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Der Doktor wachte am nächsten Morgen mit dem festen Entschluß auf, sein Glück zu machen.
Diesen Entschluß hatte er schon öfters gefaßt, ohne ihn jedoch ausführen zu können. Beim Beginn aller Versuche, in eine neue Laufbahn einzutreten, spornte ihn die Hoffnung, er könne rasch zu Gelde kommen, und gab ihm Vertrauen, bis sich das erste Hindernis einstellte, bis ihn der erste Mißerfolg wieder zu etwas anderem trieb.
Er lag unter den warmen Decken in seinem Bett versunken und dachte nach. Wie viel Ärzte waren binnen kurzer Zeit Millionäre geworden. Man mußte es nur ein ganz klein wenig anzufangen verstehen. Denn während seiner Studienzeit hatte er die berühmtesten Professoren kennen gelernt und fand, sie wären alle Esel. Er war gewiß ebenso viel wert wie sie, wenn nicht mehr. Wenn es ihm durch irgend ein Mittel gelänge, die eleganten und reichen Patienten in Havre zu gewinnen, konnte er es auf hunderttausend Franken Rente im Jahr mit Leichtigkeit bringen. Und er berechnete sich ganz genau seine sicheren Einkünfte. Früh würde er ausgehen und seine Krankenbesuche machen, durchschnittlich, das war noch nicht einmal viel, zehn täglich, jeden zu zwanzig Franken. Das gäbe mindestens zweiundsiebzigtausend Franken jährlich, sogar fünfundsiebzigtausend Franken. Denn die Zahl von zehn Kranken blieb doch weit hinter der ihm sicheren Anzahl zurück. Nachmittags in der Sprechstunde würde er durchschnittlich zehn Patienten abthun, zu zehn Franken das Stück. Das gäbe sechsunddreißigtausend Franken – also rund hundertzwanzigtausend Franken. Ehemalige Patienten und alte Freunde, denen er den Besuch nur zu zehn Franken rechnen würde und die Sprechstunde zu fünf, mochten die Summe ein wenig heruntersetzen. Aber das wurde ausgeglichen durch Konsultationen mit anderen Ärzten und durch all die laufenden Geschenke, die eine Praxis mit sich bringt.
Nichts war leichter, als durch geschickte Reklame so weit zu kommen. Durch Notizen im Figaro, die besagten, daß die Pariser Ärztewelt ihr Augenmerk auf ihn geworfen und sich für die überraschenden Kuren interessierte, die dem jungen bescheidenen Gelehrten aus Havre glückten. Und so würde er reicher sein, als sein Bruder, reicher, berühmter und zufriedener, denn er verdankte sein Vermögen nur sich allein. Und er würde sich gegen seine alten Eltern freigebig zeigen, die stolz waren auf seinen Ruf. Verheiraten wollte er sich nicht. In seinem Leben sollte nicht eine einzige Frau eine Rolle spielen, sondern er wollte mit seinen hübschesten Patientinnen Verhältnisse anfangen.
Er fühlte sich seiner Sache so sicher, daß er aus dem Bett sprang, als wollte er gleich daran gehen. Und er zog sich an, um in der Stadt die Wohnung zu suchen, die für ihn gepaßt hätte.
Als er so durch die Straßen strich, dachte er, wie gering doch die Ursachen sind, die unsre Handlungen bestimmen. Seit drei Wochen hätte er diesen Entschluß, der ohne Zweifel plötzlich in ihm in Folge der Erbschaft seines Bruders sich festgesetzt hatte, bereits fassen können.
Er blieb an den Häusern stehen, an denen eine Tafel hing, die anzeigte, daß hier eine schöne Wohnung oder eine teure zu vermieten sei. An den Anzeigen ohne weiteren Zusatz ging er voller Verachtung vorüber. Nun sah er großspurig Wohnungen an, maß die Zimmerhöhe, zeichnete den Plan in sein Notizbuch, die Wege, die Lage der Zugänge, sagte, er sei Arzt und sehr beschäftigt. Die Treppe mußte breit sein, gut gehalten, er konnte nicht höher wohnen als im ersten Stock.
Nachdem er sieben oder acht Wohnungen angesehen und noch zweihundert Adressen notiert, kehrte er mit einer Viertelstunde Verspätung zum Frühstück heim.
Als er in den Flur trat, hörte er schon Tellerklappern. Man aß also ohne ihn. Warum? Sonst ging es doch nicht so pünktlich bei ihnen zu. Er schöpfte einen Verdacht, er fühlte sich verletzt, denn er war empfindlich. Sobald er eintrat, sagte sein Vater zu ihm:
– Himmeldonnerwetter, Peter, mach mal schnell. Du weißt doch, daß wir um zwei zum Notar müssen. Wir haben heute keine Zeit zum trödeln.
Der Doktor setzte sich, ohne zu antworten, nachdem er die Mutter geküßt und Vater und Bruder die Hand gedrückt. Und er nahm aus der runden Schüssel mitten auf dem Tisch das Kotelett, das für ihn übrig geblieben. Es war kalt und vertrocknet, jedenfalls hatten sie das schlechteste übrig gelassen. Er meinte, man hätte es, bis er kam, auf dem Herd lassen können. Man brauchte nicht so den Kopf zu verlieren, daß man den anderen Sohn, den ältesten, gänzlich vergaß. Die Unterhaltung, die bei seinem Eintritt unterbrochen worden, wurde an der Stelle wieder aufgenommen, wo sie aufgehört.
– Ich würde, – sagte Frau Roland zu Hans, – gleich folgendes thun. Mich reich einrichten, um Aufsehen zu erregen, dann in Gesellschaft gehen, reiten und mir ein oder zwei interessante Fälle aussuchen, um mich bei Gericht gut einzuführen. Ich würde an Deiner Stelle versuchen, ein allgemein gesuchter Advokat zu werden, mehr aus Liebhaberei. Gott sei Dank brauchst Du es ja nicht, und wenn Du einen Beruf ergreifst, so ist es schließlich nur, um Deine Studien zu verwerten und weil ein Mann thätig sein muß.
Vater Roland schälte eine Birne und sagte:
– Sakrament, ich wüßte, was ich an Deiner Stelle thäte. Ich kaufte mir ein hübsches Schiff, einen Kutter wie die Lootsen, und mit dem Ding führe ich bis zum Senegal.
Nun sagte auch Peter seine Ansicht. Er meinte, schließlich gäbe nicht das Geld dem Menschen Wert und Bedeutung. Durchschnittsmenschen zöge es herab, während es im Gegenteil für bedeutende Leute einfach eine Macht darstelle. Aber die bedeutenden wären eben dünn gesät, und wenn Hans wirklich zu ihnen gehörte, könnte er es zeigen, nun, wo er von den Tagessorgen frei wäre. Aber er müßte gerade hundertmal mehr arbeiten wie sonst. Es handelte sich nicht darum, für oder gegen die Witwe so und so und die Waisen so und so zu plaidieren und für jeden gewonnenen oder verlorenen Prozeß Geld einzustecken, er müsse ein bedeutender Jurist werden, eine Leuchte des Rechts.
Und er fügte als Schlußforderung hinzu:
– Wenn ich Geld hätte! Ich wollte mal eine Praxis machen.
Der alte Roland zuckte die Achseln:
– La, la, la. Am besten im Leben ist immer, sich nicht zu überanstrengen. Wir sind keine Lasttiere, sondern Menschen. Wenn man als armer Schlucker geboren ist, muß man schuften. Na schlimm genug, daß man arbeiten muß. Aber wenn man Geld hat, Teufel nochmal, da müßte man doch wirklich ein Einfaltspinsel sein, um sich zu schinden.
Peter antwortete von oben herab:
– Wir haben nicht die gleichen Tendenzen. Ich achte auf der Welt nur das Wissen und die Intelligenz. Alles andere verachte ich.
Frau Roland suchte immer die Zusammenstöße zwischen Vater und Sohn zu mildern. Sie lenkte also die Unterhaltung auf ein anderes Gebiet und fing an von einem Morde zu sprechen, der in der vergangenen Woche in Bolbec-Nointot begangen worden.
Sofort waren alle für die Umstände interessiert, die mit der Mordthat in Verbindung standen, gefesselt durch das angenehme Gruseln, durch das anziehende Geheimnis, das den Verbrechen anhaftet, die, mögen sie auch noch so gemein, abstoßend und widerlich sein, doch auf die menschliche Neugierde eine seltsame allgemeine Anziehungskraft ausüben.
Aber von Zeit zu Zeit zog der alte Roland die Uhr:
– Kinder, wir müssen aufbrechen.
Peter lachte:
– Es ist noch viel Zeit. Es war wirklich nicht der Mühe wert, mir ein kaltes Kotelett zu geben.
– Kommst Du mit zum Notar? – fragte seine Mutter.
Er antwortete trocken:
– Nein. Zu was denn? Meine Gegenwart ist ganz unnötig.
Hans schwieg, als handelte es sich nicht um ihn. Als man vom Mord in Bolbec gesprochen, hatte er als Jurist ein paar Gedanken geäußert und ein paar Betrachtungen über Verbrechen und Verbrecher angestellt. Jetzt schwieg er wieder. Aber seine lachenden Augen, die angeregt geröteten Wangen, sogar sein glänzender Bart schienen sein Glück zu verkünden.
Als Peter, nachdem seine Familie gegangen, wieder allein war, setzte er seine Streifzüge nach einer Wohnung wie am Morgen fort. Nachdem er zwei Stunden treppauf treppab gelaufen, fand er endlich auf dem Boulevard Franz I etwas Hübsches. Ein großes Zwischengeschoß mit zwei Thüren nach verschiedenen Straßen, zwei Salons, einer Glas-Galerie, wo die Kranken warten und dabei mitten unter Blumen auf und ab gehen konnten, und ein reizendes rundes Eßzimmer mit dem Blick auf das Meer.
Als er mieten wollte, schreckte ihn doch der Preis von dreitausend Franken ab, denn er mußte das erste Quartal im voraus zahlen und besaß nichts, nicht einen Pfennig.
Das kleine Vermögen, das der Vater sich zusammengespart, gab kaum achttausend Franken Zinsen jährlich. Und Peter warf sich vor, daß er oft seine Eltern in Verlegenheit gesetzt, weil er so lange gezögert, einen Beruf zu wählen, immer wieder aufgehört zu studieren und etwas Neues begonnen hatte. Er ging also fort und versprach, innerhalb zweier Tage zu antworten. Nun kam er auf den Gedanken, seinen Bruder um das erste Quartal oder vielleicht sogar das erste Halbjahr zu bitten, also fünfzehnhundert Franken, sobald Hans die Erbschaft bekommen.
»Das ist ein Pump auf kaum ein paar Monate,« dachte er sich. »Ich kann's ihm vielleicht vor Jahresschluß noch wiedergeben. Es ist eine ganz einfache Sache, und er wird sich freuen, das für mich zu thun.«
Da es noch nicht vier Uhr war und er nichts, aber auch garnichts zu thun hatte, setzte er sich in die öffentlichen Anlagen. Er blieb lange auf der Bank sitzen, ohne daß ihm etwas einfiel, die Augen zu Boden geheftet, von einer Müdigkeit überfallen, die fast Verzweiflung war.
Und doch hatte er alle Tage bisher, seitdem er in das väterliche Haus zurückgekehrt, so zugebracht, ohne so sehr unter der Öde seines Daseins und seiner Tatenlosigkeit zu leiden. Wie hatte er denn nur die Stunden von früh bis abends totgeschlagen?!
Er war zur Zeit der Flut am Strande hingebummelt, war durch die Straßen gelaufen, in Cafés gegangen, zu Marowsko, kurz überall hin. Und nun wurde ihm plötzlich dieses Dasein, das er bis dahin ausgehalten, gräßlich, unerträglich. Wenn er Geld gehabt hätte, hätte er sich einen Wagen genommen, um weit über Land zu fahren, an den Grenzgräben der von Ulmen und Buchen überschatteten Bauernhöfe hin. Aber er mußte genau auf jedes Glas Bier, auf jede Briefmarke achten, und solche Scherze waren ihm nicht erlaubt. Er dachte plötzlich daran, wie bitter es doch ist, wenn man schon dreißig Jahre zählt, gezwungen zu sein, errötend die Mutter ab und zu um ein Goldstück zu bitten. Und er brummte, indem er mit dem Stock im Boden wühlte:
– Verflucht noch mal, wenn ich doch Geld hätte.
Und wieder überfiel ihn der Gedanke an die Erbschaft seines Bruders wie ein Wespenstich. Aber ungeduldig vertrieb er ihn, er wollte sich nicht im Neide gehen lassen.
Rings um ihn herum spielten die Kinder im Straßenstaub. Blonde Kinder mit langem Haar, die mit Andacht und größtem Ernst kleine Sandberge häuften, um sie nachher wieder breit zu treten.
Peter hatte einen jener traurigen Tage, an denen man in alle Ecken seiner Seele späht und in alle ihre Falten.
»Alles was wir thun, ist genau dasselbe wie die Arbeit dieser Kinder hier,« dachte er. Und er fragte sich, ob es nicht eigentlich das schlaueste wäre im Leben, zwei oder drei jener kleinen unnützen Wesen auf die Welt zu setzen und neugierig und gemütlich zuzusehen, wie sie größer würden. Und ihm kam der Wunsch zu heiraten. Dann ist man nicht mehr so verloren im Leben, nicht mehr so allein. Dann hört man wenigstens in seiner Nähe, in Zeiten der Dumpfheit und Unentschlossenheit, etwas sich bewegen. Und es bedeutet doch schon etwas, wenn man leidet, zu einer Frau »Du« sagen zu können.
Er dachte an die Frauen.
Er kannte sie sehr wenig, denn er hatte im Quartier Latin in Paris nur immer Verhältnisse auf etwa vierzehn Tage gehabt, die er gelöst, wenn sein Monatsgeld alle war und im nächsten Monat wieder neue angeknüpft oder die alten erneuert. Aber es mußte wohl sehr gute, weiche, trostreiche Geschöpfe geben. War seine Mutter nicht der gute Geist, die Sonne des väterlichen Hauses gewesen! Er hätte so gern eine Frau kennen gelernt, eine echte Frau.
Plötzlich erhob er sich mit dem Entschluß, Frau Rosémilly einen kleinen Besuch zu machen.
Dann setzte er sich aber plötzlich wieder hin. Sie mißfiel ihm doch. Warum? Sie war zu hausbacken und gewöhnlich. Und dann, schien sie nicht Hans lieber zu haben? Ohne es sich selbst genau einzugestehen, war diese Vorliebe sehr viel daran schuld, daß er von der Witwe weniger hielt. Denn wenn er auch seinen Bruder liebte, so konnte er doch nicht anders, als ihn für einen etwas mittelmäßigen Menschen und sich ihm weit überlegen zu halten.
Aber er konnte doch nicht, bis es Nacht wurde, hier sitzen bleiben. Und ängstlich fragte er sich, wie den Tag vorher: »Was soll ich thun?«
Er fühlte jetzt in der Seele das Bedürfnis weich zu werden, geküßt und getröstet zu werden. Getröstet – weshalb? Er hätte es nicht sagen können. Aber es war eine jener Stunden der Schwäche und Lässigkeit, in denen die Anwesenheit, die Liebkosung einer Frau, nur die Berührung ihrer Hand, ihres Kleides, ein lieber Blick aus schwarzem oder blauem Auge unserm Herzen unentbehrlich scheint.
Und da dachte er an eine kleine Kellnerin aus einem Bierlokal, die er einmal nach Haus begleitet und von Zeit zu Zeit besucht hatte.
Er stand also auf, um mit dem Mädchen ein Glas Bier zu trinken. Was sollte er ihr sagen, was sie ihm? Wahrscheinlich nichts. Was that es. Er konnte wenigstens ein paar Augenblicke ihre Hand halten. Sie schien ihn gern zu mögen, warum suchte er sie nicht öfters auf?
In dem fast leeren Lokal traf er sie auf einem Stuhl schlafend. Drei Gäste rauchten ihre Pfeifen, die Ellbogen auf die Eichentische gestützt; die Kassiererin las einen Roman, während der Wirt in Hemdsärmeln auf einer Bank lag und schlief.
Sobald das Mädchen ihn gesehen, erhob sie sich schnell und ging ihm entgegen:
– Guten Tag. Wie geht es Ihnen?
– Ganz gut. Und Dir?
– Mir? Sehr gut.
– Sie kommen ja gar nicht mehr.
– Ja, ich habe sehr wenig Zeit. Weißt Du, ich bin Arzt.
– So. Das hatten Sie mir nicht gesagt. Wenn ich das doch gewußt hätte. Letzte Woche war ich krank, dann hätte ich Sie konsultiert. Was trinken Sie?
– Ein Bier. Und Du?
– Ich auch ein Bier, wenn Du mir's zahlst.
Und nun nannte sie ihn weiter »Du,« als ob sie die stillschweigende Erlaubnis dadurch bekommen, daß er sie zu einem Glase Bier einlud.
Nun saßen sie einander gegenüber und schwatzten. Ab und zu nahm sie seine Hand mit jener leichten Familiarität der Mädchen, deren Liebe käuflich ist. Sie blickte ihn unternehmend an und sagte:
– Warum kommst Du nicht öfters? Du gefällst mir sehr gut, Kleiner.
Aber er ekelte sich schon vor ihr. Sie war dumm, gemein, ordinär. Die Frauen, sagte er sich, müssen uns im Traum erscheinen, oder in einem Sonnenglanz von Luxus, der ihre Gewöhnlichkeit verklärt.
Sie fragte ihn:
– Neulich mal bist Du früh mit einem schönen Kerl mit blondem Bart vorübergegangen. Ist das Dein Bruder?
– Ja, mein Bruder.
– Das ist ein riesig forscher Kerl.
– Findest Du?
– Ja. Und dann sieht er sehr lebenslustig aus.
Welch seltsames Bedürfnis packte ihn nur plötzlich, dieser Kellnerin von Hans' Erbschaft zu erzählen? Warum kam ihm nur dieser Gedanke, den er, wenn er allein war, von sich wies, den er, nicht ausdenken mochte, wegen der Erregung, die er ihm verursachte? Warum kam der ihm in diesem Moment auf die Lippen, und warum äußerte er ihn, als ob er wieder das Bedürfnis gehabt, sein Bitterkeit-gefülltes Herz zu öffnen?
Er sagte, indem er die Beine übereinanderschlug:
– Der hat einen Riesendusel entwickelt, mein Bruder. Er hat eben zwanzigtausend Franken Rente geerbt.
Sie öffnete groß ihre blauen, gierigen Augen:
– O, wer hat ihm denn das vermacht? Die Großmutter oder die Tante?
– Nein, ein alter Freund meiner Eltern.
– Ach, nur ein Freund. Nicht möglich! Hat er Dir denn nichts hinterlassen?
– Nein. Ich kannte ihn nur sehr wenig.
Sie dachte ein paar Augenblicke nach. Dann sagte sie mit seltsamem Lächeln auf den Lippen:
– Na, Dein Bruder hat aber Glück, solche Freunde zu haben. Da ist's auch weiter nicht wunderbar, daß er Dir so wenig ähnlich sieht.
Die Lust kam ihm an, ihr ein paar herunter zu hauen. Und er fragte mit gekniffenem Mund:
– Was willst Du damit sagen?
Sie machte ein dumm-naives Gesicht:
– Ich? Gar nichts. Ich meine, er hat eben mehr Glück wie Du.
Er warf zwanzig Sous auf den Tisch und ging.
Nun wiederholte er sich unausgesetzt den Satz: »Da ist's weiter nicht wunderbar, wenn er dir nicht ähnlich sieht.«
Was hatte sie dabei gedacht? Was hatte sie in diese Worte gelegt? Darin lag doch gewiß eine Bosheit, eine Gemeinheit und Niederträchtigkeit. Natürlich, das Mädchen hatte gedacht, Hans wäre Maréchals Sohn.
Die Bewegung, die ihn ergriff bei dem Gedanken, daß dieser Verdacht auf seine Mutter fiele, war so groß, daß er stehen blieb und irgend eine Gelegenheit suchte, um sich zu setzen.
Ihm gegenüber lag ein anderes Café. Er trat ein, nahm einen Stuhl, und als der Kellner kam, sagte er: »Ein Bier.«
Sein Herz klopfte, ein Frösteln lief ihm über die Haut. Und plötzlich kam ihm die Erinnerung an das, was Marowsko den Tag vorher gesagt hatte: »Das wird keinen guten Eindruck machen.« Hatte der etwa denselben Gedanken, denselben Verdacht gehabt, wie das dumme Mädchen?
Er beugte sich auf das Bierglas nieder, sah den weißen Schaum aufsteigen und zergehen und fragte sich: »Kann man nur wirklich auf so einen Gedanken kommen?«
Der Grund, der solche entsetzliche Zweifel aufsteigen ließ, schien ihm nun einer nach dem anderen klar, ganz augenfällig, verzweiflungsvoll. Wenn ein alter Junggeselle, der keine Erben hat, sein Geld den beiden Kindern eines Freundes hinterläßt, so ist das das einfachste und natürlichste Ding von der Welt. Wenn er aber sein Vermögen bloß einem der Kinder hinterläßt, so ist's ebenso klar, daß man sich wundern, darüber reden und schließlich lachen wird. Wie hatte er das nur nicht vorher sehen können! Wie konnte sein Vater das nicht fühlen, seine Mutter das nicht erraten! Nun, sie waren eben zu glücklich über die unvermutete Erbschaft gewesen, als daß eine solche Idee ihnen hätte kommen können. Und dann, wie hätten die ehrbaren Leute an eine solche Gemeinheit denken können.
Aber würden nicht die Leute, der Nachbar, der Kaufmann, der Lieferant, alle die sie kannten, diesen niederträchtigen Verdacht weitertragen, darüber kichern, sich amüsieren, seinen Vater auslachen und seine Mutter verachten.
Und die Beobachtung, die die Kellnerin gemacht, daß Hans blond war und er brünett, daß sie sich weder im Gesicht noch im Gang, in der Haltung, in Geistesanlagen ähnlich wären, würde nun allen Augen und Geistern auffallen. Wenn man von einem der Söhne Rolands sprach, würde es jetzt heißen: »Welcher denn, der echte oder der falsche?«
Er erhob sich mit der Absicht, seinen Bruder davon in Kenntnis zu setzen und ihn zu warnen vor der furchtbaren Gefahr, die der Ehre seiner Mutter drohte. Aber was würde Hans thun? Das einfachste wäre wohl, die Erbschaft abzulehnen, die dann an die Armen gefallen wäre, und nur den Freunden und Bekannten, die von dem Legat wußten, zu sagen, daß das Testament unannehmbare Klauseln und Bedingungen enthalten, die Hans nicht zum Erben gemacht haben würden, sondern nur zu einer Art Verwalter.
Als er in das väterliche Haus zurückkehrte, überlegte er, daß er seinen Bruder nun allein sehen müßte, um nicht vor seinen Eltern über den Gegenstand zu sprechen.
Schon an der Thür hörte er laute Stimmen und Lachen im Salon. Und als er eintrat, vernahm er die Stimme von Frau Rosémilly und Kapitän Beausire, die der Vater mitgebracht und zum Essen dabehalten, um die glückliche Erbschaft zu feiern.
Man hatte Wermut und Absinth kommen lassen, um Appetit zu machen und sich in Stimmung zu versetzen. Kapitän Beausire, ein kleiner Mann, der kugelrund geworden war, weil er immer auf dem Meer herumgerollt, und dessen Ideen alle ebenso rund zu sein schienen, wie die Kiesel am Strand, der ein tiefes ›r‹ in der Kehle gurgeln ließ, wenn er sprach, fand, das Leben sei eine wundervolle Einrichtung und alles wunderschön.
Er stieß mit dem alten Roland an, während Hans den Damen wieder zwei volle Gläser anbot.
Frau Rosémilly wollte nicht trinken, aber da rief Kapitän Beausire, der ihren verstorbenen Mann gekannt:
– Nun vorwärts, vorwärts, gnädige Frau. Bis repetita placent, wie wir auf Platt sagen. Das heißt so viel als, zwei Wermut schaden nicht. Sehen Sie, seitdem ich nicht mehr See fahre, schlingere ich so vor dem Essen zwei oder drei Mal auf künstliche Weise. Nach dem Kaffee füge ich noch einen fürs Stampfen des Schiffes hinzu, und dann ist bei mir abends starker Seegang. Bis zum Sturm lasse ich's nicht kommen, nie, nie, denn ich habe Angst vor Havarie.
Roland, bei dem der alte Seefahrer immer seine Seemannslust anstachelte, lachte aus vollem Herzen; er war puterrot geworden, und durch den Absinth sah er schon alles doppelt. Er hatte einen mächtigen Kaufmannsbauch, war ganz Wanst, in den der übrige Teil des Körpers sich zurückgezogen zu haben schien. Einer jener Quabbelbäuche, wie sie Leute bekommen, die immer sitzen, die dann keine Schenkel mehr haben, keine Brust, keine Arme, keinen Hals, da beim Sitzen sich alles in eine einzige Kugel zusammenschiebt.
Beausire dagegen war, obgleich er klein und dick war, wie ein volles Ei und hart wie eine Kanonenkugel.
Frau Roland hatte ihr erstes Glas noch nicht einmal geleert. Und rosig angehaucht vor Glück, betrachtete sie mit lächelnden Blicken ihren Sohn Hans.
Bei dem kam jetzt der Freudenausbruch. Die Geschichte war erledigt, unterschrieben, er besaß zwanzigtausend Franken Rente. In der ganzen Art, wie er lachte, wie er mit erhobener Stimme sprach, wie er die Menschen betrachtete, wie er sich entschiedener bewegte, an seiner ganzen wachsenden Sicherheit fühlte man den Hintergrund, den das Geld gewährt.
Das Essen wurde gemeldet. Doch als der alte Roland Frau Rosémilly den Arm bieten wollte, rief seine Frau:
– Nein, nein, Vater! Das ist heute Hans' Sache.
Der Tisch strahlte in ungewohntem Luxus. Vor Hans' Teller, der heute auf dem Platz seines Vaters saß, erhob sich ein riesiger Blumenstrauß, wie es bei großen Gelegenheiten üblich, gleich einem bewimpelten Dom von vier Compottschüsseln umringt, deren eine, pyramidenartig aufgebaut, wundervolle Pfirsiche enthielt. Auf der zweiten Schüssel lag ein gewaltiger crêmegefüllter Kuchen, ganz überstreut mit Glöckchen aus gebranntem Zucker, eine Art Kathedrale aus Bisquit. Die dritte enthielt Ananasschnitte in heller Zuckersauce und die vierte, als unerhörten Luxus, dicke schwarze Weintrauben aus dem Süden.
– Verflucht! – sagte Peter, indem er sich setzte. – Wir feiern wohl die Thronbesteigung von ›Hans im Glück.‹
Nach der Suppe gab es Madeira. Schon schwatzten sie alle zugleich. Beausire erzählte von einem Diner, dem er in San Domingo beigewohnt am Tisch eines Negergenerals. Der alte Roland hörte zu, indem er immer versuchte, zwischen die einzelnen Sätze der Erzählung selber eine Geschichte zu schieben von einem Diner, das einer seiner Freunde in Meudon gegeben und nach dem alle Teilnehmer vierzehn Tage lang krank gewesen. Frau Rosémilly, Hans und seine Mutter schmiedeten Pläne, einen Ausflug zu machen und in Saint-Jouin zu frühstücken. Sie versprachen sich davon unendliches Vergnügen. Peter bedauerte, nicht irgendwo in einer Kneipe am Meeresstrand allein gegessen zu haben, um all diesem Lärm, Lachen und dieser Freude aus dem Weg zu gehen.
Er überlegte, wie er es nur anfangen sollte, um seinem Bruder seine Befürchtungen beizubringen und ihn zu bereden, auf das angenommene Geld zu verzichten, das er bereits genoß, an dem er sich schon im voraus berauschte. Gewiß würde es ihn hart ankommen, aber es mußte eben sein. Er konnte nicht zögern, der Ruf seiner Mutter stand auf dem Spiel.
Als eine riesige Barbe aufgetragen wurde, kam Roland wieder auf Fischergeschichten zu sprechen. Beausire erzählte Erstaunliches, das er beim Fischen in Gaboon und Sainte-Marie auf Madagascar, vor allen Dingen aber an der Küste Chinas und Japans erlebt, wo die Fische ebenso verrückte Gesichter hätten wie die Menschen. Und er erzählte, wie die Tiere aussähen mit ihren großen, goldenen Augen, ihren blauen oder roten Bäuchen, ihren ulkigen Flossen, die wie Fächer waren, ihren halbmondförmigen Schwänzen. Und er machte ihre Bewegungen nach, so daß die andern, die ihm zuhörten, bis zu Thränen lachen mußten.
Peter allein schien ungläubig zu sein und brummte:
– Es ist garnicht so falsch, wenn man behauptet, daß die Normannen im Norden aufschneiden wie die Gascogner im Süden.
Nach dem Fisch gab es eine Blätterteig-Pastete, dann ein gebackenes Huhn, Salat, frische Bohnen und eine Lerchenpastete aus Pithiviers. Das Mädchen von Frau Rosémilly half beim Servieren. Und die Fröhlichkeit wuchs mit der Zahl der getrunkenen Gläser. Als von der ersten Champagnerflasche der Pfropfen sprang, ahmte der alte Roland, der schon sehr heiter war, mit dem Munde das Geräusch des Pfropfenknallens nach und sagte:
– Das ist mir lieber wie ein Pistolenschuß.
Peter ärgerte sich immer mehr und antwortete neckend:
– Das mag schon sein, und doch ist's gefährlicher für Dich.
Roland, der eben trinken wollte, setzte sein volles Glas wieder auf den Tisch und sagte:
– Warum denn?
Seit langem schon klagte er über seine Gesundheit, über Schwere in den Gliedern, Schwindelanfälle, unausgesetztes, unerklärliches Übelbefinden. Der Doktor meinte:
– Weil die Pistolenkugel sehr gut neben Dir vorbei fliegen kann, während das Glas Wein Dir unbedingt in den Leib geht.
– Und dann?
– Dann brennt es Dir den Magen, bringt Dein Nervensystem in Unordnung, erschwert die Blutzirkulation und bereitet langsam einen Schlaganfall vor, der allen Menschen Deines Temperaments droht.
Die beginnende Trunkenheit des ehemaligen Juweliers schien weggeblasen, wie eine Rauchwolke. Und er blickte seinen Sohn mit starren, entsetzten Augen an, um zu sehen, ob er nicht etwa einen Scherz mache.
Aber Beausire rief:
– Diese verfluchten Ärzte sind sich immer gleich! Trink nicht, iß nicht, liebe nicht, tanze nicht. Alles könnte dem lieben, kleinen Wohlergehen schaden. Na, ich habe das alles gemacht, in allen Weltgegenden, wo ich nur konnte, und so viel ich's nur konnte, und 's ist mir doch nicht schlecht bekommen.
Peter antwortete etwas scharf:
– Erstens mal, Kapitän, sind Sie kräftiger, wie mein Vater. Dann sprechen alle Lebemänner so wie Sie, bis zu dem Tag, wo sie . . . . . Und am nächsten Tage kommen sie nicht zum vorsichtigen Arzt und sagen: »Sie hatten recht, Doktor.« Wenn ich sehe, daß mein Vater das thut, was für ihn am schlechtesten und gefährlichsten ist, habe ich doch wohl das Recht, ihn zu warnen. Ich müßte ein schlechter Sohn sein, wenn ich anders handelte.
Frau Roland war außer sich und redete nun auch ihrerseits hinein:
– Aber Peter, was hast Du denn? Einmal wird's ihm doch nichts schaden. Denk doch mal, was für ein Festtag heute für ihn ist, für uns alle ist. Du wirst uns noch die ganze Freude verderben. Das ist nicht hübsch von Dir!
Er brummte und zuckte die Achseln:
– Er kann ja thun was er will. Ich habe gewarnt.
Aber der alte Roland trank nicht. Er blickte sein Glas an, sein Glas voll leuchtend hellen Weines, dessen leichte, trunken machende Seele in kleinen Kügelchen davonflog, die vom Boden kamen, aufstiegen, schnell und eilig, sich an der Oberfläche zu verflüchtigen. Er sah das Glas an mit dem Mißtrauen eines Fuchses, der ein totes Huhn gefunden hat und eine Falle fürchtet.
Er fragte zögernd:
– Glaubst Du, daß es mir sehr schaden könnte?
Peter hatte Gewissensbisse und warf sich vor, daß er die anderen störte durch seine schlechte Laune:
– Na, einmal kannst Du ja trinken, aber nicht wieder. Es darf nur nicht zur Gewohnheit werden.
Da hob der alte Roland sein Glas, ohne sich jedoch noch entschließen zu können, es an den Mund zu setzen. Er betrachtete es schmerzlich, mit Begierde und Furcht zugleich. Er beroch es, kostete, trank Schluck auf Schluck, schmeckte, das Herz voll Beklemmung, Schwäche und doch Gier. Dann, sobald er den letzten Tropfen getrunken, that es ihm leid.
Da begegnete plötzlich Peters Auge dem der Frau Rosémilly.
Es ruhte auf ihm, klar und blau, durchdringend und hart. Und er fühlte, durchdrang und erriet den klaren Gedanken, der diesen Blick beseelte, den Blick dieser einfachen, kleinen Frau mit geradem Verstand, diesen Blick, der da sagte: »Du bist neidisch, mein Lieber, das ist schändlich!«
Er neigte den Kopf und begann wieder zu essen.
Er hatte keinen Hunger und fand alles schlecht. Der Wunsch fortzugehen quälte ihn, der Wunsch, nicht mehr unter diesen Menschen zu weilen, nicht mehr ihr Schwatzen, Scherzen und Lachen zu hören.
Doch der alte Roland, den der Wein wieder zu erregen begann, vergaß bereits die Ratschläge seines Sohnes und liebäugelte zärtlich mit einer Flasche Champagner, die beinah noch voll neben seinem Teller stand. Er wagte sie nicht zu berühren, in der Befürchtung, daß er wieder etwas zu hören bekommen könne, und überlegte sich, wie er es geschickt anfangen könnte, um sich einzuschenken, ohne daß Peter etwas sagte. Er verfiel auf eine List, die denkbar einfachste. Er nahm gleichgiltig die Flasche, hielt sie unten am dicken Ende, streckte den Arm aus über den Tisch, um zuerst das leere Glas des Doktors zu füllen. Dann goß er der Reihe nach den anderen ein, und als er an sein Glas kam, schwatzte er möglichst laut und goß sich etwas ein, so daß alle bestimmt glauben mußten, es wäre in der Zerstreutheit geschehen. Übrigens achtete auch niemand darauf.
Peter trank eine ganze Menge, ohne weiter nachzudenken. Nervös erregt nahm er den hohen Krystallkelch, in dessen durchsichtigem Inhalt man die Blasen steigen sah, alle Augenblicke in die Hand, setzte ihn mit unbewußter Bewegung an die Lippen, dann ließ er das Getränk langsam in den Mund fließen, um auf der Zunge das leise gezuckerte Prickeln der entweichenden Kohlensäure zu spüren.
Allmählich erfüllte süße Wärme seine Adern. Sie kam vom Leib herauf, der den Körper zu heizen schien, stieg in die Brust, verteilte sich in allen Gliedern, in seinem ganzen Fleisch, wie eine laue wohlthuende Welle, die Freuden mit sich bringt. Er fühlte sich besser, weniger unzufrieden. Und sein Entschluß, noch heute abend mit dem Bruder zu sprechen, verblich mehr und mehr. Nicht daß ihm der Gedanke gekommen wäre, es überhaupt aufzugeben, aber er wollte die angenehme Stimmung, die er jetzt empfand, nicht so schnell stören.
Beausire erhob sich, um den Toast auszubringen.
Er sah sich im Kreise um und sprach:
– Meine schönsten Damen und liebwerten Herren! Wir sind hier vereinigt, um ein glückliches Ereignis zu feiern, das einen unsrer Freunde betroffen hat. Früher sagte man, das Glück sei blind. Ich glaube, es war nur kurzsichtig oder böse und hat jetzt ein wundervolles Marineglas an die Augen gesetzt, so daß es imstande gewesen ist, im Hafen von Havre den Sohn unseres braven Kameraden Roland, des Kapitän der »Perle« zu erkennen.
Allgemeines Bravo klang, und man klatschte in die Hände. Und der alte Roland erhob sich, um zu antworten.
Nachdem er sich geräuspert, denn er fühlte etwas in der Kehle sitzen, und die Zunge war ihm schwer, begann er zu stottern:
– Danke Kapitän! Herzlichen Dank für mich und meinen Sohn. Ich werde nie vergessen, was Sie bei dieser Gelegenheit gethan haben. Ich trinke auf alles, was Sie wünschen.
Er hatte Augen und Nase voll Thränen und setzte sich, weil er nicht weiter wußte.
Hans ergriff nun lachend das Wort:
– Ich, – sagte er, – muß danken. Unseren trefflichen Freunden, unseren lieben Freunden, (er sah Frau Rosémilly an) die mir heute diese rührende Probe ihrer Zuneigung geben. Aber ich kann durch Worte meine Dankbarkeit nicht bezeigen. Ich werde sie Ihnen morgen bezeigen, in jedem Augenblicke meines Lebens, immer. Denn unsere Freundschaft ist nicht von jenen, die da vergehen.
Die Mutter stammelte ganz gerührt:
– Sehr gut, mein liebes Kind!
Aber Beausire rief:
– Na, Frau Rosémilly, nun reden Sie mal im Namen der Damen.
Sie erhob ihr Glas und sagte sehr nett, in einem etwas traurigen Ton:
– Ich trinke auf das gesegnete Andenken des Herrn Maréchal.
Ein paar Minuten war alles still, ein passendes Schweigen, wie nach einem Gebet. Und Beausire, der immer gleich etwas Artiges wußte, sagte:
– So etwas Zartes kann nur eine Dame finden.
Dann wendete er sich zum alten Roland:
– Sag mal, wer war denn eigentlich dieser Maréchal? Ihr wart wohl dicke Freunde mit ihm?
Der Alte, den der Wein in rührselige Stimmung gebracht, fing an zu weinen und stammelte mit gebrochener Stimme:
– Ein Bruder . . . weißt Du . . . einer von jenen Leuten, die es nie wieder giebt. . . . Wir trennten uns niemals . . . er aß bei uns jeden Abend . . . er lud uns zum Theater ein. . . . Ich sage nur das . . . nur das . . . nur das . . . ein wirklicher Freund . . . ein wirklicher. Nichtwahr, Luise?
Seine Frau antwortete einfach:
– Ja, er war ein treuer Freund.
Peter blickte Vater und Mutter an. Aber da man von anderen Dingen sprach, begann er wieder zu trinken.
Vom Ende dieses Abends blieb ihm keine Erinnerung mehr. Man hatte noch Kaffee getrunken, so und so viel Schnäpse und unter allerlei Scherzen gelacht. Gegen Mitternacht ging er zu Bett, mit verstörtem Sinn und schwerem Kopf, und bis zum anderen Morgen neun Uhr schlief er wie tot.