Guy de Maupassant
Unser Herz
Guy de Maupassant

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III

Als sie am nächsten Tage wieder vor ihm erschien und den Thee brachte und ihre Augen sich trafen, zitterte sie so sehr, daß Tasse und Zuckerdose mehrmals aneinander klirrten.

Mariolle ging auf sie zu, nahm ihr das Brett ab, setzte es auf den Tisch und sagte ihr, als sie die Wimpern niederschlug:

– Sieh mich an, Kleine.

Sie sah ihn an, Thränen in den Augen. Er sagte:

– Du sollst nicht weinen.

Als er sie an sich drückte, fühlte er, wie sie von Kopf bis zu Fuß zitterte. Und sie flüsterte: – Oh mein Gott! – Er begriff, daß es nicht Kummer war, daß es kein Bedauern sei, keine Gewissensbisse, die ihr die drei Worte auf die Lippen geführt, sondern Glück, wirkliches Glück. Da überkam ihn eine seltsame egoistische Befriedigung, mehr körperlich wie geistig, an sich gelehnt die Brust dieses kleinen Mädchens zu fühlen, das ihn endlich liebte. Er dankte ihr, wie wohl ein Verwundeter am Wege, dem eine vorübergehende Frau Hilfe bringt. Er dankte ihr mit seinem ganzen gequälten Herzen, das unausgesetzt in unnützen Schlägen verraten worden, das hungerte nach Liebe durch die Gleichgiltigkeit einer anderen. Er bedauerte sie ein wenig in der Tiefe seiner Gedanken. Und wie er sie so ansah, bleich und weinend mit ihren in Liebe brennenden Augen, sagte er sich plötzlich:

Aber sie ist hübsch! Wie so eine Frau sich schnell verändert, wie sie das wird, was sie sein muß, wenn die Wünsche ihres Herzens und die Bedürfnisse ihres Körpers befriedigt werden!

– Setz Dich! – sagte er zu ihr.

Sie setzte sich. Er nahm ihre Hände, ihre armen Arbeitshände, die jetzt für ihn weiß und zart geworden waren, und sprach ihr ganz leise mit geschickten, gewählten Worten von der Stellung, die sie nun ihm gegenüber haben sollte. Sie sollte nicht mehr seine Dienerin sein, aber nur ein wenig so thun, damit im Dorf kein Skandal entstünde. Sie sollte wie eine Gesellschafterin bei ihm leben, sollte ihm oft vorlesen, und das würde den Vorwand zu ihrer neuen Stellung abgeben. Dann in einiger Zeit, wenn sie ganz als Vorleserin ausgebildet wäre, sollte sie am Tisch mit essen.

Sobald er ausgeredet hatte, sagte sie einfach zu ihm:

– Nein, ich bin und bleibe Ihr Dienstmädchen. Ich will nicht, daß man hier redet und daß man merkt, was passiert ist.

Sie blieb dabei, obgleich er sehr bat. Und nachdem er den Thee getrunken, brachte sie das Brett fort, während er ihr mit zärtlichen Blicken folgte.

Als sie gegangen war, dachte er: Sie ist eine Frau. Alle Frauen sind gleich, wenn sie uns gefallen. Ich habe aus meinem Dienstmädchen meine Geliebte gemacht. Sie ist hübsch, sie wird vielleicht reizend werden. Auf alle Fälle ist sie jünger und frischer, wie die Damen der Gesellschaft und die Kokotten. Also was thut's? Ist nicht manche berühmte Schauspielerin die Tochter eines Portiers? Und doch werden sie wie Damen empfangen, wie Romanheldinnen gefeiert, und Prinzen behandeln sie wie Herzoginnen. Thun sie das wegen ihres Talentes, das doch manchmal zweifelhaft ist, oder wegen ihrer Schönheit, die auch nicht ewig währt? Nein. Aber eine Frau hat in Wirklichkeit immer die Stellung, die sie durch den Eindruck, den sie zu erregen weiß, einnimmt.

An dem Tage machte er einen langen Spaziergang. Nun, obgleich er im Inneren immer noch dasselbe Weh fühlte und seine Beine schwer waren, als ob der Kummer alle seine Energie aufgezehrt, hätte er hinaus in die Lüfte schmettern mögen, wie ein kleiner Vogel. Er fühlte sich weniger allein, weniger verlassen. Der Wald schien ihm weniger einsam, weniger traurig, weniger leer und öde. Und er kehrte zurück mit dem Wunsch, bei seiner Ankunft Elisabeth ihm entgegenkommen zu sehen, lächelnd und voller Zärtlichkeit.

Einen Monat lang gab es ein Idyll am kleinen Flüßchen. Mariolle ward geliebt, wie vielleicht wenig Männer geliebt worden sind, animalisch, närrisch, wie ein Kind von seiner Mutter, wie ein Jäger von seinem Hund.

Er war alles für sie, Welt und Himmel, Glück und Lust. Er fühlte alle ihre glühenden naiven Mädchenwünsche und gab ihr in einem Kuß alles, was sie von Glück träumte. Sie dachte nur noch an ihn, sie hatte nur ihn noch in Seele und Herz, im Fleisch, trunken wie ein Jüngling, der zum ersten Male trinkt. Er schlief in ihren Armen, er erwachte bei ihrer Zärtlichkeit und sie hing sich mit unglaublicher Anhänglichkeit an ihn. Erstaunt und ganz verführt, genoß er diese völlige Hingabe, und ihm war es, als tränke er die Liebe an der Quelle selbst, von den Lippen der Natur.

Und trotzdem blieb er immer traurig, traurig, oft dauernd verstimmt. Seine kleine Geliebte gefiel ihm, aber eine andere fehlte ihm. Und wenn er auf den Wiesen spazieren ging am Ufer des Loing, so fragte er sich: Warum verschwindet dieser Gedanke nicht? – Und da ward er, sobald die Erinnerung an Paris ihn nur wieder berührt, so furchtbar nervös, daß er heimkehrte, nur um nicht allein zu sein.

Dann schaukelte er sich in der Hängematte, und Elisabeth, die auf einem Klappstuhle saß, las ihm vor. Indem er ihr zuhörte und sie ansah, dachte er an die Gespräche im Salon seiner Freundin, wenn er die Abende bei ihr allein zubrachte. Da stieg ihm die quälende Lust, zu weinen, in die Augen, eine so furchtbare Trauer zerriß ihm das Herz, daß er unausgesetzt das unstillbare Bedürfnis empfand, sofort abzureisen, nach Paris zurückzukehren oder auf immer fortzugehen, er wußte nicht wohin.

Als Elisabeth ihn traurig und nachdenklich sah, fragte sie:

– Leiden Sie? Ich fühle, daß Sie Thränen in den Augen haben.

Er antwortete:

– Küsse mich, Kleine. Du verstehst das nicht.

Sie küßte ihn, beunruhigt, denn sie fühlte irgend ein Drama nahen, von dem sie nichts wußte. Er aber vergaß ein wenig bei ihrer Zärtlichkeit und dachte: O, eine Frau gemacht aus diesen beiden, die die Liebe der einen und den Reiz der anderen hätte. Warum findet man das nie, was man erträumt, und warum trifft man nur immer ein »beinah«?

Er träumte immer weiter bei dem gleichmäßigen Ton der Stimme, der er nicht zuhörte, von all dem, was ihn verführt, besiegt und überwunden bei seiner verlorenen Geliebten. Er sagte sich, gequält von der Erinnerung an sie, immer mit dem Gefühl ihrer Gegenwart, das ihn verzauberte, wie den Spiritisten ein Gespenst: Bin ich denn dazu verdammt nie von ihr loszukommen?

Und er unternahm wieder lange Spaziergänge, in der Hoffnung, seinen Kummer irgendwo im Walde los zu werden, in einem Thal, hinter einem Felsen, im Unterholz, wie ein Mann versucht, ein treues Tier, dessen er sich entledigen will, aber das er doch nicht töten mag, auf weiten Wegen zu verlieren.

Eines Tages kam er in den Buchenwald zurück, der jetzt ein fast dunkler, schwarzer Forst war im undurchdringlichen Blättermeer. Er ging unter den riesigen, feuchten, hohen Wipfelkronen hin, sah auf zu dem sonnenbestrahlten, grünen Dach. Und wie er einem schmalen Pfade folgte, blieb er erstaunt vor zwei miteinander verwachsenen Bäumen stehen. Kein stärkeres und packenderes Bild seiner Liebe konnte seinen Augen und seiner Seele werden. Eine kräftige Buche umschlang eine große Eiche.

Wie ein verzweifelter Liebhaber mit gewaltigen Gliedern, umschloß die Buche mit zwei riesigen Zweigen den Eichenstamm. Und der andere, den die Umarmung hielt, streckte sich in den Himmel empor, hoch über den Wipfel seines Angreifers hin, gerade, schlank und fein, fast verachtungsvoll. Aber trotz dieser Flucht in die Lüfte, dieser hochmütigen Flucht des Beleidigten, trug er in den Weichen die beiden tiefen, seit lange vernarbten Schnittwunden, die die unwiderstehlichen Buchenäste in seine Rinde gegraben. Auf immer zusammengeschweißt durch diese geschlossenen Wunden, schossen die beiden Bäume empor, ihren Saft mischend, und in den Adern des Bezwungenen rollte und strömte bis zum Gipfel das Blut des Bezwingers.

Mariolle setzte sich, um die Bäume länger zu betrachten. Sie wurden in seiner kranken Seele etwas Symbolisches, Schreckliches, Erhabenes, zwei unbewegliche Kämpfer, die den Vorübergehenden die ewige Geschichte seiner Liebe erzählten.

Dann ging er weiter, noch trauriger. Und plötzlich, wie er, die Augen zu Boden geschlagen, langsam hinschritt, sah er im Gras, schmutzig und vom Regen verwaschen, eine alte Depesche, die ein Spaziergänger fortgeworfen oder verloren hatte. Er blieb stehen. Was mochte das Papier, das da zu seinen Füßen lag, irgend einem Herzen Süßes oder Trauriges gebracht haben?

Er mußte es aufheben. Und halb neugierig, halb angeekelt faltete er es auseinander. Man konnte noch etwas lesen: Komm . . . . . . mir . . . . . . 4 Uhr.

Die Namen hatte die Feuchtigkeit verwischt.

Da senkten sich Erinnerungen, grausam und köstliche über ihn, die Erinnerungen an all die Telegramme, die er von ihr bekommen hatte, bald um ihm ein Stelldichein zu bestimmen, bald um ihm zu sagen, daß sie nicht kommen konnte. Nie hatte ihn etwas stärker bewegt, nie hatte es ihn mehr durchschüttelt, hatte sein armes Herz mehr gepackt und schlagen gemacht, als der Anblick jener Glück oder Verzweiflung verheißenden Telegramme.

Er blieb beinah niedergeschmettert in Verzweiflung stehen, in dem Bewußtsein, daß er nie wieder ein solches Telegramm empfangen würde.

Und wieder fragte er sich, was wohl mit ihr geschehen sei, seitdem er sie verlassen. Hatte sie gelitten? Hatte es ihr leidgethan, daß sie den Freund durch ihre Gleichgiltigkeit verbannt? Oder hatte sie sich darein gefunden und war nur gekränkt gewesen in ihrer Eitelkeit?

Und sein Wunsch, etwas von ihr zu wissen, wurde so heftig, so quälend, daß ein seltsamer kecker Gedanke zögernd in ihm aufstieg. Er ging nach Fontainebleau. Als er in der Stadt war, begab er sich zum Telegraphenamt, Zweifel und zitternde Ungeduld im Herzen. Aber eine Gewalt schien ihn zu treiben, eine unwiderstehliche, die aus seinem Herzen kam. Er riß also zitternd ein Formular ab, und dann schrieb er unter Namen und Adresse der Frau von Burne:

»Ich möchte so gern wissen, was Sie über mich denken. Ich kann nicht vergessen.

André Mariolle. Montigny.«

Dann ging er fort, nahm einen Wagen und fuhr nach Montigny zurück, unzufrieden mit sich und schon bedauernd, was er gethan.

Er hatte ausgerechnet, daß, wenn sie geruhte ihm zu antworten, er nach zwei Tagen den Brief bekommen würde. Aber er ging am nächsten Tage nicht aus, in Furcht und Hoffnung, von ihr eine Depesche zu bekommen.

In der Hängematte wiegte er sich unter den Linden der Terrasse drei Uhr nachmittags, als Elisabeth ihm meldete, daß eine Dame ihn zu sprechen wünsche.

Er war so erschrocken, daß er einen Moment nach Atem rang. Und mit klopfendem Herzen und zitternden Knieen ging er zum Haus. Aber er hoffte nicht, daß sie es sein könnte.

Als er die Thür des Wohnzimmers geöffnet, sah er Frau von Burne auf dem Sofa sitzen. Sie stand auf und streckte ihm lächelnd, etwas zurückhaltend, mit einer leisen Verstimmung in Gesicht und Haltung, die Hand entgegen mit den Worten:

– Ich wollte doch einmal sehen, wie es Ihnen geht. Aus dem Telegramm ersieht man nicht genug.

Er war so bleich geworden, daß in ihren Augen ein Freudenstrahl aufblitzte. Er war so bewegt, daß er noch nicht sprechen konnte und nur die Hand, die sie ihm entgegenstreckte, an seinem Mund festhielt.

– Gott, sind Sie gut! – sagte er endlich.

– Nein. Aber ich vergesse meine Freunde nicht, und ich interessiere mich für ihr Schicksal.

Sie blickte ihm gerade in die Augen, tief, mit jenem ernsten Frauenblick, der alles durchdringt, die Gedanken bis zu ihren Wurzeln hinein durchforscht und jede Kleinigkeit aufdeckt. Sie war wohl zufrieden, denn ein Leuchten glitt über ihr Gesicht.

Sie sagte:

– Ihre Eremitage hier ist sehr hübsch. Sind Sie glücklich hier?

– Nein, gnädige Frau.

– Nicht möglich! In dieser schönen Gegend, diesem schönen Wald, an diesem reizenden, kleinen Flüßchen: Aber Sie müssen doch hier ganz ruhig und glücklich sein?

– Nein, gnädige Frau.

– Warum denn nicht?

– Weil man hier nicht vergessen kann.

– Müssen Sie etwas vergessen, um glücklich zu sein?

– Ja, gnädige Frau.

– Darf man wissen was?

– Sie wissen es.

– Nun, und?

– Ich fühle mich sehr elend.

– Das habe ich mir gedacht, als ich Ihr Telegramm erhielt, und deswegen bin ich gekommen, mit dem Entschluß, sofort wieder zu gehen, wenn ich mich getäuscht hätte.

Nach kleiner Pause fügte sie hinzu:

– Da ich nicht sofort wieder zurückfahre, kann ich wohl einmal die kleine Besitzung hier ansehen? Dort ist eine Lindenallee, die scheint mir reizend. Da wird es wohl kühler sein, als im Salon.

Sie gingen hinaus. Sie trug ein lila Kleid, das plötzlich so wundervoll zum Grün der Bäume und zum Blau des Himmels stimmte, daß sie ihm vorkam wie eine Erscheinung, verführerisch und hübsch, auf eine ganz neue, unerwartete Art. Ihre lange, schlanke Taille, ihr frisches, feines Gesicht, das goldblonde Haar unter einem großen Hut, der auch lila war, ein Hut, den eine lange Straußenfeder graziös umschlang, ihre schlanken Arme, deren beide Hände den geschlossenen Sonnenschirm trugen, ihr etwas gerader, stolzer, aufrechter Gang brachten in diesen kleinen, bäuerischen Garten etwas Anormales, Unvorhergesehenes, Exotisches, das seltsame und hübscherdachte Effektstück eines Märchens, eines alten Stichs, eines Watteauschen Gemäldes, der Phantasie eines Dichters oder Malers entsprungen, die ihre Heldin in die ländliche Umgebung versetzen, um durch den Gegensatz zu zeigen, wie schön sie ist.

In dem Blick, mit dem Mariolle sie betrachtete, zitterte die ganze wiedergekehrte Leidenschaft seines Herzens. Und er dachte wieder an die beiden Bäume, die er auf dem Wege in Montigny gesehen.

Sie sagte zu ihm:

– Wer ist denn das Mädchen, das mir aufmachte?

– Mein Dienstmädchen.

– O, sie sieht aber gar nicht so aus.

– Nein. Sie ist allerdings sehr nett.

– Wo haben Sie denn die gefunden?

– Ganz nahe von hier in einer Künstlerkneipe, wo die Gäste ihre Tugend bedrohten.

– Die Sie gerettet haben?

Er errötete und antwortete:

– Die ich gerettet habe.

– Vielleicht für sich?

– Gewiß für mich. Denn ich sehe lieber ein hübsches Gesicht, denn ein häßliches.

– Ist das alles, was sie Ihnen einflößt?

– Vielleicht hat sie mir noch das unwiderstehliche Bedürfnis eingeflößt, Sie wiederzusehen. Denn jede Frau, die meine Augen anzieht, selbst nur eine Sekunde lang, führt meine Gedanken zu Ihnen zurück.

– Das haben Sie sehr geschickt ausgedrückt. Liebt sie ihren Retter?

Er errötete stärker. Mit der Schnelligkeit eines Blitzes ward ihm klar, daß die Eifersucht am besten ein Frauenherz gewinnt. Er entschloß sich, nur halb zu lügen. Er antwortete also zögernd:

– Ich weiß nicht. Möglicherweise. Sie hat große Anhänglichkeit an mich und versorgt mich sehr gut.

Frau von Burne fragte:

– Und Sie?

Er blickte sie mit Augen an, aus denen die Liebe sprach, und sagte:

– Durch nichts konnte ich Sie vergessen.

Das war wieder sehr geschickt. Aber sie merkte es nicht mehr, so sehr schien ihr dieser Satz der Ausdruck der Wahrheit. Konnte eine Frau wie sie daran zweifeln? In der That, sie zweifelte nicht, war zufriedengestellt und dachte nicht mehr an Elisabeth.

Sie setzten sich auf zwei Triumphstühle in den Schatten der Linden am Wasser, das unten dahinfloß. Und er fragte:

– Was haben Sie von mir gedacht?

– Daß Sie sehr unglücklich waren.

– Durch meine Schuld oder durch Ihre?

– Durch unsere Schuld.

– Und dann?

– Und dann, da ich meinte, daß Sie sehr aufgeregt und exaltiert wären, habe ich mir überlegt, daß es das klügste sein würde, Ihnen erst Zeit zu lassen, sich zu beruhigen. Und ich habe gewartet.

– Auf was haben Sie gewartet?

– Auf ein Wort von Ihnen. Ich habe es bekommen, und hier bin ich. Jetzt wollen wir mal ernst sprechen. Sie lieben mich also noch immer? Das frage ich Sie nicht aus Koketterie, das frage ich Sie als Freundin.

– Ich liebe Sie noch immer.

– Und was soll werden?

– Ich weiß nicht. Das liegt in Ihren Händen.

– O, ich habe sehr bestimmte Pläne, aber ich kann sie Ihnen nicht sagen, ehe ich nicht die Ihrigen kenne. Erzählen Sie mir etwas von sich, was in Ihrem Herzen vorgegangen ist und in Ihrem Geist, seitdem Sie entflohen sind.

– Ich habe immer an Sie gedacht. Ich konnte nicht anders.

– Ja. Aber wie? In welcher Art? Mit welchem Resultat?

Er erzählte, daß er entschlossen war, sich von ihr zu heilen, erzählte von seiner Flucht, seiner Ankunft in diesem großen Wald, wo er nur sie gefunden. Wie Tag und Nacht ihn der Gedanke an sie verfolgt, wie die Eifersucht an seinen Nächten gezehrt. Er sagte alles vollkommen aufrichtig. Nur von der Liebe zu Elisabeth sprach er nicht, deren Namen erwähnte er nicht mehr.

Sie hörte ihm zu, gewiß, daß er nicht die Unwahrheit sprach, überzeugt durch die Sicherheit, die sie empfand, daß sie über ihn herrschte, mehr noch, als durch die Aufrichtigkeit seines Tones und glücklich, ihn besiegt zu haben, ihn wieder in Besitz zu nehmen. Denn trotz alledem mochte sie ihn gern.

Diese zwecklose Situation betrübte ihn, und da es ihn erregte, von dem zu reden, was er alles gelitten, warf er ihr von neuem in leidenschaftlichem Klageton, aber ohne Zorn, ohne Bitterkeit, empört, besiegt, das Unglück vor, daß sie unfähig war, wirklich zu lieben.

Er sagte:

– Andere verstehen nicht, zu gefallen, Ihnen fehlt die Gabe, zu lieben.

Sie unterbrach ihn erregt, voller Gründe und Erklärungen.

– Ich habe wenigstens das eine Gute, ich bleibe konsequent. Würden Sie weniger unglücklich sein, wenn ich jetzt, nachdem ich Sie ein halbes Jahr gern gehabt habe, mich rasend in einen anderen verliebte?

Er rief:

– So ist es also unmöglich, daß eine Frau nur einen Mann liebt?

Sie sagte lebhaft:

– Man kann nicht immer lieben, man kann nur treu sein. Glauben Sie etwa gar, daß die Erregtheit der Sinne mehrere Jahre dauern kann? Nein, nein! Die meisten Frauen, die da lieben, die heftige Wünsche haben, lange oder kurze Zeit, machen einfach einen Roman aus ihrem Leben. Verschiedene Helden treten auf, allerlei Umstände und unvorhergesehene wechselnde Ereignisse ein. Die Lösung ist verschieden. Ich gebe zu, das ist amüsant und interessant für sie, denn die Aufregung bei Beginn, Höhepunkt und Schluß ist jedesmal neu. Aber wenn es einmal aus ist, dann ist es aus. Begreifen Sie?

– Ja, es ist etwas Wahres daran. Aber ich weiß nicht, wohin Sie steuern.

– Nun hören Sie: Keine Leidenschaft, ich meine, keine verzehrende, brennende, quälende Leidenschaft wie die, unter der Sie noch leiden, dauert sehr lange. Ich habe Ihnen eine schwere, ich weiß schon, sehr schwere Krisis gebracht durch die Sterilität meiner Zärtlichkeit. Aber diese Krisis wird vorübergehen, sie kann nicht ewig dauern.

Sie schwieg. Ängstlich fragte er:

– Und was wird nun?

– Nun meine ich, daß Sie für eine vernünftige, ruhige Frau, wie ich bin, ein sehr passender Liebhaber sein können, denn Sie haben viel Takt. Dagegen würden Sie ein gräßlicher Ehemann sein. Aber freilich, es giebt keinen guten Ehemann, es kann keinen geben.

Er fragte erstaunt, etwas verletzt:

– Warum soll man einen Liebhaber behalten, den man nicht liebt, oder nicht mehr liebt?

Sie antwortete lebhaft:

– Lieber Freund, ich liebe auf meine Art. Ich liebe zurückhaltend, – aber ich liebe.

Er sagte resigniert:

– Sie brauchen vor allen Dingen jemand, der Sie liebt und der es zeigt.

Sie sagte:

– Das ist wahr, das habe ich über alles gern. Aber auch mein Herz braucht einen heimlichen Begleiter. Die Freude an öffentlicher Schmeichelei und Bewunderung hindert mich nicht daran, treu zu sein und ergeben, und zu glauben, ich verstünde es, einem Mann etwas zu geben, was kein anderer kennt: meine ehrliche Zuneigung, die aufrichtige Hochschätzung meines Herzens, das absolute und geheime Vertrauen meiner Seele. Und dann müßte ich von ihm als Gegenleistung bekommen alle Zärtlichkeit des Geliebten, das seltene und so köstliche Gefühl, nicht allein zu sein. Das ist nicht ganz die Liebe, wie Sie sie sich denken, aber es hat auch seinen Wert.

Er beugte sich zu ihr, zitternd vor Erregung, und stammelte:

– Wollen Sie, daß ich dieser Mann sein soll?

– Ja. Etwas später, wenn Sie besser geheilt sind. Inzwischen ergeben Sie sich drein, daß ich Ihnen ab und zu Schmerzen bereite. Es wird vorübergehen. Und da Sie hier wie dort den Kummer empfinden, so ist es besser, es ist in meiner Nähe, als fern von mir. Habe ich nicht recht?

Mit ihrem Lächeln schien sie ihm zu sagen: »Haben Sie doch ein bißchen Zutrauen.« Und da sie ihn zitternd vor Leidenschaft sah, fühlte sie in ihrem ganzen Wesen ein Wohlsein, eine Zufriedenheit, die sie auf ihre Art glücklich machte, wie ein Sperber glücklich ist, wenn er auf die gelähmte Beute niederstürzt.

– Wann kommen Sie zurück? – fragte sie.

Er antwortete:

– Nun . . . morgen.

– Gut, morgen. Wollen Sie bei mir essen?

– Ja, gnädige Frau.

– Und ich, ich muß jetzt bald fort! – sagte sie und blickte auf die Uhr am Knopf ihres Sonnenschirms.

– Warum so schnell?

– Weil ich mit dem Fünfuhr-Zug fahren werde. Ich erwarte ein paar Leute zu Tisch: Fürstin Malten, Bernhaus, Lamarthe, Massival, Maltry und jemand neues, Herrn von Charlaine, den berühmten Reisenden, der eben von einer prachtvollen Entdeckungsfahrt aus Kambodscha zurückgekommen ist. Man spricht nur noch von ihm.

Mariolle schnürte es einen Augenblick das Herz zusammen. All diese Namen nacheinander thaten ihm weh wie Wespenstiche. Sie enthielten Gift.

Er sagte:

– Also Sie wollen sofort abreisen? Dann begleite ich Sie ein Stück in den Wald.

– Sehr gern. Kann ich erst eine Tasse Thee bekommen?

Als der Thee gebracht werden sollte, konnte man Elisabeth nicht finden.

– Sie macht eine Besorgung! – sagte die Köchin.

Frau von Burne war nicht weiter erstaunt. Welche Befürchtung hätte ihr in der That jetzt dieses Dienstmädchen einflößen können?

Dann stiegen sie in den Wagen, der vor dem Haus wartete. Mariolle ließ den Kutscher einen Umweg machen.

Als sie unter dem hohen Blätterdach hinfuhren, das beim Gesang der Nachtigallen im dunklen Schatten Kühle und Frische gab, sagte sie ganz bewegt von dem seltsamen Gefühl, mit dem die allgewaltige geheimnisvolle Schönheit der Welt durch das Auge das Herz erfüllt:

– Oh, hier ist es schön! Hier ist es schön! Und so friedlich und ruhig.

Sie atmete mit dem Glück und der stillen Bewegung eines Sünders, der beichtet, und legte ihre Hand auf die Andrés.

Aber er dachte:

»Ja, die Natur ist noch immer der Mont Saint-Michel!« Denn vor seinen Augen erschien wie eine Vision ein Zug, der nach Paris fuhr. Und er brachte sie an den Bahnhof.

Als sie ihn verließ, sagte sie:

– Also morgen um acht?

– Morgen um acht, gnädige Frau!

Strahlend fuhr sie davon. Und er kehrte im Wagen heim, zufrieden, ganz glücklich, obgleich immer noch von Leid geplagt, denn es war nicht zu Ende.

Aber wozu kämpfen? Er konnte nicht mehr. Sie übte einen unfaßbaren Reiz auf ihn aus, stärker als alles. Wenn er ihr entfloh, so trennte ihn das nicht von ihr, aber es raubte sie ihm ganz, während er, wenn er seine Erwartungen etwas dämpfte, wenigstens alles das von ihr haben würde, was sie ihm versprochen. Denn sie log nicht.

Die Pferde trabten unter den Bäumen hin. Und er dachte, daß sie während dieser ganzen Begegnung nicht ein einziges Mal auf den Gedanken gekommen sei, ihm die Lippen zu bieten. Sie war sich ganz gleich. Nichts würde in ihr anders werden. Und vielleicht würde er immer so durch sie leiden. Wiederum zog ihm der Gedanke an die schweren Stunden, die vorübergegangen waren, an sein Warten, an die entsetzliche Ungewißheit, daß er sie nie gänzlich in seinen Bann bekommen könnte, das Herz zusammen. Er fühlte die Kämpfe voraus und das Leid, das morgen begann. Aber doch war er entschlossen, alles eher zu ertragen, als sie wieder ganz zu verlieren, und fand sich mit jenem ewigen Wunsche ab, der in seinen Adern wie ein furchtbarer nie gesättigter Durst lebte und an seinem Fleisch zehrte.

Diese Qualen, die er so oft durchgemacht, wenn er allein aus Auteuil zurückkehrte, begannen schon wieder und durchliefen seinen Leib, während der Wagen in der Frische unter den hohen Bäumen hinfuhr, als plötzlich der Gedanke an Elisabeth, die ihn erwartete, frisch, jung, hübsch, voll Liebe im Herzen und Küssen auf dem Mund, ihm etwas Linderung brachte. In kurzem würde er sie in den Armen halten und mit geschlossenen Augen, indem er sich selbst betrog wie man andere betrügt, würde er im Taumel der Wollust, die, die er liebte, und die, von der er geliebt ward, vermischen, und so sie beide besitzen. In diesem Augenblick fühlte er gewiß Neigung zu ihr, jene Dankbarkeit des Fleisches und der Seele, die reine Empfindung, die die erwachten Zärtlichkeiten, die geteilten Freuden im Menschen erregen. Würde dieses verführte Mädchen für seine vertrocknende, traurige Liebe nicht die kleine Quelle sein, die man abends nach langer Wüstenwanderung findet und die mit ihrem frischen Wasser wieder die Kräfte hebt?!

Aber als er in sein Haus zurückkam, war das Mädchen noch nicht wiedergekehrt. Er hatte Angst, wurde unruhig und sagte zur anderen: – Ist sie bestimmt fort?

– Jawohl.

Da ging er auch aus, denn er hoffte, sie zu treffen. Als er ein paar Schritte weit gekommen war, ehe er die Straße, die durch das ganze Thal führt, hinaufging, sah er vor sich die alte, breite, niedrige Dorfkirche, die ein kleiner Glockenturm überragte, auf einem Hügel liegen, über den kleinen Häusern des Dorfes wie eine brütende Henne auf ihren Küchlein.

Ein Verdacht, ein Gefühl trieb ihn vorwärts. Wer kennt die seltsamen Irrgänge im Frauenherzen? Was hatte sie gedacht, was hatte sie begriffen? Wohin war sie entflohen, wenn nicht dorthin, als eine Ahnung von der Wahrheit ihr gekommen?

Das Gotteshaus war sehr dunkel, denn es begann Abend zu werden. Nur die ewige Lampe, die an ihrem Draht im Heiligtum niederhing, kündete die Allgegenwart des göttlichen Trösters. Mariolle ging mit leisen Schritten an den Bänken hin. Als er an den Chor kam, sah er dort eine Frauengestalt knieen, das Gesicht in den Händen. Er näherte sich ihr, erkannte sie und legte die Hand auf ihre Schulter. Sie waren allein.

Sie fuhr zusammen und wendete den Kopf. Sie weinte.

Er sagte:

– Was fehlt Ihnen?

Sie flüsterte:

– Ich habe gut verstanden. Sie sind hier, weil Ihnen die Kummer gemacht hat. Sie ist gekommen, um Sie zu holen.

Er stammelte, ergriffen, daß nun er es war, der Schmerz erregte:

– Du irrst Dich, Kleine. Allerdings kehre ich nach Paris zurück, aber Du kommst mit.

Sie antwortete ungläubig:

– Ach, das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr!

– Ich schwöre es Dir.

– Und wann?

– Morgen.

Sie begann wieder zu schluchzen und stöhnte:

– Mein Gott! Mein Gott!

Da nahm er sie um die Taille, hob sie empor, zog sie mit sich, ging mit ihr den Abhang hinunter im Dunkel der Nacht. Und am Ufer des Flusses setzte er sich ins Gras und zog sie zu sich nieder.

Er hörte ihr Herz schlagen. Er hörte, wie stoßweise ihr Atem ging. Und voll Gewissensbisse preßte er sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr süße Worte, die er ihr noch nie gesagt. Voll Mitleid, und brennend vor Begier, lag er kaum und betrog sie nicht. Und er fragte sich selbst, erstaunt über das, was er sprach und empfand, wie er nur, ganz im Gedanken an die andere, deren Sklave er nun ewig sein würde, so bewegt und hingebend den Liebesschmerz dieser Kleinen trösten konnte.

Er versprach ihr, sie lieb zu haben, – er sagte nicht einfach lieben, – ihr ganz in seiner Nähe eine hübsche, kleine Wohnung einzurichten mit schönen Möbeln und einem Mädchen zur Bedienung.

Sie hörte ihm zu, ward ruhiger, allmählich ruhig. Sie konnte nicht glauben, daß er sie hinterging, denn sie hörte es dem Ton seiner Stimme an, daß es Wahrheit sei, was er sagte. Überzeugt endlich und durch die Möglichkeit geblendet, nun auch einmal Dame zu spielen, diesem höchsten Traum des armen Mädchens, der Kellnerin, die plötzlich die Geliebte eines so reichen und so eleganten Mannes geworden, ward sie ganz trunken von Entgegenkommen, Dankbarkeit und Stolz, die sich in ihre Liebe zu André mischten.

Sie legte ihm den Arm um den Hals und stammelte, indem sie sein Gesicht mit Küssen bedeckte:

– Ich habe Sie sehr lieb. Ich denke nur noch an Sie.

Er flüsterte, weich und ihre Zärtlichkeit erwidernd:

– Liebe, liebe Kleine.

Sie vergaß schon beinah völlig das Auftauchen dieser Fremden, das ihr vorhin so weh gethan. Aber noch blieb ein unbewußter Zweifel in ihr zurück, denn sie fragte mit ihrer schmeichelnden Stimme:

– Werden Sie mich auch wirklich so lieben wie hier?

Er antwortete bestimmt:

– Ich werde Dich lieben wie hier.

 


 


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