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André Mariolle war der erste, der bei Frau Michèle von Burne erschien. Er setzte sich und betrachtete die Wände um sich herum, die Gegenstände, die Stoffe, die Nippes, die Möbel, die er liebte, weil sie ihr gehörten. Diese ganze gemütliche Wohnung, wo er sie kennen gelernt, gesehen und so oft wiedergesehen, wo er begonnen, sie zu lieben, wo er in sich diese Leidenschaft entdeckt, die er von Tag zu Tag wachsen sah bis zur Stunde des unnützen Sieges. Wie ängstlich hatte er sie so oft in diesen koketten Räumen erwartet, die für sie gemacht waren, ein wundervoller Rahmen diesem erlesenen Wesen. Und wie er den Duft dieses Salons, dieser Stoffe kannte, einen leichten Resedageruch, vornehm und einfach! Dort hatte er gezittert in Erwartung, gezittert in Hoffnung, alle Leidenschaften der Seele durchlaufen und am Schluß alles Leid. Er drückte, wie die Hand eines Freundes, den man verläßt, die Lehne des großen Fauteuils, in dem er so oft mit ihr sich unterhalten, in dem er sie lächeln und sprechen gesehen. Er hätte gewollt, daß sie nicht kam, daß niemand kam, daß er allein blieb, die ganze Nacht träumend von seiner Liebe, wie man wacht bei einem Toten. Dann wäre er bei Tagesanbruch fortgegangen für lange Zeit, vielleicht für immer.
Die Thür des Zimmers öffnete sich. Sie trat ein und ging auf ihn zu mit ausgestreckten Händen. Er beherrschte sich, sich nichts merken zu lassen. Das war keine Frau, das war ein wunderbarer lebendiger Blumenstrauß.
Ein Kranz von Nelken legte sich um ihre Taille und zog sich bis zu den Füßen herab in einzelnen Ketten. Um die bloßen Arme und die Schultern lief eine Guirlande von Vergißmeinnicht und Schneeglöckchen, während drei stolze Orchideen aus ihrem Busen zu steigen schienen und das bleiche Fleisch der Brust mit ihren rosigen und roten unnatürlichen Blumenfarben streichelten. In ihren blonden Haaren glänzten Veilchen aus Emaille, in denen wieder ganz kleine Diamanten blitzten. Andere Brillanten zitterten auf goldenen Nadeln und funkelten am Taillenausschnitt.
– Ich werde Migräne davon bekommen! sagte sie. Aber das schadet nichts, es steht mir so gut.
Sie duftete wie der Frühling in den Gärten. Sie war frischer, denn ihre Blumen. André betrachtete sie mit aufgerissenen Augen und meinte, es wäre ebenso barbarisch, sie jetzt in die Arme zu schließen, wie auf einem blühenden Blumenbeet herumzutreten. So war ihr Körper nur noch der Vorwand, um Schmuck anzubringen. Es war nicht mehr etwas, das man liebt. Sie sah Blumen ähnlich, Vögeln, allen möglichen Dingen mehr, als einer Frau. Ihre Mütter, alle die Damen vergangener Zeiten, hatten die Kunst der Koketterie benutzt, ihre Schönheit zu heben, aber zuerst wollten sie durch die Schönheit ihres Körpers verführen, durch die natürliche Gewalt ihres Liebreizes, durch die unwiderstehliche Anziehungskraft, den die weiblichen Formen auf den Mann ausüben. Heute war die Koketterie an sich alles. Künstlichkeit war das große Mittel geworden und auch das Ziel, denn sie gebrauchten sie mehr, um die Augen ihrer Rivalinnen zu kränken und zwecklos ihren Neid zu stacheln, als um Männer zu gewinnen.
Wem war nun also diese Toilette bestimmt? Dem Geliebten? Oder um die Fürstin Malten zu demütigen?
Die Thür öffnete sich, sie wurde gemeldet. Frau von Burne ging lebhaft auf sie zu; immer ihre Orchideen dabei in Acht nehmend, küßte sie sie mit halb offenen Lippen voll Zärtlichkeit. Es war ein hübscher, netter Kuß, den beide Münder gaben und herzlich erwiderten.
Mariolle zitterte vor Erregung. Niemals war sie so, mit diesem hervorbrechenden Glücksgefühl, auf ihn zugegangen. Und er sagte sich mit plötzlicher Wut: diese Frauen sind für uns nicht mehr gemacht.
Massival erschien, hinter ihm Herr von Pradon, Graf Bernhaus, dann Georg von Maltry ganz englisch, chik.
Nur noch Lamarthe und Prédolé wurden erwartet. Man sprach von dem Bildhauer, und alle sangen sein Lob.
Er war der Wiedererwecker der Anmut. Er hatte die Tradition der Renaissance wiedergefunden und noch etwas dazu, den modernen Realismus. Nach Georg von Maltrys Ausspruch, war er der köstliche Enthüller menschlicher Biegsamkeit. Diese Phrasen gingen seit zwei Monaten durch alle Salons von Mund zu Mund und von Ohr zu Ohr.
Endlich erschien er. Man war erstaunt. Es war ein dicker Mann von nicht zu bestimmendem Alter, mit mächtigem Bauernnacken, einem breiten, scharf ausgearbeiteten Kopf mit grauem Haar und grauem Bart, einer starken Nase, aufgeworfenen Lippen, der etwas Verlegenes und Schüchternes hatte. Er hielt die Arme etwas weit vom Leib ab, ein wenig linkisch, wahrscheinlich infolge der Riesengröße seiner Hände, die aus den Ärmeln hervorsahen. Sie waren breit, dick, behaart, mit muskulösen Fingern, die Hände eines Herkules oder eines Fleischers; sie schienen ungeschickt, langsam, als genierten sie sich da zu sein, ohne Möglichkeit sich zu verstecken.
Aber das Gesicht war durch ein paar klare, durchdringende, graue Augen von außergewöhnlicher Lebhaftigkeit erhellt; sie allein schienen in diesem schweren Mann zu leben. Sie forschten, blickten sich um, durchstöberten alles und warfen ihren kurzen beweglichen scharfen Blick überallhin. Man fühlte, daß eine große, lebhafte Intelligenz diese seltsamen Augen belebte.
Frau von Burne war etwas enttäuscht. Sie bot ihm höflich einen Stuhl an, der Künstler setzte sich und blieb dann, wie es schien, verlegen, hierhergekommen zu sein, sitzen.
Lamarthe, der geschickte Einführer, wollte das Eis brechen und näherte sich seinem Freund:
– Mein Lieber, ich möchte Ihnen einmal zeigen, wo Sie eigentlich sind. Zuerst haben Sie unsere göttliche Wirtin gesehen, nun sehen Sie sich einmal an, was Sie umgiebt.
Er zeigte ihm auf dem Kamin eine authentische Büste von Houdon, dann auf einem Boulesekretär zwei Frauen, die sich tanzend umschlungen hielten, von Clodion und endlich auf einer Etagère vier Tanagrafigürchen, die auserlesen schönsten.
Da klärte sich sofort Prédolés Gesicht auf, als ob er in der Wüste seine Kinder wiederfände. Er erhob sich, ging auf die vier kleinen antiken Figuren zu, und als er zwei zugleich in seine gewaltigen Hände genommen, die gebildet schienen, um einen Ochsen totzuschlagen, bekam Frau von Burne Angst um sie. Aber sobald er sie berührt hatte, war es, als streichelte er sie, denn er drehte sie leicht mit wunderbarer Geschicklichkeit zwischen den Fingern, die beweglich geworden waren, wie die eines Jongleurs. Wenn man ihn so die Figuren betrachten und befühlen sah, merkte man, daß dieser dicke Mann in den Fingern und in der Seele eine wundersame, ideale, zarte Liebe hatte für alle kleinen eleganten Dinge.
– Sind sie hübsch? fragte Lamarthe.
Da rühmte sie der Bildhauer, als ob er ihnen Artigkeiten sagen wollte. Und mit ein paar Worten sprach er von den bedeutendsten, die er kannte, mit etwas verschleierter Stimme, aber ruhig und sicher, einer Stimme, die klar die Gedanken wiedergab und den Wert der Worte kannte.
Dann betrachtete er unter der Führung des Schriftstellers die anderen Kostbarkeiten, die Frau von Burne auf den Rat ihrer Freunde hier vereinigt. Er schätzte sie, erstaunt und freudig bewegt, daß er sie hier fand, nahm sie immer in die Hände, wendete sie nach allen Seiten, als wollte er sich mit ihnen in zärtliche Berührung bringen. In einer dunklen Ecke stand eine Bronzestatuette, schwer wie eine Kanonenkugel; mit einer Hand hob er sie auf, trug sie zur Lampe, betrachtete sie lange und setzte sie dann scheinbar ohne Anstrengung wieder an ihren Platz.
Lamarthe sagte:
– Er ist eben geboren, um mit Marmor und Stein zu hantieren.
Sympathisch sah man ihn an.
Der Diener meldete:
– Es ist angerichtet.
Die Frau des Hauses nahm des Bildhauers Arm, um ins Eßzimmer zu gehen, und nachdem sie ihn rechts von sich gesetzt, fragte sie ihn artig, als frage sie den Abkömmling eines großen Hauses nach dem Ursprung seiner Familie:
– Ihre Kunst hat doch auch das Verdienst, nicht wahr, daß sie die älteste ist von allen?
Er antwortete mit seiner ruhigen Stimme:
– Mein Gott, gnädige Frau, die Hirten in der Bibel bliesen die Flöte; die Musik wird also wohl noch älter sein, obgleich nach unserer Auffassung die wahre Musik nicht sehr alt ist. Aber die echte Bildhauerei ist sehr alt.
Sie fragte:
– Mögen Sie Musik?
Er antwortete mit ernster Überzeugung:
– Ich liebe jede Kunst.
Sie fragte wiederum:
– Weiß man, wer der erste Bildhauer war?
Er dachte nach, und dann sagte er mit weicher Stimme, als ob er eine kleine Liebesgeschichte erzählte:
– Nach hellenischer Tradition war es der Athener Dädalos. Aber die hübscheste Legende ist doch die, die einem Töpfer in Sicyon, Dibutades, die Erfindung zuschreibt. Seine Tochter Nora hatte den Schattenriß ihres Verlobten an die Wand gezeichnet, der Vater füllte diese Silhouette mit Thon und modellierte sie: meine Kunst war geboren.
Lamarthe sagte:
– Reizend! – Dann, nach einem Stillschweigen, meinte er:
– Ach, Prédolé, wenn Sie nur reden wollen.
Dann wendete er sich an Frau von Burne:
– Sie ahnen gar nicht, gnädige Frau, wie der Mann interessant sein kann, wenn er von etwas spricht, das er liebt, wie ihm dann der Ausdruck zu Gebote steht, wie er Interesse und Liebe für seine Kunst erweckt.
Aber der Bildhauer schien nicht aufgelegt zu sein, hier zu posieren. Er hatte eine Ecke der Serviette in den Kragen gesteckt, um keine Flecken zu machen, aß mit Andacht seine Suppe, mit einer Art Respekt, wie ihn die Bauern davor haben.
Dann trank er ein Glas Wein und richtete sich auf. Er schien sich etwas wohler zu fühlen und begann, sich einzuleben.
Ab und zu versuchte er, sich umzuwenden, denn er sah im Spiegel eine ganz moderne Gruppe Plastik, die hinter ihm auf dem Kamin stand. Er kannte sie nicht und suchte den Meister zu erraten. Endlich, konnte er es nicht mehr aushalten und fragte:
– Nicht wahr, das ist von Falguière?
Frau von Burne lächelte:
– Ja, es ist von Falguière. Wie haben Sie das nur im Spiegel entdecken können?
Nun lächelte er:
– O, gnädige Frau, ich erkenne, ich weiß nicht wie, auf den ersten Blick sofort, ob einer neben dem Bildhauer auch Maler ist oder neben dem Maler auch Bildhauer. Es sieht ganz anders aus, wie von jemandem, der nur einer Kunst dient.
Lamarthe wollte seinen Freund ins rechte Licht setzen und wünschte eine nähere Erklärung zu hören. Prédolé ging darauf ein.
Er setzte auseinander, erzählte und charakterisierte die Malerei der Bildhauer und die Bildhauerei der Maler so klar, originell und eigenartig, mit seinen langsamen und treffenden Worten, daß die Blicke ebenso auf ihm ruhten, wie die Ohren ihm lauschten. Er sprach die ganze Geschichte der Kunst durch, nannte Beispiele von Epoche zu Epoche, ging bis zu den ersten italienischen Meistern, die Maler und Bildhauer zugleich gewesen: Niccola und Giovanni von Pisano, Donatello, Lorenzo Ghiberti. Er wußte seltsame Aussprüche von Diderot über denselben Gegenstand, und zum Schluß nannte er Ghibertis Portal des Baptisteriums von St. Johannes in Florenz, dessen lebhafte und dramatisch gehaltene Reliefs eher aussähen wie Gemälde.
Mit seinen schweren Händen, die er vor sich herbewegte, als ob er Thon darin hielte und die jetzt leicht und schmiegsam wurden, daß es das Auge entzückte, half er seinen Worten so nach, daß man neugierig der Bewegung seiner Finger folgte, die über den Gläsern und Tellern alle Bilder nachzeichneten, von denen sein Mund sprach.
Als dann ein Gericht kam, das er gern mochte, schwieg er und aß.
Bis zum Ende des Diners sprach er nicht mehr viel, indem er kaum der Unterhaltung folgte, die von einem Theatergeschwätz zur Politik überging, von einem Ball zu einer Hochzeit, von einem Artikel der Revue des Deux-Mondes zum eben eröffneten Concours hippique. Er aß sehr viel, trank den Wein ungemischt, ohne daß er ihn weiter anzufechten schien, denn er hatte einen klaren gesunden, schwer zu beirrenden Verstand, dem ein guter Tropfen kaum etwas anthat.
Als sie in den Salon zurückgekehrt waren, zog Lamarthe, der von dem Bildhauer nicht ganz das herausgeholt hatte, was die anderen erwarteten, ihn zu einem Glasschrank, um ihm ein in der Kunstwelt bekanntes silbernes Tintenfaß zu zeigen von Benvenuto Cellini.
Eine Art Trunkenheit kam über den Bildhauer. Er betrachtete es, wie man in das Antlitz einer Geliebten sieht. Und ganz gepackt von dem Gegenstand, äußerte er über Cellinis Lebenswerk Gedanken ebenso zart und fein, wie die Kunst des göttlichen Bildners. Als er dann merkte, daß man ihm zuhörte, ging er mehr auf seinen Gegenstand ein, setzte sich in einen großen Fauteuil, indem er unausgesetzt diese Kostbarkeit, die man ihm eben gezeigt, in der Hand hielt und betrachtete. Er gab seine Eindrücke wieder über alle Gipfelpunkte der Kunst, die er kannte, zeigte seine Empfänglichkeit dafür und machte den seltsamen Zauber ganz klar, den Formenreiz durch die Augen in seine Seele zaubert. Zehn Jahre lang war er durch die Welt gereist, hatte nur Marmor, Stein, Bronze, geschnitztes Holz gesehen, lauter Werke von Meisterhänden, oder Gold, Silber, Elfenbein, Kupfer, die alle die Zauberfinger der Künstler in Meisterwerke verwandelt.
Und er war ganz Bildhauer, wenn er sprach, plastisch und entzückend modelliert durch die Treffsicherheit seiner Worte standen seine Gedanken da.
Die Herren, die um ihn herumstanden, hörten ihm mit außergewöhnlichem Interesse zu, während die beiden Damen, die am Kamin saßen, sich etwas zu langweilen schienen und mit leiser Stimme sprachen, indem sie doch etwas niedergeschlagen waren, daß man den einfachen Umrissen der Gegenstände solchen Geschmack abgewinnen konnte.
Als Prédolé schwieg, drückte ihm Lamarthe, der ganz begeistert war, die Hand und sagte freundschaftlich, ergriffen von der Gemeinsamkeit ihrer Empfindungen:
– Ich möchte Ihnen wirklich einen Kuß geben. Sie sind der einzige Künstler, der einzige große Mann von heute, der wirklich Leidenschaft besitzt. Der einzige, der wirklich das liebt, was er schafft, der sein Glück darin findet, der nie von seiner Kunst ermüdet oder angewidert wird. Sie pflegen die ewige Kunst in der reinsten, einfachsten, größesten Art. Sie finden das Schöne im Schwung einer Linie und an etwas anderes denken Sie dabei nicht. Ich leere mein Glas Schnaps auf Ihre Gesundheit.
Dann ward die Unterhaltung allgemein, aber etwas gedehnt, noch im Bann der Gedanken, die eben in diesem hübschen, mit Kostbarkeiten vollgestellten Raum erklungen waren.
Prédolé ging zeitig fort, indem er sagte, er säße jeden Morgen bei Tagesanbruch an der Arbeit.
Als er gegangen war, fragte Lamarthe begeistert Frau von Burne:
– Nun, wie gefällt er Ihnen denn?
Sie antwortete zögernd, etwas unzufrieden und wenig begeistert:
– Ganz interessant, aber etwas schwatzhaft.
Der Schriftsteller lächelte und dachte: Na, er hat eben Ihre Toilette nicht bewundert, und Sie sind die einzige Kostbarkeit hier, die er kaum angeguckt hat. Dann nach einigen liebenswürdigen Redensarten setzte er sich zur Fürstin Malten und machte ihr den Hof. Graf Bernhaus näherte sich der Frau des Hauses, rückte einen kleinen Sessel heran, der so niedrig war, daß er ihr zu Füßen zu sitzen schien. Massival, Mariolle, Maltry und Herr von Pradon unterhielten sich weiter über den Bildhauer, der ihnen einen starken Eindruck gemacht hatte. Herr von Maltry verglich ihn mit den alten Meistern, deren ganzes Leben verschönt und erhellt ward durch die einzige zehrende Liebe zu allem, was schön auf dieser Welt. Darüber philosophierte er ein wenig mit feinen, richtigen, etwas ermüdenden Worten.
Massival hatte genug von einer Kunst gehört, die nicht die seine war, näherte sich der Fürstin und setzte sich zu Lamarthe, der ihm bald seinen Platz überließ, um wieder zu den Herren zurückzukehren.
– Wollen wir gehen? sagte er zu Mariolle.
– Gern.
Der Schriftsteller liebte es, nachts, wenn er jemand heimbrachte, sich zu unterhalten. Seine scharfe, etwas grelle Stimme schien an den Häusern hängen zu bleiben und die Wände in die Höhe zu laufen. Er wußte, daß er beredt war, geistreich, bei diesen nächtlichen Spaziergängen, bei denen er mehr Monologe sprach, als daß er sich unterhielt. Es war ein Erfolg vor sich selbst, und das genügte ihm, und nach dieser leichten Müdigkeit der Lungen und der Beine konnte er gut schlafen.
Mariolle war am Ende seiner Kräfte. All sein Elend, all sein Unglück, all sein Kummer, all seine unheilbare Niedergeschlagenheit kochten in seinem Herzen, seitdem er ihre Schwelle überschritten.
Er konnte nicht mehr, er wollte nicht mehr. Er wollte fort und nicht wiederkommen.
Als er Frau von Burne verließ, sagte sie ihm etwas zerstreut Lebewohl.
Die beiden Männer waren allein auf der Straße. Der Wind war umgesprungen, und die Kälte, die am Tag noch geherrscht, hatte nachgelassen. Es war warm und mild wie zwei Stunden nach einem Frühlingsgewitter. Am Himmel zitterten die Sterne, als ob durch den endlosen Raum ein Sommerhauch gestrichen sei und sie neu entzündet hätte.
Die Bürgersteige waren wieder grau und trocken geworden, während noch beim Schein der Gasflammen auf dem Fahrdamm die Nässe glänzte.
– Gott, was ist das für ein glücklicher Mann, dieser Prédolé! Er liebt nur eins auf dieser Welt, seine Kunst. Er denkt nur daran, lebt nur dafür, und das erfüllt, versöhnt und erheitert sein Leben, macht es glücklich und ruhig. Er ist wirklich ein großer Künstler des alten Schlages. Er kümmert sich nicht weiter um die Frauen, um unsere Weiber mit Flitterkram, Spitzen und Launen. Haben Sie gemerkt, wie wenig er unsere beiden Schönheiten beachtet hat, die doch sehr verführerisch waren. Er braucht reine Plastik, keine verkünstelte. Und unsere göttliche Gastgeberin hat gemeint, daß er ein unerträgliches Kamel wäre. Für sie ist eine Büste von Houdon, Tanagrafiguren oder ein Tintenfaß von Benvenuto Cellini nur der kleine Schmuck, der natürliche Rahmen für ein Meisterwerk: sie, sie und ihr Kleid, denn ihr Kleid gehört zu ihr. Das ist die neue Stimmung, mit der sie täglich ihre Schönheit auffrischt. Gott, wie ist so eine Frau unbedeutend und selbstgefällig.
Er blieb stehen, stieß den Stock auf das Pflaster, und der kurze, scharfe Laut hallte einen Augenblick in der Straße. Dann fuhr er fort:
– Sie kennen, finden und kosten alles, was ihren Wert erhebt: die Toiletten und den Schmuck, die alle zehn Jahre in der Mode wechseln, aber sie haben keine Ahnung von dem, was wirklich selten, köstlich ist und bleibend, was eine große, künstlerische Hingebung verlangt, ein Studium ohne Selbstsucht. Übrigens sind ihre Sinne zu wenig ausgebildet. Sie sind zu weiblich, können nichts verstehen, das nicht mit dem weiblichen Götzendienst zusammenhängt, der alles in ihnen schluckt. Ihre Feinheit hat etwas Wildes, Indianisches, Kriegerisches. Sie sind sogar fast nicht imstande, materielle Freuden niederer Art zu würdigen, die eine physische Erziehung oder verfeinerte Ausbildung eines Organs erfordern. Zum Beispiel Feinschmeckerei. Und wenn sie wirklich ausnahmsweise einmal eine gute Küche zu schätzen wissen, so werden sie nie dahin kommen, einen feinen Wein zu erkennen. Der spricht nur mit dem Gaumen der Männer. Denn der Wein spricht.
Wieder stieß er den Stock auf das Pflaster, daß es das letzte Wort abschnitt und einen Punkt hinter seine Gedanken setzte.
Dann fuhr er fort:
– Übrigens muß man nicht so viel von ihnen verlangen. Aber dieser Mangel an Geschmack und Verständnis, der ihnen anhaftet, wenn es sich um etwas Höheres handelt, macht sie oft noch viel wilder, wenn es sich um uns handelt. Um sie zu fangen, brauchen wir gar keine Seele, kein Herz, keinen Verstand, keine besonderen Eigenschaften und Verdienste wie früher, wo man für einen Mann schwärmte wegen seines Wertes oder seines Mutes. Die Frauen von heute sind Schauspielerinnen, Schauspielerinnen in der Liebe. Und sie brauchen Mimen, um ihnen zu entsprechen, Mimen, die ihre Rolle ebenso gut herunterlügen wie sie. Unter Mimen verstehe ich die Gesellschaftsfatzkes oder sonstige.
Schweigend gingen sie ein paar Augenblicke nebeneinander her. Mariolle hatte ihm aufmerksam zugehört. Im Innern wiederholte er seine Worte, und in seinem Schmerz stimmte er ihnen vollkommen bei. Übrigens wußte er, daß ein italienischer Abenteurer, der nach Paris gekommen war, um sich im Fechten zu produzieren, Prinz Epiati, eine Art Fechtbodenedelmann, von dem man überall sprach und dessen Eleganz und geschickte Kraft man in der großen Gesellschaft und in der feinen Cocottenwelt, wenn er in schwarzem Seidentrikot auftrat, begeistert pries, gerade jetzt die ganze Koketterie und Aufmerksamkeit der kleinen Baronin Frémines erregt hatte. Als Lamarthe weiter schwieg, sagte er:
– Aber wir sind daran schuld. Wir treffen eine falsche Wahl. Es giebt auch noch andere Frauen wie diese.
Der Schriftsteller antwortete:
– Die einzigen, die heute noch einer Neigung fähig sind, sind die Ladenmädchen oder die kleinen sentimentalen Bürgerfrauen, wenn sie arm und unglücklich verheiratet sind. Ich habe öfters solche betrübten Seelen getröstet. Sie fließen über von Gefühl, aber einem so alltäglichen Gefühl, daß das unsrige dagegen wie ein Almosen wirkt. Übrigens glaube ich, daß in unserer jungen, reichen Gesellschaft, in der die Frauen nichts ersehnen und nichts entbehren und keinen anderen Wunsch haben, als ein wenig unterhalten zu werden, aber ungefährlich, in der die Männer das Vergnügen wie ihre Arbeiten zu gewissen Stunden abmachen, daß in dieser Gesellschaft die einstige wunderbare köstliche Anziehungskraft der Geschlechter zu einander ganz verschwunden ist.
Mariolle sagte leise:
– Das ist wahr!
Und seine Sehnsucht, zu entfliehen, wuchs. Weit fort zu fliehen von diesen Menschen, von diesen Puppen, die, weil sie nichts zu thun hatten, die schönen, zärtlichen Leidenschaften von einst mimten und von ihrer verlorenen Köstlichkeit nichts mehr sahen.
– Gute Nacht! sagte er. Ich will zu Bett gehen.
Er kehrte heim, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb:
»Leben Sie wohl, gnädige Frau. Erinnern Sie sich noch meines ersten Briefes? Damals sagte ich Ihnen auch Lebewohl. Aber ich ging nicht fort. Wie thöricht von mir! Wenn Sie diese Zeilen empfangen, habe ich Paris verlassen. Muß ich Ihnen erst erklären, warum? Männer wie ich sollten niemals Frauen wie Sie begegnen. Wenn ich ein Künstler wäre und wenn ich meine Gefühle ausdrücken könnte, so daß ich mich dadurch von ihnen befreite, so würde die Begegnung mit Ihnen vielleicht mir Talent gegeben haben. Aber ich bin nur ein armer Kerl, dem seine Liebe zu Ihnen ein furchtbares, unstillbares Leid gebracht hat. Als ich Sie zuerst sah, hätte ich es nicht für möglich gehalten, daß ich so empfinden und so leiden könnte. Eine andere an Ihrer Stelle hätte mein Herz köstlich aufleben lassen, aber Sie haben nur verstanden, es zu quälen. Sie können nichts dafür, – ich weiß es. Ich mache Ihnen auch keinen Vorwurf, und ich bin Ihnen nicht böse. Ich habe nicht einmal das Recht, Ihnen diese Zeilen zu schreiben. Vergeben Sie mir. Sie sind einmal so, daß Sie nicht fühlen können, was ich fühle, daß Sie nicht einmal erraten können, was in mir vorgeht, wenn ich in Ihr Zimmer trete, wenn Sie mit mir sprechen und wenn ich Sie anblicke. Ja, Sie wollen mir ein ruhiges, stilles, vernünftiges Glück bieten, und ich sollte Ihnen mein Lebelang auf den Knieen dafür danken. Aber ich will es nicht. Oh, es ist eine furchtbare, quälende Liebe, die unausgesetzt um ein Almosen bettelt, das Almosen eines warmen Wortes, einer Zärtlichkeit und die es nie bekommt. Mein Herz ist leer, wie der Magen eines Bettlers, der lange mit ausgestreckter Hand hinter Ihnen herlief. Sie haben ihm schöne Dinge zugeworfen, aber kein Brot. Brot verlange ich – Liebe wollte ich haben. Ich gehe, unglücklich, arm. Arm gemacht durch Ihre Zärtlichkeit, von der ein paar Brocken mich gerettet hätten. Nichts bleibt mir auf der Welt, als die schmerzliche Erinnerung in mir, die ich überwinden muß. Und ich will versuchen es zu thun.
Leben Sie wohl, gnädige Frau. Verzeihen Sie. Dank. Verzeihen Sie . . . . Heute abend noch liebe ich Sie aus tiefster Seele. Leben Sie wohl, gnädige Frau.