinungen in Gefahr zu begeben.
Die Enttäuschung der beiden war groß. Ihre Gesichter verfinsterten sich, und ihr Benehmen wurde gemessener.
»Nun, da Sie partout nicht wollen, zwingen können wir Sie nicht,« sagte Rixio endlich fast zornig. »Hoffentlich aber werden Sie wenigstens Ihr Wort halten und den Inhalt unsers Gespräches bis auf weiteres keinem unserer Gegner mitteilen?«
»Ich werde überhaupt zu keinem Menschen davon sprechen.«
»Wie lange gedenken Sie hier im Lande zu verweilen?«
»Ich reite quer durch dasselbe, und zwar voraussichtlich ohne jeden Aufenthalt. Sie kennen die Entfernungen besser als ich und werden also wissen, daß ich in wenigen Tagen die Grenze hinter mir haben werde.«
»Das ist gut für Sie. Ihre Aehnlichkeit kann Ihnen sehr leicht große Fatalitäten bereiten, nachdem Sie die Vorteile, welche wir Ihnen boten, zurückgewiesen haben. Darum rate ich Ihnen in Ihrem eigenen Interesse, sich nirgends zu verweilen.«
»Diesem freundlichen Rate werde ich so eilig nachkommen, daß ich denselben schon auf meinen hiesigen Aufenthalt in Anwendung bringe. Ich werde sofort aufbrechen.«
Er hatte zuletzt in fast gehässigem Tone gesprochen. Das verdroß mich natürlich. Darum wendete ich mich kurz ab nach der Thüre.
»Bitte, Sennor,« rief er mir nach. »So war es nicht gemeint. Mein Haus steht Ihnen zur Verfügung, so lange Sie es wünschen. Uebrigens war es doch bestimmt, daß mein Sohn mit Ihnen reiten werde.«
»Dann muß ich denselben bitten, sich mit dem Aufbruche zu beeilen. In einer halben Stunde liegt San José hinter mir.«
»So schnell kann ich nicht,« erklärte der Offizier. »Es hat sich herausgestellt, daß ich erst am Nachmittage fort kann.«
Das war nur Vorwand. Ich sagte, daß ich so lange nicht warten könne, und begab mich in den Stall, um mein Pferd selbst zu satteln. Dann verabschiedete ich mich von der Familie, von welcher der so herzlich aufgenommene Fremde sehr kalt entlassen wurde. Wie es gewöhnlich zu sein pflegt, war die Höhe der Trinkgelder, welche ich zu geben hatte, größer als der Wert des Genossenen.
Im Posthause fand ich die Yerbateros meiner wartend. Monteso benachrichtigte mich gleich bei meinem Eintritte:
»Sennor, Sie haben recht gehabt: Der Polizeikommissar ist nicht nach Montevideo geritten. Gestern abend lungerte er draußen auf dem Hofe herum; als er mich sah, machte er sich schleunigst von dannen. Er führte irgend etwas im Schilde.«
»Wir müssen vorsichtig sein. Wie weit reiten wir heute?«
»Nach Perdido, einer Station für die Diligence, aber mit allen möglichen Bequemlichkeiten ausgestattet.«
»Sie haben dem angeblichen Polizisten natürlich unsere Reiseroute mitgeteilt?«
»Ja.«
»Das ist nun leider nicht zu ändern.«
»O doch ist es zu ändern. Wir bleiben an einem andern Orte.«
»Hm! Dieser Vorschlag ist nicht übel, doch läßt sich auch einiges gegen denselben einwenden. Sie sagen, Perdido sei nur Station, also ein einzelnes, freistehendes Gebäude?«
»Es liegt in einer weiten Ebene. Man hat von da einen bedeutenden Fernblick.«
»So ist es besser, dort zu bleiben. Wir wissen, daß dieser Mensch kommen wird, und können also unsere Maßregeln treffen. Wir sehen ihn wohl sogar kommen. Nehmen wir aber anderswo Quartier, so haben wir keine solche Sicherheit.«
»Ich stimme Ihnen bei. Wann brechen wir auf, Sennor?«
»So bald wie möglich, am allerliebsten gleich.«
»Das kann geschehen. Wir sind fertig und haben hier gar nichts mehr zu suchen.«
Sogar die Pferde der Yerbateros standen schon gesattelt. Fünf Minuten später hatten wir die Stadt hinter uns, in welcher ich der ersten südamerikanischen Tertullia beigewohnt hatte.
Ueber die Gegend, durch welche wir kamen, läßt sich nur das bereits Gesagte wiederholen. Sie bleibt sich durch ganz Uruguay gleich. sanfte Bodenwellen mit Vertiefungen dazwischen, schmale, tief eingeschnittene Bäche oder kleine Flüsse, welche dem Rio Negro zustreben, Camposgras und wieder Camposgras – es ist die Einförmigkeit im vollsten Sinne des Wortes.
Kurz nach Mittag sahen wir ein ziemlich großes Gebäude vor uns liegen, ein Posthaus mit Schenke und Kramladen, das an einem Flüßchen lag. Weit über dieser Station draußen sahen wir einen Reiter, welcher im Galoppe nach Westen ritt und also von dem Hause kam, bei welchem wir anhalten wollten.
Dort angekommen, erkundigte ich mich nach dem Reiter. Er hatte mehrere Stunden lang vor dem Hause gesessen und war dann, als er uns kommen sah, in den Sattel gestiegen und davongeritten. Die Beschreibung, welche der Wirt lieferte, stimmte ganz genau. Es war Mateo, der frühere Kaufmannslehrling. Eine Stunde hinter dieser Station kamen wir an die Cuchilla grande, den bereits erwähnten Gebirgszug. Aber von Bergen war auch hier keine Rede. Auf unbedeutenden Bodenerhebungen standen einzelne Felsen, welche den Ueberresten einer zerfallenen Mauer glichen. Das war das Gebirge.
Als wir es durchkreuzt hatten, gab es wieder die vorige wellenförmige Ebene, deren Grasfläche zuweilen von einem ausgedehnten Distelfelde unterbrochen wurde. Die Disteln hatten mehr als Manneshöhe. Sie verbreiten sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit und nehmen den Bewohnern des Landes nach und nach die besten Weideflächen weg. Zwischen ihnen verbirgt sich allerlei Getier. Ich hörte, daß sie sogar Hirschen und Straußen zum Aufenthaltsorte dienen, konnte aber keins dieser Tiere erblicken. So ging es fort bis gegen Abend. Die Pferde der Yerbateros begannen zu ermüden. Sie mußten durch Peitsche und Sporen angetrieben werden. Mein Brauner aber hielt vortrefflich aus.
Als die Sonne im Westen verschwinden wollte, erreichten wir unser heutiges Ziel. Es lag am Rio Perdido und führte denselben Namen. Das Gebäude bestand aus Wänden von festgerammter Erde und war mit Schilf gedeckt. Eine alte Magd und zwei Peons waren zur Stelle. Wir erfuhren, daß der Besitzer in Mercedes abwesend sei und erst morgen wiederkomme.
Die Station liegt in sehr einsamer Gegend, dennoch wurden uns gute Betten und ein ebenso gutes und auch billiges Abendessen geboten.
Die Einsamkeit pflegt den Menschen wortkarg zu machen. Den beiden Peons hätte man jede Silbe abkaufen mögen. Die Magd war gesprächiger. Ich erkundigte mich, ob im Laufe des Nachmittags ein Reiter hier eingekehrt sei. Als die Peons diese Frage hörten, verließen sie die Stube. Ich sah ihren Gesichtern an, daß sie diese Frage erwartet hatten, aber von der Beantwortung derselben nichts wissen wollten. Die Magd hielt mir stand, aber mit sichtlichem Widerwillen. Sie verneinte meine Frage, doch sah ich ihr an, daß sie mich belog.
»Sennorita, wollen Sie einem Caballero, der sich so offen an Sie wendet, eine Unwahrheit sagen?« fragte ich. »Sie haben so ein gutes, ehrliches Gesicht. Ich denke nicht, daß Sie es über das Herz bringen werden, mich zu täuschen.«
Ich hatte sie trotz ihres Alters Sennorita, also Fräulein genannt. Dazu kam der zutrauliche Ton, in welchem ich sprach. Sie konnte nicht widerstehen.
»Ja, Sennor, Sie haben das Aussehen eines Caballero,« sagte sie; »aber ich bin gewarnt worden.«
»Von wem?«
»Von eben dem Reiter, nach welchem Sie sich erkundigen.«
»Was hat er gesagt?«
»Das darf ich nicht verraten.«
»So thut es mir leid, daß Sie zu einem Bösewicht mehr Vertrauen haben, als zu einem ehrlichen Menschen.«
Ihr Gesicht wurde immer verlegener.
»Mein Gott!« stieß sie hervor. »Dieser Reiter hat auch gesagt, daß er ein ehrlicher Mann sei, Sie aber ein böser Mensch.«
»Das ist Lüge.«
»Er vertraute uns sogar an, daß er ein Kriminalbeamter aus der Stadt Montevideo sei.«
»Weshalb reiste er?«
»Er wollte Ihnen voraus nach Mercedes, damit Sie dort sogleich bei Ihrer Ankunft arretiert werden könnten.«
»Hat er Ihnen gesagt, was ich begangen haben soll?«
»Ja. Sie sind ein Aufrührer und Verschwörer, der das Land in Unglück bringen will.«
»Sie haben ihm das natürlich geglaubt. Glauben Sie es denn auch jetzt noch, nachdem Sie mich gesehen haben, Sennorita?«
»O, Sennor, Sie haben gar nicht das Aussehen eines Mannes, welcher so nach Blut trachtet.«
»Nicht wahr? Ich bin ein ganz und gar friedfertig gesinnter Mensch. Ich bin gar nicht hier im Lande geboren, und ich bekümmere mich auch nicht um die Verhältnisse desselben. Ich trachte nach nichts, als nach einem guten Bette, in welchem ich diese Nacht ruhig zu schlafen vermag.«
»Aber das will er nicht. Ich soll Sie nicht im Hause aufnehmen, und sobald die Polizei befiehlt, muß ich gehorchen.«
»Nun, Sennorita, so sehr streng gehorsam sind Sie doch nicht gewesen. Sie haben mir die Betten gezeigt, und uns in Ihrer Freundlichkeit ein gutes Abendessen versprochen?«
»Ja,« lachte sie gezwungen, »konnte ich denn anders? Sie fragten gar so höflich. Sie nannten mich Sennorita, was hier niemand thut, und Sie haben so ein – ein – ein – Wesen wie ein echter Caballero. Es war mir ganz unmöglich, Sie abzuweisen und draußen im Freien schlafen zu lassen.«
»Also hatte Ihnen dieser Mann befohlen, es so einzurichten, daß wir unter dem freien Himmel schlafen müßten?«
»Ja, das befahl er mir.«
»Er ist ein großer Lügner, Sennorita. Er ist gar nicht ein Kriminalkommissar, sondern ein Spitzbube, welchen w i r arretieren lassen könnten, anstatt e r uns. Wollen Sie etwa die Verbündete eines solchen Menschen machen?«
»Das fällt mir gar nicht ein. Wenn es so ist, wie Sie sagen, Sennor, so soll er sich ja nicht wieder bei uns sehen lassen. Es würde ihm schlecht ergehen, denn wir verstehen keinen Spaß. Ich glaube Ihren Worten, und gerade weil dieser Kerl uns vor Ihnen gewarnt hat, sollen Sie auf das allerbeste bedient werden. Ich verlasse Sie jetzt, um das Abendmahl zu bereiten, mit welchem Sie hoffentlich zufrieden sein werden.«
Mateo hatte gewünscht, wir sollten im Freien schlafen; das mußte einen Grund haben. Es war ein milder, wunderschöner Abend. Kein Lüftchen regte sich. Die Yerbateros erklärten, daß es ihnen bei solchem Wetter nicht einfallen könne, im Hause zu schlafen. Ich warnte sie, doch vergeblich. Als wir gegessen hatten, und zwar verhältnismäßig sehr gut, wickelten sie sich in ihre Decken und legten sich unter ein Strohdach nieder, welches zu irgend einem Zwecke auf vier Pfählen neben dem Hause errichtet war. Ihre Pferde ließen sie frei weiden.
Da ich Mateo nicht traute, so brachte ich meinen Braunen in den Corral, welcher mit einer hohen, dichten und stacheligen Kaktushecke umgeben war. Die Magd bewies mir eine ganz besondere Aufmerksamkeit dadurch, daß sie einen Hund zu dem Pferde in den Corral sperrte. Sie versicherte, derselbe werde einen Heidenskandal machen, falls ein Fremder es wagen solle, sich zu dem Pferde zu schleichen.
Das Haus hatte ein ziemlich plattes Schilfdach. Ein Teil desselben war so fest gestützt, daß man darauf stehen konnte. Zu dieser Stelle führte neben meiner Zimmerthüre eine schmale Stiege empor. Man hatte diese Vorrichtung angebracht, um von da oben aus möglichst weit nach Reisenden und wohl auch nach den Herden ausblicken zu können.
Der heutige Ritt hatte mich nicht ermüdet; ich hatte dem Abendessen sehr fleißig zugesprochen und fühlte infolgedessen noch keine Lust, zu schlafen. Darum wanderte ich draußen ein Stück am Ufer des Flusses hin. Glühende Leuchtkäfer irrten um das Gesträuch; große Nachtfalter huschten mir am Gesicht vorüber; unsichtbare Blumen dufteten; die Luft war so balsamisch, so erquickend, und über mir gab es die Sterne des Südens. Ich kam nach und nach in jene Stimmung, welche der Dichter Träumerei nennt, der Laie als Duselei bezeichnet. So spazierte ich weiter und weiter. Endlich kehrte ich doch um, und als ich das Haus erreichte, mochte ich wohl an die zwei Stunden abwesend gewesen sein.
Ich ging leise nach dem Strohdache, unter welchem die Gefährten schliefen. Wenn sie noch wach waren, mußten sie mich kommen sehen. Der Mond stand auf der andern Seite, und der Schatten des Hauses fiel auf das Schutzdach. Es war also hier verhältnismäßig dunkel. Dennoch glaubte ich, als ich näher trat, eine Gestalt zu sehen, welche bei meiner Annäherung unter dem Dache hervorhuschte und hinter dem Hause verschwand. Ich eilte derselben schnell nach.
Als ich um die Ecke gebogen war, stand ich im vollen Mondesscheine. Eine freie, hell beleuchtete Fläche lag, wohl hundert Schritte breit, zwischen dem Hause und einem dichten Distelcamp, welcher von dort aus nach Osten lag. Von dem Augenblicke, an welchem ich die Gestalt zu erblicken meinte, bis jetzt, konnte kein Mensch diese Strecke durchschritten haben. Vielleicht war der Mann schnell am Hause entlang und um die nächste Ecke geflohen. Ich folgte ihm dorthin, sah aber auch da nichts. Ich eilte zweimal um das Gebäude, ohne die Spur eines Menschen zu sehen. Dann ging ich unter das Dach.
Die Yerbateros schliefen fest. Monteso lag ein wenig abseits von den andern und blies den Atem in lauten Stößen von sich. Sollte ich sie wecken? Nein. Ich hatte mich wohl getäuscht. Ihre Gewehre lagen neben ihnen. Ein Dieb hätte wohl zuerst nach denselben gegriffen. Daß sie noch da waren, galt mir als Beweis, daß niemand hier gewesen sei. Ich ging also leise wieder fort, in das Haus, dessen bisher unverriegelte Thüre ich hinter mir verschloß.
Schon wollte ich, in meiner Stube angekommen, die Kleider ablegen, da kam mir der Gedanke, doch lieber erst einmal auf das Dach zu steigen und Umschau zu halten. Bei der Schärfe meiner Augen war es doch wohl möglich, daß ich mich nicht geirrt hatte. Ich nahm mein Fernrohr mit. Es konnte mir nützlich sein, da der Mond alles erleuchtete.
Oben angekommen, hütete ich mich wohl, mich aufrecht auf das Dach zu stellen. Ich hätte von unten gesehen werden müssen. Ich legte mich vielmehr nieder und hielt nach allen Richtungen Ausguck. Nichts, gar nichts Verdächtiges war zu sehen.
Nun nahm ich das Rohr an das Auge und suchte die Umgebung ab. Das Bild, welches die Gläser mir lieferten, war nicht scharf. Dennoch kam es mir vor, als ob an der linken Seite des erwähnten Distelcamps sich eine Gestalt befände, welche zuweilen eine Bewegung machte. Ich zog das Glas weiter aus, und richtig, dort stand ein Pferd. Wo ein Pferd steht, muß auch ein Reiter sein. Die Tiere, welche zu dem Hause gehörten, standen im Corral. Die Pferde der Yerbateros weideten auf der anderen Seite des Hauses. Das Pferd, welches ich sah, gehörte also einem Fremden.
Ich stieg hinab und verließ das Haus, um das Pferd aufzusuchen. Ich erreichte es, ohne einen Menschen gesehen zu haben, und erkannte es sogleich als Mateos Gaul. Um ihm das Entkommen unmöglich zu machen, stieg ich auf und ritt in einem kleinen Bogen nach dem Flusse, wo ich wieder aus dem Sattel sprang und die Zügel an einen Busch befestigte.
Er hatte gewünscht, wir sollten im Freien schlafen; er war von mir vorhin bei den Yerbateros gestört worden. Jedenfalls befand er sich wieder dort. Darum schlich ich mich zum Hause zurück, doch so, daß ich von dort aus nicht gesehen werden konnte. An der Seite angelangt, lugte ich um die Ecke. Ja, dort bei Monteso kniete einer, der sich eben jetzt erhob, um den Ort zu verlassen. Ich sprang vor und auf ihn zu. Er sah mich und rannte fort.
»Ein Dieb, ein Dieb; steht auf, wacht auf!« rief ich und schoß hinter dem Kerl her.
Er rannte auf den Distelcamp zu und um die Ecke desselben. Dort blieb er erschrocken halten, da er sein Pferd nicht sah, nur einige Augenblicke lang, aber das war für mich genug, ihn zu erreichen und beim Kragen zu fassen. Er riß sein Messer aus dem Gürtel, um nach mir zu stechen; ich schlug ihn auf den Arm, daß er es fallen ließ und schleuderte ihn zu Boden. Hinter uns ertönten die Stimmen der Yerbateros.
»Hierher!« rief ich ihnen zu, indem ich auf dem Kerl kniete und ihm beide Hände hielt, damit er nicht nach Schießwaffen greifen könne. Sie kamen herbeigerannt.
»Was ist's? Was giebt's? Ein Dieb? Wer ist's?« so frugen sie durcheinander.
»Der Kriminal-Kommissar ist's,« antwortete ich. »Er war bei Ihnen unter dem Dache und muß Monteso bestohlen haben.«
»Mich?« meinte der Yerbatero. »Das soll ihm schlecht bekommen. Ist er es denn wirklich?«
Er bückte sich nieder, um ihm in das Gesicht zu sehen.
Ja, wirklich, er ist es. Da liegt sein Messer. Nehmt ihm die Feuerwaffen ab! Dann führen wir ihn in das Haus.«
Die Bewohner des letzteren hatten unsere Rufe gehört. Sie wunderten sich nicht wenig, als wir den Polizeibeamten brachten. Dieser hatte bis jetzt noch keinen Laut von sich gegeben, machte ein sehr trotziges Gesicht und ließ ein höhnisches Lächeln sehen. Er hörte ruhig zu, als ich erzählte, wie ich ihn schon einmal bemerkt und mich dann seines Pferdes und auch seiner selbst bemächtigt habe.
»Also ein Dieb!« sagte Monteso. »Das wird ihm so ein hundert Lassohiebe einbringen. Kerl, was fällt dir ein, mich zu bestehlen?«
»Schweigen Sie!« gebot jetzt Mateo. »Wie kann es jemanden einfallen, mich für einen Dieb zu halten!«
»Brausen Sie nicht auf!« antwortete ich ihm. »Ich habe Sie gleich im ersten Augenblicke durchschaut. Sie sind ein Schwindler, aber kein Polizeibeamter. Warum folgen Sie uns? Was haben Sie bei diesem Sennor zu suchen, während er schläft? Auf eine Dieberei ist es abgesehen.«
»Ich und ein Dieb! Beweisen Sie es doch!«
»Der Beweis wird wohl nicht schwer zu führen sein. Die Sennores mögen einmal nachsuchen, was ihnen fehlt.«
»Ja, sie mögen suchen. Und wenn ich sie bestohlen habe, so dürfen Sie mich getrost und sofort aufknüpfen!«
Die Yerbateros leerten alle ihre Taschen. Es fehlte ihnen nichts, nicht der geringste Gegenstand. Sie gingen hinaus, um auch die Satteltaschen zu untersuchen. Als sie zurückkehrten, meldeten sie, daß alles noch vorhanden sei.
»Nun, bin ich ein Dieb?« fragte Mateo triumphierend.
»Jedenfalls habe ich Sie gestört, bevor Sie die Sachen nehmen konnten, auf welche es abgesehen war,« antwortete ich.
»Dummheit! Was kann man einem Yerbatero stehlen! Der Dieb, welcher sich an solche Leute machte, müßte ein Dummkopf sein!«
»Nun, was haben Sie denn sonst bei ihnen zu suchen?«
»Das möchten Sie wohl gern wissen! Sie sind doch sonst so klug und weise! Warum fehlt es Ihnen denn jetzt an dem nötigen Verstande zur Beantwortung dieser Frage?«
»Sennor, keine Beleidigung! Sobald Sie es nochmals an der Höflichkeit, welche ich gewöhnt bin, mangeln lassen, schlage ich Ihnen die Hand in das Gesicht, daß Ihnen alle Sterne vor den Augen flimmern! Sie haben irgend eine Absicht mit uns, und diese Absicht wollen wir jetzt kennen lernen.«
Er setzte sich auf den Stuhl, welcher in seiner Nähe stand, musterte mich hohnlächelnd vom Kopfe bis zu den Füßen herab und sagte dann:
»Nun wohl, ich will es Ihnen sagen. Aber jeder andere an Ihrer Stelle würde das für ganz unnötig halten. Was ich bin, das wissen Sie. Ich bin Kriminal-Kommissar.«
»Das glaube ich nicht!«
»Ob Sie es glauben oder nicht, das bleibt sich sehr gleich.«
»Beweisen Sie es!«
»Ich werde es beweisen, sobald ich das für nötig halte. Sie aber sind der Mann nicht, welcher diesen Beweis von mir fordern darf. Ich habe mich nur vor der Behörde zu legitimieren, nicht aber vor Ihnen.«
»So lassen Sie uns ungeschoren!«
»Das geht nicht!« lachte er. »Weil Sie uns verdächtig sind.«
»Ah! Jedenfalls kommen Sie mir bedeutend verdächtiger vor, als ich Ihnen.«
»Mag sein! Es wird sich ja zeigen, auf wessen Seite das Recht ist. Also Sie haben den Verdacht der Behörde auf sich geladen, und ich erhielt die Weisung, mich Ihnen anzuschließen, um Sie zu beobachten.«
»Pah! Sie beobachten mich, um mich eines Vergehens, wohl gar eines Verbrechens zu überführen, und geben sich dabei für einen Kriminalbeamten aus! Das würde eine ganz unbegreifliche Dummheit von Ihnen sein.«
»Nun, man begeht zuweilen in ganz überlegter Weise sogenannte Dummheiten, welche von ausgezeichnetem Erfolge sind!«
»An Ihrem jetzigen Erfolge zweifle ich sehr. Sie verfolgen uns oder vielmehr mich. Das ist mir unbequem. Ich muß Sie jetzt zwar laufen lassen, aber sobald Sie meinen Weg nochmals kreuzen, übergebe ich Sie der Polizei.«
»Die wird sehr glücklich sein, in mir einen ihrer Oberbeamten kennen zu lernen. Sie haben mich von sich gewiesen; ich kann also nicht mehr mit Ihnen reiten; darum bin ich Ihnen heimlich gefolgt und habe mich, als ich vorhin Leute draußen liegen sah, überzeugt, ob es diejenigen Personen sind, auf welche ich es abgesehen habe. Ich schlich mich also hin, um in das Gesicht der Leute zu sehen. Wollen Sie mich aus diesem Grunde zur Anzeige bringen, so habe ich nichts dagegen. Jetzt aber bitte ich mir mein Pferd aus. Ich muß weiter!«
Ich wies ihm alles an und sagte:
»Machen Sie sich schleunigst aus dem Staube! Später könnte ich auf die Idee kommen, Sie nicht so leichten Kaufes loszugeben.«
»Nun, wenn ich Sie einmal in den Händen habe, so werden Sie überhaupt gar nicht wieder loskommen. Das schwöre ich Ihnen zu!«
»Hinaus! Fort!« fuhr ich ihn an.
Er riß den Gürtel samt dessen Inhalt vom Tische fort und eilte hinaus. Wir gingen ihm nach. Wir sahen, daß er sein Messer holte und dann nach dem Flusse ging. Einige Augenblicke später sahen wir ihn davonreiten.
»Sennor,« sagte Monteso, »sollte er doch wirklich ein Beamter sein! Sein Auftreten ist so sicher!«
»Nicht sicher, sondern frech.«
»Warum haben Sie ihn dann entlassen!«
»Konnte ich anders?«
»Ja. Wenn Sie wirklich überzeugt sind, daß er sich für etwas ausgiebt, was er gar nicht ist, so steht es fest, daß er uns bestehlen wollte. Wir konnten ihm also durch eine tüchtige Tracht Prügel das Wiederkommen verleiden.«
»Was nützt es uns, den Menschen zu prügeln? Gar nichts! Uebrigens glaube ich nun selbst, daß es nicht auf einen Diebstahl abgesehen war. Als ich kam, war er bei Ihnen fertig. Er stand zum Gehen bereit, bevor er mich sah. Vom Stehlen ist also keine Rede.«
»Was aber könnte er denn sonst bei uns gewollt haben?«
»Das eben möchte ich wissen. Er befand sich bei Ihnen, hatte es also nicht auf Ihre Kameraden, sondern auf Sie abgesehen. Vermissen Sie wirklich nichts? Ist Ihr Gewehr in Ordnung?«
»Mir fehlt nichts, und das Gewehr ist unberührt. Der Teufel mag erraten, was der Kerl bei mir gesucht hat!«
»Ich werde nachdenken. Vielleicht errate ich das Richtige.«
»Ja, denken Sie nach, Sennor, denn das Nachdenken ist meine schwache Seite. Meinen Sie, daß wir wieder schlafen dürfen? Daß er uns nicht mehr belästigen wird?«
»Wird ihm nicht einfallen! Er ist jedenfalls froh, von uns fort zu sein. Wir sehen ihn wohl nicht eher wieder, als bis der Streich reif ist, den er gegen uns auszuführen beabsichtigt.«
Ich begab mich in meine Stube; aber zum Schlafen kam ich nicht. Ich sann und sann, und doch konnte ich trotz aller Anstrengung nicht erraten, was der Mann bei Monteso gewollt hatte. Ich überlegte jedes Wort, welches er gesagt hatte; ich erinnerte mich an jede seiner Mienen; ich verglich und verglich – – vergebens!
Endlich schlief ich doch ein, hatte aber einen unruhigen Schlaf, aus welchem ich bald wieder erwachte. Der Tag schaute zum Fenster herein, und ich stand auf. Die Yerbateros lagen noch schlafend unter ihrem Strohdache. Ich ging hin zu ihnen. Ich untersuchte den Boden, das Gras, die ganze Umgebung des Hauses; ich fand nichts, gar nichts, was mir als Fingerzeig hätte dienen können. Man kommt dadurch in einen geradezu peinlichen Seelenzustand, der nur schwer zu beschreiben ist. Sich vor etwas ganz Unbekanntem und Unbestimmtem ängstigen zu müssen, ist fatal.
Ich weckte die Männer. Wir bezahlten die Zeche und ritten dann weiter. Auch heute bot die Gegend keinen andern Anblick dar als gestern und vorgestern. Wir folgten den ausgefahrenen Geleisen der Diligence und kamen an gar keine Ortschaft. Einige Ranchos berührten wir, konnten aber über Mateo nichts erfahren.
Um die Mittagszeit wurde die Gegend belebter. Die Estanzias und Ranchos mehrten sich, und Leute begegneten uns. Wir näherten uns der Stadt Mercedes, bogen aber rechts ab, nach Norden zu, wo die Besitzung des Verwandten Montesos sich befand. Wir hatten den Rio Negro zur Linken. Zuweilen kamen wir ihm so nahe, daß wir seine schimmernde Wasserfläche erblickten. Es gab zahlreiche Fahrzeuge auf derselben, denn Mercedes, welches an seinem Ufer liegt, treibt einen lebhaften Handel mit dem Landesinnern.
Drei Stunden von Mercedes sollte der Verwandte wohnen; es waren aber wohl mehr als vier. Doch wurde mir die Zeit nicht lang, denn die Nähe des Flusses wirkte vorteilhaft auf die Landschaft und deren Bewohner.
Wir kamen sogar zuweilen durch ein kleines Wäldchen, hier eine Seltenheit, und ich hatte nun auch die Freude, eine ganze Straußfamilie zu sehen. Wir kamen durch Büsche auf den freien Camp. Die Tiere hatten in der Nähe geweidet und jagten, über unser Erscheinen erschrocken, in größter Eile davon. Die Wirkung auf mich war eine sonderbare: ich mußte so herzlich lachen, daß mir die Thränen in die Augen traten. Den Yerbateros war der Anblick dieser Vögel etwas sehr Vertrautes, und doch lachten sie mit, von meiner Lustigkeit angesteckt.
Wer kein ausgesprochener Griesgram ist, wird unbedingt ein Gelächter aufschlagen, wenn er eine Truppe Strauße ausreißen sieht. Das ist kein Rennen, wie ich es mir ausgemalt hatte, sondern ein höchst kurioses und possierliches Humpeln und Watscheln. Sie werfen die Beine auf eine ganz unbeschreibliche Weise hinter sich; die Haltung des Körpers und die Bewegungen des Halses thun das übrige.
Der amerikanische Strauß oder Nandu wird im La Plata-Gebiete Avestruz genannt. Er ist ein riesengroßer Vogel, welchen man selten einzeln sieht. Ein Männchen hat immer fünf und noch mehr Hennen bei sich; oft sieht man Trupps bis zu zwanzig Individuen. Er wird selten geschossen, sondern zu Pferde gejagt und mit dem Lasso gefangen. Die Eingebornen behaupten, daß sein Fleisch sehr wohlschmeckend sei. Wenn dies wahr ist, so ist das ein Vorzug, welchen er vor seinem afrikanischen Verwandten hat. Das Fleisch eines jungen Vogels ist allerdings nicht übel, aber einen älteren weich zu bringen, das möchte wohl schwer gelingen.
Seine Federn werden zu allerlei Putz verwendet, besonders zur Herstellung von Staubwedeln, doch haben sie bei weitem nicht den Wert der Federn des afrikanischen Straußes.
Beliebt sind die großen Eier des Nandu. Die zu einer Familie gehörigen Hennen legen ihre Eier in ein gemeinschaftliches Nest. Diese letzteren werden nicht von der Sonne, wie man irrtümlich angenommen hat, sondern von dem Vogel ausgebrütet. Das Nest ist außerordentlich kunstlos, und besteht nur in einer ausgekratzten Erdvertiefung.
Die Menschen streben diesen Eiern fleißig nach, denn dieselben sind außerordentlich nahrhaft und wohlschmeckend; eine Tortilla aus Straußeneiern wird selbst ein Feinschmecker nicht verschmähen. Man behauptet freilich anderwärts, Kibitz- und Fasaneneier sollen zarter sein. Ich bestreite es nicht.
Die Sonne senkte sich gegen den Horizont, als wir an einer weidenden Rinderherde vorüber kamen. Monteso deutete auf die eingebrannten Zeichen und sagte:
»Das ist das Zeichen meines Verwandten. Wir befinden uns auf seinem Gebiete.«
Der Mann mußte ungeheuer reich sein, denn wir ritten an noch andern Herden Rindern, Pferden, Schafen vorüber, und alle diese Tausende von Tieren trugen dasselbe Zeichen. Agavezäune, welche mir meilenlang vorkamen, trennten die einzelnen Herden und Weideplätze voneinander. Gauchos jagten auf sehr schnellen Pferden über diese Flächen, um die Tiere zusammenzuhalten oder kämpfende Stiere auseinanderzutreiben.
Dann sahen wir Baumwipfel sich im Norden erheben. Weiße Mauern schimmerten uns einladend entgegen. Wir hatten die Estanzia vor uns, welche im Schatten hoher Pappeln, Eichen und Trauerweiden stand. Besonders waren die letzteren von einer Größe und Schönheit, wie man sie in Deutschland gewiß nicht zu sehen bekommt. Ein Landschaftsmaler wäre entzückt gewesen über jeden einzelnen dieser Bäume.
Die Estanzia bestand aus mehreren Gebäuden, welche ein schloßähnliches Ganzes bildeten. Zunächst ritten wir in einen großen Hof, welcher von drei Seiten von einer hohen Mauer eingefaßt war. In der vorderen Mauer befand sich das Thor.
Die vierte Seite des Hofes wurde von einem langen, zweistöckigen Gebäude begrenzt. Das war das Herrenhaus.
Der Hof war, hierzulande eine Seltenheit, sehr reinlich gehalten. Mehrere schwere Ochsenkarren standen da. Einige Füllen jagten spielend umher. Knechte waren mit allerlei Arbeiten beschäftigt. Wir ritten quer über den Hof nach der Eingangsthüre des Hauses.
Die Knechte sahen uns, stutzten und kamen dann eiligst herbei, um uns zu begrüßen. Das geschah mit einer Höflichkeit, über welche ich mich verwundern mußte. Sie verneigten sich fast ehrfurchtsvoll vor Monteso, welcher barfüßig und zerlumpt vor ihnen stand und sich erkundigte:
»Ist der Sennor daheim?«
»Nein,« antwortete einer. »Er ist nach Fray Bentos, wegen der letzten Herde, welche wir dorthin geliefert haben.«
»Und die Sennora?«
»Ist daheim mit der Sennorita.«
»Melde mich!«
Der Peon ging in das Haus. Monteso befahl den andern:
»Unsre Pferde laßt frei; diesen Braunen aber übergebe ich eurer besondern Obhut. Laßt es ihm an nichts fehlen!«
Das klang ganz so, als ob er hier zu befehlen habe. Seine Gefährten gingen nach verschiedenen Seiten ab. Mich aber führte er in das Haus und auf eine mit einem breiten Teppichläufer belegte Treppe. Oben öffnete der Peon, welchen er in das Haus geschickt hatte, eine Thüre. Wir traten ein und standen vor zwei Damen, welche jedenfalls Mutter und Tochter waren. Er begrüßte beide auf das herzlichste, die Dame mit einem Handkuß und das Mädchen mit einem Kusse auf die Wange, wie es nur unter Verwandten üblich ist, und ich hörte zu meinem Erstaunen, daß die Tochter ihn Oheim nannte. Also war er jedenfalls der Bruder des Besitzers dieser Estanzia, welche eine der reichsten des Landes sein mußte.
Er stellte mich vor, und ich wurde mit ausgezeichneter Freundlichkeit begrüßt und von Herzen willkommen geheißen. Dann führte er mich nach dem Zimmer, welches ich bewohnen sollte. Wie war ich erstaunt, ein Logis zu sehen, welches aus Vor-, Wohn-, Schlafzimmer und Badestube bestand. Die Ausstattung war so geschmackvoll, daß ein Graf nichts an derselben auszusetzen gehabt haben würde. Er lächelte mich vergnügt an, als er meine Ueberraschung bemerkte.
»Gefällt es Ihnen hier, Sennor?« fragte er.
»Welch eine Frage! Sie haben mich da in ein Schloß, in ein wirkliches Palais gebracht!«
»Palais? Nein. Sie befinden sich in der einfachen Estanzia del Yerbatero.«
»Die Estanzia des Theesammlers! Sennor, da steigen gewisse Vermutungen in mir auf, welche –«
»Welche vielleicht das Richtige treffen,« fiel er ein. »Ich war, ebenso wie mein Bruder, ein armer Theesucher. Wir waren ehrlich, fleißig und sparsam. Wir hatten Glück und mein Bruder heiratete ein reiches Mädchen. Wir kauften diese Estanzia. Er bewirtschaftete sie, und ich bin sein Compagnon. Durch den Einfluß seiner Frau ist er ein feiner Caballero geworden, ich aber liebe die Wildnis, die Pampa, den Camp, den Urwald und bin dieser meiner Liebe treu geblieben. Ich sammle während acht oder zehn Monaten des Jahres Thee, aber en gros, Sennor, und komme dann stets nach dieser Estanzia, um mich auszuruhen. Wen ich mitbringe, der gilt als Glied der Familie. Denken Sie also, Sie seien hier geboren und hätten ebenso zu gebieten, wie ich. Wie lange werden Sie brauchen, um den Schmutz des Rittes los zu werden?«
»In einer halben Stunde stehe ich zur Verfügung.«
»So hole ich Sie dann ab. Da ich daheim bin, muß ich auch in eine andre Kleidung fahren. So, wie ich hier bin, lasse ich mich nur sehen, wenn ich ausreite. Man lacht über mich, zankt mich sogar aus; aber ich befinde mich als armer Yerbatero am wohlsten.«
Er ging. Jedenfalls war er ein halbes Original. Nun konnte ich es mir freilich erklären, daß er in Montevideo mit silbernem Bestecke gespeist und Champagner getrunken hatte. Wer hätte das gedacht, als ich ihm lächerlicherweise ungebeten zweihundert Papierthaler borgte!
Natürlich benutzte ich das Bad. Kleider zu wechseln gab es nicht. Als ich in das Wohnzimmer zurückkehrte, war mir leise ein prachtvolles Rauchservice an die Sammtcauseuse geschoben worden. Es gab echte Cuba, und ich griff sofort zu. Da klopfte es, und das lachende Gesicht Montesos erschien in der geöffneten Thüre, dann schob er sich vollends zur Thüre herein. Jetzt sah er freilich ganz anders aus. Er trug einen Salonanzug von feinstem schwarzen Stoffe, weiße Weste und Lackstiefel. Eine Kette mit großen Berlockes hing von der Uhrtasche herab. Dazu war er auch im Bade gewesen und hatte sich den Vollbart nach hiesiger Weise ausrasiert.
»Nun, wie gefällt Ihnen jetzt Ihr Yerbatero?« fragte er, indem er, vor mir stehend, sich einmal um sich selbst drehte.
»Ein äußerst sauberer Caballero!«
»Nicht wahr? Ist mir aber unbequem. Morgen früh, wenn ich Ihnen unsre Herden zeige, werden Sie wieder den Alten vor sich haben. Jetzt soll ich Sie abholen. Wir wollen im Garten speisen.«
Ich folgte ihm die Treppe hinab, durch einen hohen, breiten Flur, über einen Innenhof und dann in den Garten. Das war ein Blumengarten, wie ich ihn hier nicht erwartet hatte. Die Dämmerung brach herein, und darum konnte ich ihn nicht überschauen; aber wir waren von Düften umgeben und die Wipfel von Bäumen rauschten über uns.
In einer großen, verdeckten Laube, die von einer Ampel erleuchtet wurde, war angerichtet. Die Tafel brach fast unter der Last der Speisen, welche sie zu tragen hatte. Ein Braten von wenigstens fünfzehn Pfund duftete uns verführerisch entgegen. Goldene Flaschenhälse schauten aus silbernen Kühlern. Das liebste aber war mir die aufrichtige Herzlichkeit, mit welcher wir von den beiden Damen empfangen wurden.
Ich merkte sehr bald, daß der Yerbatero mich sehr gut eingeführt hatte. Und dennoch gab es nicht jene laute, aufdringliche Hochachtung, die man mir gestern in San José gezeigt hatte. Man fühlte sich wirklich wohl bei diesen guten Leuten.
Aus einer Ecke des Gartens erklangen laute, fröhliche Stimmen und klingende Gläser.
»Hören Sie?« sagte Monteso. »Das sind meine Yerbateros. Was ich habe, haben auch sie, und wenn ich hungere, so klappern auch ihnen die Zähne. Brave Kerls, auf die man sich verlassen kann! Sie werden sie bald noch besser als bisher kennen lernen.«
Natürlich wurde vor allen Dingen erzählt, wie wir beide bekannt geworden waren und was wir bis heute miteinander erlebt hatten. Da kam einer der Peons und meldete, daß ein fremder Herr angekommen sei, ein Kavallerielieutenant, welcher die Sennora zu sprechen wünsche, da der Sennor nicht zu Hause sei. Die Dame erlaubte, daß der Herr zu ihr gebracht werde.
Als er kam, erfuhren wir, daß er den Auftrag habe, eine Anzahl von Pferden einzukaufen. Er habe auch die Mittel miterhalten, dieselben gleich zu bezahlen, was bei den gegenwärtigen Verhältnissen ein für ihn sehr angenehmer Umstand sei. Leider habe er erfahren, daß Sennor Monteso nicht daheim sei, und es thue ihm herzlich leid, unverrichteter Sache wieder abreisen zu müssen.
»Mein Mann kommt morgen sicher zurück, wenn auch erst am Nachmittage,« erklärte sie. »Wenn Sie bis dahin Urlaub haben, Sennor, würde es mich freuen, Sie bei mir aufnehmen zu können.«
»Hm!« antwortete er nachdenklich. »Mein Urlaub würde wohl ausreichen, aber der Vormittag wäre versäumt.«
»Was das betrifft,« fiel Monteso ein, »so stelle ich mich Ihnen für früh zur Verfügung. Ich bin der Bruder des Besitzers und zugleich sein Compagnon und habe das Recht, in seinem Namen Käufe abzuschließen.«
»Wenn dies der Fall ist, so werde ich mich allerdings am Morgen einfinden.«
»Einfinden? Wieso? Sie bleiben bei uns!«
»Das ist unmöglich, Sennor. Ich darf Sie nicht inkommodieren; das ist die Strafe, welche ich selbst mir dafür auferlege, daß ich so spät am Tage gekommen bin.«
»Pah! Wir werden Sie nicht fortlassen, Sennor. Oder trauen Sie den Bewohnern der Estanzia del Yerbatero vielleicht eine solche Unhöflichkeit zu?«
»Nein, gewiß nicht. Aber ich darf Ihre gütige Einladung nicht annehmen, denn ich bin nicht allein, ich habe fünf meiner Kavalleristen bei mir, die ich, wenn der Kauf zustande kommt, zum Transport der Pferde brauche.«
»Nun, die Estanzia hätte auch noch für mehr Personen Platz, ohne daß wir durch dieselben geniert würden. Erlauben Sie, daß ich das besorge!«
Er ging fort, und der Lieutenant mußte sich setzen, um mitzuessen. Er hatte sich Mühe gegeben, höflich zu sein. Dennoch gefiel er mir nicht. Worin das seinen Grund hatte, konnte ich mir selbst nicht sagen. Er war älter, weit älter, als sonst Lieutenants zu sein pflegen, denn er konnte wohl über vierzig Jahre zählen. Das war aber doch kein Grund zur Antipathie. Sein ganzes Gesicht bis auf die Wangen herüber war voller Bartwuchs. Seine Brauen waren borstig und über der Nasenwurzel zusammengewachsen. Sein Auge hatte einen stechenden Blick, obgleich er sich Mühe gab, denselben zu mildern. Kurz und gut, er gefiel mir ganz und gar nicht. Seine Uniform schien von der Phantasie geschneidert worden zu sein. Sie war zuavenmäßig, phantastisch und aus groben Stoffen gefertigt. Er machte auf mich nicht den Eindruck eines Offiziers, jedenfalls weil ich die hiesigen Verhältnisse nicht kannte und das knappe ›schneidige‹ Aussehen unserer heimischen Offiziere als Maßstab anlegte.
Eigentümlich war es, daß seine Anwesenheit auf die andern in gleicher Weise einzuwirken schien. Die Unterhaltung stockte. Der Lieutenant gab sich zwar alle Mühe, angenehm zu sein, erreichte aber seinen Zweck doch nicht. Es war plötzlich um und in uns kalt geworden.
Er richtete seine Worte meist an mich. Es war, als ob ich ihn sehr lebhaft interessiere. Er fragte nach meiner Heimat, nach den dortigen Verhältnissen, und seine Fragen waren so albern, daß ich oft nicht wußte, wie ich es vermeiden könne, ihn zu blamieren. Der Mann war im höchsten Grade unwissend.
Sprach ich aber ein belehrendes Wort aus, so blitzte er mich aus dunklen Augen an, als ob ich eine Todsünde begangen hätte. Es war darum kein Wunder, daß die Unterhaltung endlich stockte. Er hatte uns um die ganze Freude des Abends gebracht.
Er mochte das wohl fühlen, denn er stand auf und bat, sich zurückziehen zu dürfen, da er sehr ermüdet sei. Er schien gar nicht zu wissen, welch einer Taktlosigkeit er sich damit schuldig machte. Er wurde für dieselbe bestraft, denn die Sennora nickte ihm nur ruhig zu, und Monteso klingelte einen Peon herbei, welchem er den Befehl erteilte, den Lieutenant nach dessen Zimmer zu bringen.
Als er fort war, holten wir alle erleichtert Atem. Aber erst nach einer Weile fragte mich der Yerbatero:
»Nun, Sennor, wie gefällt Ihnen unsre Kavallerie?«
»Ist dieser Lieutenant ein Typus derselben?«
»Gott sei Dank, nein. Wie man einen solchen Menschen auf die Remonte schicken kann, das begreife ich nicht. Ich habe gar keine Lust, mit ihm zu handeln. Höchst wahrscheinlich werde ich ihm solche Preise stellen, daß er gleich wieder fortreitet.«
»Das hättest du vorhin thun sollen, bevor er sich niedersetzte,« lächelte die Dame. »Wollen die Unterbrechung vergessen und wieder fröhlich sein wie vorher.«
Das thaten wir denn auch. Wir saßen bis gegen Mitternacht beisammen und gestanden einander schließlich, daß wir lange keinen so frohen und schönen Abend erlebt hatten. Monteso gab der Sennorita und deren Gesellschafterin seine Arme, und ich reichte den meinigen der Sennora. So gingen wir noch eine Viertelstunde lang im Garten auf und ab, mein heller, lederner Jagdrock neben der eleganten Robe der Estanziera. Dann brachte der Yerbatero mich nach meiner Wohnung.
Am Morgen hörte ich, daß die Schokolade wieder im Garten eingenommen werden solle. Ich ging also in denselben. Ich war wohl am frühesten wach gewesen und fand niemand in der Laube, obgleich das Geschirr auf dem Tische stand. Aus diesem Grunde spazierte ich weiter bis an das Ende des Gartens. Dort gab es einige Stufen, welche zu einer kleinen Laube führten, die in gleicher Höhe mit der obern Kante der Gartenmauer lag. Man konnte also von hier aus über die Mauer hinweg sehen und hatte einen Ausblick auf die rundum liegenden Weiden und die auf denselben grasenden Herden. Ich stieg die Stufen hinan, setzte mich oben nieder und betrachtete das ganz und gar nicht romantische, aber sehr reich belebte Landschaftsbild. Noch befand ich mich kaum zwei oder drei Minuten oben, so hörte ich Schritte im Garten, welche sich meiner Ecke näherten. Die Laube war dicht verwachsen, so daß man mich nicht sehen konnte; ich aber erblickte durch die Zwischenräume der Blätter hindurch zwei schmutzige, bärtige Kerls, welche unweit der Laube standen und sehr lebhaft miteinander sprachen. Sie trugen rote Mützen, blau und rot gestreifte Ponchos und rote Chiripas; an den Füßen hatten sie Stiefeln ohne Sohlen, aber großräderige Sporen daran.
Das waren jedenfalls zwei von den fünf Kavalleristen, welche der Lieutenant mit sich hatte. Was sie sprachen, konnte ich nicht hören, da sie nur halblaut redeten. Nun aber kamen sie langsam näher auf die Laube zu und die Stufen heran. Draußen blieben sie im Eifer des Gespräches für einige Augenblicke stehen, und nun verstand ich die Worte des einen:
»Uns braucht es doch nicht bange zu werden, denn wir riskieren nicht das mindeste.«
»Das weiß ich ebenso gut wie du, und es fällt mir gar nicht ein, Angst zu haben. Ich habe nur gemeint, daß die Angelegenheit schwieriger ist, als wir es vorher dachten.«
»Wegen der Verwandlung des Yerbatero?«
»Ja. Wer konnte ahnen, daß er der Bruder und Compagnon des Estanziero sei! Der ganze Handel wird dadurch ein anderer. Aus dem Pferdekaufe wird – –«
Er hielt erschrocken inne. Sie waren während der letzten Worte in die Laube getreten und erblickten mich. Ihre wettergebräunten Gesichter wurden noch dunkler, da die Verlegenheit ihnen das Blut in die Wangen trieb. Sie mußten sich sagen, daß ich den letzten Teil ihres Gespräches gehört habe.
»Entschuldigung!« stieß der eine hervor. »Wir wußten nicht, daß jemand hier sei, Sennor.«
Ich antwortete nur mit einem scharfen Blicke, den ich ihnen zuwarf. Das machte sie noch verlegener; sie drehten sich um und gingen.
»Alle Wetter!« hörte ich noch sagen. »Wer konnte ahnen, daß dieser –«
Weiter konnte ich nichts vernehmen, da sie sich sehr schnell entfernten. Der Inhalt ihres Gespräches gab mir sehr zu denken. Eigentlich hatten sie nichts gesagt, was geeignet gewesen wäre, Mißtrauen zu veranlassen; aber dies Mißtrauen war dennoch vorhanden. Es war mir, als ob sich uns oder wenigstens mir eine Gefahr nahe; aber woher sie kommen werde und welcher Art sie sei, darüber blieb ich vollständig im unklaren.
Ich wartete noch eine kleine Weile und stieg dann wieder in den Garten hinab, um mich dorthin zu begeben, wo die Schokolade getrunken werden sollte. Unterwegs traf ich auf Monteso. Er hatte mich in meiner Wohnung gesucht und nicht gefunden; darum hoffte er, mich im Garten zu sehen. Natürlich erzählte ich ihm das kleine Intermezzo und wiederholte das Gehörte wörtlich.
»Versetzt das Sie etwa in Unruhe?« fragte er.
»Natürlich, Sennor, Sie geben doch zu, daß die Aeußerungen sehr befremdlich klingen?«
»Wieso? Ich finde das nicht.«
»Die Leute sprachen von einem Risiko!«
»Jeder Pferdekauf bringt ein solches mit sich.«
»Sie hatten Grund, ängstlich zu sein, wenn auch nicht in Beziehung auf ihre Personen. Sie meinten, die Angelegenheit sei dadurch schwieriger geworden, daß Sie der Teilhaber der Estanzia seien.«
»Sie werden meinen, daß ich als erfahrener Yerbatero höhere Preise stellen werde als mein Bruder.«
»Und ich denke, daß diese Worte sich auf etwas ganz anderes beziehen müssen. Sollte nicht vielleicht der angebliche Kommissar seine Hand wieder im Spiele haben?«
»Ich möchte wissen, wie! Sie sehen zu schwarz. Ihr Mißtrauen ist einmal erwacht und scheint sich nicht beruhigen zu können. Nun ahnen Sie hinter den einfachsten Dingen Gefahr. Ihr Verdacht ist unbegründet. Glauben Sie mir das! Dort kommt meine Schwägerin mit ihrer Tochter und dem Offizier. Ich bitte Sie, ihre Unbefangenheit nicht zu stören!«
Monteso war heute nicht so gekleidet wie gestern abend. Wir wollten ausreiten, und darum trug er seinen alten Anzug wieder. Nur barfuß ging er nicht. Ein Paar Stiefeln waren die einzige Hindeutung darauf, daß er ein reicher Herdenbesitzer sei.
Da niemand von uns eine Sympathie für den Offizier hatte, so wurde das Frühstück fast schweigend eingenommen. Die einzige kurze Unterhaltung bestand nur in der Erwähnung, daß Monteso ihm jetzt die Pferde zeigen werde und ich sie begleiten solle.
Sein Gesicht gefiel mir heute noch weniger als gestern. Bevor wir aufbrachen, begab ich mich in mein Zimmer. Ich wollte einer möglichen Gefahr nicht ungerüstet begegnen. Die Gewehre konnte ich freilich nicht mitnehmen. Das Messer oder vielmehr zwei Messer hatte ich im Gürtel. Das fiel nicht auf, da dort jedermann sein Messer stets bei sich führt. Dazu nahm ich die beiden Revolver. Ich steckte sie aber nicht in den Gürtel, denn ich wollte nicht durch eine solche Bewaffnung auffällig werden, sondern ich zog die Schäfte meiner Aufschlagestiefel ganz herauf, legte sie oben doppelt um, so daß eine Art von Tasche entstand, und steckte in jeden Schaft eine der kleinen Feuerwaffen. Dann ging ich nach dem Außenhof hinab, wo die Pferde bereit standen.
Die Kavalleristen saßen bereits auf. Das konnte nicht auffallen, weil sie ihren Offizier begleiten mußten. Aber es fehlte einer von ihnen. Leider legte ich auf diesen wichtigen Umstand keinen Wert. Später stellte es sich heraus, daß dieser Mann abgesandt worden war, um uns das Netz zu legen, in welches wir geraten sollten.
Wir brachen auf. Voran ritten Monteso, der Lieutenant und ich, hinter uns die Soldaten. Jetzt bekam ich Gelegenheit, den Herdenreichtum der beiden Brüder zu bewundern. Die Herden befanden sich teils in großen, durch Hecken voneinander getrennten Weideplätzen, teils tummelten sie sich unter der Aufsicht von Gauchos und Peons im Freien herum.
Der Offizier erklärte, daß er erst dann sich Tiere auswählen werde, wenn er sämtliche Pferdeabteilungen gesehen habe. Wir ritten also von einem Weideplatze nach dem andern und entfernten uns so immer weiter von der Estanzia. Ich hatte die Augen überall, denn ich ahnte eine Hinterlist. Monteso mochte mir das ansehen, denn er drängte bei einer Gelegenheit, wo die andern seine Worte nicht hören konnten, sein Pferd an das meinige und fragte:
»Sind Sie noch immer besorgt, Sennor?« »Ja.« »Aber es kann doch gar nichts geschehen!« »Warten wir es ab!«
»Die Soldaten können uns gar nichts anhaben, selbst wenn sie wirklich etwas Feindseliges planen. Ein Ruf von mir, ein Pfiff, und alle meine Gauchos eilen zu unserer Hilfe herbei!«
»Das ist das einzige, was mich zu beruhigen vermag.« »So lassen Sie also Ihre Angst fallen!« »Angst? Pah!«
Jetzt schob sich der Lieutenant geflissentlich zwischen uns. Er wollte es verhüten, daß wir unter vier Augen miteinander sprachen. Das befestigte natürlich meinen Verdacht. Monteso machte uns jetzt darauf aufmerksam, daß wir in eine Hürde kämen, in welcher sich die besten und ungezähmtesten seiner Pferde befänden. Da war die Hecke dichter und höher als anderwärts. Der Eingang wurde durch sehr starke Holzpfosten verschlossen, welche zurückgeschoben werden mußten, damit wir hinein konnten.
Wir sahen da allerdings Pferde, welche noch nicht geritten worden waren, denn keines trug die unvermeidlichen Spuren der großen, scharfen Sporenräder. Prächtige Exemplare waren dabei; dennoch sah ich keines, für welches ich meinen Braunen hätte umtauschen mögen. Ueberhaupt bemerkte ich, daß der Lieutenant demselben eine Aufmerksamkeit schenkte, welche mir nicht lieb sein konnte. Er erklärte, daß er hier unmöglich kaufen könne, da die Pferde zu wild seien, um in der Schwadron geritten werden zu können. Wir verließen also auch diesen Platz, welcher wohl beinahe eine Wegstunde von der Estanzia entfernt lag. Einige Gauchos begleiteten uns bis an den Eingang zurück. Dort stiegen sie von ihren Pferden, um die Planken wieder zu entfernen. Wir kamen in das Freie und ritten nun die Kaktushecke entlang, um zu der letzten Pferdeherde zu kommen. Die Hecke bildete eine Ecke, um welche wir biegen mußten. Eben als wir dies thun wollten, sah ich einen Kavalleristen, welcher von der andern Seite hervorkam.
»Halt!« rief ich. »Nicht weiter!«
Aber da gab der Lieutenant meinem Pferde einen Hieb mit der Peitsche, daß es um einige Längen vorschoß. Ehe ich es zum Halten bringen konnte, waren wir von gewiß über fünfzig Reitern umgeben, welche " hinter der Ecke hervorgeschossen kamen und uns umringten. Sie trugen alle dieselbe Uniform oder vielmehr Kleidung, welche ich bei den Begleitern des Lieutenants beschrieben habe. Verwegene, abgelumpte Gestalten, die man viel eher für Räuber als für Soldaten hätte halten mögen.
Sie hatten uns hinter der Kaktusecke erwartet. Der Soldat, dessen Fehlen ich bemerkt hatte, war fortgeritten, um sie zu benachrichtigen, daß und wann wir kommen würden. So viel war mir nun klar.
Sie drängten sich so eng an uns, daß unsere Pferde sich kaum bewegen konnten. Deshalb rief ich:
»Was soll das bedeuten! Zurück mit euch!«
»Unsere Gefangenen seid ihr!« antwortete der Anführer.
»Weshalb?«
»Das werdet ihr erfahren.«
»So gebt Raum zum Sprechen! Platz gemacht!«
Ich nahm mein Pferd hoch und schlug ihm die Fersen in den Leib. Es stieg empor, und ich riß es im Halbkreise herum. Dann ließ ich es vorn wieder nieder und zwang es, hinten auszuschlagen. Es schnellte die Hinterbeine hoch empor, und ich bekam Platz, denn diejenigen, welche mir nahe hielten, mußten zurückweichen, damit ihre Pferde nicht getroffen wurden.
»Hallo!« rief der Anführer. »Gebt keinen Weg frei! Fort, Galopp!«
Das war ein sehr kluger Streich von ihm. Seine Truppe setzte sich augenblicklich in Bewegung und riß uns mit fort. Wir schossen im Galopp über den Camp dahin, so daß ich weder Zeit noch Raum fand, mir Platz zu machen und aus der Mitte des dichten Haufens herauszukommen. Kaum fand ich Zeit, nach Monteso zu sehen. Seine Ueberraschung war so groß gewesen, daß er gar nicht daran gedacht hatte, seinen Gauchos zu pfeifen. Selbst wenn er das gethan hätte, wäre es ohne Erfolg geblieben. Wir hätten auf jeden Fall die Uebermacht gegen uns gehabt.
Wie eine Estampeda, so nennt der Spanier eine ausgebrochene, flüchtende Pferdeherde, flogen die Tiere dahin. Ich gab mir alle Mühe, zurückzubleiben oder wenigstens mir mehr Raum zu verschaffen, vergeblich. Ich hörte Montesos fluchende und wetternde Stimme. Niemand antwortete ihm. Ich meinesteils sagte kein Wort, hielt auch endlich in meinem Sträuben inne und ließ mich mit fortreißen. Es ging weiter und immer weiter. Dabei vermieden die Kerle die Nähe von Niederlassungen. Nur einzelne Gauchos oder Peons, welche sich auf dem Felde bei den Pferden befanden, sahen uns vorüberjagen und blickten uns verwundert nach.
So ging es eine halbe Stunde lang. Von den Pferden troff der Schweiß. Es wurde nur getrabt; aber man hielt uns dabei ebenso eng umschlossen, wie vorher. Ich fand nun doch Zeit, diese Kavalleristen aufmerksamer zu betrachten.
Von einer einheitlichen Uniform war keine Rede. Die Leute trugen zwar alle die Chiripa und den Poncho in schreienden Farben; aber außer diesen beiden Kleidungsstücken hatte sich ein jeder nach Belieben ausstaffiert. Einige von ihnen hatten Schießwaffen; die übrigen befanden sich im Besitz von Lanzen. Außerdem waren alle ohne Ausnahme mit dem Lasso und der Bola versehen. Selbst wenn ich die Verhältnisse des Landes, in welchem ich mich befand, in Betracht zog, mußte ich diese Kerle eher für zusammengelaufene Abenteurer, als für regelrechte Kavalleristen halten. Der Anführer war in eine schreiende Phantasieuniform gekleidet und trug kein Abzeichen seines Ranges. So, wie er aussah, konnte man sich einen Rinaldini vorstellen.
Monteso hatte sich hinter mir befunden. Jetzt gelang es ihm, mir an die Seite zu kommen.
»Was sagen Sie zu so einer Infamie, Sennor?« fragte er mich, vor Aufregung schnaubend.
»Nichts!« antwortete ich kurz.
»Ich werde die Menschen streng bestrafen lassen!«
»Zunächst wird Ihnen das unmöglich sein. Hätten Sie nur auf mich gehört!«
»Bitte, keine Vorwürfe! Sobald man anhält, werde ich sprechen. Diese Halunken sollen Respekt bekommen!«
Man verbot uns das Reden nicht; aber man lachte laut über die machtlosen Drohungen Montesos. Er war ganz der Ansicht, daß es geraten sei, allen möglichen Widerstand zu leisten. Ich riet ihm davon ab. Noch wußten wir ja gar nicht, was man von uns eigentlich wollte. Günstigen Falles hatte man uns nur zu einem unfreiwilligen Ritt über den Camp gezwungen. Und ungünstigen Falles konnte die Sache auch nicht allzu gefährlich werden, weil wir gar nichts verbrochen hatten. Ich stellte ihm das vor und beruhigte ihn dadurch wenigstens so weit, daß er jeden unnützen Widerstand aufgab.
Wir hatten eine ganz bedeutende Strecke zurückgelegt, als man endlich den Pferden erlaubte, im Schritt zu gehen. Jetzt konnte man reden. Darum wendete ich mich an den Anführer:
»Sennor, wann werden wir erfahren, aus welchem Grunde und zu welchem Zwecke man uns zu diesem Ritte gezwungen hat?«
»Am Lagerplatze,« antwortete er kurz. »Und nun schweigen Sie! Ich habe keine Lust, mich unterwegs mit Ihnen zu befassen!«
Das klang sehr streng und feindselig, so wie man einen Lumpen, einen Halunken anschnauzt. Darum antwortete ich ihm in demselben Tone:
»Ich ersuche Sie, höflicher zu sein! Sie haben keinen Knecht vor sich!«
»Was Sie sind, das werde ich Ihnen später sagen und beweisen! Wenn Sie jetzt nicht schweigen, verfahre ich strenger und lasse Sie fesseln, wie es solchen Leuten zukommt.«
Ich schwieg. Monteso knirschte wütend mit den Zähnen.
Wir waren bisher durch offene Gegend gekommen. Jetzt aber sahen wir Berge vor uns, das heißt, was man in jenen Gegenden versucht ist, Berge zu nennen. Es waren nur höhere Bodenwellen mit zerstreuten Felsen darauf. Als wir sie erreicht hatten, sahen wir jenseits einen Fluß, welcher sich in fast schnurgerader Linie quer über unser Gesichtsfeld zog.
»Das ist der Rio Yi, welcher ein wenig weiter abwärts in den Rio Negro fällt,« erklärte Monteso. »Da unten wird der Lagerplatz sein.«
Zu beiden Seiten des Flusses gab es einen schmalen Streifen lichten Baum- und Buschwerkes. Wald konnte man es nicht wohl nennen. Weit oben zur Rechten sah ich einen Rancho liegen. Im übrigen schien die Gegend sehr einsam zu sein. Nicht einmal eine Herde war zu erblicken.
Als wir von der Höhe herabgeritten waren und uns nun dem Flusse näherten, sah ich einen Reiter, welcher uns langsam von dorther entgegenkam. Ich erkannte den Menschen sofort, und auch Monteso fragte mich:
»Sehen Sie diesen Halunken? Wissen Sie, wer er ist?«
»Der Comisario criminal. Ich ahnte, daß er seine Hand im Spiele habe.«
»Hätte ich eine Flinte, so schösse ich ihn nieder!«
»Das verbietet sich von selbst. Schweigen wir jetzt.«
Der Spitzbube begrüßte den Anführer sehr höflich. Er nannte denselben Major. Aus seinen Augen schien kein Blick auf uns zu fallen; aber sein Gesicht strahlte förmlich vor Befriedigung. Natürlich kehrte er um, indem er mit uns zum Flusse ritt. Dort wurde unter Bäumen Halt gemacht und abgestiegen.
Der Boden war hier sumpfig, jedenfalls der Grund, daß wir keine weidenden Tiere gesehen hatten. Man hielt uns natürlich auch jetzt noch eng umringt, doch konnte ich den Fluß bequem sehen. Er war nicht allzu breit, schien aber tief zu sein.
Wir waren ebenfalls abgestiegen. Der Platz, an welchem wir uns befanden, stach vorteilhaft von seiner Umgebung ab, da er sandig und trocken war. Dennoch eignete er sich nicht zum Lagern. Wer befindet sich gern in sumpfiger Gegend, wo böse Dünste herrschen und allerlei Insekten die Menschen und Tiere belästigen! Aus diesem Grunde beabsichtigte die famose Kavallerie wohl nicht, sich lange hier zu verweilen und unser Schicksal sollte hier entschieden werden.
Der Ort war frei von Sträuchern und groß genug, daß die Leute mit ihren Pferden einen undurchdringlichen Kreis bildeten, in dessen Mitte wir beide uns befanden. Es wurden einige Pferde abgesattelt. Man legte die Sättel in den Sand, damit sie den Herren, welche über uns richten sollten, als Sitze dienen möchten. Die Richter waren der Major, der Lieutenant und drei andere Kerle, welche wir Rittmeister, Oberlieutenant und Wachtmeister nennen hörten. Der liebe Kommissar stand bei ihnen. Monteso befand sich in einer außerordentlichen Aufregung. Gleich als wir von den Pferden stiegen, hatte er losbrechen wollen, doch hatte ich ihn gebeten, vorläufig zu schweigen und erst abzuwarten, was man beginnen und wessen man uns beschuldigen werde.
So standen wir ruhig nebeneinander und sahen zu, wie die fünf Sennores sich niedersetzten und die größte Mühe gaben, ihre Gesichter in würdevolle Züge zu legen. Jetzt begann der Major in strengem Tone:
»Sie haben vorhin gefragt, weshalb wir Sie hierher geführt haben. Sie werden nun unsere Antwort und auch Ihr Urteil erhalten. Sie sind nämlich wegen Aufruhr und Landesverrat in Anklagestand zu setzen.«
Er schien der Ansicht zu sein, daß er uns mit diesen Worten förmlich niedergeschmettert habe; das war aus dem Gesicht zu ersehen, welches er uns machte. Monteso wollte losplatzen; ich winkte ihm, zu schweigen, und antwortete dem Offizier:
»Wer hat diese Anklage gegen uns erhoben?«
»Dieser Sennor.«
Er zeigte auf den Kommissar.
»Das ist unmöglich. Eine Anklage kann nicht von einem einzelnen Menschen, sondern sie muß von einem Gericht erhoben werden. Der Mann, den Sie meinen, könnte höchstens als Zeuge auftreten.«
»Das thut er auch. Das Gericht aber sind wir, nämlich das Militärgericht.«
»Selbst wenn ich Sie als Militärrichter anerkennen wollte, würden Sie in dem vorliegenden Falle nicht kompetent sein. Ich bin ein Fremder, aber dennoch weiß ich, daß das Verbrechen des Aufruhrs und des Landesverrates von den Geschworenen und in höherer Instanz von dem Appellationsgericht abzuurteilen ist.«
»Nach Ihrer Anerkennung haben wir nicht zu fragen!«
»O doch! Selbst ein Verbrecher hat seine unantastbaren Rechte, und als einen Verbrecher darf man nur dann einen Menschen bezeichnen, wenn er überführt worden ist.«
»Wir werden Sie überführen!«
»Das bezweifle ich. Hätte ich Waffen bei mir, so würde ich überhaupt gar nicht mit Ihnen sprechen, wenigstens nicht durch Worte, sondern mit Kugeln.«
Mit diesen Worten verfolgte ich eine bestimmte Absicht. Die Kerle sollten gar nicht auf den Gedanken kommen, mich nach Waffen zu durchsuchen. Ich begann zu ahnen, daß es zum Kampfe kommen werde. Ueber fünfzig Mann gegen nur zwei? War es nicht Wahnsinn oder Lächerlichkeit, da an Kampf zu denken? Nun, man sieht eben, wie es geht. Ein wenig List ist unter Umständen von besserer Wirkung, als eine Armstrongrevolverkanone. Die Sennores, wenn es überhaupt welche waren, machten auf mich nicht den Eindruck, als ob sie nicht zu überlisten seien. Mit Gewalt war nichts zu erreichen, wenigstens nicht mit Gewalt allein. Ich that also, als ob ich mich ganz wehrlos befände.
»Ja, Gewehre haben Sie nicht!« meinte er befriedigt. »Und Ihre Messer werden Sie jetzt ablegen.«
»Das thue ich nicht! Sie haben kein Recht, sie mir abzufordern.«
»Was Sie bestreiten oder nicht, das ist uns sehr gleichgültig. Was wir einmal entschlossen sind, zu thun, das werden wir auch thun, ohne zu fragen, ob es Ihnen gefällt. Nehmt ihnen die Messer ab!«
Diesem Befehle kamen einige der Soldaten nach, welche zu uns traten und die Hände nach uns ausstreckten. Monteso weigerte sich, sein Messer herzugeben. Sie hielten ihn fest und nahmen es ihm mit Gewalt. Ich gab ihnen meine beiden, ohne es zu einer Gewaltthätigkeit kommen zu lassen. Der Major steckte die drei Messer in seinen Gürtel, als ob sie jetzt sein Eigentum geworden seien. Dann sagte er:
»Ich werde das Verhör beginnen und hoffe, daß ihr mir
brav antworten werdet. Ihr steht beide am Rande des Grabes und werdet wohl nicht so unverständig sein, euch den
Tod zu erschweren. Zunächst mag der Zeuge beginnen.
Wessen beschuldigen Sie diese beiden Leute, Sennor Carrera?«
»Des Mordversuches, der Körperverletzung, des Aufruhres und der Verschwörung.«
»Haben Sie hiefür Beweise?«
»Ja, Beweise, denen gar nicht widersprochen werden kann.«
»So steht es schlecht um die Gefangenen. Also zunächst den Mordversuch. Wo ist das geschehen?«
»In Montevideo, vor drei Tagen.«
»Wer sollte ermordet werden?«
»Ein Vetter von mir. Er wurde von diesem Deutschen des Abends an dem Hause des Organisten überfallen.«
»Aber nicht getötet?«
»Nein. Es gelang ihm glücklicherweise, zu entkommen. Dann aber kamen die beiden Angeklagten ihm bis in seine Wohnung nach, welche er bei einem seiner Freunde hatte. Dort haben sie ihn überfallen, festgebunden und so geschlagen, daß er halb tot war, als sie ihn verließen.«
»Giebt es dafür Zeugen?«
»Ja. Ich kann ihre Namen nennen, sie wohnen aber in Montevideo.«
»Das schadet nichts. Wir brauchen sie nicht, denn wir haben keine Zeit, diese Leute von so weit herzuholen. Wir werden die Angeklagten auch ohne diese Zeugen überführen. Uebrigens bin ich überzeugt, daß Sie die volle Wahrheit gesagt haben, Sennor Carrera, denn man sieht es den beiden sofort an, wes Geistes Kinder sie sind. – Was haben denn nun Sie zu der Anklage zu sagen?«
Diese Frage war an uns gerichtet. Ich fühlte mich nicht im mindesten aufgeregt, denn seit ich den Kommissar gesehen hatte, wußte ich, daß man uns mit Lügen bedienen werde. Darum konnte seine Aussage mich ganz und gar nicht befremden. Monteso aber war nicht so ruhig. Es wäre ihm, der Südländer war, ganz unmöglich gewesen, so kaltblütig zu sein, wie ich es war. Er trat einige schnelle Schritte auf den Major zu und antwortete:
»Was wir sagen? Lüge, nichts als Lüge ist es, was dieser Mensch gegen uns vorbringt. Nicht mein Freund hat jenen Mann überfallen, sondern er ist von demselben angegriffen worden.«
»So! Können Sie das beweisen?«
»Natürlich. Mein Gefährte hier kann es beschwören.«
»Das geht nicht, denn der Angeklagte darf nicht sein eigener Zeuge sein.«
»So kann es der Organista beschwören, an dessen Hause es geschehen ist und welcher Zeuge des Vorganges war.«
»Ist der Organista hier?«
»Nein. Das wissen Sie ebenso gut wie ich.«
»So kann er eben nicht zeugen.«
»Ich verlange, daß er geholt werde!«
»Dazu haben wir keine Zeit, Sennor. Uebrigens brauchen wir ihn gar nicht, denn wir wissen auch ohne ihn, daß ihr schuldig seid.«
»Nichts, gar nichts können Sie wissen!«
»Wollen Sie mich nicht in dieser Weise anschreien! Ich bin der Vorsitzende dieses Militärgerichtes und würde nötigenfalls dafür sorgen, daß Sie sich höflicher benehmen!«
Das stachelte den Zorn Montesos noch mehr auf.
»Ich bin höflich genug!« rief er aus. »Der Zeuge sagt gegen uns aus, und wir bestreiten die Wahrheit seiner Behauptungen. Seine Zeugen befinden sich ebenso wie die unserigen in Montevideo. Also handelt es sich nur noch um die persönlichen Behauptungen. Was diese betrifft, so stehen wir zwei gegen einen!«
»Er ist aber bereit, die Wahrheit seiner Anklage zu beschwören!«
»Wir erklären uns ebenso bereit, zu beeiden, daß er lügt.«
»Da ihr die Angeklagten seid, könnt ihr nicht zum Schwure kommen, und der Prozeß ist also für euch verloren.«
»Nun, dann hole euch der Teufel!«
»Nein, er wird uns nicht holen!« rief der Major beleidigt. »Ich warne euch. Wenn ihr noch einen solchen Wunsch aussprecht, werde ich euch prügeln lassen. Merkt euch das!«
»Wagt es nur! Sie werden sich wegen Ihres heutigen Verhaltens zu verantworten haben, Sennor! Ich werde Sie anzeigen!«
»Lächerlich! Sie haben gar keine Zeit dazu. Sie werden überführt und erschossen oder da im Wasser ersäuft!«
»Das sollte man wagen!«
»Wir werden es getrost wagen, wenn es Ihnen nicht gelingt Ihre Unschuld zu beweisen.«
»Aber Sie machen uns diesen Beweis zur Unmöglichkeit! Wir werden ja Zeugen bringen.«
»Dazu giebt es keine Zeit und also ist es unnötig.«
»Nun, so können wir nur einfach sagen, daß dieser Sennor Carrera lügt.«
»Das glauben wir nicht. Ihm schenken wir mehr Vertrauen als euch. Der Fremde hat seinen Freund wirklich erstechen wollen.«
»Nun wohl! Aber, was habe denn ich dabei gethan?«
»Nichts. Aber dann sind Sie nach der Wohnung des Betreffenden gekommen, haben ihn überfallen und blutrünstig geschlagen. Leugnen Sie das?«
»Nein.«
»Also erklären Sie sich der Körperverletzung für schuldig?«
»Nein. Wir haben einen Schuft durchgeprügelt. Seine Haut hat dabei einige Risse erhalten. Wenn das Körperverletzung ist, nun wohl, so rechnen Sie es dafür.«
»Nun, was reden Sie denn da von Unschuld! Sie machen sich den Tod schwer!«
»Den Tod? Wer sollte mich zum Tode verurteilen, weil es mir gelungen ist, einem Schufte die Haut zu gerben?«
»Wir, Sennor! Wir werden Sie verurteilen, und Sie müssen sich in das Urteil fügen. Sie würden sehr klug handeln, wenn Sie sich bemühten, alles Leugnen und allen Widerspruch aufzugeben. Wir werden leider gezwungen sein, sie beide zu töten; doch wünsche ich, daß ihr Tod ein möglichst sanfter und milder sei.«
»Den Teufel auch! Ich will weder sanft noch unsanft ermordet sein! Verstehen Sie, Sennor! Und für einen Mord erkläre ich es, was Sie vorhaben. Wegen des Durchprügelns eines schlechten Kerls verurteilt man doch nicht zum Tode!«
»O doch! Wir haben nach den Kriegsgesetzen zu richten! Ich erkläre den Ort, an welchem wir uns gegenwärtig befinden, in Belagerungszustand. Nun werden Sie wohl einsehen, daß ich zur allergrößten Strenge gezwungen bin!«
»Das sehe ich ganz und gar nicht ein. Ich erkläre abermals, daß ich mir von Ihnen gar nichts sagen und gefallen lassen werde!«
»Und ich wiederhole Ihnen, daß ich keine Lust habe, mich von Ihnen beleidigen zu lassen. Wenn Sie fortfahren, in dieser Weise zu mir zu sprechen, so haben Sie es sich selbst zuzuschreiben, daß ich zu strengeren Maßregeln greife!«
»Wollen Sie etwa drohen? Es fällt mir denn doch nicht ein, mich wie einen Verbrecher von Ihnen behandeln zu lassen.«
»Nun, so versuchen Sie einmal, was Sie dagegen zu thun vermögen! – Bindet den Mann!«
Auf diesen Befehl traten fünf oder sechs Kavalleristen zu dem Yerbatero. Er wehrte sich, aber vergebens. Man band ihm die Hände auf den Rücken. Er schimpfte in allen Tonarten. Ich winkte, ich warf ihm warnende Worte zu, doch auch vergeblich. Er forderte mich auf, ihm zu helfen, ihn loszubinden, und als ich das nicht that, schimpfte er auf mich. Er brachte es dadurch so weit, daß man ihm auch die Füße band und ihn nun lang in den Sand legte. Ich hätte zu meinen Revolvern greifen können, um die Leute vielleicht einzuschüchtern, war aber überzeugt, daß dies unsre Lage nicht verbessern, sondern nur verschlimmern werde. Vielleicht hätten wir Raum bekommen, uns auf die Pferde zu werfen und fortzureiten; aber auch das gefiel mir nicht. Wir standen ja mitten im Kreise. Ein Entkommen war nur dann möglich, wenn es uns gelang, uns rückenfrei zu machen und die Kerls in Schach zu halten. Ihre Messer und Lanzen fürchtete ich nicht, ihre Gewehre und Lassos auch nicht; aber die Bolas waren uns im höchsten Grade gefährlich. Wenn es uns auch wirklich gelingen sollte, ihnen den Rücken zu wenden, was konnten wir gegen fünfzig Bolas thun, welche uns nachgeschleudert wurden!
Es galt, kaltblütig und klug zu sein. Auf Monteso brauchte ich nun nicht mehr zu rechnen. Er lag gebunden an der Erde und konnte mir keine Hilfe leisten, war vielmehr auf die meinige angewiesen. Wie ich ihm und mir selber helfen solle und helfen könne, wußte ich freilich selbst noch nicht.
Jetzt wendete sich der Major zu mir:
»Ich hoffe, Sennor, daß nicht auch Sie mir mein Amt schwer machen. Sie sehen, daß Widerstand nutzlos ist. Ergeben Sie sich also in Ihr Schicksal!«
»In ein unvermeidliches Schicksal sich zu ergeben, ist keine Kunst, Sennor. So lange ich aber mich von dieser Unvermeidlichkeit noch nicht überzeugt habe, kann ich mich nicht ergeben.«
»Sie werden bei einigem Nachdenken gewiß einsehen, daß Sie verloren sind!«
»Eben das kann ich nicht einsehen. Sie haben mich ganz widerrechtlich meiner Freiheit beraubt. Sie sind keineswegs die Behörde, welcher das Recht zusteht, sich meiner Person zu bemächtigen.«
»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß es vollständig genügt, daß wir selbst uns für kompetent halten.«
»Nun, so sage ich Ihnen, daß ich mich der Gewalt nur mit Einspruch fügen werde. Ich bin bereit, Ihnen meine Aussagen zu machen und wie ein Caballero zum Caballero zu Ihnen zu sprechen, stets aber nur mit dem Vorbehalte, daß ich Sie für nicht kompetent erkläre.«
»Dieses letztere ist Nebensache; die Hauptsache ist, daß Sie nicht uns und sich selbst Schwierigkeiten bereiten. In dieser Beziehung freut es mich, zu vernehmen, daß Sie zu ruhigen und sachgemäßen Antworten bereit sind. Sie geben also wohl zu, daß Sie sich des Mordversuches schuldig fühlen?«
»Leider kann ich Ihnen in dieser Beziehung nicht gefällig sein, Sennor. Ich habe nicht versucht, einen Menschen zu töten.«
Er zog einige Cigaretten aus der Tasche, brannte sich eine an, hielt mir eine zweite entgegen und sagte:
»Sie versprachen, sich als Caballero zu verhalten. Ich denke, Sie werden dieses Versprechen erfüllen. Bitte, stecken Sie sich diesen Cigarillo an! Er wird Ihnen munden, denn die Sorte ist gut. Also, kürzen Sie das Verfahren dadurch ab, daß Sie ein kurzes, offenes Geständnis ablegen!«
Ich brannte meine Cigarette an der seinigen an, verbeugte mich dankend und antwortete:
»Selbst wenn von einem Eingeständnisse die Rede sein könnte, müßte demselben verschiedenes vorangehen, was bisher unterlassen worden ist.«
»So bitte, uns zu sagen, was wir vergessen haben!«
»Ich wiederhole, daß ich Sie nicht für kompetent halte. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, muß man sich gegenseitig kennen. Die Angeklagten müssen erfahren, vor welchem Gerichte sie stehen; es müssen ihre Namen und diejenigen der etwaigen Zeugen genannt werden. Es muß ein öffentlicher Ankläger, ein Staatsanwalt vorhanden sein; den Angeklagten müssen Verteidiger zur Seite stehen. Kurz und gut, ich vermisse Verschiedenes, was eigentlich vorhanden sein sollte. Sie werden das gütigst entschuldigen!«
»Ich entschuldige es ebenso, wie Sie uns entschuldigen werden, Sennor. Die Verhältnisse liegen leider so, daß wir keine Zeit haben, Formalitäten zu erfüllen, welche glücklicherweise nur ganz nebensächlich sind. Sie wurden angezeigt, und wir verurteilen Sie zum Tode. Das ist die Hauptsache, und alles übrige ist zeitraubend. Ich erkenne aber an, daß Sie sich einer weit größern Höflichkeit befleißigen, als Ihr Gefährte, und darum will ich Ihren Wünschen entgegenkommen. Ich bin Major Cadera von der Nationalgarde. Sie werden meinen Namen gehört haben?«
»Leider noch nicht, da ich mich erst seit wenigen Tagen hier befinde.«
»Schadet nichts, da Sie mich nun ja gleich persönlich kennen lernen. Soll ich Ihnen meine Herren Kollegen auch vorstellen?«
»Danke! Ihr Name genügt, Sennor!«
»Das freut mich! Ich sehe, daß Sie die Angelegenheit jetzt wirklich vom Standpunkte eines Caballero aus betrachten. Es thut mit außerordentlich leid, einen Mann von Ihrer Bildung und Ihren Eigenschaften hinrichten lassen zu müssen, doch hoffe ich, Ihre Verzeihung zu erhalten, da ich gezwungen bin, meine Pflicht zu thun.«
»Und ich bedaure außerordentlich, Sie dadurch betrüben zu müssen, daß ich meine Hinrichtung für etwas noch sehr Fragliches halte.«
»Ich ersuche Sie, von dieser irrigen Meinung abzustehen, Sennor. Es ist beschlossen, daß Sie sterben müssen, denn man kennt Ihre Verbrechen.«
»So bitte ich, mir den Namen des Mannes zu nennen, welcher gegen uns zeugt.«
»Es ist hier Sennor Mateo Zarfa, den Sie ja bereits kennen.«
»Er ist wohl Kaufmann?«
»Allerdings, aber gewesen. Jetzt privatisiert er.«
»Das habe ich mir gedacht. Er bekleidet also nicht das Amt eines Comisario criminal? Er hat uns belogen!«
»Das schadet nichts. Er stieß auf uns und machte mir die Anzeige. Er hat nichts verschweigen dürfen. Nun kennen Sie mich und auch ihn. Damit ich Sie ganz befriedige, mag nun auch die Identität der beiden Angeklagten nachgewiesen werden. Mit Ihrem Gefährten werde ich wenigstens einstweilen nicht wieder sprechen; er hat mich und in mir den ganzen Militärgerichtshof beleidigt. Sie aber sind ein höflicher Mann. Sagen Sie mir, wer er ist!«
»Er ist Sennor Mauricio Monteso, Mitbesitzer der Estanzia del Yerbatero, von wo Sie uns entführt haben.«
»Sie täuschen sich, Sennor. Ihr Gefährte ist nicht derjenige, für den er sich ausgegeben hat.«
»Er ist es. Ich bezeuge es.«
»Ihr Zeugnis ist hier wertlos, da Sie ja selbst Angeklagter sind. Ihr Kamerad ist ein einfacher Yerbatero, welcher sich als Verschwörer in Montevideo herumgetrieben hat. Sie haben sich von ihm täuschen lassen. Gehen wir lieber zu Ihrer Person über. Sie behaupten, ein Ausländer zu sein und sich nur seit wenigen Tagen hier zu befinden? Können Sie es beweisen?«
»Ich habe einen Paß.«
»Ich bitte, mir denselben zu zeigen.«
Es war gefährlich, ihm diese Legitimation in die Hand zu geben, denn es ließ sich voraussehen, daß er sie mir nicht zurückstellen werde. Da aber fünfzig Personen bereit standen, seinem Verlangen Nachdruck zu geben, so zog ich meine Brieftasche hervor und gab ihm den Paß aus derselben. Er las ihn, legte ihn zusammen und steckte ihn ganz so, wie ich es vermutet hatte, ein. Dann fragte er:
»Dieser Paß ist also wirklich der Ihrige?«
»Ja. Ich pflege nicht mit fremden Legitimationen zu reisen.«
»Und Sie sind also in Wahrheit derjenige, für welchen Sie da ausgegeben werden?«
»Allerdings.«
»Ich glaube Ihnen, denn Sie sehen nicht wie ein Lügner aus. Aber Sie tragen noch andere Gegenstände und Sachen bei sich.
Sie wissen vielleicht, daß ein Angeklagter nichts in den Taschen haben darf. Ich muß Sie ersuchen, mir alles auszuantworten. Geben Sie Ihr Geld her!«
Ich gab ihm die Brieftasche und auch den Geldbeutel.
»Feigling!« hörte ich Monteso grimmig sagen.
Ich achtete natürlich nicht auf dieses Wort, desto mehr aber auf den Ort, an welchem mein Geld aufbewahrt wurde. Der Major steckte es in die innere Brusttasche seines blauen, mit goldenen Schnüren besetzten Uniformfrackes.
»Auch eine Uhr haben Sie, wie ich sehe,« fuhr er fort. »Sie werden einsehen, daß ich auch diese verlangen muß.«
»Hier ist sie,« antwortete ich gehorsam.
Er schob sie in die äußere Tasche des Frackes und meinte dabei in befriedigtem Tone:
»Haben Sie noch andere Gegenstände, welche ich konfiszieren muß?«
»Ich kann Ihnen weiter nichts zur Verfügung stellen. Sie besitzen nun mein ganzes Vermögen.«
»Und Ihre Waffen auch,« nickte er. »Wollen Sie nun überzeugt sein, daß Sie sich ganz und gar in unserer Gewalt befinden?«
»Ich sehe es ein.«
»Das freut mich, denn nun darf ich erwarten, daß Sie sich in Ihr Schicksal ergeben werden. Die von Ihnen erwähnten Formalitäten sind erfüllt. Wir können nun zur Sache selbst übergehen, und ich wiederhole meine Frage, ob Sie sich des Mordversuchs schuldig fühlen.«
»Davon kann keine Rede sein, da gerade ich selbst es war, welcher ermordet werden sollte.«
Ich berichtete kurz das Erlebnis, aber die Leute hörten nur halb auf meine Worte. Sie hatten sich gegenseitig angelächelt, als ich die Uhr und das Geld hergab. Hatte ich denn wirklich Soldaten oder Wegelagerer vor mir? Auch der Major selbst schenkte meiner Erzählung nur eine geteilte Aufmerksamkeit. Als ich geendet hatte, fragte er:
»Und Sie behaupten, die Wahrheit gesagt zu haben?«
»Ja. Ich kann es beschwören.«
»Als Angeklagter kommen Sie nicht zum Schwur. Der Gegenzeuge mag sich jetzt hören lassen.«
Der ›Kriminal‹ folgte dieser Aufforderung, indem er erklärte:
»Was dieser Fremde sagt, ist Lüge. Er hat meinen Freund angefallen und ihn, als derselbe sich durch die Flucht rettete, mit den Yerbateros bis in die Wohnung verfolgt, wo der Aermste bis auf das Blut gepeitscht worden ist.«
»Aber nicht auf meine Veranlassung. Sennor Monteso wird bezeugen, daß ich mich entfernt hatte, als der Mann geschlagen wurde. Ich kehrte auch bald zurück, um Einhalt zu thun.«
»Lüge, nichts als Lüge!«
»Hören Sie es? Der Zeuge erklärt Ihre Worte für Lüge,« sagte der Major.
»Er hat natürlich seine Gründe dazu, und es kommt nun darauf an, wem Sie glauben, ihm oder mir.«
»Natürlich ihm; dazu bin ich verpflichtet.«
»Und doch sagten Sie vorhin, daß ich nicht das Aussehen eines Lügners habe.«
»Nur betreffs des Gegenstandes, um den es sich vorhin handelte.«
»Sie haben aber selbst zugegeben, daß der Zeuge ein Lügner ist. Ich kann ihn als Belastungszeugen nicht anerkennen. Er hat seinen Dienstherrn bestohlen.«
»Das gehört nicht hierher, Sennor. Ich habe seinen Worten Glauben zu schenken und Sie zum Tode zu verurteilen. Nun bleibt noch die Frage des Aufruhres und des Landesverrates offen. Was haben Sie dazu zu sagen?«
»Daß ich keine Ahnung habe, in welcher Weise ich mich eines solchen Verbrechens schuldig gemacht habe.«
»Man wird Ihnen gleich beweisen, daß Sie jetzt die Unwahrheit sagen. Sennor Mateo, was hörten Sie im Garten des Kaufmanns Rixio in San José«
Ah! Sollte der Mensch sich in den Garten geschlichen und gelauscht haben? Er hatte in dem Hause als Lehrling gewohnt und kannte also auch den Garten. Ich war begierig, zu hören, was er sagen werde.
»Ich besuchte einen meiner früheren Bekannten in San José,« erzählte er, »der sich als Peon bei Sennor Rixio befindet. Wir gingen miteinander in den Garten und hatten Gelegenheit, da ein sehr interessantes Gespräch zu belauschen. Die beiden Rixios saßen mit diesem Deutschen in der Laube und sprachen davon, daß Latorre gestürzt werden müsse. Um den Plan auszuführen, sollte die Aehnlichkeit benutzt werden, welche dieser Fremde mit Latorre hat. Er sollte nach dem Norden des Landes gehen, sich dort für Latorre ausgeben und einen Aufruhr ins Leben rufen. Unterdessen sollte Latorre auf ein einsames Landgut gelockt und dort durch zudringliche Gastlichkeit festgehalten werden, damit er sein Alibi nicht beweisen und man also behaupten könne, er selbst sei der Aufrührer gewesen.«
Ich war erstaunt. Also er hatte wirklich gehorcht, aber er drehte die Verhältnisse gerade auf die verkehrte Seite. Und dabei blickte er mir mit solch einer triumphierenden Unverschämtheit in das Gesicht, daß ich ihn am liebsten gleich niedergeschlagen hätte.
Die Soldaten schienen die Aussage des Lügners bereits zu wissen; das ersah ich aus ihren Mienen, in denen nichts zu lesen war als die Neugierde, wie ich diese Anschuldigung von mir weisen werde.
»Haben Sie es gehört, Sennor?« fragte mich der Major. »Was antworten Sie?«
»Es ist erlogen!«
»So! Waren Sie in San José bei Sennor Rixio? Haben Sie mit den beiden Sennores im Garten gesessen?«
»Ich kann es nicht leugnen.«
»Und über Politik, auch wohl über Latorre gesprochen?«
»Allerdings.«
»Wissen Sie, daß Sie eine sehr große Aehnlichkeit mit diesem Offizier besitzen?«
»Man sagte es mir.«
»Nun, so ist ja bewiesen, daß Sennor Mateo die Wahrheit gesagt hat.«
»Noch lange nicht. Wir haben in ganz anderer Weise über Latorre gesprochen.«
»Sie werden das nicht beweisen können.«
»Sehr leicht sogar! Ist Ihnen vielleicht bekannt, daß der Sohn von Sennor Rixio Offizier ist?«
»Ja. Ich kenne ihn persönlich. Er ist ein Colorado.«
»Und Sie? Was sind Sie?«
»Wollen Sie bedenken, daß Sie keine Fragen zu stellen haben! Ich bin es, der zu fragen hat.«
»Nun gut! Erkundigen Sie sich bei dem Rittmeister Rixio! Dann werden Sie erfahren, daß der Zeuge nur Lügen vorgebracht hat.«
»Dazu giebt es keine Zeit. Die Kriegsartikel verlangen ein schnelles Handeln.«
»Nun, meinetwegen! So thun Sie, was Ihnen beliebt. Die Folgen werden Sie zu tragen haben!«
»Die trage ich mit Vergnügen. Wir sind nämlich imstande, Ihnen nachweisen zu können, daß Sie sich haben bereit finden lassen, auf den gedachten Plan einzugehen.«
»So lassen Sie diesen Nachweis hören oder sehen!«
»Sogleich, Sennor. Mateo mag weitersprechen!«
Der Genannte erklärte:
»Es blieb nicht bei der Unterredung. Der Plan wurde angenommen und bis in das einzelne besprochen. Der Deutsche erhielt einen Empfehlungsbrief und eine Anweisung auf Bezahlung. Beides sollte er in Salto abgeben. Um ganz sicher zu gehen, wurde ein Duplikat angefertigt, welches sein Freund Monteso bei sich tragen sollte.«
»Geben Sie das zu, Sennor?« fragte mich der Major.
»Nein. Es ist Lüge.«
»Zu Ihrem Unglücke sind wir imstande, zu beweisen, daß es die Wahrheit ist. Mateo hat gesehen, wo Sie die Papiere verborgen haben.«
»Sonderbarerweise weiß ich das selbst nicht!«
»Wir werden es in Ihr Gedächtnis zurückrufen. Mateo hat auch Monteso beobachtet, und es ist ihm gelungen, zu sehen, wo dieser das Duplikat versteckte.«
»Ich soll Papiere versteckt haben?« rief der Yerbatero.
»Ja,« antwortete Mateo. »In Ihrer Jacke.«
»Kerl, du bist verrückt!«
»Beleidigen Sie mich nicht! Soll ich Ihnen die Stelle zeigen?«
»In Gottes Namen! Bin selbst darauf neugierig.«
»So mögen die Herren Offiziere mit zu dem Gefangenen kommen!«
Die Fünf standen auf und näherten sich Monteso. Mateo zog sein Messer und trennte an der Jacke des Yerbatero auf der Rückenseite die Naht des unteren Saumes auf. Zwei Papiere fielen heraus. Mateo hob sie auf und gab sie dem Major.
»Das ist der Beweis,« sagte er. »Jetzt werden die Kerls nicht mehr so frech sein, zu leugnen.«
Monteso brüllte vor Wut laut auf.
»Das ist ein Taschenspielerstück!« rief er. »Er hat die Papiere in der Hand gehabt, bevor er die Naht öffnete.«
»Schweigen Sie! Machen Sie sich Ihre Lage durch Leugnen nicht noch schwerer! Und, Sennor Mateo, hat auch dieser Deutsche solche Papiere bei sich?«
»Ja,« antwortete er.
»Geben Sie das zu?« fragte der Offizier nun mich.
»Ja,« antwortete ich sogleich.
Es war wirklich lustig, das Gesicht zu sehen, welches Mateo bei dieser meiner Antwort machte. Er war vollständig überzeugt gewesen, daß ich leugnen werde, da ich es ja nicht wissen konnte.
»Schön!« meinte der Major. »Es freut mich, daß Sie so weit Caballero sind, ein offenes Geständnis abzulegen. Wo sind die Papiere verborgen?«
»Das weiß ich nicht. Denn nicht ich habe die Papiere versteckt, sondern Mateo hat sie mir eingenäht. Er wird also wissen, wo sie zu finden sind.«
»Er soll sie Ihnen – – Sennor, machen Sie bei all Ihrer Aufrichtigkeit nicht doch noch Kapriolen!«
»Es sind keine Kapriolen. Mateo hat seine Gründe, uns zu schaden. Er schloß sich uns in Montevideo an, um die Gelegenheit dazu zu suchen; ich aber durchschaute ihn und jagte ihn fort. Das erhöhte seinen Haß. Er folgte uns heimlich. Ich fand Gastfreundschaft im Hause Rixio. Er kannte alle Orte desselben, da es seine Wohnung gewesen war, bis er schändlich davongejagt wurde, weil er seinen Herrn bestohlen hatte. Er schlich sich ein und kam in den Garten, wo er unsere Unterhaltung belauschte. Ich habe mich äußerst regierungsfreundlich benommen und kein illoyales Wort gesprochen. Mateo aber beschloß, das Gegenteil zu sagen und die Beweise dazu künstlich herzustellen. Während ich mich bei der Tertullia befand, schlich er sich in mein Zimmer, wo er sich jedenfalls unter das Bett verkroch. Als ich schlief, kam er hervor, um die Papiere, welche er wohl selbst geschrieben hat, in meiner Kleidung zu verstecken.«
»Sennor, das ist ja eine ganze Geschichte, welche Sie sich aussinnen!« sagte der Major.
»Ich sinne sie mir nicht aus. Sie hat sich wirklich ereignet. Ich wachte des Nachts auf und erblickte Mateos Gestalt. Aber ich kam zu spät, ihn zu ergreifen. Früh fand ich einen roten Faden auf der Diele. Da mein Jagdrock an den Nähten nach indianischer Weise mit roten Stichen verziert ist, so vermute ich, daß in ihm die Papiere stecken. Mateo hatte ja gesehen, daß die Naht rot ist, und sich in San José Zwirn von dieser Farbe verschafft. Auf einer weiteren Station erwischte ich ihn des Nachts dabei, daß er sich bei Sennor Monteso zu schaffen machte. Ich bin überzeugt, daß er ihm da die Papiere in die Jacke geflickt hat. Es war dazu weiter nichts nötig, als eine Naht aufzutrennen und dann wieder zuzumachen.«
»Lüge, nichts als Lüge!« lachte Mateo auf. »Wer das glaubt, macht sich lächerlich.«
»Keine Sorge!« antwortete ihm der Major. »Ich glaube es natürlich nicht. Haben Sie sich die Stelle gemerkt, an welcher die Papiere bei diesem deutschen Sennor stecken?«
»Sehr genau. Ich sah ja, daß der alte Rixio ihm hinten die Naht auftrennte. Weiteres abzuwarten, hatte ich keine Zeit. Aber ich möchte darauf schwören, daß die Papiere dort versteckt sind.«
»Zeigen Sie uns die Stelle!«
»Hier ist sie!«
Bei diesen Worten deutete der Kerl nach dem hintern Saume meines Jagdrockes. Ich griff hin und fühlte nun freilich, daß etwas dort steckte. Ich zog den Rock aus und sah die Stelle an. Das Futter bestand aus feinstem Hirschkalbfelle, so dünn und weich wie Kattun. Hier waren die ursprünglichen Stiche, welche man des Nachts mit den Fingerspitzen fühlen konnte, aufgetrennt und dann die Stelle durch neue Stiche, welche von der ursprünglichen Naht leicht zu unterscheiden waren, wieder geschlossen worden. Ich bat mir vom Major ein Messer aus und schnitt die Naht auf. Zwei Papiere steckten da, genau so wie in Montesos Jacke.
Ich hätte den Inhalt derselben gern gelesen, aber der Major griff rascher zu als ich und nahm mir auch das Messer augenblicklich wieder aus der Hand. Streng genommen, konnten die Zeilen mir sehr gleichgültig sein. Freilich gewann ich nun Gewißheit, woran ich war. ich befand mich in Lebensgefahr. Von wem der Anschlag ausging, wußte ich nicht genau; ich erfuhr es erst später. Ich sollte verschwinden. Meine Aehnlichkeit mit dem Oberst hatte gewisse Personen verleitet, aus sich heraus zu gehen. Wie leicht konnte ich etwas verraten!
Jetzt kehrten die Offiziere auf ihre Sitze zurück und lasen die Papiere, welche von Hand zu Hand gingen. Als sie fertig waren, besprachen sie sich leise; dann sagte der Major zu mir:
»Wir haben uns von Ihrer Schuld vollständig überzeugt. Hoffentlich haben Sie nicht die Absicht, sie zu leugnen?«
»Ich leugne nicht.«
»Schön! Da Sie es also eingestehen –«
»Halt!« unterbrach ich ihn. »Von einem Geständnisse ist keine Rede. Sie haben mich nicht richtig verstanden. Leugnen kann man nur etwas, was man wirklich gethan hat. Da ich nichts gethan habe, kann ich nichts leugnen. Ich stelle vielmehr ganz entschieden in Abrede, von diesen Papieren auch nur das geringste gewußt zu haben. Mateo selbst ist es gewesen, welcher sie bei uns versteckt hat.«
»Sennor, nehmt es mir nicht übel, aber ihr beide habt sehr viel Phantasie, wenn ihr annehmt, daß wir euch das glauben. Und was besonders Sie allein betrifft, so habe ich Ihnen genug Noblesse zugetraut, die Wahrheit ehrlich einzugestehen!«
»Danke für dieses Vertrauen! Ich habe aber gar nicht die Absicht, mich aus reiner Noblesse aufhängen zu lassen. Darf man denn nicht den Inhalt der Papiere kennen lernen?«
»Das geht nicht. Die Sache ist so wichtig, daß sie geheim gehalten werden muß. Sie geben also nicht zu, von ihr gewußt zu haben?«
»Nein.«
»Aber Sie geben zu, daß die Papiere bei Ihnen gefunden worden sind?«
»Das muß ich freilich zugeben.«
»Nun, das genügt. Haben Sie noch etwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?«
»Nein. Ich könnte manches sagen; aber ich weiß, daß jedes Wort vergeblich sein würde.«
»So werden wir uns über das Urteil beraten, welches augenblicklich vollzogen werden muß.«
Während sie nun leise Reden wechselten, raunte mir der noch immer auf dem Boden liegende Monteso zu:
»Ich begreife Sie nicht. Sie benehmen sich geradezu feig! Jetzt werden wir beide erschossen.«
»Ich wohl, aber nicht Sie, denn es ist nicht auf Sie abgesehen.«
»Das bezweifle ich.«
»Ich bin es überzeugt. Das Leben nimmt man Ihnen nicht, aber ohne Schaden werden Sie auch nicht loskommen.«
»Welch ein Unglück! Hätte ich auf Ihre Warnung gehört!«
»Machen Sie sich keine Vorwürfe! Es war uns bestimmt. Schade, daß Sie gebunden sind. Vielleicht können Sie sich losmachen. Die Gelegenheit dazu will ich Ihnen verschaffen.«
»Wie?«
»Ich fliehe. Alles wird mich verfolgen. Dabei können Sie entkommen.«
»Das ist unmöglich! An Flucht ist gar nicht zu denken.«
»Ich denke so sehr daran, daß mir das, was die Sennores jetzt beraten, sehr gleichgültig ist.«
»Sie kommen gar nicht aufs Pferd! Man hat es sehr vorsorglich aus Ihrer Nähe geschafft. Und wenn Sie in den Sattel kämen, die erste Bola würde Ihr Tier und Sie sicher zu Falle bringen.«
»Ich fliehe zu Fuße.«
»So werden Sie nach wenigen Schritten ebenso gewiß eingeholt.«
»Wollen sehen! Vor allen Dingen verzagen Sie nicht. Ich bin fest überzeugt, daß ich entkomme. Ich reite sogleich nach der Estanzia del Yerbatero zurück –«
»Pferde finden Sie auf dem Camp mehr als genug. Heute nachmittag wird außerdem mein Bruder kommen.«
»Den hole ich zur Verfolgung. Wir befreien Sie ganz gewiß. Lassen Sie sich nur nichts merken! Ich werde Ihnen beweisen, daß ich kein Feigling bin. Ich würde drei oder vier Indianer weit mehr fürchten, als diese fünfzig Reiter. Ich entkomme ganz gewiß und werde vorher diesem lieben Sennor Mateo ein unvergeßliches kleines Andenken geben.«
Mein Plan war gefaßt. Die Revolver brauchte ich nicht; ein Messer war hinreichend. Ich zog die Aufschläge meiner Stiefel, in denen die ersteren steckten, nun ganz empor und schnallte sie fest zu, so daß kein Wasser hineindringen konnte und die Revolver trocken blieben. Das fiel niemandem auf. Ein Indianer oder Prairiejäger hätte sofort gewußt, welchen Zweck ich hatte, daß ich die Wasserriemen der Stiefel zuschnallte.
Jetzt waren die Herren Offiziere mit ihrer kriegsgerichtlichen Beratung fertig. Sie erhoben sich von ihren Sitzen. Man sah es ihren ernsten Gesichtern an, daß jetzt das Urteil verkündet werden solle. Doch schien dieser Ernst ein gemachter zu sein, wie überhaupt die ganze Verhandlung für diejenigen, welchen keine Gefahr drohte, mehr eine lächerliche gewesen war. Alle wußten, wie das Urteil lauten werde; es lag keine Spannung in den Mienen, sondern nur die bloße Neugierde, wie ich dasselbe aufnehmen werde. Ich hingegen war fertig. Es gab nur einen einzigen Weg zur Flucht, der, welcher in das Wasser führte, wo ich vor den Bolas sicher war. Ich nahm nicht an, daß einer dieser Männer es mir im Schwimmen gleichthun werde. Der Fluß war tief und nicht breit, zwei Eigenschaften, welche mir sehr willkommen sein mußten. Zweimal Atem holen reichte wohl aus, um hinüber zu kommen. Was nun mein Eigentum betraf, welches sich jetzt im Besitze des Majors befand, so fiel es mir nicht ein, dasselbe zurückzulassen. Es steckte in den beiden Brusttaschen des Frackes, und diese Taschen befanden sich auf einer und derselben Seite, nämlich auf der linken. Die Papiere hatte der Offizier in die Schoßtasche gesteckt. Meine Uhr schloß ausgezeichnet, und auch die Brieftasche hatte einen Verschluß, welcher geeignet war, den Zutritt des Wassers für einige Zeit abzuhalten. Ich war überzeugt, ganz leidlich davon zu kommen. Freilich war der prachtvolle Frack des Majors dem Verderben geweiht. Leider aber reichten die Gefühle meines Herzens nicht so weit, mich zu veranlassen, aus Rücksicht für dieses Kleidungsstück auf Geld und Uhr zu verzichten. Auch mein Pferd gab ich keineswegs auf, wenn es auch ganz unmöglich war, mich schon jetzt desselben zu bemächtigen. Ich mußte ja Monteso zuliebe hinter den Bolamännern her. Bei dieser Gelegenheit hoffte ich, es wieder an mich zu bringen. Jetzt erhob der Major die Stimme.
»Dieses hohe und ehrenwerte Kriegsgericht hat beschlossen, und ich als der Vorsitzende desselben habe es zu verkündigen: Erstens, daß Sennor Monteso von der Anklage des Mordversuches freizusprechen, dagegen aber wegen Körperverletzung zu verurteilen ist. Infolge der bei ihm vorgefundenen Papiere ist erwiesen, daß er sich der Beihilfe zum Landesverrate schuldig gemacht hat. Der letztere ist nicht zur Ausführung gekommen, und da es sich nur um Beihilfe handelt, so ist der Angeklagte zu zehn Jahren schwerer Gefangenschaft verurteilt worden. Die Einlieferung in das Gefängnis wird schleunigst erfolgen.«
»Sagte ich es nicht?« fragte ich Monteso leise. »Auf Sie ist es durchaus nicht abgesehen.«
»Vielleicht etwa auf ein sehr hohes Lösegeld!«
»Sehr wahrscheinlich.«
»Zweitens, daß sein Komplice, der eigentliche Anstifter der Verbrechen, zwar von der Anschuldigung der Körperverletzung freizusprechen, aber wegen Versuch des Mordes und überführten Landesverrates zu verurteilen ist. Die Richter haben sich nach reiflicher Ueberlegung dahin geeinigt, daß sie auf seinen Tod erkennen. Das Urteil ist augenblicklich zu vollziehen, und zwar durch Blei und Pulver.«
Aller Augen waren auf mich gerichtet; ich that, als ob ich es nicht bemerkte.
»Haben die Verurteilten etwas zu bemerken?« fragte der Offizier.
»Nein,« antwortete Monteso. »Was ich zu sagen habe, wird man später hören.«
Trotz dieser Worte zitterte seine Stimme, und sein Gesicht war bleich geworden. Er hatte Sorge, wohl ebenso sehr um mich, als um sich, da von dem Gelingen meiner Flucht auch für ihn viel abhing. Ich aber fühlte mich innerlich sehr ruhig. Es ist eine alte Erfahrung, daß beim Eintritte einer erwarteten Gefahr die Angst aufhört. Ein Schüler kann sich zum Beispiel wochenlang wegen des Examens ängstigen; sobald aber die erste Frage an ihn gerichtet wird, ist wohl meistens die Angst vorüber.
»Und Sie, Sennor?« fragte der Major mich.
»Ich habe zu bemerken, daß ich Sie überhaupt nicht als meine Richter anerkenne. Sie haben nicht einmal über Inländer, am allerwenigsten aber über einen Ausländer abzuurteilen. Dem Inländer würde die Appellation an die höhere Instanz freistehen; es kann also von einer sofortigen Vollstreckung des Urteiles gar keine Rede sein. Da ich aber nun gar ein Ausländer bin, so verlange ich unbedingt, daß die Angelegenheit vor den Vertreter meines Landes gebracht werde.«
Wie ich gedacht hatte, das geschah – man lachte. Der Major aber antwortete mir:
»Ich habe Ihnen bereits gesagt, Sennor, daß derartige Einsprüche völlig unnütz sind. Wir fühlen uns kompetent und werden das Urteil vollstrecken. Haben Sie noch etwas zu bemerken?«
»Ja, einige Wünsche habe ich freilich.«
»So teilen Sie uns dieselben mit. Ist es möglich, so werden wir sie erfüllen.«
»Wie lange habe ich noch zu leben, Sennor?«
Er zog meine Uhr hervor, sah darauf und antwortete:
»Sagen wir, noch eine Viertelstunde. Werden Sie bis dahin mit Ihren Vorbereitungen zu Ende sein?«
»Ganz gewiß. Ich möchte als Caballero sterben, Sennor, mit offenen Augen, unverbunden!«
»Das kann ich nicht gestatten.«
»Warum nicht?«
»Es ist gegen die Regel. Sie werden an den Armen gefesselt und erhalten ein Tuch um die Augen.«
»So möchte ich wenigstens die Stelle sehen, an welcher ich die Kugel empfangen soll.«
Er blickte sich um. Sein Auge blieb an einem Baume haften, welcher sich am Rande der Lagerstelle und zugleich in nur ganz geringer Entfernung von dem Ufer befand. Man konnte von dort aus mit drei Sprüngen im Wasser sein.
»Ist Ihnen der Baum dort recht?« fragte er, nach demselben deutend. »Da können Sie sich anlehnen, und meine Leute haben dann ein sicheres Zielen.«
»Das würde ich ihnen bieten auch ohne daß ich mich anlehne. Ich wanke nicht.«
»Noch einen Wunsch?«
»Einen Wunsch für Sie, Sennor.«
»Ah, für mich! Welchen?«
»Daß Ihnen die Urteilsvollstreckung gegen mich keinen Schaden bringen möge, und daß wir uns als Freunde betrachten, wenn wir uns einst wiedersehen.«
»Einen Schaden habe ich nicht zu befürchten, und unser Wiedersehen wird da oben stattfinden, wo alle Feindschaft schweigt.«
»Einen Trost würde es mir gewähren,« fügte ich hinzu, »wenn mein Kamerad Zeuge sein könnte, wie ich Ihre Kugel empfange. Ich bitte Sie um die Gnade, ihm die Fesseln von den Füßen zu lösen, damit er stehen kann. Er ist dann noch an den Händen gebunden und kann Ihnen ja nicht entfliehen.«
»Dieser Wunsch soll erfüllt werden. Man binde dem Sennor die Füße los!«
Einer der Soldaten kam diesem Befehle nach. Zu gleicher Zeit trat Mateo herbei. Er hatte einen Riemen und ein Taschentuch in der Hand.
»Was wollen Sie?« fragte ihn der Major.
»Den Verurteilten binden. Das steht mir zu, da ich der Zeuge bin.«
Also sogar diese Genugthuung wollte er noch haben. Er trat, ohne die Zustimmung des Offiziers abzuwarten, nahe an mich heran und gebot:
»Legen Sie die Hände auf den Rücken! Es ist Zeit.«
»Wozu?« fragte ich.
»Daß Sie endlich Ihre Strafe empfangen.«
»Erst nehmen Sie die Ihrige, Sie Halunke!«
Ich gab ihm mit der Faust, und zwar die Spitze des eingebogenen Daumens nach aufwärts gerichtet, einen Hieb von unten herauf in das Gesicht, welcher ihm das Nasenfleisch abschälte. Der Kerl flog weit über den Platz hinüber und stürzte dort zu Boden. Er raffte sich zwar sogleich wieder auf, blieb aber doch halb betäubt stehen, bedeckte die Nase mit den Händen und ließ ein fürchterliches Gebrüll hören. Niemand regte sich, ihm zu Hilfe zu kommen; ja man schien ihm diese kräftige Zurechtweisung zu gönnen. Der Verräter pflegt zwar Bezahlung, niemals aber Dank zu erhalten. Selbst der Major gab mir nur einen verhältnismäßig milden Verweis:
»Was fällt Ihnen ein, Sennor! In meiner Gegenwart sich an diesem Manne zu vergreifen!«
»Er mag mich in Ruhe lassen! Hat er hier zu bestimmen oder Sie? Ich will nicht unschuldig sterben und mich vorher noch von diesem Schurken verhöhnen lassen.«
»Unschuldig, Sennor! Streiten wir nicht. Die Viertelstunde ist vergangen. Ich werde Sie selbst binden, und zwar gleich an den Baum. Kommen Sie!«
»Haben Sie schon diejenigen bestimmt, welche mich erschießen sollen?«
»Das werde ich gleich thun.«
»So will ich nur noch meinem Kameraden die rechte Hand geben.«
Ich umarmte den Yerbatero, welcher jetzt aufrecht stand, und raunte ihm dabei in das Ohr:
»Ich schleudere Ihnen ein Messer zu. Haben Sie Acht, und sehen Sie, ob Sie mit demselben den Riemen auseinander bringen können!«
Nun öffnete sich der Kreis, und der Major führte mich nach dem Baume. Ich sah in keinem Auge Mitleid. Das Erschießen eines Mannes war für diese Leute ein Schauspiel, welches ihre Nerven nicht aufregen konnte. Ich lehnte mich an den Baum. Der Major hatte das Tuch und den Riemen aufgehoben, welcher Mateo bei meinem Hiebe aus der Hand gefallen war.
»Also, Sennor,« sagte er, »der ernste Augenblick beginnt. Ich hoffe nicht, daß Sie zittern werden!«
»Schwerlich! Darf ich noch erfahren, was Sie mit meinem Eigentume beginnen werden?«
»Das wird der Oberbehörde eingesandt. Sie brauchen ja jetzt weder Uhr noch Geld. Legen Sie die Hände nach hinten um den Baum!«
Er hielt den Riemen bereit. Noch waren die Füsiliere nicht bestimmt. Keiner hatte die Flinte schußfertig in der Hand, und die Lanzen und Bolas hingen an den Sattelknöpfen. Es war der geeignete Augenblick gekommen, und ich sah das Auge Montesos mit erwartungsvoller Angst auf mich gerichtet. Er hielt mich für verloren.
»O doch, Sennor,« antwortete ich. »Ich brauche beides so notwendig, daß ich es mir jetzt ausbitten werde.«
Er sah mich erstaunt an.
»Wie meinen Sie das, Sennor?«
»So ungefähr in dieser Weise. Passen Sie auf!«
Ich griff in die Brusttasche seines Frackes und riß ihm diesen Teil der Uniform, in welchem sich die beiden mir gehörigen Gegenstände befanden, vom Leibe. Den Uniformfetzen mir unter den Gürtel schieben und ihm die Messer aus dem seinigen ziehen, das war das Werk desselben Augenblickes. Eins der Messer nahm ich zwischen die Zähne, und das andere schleuderte ich an die Stelle, an welcher Monteso stand.
»Aber Sennor, was – –« schrie der Major, Er kam nicht weiter. Ich hatte ihn beim Kragen – ein Ruck – noch einer -und noch einer – – ich sprang mit ihm in das tiefe Wasser des Flusses, wo ich ihn losließ. Ehe sich das Wasser über mir schloß, hörte ich den vielstimmigen Schrei der Bolamänner. Das war so blitzschnell gegangen, daß keiner von ihnen Zeit gefunden hatte, dem Anführer zu Hilfe zu kommen. Ja, dieser selbst war so überrascht gewesen, daß er nicht ein Fingerglied bewegt hatte, um sich meiner zu erwehren.
Den Hut hatte ich mir schon vorher so fest auf den Kopf gedrückt, daß er mir nicht von den Wellen genommen werden konnte. Den Major hatte ich mit in den Fluß gerissen, um die Seinen von meiner Verfolgung abzulenken, denn es war vorauszusehen, daß sie sich erst bemühen würden, ihn aus dem Wasser zu ziehen. Ich tauchte also unter und strich unter der Oberfläche aus Leibeskräften aus. Als ich zum erstenmal Atem fassen mußte und zu diesem Zwecke in die Höhe kam, wurde mir doch der Hut genommen. Bevor ich ihn fassen konnte, vergingen einige Augenblicke. Da krachten mehrere Schüsse; wüstes Geschrei erscholl hinter mir vom Ufer her, und ein harter, schwerer Gegenstand flog klatschend neben meinem Kopfe in das Wasser. Zugleich erhielt ich einen sehr kräftigen Hieb an die Schulter.
Es war eine Bola gewesen; eine der drei Kugeln derselben hatte mich getroffen. Wäre sie mir an den Kopf geflogen, so wäre es um mich geschehen gewesen.
Ich hatte gesehen, daß der dritte Teil der Stromesbreite hinter mir lag. Nur noch einmal brauchte ich aufzutauchen. Das durfte aber nicht in der jetzigen Richtung geschehen. Ich ließ mich also vom Wasser treiben, behielt den Hut in der Hand, arbeitete mich eifrig nach jenseits und legte mich dann, als ich wieder Luft brauchte, auf den Rücken. Die Wellen nahmen mich langsam empor; Nase und Mund erreichten die Oberfläche; ich holte tief, tief Atem und sank dann wieder nieder. Man hatte mich diesesmal gar nicht gesehen, da die Blicke jedenfalls die Richtung einhielten, in welcher ich zum erstenmal in die Höhe gekommen war.
Glücklich erreichte ich das andere, tiefe Ufer. Aber ich sprang nicht etwa nun augenblicklich an demselben empor, sondern ich schob nur den Kopf bis zum Munde über das Wasser herauf. Es gab da eine Wurzel, an welcher ich mich festhalten konnte. Ein wenig weiter abwärts war eine Stelle, wo Pflanzen über dem Wasser niederhingen. Dorthin schob ich mich. Die dichten Stengel verbargen mein Gesicht, und ich konnte nach dem jenseitigen Ufer sehen, ohne selbst bemerkt zu werden.
Eben schaffte man den Major aus dem Wasser. Er bewegte sich nicht. Vielleicht war er gar tot, was freilich nicht in meiner Absicht gelegen hatte.
Niemandem war es bisher eingefallen, in das Wasser zu gehen, um mich zu verfolgen; aber die Reiter hielten zu Pferde am Ufer, um zu sehen, an welcher Stelle ich erscheinen werde. Dann erst wollten sie in den Fluß reiten, um mich zu verfolgen. Ausgenommen davon waren nur die vier oder fünf Leute, welche den Major aus dem Wasser gezogen hatten. Sie legten ihn dort nieder und beugten sich über ihn. Meine Sorge, einen unbeabsichtigten Mord begangen zu haben, wurde sehr schnell gehoben, denn ich sah, daß der Offizier sich aufrichtete und das Wasser aus den Kleidern schüttelte. Ich sah, daß er mit den andern hinter den Büschen verschwand. Bald aber kam er zurück, und zwar zu Pferde; er saß – auf meinem Braunen.
Jetzt hielten sie alle drüben am Ufer, ganz begierig, zu sehen, wo ich erscheinen werde. Wie ich später erfuhr, war nur einer bei Monteso geblieben, um diesen zu bewachen. In diesem Augenblicke mußte ich an den Gefährten denken. Wenn es überhaupt für ihn möglich war, zu entfliehen, dann nur jetzt, wo alle ihre Aufmerksamkeit nach dem Flusse gerichtet hatten. Auf mich kam es an, ihm die Gelegenheit zu bieten. Blieb ich in meinem Schlupfwinkel stecken, so kam er nicht fort. Ließ ich mich aber sehen, so folgten gewiß die meisten, wo möglich alle in das Wasser, um mich zu fangen. Ich beschloß, dieses letztere zu thun. Das war übrigens nicht etwa eine Aufopferung meinerseits, denn lange konnte ich nicht mehr im Flusse bleiben. Meine Kleider hingen mir schwer am Leibe – bis zum Anbruche der Nacht durfte ich unmöglich warten. Zwar wäre mir dann die Flucht leicht geworden, aber bis dahin hätte Feuchtigkeit Zutritt in die Brieftasche gefunden und mir mein Reisegeld, welches nur in Papier bestand, verdorben. Ich mußte also heraus. Es war noch am Vormittage, bis zum Abende eine lange Zeit. Vielleicht suchten die Bolamänner das Ufer ab und fanden mich in einem Zustande, in welchem es mir schwer geworden wäre, Gegenwehr zu leisten. Also heraus aus dem Wasser, und hinauf zur Uferhöhe! Ich schob mich langsam höher. Der Oberkörper kam aus dem Wasser; ich konnte den Wurzelstock eines Strauches ergreifen und schwang mich an demselben empor. Dabei bewegte sich der Busch und lenkte die Blicke aller auf sich.
Die ganze Bande schrie so laut sie konnte. Der Major kommandierte; die Leute trieben ihre Pferde ins Wasser. Später erzählte mir Monteso, daß in diesem Augenblicke auch sein Wächter nach dem Ufer geeilt sei, um zu sehen, wie die Jagd ausfallen werde. Monteso benutzte das. Als ich ihm das Messer hinschleuderte, hatte niemand darauf geachtet, denn die Aufmerksamkeit war dadurch abgelenkt worden, daß ich mit dem Major in den Fluß sprang. Monteso hatte sich sofort niedergesetzt, dann, als der einzige Wächter ihn verließ, machte er sich an das Werk. Da ihm die Hände nicht vorn, sondern auf dem Rücken zusammengebunden waren, war es sehr schwer, die Riemen mit dem Messer zu zerschneiden. Er kam auf einen guten Einfall. Er legte sich auf den Rücken und hob das Messer auf. Dann ging er zum nächsten Busche, welcher mehrere nicht zu starke Aeste hatte. Durch einen derselben stieß er das Messer, dessen Klinge so fest stecken blieb, daß er den Riemen an ihr aufscheuern konnte. Als er die Hände frei hatte, zog er das Messer wieder heraus und eilte zu seinem noch dastehenden Pferde, welches neben demjenigen des Wächters hielt. Aber eben, als er in den Sattel stieg, wurde er bemerkt. Noch waren nicht alle Reiter im Flusse, da es für fünfzig Mann nicht Platz genug gab, zugleich hineinzugehen. Diejenigen, welche sich noch am Ufer befanden, jagten dem davongaloppierenden Monteso nach.
Der Major konnte sich nicht sofort entscheiden, welche Richtung er einschlagen solle. Sollte er es machen wie der Wächter, welcher auch auf sein Pferd sprang, um sich der Verfolgung Montesos anzuschließen? Oder sollte er denen nachreiten, welche es auf mich abgesehen hatten? Er zauderte. Und in solcher Lage hat eine einzige Minute Versäumnis viel zu bedeuten. Die Wiedererlangung meiner Person mochte ihm doch wichtiger erscheinen, als das Ergreifen Montesos. Er trieb sein Pferd, das heißt mein Pferd, in das Wasser, als seine Leute alle das andere Ufer bereits erreicht hatten und dort verschwunden waren. Wo aber befand ich mich? Nun, ganz in der Nähe! Sobald ich sah, daß man mich erblickt hatte, rannte ich am Ufer entlang aufwärts. Die Stelle, an welcher ich aus dem Wasser gekommen war, lag ein wenig weiter abwärts, als diejenige, an welcher jenseits die Bolaleute auf mich warteten. Ich wollte und mußte sie irre leiten. Indem ich aufwärts rannte, wollte ich ihnen die Meinung beibringen, daß ich in dieser Richtung meine Flucht fortsetzen werde, was mir aber gar nicht einfiel, denn sonst wäre ich gewiß sehr bald ergriffen worden. Ich konnte nur dann entkommen, wenn es mir gelang, sie irre zu führen.
Am Ufer gab es viel Gebüsch. Sollte ich mich durch dasselbe decken oder nicht? Ließ ich mich nicht sehen, so sahen sie nicht, wohin ich lief, und ich konnte sie nicht irre leiten. Ließ ich mich aber sehen, so gab ich ihnen ein Ziel für ihre Kugeln und Bolas. Ich mußte indessen das letztere riskieren, wenn ich überhaupt entkommen wollte. Doch, ich hatte Glück. Einige Schüsse wurden abgegeben, welche nebenher gingen; einige Bolas kamen geflogen, doch trafen sie nicht, sondern wickelten sich um die Zweige und Aeste, welche in der Richtung lagen. So rannte ich eine Strecke von vielleicht dreihundert Schritten aufwärts. So lange ließ ich mich sehen.
Dann that ich, als ob ich mich nach dem freien Camp wende, bis wohin man nicht sehen konnte, duckte mich aber wieder und kroch unter den Büschen bis an den Rand des Wassers zurück. Ich sah unten den letzten Reiter aus dem Wasser kommen. Hinter mir, draußen vor den Büschen, welche wie ein schmales, grünes Band das Ufer säumten, hörte ich die ersten vorüberjagen. Man vermutete mich schon viel weiter oben. Der Major hielt noch unten jenseits des Flusses. Er sah den Verfolgern Montesos nach. Ach, wenn ich ihn fassen und mein Pferd bekommen könnte! Dieser Gedanke elektrisierte mich. Ich ließ mich sofort in das Wasser, tauchte unter und schwamm nach jenseits. Zweimal mußte ich Atem schöpfen, nahm mir aber dabei keine Zeit, abwärts zu blicken. Erst als ich an das Ufer stieß, sah ich hin, wo er sich befand. Er trieb soeben das Pferd in das Wasser. Das paßte ja vortrefflich! Ich tauchte wieder unter und schwamm abwärts. Das ging sehr rasch, denn das Wasser hatte hier ein starkes Gefälle, und ich stieß aus Leibeskräften aus. Als ich wieder emporkam, um Atem zu holen, hatte er zwei Drittel seines Weges, ich aber noch mehr des meinigen zurückgelegt. Ich befand mich beinahe hinter ihm. Nun fiel es mir gar nicht ein, wieder zu tauchen. Ich schwamm ihm mit aller Kraft nach. Er sah sich nicht um. Hätte er mit dem Kopfe nur eine halbe Wendung gemacht, so wäre sein Blick ganz gewiß auf mich gefallen.
Ich schwamm schneller als das Pferd und kam ihm näher und näher. Jetzt trafen die Hufe auf Grund; ich aber hatte das Pferd mit der Linken beim Schwanze; in der Rechten hielt ich das Messer. Seine einzige Waffe war der Säbel. Er hatte zwar zwei funkelnde Pistolen im Gürtel stecken, aber die Dinger sahen so hübsch aus, daß sie keine Furcht zu erregen vermochten. Nun hatte der Reiter das Ufer erreicht. Er wollte das Pferd weiter treiben, ich aber zog am Schwanze. Infolgedessen schlug es aus.
»Sennor Cadera!« sagte ich.
Er fuhr erschrocken herum, als er den Namen hörte, den er selbst mir vorhin genannt hatte. Sein Schreck verzehnfachte sich aber, als er mich erblickte, noch mehr triefend als er.
»Mein Gott!« rief er aus. »Sie sind es, Sie!«
»Schreien Sie nicht so sehr, Sennor, sonst zwingen Sie mich, Sie mit diesem Messer still zu machen! Kommen Sie vom Pferde herab!«
»Das sollte mir einfallen! Ich habe Sie ja fest, und wenn Sie Ihr Messer nicht sofort wegthun, schieße ich Sie nieder!«
Er gab dem Pferde die Sporen, um es halb zu wenden und mich als besseres Ziel zu haben. Der Braune aber war, seit ich ihn besaß, eine solche Behandlung nicht gewöhnt; er bäumte sich, und ich bekam den Reiter griffgerecht. Ich nahm ihn beim Gürtel, riß ihn aus dem Sattel und schleuderte ihn zu Boden. Da ich aber zugleich das Pferd am Zügel fassen mußte, damit es nicht fort könne, kam er schnell wieder auf und faßte mich an der Brust. Das Pferd schlug vorn und hinten aus. Ich durfte den Zügel nicht fahren lassen. Darum nahm ich mich zusammen und gab dem Manne mit der freien Hand einen Hieb an die Schläfe, daß er niederbrach. Dann band ich das Pferd leicht an einen Strauch, zog dem Major den Säbel aus der Scheide und trat ihn entzwei. Die eine Pistole war ihm entfallen. Ich nahm ihm auch die zweite aus dem Gürtel und warf sie eine Strecke fort. Dann band ich das Pferd wieder los und stieg in den Sattel. Eine schnelle Untersuchung der Satteltaschen belehrte mich, daß der Inhalt derselben noch beisammen sei. Jetzt hatte ich alles wieder, das Pferd und mein ganzes Eigentum. Diese Bolamänner sollten nichts bekommen, weder mich, noch meine Sachen! Der Hieb, welchen ich dem Major versetzt hatte, war nicht allzukräftig gewesen, weil ich keinen Raum gehabt hatte, weit auszuholen. Der nur leicht Betäubte schlug die Augen auf, besann sich schnell und sprang empor.
»Halt, Sennor!« gebot er. »Sie bleiben! Thut Ihr Pferd einen Schritt, So –«
Er sprach nicht weiter, denn er fand seine Pistolen nicht, und als er nach dem Säbel griff, fehlte die Klinge. Er sah die beiden Stücke derselben am Boden liegen.
»So – so? Was denn?« fragte ich lachend, indem ich mit der einen Hand die Wasserschnalle des Stiefels aufzog und den Revolver herausnahm.
»So – so –! Sie haben mich um meine Waffen gebracht!«
»Allerdings! Und nun sage ich Ihnen, leise können Sie sprechen; reden Sie aber noch ein einziges lautes Wort, so jage ich Ihnen eine von diesen sechs Kugeln in den Kopf!«
»Das werden Sie nicht thun! Ich war ja auch freundlich mit Ihnen!«
»Dennoch wollten Sie mich, den Unschuldigen, füsilieren lassen!«
»Ich konnte nicht anders; ich hatte den Befehl dazu.«
»Von wem?«
»Das darf ich nicht sagen.«
»Und wenn ich Sie mit diesem Revolver zwinge, offenherzig zu sein?«
»Erschießen Sie mich! Ich bin in Ihrer Hand; aber zum Sprechen zwingen Sie mich doch nicht!«
»Gut, das achte ich. Es ist mir auch ganz gleichgültig, wer mir an den Kragen wollte; ich habe den Kragen noch.«
»Ich aber nicht! Sie haben mir die Uniform zerrissen.«
»Um zu meinem Eigentume zu kommen. Ich sagte Ihnen ja, daß ich die Uhr und das Geld zu meiner Reise brauche. Sie aber wollten es nicht glauben.«
»Meinten Sie wirklich die Weiterreise, nicht den Tod?«
»Natürlich!«
Er sah mich ganz fassungslos an.
»Diabolo! So hatten Sie bereits den Entschluß, zu fliehen?«
»Ja.«
»Dann sind Sie ein Kerl, ein Kerl – Sennor, ich hatte über fünfzig Mann bei mir!«
»Die haben mich nicht halten können! ja, wenn Ihnen wieder einmal ein Deutscher begegnet, so denken Sie, daß er mehr wiegt, als zwanzig Ihrer Guardareiter.«
»Sennor, Sie sind ein Teufel!«
»Aber ein sehr nasser. Uebrigens habe ich keine Veranlassung, Ihnen diesen Glauben zu nehmen. Stecken Sie Ihren Haudegen in die Scheide, und suchen Sie nach Ihren Pistolen!
Ich habe sie über den Rand des Ufers hinaufgeworfen, wo Sie sie finden werden.«
»Wohin reiten Sie?«
»Warum fragen Sie? Wollen Sie mich nochmals fangen?«
Er war natürlich voller Aerger, biß die Zähne zusammen, blickte vor sich nieder und stieß dann trotzig hervor:
»Jetzt sind Sie mir entgangen, und ich bin durch Sie blamiert. Hüten Sie sich, mir abermals zu begegnen! Ich würde Rache an Ihnen nehmen!«
»Das mögen Sie, Herr Major!«
Ich lenkte den Braunen in das Wasser und ließ ihn zum andern Ufer schwimmen. Dort angekommen, sah ich zurück. Der Major kroch im Grase herum und suchte nach seinen Pistolen. Zu meiner Freude bemerkte ich, daß Monteso verschwunden war. Ich glaubte, daß er entkommen sei. Als ich den Platz sorgfältig überblickte, sah ich an einem Busche einen zerschnittenen Riemen liegen. Aus den zwei Schlingen, welche er gebildet hatte, war zu erkennen, daß er als Fessel gebraucht worden sei. Es war gewiß, Monteso hatte die Flucht ergriffen. Natürlich war er nach der Estanzia del Yerbatero; ich mußte auch dorthin und schlug denselben Weg ein, welchen wir gekommen waren. Bald aber bemerkte ich Spuren vieler Pferde. Ich stieg ab und untersuchte diese Fährte. Leider kam ich sehr bald zu dem Resultate, daß Monteso verfolgt worden sei, und zwar von acht bis zehn Reitern. Es war möglich, daß diese auf demselben Wege zurückkamen. Unter gewöhnlichen Verhältnissen fürchtete ich mich vor einer so kleinen Anzahl von Leuten nicht, zumal ich ein ausgezeichnetes Pferd ritt; aber ich hatte mich vor den Bolas in acht zu nehmen, gegen welche es keine Abwehr giebt. Einer Lassoschlinge kann man entgehen, indem man das Gewehr wagerecht emporhält, so daß sich die Schlinge nicht über den Kopf herabsenken kann, oder indem man das Messer bereit hält, um den Riemen, sobald er trifft, zu zerschneiden. Wie aber entgeht man der Bola? Sie wird nach den Hinterfüßen des Pferdes geworfen und schlingt sich um dieselben; das Tier stürzt, der Reiter natürlich mit, und ehe er sich aufrafft, sind die Feinde über ihm. Oder er selbst wird von den drei fürchterlichen Kugelriemen umschlungen, die ihn für so lange wehrlos machen, daß der Feind Zeit bekommt, ihn zu fassen.
Also nur die Bola war es, die ich fürchtete, und bald sollte mir Veranlassung werden, dieser Furcht Raum zu geben.
Um den etwa Zurückkehrenden auszuweichen, wollte ich mich weiter südwärts halten. Leider aber war das nicht möglich, wegen des bereits erwähnten Sumpflandes, in welches ich mich nicht tiefer wagen durfte, da ich es nicht kannte.
Nach Norden wollte ich nicht, denn da oben befanden sich die Kavalleristen. Sie waren zwar noch jenseits des Flusses, aber sobald es dem Major gelang, sie von dem Gelingen meiner Flucht zu unterrichten, kamen sie sofort herüber; das war gewiß. Aus diesen beiden Gründen sah ich mich gezwungen, doch auf dem Weg zu bleiben, welchen ich so gern vermeiden wollte, und ritt nach der Höhe empor, von welcher wir herabgekommen waren. Das Wasser tropfte noch immer von mir. In den Stiefeln hatte ich keine Feuchtigkeit; aber die andern Kleidungsstücke waren eingeweicht. Ich zog den Brustfetzen des Frackes aus dem Gürtel und nahm die Uhr und die Brieftasche heraus. Ich sah zu meiner Genugthuung, daß das Wasser beiden keinen Schaden gethan hatte. Den Fetzen warf ich fort; Geld und Uhr steckte ich in den trockenen Stiefel.
Während dieser Untersuchung hatte ich die Höhe fast erreicht und schnallte oben den Stiefel wieder zu, damit kein Wasser von oben in denselben herabsickern könne, als zwischen den Felsstücken, welche, wie bereits erwähnt, auf dem Berge lagen, ein Reitertrupp erschien. Ich hielt an und sah scharf hin. Es waren die Kavalleristen. Sie hatten Monteso in der Mitte. Auch sie hielten an. Es gab im ganzen Lande keinen Menschen, welcher einen Anzug trug wie ich, so erkannten sie mich denn. Sie erhoben ein Triumphgeschrei und sprengten auf mich ein. Ich sah, wie sie die Bolas lösten und um die Köpfe schwangen. Nun, da hatte ich ja gleich Gelegenheit, diese gefürchtete Waffe kennen zu lernen. Ich riß mein Pferd herum und jagte davon, nach Norden zu, denn zurück zum Flusse konnte ich nicht. So lange ich es nur mit dieser kleinen Truppe zu thun hatte, war die Sache nicht gefährlich, denn ihre Pferde konnten meinen Braunen nicht einholen, und es war also ein leichtes, sie so weit hinter mir zu lassen, daß die Bolas mich nicht zu erreichen vermochten.
Wohl siebenhundert Schritte war ich ihnen voraus. Sie schrieen und heulten wie die Wilden. Zurückblickend, gewahrte ich, daß sie mir nicht direkt folgten; sie hielten sich vielmehr auf der Höhe, um mich thalabwärts nach dem Flusse zu drängen und in dieser Weise ihren Kameraden in die Hände zu treiben.
Das war für mich gefährlich, zumal ich sah, daß das Terrain sich mir nicht günstig zeigte. Während sie auf dem geraden, glatten Bergesrücken ritten, hatte ich einige weite Halden zu umbiegen, was mich gegen sie außerordentlich zurückhielt. Mein Pferd schien zu ahnen, daß es seine Schnelligkeit zu zeigen habe, und griff so wacker aus, daß ich überzeugt war, ihnen zu entgehen.
Aber diese Ueberzeugung währte nicht lange. Ein schrilles Freudengeheul ließ mich ahnen, daß irgend etwas für die Kavalleristen Vorteilhaftes geschehen sei. Ich sah mich um. –Wahrhaftig! Da unten zur linken Hand kamen Reiter aus dem Saumgebüsch des Flusses. Der Major hatte seine Leute gefunden und ihnen befohlen, über den Fluß zu gehen. Sie sahen mich; sie sahen ihre Kameraden und antworteten ihnen mit einem ebenso lauten wie triumphierenden jauchzen. Jetzt befand ich mich nun freilich in der Lage, welche der Deutsche in sehr bezeichnender Weise eine ›Klemme‹ nennt. Hinter mir den Sumpf, links den Fluß mit vierzig und rechts die Höhe mit zehn Bolamännern. Und dabei befanden sich die ersteren mir nicht etwa parallel, sondern sie waren mir vor. Sie hatten den Fluß nicht unten in der Gegend des Lagerplatzes, sondern eine tüchtige Strecke weiter oben durchschwommen. Das schlimmste war, daß sie nun nach rechts hielten, während ihre Kameraden ihre Richtung nach links herab nahmen. Die Linien dieser beiden Richtungen bildeten einen spitzen Winkel, und wo sie zusammentrafen, lag der Rancho, welchen ich gesehen hatte, als wir bei unserer Ankunft über die Höhe geritten waren.
Es gab eine Rettung für mich, und diese lag vorn, vor mir; zurück durfte und konnte ich nicht. Gelang es mir, den Rancho zuerst zu erreichen, so durfte ich hoffen, zu entkommen. Nicht etwa, daß ich erwartet hätte, in dem Rancho selbst Rettung zu finden, nein; dort wäre ich eingeschlossen worden, wodurch meine Lage nicht verbessert gewesen wäre. Aber es war zu berechnen, daß die Trupps dort zusammentreffen würden. Kam ich ihnen vor, so konnte ich nicht von ihnen umgangen, nicht mehr zwischen sie genommen werden. Darum war die höchste Eile geboten. Unten und oben raste die wilde Jagd vorwärts. Die Kerle wirbelten die Bolas um ihre Köpfe und heulten wie die Indianer. Sie waren überzeugt, daß ich ihnen nicht entgehen könne. Hätte ich den Stutzen bei mir gehabt, so wäre mir gewiß nicht leicht so ein Kerl so nahe gekommen, daß er mich mit der Bola zu erreichen vermochte; aber was nützten mir die armseligen Revolver!
Ich erhob mich in den Bügeln, um mich leichter zu machen. Ich klopfte und streichelte den Hals des Pferdes. Es verstand mich. Auch war es durch das Geheul aufgeregt worden und strengte alle seine Kräfte an. Ich gewann an Raum, langsam zwar, aber sicher. Die andern merkten das. Sie schrieen und schlugen auf ihre Pferde ein, vergeblich! Ich berechnete das Terrain, benutzte auch den kleinsten Vorteil, um einen Schritt, einen Zoll des Weges zu sparen, und das hatte Erfolg. Die beiden Trupps näherten sich mir mehr und mehr, aber ich kam doch vor und weiter vor. Schon waren die zehn zurück und die vierzig parallel, die doch vorher so weit vor gewesen waren. Ich jubelte, aber nicht laut, sondern im stillen. Der Rancho kam näher; es war, als ob er auf mich zugeschoben werde. Aber die zur linken Hand waren mir jetzt so nahe, daß ich fast die Gesichter unterscheiden konnte. Sie versuchten ihr Heil mit den Wurfkugeln. Vier, fünf, sechs und noch mehr Bolas flogen auf mich zu, doch keine erreichte mich. Und nun war ich ihnen so voran, daß ein Einholen nicht mehr möglich zu sein schien. Ich war gerettet, oder vielmehr, ich glaubte, gerettet zu sein.
Der Rancho war nicht groß. Sein weißes Mauerwerk leuchtete weit hin, und schattige Bäume überwölbten sein Dach. Eine dicke, ziemlich hohe Mauer umgab ihn; aber über diese Mauer ragten noch die Spitzen undurchdringlicher Kaktushecken hervor. In der Mauer gab es ein breites Thor. Es war geöffnet worden. Zwei Männer und einige Frauengestalten standen vor demselben. Sie hatten von weitem das Wettrennen, die Menschenjagd, bemerkt und waren herausgekommen, zu sehen, um was es sich handle. Der eine der beiden Männer war wie ein Geistlicher gekleidet. Als mein Brauner heranschoß, um wie ein Wind an dem Thore vorüberzuschießen, trat dieser Mann weiter vor, schlug die Arme auseinander, als ob er das Pferd anhalten wollte:
»Halt! Sie reiten ins Verderben!«
Sollte ein Mann, der diesem Stande angehörte, mich belügen? Gewiß nicht! Ich sah nach rückwärts. Die Verfolger waren so weit hinter mir, daß ich getrost eine halbe Minute opfern konnte. Freilich, anzuhalten vermochte ich das Pferd nicht so schnell; ich lenkte es zur Seite, ritt einen scharfen Bogen, blieb dann vor dem Thore halten und fragte:
»In das Verderben? – Wieso?«
»Sie fliehen vor den Leuten dort?«
»Ja.«
»Sind Sie schuldig?«
»Vollständig unschuldig. Ich habe keinem Menschen ein Leid gethan. Ich bin ein Fremder, ein ehrlicher Deutscher, welcher noch nicht--«
»Ein Deutscher?« rief die eine Frau. »Dann herein, herein, Landsmann! Schnell, schnell! Gleich werden die Bolas sausen!«
Wirklich fiel eine nach mir geworfenen Bola kaum zwanzig Schritte vor mir nieder und überschlug sich einigemale auf der Erde. Ich drückte dem Pferde die Fersen in die Weichen, daß es mit einem Satze durch das Thor in den Hof flog. Männer und Frauen warfen die Thorflügel zu. Zwei starke Riegelbalken wurden vorgeschoben.
Der Hof war nicht sehr groß. Das Haus stieß mit der schmalen Seite an denselben. Neben der Giebelmauer blieb noch Platz für eine starke Bohlenthüre, welche, wie ich später bemerkte, in einen großen, von einem Kaktuszaune eingeschlossenen Platz führte, auf welchem sich eine Rinderherde befand. Dort waren die bösartigsten Tiere eingeschlossen, welche man nicht auf dem offenen Camp weiden lassen konnte, wenn man Unglück verhüten wollte.
»Also ein Deutscher sind Sie?« fragte die Frau in meiner Muttersprache. »Wie freue ich mich, daß wir Sie retten konnten!«
»Ich danke Ihnen für den großen Dienst, welchen Sie mir geleistet haben! Freilich darf ich meine Rettung leider nur eine einstweilige nennen, und Sie werden sich durch die Wohlthat, welche Sie mir erweisen, wahrscheinlich selbst in Gefahr begeben.«
»O nein. Bruder Hilario ist da; da giebt es keine Gefahr. Das wissen Sie wohl!«
»Ich weiß es nicht, ich kenne ihn nicht. Ich bin erst seit vier Tagen im Lande und – –«
Wir wurden durch ein lautes Pferdegetrappel, Stimmengewirr, Fluchen, Schreien und Thürschlagen unterbrochen.
»Macht auf, macht auf!« rief es von draußen. »Sonst rennen wir das Thor ein!«
Da kam der Frater auf mich zu und fragte mich:
»Sennor, ich bitte Sie, mir aufrichtig zu sagen, ob Sie wegen einer Schuld oder wegen eines Vergehens verfolgt werden. Ist es so, dann werde ich zu vermitteln suchen; sind Sie aber schuldlos, dann werden wir Sie verteidigen. Sie stehen dann unter dem Schutze Gottes und haben von uns jeden Beistand zu erwarten.«
»Ich gebe Ihnen mein heiliges Wort, daß ich schuldlos bin.«
»Das genügt, Sennor.«
»Ich werde Ihnen erzählen, weshalb man sich meiner bemächtigen will.«
»Später, später! Erst wollen wir mit diesen ungestümen Leuten reden.«
Der Frater war ein Mann von hohem, knochigem Körperbaue. Er trug einen breitrandigen, schwarzen Filzhut, einen Rock mit langen, bis auf die Knöchel reichenden Schössen aus schwarzem Stoffe, einreihig geknöpft und mit einem Stehkragen, über welchem die weiße Perlenreihe der Halsbinde zu sehen war. An den Füßen hatte er hohe Stiefel mit den landesüblichen großräderigen Sporen. Fast hätte ich mich gewundert, daß in dem ledernen Gürtel, welcher seine schlanke Taille umschloß, neben dem Messer auch die Griffe zweier Revolver großen Kalibers zu sehen waren. Sein Gesicht war trotz seines knochigen Körperbaues fast zart geschnitten und von ungewöhnlich sanftem Ausdrucke, wozu seine großen, blauen Augen prächtig paßten. Wie stimmte die kriegerische Ausrüstung mit diesem kinderfreundlichen Gesichtsausdrucke?
Im Thore befand sich ein etwa zwei Hand großes, viereckiges Guckloch, welches mit einem Deckel verschlossen war. Der Frater öffnete es, blickte hinaus und fragte:
»Was wollt Ihr, Sennores?«
»Hinein wollen wir!« antwortete jemand gebieterisch. Ich erkannte die Stimme des Anführers.
»Wer seid Ihr?«
»Wir sind von der Guardia national, und ich bin der Major Cadera.«
»So! Warum verlangen Sie so stürmisch Zutritt zu uns?«
»Weil wir den Flüchtling, welchen Sie aufgenommen haben, ausgeliefert verlangen. Er ist zum Tode verurteilt worden, aber kurz vor der Exekution entflohen.«
»Weshalb wurde er verurteilt?«
»Wegen Mordes, Aufruhrs und Landesverrates.«
»Von wem wurde er verurteilt?«
»Vom Kriegsgericht.«
»Welcher Garnison?«
»Donnerwetter! Fragen Sie nicht, als ob wir Schulknaben seien! Das bin ich nicht gewöhnt.«
»Und ich bin gewöhnt, jeder Sache auf den Grund zu gehen. Wenn wir Euch einen Flüchtling ausantworten sollen, muß ich vorher wissen, ob Ihr ein Recht habt, seine Auslieferung zu verlangen.«
»Ja, denn wir selbst sind es, die ihn verurteilt haben.«
Der Frater schwieg eine Weile; er schien die Männer genau zu betrachten. Dann sagte er:
»Ihr selbst habt ein Kriegsgericht konstituiert? Hm! Darüber sprechen wir noch. Erst will ich den Fremden fragen, um zu hören, wie er über diese Angelegenheit spricht.«
»Verwünscht! Sollen wir hier warten, bis er Euch ein Dutzend Lügen aufgebunden hat? Dazu haben wir weder Lust noch Zeit. Wenn das Thor nicht augenblicklich geöffnet wird, so rennen wir es ein!«
»Dagegen werden wir uns wehren!«
»Versucht es doch einmal! Wir sind fünfzig Kavalleristen, und wir werden uns gar nicht lange bedenken, nicht nur Feuer an das Thor zu legen, sondern Euern ganzen Rancho zu verbrennen.«
»Mäßigt Euch, Sennor! Hier giebt es nicht Leute, welche sich einschüchtern lassen. Ich ganz allein fürchte mich nicht vor euch.«
»Ah! So? Wer sind Sie denn, Sie gar so tapferer Held?«
»Ich bin Bruder Hilario.«
»Ein Bruder also! Das ist etwas Rechtes! Vor einem Frater reißt kein Huhn aus, wir noch viel weniger. Wenn Sie den Flüchtigen nicht sofort ausliefern, so stürmen wir den Platz!«
»Hört erst, ich bin der Kommandant desselben.«
»Ein Frater Kommandant einer Festung! Das ist lustig! Das ist zum Totlachen! Womit wollt Ihr sie denn verteidigen?«
»Zunächst mit meiner einfachen Warnung. Wehe dem, welcher Hand an dieses Haus oder einen seiner Bewohner legen wollte! Es befindet sich ein Sterbender darin.«
»Danach fragen wir den Teufel, aber Sie nicht, Sie – Sie – Sie Frater Hilario!«
»Nun, so will ich Ihnen sagen, Sennor, daß ich außer diesem Namen noch einen andern habe. Man nennt mich hier und da auch wohl den Bruder Jaguar.«
»Der – Bruder – ja – – guar!« rief der Major aus, indem er die Worte und Silben wie erschrocken auseinanderzog. Sein Gesicht konnte man nicht sehen. Draußen trat tiefe Stille ein. Der Frater aber wendete sich zu mir und sagte.
»Sie sind hier sicher, Sennor. Diese Leute fürchten sich vor mir!«