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Karl Emil Franzos.
»Von Asiens entlegner Küste« Die alten Freuden, Leiden, Lüste. |
Ein Unculturbild aus Halb-Asien.
Mein Herz ist mein Tintenfaß. Ich tauche meine Feder in mein Herz, denn ich will meinen Leser nicht unterhalten, nicht spannen und nicht durch erfundene Märchen um seine Zeit betrügen. Es ist meine Mission, die Cultur nach Osten zu tragen, dorthin, wo die Menschheit jeglicher Confession von den barbarischen Russen mit Füßen getreten wird. Meine ganze literarische Thätigkeit seit dem Tage, an welchem ich zuerst ein ungeduldiges Papier freudig unter meiner Feder knistern hörte, ist ein Kampf gegen diese Russen. Ich hasse sie nicht, ich verachte sie . . .
Meine Britschka hielt vor einer einsamen Schenke auf der weiten melancholischen Steppe. Ich stieg ab um nachzusehen, ob es hier Nichts zu dichten gäbe. Der Wirth in seinem langen schwarzen Kaftan nahte mir unter Bücklingen. Eine merkwürdige Menschenfigur! Man hätte ihn ohne seine weißen Haare für einen Jüngling halten können.
Er war ein Jüngling.
Aus seinem jugendfrischen Antlitz, hinter welchem sich ein entsetzlicher, zehrender Gram verbarg, ragte eine Nase hervor. Die längste, krummste, beleidigendste Nase, die jemals den geistvollen Ausdruck eines semitischen Angesichtes verunstaltet hat. Man hätte ihn ohne diese Nase für einen Apollo halten können.
Er war ein Apollo . . .
Was mir der blonde Jainkef in der folgenden grauenvollen Nacht anvertraut und bei den Gebeinen des König David beschworen hat, das ist so menschenunwürdig, so teuflisch, daß meine Hand sich ballt, während ich es niederschreiben will, und daß mein Papier fließt, um die Züge einer solchen Unthat nicht deutlich aufnehmen zu müssen.
Doch ich muß! Meine Mission zwingt mich den Ekel zu überwinden, ich muß, ich muß und koste es mein Leben . . .
Vor wenigen Jahren noch war der zwanzigjährige Jakob, mein heutiger Wirth, der schönste Mann in der Judengemeinde von Barnow. Er hieß in Freundeskreisen nur »der blonde Jainkef«, denn sein Haar war licht und floß in goldenen Locken üppig bis auf die Schultern nieder. Mitunter fiel wohl auch ein Löckchen über die Stirn bis auf die Nase hinab.
Welch eine Nase! Es war eine Nase, so klassisch gebildet, als hätte ein griechischer Bildhauer sie dem blonden Juden von Barnow über den Mund gesetzt. Des blonden Jainkef Nase war sein Talisman, sie war der Stolz seiner Mutter, sie war der Triumph von Barnow, sie war das Idol der schönen Mirjam. Und diese Nase – oh es schmerzt, es schmerzt, aber ich muß. Ich muß.
Mirjam war seit ihrer Geburt, nämlich seit dreizehn Jahren, die Braut des Blonden. Im nächsten Sommer sollte die Hochzeit gefeiert werden. Da ereignete sich das Scheußliche.
Der alte Graf Hatschizisoff hatte ein Auge auf das Mädel geworfen. Gras Hatschizisoff war ein feiner Cavalier. Zwar hatte er einmal seinen Lakaien erschossen, aber das war nur aus Gutmüthigkeit geschehen, weil er eine Fliege treffen wollte, die den schlafenden Burschen an der Schläfe kitzelte. Auch prügelte er häufig sein Weib, freilich nur um ihr theures Pelzwerk von den Motten zu befreien. Und wenn der Herr Graf seine Gläubiger die Treppen hinunter warf, daß sie die Füße brachen, so geschah es nur, um dem armen Chirurgus reiche Patienten zu schaffen. Und wenn er den Schnaps seiner eigenen Fabriken in allzu großen Portionen vertilgte, so dachte er dabei nur an den Staat, dessen Einnahmen er durch Verbrauch eines so kostbaren Steuerobjekts wesentlich vermehrte. Jawohl, der Graf Hatschizisoff war ein feiner Cavalier. Und er bewies es an Jainkef.
Eines Abends drang er in die Hütte der schönen Mirjam, um dieselbe ihren Eltern abzukaufen. Die Eltern hatten jedoch keine Macht über das üppige Mädchen. Mirjam selbst öffnete muthig die Thür, um dem Grafen den Weg zu weisen. Er gerieth in den äußersten Zorn.
»Ihr Flöhe der Schöpfung!« schrie er, indem er dem Vater Mirjams seinen halben ehrwürdigen Bart ausriß. »Ihr wagt es, Euch dem Väterchen Hatschizisoff zu widersetzen? Wißt Ihr, wer ich bin und wer Ihr seid? Ich bin der Herr dieses Landes und Ihr seid die kleinsten Raupen auf dem kleinsten Blatte des kleinsten Kohlkopfs auf dem kleinsten Felde dieses Landes!«
Der Vater redete Mirjam zu. Ja, ich muß es mit zuckendem Herzen bekennen, nicht nur die Russen in Rußland sind Russen, sondern auch die Juden sind halbe Russen.
Die edle Mirjam aber fing an zu weinen.
– »Eher stürz' ich mich in Don und Donau, als daß ich meinem schönen blonden Jainkef treulos werde!«
Bei dem Namen fuhr der Graf zusammen, wie von einer Schlange getroffen. Er biß sich auf die Lippen und verließ die Stube.
Und was nun folgt, ist so haarsträubend, daß ich fürchten müßte, meine Leser schüttelten die Köpfe, wenn der Hergang nicht aktenmäßig festgestellt wäre. Ich selbst wollte es nicht glauben, als der Jainkef es mir erzählte, ich wollte und konnte an eine solche Rohheit nicht glauben. Ich wollte dem Juden nicht zuhören, der die Menschen so tief in meinen Augen sinken ließ – und nun! Oh, meine Mission! Sie zwingt mich, seinen Bericht zu wiederholen. Aber ich will kurz sein; ich bitte die Leser um die Erlaubniß, kurz sein zu dürfen . . .
Als der blonde Jainkef am folgenden Abend über die Landstraße gieng, um alte Hufeisen zu suchen, wurde er plötzlich von drei Kosaken überfallen, gebunden und auf dem Rücken eines ungesattelten Pferdes im Galopp auf das Schloß des Grafen gebracht. Der Unmensch empfing ihn mit wildem Hohngelächter.
– »Das ist er also, der schöne Jainkef? Du Hundesohn! Du alte Käsemilbe! Du abgerissenes Fliegenbeinchen! Du wagst es, dem edlen Grafen Hatschizisoff in's Gehege zu kommen? Du Milliontel von einem Wurm! Und Du unterstehst Dich, mit einer geraden Nase herumzulaufen und mit blonden Locken? Willst Du damit Deine christlichen Nebenmenschen betrügen? Willst Du? Ich will Dir Dein Handwerk verlegen, Du kranke Mücke, Du! Du übelduftendes Insekt! Du blonder Jainkef, Du!«
Und es geschah! . . . Was?
Ja, es geschah, und ich will erzählen, was geschah. Meine Hand soll es niederschreiben, ob sie auch vor Entsetzen zuckt . . .
Die Knechte banden den schönen Juden. Schon fürchtete er die gemeinste Mißhandlung und suchte mit der gefesselten Rechten umsonst den nach seiner Meinung gefährdeten Körpertheil zu decken. Sie legten ihn aber mit dem Rücken auf eine Bank und fesselten ihn dann. Ihr Plan war viel raffinirter, viel höllischer.
– »Du bist ein Jud' und sollst auch als solcher zu erkennen sein,« schrie wüthend der Graf.
Und sie nahten mit Zangen und Plätteisen und – dreimal wehe – und bügelten ihm die Nase krumm, völlig krumm, so wie ich sie später sah. Dann färbten sie ihm seine Haare schwarz und stießen ihn auf die Landstraße zurück. – – –
Das ist die Geschichte vom blonden Jainkef. Die berühmtesten Chirurgen vermochten nichts seiner Nase gegenüber. Das Haar konnte zwar wieder von seiner schwarzen Farbe geheilt werden, aber es war inzwischen vor Entsetzen über die schändliche Nase grau geworden.
Die schöne Mirjam aber hatte der Graf auf sein Schloß geschleppt . . .
Ihr hat er die Nase nicht verstümmelt, der Schurke!