Guy de Maupassant
Stark wie der Tod
Guy de Maupassant

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Erster Teil

I

Durch das Oberlicht an der Decke fiel der Tag in das geräumige Atelier. Es war ein großes Viereck voll strahlenden, bläulichen Lichtes, eine helle Öffnung, in die das unendliche Himmelsblau hineinschaute, durch das blitzschnell die Vögel dahinschossen.

Aber kaum war das fröhliche Himmelslicht in den hohen, ernsten, drapierten Raum gefallen, so ward es sanft, fing sich in den Stoffen und wurde von den Vorhängen verschluckt, sodaß es kaum noch die dunklen Ecken erhellte, wo bloß die Goldrahmen wie Feuer aufleuchteten. Hier schienen Friede und Ruhe hergebannt, in die Stille des Künstlerheims, wo die Menschenseele arbeitet. Innerhalb dieser Wände, die der Gedanke bewohnt, in denen er kämpft und ringt ohne Unterlaß, erscheint alles matt und müde, sobald der Schöpfer ruht. Nach seinen gewaltigen Anstrengungen ist alles wie tot, alles schlummert, Möbel, Stoffe, die noch nicht beendigten Porträts auf der Leinewand, als ob der ganze Raum unter der Müdigkeit des Meisters gelitten, mit ihm gerungen und täglich teilgenommen hätte an diesem immer wieder sich erneuernden Schaffenskampf.

Ein unbestimmter Geruch von Malerei, Terpentin und Tabak lag über dem Raum, festgehalten von Teppichen und Möbeln. Kein andrer Laut unterbrach die tiefe Stille, als der kurze, helle Schrei der Schwalben, die über dem geöffneten Oberlicht hinschossen, und das unbestimmte Geräusch der Stadt, das kaum bis über die Dächer drang. Nichts bewegte sich, als stoßweise eine kleine, blaue Dampfwolke, die der auf dem Divan ausgestreckte Olivier Bertin langsam aus der Cigarette durch die Lippen blies.

Den Blick zum fernen Himmel gerichtet, suchte er nach einem Vorwurf für ein neues Bild. Was sollte er machen? Er wußte es noch nicht. Er war kein entschlossener, selbstsicherer Künstler, sondern ein Tastender, dessen nicht deutlich ausgesprochene Begabung zwischen allen Kunststilen umherschwankte. Er war reich, berühmt, war aller Ehren teilhaftig geworden und wußte dennoch, nun wo sich die Sonne seines Lebens dem Untergange näherte, noch nicht bestimmt, was er künstlerisch eigentlich vertreten und erstrebt. Er hatte das Romstipendium erhalten, hatte das Althergebrachte verteidigt und wie tausend andre auch Historienbilder gemalt; dann war er moderner geworden und hatte Zeitgenossen mit dem Pinsel festgehalten, aber mit Anlehnung an klassische Vorbilder. Klug, voll Begeisterung, ein energischer Arbeiter, mit immer wechselnder Idee, in heiliger Liebe entbrannt für seine Kunst, die er aus dem Grunde verstand, hatte er dank seines feinen Verstandes sich ein außerordentliches Können erworben, dazu eine große Schmiegsamkeit des Talentes, die zum Teil grade von seinem Hin- und Herschwanken und seinen Versuchen in allen Stilarten kam. Vielleicht hatte auch der jähe Beifall, den seine eleganten, vornehmen und tadellosen Bilder in der Gesellschaft gefunden, ihn beeinflußt und daran gehindert, sich so zu entwickeln, wie er es sonst wohl gethan hätte. Seit dem ersten Erfolge lenkte ihn eigentlich fortwährend, ohne daß er es selbst wußte, der Gedanke zu gefallen, führte ihn sachte auf andere Wege und beugte seine künstlerischen Überzeugungen. Übrigens machte sich dieser Wunsch, es allen recht zu thun, bei ihm in allen möglichen Dingen breit und hatte viel zu seinem Ruhme beigetragen.

Seine guten Manieren, die ganze Art sich zu geben, sein gewählter Anzug, der frühere Ruf seiner Kraft und seiner Geschicklichkeit im Sattel und mit der Waffe, alles hatte dazu beigetragen, seine Berühmtheit zu erhöhen. Nach der Cleopatra, dem ersten Bilde, das ihm seiner Zeit einen Namen gemacht, war ganz Paris Feuer und Flamme für ihn gewesen. Man hatte ihn bewundert, gefeiert, und er war plötzlich einer jener gesellschaftlich glänzenden Künstler geworden, die man im Bois de Boulogne trifft, um die man sich in den Salons reißt und die schon in jungen Jahren zu Mitgliedern der Akademie der Künste ernannt werden. Er war unter dem Beifall der ganzen Stadt in dieselbe aufgenommen worden.

So hatte ihn das Glück hätschelnd und liebkosend bis an die Schwelle des Alters geführt.

Nun suchte er in der Stimmung, die das schöne Wetter draußen, das er gleichsam um sich fühlte, in ihm erregt, einen poetischen Vorwurf zu einem Bilde. Etwas müde geworden durch sein Frühstück und die Cigarette träumte er, den Blick in die Höhe gerichtet, indem er in der blauen Luft flüchtig ein paar Figuren skizzierte: graziöse Frauen in einer Allee des Bois oder auf dem Trottoir einer Straße, ein Liebespärchen am Flußrand, galante Bilder, in denen sich seine Phantasie gefiel. Die wechselnden Erscheinungen zeichneten sich vom Himmel ab, unbestimmt und ineinander fließend, wie sie in Farben sein Auge sah, und die Schwalben, die unausgesetzt pfeilgleich durch die Luft schossen, schienen sie fortlöschen zu wollen, indem sie sie wie mit einem Federzuge durchstrichen.

Er fand nichts, alle Gestalten, die er vor seiner Phantasie sah, ähnelten irgend einem Bilde, das er schon gemacht, alle Frauen, die ihm erschienen, waren Töchter oder Schwestern derer, die seine Künstlerlaune schon einmal in die Welt gesetzt, und die noch unbestimmte Angst, die ihn seit einem Jahre quälte, er möchte sich ausgegeben, alle seine Themata erschöpft haben, die Furcht, daß seine Phantasie verdorrt, nahm bei seiner Unfähigkeit, neue Gedanken zu finden, etwas noch nicht Gemaltes zu entdecken, schärfere Gestalt an, wie an seinem geistigen Auge so vorbeiglitt, was er alles geschaffen.

Er stand langsam auf, um seine Studien durchzusehen, ob er unter den Entwürfen nicht irgend etwas fände, was ihn auf neue Ideen brächte.

Er blies den Rauch von sich und durchblätterte die Skizzen, Zeichnungen, die er in einem hohen, alten Schranke aufhob. Aber schnell ekelte ihn das vergebliche Suchen, es quälte ihn, er warf die Cigarette fort, pfiff einen Gassenhauer und holte unter einem Stuhl eine schwere Hantel hervor die dort lag.

Mit der anderen Hand hatte er einen Vorhang zur Seite geschlagen, der den Spiegel verbarg, welcher dazu diente, die Richtigkeit der Stellungen zu prüfen, die Perspektive zu korrigieren. Er stellte sich grade vor das Glas und begann Übungen zu machen, indem er sich im Spiegel beobachtete.

In den Ateliers war er berühmt wegen seiner Kraft gewesen, dann in der Gesellschaft wegen seiner Schönheit, aber jetzt lastete das nahende Alter auf ihm, machte ihn plump und schwer. Er war groß und breitschultrig, besaß einen starken Brustkasten, aber jetzt hatte er Fett angesetzt, wie ein alter Ringer, obgleich er täglich focht und beharrlich ritt. Sein Kopf hatte etwas Besonderes behalten, er war noch so schön wie früher, obgleich er sich doch auch veränderte. Durch sein weißes, kurzgeschnittenes Haar glänzte sein schwarzes Auge lebhafter unter grauen Augenbrauen. Sein kräftiger Schnurrbart, der etwas Militärisches hatte, war fast braun geblieben und verlieh seinem Gesicht einen seltenen Ausdruck von Energie und Stolz.

Er stand vor dem Spiegel mit geschlossenen Absätzen kerzengerade und ließ die beiden gußeisernen Kugeln am Ende seines muskulösen Armes allerlei Übungen machen, indem er wohlgefällig sich dabei betrachtete.

Aber plötzlich gewahrte er im Spiegel, in dem man das ganze Atelier übersah, wie sich ein Vorhang bewegte und ein Frauenkopf, nur der Kopf, erschien und nach ihm spähte. Hinter ihm fragte eine Stimme!

– Ist man zu Hause?

Er antwortete:

– Jawohl – und drehte sich herum. Dann warf er die Hantel auf den Teppich und sprang mit etwas gemachter Elastizität zur Thür.

Eine Dame in hellem Kleid trat ein. Sie gaben sich die Hand, und sie sagte:

– Du machst Deine Übungen?

– Ja, antwortete er, ich schlug ein Rad und Du hast mich dabei überrascht.

Sie lachte und fuhr fort:

– In der Portierloge war niemand, und da ich weiß, daß Du um diese Zeit immer allein bist, habe ich mich nicht anmelden lassen.

Er betrachtete sie:

– Donnerwetter! Bist Du schön! So chic!

– Ja, ein neues Kleid! Gefällt es Dir?

– Reizend, die Farben stimmen wundervoll zueinander, man kann wohl sagen, daß man heutzutage Verständnis dafür hat.

Er ging um sie herum, befühlte den Stoff, zupfte mit den Fingerspitzen die Falten zurecht wie einer, der sich auf die Toilette gleich einem Damenschneider versteht. Hatte er doch sein ganzes Leben hindurch sein künstlerisches Gefühl und seinen Athletenkörper benutzt, um mit der feinen Spitze seiner Pinsel die Schönheiten der wechselnden Mode und den weiblichen Liebreiz zu schildern, der sich unter schwerem Sammet, unter Seide und schneeigen Spitzen verbirgt.

Endlich sagte er:

– Das Kleid ist sehr gelungen, es steht Dir ausgezeichnet.

Sie ließ sich von ihm bewundern, erfreut, hübsch zu sein und ihm zu gefallen.

Sie war nicht mehr ganz jung, aber noch schön, nicht sehr groß, ein wenig stark, doch frisch in jenem Reiz, der den Vierzigjährigen eine gewisse köstliche Reife verleiht. So glich sie einer jener Rosen, die ohne Ende blühen, bis ihre Blätter schließlich, wenn sie zu sehr aufgeblüht, in einer einzigen Stunde abfallen.

Mit ihrem Blondhaar behielt sie den jungen, frischen Liebreiz der Pariserin, die nicht altert. Jener Pariserin, die eine erstaunliche Lebenskraft besitzt, einen unerschöpflichen Vorrat an Widerstand gegen die Zeit, die sich Jahre hindurch gleich bleibt, unzerstörbar, immer Siegerin, indem sie vor allem ihren Körper pflegt und ihre Gesundheit vorsichtig conserviert.

Sie schlug den Schleier in die Höhe und flüsterte:

– Nun, bekomme ich keinen Kuß?

– Ich habe geraucht, sagte er.

Sie meinte: – Ach was, – dann hielt sie ihm den Mund hin: – Das schadet nichts.

Und ihre Lippen begegneten einander.

Er nahm den Sonnenschirm aus ihrer Hand, zog ihr das Frühjahrsjäckchen aus mit schneller sicherer Bewegung. Man merkte, er verstand sich darauf. Als sie sich dann auf's Sofa setzte, fragte er eifrig:

– Wie geht es Deinem Mann?

– Ausgezeichnet, er muß sogar gerade jetzt in der Kammer eine Rede halten.

– Ach! Worüber denn?

– Wie immer, wahrscheinlich über Zuckerrüben oder Rapsöl.

Ihr Mann, Graf von Guilleron, Abgeordneter für das Departement Eure, war Specialist für alle landwirtschaftlichen Fragen.

Aber sie hatte in einer Ecke eine Studie erblickt, die sie noch nicht kannte, ging nun quer durch das Atelier und fragte:

– Was ist denn das?

– Ein Pastell, das ich angefangen habe. Das Porträt der Prinzessin von Pontève.

– Hör mal, sagte sie ernst, Du weißt, daß wenn Du wieder anfängst, Damen zu malen, ich einfach Dein Atelier zuschließe. Ich weiß zu genau, wohin das führt.

– Oh! meinte er, ein Porträt wie Anys malt man nur einmal.

– Das hoffe ich sehr.

Sie betrachtete das begonnene Pastell als Kennerin, trat zurück, näherte sich wieder, legte die Hände als Schirm an die Augen, suchte den günstigsten Standpunkt und erklärte sich endlich befriedigt:

– Das Bild ist gut. Die Pastelle glückt Dir immer famos.

Er meinte geschmeichelt:

– Findest Du?

– Ja, es ist eine feine Kunst, dazu braucht man Vornehmheit. Für die groben Patzer paßt es nicht.

Seit zwölf Jahren bestärkte sie ihn in seiner Neigung zu vornehmer Malerei. Sie bekämpfte jede Rückkehr zur einfachen Wahrheit, und durch die Forderungen ihrer Modepuppen-Eleganz trieb sie ihn ganz sachte zu einem etwas gezierten, gemachten, süßlichen Stil.

Sie fragte:

– Wie ist denn diese Prinzessin eigentlich?

Er mußte ihr tausend Einzelheiten erzählen, alle jene winzigen Details, in denen sich eifersüchtige kleinliche Frauenneugier gefällt, und von der Toilettenfrage kam er auf die geistige Seite.

Plötzlich fragte sie:

– Ist sie kokett?

Er lachte und schwor, sie wäre es nicht. Da legte sie beide Hände dem Maler auf die Schultern, blickte ihn durchdringend an, und die Glut ihrer Frage machte die runden Pupillen zittern mitten in der blauen Iris wie zwei, undurchdringlichen Tintenklecksen ähnliche, schwarze Punkte.

Sie flüsterte wieder:

– Ist sie wirklich nicht kokett?

– Wirklich nicht.

Sie fügte hinzu:

– Übrigens bin ich ganz ruhig, denn jetzt liebst Du nur noch mich! Mit anderen ist es aus. Zu spät armer Freund!

Jener leichte Schauer überlief ihn, der das Herz eines reifen Mannes trifft, wenn man von seinem Alter spricht, und er flüsterte:

– Heute, morgen wie gestern gab es in meinem Leben und wird es geben nur dich, Any!

Da nahm sie ihn beim Arm, führte ihn zum Sofa zurück, und zog ihn an ihre Seite.

– Woran dachtest Du?

– Ich suche den Stoff für ein Bild.

– Was denn für ein Bild?

– Das weiß ich eben nicht, ich suche es ja.

– Was hast Du die Tage getrieben?

Er mußte ihr alle Besuche aufzählen, die er empfangen, Diners und Gesellschaften, die er besucht, Gespräche und Klatsch. Beide fanden sie Gefallen an all den flüchtigen intimen Dingen der Gesellschaft. Die kleinen Eifersüchteleien, die Verhältnisse, von denen man wußte oder doch ahnte, die fertigen Urteile, die tausend Mal wiederholt wurden, die man tausend Mal hörte über dieselben Menschen, dieselben Ereignisse, dieselben Ansichten zogen ihren Geist davon auf jenem, Pariser Leben genannten, wellenbewegten Fluß. Da sie beide alle Welt in den verschiedensten Kreisen kannten, er als Künstler, dem sich alle Thüren öffneten, sie als die elegante Frau eines konservativen Abgeordneten, so waren sie mit dem Sport der französischen Unterhaltung vertraut, die fein ist, banal, liebenswürdig boshaft, unnütz geistreich, im allgemeinen vornehm, und die einen besonderen viel beneideten Ruf allen verleiht, deren Sprechweise sich an diese Art lästerndes Geschwätz gewöhnt hat.

– Wann kommst Du zu Tisch? fragte sie plötzlich.

– Wann Du willst. Wann paßt es denn?

– Freitag, da kommt die Herzogin von Mortemain, dann Corbelle und Musadieu, es soll nämlich die Rückkehr meines Töchterchens gefeiert werden, die heut abend zurückkommt, aber sage es niemandem, es ist Geheimnis.

– Schön, ich komme, ich freue mich, Annchen wieder zu sehen, ich habe sie ja drei Jahre nicht gesehen.

– Ja wahrhaftig drei Jahre.

Annchen, zuerst in Paris im väterlichen Hause erzogen, war die letzte leidenschaftliche Liebe ihrer Großmutter, Frau Paradin, geworden; diese war fast erblindet und lebte das ganze Jahr hindurch auf der Besitzung ihres Schwiegersohnes, dem Schloß Roncières im Departement Eure. Allmählich hatte die alte Dame das Kind immer länger bei sich behalten, und da die Guilleroy beinahe die Hälfte ihres Lebens auf ihrem Gute zubrachten, wohin sie immer die verschiedensten Interessen riefen, sei es Landwirtschaft, seien es Wahlen, so nahm man das junge Mädchen schließlich nur noch ab und zu nach Paris mit.

Annchen zog auch das freie, ungebundne Landleben dem eingeschlossenen Dasein in der Stadt vor.

Seit drei Jahren war sie überhaupt nicht mehr nach Paris gekommen. Die Gräfin wollte Annchen ganz von der Stadt fern halten, um nicht, ehe sie offiziell in die Welt eingeführt wurde, den Geschmack daran in ihr zu erwecken. Gräfin Guilleroy hatte ihr zwei ausgezeichnete Erzieherinnen aufs Land mitgegeben, und sie selbst fuhr häufig auf Besuch zu ihrer Mutter und ihrer Tochter. Übrigens war der Aufenthalt Annchens auf dem Schlosse beinahe zur Notwendigkeit geworden, weil sich die alte Dame dort befand.

Früher brachte Olivier Bertin alljährlich sechs bis acht Wochen in Roncières zu, aber seit drei Jahren zwang ihn ein rheumatisches Leiden entfernt gelegene Bäder aufzusuchen, die seine Vorliebe für Paris in solchem Grade weckten, daß er, wenn er einmal aus dem Badeort zurückgekehrt war, die Hauptstadt nicht mehr verlassen mochte.

Eigentlich sollte das junge Mädchen erst zum Herbst wiederkommen, aber der Vater hatte plötzlich ein Heirats-Projekt für Annchen in Aussicht genommen und rief sie zurück, damit sie sofort die Bekanntschaft des Marquis Farandal machen sollte, den er ihr bestimmt. Der Plan wurde ganz geheim gehalten, und Olivier Bertin war der einzige, der darin durch die Gräfin eingeweiht worden war.

So fragte er denn:

– Die Absicht Deines Mannes steht also fest?

– Ja, ich glaube sogar, es ist eine sehr gute Idee.

Dann sprachen sie von anderen Dingen.

Sie kam auf die Kunst zurück und wollte ihn bereden, ein Christusbild zu malen. Er widerstrebte, denn er fand, es gäbe deren schon genug, aber sie blieb beharrlich dabei und ward ungeduldig:

– Ach! Wenn ich zeichnen könnte, würde ich Dir zeigen, was ich will. Etwas ganz Neues, sehr gewagt: man nimmt Christus vom Kreuze ab, und dem Manne, der die Hände losgemacht hat, entgleitet der Körper. Er fällt und sinkt auf die Menge herab, welche die Arme hebt, ihn aufzufangen. Verstehst Du, was ich meine?

Ja, er verstand es, er fand sogar die Erfindung ganz eigenartig, aber er war gerade in ganz modernem Fahrwasser, und wie seine Freundin so auf dem Divan lag, den einen Fuß herabhängend in zierlichen kleinen Schuhen, daß man meinte durch den dünnen fast durchsichtigen Strumpf das Fleisch zu sehen, rief er:

– Da, da, das müßte man malen, das heißt Leben, ein Frauenfüßchen, das aus einem Kleide lugt. Da hinein läßt sich alles legen, Wirklichkeit, Begierde und Poesie, es giebt nichts Reizenderes, Hübscheres als einen Frauenfuß und dann welch' feiner Reiz: das Bein, das unter dem Stoff verborgen ist und das man nur ahnt und errät.

Er hatte sich mit gekreuzten Beinen auf den Fußboden gesetzt, nahm ihren einen Schuh, zog ihn aus, und der seiner Lederumhüllung entschlüpfte Fuß bewegte sich wie ein kleines zappelndes Tier, das höchlichst überrascht ist, freigelassen zu sein.

Bertin sagte:

– Nichts ist doch so zierlich und vornehm und dabei voll, voller als die Hand; zeige mal Deine Hand her, Any.

Sie trug lange Handschuhe, die bis zum Ellenbogen gingen. Sie zog den einen aus, faßte ihn dazu oben am Rand an und streifte ihn schnell ab, indem sie ihn umkrempelte, wie eine Schlangenhaut, die man abzieht. Der Arm ward sichtbar, weiß, dick und rund, so schnell entblößt, daß er den Gedanken erweckte, als sei sie vollständig nackt.

Da streckte sie ihm die Hand entgegen, und er nahm sie am Gelenk; auf ihren weißen Fingern blitzten die Ringe, und die rosigen scharfen Nägel machten den Eindruck verliebter Krallen, an der Spitze dieses niedlichen Frauenpfötchens gewachsen.

Olivier Bertin betrachtete ihre Hand, er bewegte die Finger hin und her, wie ein Spielzeug aus Fleisch, und sagte dabei:

– Was für ein eigentümliches Ding das doch ist, ein reizendes kleines Glied, klug und geschickt und macht alles, was man will: Bücher, Spitzen, Häuser, Pyramiden, Lokomotiven, Kuchen oder Liebkosungen, das ist das beste, was es kann.

Er zog einen Ring nach dem anderen ab und wie nun auch der Trauring herabfiel, flüsterte er lächelnd:

– Achtung vor dem Gesetz!

– Dummheiten, sagte sie etwas gekränkt. Er hatte immer etwas Höhnisches, jene Sucht der Franzosen, auch den ernstesten Gefühlen den Schein der Ironie zu geben, und oft betrübte er sie damit, daß er nicht verstand den feinen Regungen der Frauenliebe zu folgen und die Grenzen des Heiligtums, wie sie es nannte, zu achten. Vor allem ärgerte sie sich jedesmal, wenn er ihre Beziehungen zu einander bespöttelte, die so lange schon dauerten, daß sie das beste Beispiel für treue Liebe im neunzehnten Jahrhundert gewesen wären. Nach einer Pause sagte sie:

– Nicht wahr, Du begleitest uns, Annchen und mich zur Eröffnung der Bilder-Ausstellung?

– Selbstverständlich!

Da fragte sie ihn, welches die besten Bilder des nächsten Salons, der in vierzehn Tagen eröffnet werden sollte, sein würden.

Aber plötzlich sagte sie, vielleicht weil ihr einfiel, daß sie eine Besorgung vergessen:

– Schnell, schnell, gieb mir meinen Schuh.

Er spielte träumend mit der leichten Fußbekleidung, drehte und wandte sie zerstreut in den Händen.

Er beugte sich nieder und küßte den Fuß, der zwischen Kleid und Teppich zu schweben schien, sich nicht mehr bewegte und durch die Luft kühl geworden war.

Dann zog er ihr den Schuh an. Gräfin Guilleroy erhob sich und trat an den Tisch, auf dem allerlei Papiere, offene Briefe, alte und neue, neben einem echten Maler-Tintenfaß, in dem die Tinte eingetrocknet war, herumlagen. Sie blickte alles neugierig an und hob die Blätter auf, um darunter zu sehen.

Er näherte sich ihr:

– Du wirst meine Unordnung in Unordnung bringen.

Ohne zu antworten fragte sie:

– Wer ist dieser Herr, der »die Badenden« kaufen will?

– Ein Amerikaner, den ich nicht kenne.

– Hast Du die »Straßen-Sängerin« verkauft?

– Ja. Zehntausend.

– Das ist sehr vernünftig, die war nett, aber nichts Besonderes. Adieu Liebster!

Sie hielt ihm die Wange hin, die er mit einem ruhigen Kuß streifte, und sie verschwand hinter der Portière, nachdem sie noch halblaut gesagt:

– Freitag um acht. Du sollst mich nicht zur Thür begleiten. Du weißt, ich mag es nicht.

Als sie fort war, steckte er sich zuerst eine Cigarette an, dann durchmaß er das Atelier langsam mit großen Schritten, und die ganze Geschichte dieses Verhältnisses tauchte vor ihm auf. Allerlei Einzelheiten, die er längst vergessen, fielen ihm wieder ein, und er suchte sie zusammen, um sie eine an die andere zu reihen. Die Jagd nach Erinnerungen unterhielt ihn in seiner Einsamkeit.

Damals war es, als er wie eine neue Sonne am Kunsthimmel von Paris aufstieg, damals, als die Maler die ganze Gunst des Publikums gewonnen und ein ganzes Stadtviertel prächtigster Häuser bezogen, die sie sich mit ein paar Pinselstrichen verdient.

Bertin hatte nach seiner Rückkehr von Rom 1864 zuerst ein paar Jahre hindurch keinen Erfolg und keinen Ruf gehabt; da ward er plötzlich 1868, als er seine Cleopatra ausstellte, von der Kritik wie vom Publikum in den Himmel erhoben.

1872, nach dem Kriege und nachdem der Tod Henri Regnaults all seinen Kollegen sozusagen ein Piedestal des Ruhmes verschafft, ward Bertin durch eine »Jokaste«, ein etwas gewagtes Bild, zu den Modernen gezählt, obwohl seine klug berechnete Technik ihn auch für die Akademiker annehmbar machte.

1873 brachte ihm seine »Algerische Jüdin« die große goldene Medaille ein, sodaß er außer Wettbewerb erklärt ward, – ein Bild, das er nach seiner Rückkehr von einer afrikanischen Reise gemalt. Und seit einem Porträt der Prinzessin von Salia, 1874, galt er in der großen Welt für den ersten Portratisten seiner Zeit. Von diesem Tage ab wurde er der Lieblingsmaler der Pariserin und der Pariserinnen, der geschickteste und genialste Schilderer ihrer Grazie, ihrer Art, ihres ganzen Seins. Nach ein paar Monaten hatten sämtliche bekannten Damen von Paris um die Gunst gebeten, von ihm gemalt zu werden. Er war sehr wählerisch und machte hohe Preise.

Als er nun in Mode war und gleich jedem anderen Herrn der Gesellschaft Besuche machte, traf er eines Tages bei der Herzogin von Mortemain eine junge Frau in tiefer Trauer, die eben ging, als er eintrat. Die Begegnung mit ihr in der Thür gab ihm einen packenden Eindruck von Grazie und Eleganz.

Er fragte nach ihrem Namen und erfuhr, daß es die Gräfin Guilleroy sei, die Frau eines normannischen Landjunkers, Landwirtes und Abgeordneten, daß sie um ihren Schwiegervater trauerte, daß sie geistreich, sehr bewundert und sehr beliebt sei.

Er sagte sofort, noch ganz hingerissen von der Erscheinung, die seinem Künstlerauge wohl gethan:

– Die würde ich gern malen!

Am nächsten Tage war es der jungen Frau hinterbracht worden, und noch am selben Abend erhielt er ein kleines bläuliches Briefchen, das einen unbestimmten Duft ausströmte und in seiner, regelmäßiger Handschrift, ein wenig von links nach rechts ansteigend, die Worte enthielt:

»Verehrter Herr Bertin!

Die Herzogin von Mortemain, die eben bei mir war, versichert, Sie würden geneigt sein, mit Hilfe meiner armen Züge eines Ihrer Meisterwerke zu machen. Ich würde sie Ihnen gern zur Verfügung stellen, wenn ich bestimmt wüßte, daß Sie nicht bloß eine Liebenswürdigkeit gesagt haben, sondern wirklich in mir ein Modell sehen, wert Ihrer Kunst.

Ich bin Ihre sehr ergebene

Anna Gräfin Guilleroy.«

Er antwortete und fragte an, wann er der Gräfin seine Aufwartung machen dürfe. Ohne weitere Förmlichkeiten wurde er für den folgenden Montag zum Frühstück eingeladen.

Die Wohnung lag auf dem Boulevard Malesherbes in einem prachtvollen, modernen Hause.

Er durchschritt einen großen Salon, der mit blauer Seide tapeziert war, in Holzrahmen, Weiß mit Gold, und trat in eine Art Boudoir mit hellen, koketten Tapeten aus dem vergangenen Jahrhundert. Diese im Stil Watteau's gehalten, zeigten in zarten Farben graziöse Bilder, als hätten, die sie entworfen und ausgeführt, dabei von Liebe geträumt.

Er hatte sich eben gesetzt, als die Gräfin erschien. Sie schritt so leise, daß er nicht gehört, wie sie durch das anstoßende Zimmer gekommen, und ganz erstaunt war, als sie vor ihm stand.

Ungezwungen gab sie ihm die Hand und fragte:

– Sie wollen mich also wirklich malen?

– Es würde mir eine sehr große Freude sein, Frau Gräfin.

Ihr schwarzes, eng anliegendes Kleid machte sie sehr schlank, sodaß sie ganz jung aussah, obwohl sie eine ernste Miene aufsetzte, die ihr lächelnder Kopf im hellen Blond der Haare jedoch Lügen strafte.

Der Graf trat ein, ein kleines Mädchen von sechs Jahren an der Hand.

Die Gräfin stellte vor:

– Mein Mann.

Er war klein, glattrasiert, mit eingefallenen Wangen, die durch den abrasierten Bart bläulich schimmerten. Er hatte etwas von einem Geistlichen oder Schauspieler mit seinem nach hinten gebürsteten Haar. Er war sehr zuvorkommend, und an seinem Mund hatten sich zwei tiefe, halbmondförmige Falten eingegraben, die von den Wangen zum Kinn herabliefen und den Eindruck machten, als hätte sie die Gewohnheit, öffentlich zu sprechen, gezogen.

Mit einem Wortschwall, der auch den Redner verriet, dankte er dem Maler. Seit langem schon habe er seine Frau malen lassen wollen und hätte unbedingt Herrn Olivier Bertin darum gebeten, wenn er nicht eine Ablehnung befürchtet, denn er wußte, wie überlaufen der Maler war.

Sie kamen also nach vielen Komplimenten überein, daß er gleich vom nächsten Tage ab seine Frau ins Atelier bringen sollte. Aber er fragte, ob es nicht besser sei noch damit zu warten, wegen der tiefen Trauer, in der sie sich befanden; doch der Maler erklärte, es sei ihm gerade darum zu thun, den ernsten Eindruck festzuhalten, gerade den packenden Gegensatz ihres lebhaften, feinen, leuchtenden Kopfes mit dem Goldhaar zum ernsten Schwarz des Kleides.

So erschien sie am nächsten Tage mit ihrem Mann, und die folgenden mit dem Töchterchen, das man an einen Tisch setzte mit einem Haufen Bilderbücher darauf.

Olivier Bertin war wie gewöhnlich sehr zurückhaltend. Den Damen der Gesellschaft gegenüber war er verlegen: er kannte sie zu wenig. Er glaubte, sie wären gerissen und albern, scheinheilig und gefährlich, unbedeutend und unbequem zugleich. Bei den Damen der Halbwelt hatte er dank seiner Berühmtheit, seiner Unterhaltungsgabe sowie kräftigen, eleganten Gestalt, seinem energischen, männlichen Gesicht leichte Siege gehabt.

So zog er sie vor. Und da er an den leichten, lustigen Ton der Ateliers und der Theaterwelt, in der er verkehrte, gewöhnt war, so mochte er die ungezwungene Art und Unterhaltung mit ihnen gern. In Gesellschaft ging er seines Renommees wegen, aber nicht etwa, weil es ihm Spaß gemacht hätte; dort verkehrte er aus Eitelkeit, man schmeichelte ihm, er bekam Bestellungen und spielte sich vor den schönen Damen auf, die ihm Liebenswürdigkeiten sagten, machte ihnen jedoch nicht den Hof. Da er sich aber im Gespräch mit ihnen niemals Zweideutigkeiten und Gewagtheiten erlaubte, so hielt er sie für dumm, und man fand, er habe sehr gute Manieren. Jedesmal, wenn sich eine bei ihm malen ließ, hatte er trotz aller Liebenswürdigkeit, die sie aufgewendet, ihm zu gefallen, immer das Gefühl, verschiedener Race, das Künstler und Gesellschaftsmenschen verhindert, einander nahe zu kommen, wenn sie auch miteinander verkehren. Hinter dem Lächeln und der Bewunderung, die bei den Damen immer etwas gemacht ist, erriet er eine unbestimmte Zurückhaltung, wie sie ein Mensch zeigt, der sich mehr dünkt als ein andrer. Das hatte bei ihm eine Art Stolz zur Folge, ein respektvolleres Vernehmen, beinahe von oben herab, neben der versteckten Eitelkeit des Emporkömmlings, der von Prinzen und Prinzessinnen als ihresgleichen behandelt wird, der Stolz des Mannes, der seinem Können die Stellung verdankt, welche andere nur durch die Geburt erlangt haben. Man sagte von ihm, fast wie erstaunt: »Er hat famose Manieren.« Dieses Erstaunen, das ihm schmeichelte, verletzte ihn zu gleicher Zeit, denn es zeigte ihm eine Scheidewand zwischen ihnen.

Der förmliche und beabsichtigte Ernst des Malers störte Gräfin Guilleroy ein wenig, die nicht wußte, was sie mit diesem zurückhaltenden Manne sprechen sollte, der doch für geistreich galt.

Nachdem sie ihre kleine Tochter untergebracht, nahm sie selbst auf einem Stuhle Platz neben der begonnenen Studie und gab sich Mühe, nach dem Wunsche des Künstlers ihren Zügen Leben zu verleihen.

Als sie mitten in der vierten Sitzung waren, hörte er plötzlich auf zu malen und fragte:

– Was macht Ihnen am meisten Spaß?

Sie war verlegen:

– Ja, ich weiß nicht, warum fragen Sie das?

– Ich brauche einen glücklichen Ausdruck in Ihren Augen, und den habe ich bis jetzt noch nicht gesehen.

– Nun, bringen Sie mich zum Sprechen, ich schwatze gern.

– Sind Sie heiter?

– Sehr heiter.

– Gut, so wollen wir uns unterhalten, Frau Gräfin.

Dieses »unterhalten, Frau Gräfin,« hatte er in ganz ernstem Tone gesagt, dann ging er wieder an die Arbeit, begann einige Themata und suchte einen Berührungspunkt zwischen ihnen. Sie fingen an, ihre Beobachtungen über gemeinsame Bekannte auszutauschen, dann sprachen sie von sich selbst, was doch immer der angenehmste und anziehendste Stoff ist.

Am nächsten Tage fühlten sie sich ungezwungener, und da Bertin sah, daß er der Gräfin gefiel, fing er an, Geschichten aus seiner Künstlerlaufbahn zu erzählen und tischte Erinnerungen auf in jener phantastischen Art, die er liebte.

Sie, an die gezierte Sprache der Salon-Schriftsteller gewöhnt, war erstaunt über diese etwas verrückte Manier, mit der er offen herausredete und die Dinge beleuchtete.

Sofort antwortete sie im selben Tone mit feiner, kecker Grazie.

Nach acht Tagen hatte sie ihn gewonnen und verführt durch ihre gute Laune, ihre Offenheit und Einfachheit, hatte er sein Vorurteil gegen die Damen der Gesellschaft ganz vergessen und war bereit zu behaupten, nur sie hätten Reiz und Mumm. Während er malend vor der Leinwand stand und wie ein Fechter avancierte und zurückwich, schwatzte er ungezwungen, als ob er diese hübsche, blonde Frau in Schwarz da vor ihm, – halb Sonne, halb Trauer, – die ihm lachend zuhörte und so fröhlich und lebhaft antwortete, daß sie alle Augenblicke aus ihrer Stellung kam, schon lange gekannt hätte. Ab und zu entfernte er sich von ihr, kniff ein Auge zu, beugte sich vor, um sein Modell im ganzen zu erfassen, ab und zu wieder trat er ganz nahe heran, um die kleinsten Züge festzuhalten, den flüchtigsten Ausdruck, und alles auf die Leinwand zu bannen, was mehr in einem Frauenantlitz steckt, als man auf den ersten Blick gewahrt: dieser Ausfluß idealer Schönheit, dieser Widerschein von etwas, das man nicht kennt, der intime, gefährliche Reiz, der einer jeden innewohnt und bewirkt, daß man sich bis zum Wahnsinn verliebt gerade in diese eine und gerade dieser eine in keine andere.

Eines Nachmiitags stellte sich das kleine Mädchen mit ganzem Kinderernst vor die Leinwand und sagte:

– Das ist doch Mama.

Er nahm sie auf den Arm und küßte sie, da ihm diese naive Bestätigung der Ähnlichkeit seines Werkes schmeichelte.

Als sie an einem anderen Tage sehr still war, erklärte sie plötzlich traurig mit leiser Stimme:

– Mama, ich langweile mich!

Und den Maler rührte diese erste Klage dermaßen, daß er folgenden Tages einen ganzen Spielwarenladen in das Atelier bringen ließ.

Das kleine Annchen war sehr erstaunt und zufrieden, und bedachtsam, wie sie immer war, ordnete sie das Spielzeug mit großer Sorgfalt, um eines nach dem anderen, je nachdem sie gerade Lust hatte, vorzunehmen. Von dem Tage ab, wo sie das geschenkt bekommen, liebte sie den Maler auf kindliche Art mit jener tierischen, schmeichelnden Zärtlichkeit, die den Kindern so gut steht und ihnen die Herzen gewinnt.

Die Gräfin fand Geschmack an den Sitzungen, sie hatte diesen Winter nichts vor wegen der Trauer, es fehlten ihr Gesellschaften und Feste, so wurde das Atelier ihre ganze Unterhaltung.

Als Tochter eines sehr reichen und gastfreien Großhändlers, der vor ein paar Jahren gestorben war, und einer immer kranken Mutter, die gesundheitshalber sechs Monate im Jahre das Bett hütete, war sie schon frühzeitig eine vorzügliche Wirtin geworden. Sie verstand zu empfangen, zu lächeln, zu schwatzen, die Leute zu unterhalten, sie wußte was man jedem zu sagen hatte, und klug und schmiegsam fand sie sich im Leben zurecht. Als man ihr Graf Guilleroy als Bräutigam vorstellte, begriff sie gleich, welchen Vorteil diese Ehe für sie haben würde, fand sich sofort darein als vernünftiges Mädchen, das genau weiß, daß man nicht alles haben kann und in jeder Lebenslage die Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen muß.

Als sie in die Gesellschaft trat, wurde sie sehr gut aufgenommen, weil sie hübsch war und geistreich. Ihr wurde sehr der Hof gemacht, aber sie verlor niemals ihr Herz, das kühl blieb wie ihr Kopf.

Und doch war sie kokett, aber von einer gewissen herausfordernden, gleichzeitig vorsichtigen Koketterie, die nie zu weit ging. Die Artigkeiten, die man ihr sagte, machten ihr Spaß, die Wünsche, die sie erweckte schmeichelten ihr, solange sie sie ignorieren konnte, und wenn sie einen ganzen Abend durch in Gesellschaft umschmeichelt gewesen, schlief sie still und ruhig, als eine Frau, die ihren Zweck auf Erden erfüllt hat.

Aber dieses Leben, das nun schon sieben Jahre so dauerte, ohne sie zu ermüden oder zu langweilen, denn sie liebte das Hin und Her der Gesellschaft, ließ sie dennoch manchmal anderes wünschen.

Die Herren ihrer Umgebung, politisierende Advokaten, Finanz- oder beschäftigungslose Klubmänner machten ihr Spaß wie Schauspieler. Sie nahm sie nicht recht ernst, wenn sie auch bei ihnen Stellung, Amt und Titel schätzte.

Zuerst gefiel ihr der Maler durch all das Neue, das er ihr zuführte. Sie unterhielt sich ausgezeichnet im Atelier, lachte nach Herzenslust, fand sich geistreich und war ihm dankbar für das Amüsement, das die Sitzungen ihr brachten. Er gefiel ihr auch, weil er schön, stark und berühmt war. Was die Frauen auch sagen mögen, keine ist für körperliche Schönheit und Berühmtheit unzugänglich. Es schmeichelte ihr, von diesem Kenner bemerkt worden zu sein, und sie war sehr geneigt, ihn auch ihrerseits nach ihrem Geschmack zu finden. Sie hatte bei ihm einen regen gebildeten Geist gefunden, Zartgefühl, Phantasie und eine bilderreiche Sprache, die sofort klar machte, was er sagen wollte.

Schnell kam es zwischen ihnen zu Intimität, und in den Händedruck, jedesmal wenn sie das Atelier besuchte, ging täglich etwas mehr von ihrem Herzen über.

So fühlte sie in sich ohne Berechnung, ohne bestimmte Absicht, den Wunsch, ihn zu gewinnen, und dem gab sie auch nach. Sie hatte keinen Plan, sie ging nicht bewußt vor, sie war nur kokett und liebenswürdig gegen ihn, wie unwillkürlich gegen einen Mann, der einem mehr als andere gefällt. In ihr ganzes Benehmen gegen ihn, ihre Blicke, ihr Lächeln legte sie jene Verführungskunst, welche jede entwickelt, in der der Wunsch erwacht, geliebt zu werden.

Sie sagte ihm Artigkeiten, die so viel bedeuteten wie: »Sie gefallen mir,« und ließ ihn lange sprechen, um ihm durch ihr aufmerksames Zuhören zu beweisen, wie sehr er sie interessierte; er hörte auf zu malen, setzte sich neben sie, und in jener erhöhten Stimmung, die der Wunsch zu gefallen hervorzaubert, war er manchmal poetisch, humoristisch oder philosophisch, je nach dem Tage.

Es machte ihr Spaß, wenn er heiter war; wenn er ernstere Gespräche führte, versuchte sie, seinen Gedankengängen zu folgen, ohne daß es ihr immer gelang; und wenn sie dann an andere Dinge dachte, schien sie ihm doch zuzuhören, und sie that so, als verstehe sie ihn vollkommen und habe einen großen Genuß an seinen Worten, sodaß es ihn glücklich machte, sie so lauschen zu sehen, und er ganz gerührt war, eine zarte, mitfühlende, gelehrige Seele gefunden zu haben, in die seine Gedanken fielen wie ein Samenkorn.

Das Bild machte Fortschritte. Es schien sehr gut zu werden, denn der Maler war in der nötigen Erregung, alle Vorzüge seines Modells herauszufinden und sie nun mit jener feurigen Überzeugung wiederzugeben, die den wahren Künstler kennzeichnet.

Er neigte sich zu ihr, bespähte jeden wechselnden Zug ihres Antlitzes, jeden Farbenton ihres Fleisches, den Schatten auf ihrer Haut, den Ausdruck, die Durchsichtigkeit der Augen, alle Geheimnisse ihrer Erscheinung, und so hatte er sich vollgesogen mit ihr, wie ein Schwamm mit Wasser; und indem er den ganzen sinnverwirrenden Reiz, den seine Blicke einsogen, auf die Leinwand übertrug, der sich wie ein Strom von seinem Kopf in den Pinsel ergoß, war er wie berauscht, als habe er Frauenliebreiz getrunken.

Sie fühlte, wie er verliebt ward, und das Spiel, der immer sicherer werdende Sieg machte ihr Spaß, sodaß sie selbst dabei Feuer fing.

Ein Neues war in ihr erwacht, gab ihrem Dasein neuen Reiz und machte sie seltsam froh. Wenn man von ihm sprach, schlug ihr Herz schneller, und sie hatte den Wunsch – einen Wunsch, den sie aber niemals äußerte – ganz laut zu rufen: »Er liebt mich!« Sie war glücklich, wenn man sein Talent lobte, und vielleicht noch glücklicher, wenn man ihn schön fand. Wenn sie an ihn dachte, ganz heimlich im stillen Kämmerlein, meinte sie, an ihm einen wahren guten Freund gewonnen zu haben, der sich stets mit einem freundschaftlichen Händedruck begnügen würde.

Er aber legte oft plötzlich mitten während der Sitzung die Palette auf ein Tischchen, schloß das kleine Annchen in die Arme, küßte sie auf Augen und Haar, während er dabei die Mutter ansah, als wollte er sagen: »Dich küsse ich ja, Dich, nicht das Kind!«

Ab und zu kam die Gräfin ohne ihre Tochter, allein. An solchen Tagen wurde dann kaum gearbeitet, aber desto mehr geschwatzt.

Eines Nachmittags kam sie zu spät. Es war ein kalter Tag, gegen Ende Februar. Olivier war zeitig nach Hause zurückgekehrt, wie jetzt immer, wenn sie ihm sitzen sollte, denn er hoffte immer, sie würde zu früh kommen. Er wartete auf sie und schritt rauchend auf und nieder, indem er sich fragte – selbst ganz erstaunt, daß sich ihm seit acht Tagen die Frage zum hundertsten Male aufdrängte: »Liebe ich sie?« Er wußte es nicht, denn er hatte noch nie ernstlich geliebt. Er war wohl einmal, sogar lange Zeit hindurch, heftig verschossen gewesen, hatte das aber nie für Liebe angesehen. Heute wunderte er sich über das, was er empfand.

Liebte er sie? Jedenfalls begehrte er sie kaum, da er an die Möglichkeit sie zu besitzen noch nie gedacht. Bisher hatte ihn jedesmal, wenn ihm eine Frau gefallen, die Begierde sofort übermannt, daß er die Hand nach ihr ausstreckte, wie man eine Frucht pflückt, ohne daß seine Seele durch ihre Ab- oder Anwesenheit jemals aus dem Gleichgewicht gebracht worden war.

Der Wunsch, diese zu besitzen, hatte ihn kaum gestreift und schien sich hinter einem anderen, stärkeren, dunkleren, kaum erwachten Gefühl zu verbergen.

Olivier hatte gedacht, daß die Liebe beginnen müsse mit Träumen und poetischer Begeisterung, das was er aber empfand, schien ihm im Gegenteil einem undeutbaren, mehr körperlichen als seelischen Zustand zu entspringen. Er war nervös, fiebernd, unruhig, wie vor dem Ausbruch einer Krankheit, und doch mischte sich mit diesem fiebrigen Blut, das sich wie durch Ansteckung auch auf seine Gedanken übertrug, nichts Schmerzhaftes. Er wußte wohl, daß diese Erregung durch Gräfin Guilleroy verursacht ward, durch das Denken an sie und das Warten auf ihr Kommen.

Er fühlte sich nicht durch alle Pulse zu ihr hingetrieben, aber er empfand immer ihre Gegenwart, als ob sie nie von ihm gegangen wäre. Wenn sie fortging, ließ sie ihm etwas von sich zurück, etwas Zartes, Unaussprechliches. Wie? War das Liebe? Nun stieg er in sein eigenes Herz hinab, zu sehen und zu begreifen, was es sei. Er fand sie reizend, aber sie entsprach nicht dem idealen Bilde, das seine Sehnsucht erträumt. Jeder, der die Liebe ersehnt, malt sich die geistigen Gaben und körperlichen Reize der Frau aus, die ihn in Fesseln schlagen soll, und wenn Gräfin Guilleroy ihm auch unendlich gefiel, so schien sie ihm doch dieses Geschöpf seiner Phantasie nicht zu sein.

Aber warum beschäftigte er sich mehr mit ihr als mit andern, ganz anders und unablässig?

Hatte er sich einfach in den Fallstricken ihrer Koketterie gefangen, die er schon längst gefühlt und geahnt hatte? Und erlag er etwa dem faszinierenden Einfluß, den der Wunsch, einer Frau zu gefallen, ausübt?

Er ging hin und her, setzte sich, stand wieder auf, zündete sich Cigaretten an, warf sie wieder fort, und alle Augenblicke sah er nach dem Zeiger der Wanduhr, der langsam, fast unbeweglich sich der bestimmten Stunde näherte.

Ein paar Mal schon war er daran gewesen, das runde Deckglas aufzuknipsen über den beiden goldenen Zeigern, und mit der Fingerspitze den großen bis an die Stunde vorzuschieben, der er sich so träge näherte.

Er meinte, das müsse genügen, damit sich die Thür öffne und die Erwartete, durch diese List betrogen und herbeigerufen, einträte. Dann hatte er angefangen, selbst zu lächeln über solch unvernünftige Idee.

Endlich fragte er sich: »Ob ich wohl ihr Geliebter werden könnte?«

Der Gedanke erschien ihm sonderbar, kaum möglich, kaum denkbar, schon wegen der Schwierigkeiten, die das in sein Leben tragen würde.

Und doch gefiel ihm diese Frau sehr, und er schloß damit, sich zu sagen: »Ich muß doch jetzt in einem merkwürdigen Zustande sein.«

Die Uhr schlug, und bei dem Geräusch schreckte er zusammen, es traf mehr seine Nerven als seine Seele. Er erwartete sie mit jener Ungeduld, die durch die Verzögerung steigt von Sekunde zu Sekunde. Sie war immer pünktlich, also mußte sie binnen zehn Minuten erscheinen. Als diese Zeit um war, fühlte er sich in einem Zustande, als stünde ihm ein großes Unglück bevor. Dann ward er ganz erregt, daß sie ihn warten ließ, und hatte das Gefühl, er würde verrückt werden, wenn sie nicht sofort käme. Was sollte er thun? Er mußte sie erwarten, nein, er wollte ausgehen, damit, wenn sie etwa sehr zu spät käme, sie niemanden mehr im Atelier fände.

Er wollte ausgehen, aber wann? Wie viel Frist sollte er ihr noch gönnen? War es nicht doch besser zu bleiben? Um ihr mit ein paar kalten, höflichen Worten begreiflich zu machen, daß man ihn nicht warten ließ.

Und wenn sie nun gar nicht kam?

Dann würde er ein Telegramm bekommen, eine Karte, der Diener oder ein Dienstmann würde geschickt. Was sollte er anfangen, wenn sie nicht kam? Das war ein verlorener Tag, arbeiten konnte er nicht mehr, und dann? . . . Dann würde er zu ihr gehen, denn er mußte sie sehen.

Ja, er mußte sie sehen, er hatte eine tiefe, quälende Sehnsucht nach ihr. Was bedeutete das? Liebe? Aber er fühlte gar keine Begeisterung weiter, kein Drängen der Sinne; kein seliges Träumen, bei dem er sich gestand, daß es ihm Kummer bereiten würde, wenn sie nicht käme.

Die Glocke der Hausthür klang auf der kleinen Treppe des Hauses, und Olivier Bertin war plötzlich ganz erregt, dann so glückselig, daß er einen Luftsprung that, indem er seine Cigarette fort warf.

Sie trat ein, sie war allein.

Er kam sofort auf einen kühnen Gedanken:

– Wissen Sie, was ich mich gefragt habe, als ich eben auf Sie wartete?

– Nein, das weiß ich nicht.

– Ich fragte mich, ob ich nicht in Sie verliebt bin.

– Ich mich verliebt? Sind Sie verrückt?

Aber sie lächelte dabei, und ihr Lächeln schien zu sagen: »Das ist nett, das hab ich gern.«

Sie meinte:

– Sie reden ja nicht im Ernst; warum machen Sie solche Späße?

Er antwortete:

– Bitte, es ist mein voller Ernst, ich sage Ihnen nicht, daß ich Sie liebe, aber ich frage mich, ob ich nicht auf dem besten Wege dazu bin?

– Wie kommen Sie darauf?

– Weil ich unruhig bin, wenn Sie nicht da sind, und glücklich, wenn Sie kommen.

Sie setzte sich:

– Ach, beunruhigen Sie sich nicht um so eine Kleinigkeit. So lange Schlaf und Appetit normal sind, ist weiter keine Gefahr.

Er fing an, zu lachen:

– Und wenn ich Schlaf und Appetit verliere?

– Dann sagen Sie es mir.

– Und dann?

– Dann gebe ich Ihnen Ruhe, daß Sie sich auskurieren.

– Danke schön!

Und über das Thema dieser Liebe stritten sie sich den ganzen Nachmittag hin und her. Die nächsten Tage wieder. Dann fragte sie ihn jedesmal, wenn sie eintrat, guter Laune, indem sie die Sache als geistreichen, nicht ernst zu nehmenden Scherz ansah:

– Wie steht es heute mit Ihrer Liebe?

Und er setzte ihr ganz ernsthaft in leichtem Ton auseinander, welche Fortschritte sein Leiden gemacht, alles was fortwährend innerlich in ihm gearbeitet, seine ganze Liebe, wie sie kam und wuchs. Peinlich genau gab er ihr Stunde um Stunde an, wie ihm seit der Trennung am Tage vorher zu Mute gewesen, so wie ein Professor, der eine Vorlesung darüber hält. Sie hörte ihm mit Interesse zu, etwas bewegt und auch verlegen wegen dieser Geschichte, die sich wie ein Roman ausnahm, dessen Heldin sie war.

Wenn er auf galante und leichte Art allen Kummer, der ihn bedrückte, ausgeschüttet, so begann manchmal seine Stimme, wenn er durch ein Wort, oder sogar nur durch einen Ton, sein Herzeleid offenbarte, zu beben.

Und immer fragte sie ihn wieder zitternd vor Neugierde, die Blicke auf ihn gerichtet, gespannt lauschend auf all diese Dinge, die ein wenig peinlich waren zu hören und doch so süß klangen.

Ab und zu versuchte er, wenn er herantrat, um ihre Haltung zu korrigieren und dabei ihre Hand berührte, diese zu küssen.

Mit hastiger Bewegung zog sie die Finger von seinen Lippen, runzelte ein wenig die Augenbrauen und rief:

– Vorwärts, vorwärts an die Arbeit.

Er machte sich wieder an die Arbeit, aber noch waren nicht fünf Minuten vergangen, daß sie ihm schon wieder irgend eine Frage stellte, die ihn geschickt zum einzigen Thema zurückführte, das sie doch allein interessierte.

Jetzt stiegen allerlei Befürchtungen in ihrem Herzen auf. Sie wollte geliebt sein, aber nicht zu sehr, sie fühlte sich ihrer selbst sicher und fürchtete, er möchte zu heftig Feuer fangen und sie ihn verlieren, weil sie ihn abweisen mußte, nachdem sie ihn scheinbar an sich gezogen. Wenn sie aber ganz auf diese zarte Freundschaft, auf dieses immer leise dahinfließende Gespräch, das wie ein Bach in seinem Bette Goldkörner mit sich führt, auf seinen Wellen Liebeskörner dahertrug, hätte verzichten sollen, so wäre ihr das ein tiefer Schmerz gewesen, ein Kummer, als zerrisse ihr Herz.

Wenn sie ihr Haus verließ, um in das Atelier des Malers zu gehen, so überrann sie glühende Freude, und sie fühlte sich leicht und glücklich. Wenn sie klingelte an Oliviers Haus, klopfte ihr Herz vor Ungeduld, und auf dem Treppenläufer schritt sie dahin, wie auf weichem Sammet.

Doch Bertin war ernst, etwas nervös, und manchmal war er gereizt. Er wurde ungeduldig, beherrschte sich zwar gleich wieder, aber das kam doch jetzt oft. Als sie eines Tages erschien, setzte er sich neben sie und begann, statt zu malen:

– Gräfin, Sie müssen jetzt wissen, daß es kein Scherz mehr ist zwischen uns. Ich liebe Sie wahnsinnig.

Diese Einleitungsworte setzten sie in Verlegenheit, sie sah den befürchteten Augenblick nahen und versuchte, ihn zu unterbrechen, aber er hörte nicht mehr auf sie; die Erregung nahm sie ganz gefangen, und zitternd, bleich, voller Angst mußte sie ihn anhören. Er redete lange, ohne etwas zu fordern, zärtlich, traurig, mit verzweifelter Resignation. Sie duldete es, daß er ihre Hände in die seinen nahm und sie behielt. Ohne daß sie darauf geachtet, war er niedergekniet und wie mit irrem Blick flehte er sie an, ihm nicht weh zu thun. Welches Weh? Sie faßte es nicht und versuchte nicht, es zu fassen, schmerzlich bewegt ihn leiden zu sehen. Und dieser Schmerz kam ihr fast wie ein Glück. Plötzlich sah sie Thränen in seinen Augen und war davon so bewegt, daß sie ein oh! ausstieß, und beinahe die Arme um ihn geschlungen hätte, wie man ein weinendes Kind tröstet. Er sagte mit weicher Stimme: »Ach, ach, ich leide so sehr.« Und plötzlich machte sie sein Schmerz ganz weich, sein Schmerz und seine Thränen. Sie schluchzte nervös, und ihre Arme zitterten, bereit ihn zu empfangen.

Sie fühlte sich plötzlich von ihm umschlungen und leidenschaftlich auf den Mund geküßt. Sie wollte schreien, dagegen ankämpfen, ihn zurückstoßen, aber sie meinte, dennoch verloren zu sein, denn in ihrem Widerstand drängte sie zu ihm, in ihrer Abwehr neigte sie ihm zu, sie umschloß ihn und rief doch dabei: »Nein, nein, ich will nicht.« Nun war sie wie von Sinnen, verbarg ihr Gesicht in den Händen, sprang plötzlich auf, nahm ihren Hut, der zu Boden gefallen war, setzte ihn auf und entfloh trotz Oliviers Bitten, der sie am Kleide zurückhielt.

Als sie auf der Straße stand, hätte sie sich am liebsten gleich aufs Trottoir gesetzt, ihre Kniee wankten, sie fühlte sich wie zerschlagen. Eine Droschke kam vorüber, sie rief sie an und sagte zum Kutscher:

– Fahren Sie mich langsam spazieren, wohin Sie wollen.

Sie warf sich in die Polster, schlug die Thür zu, schmiegte sich in eine Ecke, nun, wo sie sich hinter den geschlossenen Fenstern allein fühlte, allein mit ihren Gedanken. Während einiger Minuten hörte sie nur den Lärm der Räder und fühlte die Stöße des Wagens. Sie starrte, ohne etwas zu sehen, auf die Häuser, die Leute auf der Straße, in den Wagen, sie dachte an nichts, als müßte sie erst Zeit gewinnen, eine Frist, ehe sie wagte, an das zu denken, was geschehen. Dann sagte sie sich, da sie gewöhnt war, den Dingen ins Gesicht zu blicken: »So, nun bin ich verloren.« Und noch ein paar Minuten lang war sie wie gelähmt durch die Gewißheit, daß es nicht mehr gut zu machen sei, in starrem Entsetzen, wie einer, der vom Dache gefallen ist und sich nicht zu bewegen wagt, weil er ahnt, daß er die Glieder gebrochen hat, aber sich fürchtet, die Gewißheit davon zu bekommen.

Doch statt unter dem Schmerz, den sie nahen fühlte und vor dem sie sich fürchtete, zusammen zu brechen, blieb ihr Herz jetzt ruhig und gefaßt. Es schlug leise und langsam nach dem Unglück, das ihre Seele gepackt, und schien an der Verstörtheit ihres Geistes nicht teilzunehmen.

Laut wiederholte sie sich, als wollte sie es hören, um sich selbst davon ganz zu überzeugen: »So, nun bin ich verloren.« Kein körperlicher Schmerz antwortete als Echo dieser Klage ihres Gewissens.

Eine Zeit lang ließ sie sich von der Droschke hin und her stoßen, und verschob die Überlegung über ihre Lage auf später. Nein, sie litt nicht, sie hatte nur Angst, nachzudenken, Angst, zu wissen, zu verstehen, zu begreifen; sonst schien im Gegenteil in dem rätselhaften dunklen Gefühl, das in uns der unausgesetzte Kampf unserer Wünsche und unserer Neigungen erweckt, eine seltsame Ruhe eingezogen zu sein.

Nachdem sie etwa eine halbe Stunde in dieser eigentümlichen Starrheit der Seele verharrt, sah sie ein, daß der Verzweiflungsausbruch, den sie erwartet, gar nicht eintreten würde, schüttelte die Betäubung, die über sie gekommen, ab und sprach zu sich: »Seltsam, ich bereue eigentlich nicht!«

Da begann sie sich Vorwürfe zu machen, Wut stieg in ihr auf über ihre Blindheit und Schwäche. Wie hatte sie nur das nicht vorhersehen können, nicht ahnen, daß diese Entscheidungsstunde einmal kommen würde, daß dieser Mann ihr zu sehr gefiel, um ihm gegenüber stark zu bleiben, und daß in den reinsten Herzen manchmal Wünsche aufsteigen können, vor denen wie vor einem plötzlichen Windstoß alle Willenskraft wie weggeblasen ist.

Aber nachdem sie sich heftige Vorwürfe gemacht und sich verwünscht hatte, fragte sie sich voller Schrecken, was nun geschehen sollte.

Ihr erster Gedanke war, mit dem Maler zu brechen und ihn niemals wieder zu sehen.

Sie hatte kaum diesen Entschluß gefaßt, als sie schon tausend Gründe dagegen fand.

Wie sollte sie den Bruch erklären, was ihrem Manne sagen? Würde man nicht die Wahrheit ahnen, darüber schwätzen und sie überall herumtragen?

War es nicht besser, um den Schein zu wahren, Olivier Bertin gegenüber selbst die Komödie von Gleichgiltigkeit und Vergessen zu spielen und ihm zu zeigen, daß sie diese Minute aus ihrem Gedächtnis und aus ihrem Leben gestrichen habe.

Aber würde sie das können, würde sie es wagen, so zu thun, als hätte sie alles vergessen? Ihn mit empörtem Erstaunen ansehen, als wollte sie sagen: was willst du von mir? Diesen Mann, dessen jähen Leidenschaftsausbruch sie geteilt.

Sie überlegte lange, entschloß sich aber trotzdem dazu, da ihr kein anderer Ausweg möglich erschien. Morgen wollte sie ihn mutig aufsuchen und ihm zu verstehen geben, was sie von ihm wünschte, von ihm verlangte. Nie sollte irgend eine Anspielung, Wort oder Blick ihr den Augenblick der Schande wieder ins Gedächtnis rufen.

Nachdem er den Schmerz überwunden, denn darunter leiden würde auch er, würde er sich gewiß damit abfinden, als Mann von guter Erziehung und Gentleman, und später würde er dann genau so sein wie bisher.

Sobald sie diesen neuen Entschluß gefaßt hatte, gab sie dem Kutscher ihre Wohnung an und kehrte ganz gebrochen nach Hause zurück mit dem Wunsch, sich hinzulegen, keinen Menschen zu sehen, zu schlafen und zu vergessen.

Sie schloß sich in ihrem Zimmer ein und blieb bis zum Essen im Halbschlummer auf der Chaiselongue liegen. Sie wollte nicht mehr an all diese gefährlichen Dinge denken.

Pünktlich kam sie zu Tisch, selbst ganz erstaunt über ihre Ruhe, und erwartete ihren Mann mit einem Gesicht wie immer.

Da erschien er, ihre kleine Tochter auf dem Arm, sie gab ihm die Hand und küßte das Kind ohne irgend eine Erregung. Graf Guilleroy fragte, was sie gethan. Sie antwortete gleichmütig, sie habe wie täglich eine Sitzung gehabt.

– Ist denn das Bild gut? fragte er.

– Es wird sehr gut.

Nun sprach er seinerseits von seinen Angelegenheiten, von denen er gern bei Tisch erzählte: von der Kammersitzung und Debatte über den Gesetzentwurf gegen die Nahrungsmittelverfälschung. Dies Gewäsch, das sie sonst ruhig anhörte, ärgerte sie heute, und sie ward gewahr, welch gewöhnlicher Schwätzer der sein mußte, den so etwas interessierte. Doch lächelnd hörte sie ihm zu, antwortete liebenswürdig, sogar artiger als sonst, aufmerksamer auf sein Gerede hörend. Sie blickte ihn an und dachte: »Ich habe ihn betrogen, und es ist mein Mann! Ist das nicht eigen? Das ist nicht mehr ungeschehen zu machen, das kann nichts mehr auslöschen. Ich habe die Augen zugedrückt ein paar Sekunden lang, nur ein paar Sekunden habe ich einem Manne angehört, und bin keine anständige Frau mehr. Ein paar Augenblicke meines Lebens, ein paar Augenblicke, die nicht mehr zu beseitigen sind, haben für mich dies kleine, nicht gut zu machende Geschehnis gebracht, so schwer, so kurz, ein Verbrechen, das schimpflichste für eine Frau . . . . . . und ich empfinde keine Verzweiflung! Wenn man mir das gestern gesagt hätte, hätte ich es nicht geglaubt. Wenn man es mir versichert hätte, so würde ich gleich an die fürchterlichen Gewissensbisse gedacht haben, die mir heute das Herz zerreißen müßten. Und ich habe keine, beinahe keine.«

Graf Guilleroy ging nach Tisch aus, wie fast jeden Tag.

Da nahm sie ihr kleines Mädchen auf den Schoß und küßte es unter Thränen; sie weinte aufrichtige Thränen, Thränen, die ihr das Gewissen, nicht ihr Herz in die Augen trieb.

Aber sie konnte nicht schlafen.

In der Dunkelheit ihres Zimmers quälte sie doppelt der Gedanke an die Gefahr, die ihr durch das Benehmen des Malers drohen konnte, und sie begann sich vor der Begegnung am nächsten Tage und vor allem, was sie ihm Auge in Auge sagen mußte, zu fürchten.

Sie stand zeitig auf und blieb den ganzen Morgen auf der Chaiselongue sitzen, indem sie sich bemühte, was ihr bevorstand, was sie antworten mußte, sich vorher klar zu machen, um auf alles gefaßt zu sein.

Zeitig ging sie aus, um noch unterwegs darüber nachzudenken.

Er erwartete sie nicht und fragte sich seit gestern, was er wohl thun sollte, wenn er ihr gegenüber stünde.

Nachdem sie fort war, nach ihrer Flucht, der er sich nicht zu wiedersetzen gewagt, war er allein geblieben, und obgleich sie längst gegangen war, klang ihm noch der Schall ihrer Schritte, das Rauschen ihres Kleides, das Zuschlagen der Thür, die eine verzweifelte Hand hinter sich zugeworfen, in den Ohren.

Aufrecht blieb er stehen, voll glühender, tiefer, unsäglicher Freude. Jetzt besaß er sie. Das war zwischen ihnen geschehen. War das nur möglich? Nach der Überraschung des Triumphes genoß er ihn nun in vollen Zügen, und er setzte sich und streckte sich beinahe aus auf dem Divan, wo er sie bezwungen.

Lange blieb er in dieser Stellung, immer mit dem Gedanken beschäftigt, daß sie seine Geliebte gewesen, und daß zwischen dieser Frau, die er so begehrt, und ihm sich in wenigen Augenblicken das wundersame Band geknüpft hatte, das im Geheimen zwei Wesen mit einander verbindet.

Er hatte in seinen noch zitternden Nerven das deutliche Gefühl des flüchtigen Momentes, in dem ihre Lippen sich begegnet, jenes Momentes, wo ihre Seelen und Körper ineinanderflossen, sie gemeinsam unter dem großen Schauer des Lebens erzitterten.

An jenem Abend ging er nicht aus, und noch ganz erfüllt von seinem Glück, legte er sich zeitig schlafen.

Kaum war er am anderen Morgen erwacht, so fragte er sich, was er thun sollte. Einer Cocotte, einer Schauspielerin, würde er Blumen geschickt haben oder sogar ein Schmuckstück, aber die Neuheit der Situation peinigte ihn. Schreiben mußte er jedenfalls. Doch was? Er warf etwas hin, verbesserte es, zerriß es, begann von neuem zwanzig Briefe, aber alle schienen ihm beleidigend, unmöglich, lächerlich.

Er wollte in zarten, bezwingenden Worten die tiefe Dankbarkeit seiner Seele ausdrücken, seine wahnsinnige Liebe, seine Ergebenheit bis zum Tode. Aber er fand statt der Flammenworte der Leidenschaft nur Phrasen, Gemeinplätze, grobe, kindische, banale Redensarten. Er gab also den Gedanken auf, zu schreiben, und wollte sie aufsuchen, sobald die Stunde für die Sitzung verstrichen war, denn er glaubte bestimmt, daß sie nicht kommen würde.

Er schloß sich also im Atelier ein, schwärmte vor dem Bilde und hätte am liebsten die Lippen auf die Leinwand gepreßt, auf die ein Teil ihrer selbst gebannt war. Ab und zu blickte er durch das Fenster auf die Straße, jedes Kleid, das er in der Ferne entdeckte, machte ihm Herzklopfen. Zwanzig Mal meinte er sie zu erkennen, wenn dann aber die Dame, die er gesehen, vorüber war, setzte er sich einen Augenblick ganz ermattet, wie nach einer Enttäuschung.

Plötzlich entdeckte er sie, zweifelte, nahm sein Opernglas, erkannte sie und setzte sich, auf das heftigste bewegt, um sie zu erwarten.

Sobald sie eintrat, warf er sich auf die Kniee und wollte ihre Hand ergreifen. Aber sie zog sie schnell zurück, und wie er ihr zu Füßen knieen blieb, angstvoll die Blicke auf sie gerichtet, sagte sie stolz:

– Bitte, was thun Sie denn? Ich weiß nicht, was das soll!

Er stammelte:

– Gräfin, ich bitte Sie!

Sie unterbrach ihn hart:

– Stehen Sie auf, das ist lächerlich!

Erschrocken erhob er sich und murmelte:

– Was haben Sie denn? Behandeln Sie mich doch nicht so. Ich liebe Sie doch!

Da setzte sie ihm mit ein paar trockenen, kurzen Worten auseinander, wie sie ihr gegenseitiges Verhältnis wünsche:

– Ich weiß nicht was Sie eigentlich wollen. Sprechen Sie niemals von Ihrer Liebe, sonst verlasse ich das Atelier und komme nie wieder. Wenn Sie diese Bedingung, unter der ich nur hier bleibe, ein einziges Mal außer Acht lassen, sehen Sie mich nie wieder.

Er blickte sie an, ganz erschrocken über die Härte, die er nicht geahnt. Dann begriff er und flüsterte:

– Ich gehorche, Gräfin.

Sie antwortete:

– Gut, das habe ich erwartet. Und nun an die Arbeit, denn Sie malen recht lange an dem Bild.

Er nahm also seine Palette und fing an zu malen, aber seine Hand zitterte und sein unruhiger Blick sah nichts. Er war den Thränen nahe, so unglücklich fühlte er sich.

Er versuchte mit ihr zu sprechen. Sie antwortete kaum. Als er ihr eine Artigkeit über ihren Teint sagen wollte, unterbrach sie ihn so schneidend, daß er plötzlich einen jener Wutanfälle Verliebter bekam, die die Liebe beinahe in Haß wandeln. Über Seele und Leib lief ihm ein nervöses Zucken, und ohne Übergang meinte er sie plötzlich zu hassen. Ja, ja, das war die rechte Frau! Sie war wie die andern. Auch sie! Und warum nicht? Sie war falsch, unbeständig und schwach wie alle. Sie hatte ihn zu sich gezogen, ihn mit den Ränken einer Dirne in Fesseln geschlagen, sie suchte ihn wahnsinnig zu machen, ohne ihm etwas zu gewähren, ihn zu reizen, um nein zu sagen. Sie wandte gegen ihn alle Manöver feiger Koketterie an, immer entgegenkommend bis zum äußersten, bis der Mann endlich, wie die Hunde auf der Straße, vor Begierde lechzte.

Aber mochte sie sein, wie sie wollte, er hatte sie besessen. Sie konnte ihren Leib waschen und ihm unverschämt antworten, sie wischte damit nichts fort, und er würde sie vergessen. Es wäre auch wirklich zu dumm, sich um eine solche Geliebte zu grämen, die sein Künstlerleben zerfressen haben würde mit den niedlichen Zähnen einer launenhaften Dame.

Er hätte gern angefangen zu pfeifen, wie er es in Gegenwart seiner Modelle zu thun pflegte, aber da er fühlte, daß seine Nervosität wuchs und wuchs und er fürchtete, irgend eine Dummheit zu machen, kürzte er die Sitzung ab, unter dem Vorwande, daß er eine Verabredung habe. Als sie sich bei der Trennung Adieu sagten, meinten sie gewiß beide ferner von einander zu stehen, als an jenem Tage, wo sie sich zum ersten Male bei der Herzogin von Mortemain getroffen.

Sobald sie fort war, nahm er Hut und Überzieher und ging aus. Kalt schien die Sonne vom blauen, nebligen Himmel herab und warf auf die Stadt ihr bleiches, falsches, trauriges Licht.

Als er einige Zeit so seines Weges gegangen war, schnellen und erregten Schrittes, die Leute anrempelnd, um nicht von der geraden Linie abzuweichen, sank seine furchtbare Wut gegen sie zu Verzweiflung und Bedauern zusammen. Nachdem er sich noch einmal alles klar gemacht, was er ihr vorwarf, kam ihm, als andere Damen vorübergingen, plötzlich wieder die Erinnerung, wie hübsch und verführerisch sie doch eigentlich war. Wie so viele andere, die es nur nicht eingestehen, hatte er immer auf jene seltene Begegnung gewartet, auf die einzige, ideale, leidenschaftliche Liebe, nach der wir uns alle im tiefsten Grunde unseres Herzens sehnen. Hatte er sie nicht beinahe gefunden? Hatte sie ihm nicht jenes fast unmögliche Glück gegeben? Warum wird nichts zur Wirklichkeit, warum erreichen wir nichts von allem, wonach wir jagen? Warum nur immer Bruchstücke, die die Jagd nach dem Glück nur schmerzlicher gestalten?

Der jungen Frau zürnte er nicht mehr, sondern dem Dasein. Wenn er sich nun recht überlegte, warum sollte er ihr zürnen? Was konnte er ihr eigentlich vorwerfen? Daß sie liebenswürdig, gut und hingebend gegen ihn gewesen, – während sie finden durfte, daß er sich wie ein Rüpel benommen.

Tieftraurig kehrte er heim. Er wollte sie um Verzeihung bitten, sich ihr opfern, alles für sie thun, auf daß sie vergaß. Und er überlegte sich, was er wohl thun könnte, um ihr begreiflich zu machen, daß er trotz allem bis zum Tode ihr Sklave bliebe.

Da kam sie am folgenden Tage mit ihrer Tochter, mit so unsäglich traurigem Lächeln, so betrübt, daß der Maler meinte, in ihren armen, blauen Augen, die bisher so heiter gelacht, allen Schmerz, alle Gewissensbisse, die ganze Verzweiflung dieses Frauenherzens lesen zu können. Er ward von Mitleid bewegt und, damit sie vergessen sollte, war er von zarter Rücksicht für sie, so zuvorkommend, als nur möglich. Sie hingegen war weich, gütig, müde und gebrochen, wie eine Frau die leidet.

Und als er sie ansah, wahnsinnige Sehnsucht im Herzen, sie zu lieben und von ihr geliebt zu sein, fragte er sich, wie es kam, daß sie nicht mehr böse war, wie es möglich sei, daß sie wiedergekommen, daß sie zuhörte was er sprach und ihm antwortete, während doch diese Erinnerung zwischen ihnen stand.

Wenn sie ihn wiedersehen, seine Stimme hören und in dem einzigen Gedanken, der immer wiederkehren mußte, seine Gegenwart ertragen konnte, dann mußte ihr dieser Gedanke doch nicht gar so unerträglich geworden sein. Wenn die Frau den Mann, der sie überwunden, haßt, kann sie nicht vor ihm stehen, ohne daß ihr Haß wieder erwacht. Aber dieser Mann kann ihr auch nicht gleichgiltig sein. Sie muß ihn hassen oder ihm verzeihen, und wenn sie vergiebt, ist die Liebe nicht weit.

Während er langsam malte, überlegte er kurz, klar und bestimmt; jetzt fühlte er wieder den Kopf frei, fühlte sich stark und Herr der Situation. Er mußte nur vorsichtig sein, geduldig, sich ganz ihr weihen, und eines Tages war sie doch wieder sein.

Er wußte zu warten. Um sie zu beruhigen, um sie wieder zu gewinnen, gebrauchte auch er nun seine List, verborgene Zärtlichkeit bei scheinbaren Gewissensbissen, zögernde Aufmerksamkeiten und scheinbare Gleichgiltigkeit. Er war ruhig, in der Gewißheit des kommenden Sieges. Was that es, ob es ein wenig früher oder später wurde! Es verursachte ihm sogar eine seltsame raffinierte Freude, sich nicht zu sehr zu übereilen und, als sie immer wieder in Begleitung ihres Kindes erschien, sich zu sagen: »Sie hat Angst!«

Er fühlte, daß zwischen ihnen eine langsame Annäherung stattfand daß in den Augen der Gräfin etwas seltsam Schmerzliches und Süßes lag, jener Ruf einer kämpfenden Seele, eines schwach werdenden Willens, der zu sagen scheint: »So greif doch an!«

Nach einiger Zeit kam sie wieder allein, beruhigt durch seine Zurückhaltung. Da behandelte er sie wie eine Freundin, wie einen Kameraden, erzählte ihr von seinem Leben, seinen Zukunftsplänen, seiner Kunst, als spräche er zu einem Bruder.

Durch seine Hingebung gewonnen, übernahm sie mit Vergnügen die Rolle des Ratgebers, geschmeichelt, daß er sie so vor anderen Frauen bevorzugte, und überzeugt, daß sein Talent durch diese geistige Intimität gewinnen müsse.

Aber bei diesem Um-Rat-fragen und Achtung-erzeigen wuchs sie ganz natürlich von der Ratgeberin zu der Priesterin, die ihm die Ideen einblies. Sie fand es köstlich, Einfluß auf den großen Maler zu gewinnen und fügte sich so ziemlich darein, daß er sie als Künstler liebte, da sie seine Werke inspirierte.

Eines Abends, nach einem langen Gespräch über die Geliebten berühmter Maler, sank sie in seine Arme, und diesmal blieb sie, ohne zu entfliehen, in ihnen ruhen und gab ihm seine Küsse zurück.

Diesmal hatte sie keine Gewissensbisse, nur das unbestimmte Gefühl ihrer Niederlage, und um ihr Gewissen zu beruhigen, begann sie, an eine Fügung zu glauben.

Zu ihm gezogen durch ihr Herz, das unberührt gewesen, durch ihre Seele, die leer gewesen, hing sie sich allmählich an ihn, wie schwache Frauen thun, die zum ersten Mal lieben.

Ihm aber war es ein wilder, sinnlicher und poetischer Liebesrausch.

Er hatte das Bild der Gräfin vollendet, unbedingt das beste Porträt, das er gemalt, denn es war ihm gelungen, jenes Unausdrückbare, das beinahe nie ein Maler entschleiert, jenen Abglanz des geheimnisvollen Seelischen, das Spiegelbild der Seele, das unfaßbar auf einem Menschenantlitz liegt, zu sehen und festzuhalten.

Dann waren Monate vergangen und Jahre, die kaum die Bande gelockert hatten, die die Gräfin Guilleroy mit dem Maler Olivier Bertin vereinten.

Der Liebesrausch der ersten Zeit war es bei ihm nicht mehr, aber eine ruhige tiefe Zuneigung, eine Art Freundschaft der Liebe, die ihm zur zweiten Natur geworden.

Bei ihr dagegen wuchs fortwährend die Leidenschaft, jene unerschütterliche Liebe gewisser Frauen, die einem Manne ganz und für immer angehören. Sie haben eine einzige Liebe, von der sie nichts abbringen kann, und bleiben so auch im Ehebruch anständig und fest, genau so wie sie in der Ehe hätten sein können. Sie lieben den Geliebten nicht bloß, sondern sie wollen ihn lieben. Sie sehen nur ihn, und ihr Herz hat nur Raum für ihn, sodaß nichts Fremdes ihnen mehr nahen kann. Sie haben mit voller Absicht ihr Leben in Fesseln geschlagen, wie einer der schwimmen kann sich die Hände bindet, wenn er sich von einer Brücke ins Wasser stürzt um zu sterben.

Aber von dem Augenblicke ab, wo die Gräfin sich ihm so ganz ergeben, überkam sie Furcht und Zweifel an Olivier Bertins Beständigkeit. Nichts band ihn als sein männlicher Wille, seine Laune, sein vorübergehender Geschmack für eine Frau, der er eines Tages begegnet, wie er so viele andere schon getroffen. Sie fühlte, daß er frei war, leicht zu verführen. Er, der keine Pflichten hatte, keine bestimmten Gewohnheiten, keine Scrupel und Zweifel, wie die Männer alle. Er war ein schöner Mann, berühmt, gesucht, und seinen schnell erwachten Wünschen standen alle Damen der Gesellschaft, deren Tugend so gebrechlich ist, zur Verfügung und alle Damen der Halbwelt und des Theaters, die stolz waren auf Beziehungen mit einem Manne, wie er. An irgend einem Abend, nach einem Souper konnte eine von ihnen ihm folgen, ihm gefallen, ihn erobern und ihn behalten.

Sie liebte also in steter Furcht, ihn zu verlieren, sie bespähte sein Benehmen, seine Bewegungen. Bei dem geringsten Wort erschrak sie, zitterte, wenn er eine andere Frau bewunderte, ein Gesicht hübsch, eine Figur graziös fand.

Alles, was sie aus seinem Leben nicht kannte, machte sie erzittern, und was sie wußte, flößte ihr Entsetzen ein.

Jedesmal, wenn sie ihn sah, erfand sie kunstvoll allerlei, um ihn auszuforschen, ohne daß er es merkte, sein Urteil über die Leute herauszulocken, oder über die Häuser, wo er gegessen, über die geringsten Eindrücke, die er gehabt. Sobald sie glaubte zu erraten, daß jemand Einfluß auf ihn gewonnen, bekämpfte sie diesen mit wunderbarer Geschicklichkeit und unzähligen Mitteln.

Oft ahnte sie jene kurzen Intriguen, die nicht weiter Wurzeln schlagen, die nur acht oder vierzehn Tage dauern und im Leben jedes bekannten Künstlers wiederkehren, vorher.

Sie hatte sozusagen eine Witterung für die Gefahr, sogar ehe sie durch das leuchtendere Auge, die angeregteren Züge eines Mannes, der auf Liebespfaden wandelt, bei Olivier aufmerksam geworden.

Da begann sie zu leiden. Sie schlief nicht mehr, und die Qualen des Zweifels erschienen in ihren Träumen. Plötzlich trat sie bei ihm ein, um ihn zu überraschen, stellte scheinbar gleichgiltige Fragen, forschte, was er dachte, und untersuchte sein Herz, wie man einen Kranken befühlt und befragt, um das verborgene Leiden festzustellen.

Und wenn sie allein war, weinte sie, denn sie war sicher, diesesmal würde man ihn ihr rauben, ihr diese Liebe stehlen, an der sie so innig hing, mit ihrem ganzen Willen, der ganzen Kraft ihrer Leidenschaft, mit allen ihren Hoffnungen und Träumen.

Und wenn er nach diesen kurzen, plötzlichen Seitensprüngen wieder zu ihr zurückkehrte, war es ihr, wenn sie ihn wieder in Besitz nahm, wie etwas Verlorenes und Wiedergefundenes, ein stummes, tiefes Glück, das sie ab und zu, wenn sie an einer Kirche vorüberkam, hineintrieb, um Gott dafür auf den Knieen zu danken.

Der Gedanke, ihm immer zu gefallen, mehr als eine andere, ihn gegen alle zu behaupten, hatte sie dahin geführt, daß ihr ganzes Dasein ein ununterbrochener Kampf der Koketterie wurde. Sie hatte um ihn gekämpft, ohne Unterlaß durch Anmut, Schönheit und Eleganz. Sie wollte, daß er überall, wo man von ihr sprach, ihren Liebreiz, ihren Geschmack, ihren Geist, ihre Toilette rühmen hören sollte. Den andern wollte sie um seinetwillen gefallen und sie gewinnen, damit er stolz wäre und eifersüchtig auf sie. Und jedesmal, wenn sie ahnte, daß er es war, bereitete sie ihm kurze Qualen, um ihn wieder im Triumph zurückzuholen, damit seine Liebe neu entfacht würde durch seine Eitelkeit.

Dann begriff sie, daß ein Mann in der Gesellschaft immer einer Frau begegnen konnte, deren physischer Reiz stärker auf ihn wirkte, da er neu war. Und sie kam auf andere Mittel. Sie schmeichelte ihm und verzog ihn. Auf eine diskrete Art lobte sie ihn unausgesetzt, überschüttete ihn mit Belohnungen, sagte ihm tausend angenehme Dinge, damit er aller andern Freundschaft und sogar Zärtlichkeit doch etwas kalt und ungenügend fände, und wenn andere ihn auch lobten, er endlich einsehen mußte, daß ihn doch keine so verstand, wie sie.

Aus ihrem Haus, aus ihren beiden Salons schuf sie einen Ort, wo sein Künstlerstolz ebenso Genüge fand, wie sein Mannesehrgeiz, der Ort in ganz Paris, wohin er am liebsten kam, weil dort allen seinen Schwächen geschmeichelt ward.

Es gelang ihr nicht nur, in jeder Kleinigkeit seinen Geschmack herauszufinden, damit es ihm bei ihr so wohl wäre, wie nirgends anders, sondern sie suchte auch neue Geschmacksrichtungen bei ihm zu entwickeln, ihm allerlei Leckerbissen für Seele und Sinne zu schaffen, ihn zu gewöhnen an ihre Fürsorge, ihre Zärtlichkeiten, Aufmerksamkeiten, Schmeicheleien. Sie bemühte sich, sein Auge durch Eleganz gefangen zu nehmen, seinen Geruchsinn durch Parfüm, sein Ohr durch Complimente, durch Artigkeiten, seinen Mund durch gutes Essen.

Aber als sie seiner Seele und seinem egoistischen, verwöhnten Junggesellenleib eine Menge kleiner Wünsche und Begierden eingeimpft, als sie ihrer Sache ganz sicher war, daß keine andere Geliebte, so wie sie, darüber wachen könne, ihm alle kleinen Annehmlichkeiten des Lebens zuzuführen, bekam sie plötzlich eine fürchterliche Angst, da sie merkte, daß es ihm in seinem eigenen Hause ungemütlich ward und er sich unausgesetzt über Einsamkeit beklagte. Als er nun, da er doch zu ihr nur mit aller gesellschaftlichen Vorsicht kommen konnte, plötzlich im Club und überall versuchte, seine Einsamkeit zu vergessen, bekam sie eine jähe Angst, er möchte etwa heiraten wollen.

Manchmal litt sie so unter dieser Unruhe, daß sie sich nach dem Alter sehnte, damit diese Angst ein Ende nehme und sie in kühlerer, stiller Neigung Ruhe fände.

Doch die Jahre gingen hin, ohne daß sie sich getrennt hätten; die Kette, die sie geschmiedet, war fest, und wenn sich die Ringe abnützten, so machte sie neue; aber immer blieb sie aufmerksam und überwachte sein Herz, wie man auf ein Kind Achtung giebt, das eine Wagenbelebte Straße überschreitet, denn täglich fürchtete sie, das unbekannte Ereignis, das ihr drohte, möchte eintreten.

Der Graf hatte keinen Argwohn und keine Eifersucht, er fand die Intimität seiner Ehefrau mit dem berühmten Maler, dem man überall mit Aufmerksamkeit entgegenkam, ganz natürlich, und die beiden Männer hatten sich allmählich so aneinander gewöhnt, daß sie sich endlich geradezu liebten.

 


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