Karl May
Am Rio de la Plata
Karl May

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VIERTES KAPITEL

In der Höhle des Löwen

Wir hatten die Bolamänner am jenseitigen Ufer verschwinden sehen, und auch das Floß war fort; es war also wohl kein eigentlicher Grund zur Besorgnis vorhanden, und doch fühlte ich eine Unruhe, welche mich von dem Lagerplatze forttrieb. Ich stand auf und ging, um zu rekognoscieren, wobei ich mich hart am Ufer hielt. Ich konnte nichts Verdächtiges bemerken und kehrte nach etwas über einer halben Stunde um. Dabei war ich ganz ohne Ahnung, daß ich einem feindlichen Wesen begegnen könne, da gegen Süden der schon erwähnte Posten ausgestellt worden war, welcher ihre Annäherung unbedingt bemerken mußte. Ein Ueberfall konnte also hier unmöglich gelingen.

Indem ich so langsam durch das Schilf stieg, hörte ich seitwärts hinter mir ein Geräusch. Schnell drehte ich mich um. Ein Mann war hinter einem Busche, wo er sich versteckt hatte, hervorgetreten und warf soeben die Schlinge seines Lasso nach mir. Ich hatte gerade noch Zeit, meine Büchse in der Mitte zu fassen und dieselbe in wagerechter Lage mir über den Kopf zu halten. Dadurch hielt ich zwar die Schlinge ab, so daß sie nicht auf mich niederfallen konnte, aber sie schlang sich um den Lauf des Gewehres und riß mir dasselbe in der Weise aus der Hand, daß der Kolben mir mit aller Kraft an den Kopf geschlagen wurde.

Einen Augenblick stand ich halb betäubt. Es flimmerte mir vor den Augen. Dennoch sah ich, daß noch mehrere Kerle aus dem Gebüsche traten. Ich griff nach dem Gürtel, um die Revolver zu ziehen; da aber flogen zu gleicher Zeit drei Bolas auf mich zu. Ich wollte zur Seite springen, brachte es aber nicht fertig. Die drei Kugeln der einen Bola wirbelten mir um die Beine, so daß die Riemen sich mir um die Füße schlangen. Die beiden andern trafen mich an Kopf und Oberleib. Ich wurde augenblicklich niedergerissen und hatte nun an mir selbst den Beweis von der Gefährlichkeit dieser Schleuderwaffen. Kaum war ich gestürzt, so warfen sich die Männer auf mich. Ich konnte mich gar nicht wehren, da die Bolas sich mir auch um die Arme geschlungen hatten. Im Nu war ich gebunden und aller meiner Habseligkeiten beraubt. Die sechs Kerle grinsten mich höhnisch an und überschütteten mich mit beleidigenden Fragen und Drohungen, für welche ich natürlich kein Wort der Entgegnung hatte.

Sie gehörten zu den Bolamännern. Ich erkannte sie sofort. Wie war es ihnen möglich gewesen, unbemerkt zurückzukommen? Jedenfalls hatte der Posten seine Pflicht versäumt.

Ich hatte keinen einzigen Schuß, keinen Ruf, ja nicht den geringsten Laut gehört, aus welchem ich auf einen Kampf hätte schließen können. Also war es meinen Gefährten ebenso ergangen, wie mir: sie waren auf dem Lagerplatze während meiner jetzigen Abwesenheit überfallen worden, ohne Gegenwehr leisten zu können.

Da ich gebunden war, konnte ich nicht gehen und glaubte daher, daß man mich forttragen werde. Das geschah aber nicht. Man schlang mir einen Lasso unter den Armen hindurch und schleifte mich auf diese Weise nach der Halbinsel. Wäre mein Anzug nicht von Leder gewesen, so wäre er vollständig zerfetzt worden. Die Männer kündeten ihren Sieg durch laute Rufe an, so daß diejenigen, welche sich auf der Halbinsel befanden, bereits benachrichtigt waren, ehe wir dort ankamen.

Wie ich nicht anders erwarten konnte, befand sich der Major mit seinen Leuten dort. Außer den sechs waren noch andere abgeschickt worden, mir aufzulauern, denn man hatte nicht gewußt, aus welcher Richtung ich kommen werde. Diese Leute kamen nun auch herbei, da sie durch die jubelnden Rufe belehrt wurden, daß man sich meiner bemächtigt habe. Meine Gefährten lagen unter den Bäumen, ebenso gefesselt, wie ich. Keiner von ihnen fehlte, und keiner war verwundet. Wie hatten diese Menschen sich nur so überraschen und ohne allen Widerstand festnehmen lassen können! Es war mir unbegreiflich.

Freilich war ich selbst auch nicht aufmerksam und vorsichtig genug gewesen; aber man hätte mir doch keinen Hinterhalt legen können, wenn die Gefährten weniger sorglos gewesen wären. Hätte nur einer von ihnen einen Schuß abgegeben, so wäre dieser von mir gehört worden und ich hätte Verdacht gefaßt. Selbst im Falle ihre Verteidigung ohne Erfolg gewesen wäre, hätte wenigstens ich die Freiheit behalten und dieselbe natürlich nur dazu benützt, ihnen auf irgend eine Art und Weise Hilfe zu bringen.

Ich wurde vor den Major geschleift. Er kreuzte die Arme über die Brust und begrüßte mich unter höhnischem Lachen:

»Mein Kompliment, Sennor! Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen! Wie geht es Ihnen?«

Ich antwortete ihm nicht.

»Reden Sie!« schnauzte er mich an, indem er mir einen Tritt gab. Auch diese Aufforderung war ohne Erfolg.

»Ah!« lachte er. »Ich verstehe! Der Deutsche ist ein vornehmer Sennor. Sein Stolz verbietet ihm, mit uns zu sprechen, wenn er an der Erde liegt. Richtet ihn also auf, und lehnt ihn an den Baum! Vielleicht hat er dann die Gnade, mich einer Antwort zu würdigen.«

Man gehorchte diesem Befehle. Der Mann hatte mich erschießen lassen wollen. Vielleicht war er gewillt, dies jetzt zu thun. Ich verhehlte mir nicht, daß ich mich in Lebensgefahr befand, zumal ich es war, auf den sein Haß und seine Absicht der Rache vorzüglich gerichtet sein mußte. Darum erschien es mir nicht geraten, seinen Zorn absichtlich herauszufordern. Es war jedenfalls vorteilhafter für mich, anstatt zu schweigen, ihm seine Fragen zu beantworten.

»Nun, Sennor,« sagte er, »Sie nehmen jetzt diejenige aufrechte Stelle ein, welche Ihrer Würde angemessen ist, und werden nun wohl Ihre liebe Stimme hören lassen. Freuen Sie sich nicht ebensosehr, wie ich, über unsere jetzige Begegnung?«

»Außerordentlich!« nickte ich.

»Sie geschah schneller, als Sie dachten. Ich hatte es Ihnen vorausgesagt. Sie wollten es mir aber nicht glauben. Jedenfalls haben Sie noch nicht vergessen, was Sie mir für den Fall eines nochmaligen Zusammentreffens angedroht haben? Sie sagten, daß Sie mich nicht so schonen würden, wie bisher. Erinnern Sie sich dessen, Sennor?«

»Sehr gut.«

»Nun aber ist es anders gekommen. Nicht ich befinde mich in Ihren Händen, sondern Sie sind in den meinigen. Erwarten Sie vielleicht Schonung von mir?«

»Ich weiß nicht, was Sie Schonung nennen.«

»Schonung ist's zum Beispiel, wenn ich Ihnen nicht das Leben nehme, Sie aber dadurch unschädlich mache, daß ich Ihnen eine Ladung Pulver in die Augen schieße. Was sagen Sie dazu?«

»Sie werden weder das eine, noch das andere thun!«

»Meinen Sie? Wie kommen Sie zu dieser ganz unbegründeten Ansicht?«

»Dadurch, daß ich Sie nicht für ein wildes Tier, sondern für einen Menschen halte. Sie wissen sehr genau, daß nicht ich es bin, welcher die Schuld an den bisherigen Feindseligkeiten trägt.«

»Ich doch wohl nicht! Sie sind ein Landesverräter und Mörder. Man muß Ihnen die Kugel oder den Strick geben!«

»Sie selbst glauben nicht an die Anschuldigung, welche Sie aussprechen. Selbst wenn ich das, was Sie mir vorwerfen, gethan hätte, wären Sie nicht zuständig und nicht berechtigt, über mich ein Urteil zu fällen oder gar dasselbe auszuführen.«

»Was ich bin und was ich thun werde, das weiß ich selbst; Ihre Ansicht brauche ich da nicht, Sennor. Damit Sie aber nicht in Zweifel bleiben über das, was Ihrer wartet, will ich es Ihnen mitteilen. Ja, ich hatte die Absicht, Sie erschießen zu lassen, denn es gab Gründe, Sie zu entfernen, und bei Ihrer Gewaltthätigkeit war nicht anzunehmen, daß ich Sie glücklich bis hierher bringen würde. Nun wir uns aber hier befinden, so fällt es mir gar nicht ein, Ihnen das Leben zu nehmen. Sie werden Soldat, verstanden?«

Diese letzteren Worte beruhigten mich außerordentlich.

Wenn man mir das Leben ließ, so war ja alles gut. Was man sonst mit mir vorhatte, konnte mir sehr gleichgültig sein, denn ich wußte im voraus, was ich dagegen zu thun hatte. Freilich konnte ich mir nicht erklären, welche Gründe der Major gehabt hatte, mich am Rio Negro erschießen zu lassen, und welche andere Gründe ihn jetzt hier am Uruguay veranlassen konnten, darauf zu verzichten.

»Ich verstehe!« antwortete ich.

»Natürlich werden Sie sich bei mir für diesen Entschluß, den ich gefaßt habe, auf das herzlichste bedanken!«

»Das kann mir nicht einfallen, denn Sie haben weder das Recht, mich erschießen zu lassen, noch dasjenige, mich unter die Soldaten zu stecken!«

»Ich nehme es mir! Ich bin Ihr Kommandeur und werde Sie beim ersten Vergehen gegen die Subordination erschießen lassen!«

»Ich bin Ihnen keinen Gehorsam schuldig!«

»Und ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen, indem ich Ihre Angelegenheit dem General vortrage und diesen entscheiden lasse. Da ich überzeugt bin, daß er meine Bestimmungen bestätigen wird, so betrachte ich Sie bereits jetzt als Soldat.«

»Und ich nehme nach wie vor an, daß ich Civilist bin. Nur derjenige ist Soldat und kann wegen etwaiger Subordination bestraft werden, der zur Fahne geschworen hat.«

»Das werden Sie sehr bald thun. Uebrigens sind Sie es nicht allein, sondern Ihre sämtlichen Gefährten werden gezwungen, in unsere Reihen zu treten. Sie haben sich schon dazu bereit erklärt.«

»Das ist nicht meine, sondern ihre Sache. Ich werde niemals meine Zustimmung geben.«

»Sie werden sie geben, denn das ist der einzige Weg, auf welchem Sie Ihr Leben retten können. Was hindert mich, Sie gleich jetzt erschießen zu lassen? Nichts, gar nichts! Sie haben es nur meiner ungewöhnlichen Güte und Nachsicht zu verdanken, wenn ich es nicht thue. Diese Nachsicht haben Sie nicht verdient, und ich stehe soeben im Begriff, Ihnen Gelegenheit zu geben, sich derselben würdig zu machen. Warten Sie einen Augenblick!«

Er prüfte alle die Gegenstände, welche man mir abgenommen hatte, ließ dann meine Taschen und den Gürtel nochmals genau untersuchen und sagte, als nichts gefunden wurde:

»Ich habe gesehen, welch ein vorzüglicher Reiter Sie sind. Sie haben auch bewiesen, daß Sie Mut, ja Verwegenheit besitzen. Sobald Sie auf Ihren jetzigen Widerstand verzichtet haben, werden Sie ein höchst brauchbarer Soldat sein. Waren Sie vielleicht schon Militär?«

»Nein.«

»So werde ich Sie einexerzieren lassen, und Sie können dann sicher sein, daß Sie schnell avancieren. Ich weiß, daß Sie mir das später Dank wissen werden. Wenn ich diese Absicht ausführen soll, muß ich für eine geeignete Ausrüstung für Sie sorgen. Dazu reicht aber Ihr Geld nicht aus.«

Diese Worte sagten mir, was er jetzt verlangen werde. Darum antwortete ich ihm:

»Wer für die Ausrüstung sorgt, hat sie auch zu bezahlen! Uebrigens reicht die Summe, welche Sie mir abgenommen haben, aus, zehn Offiziere auszustatten.«

»Das verstehen Sie nicht. Sie werden nachzahlen müssen. Haben Sie noch weitere Mittel?«

»Ich habe kein Geld weiter.«

»Aber Sie besitzen Kredit?«

Ich kannte in den ganzen La Plata-Staaten keinen Menschen, welcher geschäftliche Veranlassung gehabt hätte, mir auch nur einen Pfennig zu borgen; aber um die Verhandlung abzukürzen und diesem Menschen alle Veranlassung zu nehmen, mich zu quälen, antwortete ich:

»Der Kredit, über welchen ich verfüge, ist nicht bedeutend.«

»Wer ist Ihr Geschäftsfreund?«

»Bankier Haufer in Buenos Ayres.«

»Dem Namen nach ein Deutscher?«

»Ja.«

»Wie hoch beläuft sich Ihr Kredit?«

»Eine Summe ist nicht genannt. Ich bin nicht wohlhabend.« »Ihr Auftreten ist ein Beweis, daß Sie reich sind. Sie werden mir eine Anweisung auf diesen Mann geben!«

»Das werde ich nicht!« weigerte ich mich scheinbar.

»Nun, ganz wie Sie wollen! Sie sind selbst schuld, wenn ich infolgedessen unser Verhältnis genau so nehme, wie ich es am Rio Negro betrachten mußte. Das heißt, Sie werden erschossen.«

»Sie gaben bereits Ihr Wort, daß dies nicht geschehen soll.«

»Ich setzte dabei voraus, daß Sie meine Güte anerkennen und sich nicht weigern würden, auf meine Absichten einzugehen. Da Sie diese Hoffnung täuschen, nehme ich mein Wort zurück.«

»Ist das wirklich Ihre feste Entschließung?«

»Meine festeste. Ich gebe Ihnen auch keine Bedenkzeit. Wollen Sie die Anweisung schreiben oder nicht?«

Ich that, als ob ich noch überlege, und antwortete dann mißmutig:

»Sie zwingen mich ja dazu!«

»Ich übe keinen Zwang aus, Sennor. Merken Sie sich das, denn Sie werden mir es vielleicht bescheinigen müssen.«

»Wenn Sie eine Bedrohung mit dem Erschießen keinen Zwang nennen, so habe ich freilich nie gewußt, was Zwang ist.«

»Also, was thun Sie?«

»Ich kann nicht anders; ich muß Ihnen die Anweisung geben.«

»Aber jetzt gleich! Mir genügt es für jetzt, daß Sie sich einstweilen unterschreiben, mir die Summe von zehntausend Papierthalern zu schulden. Eine regelrechte Anweisung werden Sie mir später ausfertigen.«

»Zehntausend! Da muß die Ausstattung Ihrer Soldaten eine höchst brillante sein!«

»Wenigstens die Ihrige wird es sein. Nun setzen Sie sich! Hier ist Ihr Notizbuch!«

Ich wurde niedergesetzt, und dann lockerte man mir die Riemen, welche meine Hände hielten. Gerade als ich schrieb, kam Petro Aynas mit seinem Weibe am Flusse herab. Auch diese beiden hatten keine Ahnung von dem, was geschehen war. Als sie die Bolamänner erblickten, stutzten sie und blieben stehen.

»Vorwärts! Herbei mit euch, sonst schießen wir!« rief ihnen der Major entgegen.

Er hatte diesen Befehl vergeblich gegeben, denn die beiden rannten auf das schleunigste von dannen.

»Ihnen nach!« gebot der Major einigen von seinen Leuten. »Sucht auch in ihrer Hütte nach dem Gelde, welches sie erhalten haben!«

Die Kerle entfernten sich, kamen später aber unverrichteter Sache zurück. Sie hatten weder das Indianerpaar gesehen, noch in der Hütte etwas gefunden, was des Mitnehmens wert gewesen wäre.

Ich war indessen, nachdem ich geschrieben hatte, wieder enger gefesselt und dann zu den andern Gefangenen gelegt worden. Da es lichter Tag war und man uns infolgedessen leicht beobachten konnte, so wurden wir weder an die Bäume gebunden, noch voneinander getrennt. Man hielt es nicht einmal für nötig, uns das Sprechen zu verbieten. Der Major sandte zwei seiner Leute flußaufwärts. Sie sollten sich bei der nächsten Krümmung des Stromes aufstellen und ihn benachrichtigen, wenn ein zur Ueberfahrt passendes Fahrzeug sich nahe. Dann wendete er sich noch einmal zu mir und sagte:

»Sie hören, daß wir wieder über den Fluß wollen. Wahrscheinlich möchten Sie gern wissen, wie wir herübergekommen sind?«

Ich antwortete nicht, und so fuhr er fort:

»Sie selbst tragen die Schuld, daß es uns möglich war, so schnell zu Ihnen zurückzukehren. Ich habe Sie von den Flößern zu grüßen. Sie lassen sich auf das herzlichste bei Ihnen für ihre Befreiung bedanken.«

»Das ist der höchste Unverstand von diesen Leuten.«

»Hätten Sie auch sie frei gemacht, so wäre es anders gekommen.«

»Wozu sollte ich sie befreien? Sie schwebten ja in keiner Gefahr. Und außerdem hatte ich keine Zeit dazu.«

»Das ist ganz gleichgültig. Sie haben diese Leute in der Falle stecken lassen und sich dadurch ihren Zorn zugezogen. Um sich dafür an Ihnen zu rächen, waren sie sogleich bereit, uns wieder herüberzuschaffen. Um Sie irre zu führen, entfernten wir uns, und auch das Floß schwamm weiter. Aber unten, wo Sie es nicht sehen konnten, legte es wieder an, um uns aufzunehmen. Wir haben Ihnen nun bewiesen, daß wir es in Beziehung auf die Klugheit mit Ihnen recht gut aufnehmen. Sie sind von jetzt an Soldat, und da ich annehme, daß Sie bei nächster Gelegenheit zu desertieren beabsichtigen, so behalten Sie Ihre Fesseln, bis ich überzeugt bin, daß die Flucht Ihnen nicht mehr möglich ist. Jetzt sind wir einstweilen miteinander fertig, Sennor.«

Er wendete sich ab. Man hatte mich zwischen den Bruder und den Kapitän gelegt. Meine Mitgefangenen hatten jedes Wort gehört, welches mit mir gesprochen worden war. Jetzt meinte Frick Turnerstick in gedämpftem Tone zu mir:

»Miserable Geschichte! Armseliges Verhältnis, Sir! Nicht?«

»Hättet Ihr Euch nur nicht ergreifen lassen!«

»Soldat werden! Und was für einer! Werde mich natürlich an die Vertretung der Vereinigten Staaten wenden!«

»In welcher Weise?«

»Ich desertiere.«

»Und laßt Euch fangen und erschießen!«

»Zum Teufel! Das klingt nicht tröstlich. Ist es denn in dieser schönen Gegend Sitte, sich Soldaten zusammenzustehlen?«

»Es scheint so.«

»Das ist aber doch gegen alles Völkerrecht!«

»Habt Ihr denselben Paragraphen des Völkerrechtes nicht vielleicht auch schon übertreten? Euch also noch niemals mit Gewalt eines Matrosen bemächtigt?«

»Hm! Meint Ihr es so? ja, in der Not frißt der Teufel Fliegen. Und wenn sie keine Lust haben, sich von ihm fressen zu lassen, muß er sie eben fangen.«

»Da habt Ihr es! ihr dürft also gar nicht über andere reden.« »Sir, das sind ganz verschiedene Verhältnisse. Wenn meine Matrosen desertieren, so muß ich andere haben, sonst kann ich all mein Lebtage vor Anker liegen bleiben.«

»Ja, da Ihr nun einmal persönlich in so einer Presse steckt, so schreit Ihr Ach und Wehe über dieselbe. Wie seid Ihr denn eigentlich hineingeraten?«

»Auf die albernste Weise von der Welt.«

»So ohne alle Gegenwehr!«

»Es ging so schnell, daß wir gar nicht daran denken konnten!«

»Wie ist das möglich? Ihr seid doch Meister im Gebrauch der Büchse, des Säbels und des Messers! Ihr schießt sogar mit einer Kanonenkugel einer Mücke den vordersten Zahn aus dem Maule!«

»Spottet nur! Ihr waret ja nicht dabei!«

»Und Euer Steuermann, dieser Koloß von einem Menschen, konnte er sich nicht wenigstens seiner Riesenfäuste bedienen?«

»Nein. Er hätte die Kerle alle zu Brei gequetscht, aber das war unmöglich, da er leblos im Schilfe lag.«

»Worüber ist er denn so gewaltig erschrocken, daß er in diese Ohnmacht fallen konnte?«

»Sir, ärgert mich nicht! Fragt nicht so höhnisch! Das kann ich nicht vertragen. Wenn Ihr wissen wollt, wie es zugegangen ist, so erkundigt Euch bei dem Bruder, Eurem andern Nachbar. Ich habe keine Lust, mich in solcher Weise anrudern zu lassen. Der Aerger, der mich würgt, ist ohnedies groß genug. Und was Euch betrifft, so braucht Ihr Euch nicht so großartig in Eure eigenen Segel zu blähen, denn Ihr liegt gerade so gefangen da, wie wir andern, und habt Euch ebenso übertölpeln lassen. Wenn Ihr hier gewesen wäret, hättet Ihr es auch nicht ändern können.«

»Nein,« ließ sich jetzt der Bruder hören, welcher bisher geschwiegen hatte. »Der Sennor wäre nicht in diese plumpe Falle gegangen; davon bin ich überzeugt.«

»Was war es denn für eine Falle?« erkundigte ich mich.

»Eine so dumme, daß ich mich geradezu schäme, davon zu sprechen, Sennor. Aber, haben Sie wenigstens die Güte, mich nicht auszulachen!«

»Die Sache ist auf alle Fälle viel zu ernst zum Lachen.«

»Leider ja! Der Steuermann war gegangen, um den Posten abzulösen. Als er an die betreffende Stelle kam, war die Wache, welche dort gestanden hatte, nicht mehr da. Indem er nach ihr suchte, erhielt er einen Kolbenhieb auf den Kopf, der ihn besinnungslos niederstreckte.«

»So waren die Feinde schon da und hatten den Posten überrumpelt?«

»Ja, und zwar in aller Stille, so daß wir es gar nicht bemerkt hatten. Nach einer kurzen Weile wurde Sennor Monteso gerufen. Er glaubte, es sei die Stimme des Postens, und folgte ihr, um sofort auch überwältigt zu werden. Dann rief man mich.«

»Und Sie gingen auch, ohne daß Ihnen ein Verdacht kam? Hm!«

»Was wollen Sie; es ging alles so schnell und glatt ab, daß man gar keine Zeit fand, mißtrauisch zu werden.«

»Und Sie wurden auch ergriffen?«

»Sogar auch mit dem Kolben niedergeschlagen! Auf diese Weise waren der Posten, Sennor Monteso, ich, der Steuermann und nach uns der junge Monteso unschädlich gemacht worden. Mit den übrigen glaubten die Feinde leichtes Spiel zu haben. Sie sprangen plötzlich nach der Halbinsel und überrumpelten sie im wahrsten Sinne des Wortes, ohne daß einer Zeit fand, die Hand zur Gegenwehr zu erheben.«

»Es ist freilich nicht jedermanns Sache, geistesgegenwärtig zu sein!« fuhr ich weiter fort. »Doch ist es nun unnütz, zu kritisieren und Vorwürfe auszusprechen. Wir sind gezwungen, die Thatsachen zu nehmen, wie sie sind. Hauptsache ist, zu überlegen, wie wir aus der Falle herauskommen.«

»Haben Sie Hoffnung dazu?«

»Ich habe stets Hoffnung. Es giebt kein Unglück, welches nicht von einem Glück begleitet ist.«

»Wie aber hat man denn Sie ergreifen können, Sennor? Das dünkt mir schwieriger gewesen zu sein, als alles Vorhergegangene.«

»Danke für dieses Kompliment! Ich bin eben genau so unvorsichtig gewesen, wie Sie.«

Ich erzählte, wie ich durch die Bolas niedergerissen worden war. Die andern hörten es alle und gaben dem Bruder recht, welcher meinte, daß mir das nicht hätte geschehen können, wenn sie mehr achtsam gewesen wären. Uebrigens befanden sich diejenigen von ihnen, welche die Kolbenschläge empfangen hatten, in noch üblerer Stimmung als die andern. Ihre Köpfe brummten ihnen gewaltig, und der Steuermann knurrte grimmig:

»Habe ich nur erst die Hände frei, dann werde ich es sein, der Kopfnüsse austeilt! Die Hände frei und eine tüchtige Handspeiche dazu, dann haue ich sie zusammen, daß die Köpfe wie Kegelkugeln herumkollern sollen!«

»Das werden Sie bleiben lassen!« antwortete ich ihm. »Keiner von uns darf etwas thun, ohne die Einwilligung der andern zu haben. Zunächst geben wir uns den Anschein, als ob wir gesonnen seien, uns in unser Schicksal zu fügen. Unser Leben ist nicht bedroht; das muß und kann uns beruhigen.«

»Aber später giebt es noch viel weniger eine Rettung, als jetzt,« meinte der Yerbatero, »weil man uns trennen wird. Oder bezweifeln Sie, daß wir unter das Militär gesteckt werden?«

»Nein. Ich bin sogar überzeugt davon.«

»So wird man jeden von uns zu einer andern Abteilung thun. Wie können wir uns dann gegenseitig beistehen!«

»Bis dahin haben wir noch lange Zeit. Uebrigens verlangt es mich, zu wissen, welche Armee oder Truppe es ist, welcher uns einzuverleiben man beabsichtigt.«

»Doch die Schar, welche Lopez Jordan um sich versammelt.«

»Hm! Wenn man nur genau wüßte, ob dieser Mann eine Erhebung gegen die bestehende Regierung beabsichtigt.«

»Alle Welt spricht ja davon!«

»So wird man ihm schnell die Flügel stutzen!«

»Das geht nicht so schnell, Sennor. Jordan soll sich in den Besitz großer Pferdeherden gesetzt haben, so daß seine Gegner, das heißt die Regierungstruppen, sich nur schwer oder schlecht beritten machen können. Das ist hier zu Lande ein ungeheurer Vorteil, den er für sich hat.«

»Besitzt er auch das nötige Geld?«

»Er hat ja das ungeheure Vermögen seines Stiefvaters, des Präsidenten Urquiza.«

»Den er ermorden ließ, eben um sich in den Besitz dieses Geldes zu setzen! Das Vermögen mag groß sein; aber zu einem Aufstande gehören, wenn er glücken soll, Millionen!«

»Nun, so raubt er sich eben so viel, wie er braucht, zusammen. Wir haben ja selbst gesehen, daß er seine Spitzbuben sogar über die Grenze schickt, um Pferde zu stehlen. Und Geld stiehlt er auch, wie wir jetzt beschwören können.«

»Hat der Major auch Ihnen alles abnehmen lassen?«

»Alles, alles! Unsre Taschen sind vollkommen leer. Das viele Geld, welches mein Bruder bei sich hatte, ist auch fort.«

»Nur das meinige nicht!« lachte Frick Turnerstick leise.

»Ihr habt es noch, Capt'n?« fragte ich ihn.

»Yes! Habe Euch ja bereits gesagt, daß es so gut verstaut ist, daß ich selbst es nicht finden würde, wenn ich es mir nicht gemerkt hätte, wo es steckt. Bin noch niemals auf die Nase gefallen gewesen!«

»Sagt einmal, Ihr seid doch gut in New York bekannt?«

»Will's meinen.«

»So will ich einmal sehen, ob Ihr vielleicht einen Mann dort kennt, welcher uns aus der Falle helfen soll.«

»Das wäre ein Hauptkunststück! Was ist denn der Mann?«

»Exporteur.«

»Also Seetransport! Wo hat er sein Geschäft?«

»Auf dem Exchange-Platz. Er arbeitet in allen möglichen Geschäften, ohne viel nach den Klar-Papieren zu fragen, und heißt – –«

»Hounters etwa?« unterbrach mich der Kapitän schnell.

»Ja. William Hounters.«

»Der also, der! Sir, den kenne ich freilich wie meine eigene Hand.«

»Habt Ihr Geschäfte mit ihm gehabt?«

»Einige Male, bin aber dann nicht wieder zu ihm gekommen. Der Mann war zu sehr pfiffig und zu wenig ehrlich. Soll dieser Kerl es etwa sein, auf den Ihr Euch verlaßt?«

»Ja.«

»So bleiben wir in der Buttermilch kleben, Sir! Wer uns befreien soll, der muß doch anwesend sein!«

»Ist nicht nötig, wenigstens in diesem Falle nicht. Die Hauptsache ist, daß Ihr in dieselbe Trompete blast, wie ich.«

»Gebt sie nur her! Blasen werde ich schon.«

»Schön! Zunächst ist nur nötig, daß Ihr zwar sagt, daß Euer Schiff in dem Hafen von Buenos Ayres liegt, was Ihr aber für eine Fracht habt, darüber dürft Ihr kein Wort verlieren. Ihr müßt so thun, als ob das Euer größtes Geheimnis sei.«

»Warum?«

»Davon später. Ihr wißt eigentlich selbst nicht, was in den Kisten und Fässern steckt, welche ich bei Euch verstaut habe.«

»Ihr?« fragte er verwundert.

»Ja. Ich bin mit Euch von New York gekommen, direkt von New York. In Montevideo habt Ihr mich an das Land gesetzt und seid dann nach Buenos gegangen, um mich dort zu erwarten.«

»Aber, Sir, von dem allen begreife ich kein Wort!«

»Ist auch gar nicht nötig. Ihr seid von New York halb in Ballast abgesegelt. Die Fracht besteht fast nur aus meinen Kisten und Fässern, welche eben dieser William Hounters verfrachtet hat. Mich hat er als Superkargo mitgegeben, und Ihr habt von ihm die Weisung erhalten, daß Ihr Euch in allen Stücken nach mir richten müßt.«

»Jetzt wird der Storch ein Elefant, Sir! Das sind ja lauter Sachen, die mir wie Raupen im Kopfe herumkriechen.«

»So eine Raupe kann zum schönsten Schmetterling werden; paßt nur auf! Also ich bin in Montevideo ans Land gestiegen und habe nach ungefähr einer Woche in Buenos Ayres wieder mit Euch zusammentreffen wollen. Die Zeit ist Euch zu lang geworden, und so seid Ihr den Uruguay aufwärts gegangen, um zu sehen, ob Ihr da Rückfracht finden könnt. Dabei sind wir ganz unerwarteter Weise hier zusammengetroffen.«

»Sir, ist das wirklich Euer Ernst? Diesen Unsinn soll ich jemandem weismachen? Man wird ihn nicht glauben!«

»Man wird ihn nur zu gern glauben. Ja, man wird außerordentlich erfreut sein, diesen Unsinn zu hören.«

»Und wem soll ich das sagen?«

»Keinem andern Menschen, als nur Lopez Jordan allein.«

»Aber, den kenne ich nicht! Mit ihm habe ich ganz und gar nichts zu thun!«

»Bisher nicht; aber wir werden sehr wahrscheinlich mit ihm zu thun bekommen. Nur ihm sagt Ihr das. Gegen jeden andern hüllt Ihr Euch in ein geheimnisvolles Schweigen. Und wenn Ihr es ihm sagt, muß auch ich dabei sein. Ihr dürft ihm nur in meiner Gegenwart dieses Geheimnis verraten, weil wir danach trachten müssen, daß wir bei jedem Verhöre alle beisammen sind. Einer muß hören, was der andere sagt, damit keiner sich versprechen kann. Dadurch sorgen wir auch dafür, daß wir nicht sobald getrennt werden. Weiß einer von euch nicht, was und wie er antworten soll, so muß er den Betreffenden an mich weisen.«

»Haben denn auch andere von uns noch solche Dummheiten zu verschweigen?«

»Sennor Mauricio Monteso.«

»Ich?« fragte der Yerbatero.

»Ja, Sie. Sie geben auf Befragen an, daß Sie mich bei Sennor Tupido in Montevideo getroffen haben.«

»Das ist keine Lüge, sondern Wahrheit.«

»Desto besser. Ihr genießet das volle Vertrauen Tupidos, und er hat Euch den Auftrag erteilt, mich nach der Provinz Entre-Rios zu begleiten. Er hat Euch aber verantwortlich gemacht, mich wohlbehalten dorthin zu bringen. Alles übrige könnt Ihr genau so sagen und erzählen, wie es geschehen ist.«

»Und wozu soll das führen?«

»Zu unserer Freiheit, wenn sich nämlich meine Vermutung als richtig erweist, daß wir zu einer Truppe gebracht werden, welche zu Lopez Jordan gehört.«

»Begreifen kann ich nicht, was Sie damit wollen, Sennor, aber thun werde ich, was Sie verlangen. Wäre es aber nicht besser, wenn Sie uns die Sache offener und ausführlicher mitteilten?«

»Nein; ich bin zum Schweigen verpflichtet, und gerade für diese Verschwiegenheit wird Jordan mir Dank wissen.«

Jetzt kamen die beiden flußaufwärts geschickten Männer zurück und meldeten, daß ein Floß von oben herabkomme. Der Major ergriff eine Flinte und eilte mit ihnen fort. Nach einigen Minuten hörten wir den Schuß. Er mußte oberhalb unseres Lagers ihnen sagen, was er wollte, weil es sonst für sie zu spät gewesen wäre, an der Halbinsel anzulegen. Bald kehrte er mit seinen Begleitern zurück. Wir erhielten Knebel in den Mund. Dann kam das Floß in Sicht und legte gerade da an, wo das vorige gelegen hatte. Wir wurden auf dasselbe getragen, und unsere Pferde mitgenommen. Der Major sprach mit den Floßknechten leise und gab ihnen Geld. Sie warfen finstere, verächtliche Blicke auf uns. Wer weiß, welche Lüge er vorgebracht hatte.

Die Einschiffung hatte kaum einige Minuten in Anspruch genommen, dann wurde das Floß wieder flott gemacht. Wir verließen das linke Ufer des Uruguay, welches uns schließlich doch noch gefährlich geworden war. Ueber eins aber freute ich mich, nämlich darüber, daß sie den Indianer mit seinem Weibe nicht auch ergriffen hatten.

Das Floß wurde nach rechts gesteuert, und der Major gab an, wo er landen wolle. Dort wurden wir wieder vom Flosse an das Ufer getragen. Unsere Fährleute bedankten sich sehr höflich bei Cadera. Er schien sie sehr gut bezahlt zu haben. Das Ufer war nicht hoch. Es gab dichtes Schilf, aus welchem rotblühende Zeibobäume emporragten. Man trug uns eine ganze Strecke weit durch dieses Schilf; die Pferde wurden hinterher gezogen, bis wir einen ziemlich großen, freien Grasplatz erreichten, wo fünf oder sechs Bolamänner mit den Pferden zurückgeblieben waren. Die Kerle äußerten eine ausgelassene Freude, als sie uns erblickten. Der Major befahl, daß sogleich aufgebrochen werde, und wir wurden in der schon mehrfach angedeuteten Weise auf die schlechtesten Pferde gebunden. Cadera hatte als guter Pferdekenner sich meinen Braunen ausgewählt. Das nahm ich ihm gar nicht übel, denn der Braune war das beste der vorhandenen Tiere. Aber neugierig war ich, was das Pferd dazu machen werde. Es war bis jetzt willig gefolgt. Nun aber, als der Major den Zügel ergriff und den Fuß in den Bügel setzte, stieg es in die Höhe, riß sich los und kam zu mir.

»Was hat denn die Bestie!« rief er.

Man hatte uns die Knebel nur zu dem Zwecke angelegt, daß wir nicht mit den Flößern sprechen konnten; jetzt waren sie uns wieder abgenommen worden. Darum konnte ich antworten:

»Es hat eine eigene Mucke, Sennor; es läßt nur wirklich gute Reiter in den Sattel.«

»Meinen Sie, daß ich nicht reiten kann?«

»Was ich denke, ist Nebensache; der Braune aber scheint es zu meinen.«

»Ich werde ihm zeigen, daß er sich irrt.«

Zwei Männer mußten das Pferd halten; dennoch gelang es ihm nicht, den Fuß in den Bügel zu bringen.

»Ein wahrer Teufel, gerade wie sein Herr!« rief er zornig. »Aber es soll doch gehorchen lernen.«

Er wollte es schlagen.

»Halt!« warnte ich. »Prügel ist es nicht gewöhnt. Es wird sich losreißen und entfliehen.«

»Aber, es läßt einen nicht auf!«

»Es läßt nur mich in den Sattel. Aber führen Sie es her an meine Seite; vielleicht ist es da williger.«

Er folgte diesem Rate, und siehe da, der Braune sträubte sich nicht mehr. Kaum aber saß der Major fest und dirigierte es von mir weg, so machte das Tier einen Katzenbuckel, ging erst hinten, dann vorn in die Höhe und that dann schnell einen Seitensprung, so daß Cadera Bügel und Zügel verlor und in einem weiten Bogen zur Erde flog. Das hatte ich vorausgesehen, sonst wäre ich ihm gar nicht behilflich gewesen, auf das Pferd zu kommen, welches sicherlich keinen andern als mich im Sattel litt. Die Sache machte mir Spaß. Der Major war mit dem Rücken so derb aufgeflogen, daß er, als er sich aufgerafft hatte, sich nur schwer gerade aufrichten konnte.

»Schießt die Kanaille nieder!« schrie er. »Gebt ihr eine Kugel.«

Sofort wurden mehrere Gewehrläufe auf das Pferd gerichtet.

»Halt!« rief ich. »Wollen Sie denn wirklich ein so prachtvolles Pferd töten? Ist es nicht besser, es zu schulen? Später wird es seinen Reiter willig tragen.«

»Das ist wahr!« stimmte Cadera bei. »Es kennt mich noch nicht. Perez, steig du auf!«

Der Aufgeforderte versuchte es, diesem Befehle nachzukommen, vergeblich! Erst als er es wieder an meine Seite bracht e, ließ es ihn aufsteigen, warf ihn dann aber sofort wieder ab. So erging es noch einigen.

»Ein wahres Höllenpferd!« zürnte der Major. »Keiner kann es reiten. So bleibt uns also nichts anderes übrig, als daß wir seinen bisherigen Herrn darauf setzen.«

Ich wurde von meiner Mähre los- und dann auf den Braunen gebunden, welcher dabei so ruhig wie ein Lamm war. Dann ging es fort. Man nahm uns in die Mitte, und als wir die Uferregion mit ihrem Schilfe und ihren Sumpflachen hinter uns und dann freien Camp vor uns hatten" setzte sich die Truppe in Galopp. Das Land war hüben ganz dasselbe wie drüben, wenigstens der Teil, durch welchen wir kamen. Die Pferde wurden möglichst angestrengt; sie erhielten nur selten einmal die Erlaubnis, in Schritt zu fallen, so daß wir um die Mittagszeit eine bedeutende Strecke hinter uns gelegt hatten.

Einen gebahnten Weg gab es auch hier nicht. Einigemal erkannte ich an den Spuren, daß schwere Wagen da gefahren seien. Hier oder da war ein Rancho, eine Hazienda rechts oder links von uns aufgetaucht, ohne daß wir auf sie zu- und dort angehalten hätten. Auch wurde kein Wort mit uns gesprochen, so daß wir über das Ziel des Rittes ganz im Dunkel blieben. Nach Mittag belebte sich der Camp immer mehr. Herden hatten wir auch vorher gesehen; jetzt aber erblickten wir Reiter, erst einzelne, dann zu kleineren oder größeren Truppen vereinigt, welche nach einer bestimmten Richtung gingen oder aus derselben kamen. Die Begegnenden wechselten einige Worte mit dem Major, zu dem sie sich sehr respektvoll verhielten; sie warfen neugierige oder gar feindselige Blicke auf uns und ritten dann weiter.

Später sahen wir seitwärts sich größere Reitergeschwader bewegen. Sie schienen zu exerzieren, und endlich stieg vor uns ein großer Gebäudekomplex aus dem Camp empor, dem wir zustrebten.

»Das ist das Castillo del Libertador (Schloß des Befreiers) sagte der Major, zu uns gewendet. »Dort wird Ihr Schicksal entschieden werden.«

Ein Schloß also! Hm! je mehr wir uns demselben näherten, desto weniger schloßähnlich sahen die Gebäude aus. Auch hier bestanden die Mauern aus gestampfter Erde, und auch hier waren die Gebäude mit Schilf gedeckt; aber sie waren zahlreich und umfaßten ein weites Areal. Der Besitzer dieses ›Castillo‹ war ganz gewiß ein reicher Mann. Rinder- und Schafherden sahen wir hier nicht, desto mehr aber Pferde und Reiter, welch letztere alle einen militärischen Anstrich hatten. In der Nähe der Gebäude wimmelte es förmlich von solchen Kriegern, welche in den buntesten Kleidungsstücken oder vielmehr Kleiderfetzen steckten und auf die verschiedenste Art bewaffnet waren. Keiner glich dem andern und doch waren sie sich alle ähnlich, nämlich in Beziehung auf den Schmutz und auf die feindseligen Blicke, welche sie für uns hatten. Die meisten waren barfuß, aber die riesigen Sporen fehlten bei keinem. Ich sah die verschiedensten Hüte und Mützen, sogar einige alte Cylinder, welche mit Federn besteckt oder irgend einem roten Fetzen umwunden waren. Die glücklichen Besitzer dieser ›Angströhren‹ schienen Chargierte zu sein. Gewehre hatten nur wenige. Viele waren mit Lanzen, alle aber ohne Ausnahme mit Lasso und Bola versehen.

Vor dem Hauptgebäude hielten wir an. Ein halbes Tausend Helden standen da, hielten sich aber von der Front des Hauses ziemlich fern, was uns vermuten ließ, daß wir uns am Hauptquartiere irgend eines Napoleon oder Moltke befanden.

Der Major stieg ab und ging in das Haus, jedenfalls um seine Meldung zu machen. Die andern blieben zu Pferde und behielten uns in ihrer Mitte. Erst nach Verlauf von wohl einer halben Stunde kehrte der Major zurück. Sein Gesicht sah streng und verschlossen aus.

»Herab mit ihnen!« gebot er. »Bringt sie herein!«

Wir wurden an den Beinen losgebunden und in das Innere des Hauses geführt. Dort standen einige Kerle, welche eine Thüre öffneten, die in einen selbst jetzt am Tage völlig dunkeln Raum führte. Da hinein steckte man uns, und dann wurde die Thüre hinter uns verriegelt.

»Da also werfen wir Anker!« sagte Frick Turnerstick. »Verteufelt schlechter Hafen! Fast noch schlechter, als die Pfütze in Buenos Ayres, wohin ich eigentlich wollte und nicht gekommen bin. Mein Kurs ist ein ganz anderer geworden. Bin neugierig, was man nun mit uns anfangen wird. Jetzt aber die Hände frei! Werde zunächst die Riemen zerreißen. Habe es bisher nur aus Vor- und Rücksicht nicht gethan.«

»Unterlassen Sie das!« bat ich ihn. »Sie verwunden sich doch nur selbst. Die Riemen dringen in das Fleisch. Wir knüpfen uns gegenseitig die Riemen auf.«

»Wie ist das möglich? Wir haben ja alle die Hände auf dem Rücken. Ja, wenn wir sie vorn hätten!«

»Ist ganz dasselbe. Der Yerbatero ist kleiner als ich. Er mag sich Rücken an Rücken zu mir stellen. Auf diese Weise bekomme ich wohl die Knoten seiner Riemen in die Finger. Wollen sehen, ob ich sie aufknüpfen kann.«

Das Vorhaben gelang, allerdings erst nach einiger Anstrengung. Dann löste der Yerbatero mir meine Riemen, und nun machten wir beide auch die andern los.

»So!« rief der Kapitän. »Mag nun kommen, wer es auch sei, ich gebe ihm eins auf die Nase, daß er zu Grunde fährt!«

»Das werdet Ihr hübsch bleiben lassen!« warnte ich. »Mit Gewalt ist hier nichts zu erreichen. Ihr habt gesehen, daß sich wohl über tausend Soldaten hier in der Nähe befinden.«

»Aber, warum habt Ihr uns da losgebunden?«

»Weil wir wohl baldigst vor einen höhern Offizier geführt werden, vor welchem ich nicht gefesselt erscheinen mag.«

»Pah! Man wird Euch wieder binden!«

»Das mag man bleiben lassen. Ich ersuche Sie alle, Sennores, keine Unvorsichtigkeit zu begehen. Wir würden uns damit nur schaden. Wieder binden werden wir uns freilich nur dann lassen, wenn es gar nicht zu umgehen ist. Im übrigen aber widersetzen wir uns nicht. Befindet Lopez Jordan sich hier, so verspreche ich Ihnen, daß wir bald frei sein werden.«

Die Füße waren uns nicht wieder zusammengebunden worden, so daß wir uns jetzt frei bewegen konnten. Wir untersuchten unser Gefängnis. Es bestand aus den vier nackten, kahlen Wänden; auch der Boden war nur Erde. Wir ließen uns nieder und warteten der Dinge, die da kommen sollten. So vergingen einige Stunden. Dann wurde die Thüre aufgeriegelt und es erschien der Major und ein schäbig angekleideter Soldat.

»Der Deutsche mag kommen!« sagte er.

»Ich allein?« fragte ich.

»Ja.«

Schnell flüsterte ich dem Yerbatero zu:

»Schlingen Sie mir einen Riemen um die Hände, doch so, daß ich ihn leicht aufreißen kann!«

Ich legte die Hände auf dem Rücken zusammen. Es war dunkel bei uns, so daß der Major nichts sah.

»Nun, schnell!« gebot er. »Zum General!«

»Was soll ich dort?«

»Das werden Sie hören.«

»Warum ich allein und nicht auch meine Kameraden mit?«

»Das geht Sie nichts an. Vorwärts!«

Da der Yerbatero indessen fertig geworden war, so gehorchte ich jetzt. Es sah ganz so aus, als ob ich noch gefesselt sei. Nun erst konnte ich sehen, daß der Major noch vier Soldaten draußen bei sich hatte, welche mich in ihre Mitte nahmen.

Gegenüber unsrer Thüre wurde eine andre geöffnet. Wir traten in eine Stube, in welcher es sehr kriegerisch aussah. Soldaten hockten am Boden und spielten mit Karten oder Würfeln. Waffen aller Art standen umher. Ueberall lagen, als ob es geschneit hätte, weiße Cigarettenstummel, und eine Luft war hier, als ob man sich in einem Pesthause befände. Durch diese Stube kamen wir in eine zweite, in welcher eine etwas, wenn auch nicht viel bessere Luft war. Ein Tisch stand da, auf demselben eine Oellampe. Neben demselben befanden sich mehrere Schemel, auf denen Männer saßen, welche ihrem stolzen Gebaren nach Offiziere sein mußten. Abzeichen ihres Ranges konnte ich nicht entdecken.

Von hier aus gelangten wir in einen dritten Raum, den feinsten von allen. Da standen zwei Tische, einer am Fenster, welches keine Glasscheiben hatte, und einer in der Mitte des Zimmers, An dem erstern saßen zwei Offiziere, rauchend und Weingläser vor sich. An dem letztern hatte ein älterer Kriegsmann Platz genommen. Er schien auf einer Karte die berühmte Gegend zu suchen, wo der Pfeffer wächst, konnte sie aber nicht finden, denn ich stand mit dem Major wohl fünf Minuten lang an der Thüre, ohne daß der Sennor General uns die geringste Beachtung schenkte. Die übrige Eskorte war draußen in der vordern Peststube geblieben.

Der General war wohl sechzig Jahre alt, hatte aber noch kein graues Haar. Er trug weiße Pantalons, kurzschäftige Stiefel mit gelben Stulpen, wie ein deutscher herrschaftlicher Kutscher, eine rote Sammtweste und einen mit Goldborten überladenen blauen Frack. Die Raupen seiner Epauletten hingen ihm fast bis zum Ellbogen herab. Es kam mir ganz so vor, als ob ich mich während der Probe eines kriegerischen Lustspieles auf der Bühne befände. Angst fühlte ich gar nicht. Nur ärgerte ich mich über den Major, welcher meine beiden Revolver in seinem oder vielmehr meinem Gürtel stecken hatte. Der Kerl befand sich also im Besitze aller Gegenstände, welche ich in demselben aufbewahrt hatte.

Erst räusperte er sich einigemale vergeblich. Dann hustete er, laut und lauter. Erst als das gar zu auffällig wurde, erhob der General den Kopf von der Karte und musterte mich mit finsterm Blicke.

»Ist das der Deutsche?« fragte er den Major.

»Er ist es,« antwortete dieser.

»Gut! Sie bleiben natürlich hier, um den Mann dann wieder abzuführen.«

Der Offizier zog eine Cigarette aus dem Päckchen, welches neben der Karte auf dem Tische lag, steckte sie in Brand, legte bequem das eine Bein über das andre, warf mir noch einen ebenso drohenden wie geringschätzenden Blick zu und fragte mich dann:

»Du bist in Deutschland geboren?«

Der Major stand hinter mir. Ich trat zur Seite und sah ihn an, als ob ich der Ansicht sei, daß die Frage ihm gegolten habe.

»Ob du in Deutschland geboren bist, oder ob du von deutschen Eltern stammst, frage ich dich!« fuhr mich der General an.

Dennoch warf ich dem Major einen Blick zu, als ob ich ihm sagen wolle, daß er doch antworten solle.

»Dich frage ich, dich!« schrie der General, indem er aufsprang und auf mich zutrat.

»Mich?« fragte ich im Tone des Erstaunens.

»Ja, dich! Und nun antworte, sonst lasse ich dir den Mund öffnen!«

»Ich glaubte wirklich, die Frage sei an Sennor Cadera gerichtet, und freute mich herzlich über das familiäre Verhältnis, welches zwischen einem argentinischen Generale und seinen Untergebenen stattfindet.«

»Mensch! Weißt du, bei wem du dich befindest?«

»Natürlich, bei dir!«

Er fuhr zurück; die beiden Offiziere am andern Tische sprangen auf, und der Major ergriff mich drohend beim Arme.

»Chispas!« rief der General. »Hat man schon einmal so etwas gehört? Dieser Halunke duzt mich!«

»Das ist noch lange nicht so unglaublich, als daß ein General einen Halunken duzt!« antwortete ich.

Die beiden Offiziere griffen an ihre Säbel. Der Major schüttelte mich, griff nach der Thürklinke und fragte:

»Soll ich den Profoß rufen, Sennor General?«

Dieser winkte ab. Er kehrte zu seinem Stuhle zurück, setzte sich nieder und sagte:

»Nein! Ein solcher Kerl kann mich nicht beleidigen. Aber Sie haben Recht gehabt, Major, als Sie diesen Menschen schilderten. Ihm ist alles zuzutrauen. Daß er es wagt, mich du zu nennen, kennzeichnet ihn so genau, wie nichts anderes. Bleiben wir ruhig! Er soll dann erfahren, was geschieht.«

Er setzte sich wieder zurecht und fragte mich nun:

»Sie sind in Deutschland geboren?«

»Ja, Sennor,« antwortete ich höflich.

»Was sind Sie?«

»Gelehrter.«

»Ojala! Wenn Ihr Vaterland solche Gelehrte hat, so möchte ich erst einmal einen Ungelehrten, einen Ungebildeten, kennen!«

»Die giebt es in Deutschland nicht, denn es wird keinem Deutschen einfallen, einen Fremden du zu nennen. Dazu achtet sich der Deutsche viel zu hoch. Selbst der niedrigste Knecht thut das nicht.«

»Mensch! Wissen Sie, daß ich Sie zermalmen kann?«

»Das weiß ich nicht und glaube es auch nicht. Einen Alemano zermalmt man nicht so leicht. Ich begreife überhaupt nicht, wie Sie dazu kommen, in einem solchen Tone mit mir zu reden. Daß Sie General sind, stellt Sie nicht höher als mich. Vielleicht besitzt ein deutscher Sergeant mehr Geschick und Kenntnis, als Sie. Ich frage aber nicht danach, weil mir dies gleichgültig sein kann. Wohl aber muß ich fragen, welch ein Recht Sie haben, mich einen Halunken zu nennen. Kennen Sie mich? Haben Sie bereits untersucht, weshalb ich vor Ihnen stehe? Können Sie sagen, daß man Sie nicht belogen habe? Die Halunken sind diejenigen, welche mich hierher brachten, und ich verlange von Ihnen die Bestrafung derselben!«

Ich hatte das so schnell hervorgebracht, daß es unmöglich gewesen war, mich zu unterbrechen. Ganz unbeschreiblich waren die Gesichter, welche mir entgegenstarrten. Der General sah aus, als ob er ein Dutzend Ohrfeigen erhalten habe, ohne zu wissen, woher sie gekommen seien. Daß ich mich in dieser Weise benahm, war keineswegs zu viel gewagt von mir. Ich wußte sehr genau, was ich wollte. Vor diesen vier Männern brauchte ich mich nicht zu fürchten. Ein schneller Blick rundum hatte mir gleich bei meinem Eintritte die Situation klar gemacht. Die Fenster waren so klein, daß niemand durch dieselben heraus oder herein konnte. Die Thüre hatte den Riegel nach innen. Der General war ganz unbewaffnet, sein Säbel hing an der Wand. Und die beiden Offiziere trugen nur ihre Degen, weiter nichts. Und der Major? Nun, der stand mir eben recht.

Nachdem sie mich eine Weile angestarrt hatten, sagte der General, nach dem Fenster gewendet:

»Setzen Sie sich wieder nieder, Sennores! Der Mann ist verrückt. Man kann ihm nichts übelnehmen. Wollen aber doch einmal hören, welchen Unsinn er vorbringt.«

»Bitte!« fiel ich ein. »Darf ich nicht vielleicht vorher hören, welcher Unsinn gegen mich vorgebracht worden ist?«

»Nein, mein Bester, das ist nicht nötig. Ich habe nicht Lust, diese Geschichte zweimal anzuhören. Beantworten Sie einfach folgende Fragen: Haben Sie sich an dem Major Cadera vergriffen?«

»Ja, nachdem er sich an mir vergriffen hatte.«

»Kennen Sie einen gewissen Sennor Esquilo Anibal Andaro?«

»Ja.«

»Wo lernten Sie ihn kennen?«

»In Montevideo.«

»Bei welcher Gelegenheit?«

»Er hielt mich für den Obersten Latorre.«

»Weiß schon, weiß! Sie haben dem Major den Degen zerbrochen, ihn gestern abend gefangen genommen und ihm sein Geld geraubt?«

»Ja.«

»Das ist genug. Weiter brauche ich nichts zu wissen. Treten Sie einmal an das Fenster, und sehen Sie hinaus!«

Ich gehorchte dieser Aufforderung.

»Was sehen Sie?«

»Zwölf Soldaten, welche vor der Thüre aufmarschiert sind.«

»Womit sind sie bewaffnet?«

»Mit Gewehren.«

»Sie werden die zwölf Kugeln dieser Gewehre binnen zehn Minuten im Kopfe oder im Herzen haben. Sie werden erschossen!«

Es war ihm Ernst mit diesen Worten, Ich kehrte vom Fenster nach der Thür zurück, stellte mich dort neben den Major und sagte:

»Sennor, Sie sagen da ein leichtes Wort, dessen Bedeutung für mich sehr schwer ist. Ich habe zwar Ihre Fragen beantwortet, aber diese Fragen behandeln Thatsachen, welche aus dem Zusammenhange gerissen sind und also anders erscheinen, als sie beurteilt werden müssen. Ich habe nichts gethan, wofür ich auch nur einen Verweis verdient hätte, am allerwenigsten aber habe ich mich eines todeswürdigen Verbrechens schuldig gemacht. Und selbst wenn dies der Fall wäre, hätte ich das Recht, zu verlangen, von einem ordentlichen, zuständigen Gerichte abgeurteilt zu werden!«

»Das ist geschehen. Diese beiden Herren waren die Beisitzer, ich war der Vorsitzende des Gerichtes. Das genügt.«

»Ah so! Und mein Verteidiger?«

»Ist nicht nötig.«

»Nicht! Und ich selbst, der Angeklagte? Wo war ich während des Verhöres?«

»Wir brauchten Sie nicht. Es herrschen hier Ausnahmezustände. Sie haben sich an einem unserer Offiziere vergangen. Sie werden erschossen!«

»So giebt es keine Appellation gegen dieses Urteil?«

»Nein. Ich habe vom Generalissimo Generalvollmacht.«

»Und wie ist der Name dieses hohen Sennorissimo?«

»Lopez Jordan.«

»Jordan! Ist es dieser, so verlange ich, mit ihm sprechen zu dürfen.«

»Er ist nicht hier. Und selbst wenn er anwesend wäre, würde ich diese Bitte nicht erfüllen dürfen. Ich kann ihn nicht mit solchen Dingen belästigen.«

»Und was geschieht mit meinen Gefährten?«

»Sie werden den Truppen eingereiht.«

»So sage ich Ihnen, daß ich an Lopez Jordan eine höchst wichtige Mitteilung zu machen habe.«

»Das glaube ich nicht.«

»Ohne diese Mitteilung ist das Gelingen seines Pronunciamento eine Unmöglichkeit!«

»Jeder Verurteilte behauptet, eine solche Mitteilung zu machen zu haben. Und wenn man ihn hört, so ist es eine Lappalie, die er vorbringt, um das verwirkte Leben um einige Augenblicke zu fristen. Sie können den Generalissimo nicht sprechen. Ueberhaupt war Ihr ganzes Verhalten ein so freches, daß ich nicht die geringste Veranlassung habe, Ihnen einen Wunsch zu erfüllen.«

»Ich soll also wirklich augenblicklich füsiliert werden, obgleich ich ein Fremder bin, der von Ihnen gar nicht abgeurteilt werden darf?«

»Ja. Ich sagte schon, daß hier Ausnahmezustände herrschen.«

»General, Sie werden Ihr Verhalten zu verantworten haben!«

»Ich trage die Verantwortung mit Leichtigkeit. Major, führen Sie den Mann ab, und rapportieren Sie mir seinen Tod!«

»Aber so erschießt man keinen!« fiel ich ein, indem ich meine Hände im Riemen lockerte. »Darf ich denn nicht wenigstens vorher mit einem Geistlichen sprechen?«

»Auch das geht nicht. Fort mit Ihnen!«

»General, Sie kennen mich nicht, sonst würden Sie anders handeln. Sie werden mich nicht erschießen. Sie haben kein Recht dazu. Ich dulde das nicht!«

»Pah! Hinaus mit ihm, Major!«

Der General erhob den Arm und deutete nach der Thüre.

Der Major griff nach mir, erhielt aber einen Faustschlag, daß er wie ein Klotz auf den Boden fiel. In demselben Augenblicke hatte ich ihm die beiden Revolver aus dem Gürtel gerissen und den Riegel vorgeschoben. Ich richtete den einen auf den General und den andern auf die beiden Offiziere.

»Sennores,« sagte ich, gar nicht laut, sondern in gedämpftem Tone, um die im Vorzimmer Befindlichen nicht aufmerksam zu machen, »wer von Ihnen eine laute Silbe spricht oder eine Bewegung macht, die ich ihm nicht erlaube, den schieße ich nieder. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf!«

Sie schwiegen und starrten bald einander, bald mich an. Das hatten sie freilich nicht erwartet. Um sie noch mehr einzuschüchtern, fuhr ich fort:

»Sie haben vorhin selbst gesagt, daß mir alles zuzutrauen sei. Nun wohl, trauen Sie mir also getrost zu, daß ich Sie alle drei erschieße, bevor ich mich füsilieren lasse. Meine Kugeln sind schneller, als Ihre Degen. Sie haben sich verrechnet. Ich bin kein argentinischer Schafsjunge, der sich von dem Worte General in die Enge treiben läßt. Bei mir gilt der Mann, nicht aber der Titel. Von Spitzbuben lasse ich mich nicht verschüchtern. Dieser sogenannte Major ist als Räuber jenseits der Grenze eingebrochen. Wir haben uns allen Rechtens seiner erwehrt, und dafür soll ich erschossen werden? Das fehlte noch! Setzen Sie sich auf Ihre Stühle!«

Sie zögerten.

»Setzen Sie sich!« wiederholte ich. »Diese Revolver, welche der Major mir stahl, sind mein Eigentum. Ich kenne sie genau und weiß, daß sie augenblicklich losgehen, wenn man einen meiner Befehle nicht sofort erfüllt. Setzen Sie sich also!«

Ich trat um zwei Schritte vor und hielt ihnen die Läufe drohend entgegen. Vielleicht sah mein Gesicht noch gefährlicher aus, als die Revolver. Die drei ließen sich zögernd auf ihre Stühle nieder.

»Sie werden nicht schießen. Sie wagen es nicht!« stieß der General hervor.

»Nicht wagen? Was kann ein zum Tode Verurteilter noch wagen?«

»Sie können sich dadurch nicht retten!«

»Das fragt sich sehr! Jedenfalls hätte ich da meine Unschuld vorher an meinen Richtern gerächt. Aber, wer sagt Ihnen, daß ich nicht doch entkäme? Die Knaben, welche sich im Vorzimmer befinden, fürchte ich nicht; es würde eben Leben gegen Leben, Tod gegen Tod gelten. Aber, so weit kommt es gar nicht. Ich stehe im Begriff, Ihnen Gelegenheit zu geben, einen Fehler zu verhüten, den Sie später außerordentlich bereuen würden. Major Cadera hat sich mir gegenüber für einen Untergebenen Latorres ausgegeben. Hätte er mir gesagt, daß er Lopez Jordan dient, so wären alle Feindseligkeiten unterblieben. Ich habe Jordan eine wichtige Botschaft zu bringen.«

»Das geben Sie nur vor!«

»Gut, zweifeln Sie meinetwegen einstweilen! Ist Lopez weit von hier?«

»Nein.«

»Wann könnte er hier sein?«

»In drei Stunden.«

»So senden Sie zu ihm.«

»Das kann ich nicht. Ich bin überzeugt, daß Sie lügen.«

»Ich will diese Beleidigung ruhig hinnehmen und Ihnen einen Vorschlag machen, welchen anzunehmen Sie wohl nicht zögern werden. Bedenken Sie, daß Ihr Leben sich in meiner Hand befindet! Sie entlassen mich jetzt, geben mir und meinen Gefährten ein menschenwürdiges Gemach zum Aufenthalte und lassen uns in demselben bewachen. Zugleich senden Sie eine Estaffette an Jordan, und sobald dieser kommt, führen Sie mich vor. Bestätigt er mein Todesurteil, so werde ich mich ohne Weigern erschießen lassen.«

Der General blickte die andern fragend und dann mich mißtrauisch an.

»Sie haben einen heimlichen Hintergedanken?« fragte er.

»Nein, ich meine es ehrlich.«

»Alle Teufel! Was soll Jordan denken, wenn er erfährt, daß – daß –«

Er zögerte, seinem Gedanken Worte zu geben, darum sprach ich ihn aus:

»Daß Sie sich von einem deutschen Halunken so in die Enge haben treiben lassen? Er wird es Ihnen verzeihen. Besser ist es auf alle Fälle, als wenn er später hört, welch ein unersetzlicher Schaden ihm zugefügt worden ist, indem man mich füsiliert oder vielmehr ermordet hat. Denn, Sennor, ich schwöre darauf: Sie sind vollständig überzeugt, daß ich unschuldig bin!«

Er zog es natürlich vor, diese letztere Behauptung nicht zu beantworten, und fragte:

»Und wenn ich nun auf Ihren Vorschlag eingehe, geben Sie da diese Revolver an mich ab?«

»Nein, die gebe ich erst an Jordan ab. Ich sehe da links eine Thüre. Wohin führt dieselbe?«

»In ein leeres Hinterzimmer.«

»Kann man von dort hinaus?«

»Nein.«

»So lassen Sie meine Gefährten holen. Wir quartieren uns in dieses Zimmer ein, und Sie lassen uns Essen, Trinken und Cigarren bringen. Jordan kommt in dieses Zimmer hier. Sobald er da ist, gebe ich ihm meine Revolver durch die Thüre. Bis dahin aber behalte ich sie bei mir.«

»Geben Sie Ihr Ehrenwort, daß Sie keinen Fluchtversuch unternehmen und daß Sie sich ruhig in diesem Nebenzimmer verhalten werden?«

»Ja.«

»Und überhaupt nichts Gewaltthätiges und Hinterlistiges unternehmen werden?«

»Ja. Dabei setze ich aber Ihr Ehrenwort voraus, daß auch Sie meine Bedingungen erfüllen!«

»Ich gebe es. Ihre Hand, Sennor!«

Ich hielt ihm die meinige hin. Er schlug langsam und zögernd ein.

»Major Cadera hat mir wiederholt sein Wort gegeben, es aber gebrochen,« fuhr ich fort. »Ich denke, daß Sie, General, mehr Ehre besitzen, als er. Ich vertraue Ihnen und werde mich sofort in das Zimmer verfügen, in welches Sie mir meine Gefährten nachsenden werden.«

»Ich halte Wort. Doch fordere ich von Ihnen das Versprechen, daß Sie auf keinen Fall einem meiner Untergebenen sagen, was hier geschehen ist. Nur Jordan muß es leider erfahren.«

»Ich verrate es nicht.«

»So gehen Sie in das Zimmer. Ich werde Ihre Kameraden sogleich kommen lassen,« sagte er, indem er die Thüre öffnete.

Der Major lag noch immer bewußtlos da. Ich bückte mich zu ihm nieder, schnallte ihm meinen Gürtel ab, um denselben mitzunehmen, denn er enthielt die Patronen, und ging hinaus. Während ich die Thüre langsam hinter mir zuzog, hörte ich den General sagen:

»Wirklich ein Teufel, genau so, wie uns der Major – –«

Mehr vernahm ich nicht; die Schlußworte konnte ich mir selbst hinzufügen. Der hohe Offizier hatte sicher nicht geahnt, daß die Scene auf diese Weise enden werde. Warum hatte er mich nur mit dem Major und nicht unter Bedeckung der vier Soldaten eintreten lassen! Doch, selbst in diesem letztern Falle hätte ich mich meiner Haut gewehrt, lebte aber wohl in diesem Augenblicke nicht mehr. Ich traute dem Generale zu, daß er Wort halten werde, und hatte mich wirklich nicht in ihm getäuscht. Es vergingen nur wenige Minuten, bis die Kameraden alle hereinkamen. Hinter ihnen wurde die Thüre verriegelt.

»Was ist denn geschehen?« fragte der Bruder. »Im Vorzimmer liegt der Major als Leiche!«

»Nicht Leiche. Es ist ihm ein wenig übel geworden.«

»Uebel? Ich sehe es Ihnen an, worüber ihm übel geworden ist. Haben Sie ihn niedergeschlagen?«

»Ja.«

»Cielos! Weich ein Wagnis! Man bringt uns hierher. Bedeutet das eine Verbesserung oder Verschlimmerung unserer Lage?«

»Verbesserung, wenigstens was Sie betrifft. Für mich bedeutet es nur eine Gnadenfrist. Ich soll erschossen werden.«

Sie erschraken, und ich erzählte ihnen, was geschehen war.

Sie schüttelten die Köpfe über meine Verwegenheit, welche gar nicht verwegen gewesen war. Wenn man mit dem Tode bedroht wird, so giebt es keine Verwegenheit mehr, da kein Risiko vorhanden ist. Natürlich waren sie erfreut, daß es so glücklich abgelaufen war, doch hatten sie kein Vertrauen zu meiner Unterredung mit Jordan; glaubten vielmehr, dieser werde rächen, was ich seinen Untergebenen gethan hatte. Ich aber war guten Mutes und sagte ihnen, wie sie sich zu verhalten hätten.

Man brachte uns Fleisch und Salz, Wasser und sogar eine Flasche Wein. Mehr konnten wir nicht verlangen, zumal auch zwei Cigarren für jeden dabei lagen. Die Stube war ganz leer. Wir saßen auf dem Boden, erst essend und trinkend, dann rauchend und uns in Erwartungen über unsre nächste Zukunft ergehend. Neben uns herrschte tiefe Stille, Erst nach Verlauf von beinahe vier Stunden bemerkten wir, daß gedämpfte Stimmen miteinander sprachen. Zuweilen tönte ein lautes Wort dazwischen.

Dann hörten wir taktmäßige Schritte. Ein kleines Weilchen später wurde unsre Thüre geöffnet, nur eine Lücke weit, in welcher der General erschien. Er sagte:

»Ich habe Ihnen mein Wort gehalten; Sennor Jordan ist hier und erwartet Sie. Nun halten Sie auch das Ihrige, und geben Sie die Revolver zurück!«

»Hier sind sie,« antwortete ich, indem ich ihm die Waffen gab. »Wann kann ich den Sennor sprechen?«

»Sogleich.«

»Dürfen wir alle eintreten?«

»Nur Sie allein. Kommen Sie!«

Die Scene hatte sich verändert. Die beiden Offiziere saßen wieder an ihrem Tische; aber sie hatten sich jetzt mit Revolvern versehen; der General ebenso. An dem andern Tische, an welchem er sich nun niederließ, saßen noch drei Herren. Zwei von ihnen waren ihrer Kleidung nach auch Offiziere; der dritte, obenansitzende, schien Civilist zu sein. Jeder von ihnen hatte eine Pistole vor sich liegen.

An der Thüre stand der Major Cadera. Er sah bleich und angegriffen aus, jedenfalls von den Nachwehen meines Fausthiebes. Sein Gesicht war der personifizierte Haß, und aus seinen tückischen Augen fiel ein Blick auf mich, welcher jedenfalls den höchsten Grad der Rachgier bedeutete. Auch er hatte zwei Pistolen, eine in jeder Hand. Das sah schrecklich aus, war aber noch nicht alles, denn rundum an den Wänden waren Soldaten postiert, welche ihre geladenen Gewehre ›beim Fuß‹ hatten. Es war klar, bei der geringsten drohenden Bewegung meinerseits wurde ich wie ein Sieb durchschossen.

Bei so einem Anblicke kann es einem unmöglich wohl zu Mute sein, und doch konnte ich mich eines Lächelns nicht erwehren. Wenn diese Kerle alle auf mich schossen, so mußten die Kugeln die Gegenüberstehenden treffen, denn alle konnten nicht in meinem Körper stecken bleiben. Gerade die Größe dieses Apparates, einem einzelnen Menschen Furcht einzuflößen, war lächerlich.

Der General deutete mir durch einen Fingerzeig den Punkt an, wohin ich mich stellen sollte. Ich stand dem in Civil gekleideten Manne gegenüber. Er betrachtete mich mit durchbohrendem Blicke. Ich ließ meine Augen rundum laufen und sah auf jedem Gesichte mein Todesurteil verzeichnet. Sollte ich doch zu viel gewagt haben? Wie nun, wenn der einzige Halt, auf welchen ich mich verließ, mich doch betrog?

Der Civilist war es, welcher begann:

»Ich heiße Lopez Jordan. Du hast verlangt, mit mir zu sprechen. Ich hoffe, daß ich meine kostbare Zeit nicht grundlos an d i c h verschwenden muß. Stellt es sich heraus, daß d u keine Veranlassung hattest, nach mir zu schicken, so werde ich die Todesstrafe verschärfen lassen.«

Er legte einen ganz besondern Ton auf das Du und Dich. Der General hatte also erzählt, daß ich ihm sofort sein Du zurückgegeben hatte, und nun wollte Jordan sehen, ob ich das bei ihm auch wagen werde. Gewonnen oder verloren! Hatte ich dieses Du vorher nicht gelitten, so brauchte ich es mir auch jetzt nicht gefallen zu lassen. Verschlimmert konnte meine Lage dadurch gar nicht werden. Darum antwortete ich getrost:

»Nachdem ich von andrer Seite mit so großer Feindseligkeit behandelt worden bin, thut es mir herzlich wohl, in diesem Hause ein so warmes Entgegenkommen zu finden. Schon der Sennor General hat mich mit dem traulichen Du erfreut, und da ich nun auch von D i r dieses brüderliche Wort vernehme, so hege ich die Ueberzeugung, daß – –«

»Hund!« schrie mich Jordan an, indem er aufsprang. »Wagst du es auch bei mir!«

»Warum nicht?« antwortete ich möglichst harmlos. »Ich folge ja nur deinem eigenen Beispiele.«

»Ich lasse dich durch Ochsen zerreißen!«

»Das würde dein eigener Schaden sein, Jordan, denn in diesem Falle könnte weder William Hounters, noch Sennor Tupido, welche mich zu dir senden, mit ihrer Bereitwilligkeit –«

Weiter kam ich nicht. Das fürchterlich drohende Aussehen dieses von den Leidenschaften beherrschten Mannes veränderte sich wie mit einem Schlage. Sein Gesicht nahm plötzlich den Ausdruck freudigster Spannung an. Er trat zwei Schritte auf mich zu und fragte heftig:

»Sennor, Sie nennen da zwei Namen. Kennen Sie die Männer?«

»Ja. Ich wurde von Hounters zu Tupido gesandt, und dieser –«

»Schickt Sie nun zu mir?«

»So ist es.«

»Mit einem ja oder einem Nein?«

»Mit dem ersteren. Es ist alles bereits unterwegs.«

»Ah, qué alegria! Und Sie, Sie sollten erschossen werden! Der Mann, der Bote, auf den ich so lange mit Schmerzen gewartet habe! Hinaus mit euch, Kerle! Schnell, sonst schieße ich euch in die Beine!«

Dieser Befehl galt den an den Wänden postierten Soldaten, welche sich auf das schleunigste davonmachten. Mir war es, als ob ich in allen möglichen Staatslotterien das große Los gewonnen hätte. Der Major aber machte ein Gesicht, dessen Ausdruck gar nicht zu beschreiben ist.

»So, die Kerle sind fort,« sagte Jordan. »Willkommen, Sennor! Nun sind wir unter uns, und Sie können Ihren Auftrag ausrichten.«

Er gab mir die Hand und schüttelte die meine herzlich.

»Nicht so schnell, Sennor!« antwortete ich. »Ich bin fürchterlich beleidigt worden. Ich bin gekommen, Ihnen einen Dienst zu erweisen, von dessen Größe und Bedeutung Sie selbst wohl noch keine Ahnung haben, denn Ihre Wünsche werden über Ihr Erwarten erfüllt. Statt Willkommen und Dank zu finden, bin ich mit einer Feindseligkeit behandelt worden, welche ihresgleichen sucht. Beinahe hätte man mich erschossen! Ich werde nicht eher von meinem Auftrage sprechen, als bis mir diejenige Genugthuung geworden ist, welche ich verlangen kann.«

»Sie soll Ihnen werden, Sennor, gewiß, ganz gewiß. Nur eine eigenartige Verkettung der Umstände kann schuld sein, daß Sie so verkannt wurden.«

»Die Schuld liegt nicht an den Umständen, sondern an den Personen. Man hat den Sennor General und man hat auch Sie belogen. Ich muß unbedingt um die Erlaubnis bitten, Ihnen erzählen zu dürfen, wie alles in Wahrheit geschehen ist.«

»Das dürfen Sie; das sollen Sie; thun Sie es!«

»Dazu bedarf ich meiner Gefährten. Darf ich sie hereinrufen?«

»Nein. Sie dürfen ja nicht erfahren, daß Sie –«

»Was ich einstweilen sage, dürfen sie hören. Ich muß sie hier haben als Zeugen gegen unsern lügenhaften Ankläger, welcher unser aller Verderben wollte.«

»So mögen sie hereinkommen. Ich erlaube es.«

Ich ging zu der Thüre, welche ich aufmachte, und meine Gefährten traten herein, voran der Frater. Er trat sofort auf Jordan zu und sagte:

»Sennor, ich vermute, daß Sie derjenige sind, welchen man hier als Generalissimo bezeichnet. Ich fordere Genugthuung für die schmachvolle Behandlung, welche wir erduldet haben. Ich kenne Ihre Pläne nicht; aber, wie können sie vom Segen begleitet sein, wenn die Ihrigen als Diebe, Räuber und Mörder auftreten und nicht einmal den Stand achten, dem ich angehöre!«

Jordan betrachtete ihn ernst, beinahe unwillig, und antwortete:

»Sie führen eine kühne Sprache, Bruder! Ich habe Ihren Namen gehört und weiß, daß Sie ein mutiger Mann sind; aber allzu viel dürfen Sie denn doch nicht wagen!«

»Ich wage nichts, als daß ich die Wahrheit sage, Sennor. Man hat uns wie Schurken behandelt und in Fesseln hierher geschleppt. Sollen solche Gewaltthätigkeiten ungerochen bleiben?«

»Sie sind ja nicht gefesselt!«

»Wir waren es und würden es noch jetzt sein, wenn wir uns nicht selbst davon befreit hätten. Man hat sie uns nur aus Furcht vor den Revolvern dieses unsers Freundes nicht wieder angelegt.«

»Ich werde alles untersuchen, muß Sie aber bitten, Ihren Ton zu mäßigen. Ich achte den Mut, liebe es aber nicht, ihn gegen mich selbst erprobt zu sehen. Mögen Sie oder mag Major Cadera im Rechte sein, in beiden Fällen habe ich Scenen zu rügen, welche man für unmöglich halten sollte. Mitten in meinem Hauptquartiere, umgeben von festen Mauern und vielen hundert Soldaten, wagt es ein einzelner Mann, noch dazu ein Fremder, sich gegen uns aufzulehnen und die höchsten meiner Offiziere mit dem Tode zu bedrohen!«

»Er that es notgedrungen, weil man ihn ohne alles Recht erschießen wollte!«

»Selbst dann, wenn das Recht auf seiner Seite war, müssen Sie zugeben, daß er eine geradezu verblüffende Verwegenheit entwickelt hat. Wäre es mir nicht von Zeugen erzählt worden, denen ich vollen Glauben schenken muß, so würde ich eine solche Tollkühnheit für unmöglich erklären. Der Mann nimmt am Rio Negro einen Offizier gefangen, welcher über fünfzig bewaffnete Begleiter bei sich hat, und nachdem er ihn entwaffnet und ihm den Säbel zerbrochen hat, holt er ihn am Uruguay abermals aus der Mitte der Soldaten heraus, und nicht nur ihn, sondern außerdem noch vier Gefangene, welche an Bäumen festgebunden waren! Er wird gefangen und gefesselt hierher geschafft, und anstatt von der Gewißheit seines Todes niedergeschmettert zu werden, schlägt er den Major nieder und schreibt, mit den Waffen in der Hand, dem Kommandierenden eine Kapitulation vor, welche geradezu ihresgleichen sucht! Das ist eine Blamage, von welcher wir uns gar nicht reinigen können.«

»Sennor,« sagte ich, »wollen Sie William Hounters zürnen, daß er seinen für Sie so wichtigen Auftrag einem Manne erteilt hat, auf den er sich verlassen kann?«

»Nein; ich muß ihn vielmehr darum loben. Aber Sie geben doch wohl zu, daß Sie eine Karte gespielt haben, welche jeder andere liegen gelassen hätte?«

»Ich hob sie dennoch auf, da sie die einzige übrig gebliebene war und ich nicht Lust hatte, das Spiel ohne sie aufzugeben. Was wollen Sie, Sennor! Ein Ertrinkender erblickt ein Seil, an welchem er sich aus dem Wasser ziehen kann; es ist die letzte Gelegenheit zu seiner Rettung. Soll er das Seil nicht ergreifen, weil es vielleicht zerreißen kann? Er wäre der größte Dummkopf, den es gäbe! Ich habe es ergriffen, und es ist nicht gerissen.«

»Aber, wenn wir Sie nun wieder in das Wasser zurückstoßen?«

»Das werden Sie nicht thun!«

»Sie sagen das in einem so sichern, selbstbewußten Tone! Vielleicht irren Sie sich.«

»So würde mein Irrtum zum größten Schaden für Sie ausschlagen. Mit wem wollen Sie das betreffende Geschäft abschließen, wenn ich getötet worden bin?«

»Mit Ihnen, natürlich vorher.«

Er warf bei diesen Worten einen lauernden Blick auf mich. Er war neugierig, was ich ihm jetzt antworten würde, denn von dieser meiner Antwort hing alles ab. Zwar war er, als ich mich für den von ihm erwarteten Boten ausgegeben hatte, sofort eines andern Tones beflissen gewesen. Es hatte geklungen, als ob ich von diesem Augenblicke an nichts mehr zu befürchten hätte. Aber es fiel mir gar nicht ein, ihm mein Vertrauen zu schenken. Es ging von ihm das Gerücht, daß sein Stiefvater auf seine Veranlassung ermordet worden sei. Ein Mann, welcher seinen eigenen Vater umbringen läßt, ist auch imstande, sein Wort zu brechen und einen Fremden töten zu lassen, nachdem er denselben ausgenutzt hat. Ich mußte ihm die Ueberzeugung beibringen, daß dieser Plan, wenn er ihn hegen sollte, nicht auszuführen sei. Darum antwortete ich:

»Sennor, Sie täuschen sich ebenso in mir, wie ich vorher von Ihren Offizieren und Leuten falsch beurteilt worden bin. Es wird Ihnen ganz unmöglich sein, nach Abschluß des Geschäftes Ihre freundlichen Gesinnungen gegen mich fallen zu lassen, denn ich werde Ihnen nicht eher eine Mitteilung machen, als bis Sie sich mit Ihrem Ehrenworte für unsere Sicherheit verbürgt haben.«

»Aber, wenn ich dann mein Wort nicht halte?«

»So haben Sie sich das allgemeine Vertrauen für immer verscherzt, was keineswegs vorteilhaft für Ihre gegenwärtigen Intentionen sein kann. Uebrigens bin ich nicht gekommen, um mich in eine Gefahr zu begeben, welcher ich nicht gewachsen bin.«

Er zog die Stirn in Falten, machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte:

»Sie glauben sich also uns und speziell mir gewachsen? Das hat mir noch niemand zu sagen gewagt!«

»Ich aber habe das schon vielen gesagt, und sie sind stets in die Lage gekommen, zu erfahren, daß ich recht hatte. Auch im jetzigen Falle sind meine Vorbereitungen so getroffen, daß ich nichts zu fürchten habe. Ob Sie Ihr Wort halten werden, kann mir sehr gleichgültig sein, denn ich bin in der Lage, Sie zwingen zu können, es zu halten. Dennoch erkläre ich Ihnen, daß ich nur dann über unser Geschäft sprechen werde, wenn Sie uns die Versicherung geben, daß Sie keine Hintergedanken gegen uns hegen.«

»Das kann ich thun,« sagte er unter einem versteckten Lächeln. »Nehmen Sie also mein Ehrenwort, daß meine Absichten gegen Sie sehr offene sind.«

»Das ist zweideutig; es genügt mir aber. Ich könnte eine bestimmt formulierte Erklärung von Ihnen verlangen, weiß jedoch, daß sie mir auch keine größere Sicherheit bieten würde.«

»So sind wir also so weit, daß wir unser Geschäft vornehmen können.«

»Noch nicht. Ich habe vorher unsere Anklagen gegen den Major Cadera vorzubringen.«

»Das können wir ja für später lassen.«

»Nein; denn von der Art und Weise, wie Sie sein Verhalten beurteilen, hängt die Art und Weise ab, in welcher ich mich meiner Aufträge gegen Sie entledige.«

»Nun gut! Welchen Ausweis aber haben Sie darüber, daß Sie wirklich der Beauftragte der beiden bereits genannten Herren sind?«

»Bitte, mir zu sagen, welche Art von Legitimation Sie von mir verlangen.«

»Eine schriftliche Vollmacht natürlich.«

»Erlauben Sie, Sennor, mich über diese Forderung zu wundern. Ich würde Prügel verdienen, wenn ich eine solche Dummheit begangen hätte. Was würde aus mir und auch aus Ihren Plänen, wenn man ein solches Schriftstück bei mir fände!«

»Sie befinden sich also nicht im Besitze einer Legitimation?«

»O doch; nur ist dieselbe keine schriftliche, sondern eine mündliche. Da ich in die Angelegenheit eingeweiht bin und Ihnen die gewünschte Lieferung machen werde, muß ich der Bevollmächtigte Ihrer Korrespondenten sein. Sollte Ihnen das nicht genügen, so werde ich einen Boten nach Montevideo senden und Sie sind also gezwungen, den definitiven Abschluß des Geschäftes bis zur Rückkehr desselben aufzuschieben.«

»Dazu habe ich weder Lust, noch Zeit. Ich bin also bereit, Sie als den Beauftragten anzuerkennen, und sehe der Mitteilung Ihrer Bedingungen entgegen.«

»Dieselben werden Ihnen nicht hier, sondern in Buenos Ayres gemacht werden.«

»Sind Sie des Teufels!« rief er erschrocken. »Gerade dort befinden sich ja meine Feinde! Die dortige Regierung ist es, gegen welche ich kämpfen will. Dort präsidiert Sarmiento, dessen Sturz wir beabsichtigen. Wie also können Sie von dieser Stadt sprechen!«

»Aus zwei Gründen, Sennor. Erstens liegt unsere Ladung, welche für Sie bestimmt ist, dort vor Anker, und zweitens –«

»Dort vor Anker?« unterbrach er mich. »Das soll ich glauben?«

»Warum nicht?«

»Weil es eine Tollkühnheit wäre!«

»Sie haben vorhin bereits von meiner Verwegenheit gesprochen. Warum sollte ich bezüglich des letzten Punktes weniger mutig sein, als sonst? Gerade weil man ein solches Wagnis für unmöglich hält, ist die Ladung dort sicherer, als anderswo. Die Fässer, Ballen und Kisten sind bezüglich ihres Inhaltes als Petroleum, Tabak und Spielwaren deklariert und verzollt worden.«

»Hat man die Kolli nicht untersucht?«

»Nur einige, welche wir den Beamten ganz unauffällig in die Hände spielten und die auch wirklich das enthielten, was wir angegeben hatten.«

»So können Sie von einem großen Glücke sprechen; aber es hieße, dieses Glück versuchen, wenn Sie das Schiff nur einen Augenblick länger, als unbedingt nötig ist, vor Buenos Ayres liegen ließen. Zu welcher Gattung von Schiffen gehört es?«

»Es ist die Barke ›The Wind‹, ein amerikanischer Schnellsegler.«

»Also ein Barkschiff, ohne Raaen am hinteren Maste. Dieses Fahrzeug kann doch im Parana bis wenigstens Rosario gehen?«

»Sogar bis Parana selbst, der Hauptstadt von Entre Rios.«

»So muß es sofort Buenos Ayres verlassen, dessen Hafen ja überhaupt so schlecht ist, daß jeder Pamperosturm den Schiffen mit dem Untergange droht. Ich gebe Ihnen einen am Parana gelegenen Ort an, wo es Anker werfen soll, und Sie senden an den Kapitän einen Boten, welcher ihn davon zu benachrichtigen hat.«

»Das geht nicht an, Sennor!«

»Warum nicht?«

»Weil Sie selbst es uns unmöglich machen, auf diesen Vorschlag einzugehen. Ihr ganzes Verhalten ist der Art, daß ich bei der Vorsicht bleiben muß, mit welcher ich bisher gehandelt habe. Es kann mir nicht einfallen, den ›Wind‹ nach einem Orte segeln oder schleppen zu lassen, welcher zur Provinz Entre Rios gehört, deren Herr Sie vielleicht schon in einigen Tagen sein werden. Wir würden uns damit vollständig in Ihre Hände geben.«

»Das heißt, Sie mißtrauen mir?« brauste er auf.

»Ja, ich mißtraue Ihnen. Sie selbst erwähnten ja die Möglichkeit, daß Sie uns Ihr Wort nicht halten würden. Ich muß also ein Arrangement treffen, durch welches mir die vollständige Sicherheit unserer Personen, unserer Freiheit gewährleistet wird.«

»Sennor, Sie wagen zu viel! Sie rechnen allzu sehr auf meine Nachsicht! Ihre Worte enthalten eine Beleidigung, welche ich nicht auf mir liegen lassen darf.«

»Sie enthalten nichts als die reine Wahrheit, welche sich auf Thatsachen stützt. Da diese Thatsachen von Ihnen ausgegangen sind, so sind Sie selbst es, der Sie beleidigt. Uebrigens ist es unmöglich, dem Kapitän einen Boten zu senden, unmöglich und auch überflüssig. Der Kapitän kennt das Verlangen, welches Sie an mich richten, bereits ebenso genau wie ich.«

»Wie ist das möglich?«

»Er befindet sich bei Ihnen und hat Ihre Worte gehört. Da steht er, Kapitän Frick Turnerstick aus New York, welchem Master Hounters die Ladung anvertraut hat.«

Bei diesen Worten deutete ich auf den Genannten, welcher des Spanischen nicht so mächtig war, um meine Worte ganz verstehen zu können. Da er aber seinen Namen hörte und auch sah, daß ich auf ihn zeigte, erkannte er, daß von ihm die Rede sei. Er trat also einen Schritt vor und sagte:

»Yes, Sennoro! Ich bin Kapitäno Fricko Turnerosticko aus Newo-Yorko. Meine Barko heißt ›The windo‹, und ich hoffe, das wird genügen!«

Jordan musterte ihn mit einem erstaunten Blicke und sagte dann zu mir:

»Was ist das für eine Sprache? Es scheint Englisch zu sein!«

»Ja, der Kapitän ist des Spanischen nicht mächtig, Sennor.«

»Und da vertraut man ihm eine solche Aufgabe an!«

»Gerade deshalb ist er der Mann dazu. Wenn er der Landessprache nicht mächtig ist, wird man ihm nicht zutrauen, ein Unternehmen zu beginnen, zu dessen Ausführung die Kenntnis der spanischen Sprache unbedingt erforderlich zu sein scheint. Uebrigens hat er Leute auf dem Schiffe, deren er sich als Dolmetscher recht wohl bedienen kann, wie zum Beispiel hier den Steuermann, welcher ihn bis hierher begleitet hat.«

»Auch der Steuermann ist da! Zu welchem Zwecke denn?«

»Von einem Zwecke ist da keine Rede. Sie haben nicht zu Ihnen gewollt, sondern gemußt, Sennor.«

»Aber sie hatten Buenos Ayres und das Schiff verlassen. Weshalb?«

»Aus Geschäftsrücksichten. Ich wurde von Master Hounters dem Kapitän als Superkargo mitgegeben. Meine Sendung ging zunächst an Sennor Tupido in Montevideo. Dort stieg ich an das Land, um mich diesem Herrn vorzustellen. Der Kapitän aber segelte nach Buenos Ayres weiter, um dort meine Ankunft zu erwarten. Bevor diese erfolgte, unternahm er mit dem Steuermanne eine Fahrt auf dem Uruguay, um zu erfahren, ob es da oben vielleicht Handelsgegenstände gebe, welche zur Fracht geeignet seien, nachdem er die jetzige an Sie abgeliefert haben würde. Auf der Rückfahrt, welche auf einem Floße geschah, wurde er von Major Cadera überfallen, und es war der reine Zufall, daß wir andern da mit ihm zusammentrafen.«

»Allerdings sonderbar, Sennor!« sagte er, indem er mich mit einem mißtrauischen Blicke musterte.

Ja! Sie sehen, daß Ihr Major seine Feindseligkeiten nur gegen solche Personen gerichtet hat, welche gekommen waren, um in Ihrem Vorteile zu handeln, welcher natürlich auch der seinige ist. Anstatt als Geschäftsfreunde zu Ihnen kommen zu können und als solche willkommen geheißen zu werden, sind wir als Gefangene hierher geschleppt worden. Ich erwähnte bereits, daß ich mich gezwungen sehe, Genugthuung dafür zu fordern.«

»Die soll Ihnen je nach den Umständen werden.«

»Das ist wiederum zweideutig, Sennor!«

»Weil Sie selbst mir im höchsten Grade zweideutig erscheinen. Was Sie mir sagen und erzählen, kommt mir sehr unwahrscheinlich vor, Sennor!«

»Wirklich? Sie glauben mir nicht? So wird es geraten sein, die jetzige Unterredung zu beenden. Wenn Sie mir ebenso wenig trauen, wie ich Ihnen, kann der Zweck meiner Reise unmöglich erreicht werden. Ich bitte also, uns zu entlassen.«

»Entlassen? Meinen Sie damit, daß ich Ihnen Ihre Freiheit zurückgeben soll? Davon kann auf keinen Fall die Rede sein!«

»Nun, so handeln Sie ganz nach Belieben. Ich bin mit Ihnen fertig!«

Ich trat zurück und machte das gleichgültigste Gesicht der Welt. Das blieb nicht ohne Wirkung. Die Sicherheit, welche ich zeigte, imponierte ihm. Dennoch drohte er:

»Sie erinnern sich doch des Versprechens, daß Sie sich ruhig in das Schicksal fügen wollen, welches ich Ihnen diktiere?«

»Allerdings. Ich habe gesagt, daß ich mich ruhig erschießen lassen werde, wenn Sie mein Todesurteil bestätigen.«

»Nun, ich denke, daß ich das thun werde! Was sagen Sie dazu?« fragte er.

»Nichts, Sennor.«

»Ist Ihnen der Tod denn wirklich so gleichgültig?«

»Nein, aber ich halte eben mein Versprechen. Wegen eines Menschen weniger auf der Erde geht die Weltgeschichte keinen andern Gang, obgleich mein Tod für Sie von großem Einflusse sein wird, weil dann das beabsichtigte Geschäft nicht abgeschlossen werden kann.«

»Das sehe ich doch nicht ein. Ich habe den Kapitän hier!« »Der hat weder den Auftrag noch die Macht, mit Ihnen zu verhandeln.«

»Aber er hat die Fracht. Ich gebe ihn nur dann frei, wenn die Fracht in meine Hände gelangt. Sie sehen, daß ich den Zwang besitze.«

»Sie irren sich. Kapitän Turnerstick hat über gar nichts zu verfügen. Sennor Tupido ist derjenige, welcher jetzt auf dem Schiffe gebietet. Töten Sie mich, und behalten Sie den Kapitän und den Steuermann zurück, ich habe nichts dagegen. Aber in den Besitz der Fracht kommen Sie dadurch nicht.«

»Cáspita! Was hat Tupido auf dem Schiffe zu thun?«

»Sehr viel, denn er ist Kompagnon von Master Hounters und also Miteigentümer der Fracht. Kehren wir nicht bis zu einem bestimmten Tage zurück, so weiß er, daß ich in Ihrem Hauptquartiere verunglückt bin, und es kann ihm nicht einfallen, mit Ihnen im Verkehr zu bleiben.«

»Pah! Es wäre ein großer Verlust für ihn, wenn das Geschäft nicht zum Abschlusse käme!«

»Für ihn? Nur für Sie! Er wird die Fracht sofort Ihren Feinden verkaufen, und Sie wissen nur zu gut, wie schnell diese zugreifen würden. Die brauchen Gewehre und Munition fast noch notwendiger als Sie!«

»Aber sie würden ihm keinen Peso bezahlen!«

»Im Gegenteile; sie würden sofort bezahlen, während Sie die Ladung auf Kredit erhalten sollen.«

»Sie sind noch sehr befangen, Sennor,« lachte er. »Die Fracht ist eingeschmuggelt worden. Sagt Tupido der Regierung, worin dieselbe eigentlich besteht, so wird der Präsident Sarmiento sie einfach konfiszieren, aber nicht kaufen!«

»Ich glaube, Ihre Befangenheit ist größer, als die meinige. Tupido wird sich natürlich hüten, seinen Antrag während der Zeit zu machen, in welcher ›The wind‹ vor Buenos Ayres vor Anker liegt. Er wird das Schiff vorher nach Montevideo zurücksegeln lassen. Von einer Konfiskation kann also gar keine Rede sein. Sie befinden sich überall im Nachteile, denn Tupido wird dem Präsidenten alle möglichen Mitteilungen machen, zu denen er imstande ist. Ich habe das in Montevideo mit ihm besprochen. Die beiden Kompagnons sind auch bereit, Ihnen die verlangte Summe, trotz der bedeutenden Höhe derselben, vorzustrecken. Auf dieses Geld müssen Sie natürlich verzichten, und ich glaube nicht, daß Ihnen ein Vorteil aus einem solchen Verzicht erwachsen kann.«

Der ›Generalissimo‹ ging einigemal in der Stube auf und ab, trat dann in die ferne Ecke, winkte den General zu sich und unterhielt sich leise mit ihm. Dann kehrte der General auf seinen Platz zurück, Jordan aber wendete sich an mich:

»Beantworten Sie mir die Frage: Warum haben Sie das Schiff nach Buenos Ayres gehen lassen, in die Höhle des Löwen, den ich erlegen will?«

»Aus Vorsicht, um Sicherheit zu haben, daß ich nicht von Ihnen betrogen werden kann.«

»Diabolo! Das ist aufrichtig, Sennor!«

»Ich erwarte, daß Sie ebenso aufrichtig gegen mich sind!«

»Wohl! Ich halte Sie für einen außerordentlich scharf geschliffenen Schurken!«

»Danke, Sennor! Aus Ihrem Munde ist dies Wort ein Lob für mich. Uebrigens bin ich nicht zu Ihnen gekommen, um über Worte mit Ihnen zu rechten. Ich verlange, zu erfahren, ob Sie das Geschäft fallen lassen wollen oder nicht!«

»Sagen Sie mir vorher, warum Sie nicht auch mit nach Buenos Ayres gegangen, sondern durch die Banda oriental geritten sind.«

»Weil dies der nächste Weg zu Ihnen war. Freilich war es nicht meine Absicht, die Richtung einzuschlagen, zu welcher der Major uns gezwungen hat. Ich glaubte, Sie in San José zu finden, dem Landgute, auf welchem Urquiza, Ihr Vater, ermordet worden ist.«

Ich wußte, was ich wagte, indem ich diese Worte aussprach. Er war ja der Mörder gewesen. Ich beabsichtigte, ihn durch diese Verwegenheit zu verblüffen, und ich hatte richtig gerechnet, denn er fuhr zwei Schritte auf mich los und streckte beide Hände nach mir aus, als ob er mich fassen wolle, aber er besann sich doch noch eines Besseren. Dicht vor mir stehend, herrschte er mich an:

»Was wissen Sie von jenem Morde?« »Nicht mehr, als was jeder andere auch weiß.« »Spricht man auch im Auslande davon?« »Ja.« »Was denn?«

»Ich habe nicht die Verpflichtung, den Berichterstatter zu machen.«

»Es waren Gauchos, welche ihn töteten, niederträchtige Kerle, die sich gegen ihn aufgelehnt hatten!«

»Mag sein!« »Oder denken etwa andere, daß – –«

Er hielt inne.

»Was?« fragte ich.

»Daß diese Gauchos etwa nur Werkzeuge gewesen sind?« »Das sagt man allerdings.« »Alle Wetter! Wessen Werkzeuge?«

Seine Augen hatten sich weit geöffnet; es war, als ob er mich mit seinem Blicke verschlingen wolle. Dennoch antwortete ich ruhig:

»Die Ihrigen, Sennor.«

Bruder Hilario stieß einen Ruf des Schreckens aus. Die Offiziere sprangen von ihren Sitzen auf. Jordan taumelte zurück, sprang dann auf mich ein, packte mich an der Brust und schrie:

»Hund, das ist dein Tod! Ich erwürge dich!«

Er schüttelte mich hin und her. Ich ließ es mir ruhig gefallen, sagte aber:

»Sennor, bewahren Sie Ihre Besonnenheit! Sie haben die Wahrheit von mir verlangt, und ich habe sie Ihnen gesagt. Wenn Sie sich durch dieselbe in dieser Weise aufregen lassen, geben Sie sich in die Gefahr, daß man schließlich doch an solches Geschwätz glaubt!«

»Geschwätz! Ah, das ist Ihr Glück!« sagte er, indem er die Hand von mir nahm. »Sie halten dieses Gerücht also für ein Geschwätz!«

»Natürlich, denn nur Schwätzer können etwas aussprechen, was ihnen unter Umständen den Kopf kosten kann.«

»Also, man spricht wirklich von mir – man sagt, daß –?«

»Ja,« nickte ich. »Man sagt es.«

»Wo? Auch drüben in Europa?«

»Auch dort.«

»Welche Büberei! Es ist entsetzlich! Und Sie? Glauben auch Sie es?«

»Diese Frage ist vollständig überflüssig, Sennor. Würden wir einem Mörder ein so großes geschäftliches Vertrauen schenken, wie ich durch meinen Auftrag Ihnen entgegenbringe?«

»Das ist wahr – das ist wahr!«

Er wendete sich ab. Ich hatte ihn in eine außerordentliche Aufregung versetzt. Er ging eine Weile mit großen Schritten auf und ab, blieb dann vor mir stehen, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte:

»Mensch, Sie sind entweder ein ganz verrückter Kerl, der nicht weiß, was er thut, oder der Major hat recht, indem er Sie einen Teufel nennt! In beiden Fällen aber sind Sie ein hochgefährliches Subjekt. Welche Meinung ist die richtige?«

»Keine von beiden. Ich bin nur außerordentlich aufrichtig. Ich habe geglaubt, Ihnen einen Gefallen zu erweisen, indem ich Ihnen die Wahrheit sagte. Wer seine Situation erkennen und die Verhältnisse beherrschen will, muß vor allen Dingen wissen, welche Ansicht man von ihm hegt.«

»So! Man hält mich für einen Mörder! An meinen Händen soll Blut kleben! Ich werde mich in meinem Handeln nach dieser Ansicht, welche man von mir hegt, zu richten haben. Aber, wenn Sie etwa meinen, daß ich Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit Dank schuldig sei, so haben Sie sich geirrt. Es giebt eine Aufrichtigkeit, welche in die Kategorie der Frechheit gehört, und dahin ist Ihre Offenheit zu rechnen. Ich werde Sie töten und einen Unterhändler an Tupido nach Buenos Ayres senden.«

»Der Mann mag getrost hier bleiben. Tupido darf ohne mich nichts unternehmen. Ich bin in dieser Angelegenheit Stellvertreter Master Hounters. Ich verbiete hiemit dem Kapitän Turnerstick, Ihnen, ohne daß ich selbst auf dem Schiffe anwesend bin, ein Faß oder eine Kiste ausfolgen zu lassen! Sie haben die ersten Schritte gethan und können nicht mehr zurück. Ihre Vorbereitungen haben Ihr Vermögen verschlungen, und Sie können nur mit Hilfe unsers Geldes und der Waffen, welche wir Ihnen liefern, zum Ziele kommen. Töten Sie mich, verhalten Sie sich feindselig gegen meine Gefährten, so bekommen Sie keinen Peso und keine Handvoll Pulver. Das sage ich Ihnen allen Ernstes. Und nun machen Sie, was Sie wollen!«

»Er blickte fragend auf seine Offiziere. Der General zuckte die Achseln; die andern verhielten sich ganz schweigend. Meinen Gefährten war himmelangst; das sah ich ihnen an. Ich selbst mußte mir sagen, daß ich durch Höflichkeit weiter und jedenfalls schneller an das Ziel gekommen wäre, aber das wäre mir wie eine Feigheit erschienen.

Endlich ließ er sich hören:

»Angenommen, es sei wirklich alles so, wie Sie sagen, so habe ich es nur mit Ihnen, dem Kapitän und dem Steuermanne zu thun. Was aber sollen die andern? Gegen sie, mit denen ich nichts zu thun habe und von welchen ich keinen Vorteil erwarte, kann ich unmöglich so nachsichtig sein!«

»Ich habe Sennor Mauricio Monteso engagiert. Er sollte mich mit seinen Yerbateros begleiten, um mich sicher zu Ihnen zu bringen. Sie sind in die Sache eingeweiht, und mit ihrer Hilfe sollte die Ladung den Parana heraufgeschmuggelt werden. Ich habe diese Männer geprüft und für treu befunden. Nur ihnen allein vertraue ich mich an. Wollen Sie das nicht gelten lassen, nun so kann aus unserem Geschäfte eben nichts werden.«

»Sie sind verteufelt halsstarrig, Sennor. Wie aber kommt denn der Estanziero und sein Sohn zu Ihnen?«

»Major Cadera wird es Ihnen erzählt haben.«

»Und was hat der Bruder mit Ihnen zu schaffen?«

»Er ist mein Freund, an welchem sich Ihre Leute ohne allen Grund vergriffen haben. Ich kann weder ihn, noch einen andern ausnehmen, falls von einer friedlichen Einigung zwischen uns die Rede sein soll.«

»Hole Sie der Teufel! Warum haben Hounters und Tupido mir einen Mann geschickt, mit welchem man weder verkehren, noch anständig verhandeln kann?«

»Die Ansichten über Verstand und Anständigkeit sind sehr verschieden, Sennor. Die beiden Herren haben geglaubt, ich sei der richtige Mann für sie; ob ich auch Ihnen passe, das ist denselben sehr wahrscheinlich gleichgültig gewesen.«

»So sagen Sie wenigstens, wie Sie sich die Sache denken! Es müssen doch Kontrakte ausgefertigt und unterzeichnet werden! Wo sind dieselben?«

»Sennor Tupido hat sie mit nach Buenos Ayres genommen.«

»Wer hat sie Ihrerseits unterschrieben?«

»Noch niemand. Wir wissen ja nicht im voraus, über welche Punkte wir einig werden. Tupido unterzeichnet für sich und ich für Master Hounters. Daraus ersehen Sie, daß meine Person unverletzlich ist. Gebe ich meine Unterschrift nicht oder kann ich sie nicht geben, so wird das Geschäft ins Wasser fallen.«

»Und wer unterzeichnet meinerseits?«

»Sie oder einer Ihrer Vertrauten, welchem Sie Vollmacht erteilen. Er wird mich nach Buenos Ayres begleiten.«

»Das ist zu gefährlich für ihn!«

»Noch weit gefährlicher ist's für mich hier bei Ihnen. Ich darf doch annehmen, daß Sie unter Ihren Offizieren wenigstens einen einzigen haben, welcher etwas wagt, was weniger gefährlich ist als das, was ich gewagt habe, indem ich die Reise zu Ihnen unternahm.«

»Sie werden abermals beleidigend! Ich habe keine Feiglinge unter meinen Leuten!«

»So dürfen Sie auch nicht sagen, daß die Fahrt nach Buenos Ayres gefährlich sei.«

»Können Sie Ihr Ehrenwort geben, daß keiner von Ihren Leuten in Buenos Ayres verrät, was mein Beauftragter mit seinen Begleitern, die ich ihm jedenfalls mitgeben würde, dort will?«

»Ich gebe es Ihnen hiermit.«

»Ich nehme es an und verlasse mich auf dasselbe. Trotzdem aber sage ich damit noch nicht, daß ich auf Ihre Vorschläge eingehe. Ich werde mich erst mit den anwesenden Herren beraten, und Sie kehren in Ihre Stube zurück, um das Resultat unserer Besprechung dort abzuwarten.«

»Einverstanden, Sennor! Nur werden Sie mir vorher erlauben, nun endlich das vorzubringen, was ich gegen den Major Cadera zu sagen habe.«

»Das ist nicht nötig!«

»O doch. Es liegt sehr in meinem Interesse, dafür zu sorgen, daß Sie unsere Erlebnisse auch einmal von unserem Standpunkte aus betrachten. Ich werde mich natürlich möglichst kurz fassen.«

»So erzählen Sie!«

Er setzte sich wieder nieder und hörte mir ohne die geringste Unterbrechung bis zu Ende zu. Auch Cadera selbst sagte kein Wort, obgleich sich meine ganze Darstellung gegen ihn richtete. Desto beredter aber waren seine Augen. Er war mein Todfeind; das sagte mir sein Gesichtsausdruck und jeder Blick, den er auf mich warf. Als ich geendet hatte, rief ich die Gefährten auf, mir zu bezeugen, daß ich mich genau an die Wahrheit gehalten und weit eher zu wenig als zu viel gesagt hatte. Sie bestätigten es.

»Was Sie erzählt haben,« bemerkte Jordan, »ist genau dasselbe, was ich von dem Major gehört habe. Es versteht sich ganz von selbst, daß jede Partei die Leinwand mit ihren Farben bemalt. Betrachten wir also die Sache als ungeschehen!«

»Auch dazu bin ich bereit, Sennor,« antwortete ich. »Ich will also von der geforderten Genugthuung absehen. Aber ich verlange, wie sich ganz von selbst versteht, alles zurück, was uns abgenommen worden ist.«

»Oho! Das ist zu viel verlangt!«

»Kommandiert der Major Soldaten oder Räuber?«

»Soldaten!«

»Das hoffe ich, denn mit einem Anführer von Räubern würden wir kein Geschäft abschließen, bei welchem es sich um so bedeutende Summen und Beträge handelt. Aber ein ehrlicher Soldat raubt nicht! Nachdem Sie erfahren haben, daß ich Ihr Freund, das heißt Ihr Geschäftsfreund bin, können Sie keinen Augenblick zögern, uns unser Eigentum zurückzugeben.«

»Das sind Ansichten. Wir werden auch darüber beraten und Ihnen das Ergebnis mitteilen. Gehen Sie; entfernen Sie sich! Ich werde Sie rufen, sobald wir mit unserer Beratung zu Ende sind.«

Wir folgten dieser Aufforderung und kehrten in die hintere Stube zurück. Die Thüre wurde hinter uns verriegelt, und dann vernahmen wir die gedämpften Stimmen der Sprechenden, ohne aber verstehen zu können, was geredet wurde. Erwartungsvoll setzten wir uns auf den Boden nieder. Meine Gefährten wollten sich in Ausstellungen an meinem Verhalten ergehen; ich bat sie aber, das zu unterlassen. Sie schwiegen also. Nur der Kapitän sprach leise mit seinem Steuermanne. Er ließ sich erzählen, was ich mit Jordan verhandelt hatte. Als er alles wußte, gab er mir die Hand und sagte:

»Charley, das habt Ihr vortrefflich gemacht! Die andern werden es zwar toll nennen; ich aber weiß, wie Ihr seid und daß Ihr uns durchbringen werdet.«

Es war wohl eine Stunde vergangen, als man uns wieder holte. Wir durften eintreten. Ich ging sofort bis ganz an den Tisch und stellte mich in die unmittelbare Nähe Jordans. Und das geschah nicht ohne Absicht, denn er hatte meine beiden Revolver neben sich liegen. Major Cadera machte ein ganz eigenartiges Gesicht. Er schien sich geärgert zu haben, und doch lag ein versteckter Triumph in seinen hämischen Zügen. Jedenfalls war der Entschluß, den man für augenblicklich gefaßt hatte, ihm nicht angenehm, und man hatte ihm als Entschädigung für später Hoffnung gemacht.

»Wir sind fertig, Sennor,« sagte Jordan. »Sie können sich über den Entschluß, welchen wir gefaßt haben, gratulieren!«

»Das thue ich nicht eher, als bis ich ihn kennen gelernt habe. Jedenfalls ist er für Sie wenigstens ebenso vorteilhaft, wie für uns. Vorteile, Gnade verlangen wir ja überhaupt gar nicht, sondern nur Gerechtigkeit. Was haben Sie zunächst in Beziehung auf meine Person beschlossen?«

»Sie werden nicht erschossen.«

»Schön! So kann ich auch meine Revolver wieder zu mir nehmen.«

Ich ergriff sie schnell, steckte sie in den Gürtel und trat um einige Schritte zurück.

»Halt!« fuhr Jordan auf. »So ist es nicht gemeint. Wir können Ihnen nicht erlauben, Waffen zu tragen.«

»Dagegen protestiere ich natürlich, Sennor. Sie werden mir schon erlauben, daß ich sie behalte!«

»Nein. Sie haben versprochen, sich in mein Urteil zu fügen!«

»Ich versprach, mich erschießen zu lassen, falls Sie mich dazu verurteilen. Sie haben das nicht gethan, folglich – –!«

»Sie zwingen mich, Gewalt zu brauchen!«

»Ich zwinge keinen Menschen. Die Revolver sind mein Eigentum; ich behalte sie also.«

»Ganz wie Sie wollen! Wer nicht hören will, muß fühlen. Major Cadera, nehmen Sie ihm die Waffen ab!«

Dieser Befehl kam dem Major ebenfalls sehr ungelegen. Er schickte sich an, gehorsam zu sein, aber nur sehr widerstrebend. Er trat langsam auf mich zu, blieb zwei Schritte vor mir stehen und gebot:

»Her damit!«

»Nehmen Sie, was Sie wünschen, Sennor!« lachte ich. »Aber hüten Sie sich, meiner Faust allzu nahe zu kommen. Sie haben sie schon einmal gefühlt.«

Ich machte eine Faust und hielt sie ihm entgegen. Er wendete sich zu Jordan um und sagte:

»Sie hören, Sennor. Er will nicht!«

»Aber ich will!« antwortete dieser. »Ich befehle sogar. Gehorchen Sie augenblicklich!«

Der Major kam dadurch in die größte Verlegenheit; ich zog ihn aus derselben heraus, indem ich Jordan bat:

»Zwingen Sie ihn nicht, sich an mir zu vergreifen, Sennor! Ich schlage ihn nieder, sobald er es wagt mich anzurühren.«

»Vergessen Sie nicht, daß er im Widersetzungsfalle von seiner Waffe Gebrauch machen wird. Er hat eine Pistole!«

»Bis jetzt, ja – – nun aber nicht mehr!«

Zwischen diesen beiden Sätzen war ich blitzschnell auf den Major zugetreten und hatte ihm die Pistole aus der Hand gerissen. Er stieß einen Fluch aus und machte Miene, nach mir zu fassen.

»Zurück!« drohte ich. »Sonst jage ich Ihnen Ihre eigene Kugel durch den Kopf!«

»Diabolo!« rief Jordan. »Das ist stark! Bemerken Sie, daß wir andern auch bewaffnet sind? Was wollen Sie gegen uns ausrichten! Geben Sie die Waffen ab, und zwar augenblicklich, sonst rufe ich meine Soldaten herein!«

»Die Waffen werde ich abgeben, Sennor, ja, aber nicht an Sie, sondern an diese da. Sehen Sie!«

Ich gab dem Yerbatero die Pistole und dem Kapitän einen meiner Revolver, da dieser als Amerikaner im Gebrauche dieser Waffe vielleicht erfahrener war als die andern. Dann schwenkte ich rasch nach der Thüre, schob den Riegel vor, hielt Jordan den zweiten Revolver entgegen und fuhr fort:

»Ihre Leute können nicht herein. Uebrigens, wenn Sie rufen, so schießen wir!«

Das war alles so schnell geschehen, daß der Major noch unbeweglich und wie angenagelt stand. Die Offiziere hatten zwar auch nach ihren Pistolen gegriffen, hüteten sich aber, zu schießen. Der Steuermann war hinter Jordan getreten und blinzelte listig zu mir herüber. Ich verstand, was er sagen wollte, winkte ihm aber noch nicht zu, da er sonst vielleicht voreilig gehandelt hätte.

»Himmel!« rief Jordan. »Ist so etwas denn nur möglich?«

»Nicht nur möglich, Sennor! Sie sehen es ja.«

»Aber, wenn Sie sich wirklich an uns vergreifen, so werden Sie von meinen Leuten buchstäblich in Stücke gerissen!«

»Sie mögen kommen! jedenfalls haben wir die Genugthuung, daß wir Sie vorher dahin geschickt haben, wo Sie keinen Gefangenen mehr machen können.«

»Nur Sie sollen gefangen sein. Ihre Leute können frei umhergehen!«

»Sie werden sich wohl keinen Augenblick von mir trennen.«

»Aber meinen Sie wirklich, daß es Ihnen so leicht sein wird, uns niederzuschießen? Ich greife zum Beispiel hier nach –- O weh!«

Er hatte nach der vor ihm liegenden Pistole greifen wollen, stieß aber diesen Schmerzensschrei aus, da der Steuermann ihm die Riesenhände an die beiden Anne legte und ihm dieselben an den Leib preßte.

»Liegen lassen, Mann, sonst zerdrücke ich dich wie eine Citrone!« drohte der riesige Seemann. »Nur los, Sennor!« fuhr er dann fort, zu mir gerichtet. »Das ist endlich einmal die gewünschte Gelegenheit, ein Mannskind so richtig in die Schrauben zu nehmen, daß ihm der Most aus den Stiefeln läuft!«

»Laß mich los!« rief Jordan. »Kerl, du erdrückst mich ja!«

Niemand wagte es, ihm zu Hilfe zu kommen. Seine Offiziere sahen zwei Revolver und eine Pistole gerade auf sich gerichtet, und zum Ueberflusse erklärte ich ihnen:

»Wenn Sie Ihre Pistolen nicht augenblicklich auf den Tisch legen, befehle ich diesem Manne, daß er dem Generalissimo den Brustkasten eindrückt. Ich sage Ihnen, daß Sie sofort die Knochen krachen hören werden! Also weg mit den Waffen! Eins – zwei – –«

Ich hatte die Zwei kaum ausgesprochen, so lagen die Pistolen auf dem Tische. Uebrigens hatten die Herren keine Angst vor uns. Sie wußten, daß ihnen nichts geschehen werde, falls sie sich nicht feindselig gegen uns verhielten. Auf dem Gesicht des Generals war sogar der leise Ausdruck der Genugthuung zu bemerken, Ihm war ganz gewiß eine außerordentlich lange Nase erteilt worden dafür, daß er sich vorhin von mir ins Bockshorn hatte jagen lassen. Und nun geschah seinem Vorgesetzten ganz dasselbe. Das mußte ihn mit stiller Freude erfüllen.

»Nehmt die Waffen weg!« gebot ich den Yerbateros.

Sie säumten keinen Augenblick, diesen Befehl auszuführen, so daß unsere Gegner nun nur noch ihre Säbel hatten, welche wir nicht zu fürchten brauchten, da sich nun fast jeder von uns im Besitz einer Schußwaffe befand.

»Gehen Sie von der Thüre fort, hinter in den Winkel, Sennor!« herrschte ich den Major an.

Er gehorchte auch, zwar langsam, aber doch. Dann gab ich dem Steuermann einen Wink. Er nahm die Hände von Jordan weg, blieb aber hinter demselben stehen. Jordan sank ganz ermattet in seinen Stuhl und rief seufzend:

»Cascaras! Was für Menschen sind das! Das muß man sich mitten in seinem Hauptquartiere gefallen lassen. Und Sie, Sennores, stehen mir nicht bei!«

Dieser Vorwurf war gegen seine Offiziere gerichtet. Sie konnten ihm natürlich nicht antworten, wie sie wollten; darum that ich es an ihrer Stelle:

»Warum haben Sie sich denn selbst nicht helfen können? Ein Generalissimo sollte stets selbst wissen, was zu thun ist. Sie haben nun erfahren, daß es nicht so sehr leicht ist, über Leben und Eigentum anderer zu verfügen, wenn diese andern nicht zugelaufene Landstreicher, sondern erfahrene, ehrliche und mutige Männer sind.«

»Vergessen Sie nicht, daß Sie von einigen Tausenden meiner Truppen umgeben werden!«

»Pah! Vor diesen Kerlen fürchten wir uns nun nicht mehr.«

Er warf einen Blick auf mich, in welchem sich ein ganz unbeschreibliches Erstaunen aussprach.

»Ich bin überzeugt,« fuhr ich fort, »daß keiner Ihrer Leute sich an einem von uns vergreifen wird!«

»Oho! Man wird Sie zerreißen, wie ich Ihnen schon gesagt habe.«

»Fällt niemanden ein! Kein Mensch wird etwas thun, wodurch er Ihren augenblicklichen Tod herbeiführen würde.«

»Meinen Tod?«

»Ja. Wir sind zehn Männer; Sie zählen nur sechs. jedenfalls sind Sie überzeugt, daß es uns leicht ist, Sie zu binden?«

»Was kann Ihnen das nützen?«

»Sehr viel. Wir binden Sie und fesseln Sie aneinander, einen an den andern, wie eine Tropa Pferde. Wir führen Sie fort, aus dem Hause hinaus, mitten durch Ihre Soldaten. Man wird es nicht wagen, Hand an uns zu legen, denn sobald man nur einen von uns berührte, würden wir Sie alle augenblicklich niederschießen. Nennen Sie das immerhin ein wahnsinniges Unternehmen! Ich bin fest entschlossen, es auszuführen, falls Sie mich zwingen, Ihnen den Beweis zu liefern, daß zuweilen auch etwas geradezu Verrücktes ganz vortrefflich gelingen kann. Ich habe noch mit ganz anderen Leuten, als Sie sind, zu thun gehabt. Ich habe mich durch Hunderte von Comantschos und Apatschos geschlagen, von denen einer so viel wiegt, wie zwanzig Ihrer Leute. Nicht die Masse fürchte ich. Der Scharfsinn und die Verwegenheit des einzelnen führt oft schneller zum Ziele, als das ordnungslose Zusammenwirken vieler. So wie wir hier stehen, und so wie Sie sich hier befinden, schaffen wir Sie hinaus und nach dem Flusse. Wollen sehen, ob wir uns auf diese Weise nicht unser Leben, unsere Freiheit und unser Eigentum retten! Ich komme als Freund zu Ihnen, werde mit meinen Gefährten wie ein Lump und Vagabund behandelt und soll selbst jetzt, wo ich Sie überzeugt habe, welche ungeheueren Vorteile ich Ihnen bringe, mir alle mögliche Tücke und Hinterlist gefallen lassen! Dazu bin ich nicht der Mann. Mag es biegen oder brechen! Für mich sind Sie jetzt nichts als ein Mann, dem ich kein Vertrauen schenken kann, und so dürfen Sie sich nicht wundern, wenn ich in der dadurch gebotenen Weise mit Ihnen verfahre.«

Diese Worte machten den beabsichtigten Eindruck.

»Aber, was verlangen Sie denn von mir?«

»Ehrlichkeit, weiter nichts. Ich will von jetzt an frei sein!«

»Ich hatte die Absicht, Sie morgen früh abreisen zu lassen, nach Buenos Ayres, und Ihnen meinen Bevollmächtigten mitzugeben.«

»Das ist ja recht gut, aber gar kein Grund, mich heute noch einzusperren. Wer soll denn dieser Bevollmächtigte sein?«

»Major Cadera.«

»Warum gerade er? Sie befürchten Feindseligkeiten zwischen ihm und mir und sperren mich deshalb ein; morgen aber soll ich eine Reise mit ihm antreten. Das ist lächerlich!«

»Ich habe ihn gewählt, weil ich mich auf ihn verlassen kann und weil ihn niemand in Buenos Ayres kennt. Ein Beauftragter von mir muß dort natürlich höchst vorsichtig sein.«

»Ich habe gar nichts dagegen, daß er es ist, der mich begleiten soll; aber ich verlange die Behandlung, auf welche ich Anspruch erheben kann.«

»Nun wohl, ich will meinen Entschluß zurücknehmen, Sie werden also bis morgen mein Gast sein. Fühlen Sie sich dadurch zufriedengestellt?«

»Ja, wenn sich Ihre Worte auch auf alle meine Gefährten beziehen.«

»Das ist der Fall. Morgen reisen Sie mit Cadera ab. Natürlich gebe ich ihm eine Begleitung mit, welche gerade aus so vielen Köpfen besteht, wie auch Sie bei sich haben.«

»Warum das?«

»Ich kann ihn doch nicht ohne Schutz gehen lassen!«

»Meinetwegen, obgleich ich der Ansicht bin, daß er durch diese Begleitung nur die Aufmerksamkeit Ihrer Gegner auf sich ziehen muß. Uebrigens werden nicht alle mit mir gehen. Der Estanziero reitet mit seinem Sohne direkt heim. Nur die Yerbateros begleiten mich, da ich sie für unser Geschäft engagiert habe. Der Kapitän und der Steuermann sind natürlich auch dabei, und Bruder Hilario wird uns nicht verlassen wollen. Mit welcher Gelegenheit sollen wir fahren?«

»Wieder mit einem Floße. Einen Dampfer dürfen Sie nicht betreten, weil Sie da Verdacht erwecken würden.«

»Ich bin einverstanden. Der Major hat also Vollmacht, ganz wie Sie zu handeln, und Sie werden seine Unterschrift so respektieren wie Ihre eigene?«

»Ja.«

»Das genügt mir; Sennor Tupido aber wird eine schriftliche Vollmacht verlangen.«

»Die werde ich dem Major mitgeben.«

»Schön! Und wie steht es mit Ihrem Entschlusse bezüglich unsers Eigentums?«

Er hatte jedenfalls vieles behalten wollen, war aber jetzt der Ansicht geworden, daß ich nicht darauf eingehen würde. Darum sah er den General fragend an, und dieser nickte ihm zu, nachgebend zu sein. Da antwortete Jordan:

»Sie sollen alles zurück erhalten, außer der Summe, welche Sie dem Major abgenommen haben.«

»Die lasse ich nicht abziehen. Der Major hat sie als Entschädigung zahlen müssen.«

»Was geht Sie der Brand eines fremden Hauses an?«

»Ein braver Mensch ist mein Nächster und mir niemals fremd!«

»Der Abzug soll nicht Ihnen gemacht werden. Wir nehmen das Geld von der Summe, die dem Estanziero Monteso gehörte.«

»Ob mir oder ihm, das ist ganz gleich. Ich willige nicht ein.«

»So soll an diesem nebensächlichen Punkte unser ganzes friedliches Uebereinkommen scheitern?«

»Ja, wenn Sie die Forderung nicht fallen lassen.«

»Aber Cadera verlangt sein Geld zurück!«

»Und wir das unserige! Er mag keine Ranchos niederbrennen.«

»Bedenken Sie, daß Sie ihm bereits die Pferde abgenommen haben!«

»Mit vollem Rechte. Sie gehörten nicht ihm. Er mag nicht stehlen!«

»Sennor, Sie haben einen ganz entsetzlich harten Kopf!«

»Leider! Und unglücklicherweise besitzt er die Eigentümlichkeit, immer härter zu werden, falls etwas nicht nach seinem Willen geht. Beharren Sie bei Ihrer Weigerung, so ist es sehr leicht möglich, daß ich das zurücknehme, was ich bisher bewilligt habe.«

»Cadera wird Ersatz von mir verlangen!«

»Das ist Ihre Sache, aber nicht die meinige. Uebrigens bin ich überzeugt, daß das Geld nicht sein persönliches Eigentum war. Er hat in Ihrem Auftrage gehandelt und ist also von Ihnen mit Kasse versehen worden. Sie nennen mich zwar einen Verrückten, zuweilen aber habe ich doch ausnahmsweise ein klares Auge.«

»Basta! Mit Ihnen ist nichts anzufangen! Nehmen Sie also auch dieses Geld. Ich habe nichts dagegen! Nun aber sind Sie doch vollständig befriedigt?«

»Nein. Sie haben die Güte, Ihre Zugeständnisse schriftlich zu bestätigen, wozu die anderen Herren die Güte haben werden, ebenso schriftlich ihr Ehrenwort zu geben.«

»Das ist beleidigend!«

»Nur eine Folge Ihrer eigenen Bemerkung, daß ein Bruch Ihres Wortes möglich ist. Ich muß das zu unserer Sicherheit unbedingt fordern.«

»Aber es wäre doch auch die Möglichkeit vorhanden, daß ich dieses schriftliche Zugeständnis ebensowenig halte, wie ein mündliches!«

»Deshalb verlange ich die Unterschrift der Sennores Offiziere. Von ihnen bin ich überzeugt, daß sie ihr Ehrenwort respektieren und also auf die Erfüllung unserer Abmachungen dringen werden.«

Der Kapitän, der Yerbatero und ich, wir hatten noch immer unsere Waffen drohend in den Händen. Jordan war mürbe geworden. Er stieß einen Seufzer aus und sagte:

»Sie sind wirklich ein entsetzlicher Mensch! Ein solcher Starrkopf ist mir noch niemals vorgekommen! Wie soll ich schreiben?«

»Ich werde diktieren.«

»Gut! Der Rittmeister mag schreiben, und dann unterzeichnen wir. Aber nun thun Sie die Waffen weg!«

»Nach vollzogener Unterschrift. Nicht eher.«

Derjenige, welchem er den Titel Rittmeister gab, nahm Papier und Feder zur Hand und schrieb mein Diktat nieder. Ich gab demselben die vorsichtigste Fassung. Der ›Generalissimo‹ hätte sich nicht an dasselbe gekehrt. Von den andern aber nahm ich an, daß ihre Unterschrift wenigstens einigen Wert für sie haben werde. Jordan unterzeichnete; dann fügten auch die andern ihren Namen bei.

»So!« sagte Jordan, indem er vom Stuhle aufstand. »Es ist geschehen. Wir sind einig, und nun geben Sie uns unsere Pistolen zurück!«

»Warum? Ist Ihnen denn gar so viel an dem Besitze dieser Waffen gelegen, Sennorl Ich möchte mir zunächst den Beweis erbitten, daß Sie Ihr Wort halten. Haben Sie also die Güte, uns unser sämtliches Eigentum ausfolgen zu lassen!«

»Das muß der General thun, an den alles abgegeben worden ist.«

»So erteile ich Ihm die Erlaubnis, sich zu entfernen. Die andern Sennores aber bleiben hier. Zehn Minuten werden wohl genügen, alles herbeischaffen zu können. Beeilen Sie sich, General, sonst erwacht mein Mißtrauen von neuem. Und versuchen Sie keine Hinterlist! Sie würden das Leben Ihrer Kameraden aufs äußerste gefährden!«

Er gab mir keine laute Antwort, sondern nickte mir nur zu. Ich sah es ihm an, daß er keine Unehrlichkeit beabsichtigte, und ließ ihn hinaus, riegelte aber hinter ihm die Thüre wieder zu. Die andern blieben still auf ihren Plätzen. Keiner sprach ein Wort. Sie fühlten sich geschlagen und an ihrer Ehre beleidigt; ich gebe auch gern zu, daß es eine Schande für sie war, daß sie unter solchen Verhältnissen und auf diese Weise gezwungen worden waren, alle meine Forderungen zu bewilligen. Nur der Rittmeister warf zuweilen einen nicht unfreundlichen Blick auf mich. Er war ein noch junger und sehr hübscher Mann, der in seinem Benehmen etwas Chevalereskes zeigte. Ich schien ihm keine Abneigung eingeflößt zu haben.

Ein wenig nach der angegebenen Zeit wurde angeklopft. Ich öffnete die Thür ein wenig, hielt den gespannten Revolver in der Hand und sah durch die Spalte hinaus. Der General stand draußen, hinter ihm einige Soldaten, welche unsere Gewehre und sonstigen Sachen trugen.

»Oeffnen Sie immerhin ganz, Sennor!« sagte er. »Ich habe, wie Sie sich überzeugen können, beide Vorzimmer räumen lassen. Es ist keine Wache mehr da.«

Ich ließ ihn mit den Leuten hereintreten. Sie legten alles auf den Tisch. Als jeder sein Eigentum an sich genommen hatte, zeigte es sich, daß noch verschiedenes fehlte. Die Bolamänner hatten sich manches angeeignet und es nicht abgegeben. Der General ging, um die Leute vorzunehmen, und bald wurde alles Fehlende gebracht, so daß wir uns im vollen Besitze unserer Habe befanden – außer dem Gelde.

Das meinige hatte ich vollständig wieder erhalten, ebenso die andern, ausgenommen der Estanziero. Ihm fehlten dreitausend Papierthaler, welche dem General nicht ausgehändigt waren. Entweder irrte sich der Estanziero, oder der Major hatte die Summe für sich behalten. Der letztere stellte das sehr entschieden in Abrede. Der erstere behauptete, ganz genau zu wissen, wie viel er bei sich getragen hatte, doch erklärte er, um des Friedens willen verzichten zu wollen. Da aber sagte der Steuermann:

»Dreitausend Thaler sind kein Pappenstiel. Sie dürfen nicht verzichten. Der Sennor Major mag mir die Hand darauf geben, daß er das Geld wirklich nicht hat.«

Er streckte Cadera seine breite Hand entgegen. Dieser war so unvorsichtig, die seinige hineinzulegen, und versicherte:

»Hier mein Ehrenwort, daß ich alles abgegeben habe.«

Kaum aber hatte er das gesagt, so schrie er laut auf vor Schmerz. Der Steuermann ließ die Hand nicht los; er hielt sie fest und immer fester.

»Cielo, cielo!« rief der Major. »Lassen Sie mich doch los!«

»Wo ist das Geld?« fragte der Steuermann ruhig, indem er die Hand immer fester drückte.

»Ich habe es nicht, wirklich nicht!«

»Du hast es, Spitzbube! Ich drücke dir die Hand zu Kleister, wenn du es nicht gestehst!«

»Qué dolor, qué tormento!« zeterte Cadera, indem er mit beiden Füßen sprang. »Ich habe nichts, ich – ich – ich!«

»Lassen Sie ihn los!« gebot der General. »Wir können so etwas unmöglich – –«

Er kam nicht weiter, denn der Steuermann unterbrach ihn rauh:

»Schweigen Sie! Ich weiß, woran ich bin! Diesem Kerl ist der Spitzbube nur zu deutlich an die Stime geschrieben. Passen Sie auf; er wird es sogleich gestehen!«

Ein abermals verstärkter Druck seiner gewaltigen Faust; der Major that einen Luftsprung und schrie:

»Ich – ich – – o Himmel! – ja doch, ja!«

»Wo hast du das Geld?« fragte Larsen, ohne loszulassen.

»Im Hute hier!«

»Heraus damit – aber gleich!«

Cadera hatte einen andern Hut auf als früher. Er riß ihn vom Kopfe. Er konnte ihn mit der schmerzenden Hand gar nicht halten, die ein bräunlich blaues Aussehen bekommen hatte.

»Unter dem Schweißleder!« sagte er. »Nehmt es heraus!«

Larsen zog das Geld hervor, zeigte es dem Generale und sagte:

»Nun, wer hatte recht, Sennor, Sie oder ich? Lassen Sie sich auch solche Hände wachsen wie die meinigen, dann können Sie jeden Dieb zum Geständnisse bewegen! Dieser famose Herr Major wird eine Zeitlang glauben, er habe hundert Finger an der Hand, die alle zerquetscht sind, hoffentlich aber maust er nicht mehr mit ihnen!«

Der Estanziero steckte sein Geld ein. Der ›Generalissimo‹, welcher sich während der letzteren Scene, obgleich dieselbe jedenfalls für ihn sehr peinlich gewesen war, ganz ruhig verhalten hatte, trat jetzt mit der Frage zu mir:

»Sind Sie nun zufriedengestellt, Sennor?«

»Vollständig. Und ich hoffe, daß der geschlossene Friede ein dauernder sein wird.«

»Das wird von jetzt an nur auf Sie ankommen. Wir werden unser Wort halten; nun liegt es an Ihnen, das Ihrige zu Ehren zu bringen. Ich gehe jetzt, um in eigener Person für Ihr Unterkommen zu sorgen, da Sie mein Gast sind.«

»Bitte, Sennor, ich werde mich keinesfalls von meinen Gefährten trennen und bitte Sie also, Ihre Anweisung dahin zu erteilen, daß wir beisammen bleiben.«

»Ganz wie Sie wollen. Im übrigen weise ich Sie an den Rittmeister hier, welchen ich mit der Sorge für Sie betrauen werde.«

Er ging. Die andern folgten, auch Cadera, welcher uns keines Blickes würdigte, aber gewiß unter Haß und Scham auf Rache sann. Nur der Rittmeister blieb für einige Augenblicke zurück. Er wendete sich mit mir von den andern ab und sagte in unterdrücktem Tone:

»Sennor, man ist ganz unverantwortlich verfahren, und zwar nicht nur gegen Sie und Ihre Begleiter. Ich habe mich der hiesigen Angelegenheit angeschlossen, weil ich glaubte, in derselben einer guten Sache zu dienen; aber Sie haben mir die Augen geöffnet. Ich bin Ihnen dankbar dafür. Indem ich Sie bitte, aus dem Bisherigen nicht ein Urteil über mich zu fällen, stelle ich mich Ihnen zur Verfügung, bin dabei aber von Ihrer Diskretion überzeugt. Meines Bleibens wird hier nicht mehr lange sein; jedenfalls aber können Sie auf mich rechnen.«

»Meinen Dank, Sennor,« antwortete ich. »Es freut mich aufrichtig, hier einen Mann zu finden, welcher sich mit seinem Urteile auf die Seite der gerechten Sache stellt. Ich konnte das, nach dem, was wir erfahren haben, wohl kaum erwarten. Die hier anwesenden Truppen scheinen sich ja nur aus Bravos und Briganten rekrutiert zu haben?«

»Leider haben Sie recht. Ich mußte das schon bald nach meiner Ankunft hier bemerken und fragte mich infolgedessen, ob es sich mit meiner Ehre vertrage, auf solcher Seite zu kämpfen. Nach allem, was ich nun gesehen und gehört habe, kann ich nur wünschen, so bald wie möglich von hier fortzukommen. Doch wird das außerordentlich schwierig sein. Ich bin in Jordans Absichten eingeweiht, infolgedessen er mich wohl mit Gewalt zurückhalten würde.«

»So entfernen Sie sich heimlich.«

»Das würde sich unter irgend einem Vorwande thun lassen; aber ich bin überzeugt, daß ich schnell die Verfolger hinter mir haben würde.«

»Pah! Es wird hier zwar sehr viel Pulver verschossen; erfunden aber wurde es anderswo. Wurden Sie von Jordan vereidigt?«

»Nein.«

»So sind Sie also nicht gebunden. Haben Sie wirklich die Absicht, sich zu entfernen, so kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein.«

»Sie?« fragte er mit einem Lächeln des Erstaunens. »Sie befinden sich doch selbst in einer Lage, in welcher Sie der Hilfe bedürfen, Sennor!«

»Wohl schwerlich. Da wir uns wieder im Besitze unserer Waffen befinden, werden wir uns schon selbst zu helfen wissen. Jordan muß uns gehen lassen. Vielleicht finden Sie dabei die Gelegenheit, sich uns heimlich anzuschließen.«

»Nun, wollen sehen. Jedenfalls aber können Sie überzeugt sein, daß ich auf Ihrer Seite stehe und es möglichst verhüten werde, daß Sie von neuem in Gefahr gebracht werden. Jetzt muß ich fort, damit man nicht aus meinem Verweilen bei Ihnen schließt, daß ich gesonnen bin, mich Ihrer anzunehmen.«

Er ging, kehrte aber sehr bald zurück, um uns nach der für uns bestimmten Wohnung zu bringen. Diese lag in einem Nebengebäude, so daß wir über den Hof gehen mußten, welcher voller Menschen war, die uns mit neugierig feindseligen Blicken betrachteten. Einige wollten sich an uns drängen; sie schienen die Absicht zu haben, sich an uns zu vergreifen; der Rittmeister wies sie aber in strengem Tone zurück.

Das Gebäude war mehr Schuppen als Haus. Es bestand aus Bretterwänden mit schmalen Luftlöchern und einem Dache aus demselben Material. Der vollständig leere Raum war so groß, daß ich den Rittmeister bitten konnte, unsere Pferde bei uns haben zu dürfen. Er erfüllte diesen Wunsch und ließ die Tiere bringen, erhielt aber dafür, wie wir später erfuhren, einen scharfen Verweis, aus welchem wir schließen konnten, daß man doch noch Hintergedanken gegen uns hegte. Daß wir die Pferde bei uns hatten, erhöhte natürlich unsere Sicherheit und erleichterte unsere Flucht, falls wir zu derselben gezwungen sein sollten.

Hier blieben wir nun ganz für uns, und niemand schien sich um uns zu kümmern, bis nach eingebrochener Dunkelheit uns der Rittmeister zwei Lampen schickte, welche mit Stutenfett gespeist wurden. Auch Fleisch, an welchem wir uns satt essen konnten, wurde uns gebracht.

Draußen brannten zahlreiche Feuer, und wir konnten durch die Luftlöcher das halbwilde Treiben sehen, welches sich um dieselben gruppierte.

Es wurde später und immer später. Die Feuer verlöschten, und eine Trommel gab das Zeichen zum Schlaf. Auch wir waren müde. Wir mußten uns auf den nackten Boden legen und trafen zu unserer Sicherheit die Vorkehrung, daß nach der Reihe einer von uns wachte.

Spät in der Nacht wurde ich geweckt. Der Rittmeister hatte sich unbemerkt herbeigeschlichen und leise klopfend Einlaß begehrt. Unsere Lampen waren erloschen. Kein Mensch sah, daß ich ihm öffnete und ihn einließ.

»Verzeihung, Sennor, daß ich nicht früher kam!« sagte er. »Man hatte draußen Wächter gestellt, um zu erfahren, was bei Ihnen geschehe. Um die Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken und überhaupt keinen Argwohn zu erregen, blieb ich fern. Der Kerl, welcher die Thüre im Auge behalten soll, hat sich jetzt niedergelegt und schläft.«

»So könnten wir fliehen, wenn wir wollten!«

»O nein. Der Huftritt Ihrer Pferde würde Sie sofort verraten, und dann wären alle hinter Ihnen her.«

»Nun, ich habe auch keineswegs die Absicht, mich heimlich davonzumachen. Ich will offen und am Tage diesen Ort verlassen. Haben Sie etwas über unsere Abreise in Erfahrung gebracht?«

»Ja. Ich bin zum erstenmale in meinem Leben Horcher gewesen und habe gehört, welche Instruktion der Major erhalten hat.«

»Also bleibt es dabei, daß er es ist, welcher uns nach Buenos Ayres begleitet?«

»Ja. Er bekommt so viele Begleiter mit, wie Sie haben. Da er die Pferde nur bis zum Flusse braucht, muß ich mit einigen Reitern mit, um die Pferde zurück zu bringen und dabei die Nachricht, daß Sie glücklich und richtig auf einem Floße untergebracht worden sind.«

»Also abermals per Floß?«

»Aus Vorsicht. Es gehen ja auch Dampfer vorüber, deren jeder bereit wäre, Sie aufzunehmen; aber da giebt es zahlreiche Menschen an Bord, während Sie sich auf einem Floße allein befinden und von keiner Seite Störung haben.«

»Ich verstehe. Jordan befürchtet, daß wir auf einem Dampfer uns in den Schutz anderer begeben würden.«

»Mag sein. Er hat dem Major schriftliche Vollmacht gegeben, in seinem Namen zu unterzeichnen und das Geschäft abzuschließen. Das Schiff soll dann den Parana hinaufgehen, bis zu einer Stelle, welche zwischen Jordan und dem Major verabredet worden ist, und dort die Ladung an die Leute abgeben, welche Sie dort am Ufer treffen werden.«

»Welche Stelle ist das?«

»Ich weiß es nicht. Sie sprachen darüber so leise, daß ich es nicht verstehen konnte. Aber ich warne Sie. Bleiben Sie an Bord und gehen Sie nicht an das Ufer, weil der Major die Weisung hat, sich Ihrer zu bemächtigen, nämlich sobald sich alles in seinen Händen befindet und der Verrat an Ihnen für Jordan keine Verluste mehr zur Folge haben kann.«

»Das habe ich erwartet. Bekommen wird der Major mich keinenfalls, viel eher aber kann es geschehen, daß er in meine Hände fällt. Wo befindet sich Jordan?«

»Noch hier.«

»So wird er uns zu sich kommen lassen, ehe er uns entläßt?«

»Jedenfalls. Er wird Sie dabei wohl mit großer Freundlichkeit behandeln. Sie dürfen ihm jedoch nicht trauen.«

»Ich habe kein Vertrauen mitgebracht, und das, was hier geschehen ist, war keineswegs geeignet, mein Mißtrauen zu zerstreuen. Haben Sie in Beziehung auf Ihre Person einen Plan gefaßt?«

»Gefaßt noch nicht, wenigstens keinen festen, sichern Plan.

Doch bin ich entschlossen, zu verschwinden, sobald sich mir eine passende, nicht allzu gefährliche Gelegenheit dazu bietet.«

»Nach meiner Ansicht ist dieselbe da. Sie fahren mit uns.«

»Das ist unmöglich!«

»O nein. Man darf überhaupt das Wort ›unmöglich‹ nicht bei jeder Schwierigkeit in Anwendung bringen.«

»So bitte ich, mir zu sagen, in welcher Weise dieser Plan in Ausführung gebracht werden könnte!«

»Gern. Aber ich müßte wissen, daß ich mich auf Sie verlassen kann, daß Sie es wirklich aufrichtig mit uns meinen.«

»Das thue ich ja. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Ihnen freundlich gesinnt bin, keine Hinterlist beabsichtige und sehr froh sein würde, wenn es mir gelänge, von hier zu entkommen!«

»Ich habe hier in Beziehung auf das Ehrenwort keine aufmunternden Erfahrungen gemacht, will aber trotzdem Ihrer Versicherung Glauben schenken, da ich Sie für einen Ehrenmann halte.«

»Thun Sie das, Sennor! Sie werden sich nicht in mir täuschen.«

»So sagen Sie mir zunächst, ob Ihre Habseligkeiten einen bedeutenden Raum einnehmen!«

»Ganz und gar nicht. Man lebt hier wie im Felde. Ich habe mir nichts Ueberflüssiges angeschafft. Mein ganzer Besitz besteht in meinem Pferde, meinen Waffen, zwei Anzügen und einem kleinen Vorrate an Wäsche.«

»Das würde doch ein Paket ergeben, welches Mißtrauen erregte, falls Sie es bei sich führen wollten. Können Sie den zweiten Anzug und die Wäsche nicht heimlich zu uns bringen?«

»Ich denke es.«

»So thun Sie es! Wir nehmen die Sachen zu uns. Sie müssen uns ja begleiten und werden da auf unser Floß kommen.«

»Geht das? Ich soll wieder zurück.«

»Pah! Sie sollen; aber ob Sie auch wollen, ob Sie es thun, das ist eine ganz andere Sache.«

»Was würde der Major dazu sagen?«

»Den überlassen Sie mir. Ich werde ihm die Sache so plausibel machen, daß er sich fügen wird oder fügen muß.«

»Er ist mein Vorgesetzter!«

»Nur so lange, als Sie ihn als solchen gelten lassen. Wir stehen auf Ihrer Seite, und Sie haben selbst gesehen, wie ich mit Cadera umgesprungen bin. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie freikommen werden.«

Er schwieg eine kleine Weile und sagte dann:

»Es ist ein großes Wagnis!«

»Gar nicht, Sennorl Bedenken Sie, was ich gewagt habe, inmitten einer solchen Menge von Feinden! Es ist gelungen. Es fällt mir also nicht ein, mich vor den wenigen Leuten zu fürchten, welche man uns mitgeben wird.«

»Es kann sehr leicht zum Kampfe kommen!«

»Das bezweifle ich stark. Ihre Leute wissen, daß wir ihnen in Beziehung auf unsre Waffen überlegen sind. Uebrigens ziehe ich natürlich die List der Gewalt vor. Das versteht sich ganz von selbst.«

»Nun gut! Sie sprechen in einer so Vertrauen erweckenden Ruhe und mit solcher Ueberlegung, daß ich mich auf Sie verlassen und; das Wagnis unternehmen will. Ich werde Ihnen meine Sachen heimlich bringen. Innerhalb einer Viertelstunde bin ich wieder da.«

Er schlich sich davon und brachte in der angegebenen Zeit die Gegenstände. Auf eine Fortsetzung der Unterredung verzichteten wir. Es gab nichts zu besprechen, da wir ja nicht im voraus wußten, wie das Ereignis sich gestalten werde. Auch konnte der Posten leicht aufwachen, und wenn er dann den Rittmeister von uns kommen sah, so war zu vermuten, daß er dies melden werde.

Wir schliefen weiter, bis draußen das rege Lagerleben erwachte. Die Leute ritten ihre Pferde zur Tränke und brannten Feuer an, um sich das Fleisch zu braten, aus welchem ausschließlich ihre täglichen drei Mahlzeiten bestanden.

War ich der Ansicht gewesen, daß Jordan uns zu sich kommen lassen werde, so hatte ich mich geirrt; er kam in Begleitung des Generals zu uns, höchst wahrscheinlich, um seinen Leuten unterwegs nicht Gelegenheit zu Feindseligkeiten gegen uns zu geben.

»Ich will Ihnen mitteilen, daß Sie jetzt Essen bekommen und dann aufbrechen werden,« sagte er. »Sie sehen, daß ich mein Wort halte.«

»Das ist selbstverständlich!« antwortete ich. »Wir haben also vollste Freiheit wieder und dürfen keine weitern Feindseligkeiten erwarten?«

»Nein. Wir sind Verbündete. Nach dem aber, was geschehen ist, dürfen Sie nicht erwarten, daß ich Ihnen den Major ohne alle Begleitung mitgebe.«

»Ihr ganzes Heer mag ihn begleiten; ich habe nichts dagegen!«

»Der Major hat schriftliche Vollmacht von mir bekommen,« fuhr Jordan fort, »welche er in Buenos Ayres Ihnen und Sennor Tupido vorlegen wird. Er weiß genau, wie weit er gehen darf, und wenn Sie mit ihm einig werden, ist es gerade so, als ob Sie das Geschäft mit mir selbst abgeschlossen hätten. Natürlich aber kann die Ladung nicht in Buenos Ayres von Bord geschafft werden. Sie müssen auf dem Parana heraufkommen.«

»Bis wohin?«

»Das wird Ihnen der Major mitteilen.«

»Lieber wäre es mir, wenn ich es sogleich erfahren könnte.«

»Noch ist das Geschäft nicht abgeschlossen; noch weiß ich nicht, ob ich Ihre Bedingungen annehmen darf. Darum müssen Sie mir erlauben, gewisse Dinge noch geheim zu halten.«

»Ich habe nichts dagegen.«

»Sie reiten bis an den Fluß und werden das erste Floß benutzen, welches herankommt. Außer den Begleitern des Majors bekommen Sie ein kleines Detachement mit, welches unter der Leitung des Rittmeisters steht, den Sie kennen gelernt haben. Diese Leute aber gebe ich Ihnen nicht aus Mißtrauen mit, sondern weil sie die Pferde zurückbringen sollen, welche der Major nicht mitnehmen kann.«

»Ich habe nichts dagegen.«

»Das erwarte ich. Wir wollen alles bisherige vergessen und von jetzt an nur im gegenseitigen Interesse handeln. Der Major wird Ihnen beweisen, daß er Ihr Freund geworden ist.«

»Das ist nur gut für ihn, denn ein anderes Verhalten würde nur zu seinem eigenen Schaden ausfallen.«

»Sennor!« rief er in strengem Tone. »Sie bedienen sich wieder einer Sprache, welche ich nicht hören darf! Sie wissen, daß ich nachsichtig mit Ihnen verfahren bin, und ich hoffe, daß Sie das mit Dankbarkeit belohnen!«

»Gewiß, denn jede That trägt den Dank, nämlich ihre Folgen, in sich selbst.«

»Haben Sie noch eine Bemerkung, eine Erkundigung oder sonst etwas?«

»Nichts, als nur noch die Bitte, für hinreichenden Proviant bis Buenos Ayres zu sorgen, da es doch nicht geraten erscheint, uns unterwegs mit der Jagd aufzuhalten.«

»Daran habe ich schon gedacht. Für jetzt also sind wir einig und miteinander fertig. Wenn wir uns wiedersehen, mag es in Freundschaft geschehen. An mir würde die Schuld nicht liegen, wenn das Gegenteil stattfände.«

»An mir auch nicht, Sennor. Nehmen Sie unsern Dank für die Gastfreundschaft, welche wir hier genossen haben!«

»Bitte, Sennor! Leben Sie wohl!«

Er entfernte sich mit seinem Begleiter, welcher kein Wort gesprochen hatte. Dann wurde uns Fleisch und auch Pferdefutter gebracht. Als die Tiere dasselbe verzehrt hatten, stellte sich der Major ein, um uns zu sagen, daß es Zeit zum Aufbruche sei. Man war so vorsichtig gewesen, die Mannschaften zum Exerzieren ausrücken zu lassen, so daß sich nur wenige Zurückgebliebene in der Nähe befanden, die Leute ausgenommen, welche uns begleiten sollten. Die letzteren waren gut bewaffnet, eine Vorsichtsmaßregel, welche wir dem Befehlshaber nicht übelnehmen konnten. In ihren Mienen war nicht viel Freundschaftliches zu lesen, und auch dem Major sah man es an, daß es ihm nur mit Anstrengung gelang, uns wenigstens ein gleichgültiges Gesicht zu zeigen.

Gesattelt hatten wir schon. Wir zogen also unsre Pferde aus dem Schuppen und stiegen auf. Der Kapitän und der Steuermann, welche nicht im Besitze von Pferden gewesen waren, hatten welche geborgt bekommen.

Unsre eigentliche Eskorte, welche uns nach Buenos Ayres begleiten sollte, bestand aus derselben Anzahl Personen, wie wir selbst. Die andern zählten mit dem Rittmeister zehn Mann. Als wir aufbrachen, erschien Jordan und der General unter der Thüre und winkte uns mit der Hand den Abschied zu. Wir beachteten es nicht. Es geschah ja doch nur, um uns in Sicherheit zu wiegen.

Wir ritten nicht den Weg, auf welchem wir gekommen waren, sondern hielten eine mehr südliche Richtung bei. Auf mein Befragen nach dem Grunde erklärte der Major, daß dort der Fluß eine Krümmung uns entgegen mache und wir ihn also früher erreichen würden, als auf dem gestrigen Wege. Ich hatte diese Frage an ihn und nicht an den Rittmeister gerichtet, um allen Schein zu vermeiden, als ob ich mit demselben in besserm Einvernehmen stände.

Gestern waren wir an die Pferde gebunden gewesen, wobei es natürlich unmöglich war, zu sehen, ob einer ein guter oder schlechter Reiter sei. Heute, wo wir als freie Männer im Sattel saßen, konnte es viel leichter beurteilt werden. Es fiel mir auf, daß der Steuermann recht leidlich ritt. Er sagte, daß er früher im Süden der Vereinigten Staaten sehr oft an Land gewesen sei und da tagelang im Sattel gesessen habe. Der Kapitän ritt weniger gut, befand sich aber in vorzüglicher Stimmung.

»Charley, das war eine schlimme Falle, der wir entgangen sind. Ihr habt Euch wirklich ganz vortrefflich Eurer Haut gewehrt. Was werden die Kerle sagen, wenn sie nach Buenos Ayres kommen und da bemerken, daß sie betrogen sind!«

»Sie kommen gar nicht hin.«

»Nicht? Sie fahren doch mit!«

»Ich nehme sie nur eine Strecke mit; dann zwinge ich sie, das Floß zu verlassen.«

»Das giebt einen Kampf. Habe große Lust, einigen von ihnen meinen Namen hinter die Ohren zu schreiben. Aber wenn sie fort sind, so fahren wir doch zusammen nach Buenos?«

»Das ist noch unbestimmt. Wir wollen ja nach dem Gran Chaco. Leider aber werden wir es kaum wagen können, die erst beabsichtigte Richtung einzuhalten. Der Weg ist uns durch diese Leute verlegt, welche uns wohl schwerlich zum zweitenmale entkommen lassen würden.«

»So ist es am besten, wenn Ihr geradezu nach Buenos Ayres schwimmt und die Reise von dort antretet. Ich reite dann mit.«

»O, habt Ihr denn Zeit dazu?«

»Ja. Ich muß monatelang vor Anker liegen. Was soll ich machen, mir die Zeit zu vertreiben? Kalender? Das ist mir zu langweilig. Nehmt mich mit, Sir! Ich werde es Euch herzlich Dank wissen.«

»Nun, wollen sehen. Ich denke freilich, wir werden gezwungen sein, nach Buenos zu gehen, denn ich habe eine Ahnung, daß man, ohne es uns zu sagen, eine Abteilung Militär ausgesandt hat, welche längs des Flusses reitet, um sich zu überzeugen, daß wir wirklich mit unsern bisherigen Feinden zusammen friedlich nach Buenos Ayres fahren. Auch weiß man nicht, was noch geschieht.«

»Was soll noch geschehen?«

»Ich meine – – – Ah, seht, da kommen uns zwei Reiter entgegen! Sie scheinen große Eile zu haben. Sie halten gerade auf uns zu, wohl um sich nach dem Wege zu erkundigen.«

Wir beide hatten ziemlich leise gesprochen, so daß uns niemand hören konnte. Zwar bedienten wir uns der englischen Sprache, aber es war doch immerhin möglich, daß es unter den Reitern einen gab, welcher derselben mächtig war.

Die erwähnten Reiter hielten vor uns ihre Pferde an. Sie nahmen an, daß der Major der Anführer von uns sei, und so wendete sich der eine von ihnen an diesen:

»Verzeihung, Sennor! Wir wollen zu Sennor Jordan. Können Sie uns nicht sagen, wo dieser Herr zu treffen ist?«

»Das kann ich Ihnen am besten sagen, da wir von ihm kommen,« antwortete der Gefragte.

»So gehören Sie zu ihm?« »Ja. Ich bin Major in seinem Dienste. Was wollen Sie dort?« »Wir haben eine sehr wichtige Botschaft an ihn.« »Was für eine?« »Das dürfen wir nicht sagen.« »Ist sie mündlich?«

»Ja,« antwortete der Mann so zögernd, daß ich annahm, er habe nicht die Wahrheit gesagt.

»Sie haben keine Schriftstücke, keinen Brief bei sich?« »Nein, Sennor.« »Wo kommen Sie her?«

»Vom Flusse,« antwortete der Reiter zurückhaltend.

»Das sehe ich. Aber von jenseits, aus der Banda oriental?« »Ja.« »Welcher Stadt?« »Das dürfen wir nur Sennor Jordan sagen.«

»Aber von wem Sie gesendet worden sind, das darf ich wissen?«

»Auch nicht!«

»Tormenta! Da muß es sich doch um ein großes Geheimnis handeln!«

»Allerdings.«

»Wie nun, wenn ich Sie zwinge, mir dasselbe zu verraten!« »So würden Sie sich den Zorn des Sennor Jordan zuziehen.« »Hm! Eigentlich sollte ich Sie gar nicht passieren lassen. Ich möchte – –«

Er hielt inne und blickte die beiden nachdenklich an. Ich begann zu ahnen, wen ich vor mir hatte. Waren diese beiden Männer vielleicht Boten von Tupido? Ich hatte es ihm abgeschlagen, die Kontrakte zu besorgen; er mußte sie aber doch an ihre Adresse senden und sich also nach andern Boten umsehen. Um mich zu überzeugen, ritt ich an die zwei heran und sagte:

»Ich will nicht in Ihre Geheimnisse dringen, aber Sie können mir eine Frage getrost beantworten, denn ich kenne Sie und weiß, was Sie wollen. Sie kommen aus Montevideo?«

Keiner antwortete.

»Sennor Tupido sendet Sie?«

Auch jetzt schwiegen sie. ich wußte genug. Ich hatte mich nicht geirrt. Darum fuhr ich fort:

»Ich kenne Ihre Botschaft, welche allerdings im höchsten Grade wichtig ist. Der Major wird Sie nicht aufhalten. Reiten Sie weiter!«

»Oho!« rief Cadera. »Wer hat hier zu befehlen, Sie oder ich?«

»Natürlich ich,« antwortete ich.

Es war notwendig, zu verhüten, daß der Major sich weiter mit ihnen einließ und dann erfuhr, daß sie die Kontrakte bei sich hatten, welche sich meiner Aussage nach bei Tupido befinden sollten. Darum trat ich so schroff auf. Er antwortete.

»Sie? Ich bin Major und habe die Aufsicht über Sie!«

»Unsinn! Ich stehe unter keines Menschen Aufsicht, aber ich werde Ihnen zeigen und beweisen, daß Sie selbst sich unter Aufsicht befinden. Diese Leute reiten augenblicklich weiter.«

»Nein. Sie bleiben. Ich werde sie durchsuchen lassen!«

»Wagen Sie das nicht!«

»Wollen Sie mich etwa hindern?«

»Ja, indem ich Sie niederschieße, sobald sich eine Hand gegen die beiden Männer erhebt, welche in meiner Angelegenheit abgesendet worden sind. Es handelt sich um das Wohl und Wehe von Sennor Jordan und um das Zustandekommen unsers beabsichtigten Geschäftes. Da gilt mir Ihr Leben nicht mehr, als dasjenige einer Fliege oder eines Regenwurmes.«

Ich hatte meine Revolver gezogen. Meine Gefährten scharten sich um mich und hielten ihre Waffen auch kampfbereit. Die Soldaten hingegen drängten sich an den Major, doch schienen sie nicht recht Lust zu haben, sich mit uns zu messen. Sie waren uns um zehn Mann überlegen. Was that das? Es galt, ihnen gleich bei dieser ersten Gelegenheit zu beweisen, daß wir nicht gesonnen seien, uns von dem Major gebieten zu lassen.

Ich hielt den einen meiner Revolver auf ihn gerichtet. Er wollte nach seiner Pistole greifen; da rief ich ihm drohend zu:

»Halt! Die Hand weg! Sobald Sie zugreifen, schieße ich!«

Er nahm die Hand wieder weg und sagte:

»Sollte man so etwas für möglich halten! Sie thun ja, als ob Sie der Herr von Entre Rios seien!«

»Das bin ich nicht, aber ebensowenig haben Sie uns irgend einen Befehl zu erteilen. Das merken Sie sich! Man hat mir versichert, daß Sie jetzt mein Freund seien; ich aber sehe, daß das Gegenteil stattfindet, und werde mich danach zu verhalten wissen.«

Und zu den beiden Boten gewendet fügte ich hinzu:

»Reiten Sie weiter! Grüßen Sie Sennor Jordan von mir; erzählen Sie ihm, was Sie hier gesehen haben, und sagen Sie ihm, daß ich mich ihm ganz ergebenst empfehlen lasse! Wenn Sie immer geradeaus reiten, werden Sie sein Hauptquartier nicht verfehlen.«

Sie galoppierten sofort weiter, froh, uns entkommen zu sein.

»Tempestad! Das werde ich mir freilich hinter die Ohren schreiben, Sennor!« knirschte der Major.

»Thun Sie das! Ich habe Sie ja darum gebeten. Und nun, bitte, wollen wir den unterbrochenen Ritt fortsetzen.«

Ich ritt weiter, um mich die Gefährten. Der Major folgte mit den Seinen. Er dachte nicht daran, die beiden Boten zurückzuhalten. Wir aber nahmen ein scharfes Tempo an, und hatten alle Veranlassung dazu. Auch der Bruder sah das ein. Er sagte zu mir:

»Glauben Sie wirklich, daß die beiden von Tupido kamen und die Kontrakte bei sich hatten?«

»Gewiß.«

»Ah! Wenn sie früher gekommen wären, als wir uns noch bei Jordan befanden! Welch ein Unglück hätte es da gegeben!«

»Wir hätten um unser Leben kämpfen müssen.«

»Dazu können wir auch jetzt noch gezwungen sein, denn Jordan wird uns, wenn er die Kontrakte erhält, sofort verfolgen lassen.«

»Das ist freilich wahr.«

»Wir befinden uns erst eine Stunde unterwegs. In eben dieser Zeit werden die Boten bei ihm sein. In vier Stunden erreichen wir erst den Fluß. Wir müssen uns außerordentlich beeilen, sonst holen uns die Verfolger ein.«

»Sie haben recht. Und selbst wenn wir uns beeilen, werden sie auf uns treffen, wenn wir lange auf ein Floß warten müssen.«

»Was ist da zu thun? Können wir nicht Blutvergießen verhüten?«

»Vielleicht doch. Sehen wir kein Floß, so bleiben wir nicht am Ufer halten, sondern wir reiten ihm entgegen.«

»Das ist wahr. Dadurch verlängern wir den Weg, welchen die Verfolger zu machen haben, wenn sie uns erreichen wollen. Aber wird der Major es zugeben?«

»Er muß.«

»Er wird uns mit Gewalt zurückhalten wollen.«

»Pah! Sie haben gesehen, daß seine Leute sich vor den Revolvern fürchten.«

Wir ließen also unsere Pferde tüchtig ausgreifen. Cadera versuchte mehrere Male uns Einhalt zu thun, doch vergebens. Wir thaten, als ob seine Zurufe uns gar nichts angingen. Trotzdem vergingen fast noch vier Stunden, ehe wir den Fluß erreichten. Es war das an einer Stelle, wo er einen geraden, lang gestreckten Lauf zeigte, so daß wir weit aufwärts blicken konnten. Es war kein Floß und auch kein anderes Fahrzeug zu sehen.

»Warten wir also hier,« sagte Cadera. »Die Pferde mögen sich ausruhen. Wir sind ja geritten wie Verrückte!«

»Hier bleibe ich nicht,« antwortete ich.

»Warum nicht?«

»Es giebt kein Gras für die Pferde, nur dürres Schilf.«

»Sie wollen eine Weide aufsuchen? Das ist überflüssig. Die Pferde haben die ganze Nacht Gras gehabt.«

»Aber die unserigen nicht. Die standen seit gestern im Schuppen und erhielten einige dürre Maisblätter. Man darf seine Pferde nicht hungern lassen, wenn man sie anstrengen will.«

»Auf dem Floße werden sie nicht angestrengt. Da können sie ruhen.«

»Aber auf dem Floße wächst kein Futter. Reiten wir also aufwärts!«

Ich trieb mein Pferd nach der angegebenen Richtung.

»Halt! Sie bleiben hier!« gebot er.

Ich ritt weiter, ohne seinen Ruf zu berücksichtigen.

»Halt, sage ich!« brüllte er. »Sie bleiben hier, sonst schieße ich!«

Da drehte ich mich um. Er hatte seine Pistole in der Hand. Im Nu zog ich die Revolver.

»Weg damit!« befahl er. »Sonst schieße ich!«

»Dummheit!« antwortete ich. »Ich habe zwölf Schüsse gegen Sie. Uebrigens, was würde Sennor Jordan sagen, wenn aus dem Geschäft nichts würde, weil ich ermordet worden bin! Ueberlegen Sie genau, was Sie thun!«

»Ja, Sie meinen, man dürfe Ihnen kein Haar krümmen!«

»Diese Ueberzeugung habe ich allerdings. Ich reite weiter. Wollen Sie schießen, so thun Sie es!«

Wir ritten fort, ohne uns nach ihm umzusehen. Sie hätten uns alle töten können, hüteten sich aber sehr wohl, es zu thun, sondern ritten gezwungenermaßen hinter uns drein, natürlich aus Leibeskräften wetternd und fluchend. Freilich war es kein Reitweg, welcher vor uns lag. Sumpf, nichts als Sumpf und Schilf. Wir mußten die gefährlichen Stellen oft in großen Bogen umgehen; aber den Weg, welchen wir machten, hatten auch unsere Verfolger zu machen, wenn sie uns erreichen wollten.

Freilich hatten wir ihnen die Bahn gebrochen, infolgedessen wir langsamer vorwärts kamen, als voraussichtlich sie dann später. Aber es wollte sich auch weder Floß noch Fahrzeug sehen lassen. Der Major rief unausgesetzt hinter uns. Er war voller Grimm, gezwungen zu sein, uns folgen zu müssen, und seine Begleiter stimmten in seine Scheltworte ein, woraus wir uns aber gar nichts machten.

Endlich erreichten wir eine Stelle, an welcher das Ufer ein wenig weiter in das Wasser trat, und da erblickten wir oberhalb von uns ein sehr langes Floß, welches langsam stromabwärts geschwommen kam.

»Gott sei Dank!« rief der Major. »Da hat nun die Niederträchtigkeit ein Ende. Diese Leute müssen uns mitnehmen.«

»Wenn sie wollen!« fiel ich ein.

»Sie müssen! Wir zwingen sie.«

»Das versuchen Sie lieber nicht. Es ist besser, wir bieten ihnen eine reichliche Bezahlung.«

»Wer soll das Geld geben?« »Ich.«

»Schön! Das will ich mir gefallen lassen. Machen also Sie den Handel fertig.«

Ich ritt ganz vor, legte beide Hände an den Mund und rief den Flößern entgegen:

»Hallo! Können wir mit nach Buenos Ayres?« »Wir fahren nicht bis ganz hin.« »Schadet nichts!« »Wie viel Personen?« »Zwanzig Mann, zehn Pferde. Wie viel ist zu bezahlen?« »Hundert Papierthaler.« »Die werden wir geben.« »Gut, so legen wir an!«

Das Floß bestand aus zwölf langen Feldern. Es ging tief im Wasser und trug hinten und vorn je eine Bretterbude. Regiert wurde es von zwölf oder dreizehn kräftigen, fast nackten Männern. Es verging weit über eine Viertelstunde, ehe es am Ufer lag, und ich lauschte scharf nach der Landseite, ob sich vielleicht Pferdegetrappel hören lasse. Hatten die Boten Jordan sofort gesprochen, so mußten die Verfolger uns nahe sein. Der Major war abgestiegen, seine Leute ebenso wie auch wir. Ich näherte mich dem Rittmeister und fragte ihn leise:

»Nun, Sennor, jetzt ist's Zeit. Wollen Sie?« »Wird es gehen?« »Ganz gut.« »Aber wie?«

»Führen Sie, als der allererste, Ihr Pferd auf das Floß, und bleiben Sie dort, was auch geschehen möge. Stellen Sie sich hinter eine der Hütten auf.«

Diesen letzteren Rat flüsterte ich auch dem Frater zu, welcher ihn den Gefährten weiter vermittelte.

Jetzt lag das Floß fest.

»Da, nehmt die Pferde!« gebot der Major den Leuten, welche die Tiere zurückbringen sollten. »Wir steigen jetzt – – -was ist das?«

Er unterbrach sich mit dieser verwunderten Frage, denn er sah, daß der Rittmeister auf das Floß ging. Meine Gefährten folgten diesem sofort.

»Was ist's? Was meinen Sie?« fragte ich ihn, indem ich so that, als ob ich nicht wisse, was ihn so in Erstaunen setze. Dabei winkte ich dem Yerbatero, mein Pferd mitzunehmen. Ich selbst blieb stehen.

»Der Rittmeister geht auch auf das Floß!« antwortete Cadera. »Was will er dort?«

»Mitfahren. Was sonst?«

»Diablo! Wer hat das befohlen?«

»Sennor Jordan sagte es Ihnen nicht?«

»Nein.«

Während er und die Soldaten ganz betroffen dastanden, trat ich hart an das Wasser, wo die Floßknechte standen, und sagte ihnen leise:

»Fünfzig Papierthaler mehr, wenn Sie diese Soldaten nicht mitnehmen.«

»Gut, Sennor!« antwortete der Führer des Floßes ebenso leise.

»Das wundert mich freilich nicht,« fuhr ich jetzt laut und zu dem Major gewendet fort. »Sie haben es jetzt erst erfahren sollen.«

»Was denn?«

»Daß Sie unter Aufsicht stehen.«

»Ich? Was fällt Ihnen ein!«

»Pah! Ich habe es Ihnen bereits vorhin gesagt, als Sie behaupteten, daß Sie uns zu beaufsichtigen hätten.«

»Sennor, ich verstehe keines Ihrer Worte!«

»So will ich deutlicher sprechen. Sennor Jordan traut Ihnen wahrscheinlich nicht.«

»Wollen Sie mich beleidigen!«

»Nein. Sie können höchstens durch die Bestimmung Jordans beleidigt werden, nicht durch mich. Wahrscheinlich glaubt er, Sie fangen Händel mit mir an.«

»Fällt mir nicht ein!«

»Oder Sie kommen gar auf den verrückten Gedanken, sich später, wenn wir Ihnen auf dem Parana die Ladung übergeben haben, meiner Person zu bemächtigen.«

»Sennor!«

»Bitte! Thun Sie nicht so, als ob ich es nicht vermöchte, Ihre Gedanken zu erraten! Um aber solche Thorheiten zu hintertreiben, ist Jordan wahrscheinlich auf den Gedanken gekommen, Ihnen den Rittmeister als Kurator mitzugeben.«

»Was fällt Ihnen ein!«

»Dem Generalissimo ist es eingefallen, nicht mir.«

»Beweisen Sie es!«

»Kommen Sie auf das Floß und lassen Sie sich von dem Rittmeister die Vollmacht geben, welche er erhalten hat.«

»Tormento! Hat er eine?«

»Fragen Sie ihn!«

»Er soll sie zeigen! Warum spricht er nicht? Warum versteckt er sich hinter die Hütte? Wenn er diese Vollmacht hat, bin ich beleidigt und fahre um keinen Preis mit. Ich muß ihn sprechen!«

»So kommen Sie!«

Er sprang auf das Floß und ich ihm nach. Er hatte in seinem Zorne nicht auf das, was die Flößer thaten, acht gehabt. Das Floß hing nur noch mit einem Ende am Ufer. Das andere schwamm schon weit draußen, sich im Wasser nach abwärts drehend. Der Major gab seinen Leuten noch einen Wink, am Ufer zu bleiben, und eilte zu dem Rittmeister.

»Jetzt los!« gebot ich den Floßknechten, indem ich dem Zornigen folgte. Als ich ihn erreichte, stand er bei dem Rittmeister und warf demselben Fragen in das Gesicht, welche er gar nicht zu beantworten wußte.

»Zanken Sie nicht, Sennor!« sagte ich zu Cadera. »Sie machen die Sache nun doch nicht anders. Und damit Sie nicht in die Versuchung kommen, im Zorne eine Uebereilung zu begehen, werde ich Ihnen den Freundschaftsdienst erweisen, Sie daran zu verhindern.«

Während dieser Worte riß ich ihm die Pistolen aus dem Gürtel.

»Sennor, was wagen Sie!« donnerte er mich an.

»Nichts, gar nichts.«

»Das nennen Sie nichts, gar nichts? Sie rauben mir –«

Er hielt inne. Seine Leute erhoben am Ufer ein Geschrei, welches kreischend zu uns herüberscholl und seine Blicke auf sie richtete. Das Floß war gelöst worden und hatte sich bereits um mehrere Mannslängen von dem Ufer entfernt, wo das Wasser eine bedeutende Tiefe besaß.

»Was ist das? Was soll das heißen?« schrie Cadera. »Sofort wird wieder angelegt!«

»Das soll heißen,« antwortete ich ihm, »daß Sie mein Gefangener sind, und daß ich Sie augenblicklich niederschieße, wenn Sie einen Schritt von hier thun!«

Ich hielt ihm seine eigenen Pistolen gegen die Brust.

»Gefangener? Niederschießen? Sennor, sind Sie toll?« fragte er erbleichend.

»Ich bin jedenfalls besser bei Sinnen als Sie, der Sie auf diese schöne Leimrute geflogen sind.«

»Rittmeister, helfen Sie!«

Der Angerufene zuckte mit der Achsel, sagte aber kein Wort.

»Sie schweigen, anstatt drein zu hauen! Halten Sie es etwa mit diesem – –«

»Bitte, keinen Ausdruck, welcher mich beleidigen könnte,« unterbrach ich ihn drohend. »Ich dulde das nicht.«

»Und ich dulde diese Behandlung nicht. Meine Leute sollen auf Sie schießen. Ich werde es ihnen befehlen. Ich werde – – –«

»Nichts werden Sie, gar nichts! Sie befinden sich in meiner Hand und müßten die erste falsche Bewegung, den ersten Ruf mit Ihrem Leben bezahlen. Sehen Sie, daß Ihre Leute Ihnen nicht zu helfen vermögen?«

Ich faßte ihn am Arme und zog ihn hinter der Bretterhütte vor. Das Floß war in schnelleres Wasser gekommen und entfernte sich von der Stelle, an welcher es gelegen hatte, zusehends. Die Soldaten waren wieder aufgestiegen und folgten am Ufer abwärts.

»Chispas!« fluchte der Major. »Da schwimmen wir hin, und da drüben sind meine Leute! Und da drunten, da drunten, da kommt wahrhaftig Jordan selbst mit einer ganzen Menge von – –«

»Von Häschern,« fiel ich lachend ein, »welche uns ergreifen wollen. Das ist für Sie eine sehr ärgerliche, für uns aber eine höchst lustige Geschichte.«

Da, wo wir am Ufer hergekommen waren, tauchte ein langer, langer Trupp von Reitern auf. Ich erkannte wirklich den ›Generalissimo‹ mit mehreren Offizieren an der Spitze. Sie trafen jetzt mit denen zusammen, welche wir zurückgelassen hatten. Man sah sie Fragen und Antworten austauschen. Die Hände streckten sich aus, um nach uns zu deuten, und dann erscholl ein vielstimmiges Wutgeschrei zu uns herüber.

Die Reiter saßen ab und griffen zu ihren Gewehren. Schüsse krachten; aber wir waren glücklicherweise schon so weit vom Ufer entfernt, daß bei der großen Breite des Stromes keiner derselben traf.

Der Major befand sich in einem Zustande, welcher an Verzweiflung grenzte. Er tobte eine Weile gegen uns, gegen sich selbst und setzte sich dann auf einen Klotz, um da wortlos vor sich niederzustarren.

Drüben am rechten Ufer aber folgten uns die Soldaten. Als ihnen das Schilf- und Buschgewirr das Reiten zu beschwerlich machte, sahen wir sie verschwinden. Sie hielten mehr vom Flusse ab, um den freien Kamp zu erreichen, wo sie leichter und schneller reiten konnten. Jedenfalls folgten sie uns so weit wie möglich. Mochten sie! Wir waren ihren Händen glücklich entrückt. – – –


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