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IV. Kapitel

 

"Die kritische Kritik" als die Ruhe des Erkennens
oder die "kritische Kritik" als Herr Edgar

Die französischen Sozialisten behaupten: Der Arbeiter macht alles, produziert alles, und dabei hat er kein Recht, keinen Besitz, kurz und gut nichts. Die Kritik antwortet durch den Mund des Herrn Edgar, der personifizierten Ruhe des Erkennens:

"Um alles schaffen zu können, dazu gehört ein stärkeres als ein Arbeiterbewußtsein. Nur umgekehrt wäre der Satz wahr: Der Arbeiter macht nichts, darum hat er nichts, er macht eher nichts, weil seine Arbeit stets eine einzeln bleibende, auf sein eigenstes Bedürfnis berechnete, tägliche ist."

Die Kritik vollendet sich hier zu jener Höhe der Abstraktion, in der sie bloß ihre eigenen Gedankenschöpfungen und aller Wirklichkeit widersprechenden Allgemeinheiten für "Etwas", ja für "Alles" ansieht. Der Arbeiter schafft nichts, weil er bloß "Einzelnes", d.h. sinnliche, handgreifliche, geist- und kritiklose Gegenstände schafft, die ein Greuel sind vor den Augen der reinen Kritik. Alles Wirkliche, Lebendige ist unkritisch, massenhaft, darum "Nichts", und nur die idealen, phantastischen Kreaturen der kritischen Kritik sind "Alles".

Der Arbeiter schafft nichts, weil seine Arbeit eine einzeln bleibende, auf sein bloß individuelles Bedürfnis berechnete ist, also weil die einzelnen, zusammengehörigen Zweige der Arbeit in dieser jetzigen Weltordnung getrennt, ja gegeneinander gestellt sind, kurz, weil die Arbeit nicht organisiert ist. Der eigne Satz der Kritik, wenn man ihn in dem einzig möglichen vernünftigen Sinn faßt, den er haben kann, verlangt die Organisation der Arbeit. Flora Tristan, bei deren Beurteilung dieser große Satz an den Tag kommt, verlangt dasselbe und wird für diese Insolenz, der kritischen Kritik vorzugreifen, en canaille verächtlich behandelt. Der Arbeiter schafft Nichts; dieser Satz ist übrigens – wenn man davon absieht, daß der einzelne Arbeiter nichts Ganzes produziert, was eine Tautologie ist – total verrückt. Die kritische Kritik schafft Nichts, der Arbeiter schafft Alles, ja so sehr Alles, daß er die ganze Kritik auch in seinen geistigen Schöpfungen beschämt; die englischen und französischen Arbeiter können davon Zeugnis ablegen. Der Arbeiter schafft sogar den Menschen; der Kritiker wird stets ein Unmensch bleiben, wofür er freilich die Genugtuung hat, kritischer Kritiker zu sein.

"Flora Tristan gibt uns ein Beispiel jenes weiblichen Dogmatismus, der eine Formel haben will und sich dieselbe aus den Kategorien des Bestehenden bildet."

Die Kritik tut nichts als sich "Formeln aus den Kategorien des Bestehenden bilden", nämlich aus der bestehenden Hegelschen Philosophie und den bestehenden sozialen Bestrebungen; Formeln, weiter nichts als Formeln, und trotz allen ihren Invektiven gegen den Dogmatismus verurteilt sie sich selbst zum Dogmatismus, ja zum weiblichen Dogmatismus. Sie ist und bleibt ein altes Weib, die verwelkte und verwitwete Hegelsche Philosophie, die ihren zur widerlichsten Abstraktion ausgedörrten Leib schminkt und aufputzt und in ganz Deutschland nach einem Freier umherschielt.

 

2. Béraud über die Freudenmädchen

Herr Edgar, der nun einmal der sozialen Fragen sich erbarmt, mischt sich auch in die "Hurenverhältnisse". ([Heft] V, p. 26.)

Er kritisiert des Pariser Polizeikommissärs Béraud Buch über die Prostitution, weil es ihm "auf den Standpunkt" ankommt, von dem "Béraud die Stellung der Freudenmädchen zur Gesellschaft auffaßt". Die "Ruhe des Erkennens" wundert sich, wenn sie findet, daß ein Polizeimensch eben einen Polizeistandpunkt hat, und gibt der Masse zu verstehen, das sei ein ganz verkehrter. Ihren eignen Standpunkt gibt sie aber nicht zu verstehen. Natürlich! Wenn die Kritik sich mit Freudenmädchen abgibt, so kann man nicht verlangen, daß dies vor dem Publikum geschehe.

Bei Gelegenheit der Romane der Frau v. Paalzow, die er "gründlich studiert zu haben" versichert, überwältigt Herr Edgar daher "eine Kinderei wie die genannte Liebe". Solches ist ein Scheuel und Greuel und reget in der kritischen Kritik auf Ingrimmigkeit, machet sie fast gallenerbittert, ja abersinnig.

"Die Liebe ... ist eine grausame Göttin, welche, wie jede Gottheit, den ganzen Menschen besitzen will und nicht eher zufrieden ist, als bis er ihr nicht bloß seine Seele, sondern auch sein physisches Selbst dargebracht hat. Ihr Kultus ist das Leiden, der Gipfel dieses Kultus ist die Selbstaufopferung, der Selbstmord."

Um die Liebe in den "Moloch", in den leibhaftigen Teufel zu verwandeln, verwandelt Herr Edgar sie vorher in eine Göttin. Zur Göttin, d.h. zu einem theologischen Gegenstand geworden, unterliegt sie natürlich der Kritik der Theologie, und überdem liegen bekanntlich Gott und Teufel nicht weit auseinander. Herr Edgar verwandelt die Liebe in eine "Göttin", und zwar in eine "grausame Göttin", indem er aus dem liebenden Menschen, aus der Liebe des Menschen den Menschen der Liebe macht, indem er die "Liebe" als ein apartes Wesen vom Menschen lostrennt und als solches verselbständigt. Durch diesen einfachen Prozeß, durch diese Verwandlung des Prädikats in das Subjekt, kann man alle Wesensbestimmungen und Wesensäußerungen des Menschen in Unwesen und Wesens entäußerungen kritisch umformen. So z.B. macht die kritische Kritik aus der Kritik, als einem Prädikat und einer Tätigkeit des Menschen, ein apartes Subjekt, die sich auf sich selbst beziehende und darum kritische Kritik: ein "Moloch", dessen Kultus die Selbstaufopferung, der Selbstmord des Menschen, namentlich des menschlichen Denkvermögens ist.

"Gegenstand", ruft die Ruhe des Erkennens aus, "Gegenstand, das ist der richtige Ausdruck, denn der Geliebte ist dem Liebenden – (das Femininum fehlt) - nur wichtig als dieses äußere Objekt seiner Gemütsaffektion, als Objekt, in welchem es sein selbstsüchtiges Gefühl befriedigt sehn will."

Gegenstand! Entsetzlich! Es gibt nichts Verwerflicheres, Profaneres, Massenhafteres als ein Gegenstand – à bas nieder der Gegenstand! Wie sollte die absolute Subjektivität, der actus purus reine Handlung, die "reine" Kritik, nicht in der Liebe ihre bête noire, den leibhaftigen Satan erblicken, in der Liebe, die den Menschen erst wahrhaft an die gegenständliche Welt außer ihm glauben lehrt, die nicht nur den Menschen zum Gegenstand, sondern sogar den Gegenstand zum Menschen macht!

Die Liebe, fährt die Ruhe des Erkennens, außer sich, fort, beruhigt sich nicht mal dabei, den Menschen in die Kategorie "Objekt" für den andern Menschen zu verwandeln, sie macht ihn sogar zu einem bestimmten, wirklichen Objekt, zu diesem, schlecht-individuellen (siehe Hegel, "Phänomenologie", über das Diese und das Jene, wo auch gegen das schlechte "Dieses" polemisiert wird), äußerlichen, nicht nur innerlichen, in dem Gehirn steckenbleibenden, sondern sinnlich offenbaren Objekt.

Lieb'
Lebt nicht allein vermauert im Gehirn.

Nein, die Geliebte ist sinnlicher Gegenstand, und die kritische Kritik verlangt zum allermindesten, wenn sie sich zur Anerkennung eines Gegenstandes herablassen soll, einen sinnlosen Gegenstand. Die Liebe aber ist ein unkritischer, unchristlicher Materialist.

Endlich macht die Liebe gar den einen Menschen zu "diesem äußern Objekt der Gemütsaffektion" des andern Menschen, zum Objekt, worin sich das selbstsüchtige Gefühl des andern Menschen befriedigt, ein selbstsüchtiges Gefühl, weil es sein eignes Wesen im andern Menschen sucht, und das soll doch nicht sein. Die kritische Kritik ist so frei von aller Selbstsucht, daß sie den ganzen Umfang des menschlichen Wesens in ihrem eignen Selbst erschöpft findet.

Herr Edgar sagt uns natürlich nicht, wodurch sich die Geliebte unterscheidet von den übrigen "äußerlichen Objekten der Gemütsaffektion, worin sich die selbstsüchtigen Gefühle der Menschen befriedigen". Der geistreiche, vielsinnige, vielsagende Gegenstand der Liebe sagt der Ruhe des Erkennens nur das kategorische Schema: "dieses äußere Objekt der Gemütsaffektion", wie etwa der Komet dem spekulativen Naturphilosophen nichts sagt als die "Negativität". Indem der Mensch den Menschen zum äußeren Objekt seiner Gemütsaffektion macht, legt er ihm zwar nach dem eignen Geständnis der kritischen Kritik "Wichtigkeit" bei, aber eine sozusagen gegenständliche Wichtigkeit, während die Wichtigkeit, welche die Kritik den Gegenständen beilegt, nichts anders ist als die Wichtigkeit, die sie sich selbst beilegt, die sich daher auch nicht in dem "schlechten äußeren Sein", sondern in dem "Nichts" des kritisch wichtigen Gegenstandes bewährt.

Wenn die Ruhe des Erkennens in dem wirklichen Menschen keinen Gegenstand besitzt, besitzt sie dagegen in der Menschheit eine Sache. Die kritische Liebe "hütet sich vor allem, über der Person die Sache zu vergessen, welche nichts anders ist als die Sache der Menschheit". Die unkritische Liebe trennt die Menschheit nicht von dem persönlichen individuellen Menschen.

"Die Liebe selber, als eine abstrakte Leidenschaft, die kommt, man weiß nicht wo her, und geht, man weiß nicht wohin, ist des Interesses einer innern Entwicklung unfähig."

Die Liebe ist in den Augen der Ruhe des Erkennens eine abstrakte Leidenschaft nach dem spekulativen Sprachgebrauch, wonach das Konkrete abstrakt und das Abstrakte konkret heißt.

Sie war nicht in dem Tal geboren,
Man wußte nicht, woher sie kam;
Doch schnell war ihre Spur verloren,
Sobald das Mädchen Abschied nahm.

Die Liebe ist für die Abstraktion "das Mädchen aus der Fremde", ohne dialektischen Paß, und wird dafür von der kritischen Polizei des Landes verwiesen,

Die Leidenschaft der Liebe ist des Interesses einer innern Entwickelung unfähig, weil sie nicht a priori konstruiert werden kann, weil ihre Entwicklung eine wirkliche ist, die in der Sinnenwelt und zwischen wirklichen Individuen vorgeht. Das Hauptinteresse der spekulativen Konstruktion ist aber das "Woher" und das "Wohin". Das Woher ist eben die "Notwendigkeit eines Begriffs, sein Beweis und Deduktion" (Hegel). Das Wohin ist die Bestimmung, "wodurch jedes einzelne Glied des spekulativen Kreislaufes, als Beseeltes der Methode, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist" (Hegel). Also nur, wenn ihr Woher und ihr Wohin a priori zu konstruieren wäre, verdiente die Liebe das "Interesse" der spekulativen Kritik.

Was die kritische Kritik hier bekämpft, ist nicht nur die Liebe, sondern alles Lebendige, alles Unmittelbare, alle sinnliche Erfahrung, alle wirkliche Erfahrung überhaupt, von der man nie vorher weiß, "woher" und "wohin".

Herr Edgar hat durch die Überwältigung der Liebe sich vollständig als "Ruhe des Erkennens" gesetzt und kann nun an Proudhon sogleich eine große Virtuosität des Erkennens, für welches der "Gegenstand" aufgehört hat, "dieses äußere Objekt" zu sein, und eine noch größere Lieblosigkeit gegen die französische Sprache bewähren.

Da nur die Schriften des kritischen Standpunktes von selbst Charakter besitzen, so beginnt die kritische Charakteristik notwendig damit, der Proudhonschen Schrift einen Charakter zu geben. Herr Edgar gibt dieser Schrift einen Charakter, indem er sie übersetzt. Er gibt ihr natürlich einen schlechten Charakter, denn er verwandelt sie in einen Gegenstand "der Kritik".

Proudhons Schrift unterliegt also einem doppelten Angriff des Herrn Edgar, einem stillschweigenden in seiner charakterisierenden Übersetzung, einem ausgesprochenen in seinen kritischen Randglossen. Wir werden finden, daß Herr Edgar vernichtender ist, wenn er übersetzt, als wenn er glossiert.

 

Charakterisierende Übersetzung Nr. 1

"Ich will" (nämlich der kritisch übersetzte Proudhon) "kein System des Neuen geben, ich will nichts als die Abschaffung des Privilegiums, die Vernichtung der Sklaverei ... Gerechtigkeit, nichts als Gerechtigkeit, das ist's, was ich meine."

Der charakterisierte Proudhon beschränkt sich auf Wollen und Meinen, weil der "gute Wille" und die unwissenschaftliche "Meinung" charakteristische Attribute der unkritischen Masse sind. Der charakterisierte Proudhon tritt so demutsvoll auf, wie es der Masse geziemt, und ordnet das, was er will, dem unter, was er nicht will. Er versteigt sich nicht dazu, ein System des Neuen geben zu wollen, er will weniger, er will sogar nichts als die Abschaffung des Privilegiums etc. Außer dieser kritischen Subordination des Willens, den er hat, unter den Willen, den er nicht hat, zeichnet sich sein erstes Wort sogleich durch einen charakteristischen Mangel an Logik aus. Der Schriftsteller, der sein Buch damit eröffnet, daß er kein System des Neuen geben will, wird nun sagen, was er geben will, sei es ein systematisches Altes oder ein unsystematisches Neues. Aber der charakterisierte Proudhon, der kein System des Neuen geben will, will er die Abschaffung der Privilegien geben? Nein. Er will sie.

Der wirkliche Proudhon sagt: "Je ne fais pas de système: je demande la fin du privilège" "Ich mache kein System; ich verlange das Ende des Privilegs! etc. Ich mache kein System, ich verlange etc. D.h., der wirkliche Proudhon erklärt, daß er keine abstrakt wissenschaftliche Zwecke verfolgt, sondern unmittelbar praktische Forderungen an die Gesellschaft stellt. Und die Forderung, die er stellt, ist nicht willkürlich. Sie ist motiviert und berechtigt durch die ganze Entwicklung, die er gibt, sie ist das Resumé dieser Entwicklung, denn: "Justice, rien que justice; tel est le resume de mon discours." Gerechtigkeit, nichts als Gerechtigkeit; darin faßt sich meine Darlegung zusammen. Der charakterisierte Proudhon gerät mit seinem "Gerechtigkeit, nichts als Gerechtigkeit, das ist's was ich meine" um so bedeutender in Verlegenheit, als er noch vieles andre meint und nach Herrn Edgars Bericht z.B. "meint", die Philosophie sei nicht praktisch genug gewesen, "meint", den Charles Comte zu widerlegen etc.

Der kritische Proudhon fragt sich: "Soll der Mensch denn immer unglücklich sein?", d.h. er fragt, ob das Unglück die moralische Bestimmung des Menschen ist. Der wirkliche Proudhon ist ein leichtsinniger Franzose und fragt, ob das Unglück eine materielle Notwendigkeit, ein Müssen ist. (L'homme doit-il être éternellement malheureux? Muß der Mensch ewig unglücklich sein?)

Der massenhafte Proudhon sagt:

"Et sans m'arrêter aux explications à toute fin des entrepreneurs de réformes, accusant de la détresse générale ceux-ci la lâcheté et l'impéritie du pouvoir, ceux-là les conspirateurs et les émeutes, d'autres l'ignorance et la corruption générale", etc.

"Und ohne mich mit den alle Einreden abschneidenden Auseinandersetzungen der Reform-Fabrikanten aufzuhalten, von denen diese die Feigheit und das Ungeschick der Machthaber, jene die Verschwörer und die Emeuten, andere die Unwissenheit und die allgemeine Verdorbenheit für die allgemeine Notlage verantwortlich machen", usw."

Weil der Ausdruck à toute fin ein schlechter massenhafter Ausdruck ist, der sich in den massenhaften deutschen Wörterbüchern nicht findet, so läßt der kritische Proudhon natürlich diese nähere Bestimmung der "Auseinandersetzungen" weg. Dieser Terminus ist der massenhaften französischen Jurisprudenz entlehnt, und explications à toute fin bedeuten Auseinandersetzungen, die alle Einreden abschneiden. Der kritische Proudhon beleidigt die "Reformisten", eine sozialistische französische Partei, der massenhafte Proudhon die Reform-Fabrikanten. Bei dem massenhaften Proudhon gibt es verschiedene Klassen der entrepreneurs de réformes. Diese, ceux-ci, sagen das, jene, ceux-là, das, andre, d'autres, das. Der kritische Proudhon läßt dagegen dieselben Reformisten "bald – bald – bald anklagen", was jedenfalls von ihrer Unbeständigkeit zeugt. Der wirkliche Proudhon, der sich nach der massenhaften französischen Praxis richtet, spricht von "les conspirateurs et les émeutes", d.h. erst von den Verschwörern und dann von ihrer Handlung, den Emeuten. Der kritische Proudhon, der die verschiedenen Klassen der Reformisten zusammengeworfen hat, klassifiziert dagegen die Rebellen und sagt daher: die Verschwörer und Aufrührer. Der massenhafte Proudhon spricht von der Unwissenheit und "allgemeinen Verdorbenheit". Der kritische Proudhon verwandelt die Unwissenheit in Dummheit, die "Verdorbenheit" in die "Verworfenheit" und macht endlich als kritischer Kritiker die Dummheit allgemein. Er selbst gibt unmittelbar von ihr ein Beispiel, indem er générale statt in den Plural in den Singular setzt. Er schreibt: l'ignorance et la corruption général e für: die allgemeine Dummheit und Verworfenheit. Der unkritischen französischen Grammatik gemäß müßte dies heißen: l'ignorance et la corruption général es.

Der charakterisierte Proudhon, der anders spricht und denkt wie der masssenhafte, hat notwendig auch einen ganz anderen Bildungsgang durchgemacht. Er "befragte die Meister der Wissenschaft, las hundert Bände der Philosophie und Rechtswissenschaft etc., und zuletzt sah" er "ein, daß wir noch nie den Sinn der Worte Gerechtigkeit, Billigkeit, Freiheit erfaßt haben". Der wirkliche Proudhon glaubte das von Anfang an zu erkennen (je crus d'abord reconnaître Ich glaubte von Anfang an zu erkennen), was der kritische "zuletzt" einsah. Die kritische Verwandlung des d'abord in enfin zuerst in zuletzt ist notwendig, weil die Masse nichts [von] "vornherein" zu erkennen glauben darf. Der massenhafte Proudhon erzählt ausdrücklich, wie dieses befremdende Resultat seiner Studien ihn erschüttert, wie er ihm nicht getraut habe. Er beschloß daher, eine "Gegenprobe" zu machen, er fragte sich: "Ist es möglich, daß die Menschheit über die Prinzipien der Anwendung der Moral sich so lange und so allgemein betrogen hat? Wie und warum hat sie sich betrogen?" etc. Von der Lösung dieser Fragen machte er die Richtigkeit seiner Beobachtungen abhängig. Er fand, daß in der Moral, wie in allen übrigen Zweigen des Wissens, die Irrtümer "Stufen der Wissenschaft sind". Der kritische Proudhon dagegen vertraut sogleich dem ersten Eindruck, den seine nationalökonomischen, juristischen und ähnlichen Studien auf ihn gemacht haben. Versteht sich, die Masse darf auf keine gründliche Art verfahren, sie muß die ersten Ergebnisse ihrer Studien zu unbestreitbaren Wahrheiten erheben. Sie ist "von vornherein fertig, ehe sie sich mit ihrem Gegensatz gemessen hat", daher "zeigt es sich" hinterher, "daß sie noch nicht bei dem Anfang angekommen ist, wenn sie am Ende zu stehen glaubt".

Der kritische Proudhon fährt daher fort, in der haltlosesten und unzusammenhängendsten Weise zu räsonieren:

"Unsere Erkenntnis In der "Allgemeinen Literatur-Zeitung": Kenntnis der moralischen Gesetze ist nicht von vornherein vollständig; so kann sie einige Zeit dem gesellschaftlichen Fortschritte genügen; auf die Länge aber wird sie uns einen falschen Weg führen."

Der kritische Proudhon motiviert nicht, warum eine unvollständige Erkenntnis der moralischen Gesetze dem gesellschaftlichen Fortschritt auch nur für einen Tag genügen kann. Der wirkliche Proudhon, nachdem er sich die Frage aufgeworfen, ob und warum die Menschheit sich so allgemein und so lange habe irren können, nachdem er die Lösung gefunden, daß alle Irrtümer Stufen der Wissenschaft sind, daß unsre unvollständigsten Urteile eine Summe von Wahrheiten einschließen, die für eine gewisse Zahl von Induktionen wie für einen bestimmten Kreis des praktischen Lebens ausreichen, über welche Zahl und über welchen Kreis hinaus sie theoretisch ins Absurde und praktisch zum Verfall führen, kann sagen, daß selbst eine unvollkommne Erkenntnis der moralischen Gesetze für einige Zeit dem gesellschaftlichen Fortschritt genügen könne.

Der kritische Proudhon:

"Ist nun aber eine neue Erkenntnis nötig geworden, so erhebt sich ein erbitterter Kampf zwischen den alten Vorurteilen und der neuen Idee."

Wie kann sich ein Kampf erheben gegen einen Gegner, der noch nicht existiert? Und der kritische Proudhon hat uns zwar gesagt, daß eine neue Idee nötig geworden, nicht aber, daß sie schon geworden ist.

Der massenhafte Proudhon:

"Sobald die höhere Erkenntnis unentbehrlich geworden, fehlt sie nie", so ist sie vorhanden. " Alsdann beginnt der Kampf."

Der kritische Proudhon behauptet, "es sei die Bestimmung des Menschen, sich schrittweise zu unterrichten", als wenn der Mensch nicht eine ganz andre Bestimmung hätte, nämlich die, Mensch zu sein, und als wenn der "schrittweise" Selbstunterricht notwendig einen Schritt weiter führte. Ich kann Schritt vor Schritt gehen und grade auf dem Punkt ankommen, von dem ich ausging. Der unkritische Proudhon spricht nicht von der "Bestimmung", sondern von der Bedingung (condition) für den Menschen, nicht sich schrittweise (pas à pas), sondern stufenweise (par degrés) zu unterrichten. Der kritische Proudhon sagt zu sich selbst:

"Unter den Prinzipien, auf denen die Gesellschaft beruht, gibt es eins, welches sie nicht versteht, welches durch ihre Unwissenheit verderbt ist und alle Übel verursacht. Und doch ehrt man dies Prinzip", und doch will man es, denn sonst wäre es ohne Einfluß. Dieses Prinzip nun, welches wahr ist seinem Wesen nach, falsch aber in unserer Art, es aufzufassen ... welches ist es?"

In dem ersten Satz sagt der kritische Proudhon, daß das Prinzip von der Gesellschaft verdorben, mißverstanden, also an sich selbst richtig ist. Zum Überfluß gesteht er in dem zweiten Satz, daß es seinem Wesen nach wahr sei, und nichtsdestoweniger wirft er der Gesellschaft vor, daß sie "dieses Prinzip" wolle und verehre. Der massenhafte Proudhon dagegen tadelt nicht, daß dieses Prinzip, sondern daß dieses Prinzip, so wie unsre Unwissenheit es verfälscht hat, gewollt und geehrt werde. ("Ce principe ... tel que notre ignorance l'a fait, est honoré." "Dieses Prinzip ... so, wie unsere Unwissenheit es gemacht hat, wird geehrt.") Der kritische Proudhon findet das Wesen des Prinzips in seiner unwahren Gestalt wahr. Der massenhafte Proudhon findet, daß das Wesen des verfälschten Prinzips unsre falsche Auffassung, daß es aber in seinem Gegenstand (objet) wahr ist, ganz in derselben Weise, wie das Wesen der Alchimie und Astrologie unsre Phantasie, ihr Gegenstand aber – die Himmelsbewegung und die chemischen Eigenschaften der Körper – wahr ist.

Der kritische Proudhon fährt fort in seinem Monologe:

"Der Gegenstand unsrer Untersuchung ist das Gesetz, die Bestimmung des sozialen Prinzips. Nun sind die Politiker, d.h. die Männer der sozialen Wissenschaft, in vollständiger Unklarheit [...] befangen: Wie aber jedem Irrtum eine Wirklichkeit zugrund liegt, so wird man in ihren Büchern die Wahrheit finden, die sie ohne ihr Wissen in die Welt gesetzt haben."

Der kritische Proudhon räsoniert in der abenteuerlichsten Weise. Davon, daß die Politiker unwissend und unklar sind, geht er in ganz willkürlicher Weise dazu fort, daß jedem Irrtum eine Wirklichkeit zugrunde liegt, was um so weniger bezweifelt werden kann, da jedem Irrtum in der Person des Irrenden eine Wirklichkeit zugrunde liegt. Davon, daß jedem Irrtum eine Wirklichkeit zugrunde liegt, schließt er weiter, daß in den Büchern der Politiker die Wahrheit zu finden ist. Und endlich läßt er diese Wahrheit von den Politikern sogar in die Welt gesetzt sein. Hätten sie dieselbe in die Welt gesetzt, so brauchte man sie nicht in ihren Büchern zu suchen.

Der massenhafte Proudhon:

"Die Politiker verstehn sich nicht untereinander (ne s'entendent pas); also ist ihr Irrtum ein subjektiver, in ihnen selbst begründeter" (donc c'est en eux qu'est l'erreur). Ihr wechselseitiges Mißverständnis beweist ihre Einseitigkeit. Sie verwechseln "ihre Privatmeinung mit der gesunden Vernunft", und "da" – nach der früheren Deduktion – "jeder Irrtum eine wahre Wirklichkeit zum Gegenstand hat, so muß sich in ihren Büchern die Wahrheit finden, welche sie hier", nämlich in ihre Bücher, "bewußtlos niedergelegt, nicht aber in die Welt gesetzt haben. (Dans leurs livres doit se trouver la vérité, qu'à leur insu ils y auront mire.)"

Der kritische Proudhon fragt sich: "Was ist die Gerechtigkeit, welches ist ihr Wesen, ihr Charakter, ihre Bedeutung?" als wenn sie noch eine vom Wesen und vom Charakter unterschiedene aparte Bedeutung haben sollte. Der unkritische Proudhon fragt: Welches ist ihr Prinzip, ihr Charakter und ihre Formel (formule)? Die Formel ist das Prinzip als Prinzip der wissenschaftlichen Entwicklung. In der massenhaften französischen Sprache sind formule und signification Bedeutung wesentlich unterschieden. In der kritischen französischen Sprache fallen sie zusammen.

Nach seinen allerdings höchst unsachlichen Erörterungen rafft sich der kritische Proudhon zusammen und ruft aus:

"Versuchen wir unserm Gegenstande etwas näherzukommen."

Der unkritische Proudhon, der längst bei seinem Gegenstande angekommen ist, versucht dagegen zu schärferen und posiv[er]en Bestimmungen seines Gegenstandes zu kommen (d'arriver à quelque chose de plus précis et de plus positif).

"Das Gesetz" ist für den kritischen Proudhon eine "Bestimmung des Gerechten", für den unkritischen eine "Erklärung" (déclaration) desselben. Der unkritische Proudhon bekämpft die Ansicht, daß das Recht vom Gesetz gemacht werde. Eine "Bestimmung des Gesetzes" kann aber ebensosehr bedeuten, daß das Gesetz bestimmt wird, als daß es bestimmt, wie weiter oben der kritische Proudhon selbst von der Bestimmung des sozialen Prinzips in letzterem Sinne sprach. Es ist allerdings eine Ungebührlichkeit des massenhaften Proudhon, so feine Unterscheidungen zu machen.

Nach diesen Differenzen zwischen dem kritisch charakterisierten und dem wirklichen Proudhon ist es gar nicht zu verwundern, daß Proudhon Nr. I ganz andere Dinge zu beweisen sucht als Proudhon Nr. II.

Der kritische Proudhon

"sucht durch die Erfahrungen der Geschichte zu beweisen", daß, "wenn die Idee, welche wir uns vom Gerechten und vom Rechten In der "Allgemeinen Literatur-Zeitung": vom Recht machen, falsch ist, offenbar" (trotz dieser Offenbarkeit sucht er zu beweisen) "alle seine Anwendungen im Gesetz schlecht, alle unsre Einrichtungen fehlerhaft sein müssen".

Der massenhafte Proudhon ist weit davon entfernt, beweisen zu wollen, was offenbar ist. Er sagt vielmehr:

"Wenn die Idee, die wir uns vom Gerechten und vom Rechte machen, schlecht bestimmt, wenn sie unvollständig oder selbst falsch wäre, so ist es evident, daß alle unsre legislativen Anwendungen schlecht sind" etc.

Was will der unkritische Proudhon nun beweisen?

"Diese Hypothese", fährt er fort, "von der Verkehrung der Gerechtigkeit in unsrer Auffassung und konsequenten Weise in unsren Handlungen wäre eine bewiesene Tatsache, wenn die Meinungen der Menschen in bezug auf den Begriff der Gerechtigkeit und in bezug auf seine Anwendung nicht beständig dieselben gewesen wären, wenn sie zu verschiedenen Zeiten Modifikationen erfahren hätten, mit einem Wort, wenn Fortschritt in den Ideen stattgefunden hätte."

Und eben diese Unbeständigkeit, diese Veränderung, dieser Fortschritt "ist es, den die Geschichte durch die eklatantesten Zeugnisse beweist". Der unkritische Proudhon zitiert nun diese eklatanten Zeugnisse der Geschichte. Sein kritischer Doppelgänger, wie er einen ganz andern Satz aus den Erfahrungen der Geschichte beweist, stellt auch diese Erfahrungen selbst anders dar.

Bei dem wirklichen Proudhon sahen "die Weisen" (les sages), bei dem kritischen Proudhon "die Philosophen" den Untergang des römischen Reichs voraus. Der kritische Proudhon darf natürlich nur die Philosophen für weise Männer halten. Nach dem wirklichen Proudhon waren die römischen "Rechte durch eine tausendjährige Rechtspraxis" oder "Justiz geheiligt" (ces droits consacrés par une justice dix fois séculaire), nach dem kritischen Proudhon gab es zu Rom "durch eine tausendjährige Gerechtigkeit geheiligte Rechte".

Nach demselben Proudhon Nr. I ward in Rom räsoniert wie folgt:

"Rom ... hat durch seine Politik und seine Götter gesiegt, jede Reform im Kultus und öffentlichen Geiste wäre Narrheit und Schändung" (bei dem kritischen Proudhon heißt sacrilège nicht, wie in der massenhaften französischen Sprache, Schändung des Heiligtums oder Heiligtumsentweihung, sondern schlechthin Schändung); "wollte es die Völker befreien, so würde es sein Recht aufgeben." "So hatte Rom das Faktum und das Recht für sich", fügt Proudhon Nr. I hinzu.

Bei dem unkritischen Proudhon räsoniert man gründlicher in Rom. Man detailliert das Faktum:

"Die Sklaven sind die fruchtbarste Quelle seines Reichtums; die Befreiung der Völker wäre also der Ruin seiner Finanzen."

Und in bezug auf das Recht setzt der massenhafte Proudhon hinzu: "Roms Prätensionen waren gerechtfertigt durch das Völkerrecht (droit des gens)." Diese Art, das Recht der Unterjochung zu beweisen, entspricht durchaus der römischen Rechtsansicht. Siehe die massenhaften Pandekten: "jure gentium servitus invasit".1 (Fr. 4. D. 1.1.) " Durch das Völkerrecht verbreitet sich die Sklaverei." ("Corpus iuris civilis")

Nach dem kritischen Proudhon bildeten "der Götzendienst, die Sklaverei, die Weichlichkeit die Grundlage der römischen Institutionen", der Institutionen in Bausch und Bogen. Der wirkliche Proudhon sagt: "In der Religion bildete der Götzendienst, im Staat die Sklaverei, im Privatleben der Epikureismus" (épicurisme ist in der profanen französischen Sprache nicht gleichbedeutend mit mollesse, Weichlichkeit) "die Grundlage der Institutionen." Innerhalb dieses römischen Zustandes "erschien" bei dem mystischen Proudhon "Wort Gottes", bei dem wirklichen rationalistischen Proudhon ein "Mann, der sich Wort Gottes nannte". Dieser Mann nennt bei dem wirklichen Proudhon die Priester "Nattern" (vipères), bei dem kritischen spricht er galanter mit ihnen und nennt sie "Schlangen". Dort spricht er nach römischer Weise von "Advokaten", hier in deutscher Weise von "Rechtsgelehrten".

Der kritische Proudhon, nachdem er den Geist der französischen Revolution als einen Geist des Widerspruchs bezeichnet hat, fügt hinzu:

"Das reicht hin, um einzusehen, daß das Neue, welches an die Stelle des Alten trat, an sich selber nichts Methodisches und Überlegtes hatte."

Er muß die Lieblingskategorien der kritischen Kritik, das "Alte" und das "Neue", nachbeten. Er muß den Unsinn verlangen, daß das "Neue" an sich etwas Methodisches und Überlegtes haben soll, wie man etwa eine Verunreinigung an sich hat. Der wirkliche Proudhon sagt:

"Das reicht hin, um zu beweisen, daß die Ordnung der Dinge, welche an die Stelle der alten gesetzt wurde, in sich ohne Methode und Reflexion war."

Der kritische Proudhon, von der Erinnerung an die französische Revolution fortgerissen, revolutioniert die französische Sprache so sehr, daß er un fait physique eine physische Tatsache "eine Tatsache der Physik", un fait intellectuel eine intelektuelle Tatsache "eine Tatsache der Einsicht" übersetzt. Durch diese Revolution der französischen Sprache gelingt es dem kritischen Proudhon, die Physik in den Besitz aller Tatsachen zu setzen, die sich in der Natur vorfinden. Wenn er so die Naturwissenschaft von der einen Seite über Gebühr erhebt, so erniedrigt er sie ebensosehr von der andern Seite, indem er ihr die Einsicht abspricht und eine Tatsache der Einsicht von einer Tatsache der Physik unterscheidet. Ebensosehr macht er alle ferneren psychologischen und logischen Studien entbehrlich, indem er die intellektuelle Tatsache unmittelbar zur Tatsache der Einsicht erhebt.

Da der kritische Proudhon, der Proudhon Nr. I, nicht einmal ahnt, was der wirkliche Proudhon, der Proudhon Nr. II, mit seiner historischen Deduktion beweisen will, so existiert für ihn natürlich auch nicht der eigentliche Inhalt dieser Deduktion, nämlich der Beweis von dem Wechsel der Rechtsansichten und von der fortlaufenden Verwirklichung der Gerechtigkeit durch die Negation des historischen positiven Rechts.

"La société fut sauvée par la négation de ses principes ... et la violation des drotis les plus sacrés."

"Die Gesellschaft wurde durch die Verneinung ihrer Prinzipien ... und die Verletzung der heiligsten Rechte gerettet."

So beweist der wirkliche Proudhon, wie durch die Negation des römischen Rechts die Erweiterung des Rechts in der christlichen Vorstellung, wie durch die Negation des Eroberungsrechts das Recht der Kommunen, wie durch die Negation des gesamten Feudalrechts, durch die französische Revolution, der umfassendere jetzige Rechtszustand herbeigeführt wurde.

Die kritische Kritik durfte dem Proudhon unmöglich den Ruhm lassen, das Gesetz von der Verwirklichung eines Prinzips durch seine Verneinung aufgefunden zu haben. In dieser bewußten Fassung war dieser Gedanke eine wirkliche Enthüllung für die Franzosen.

 

Kritische Randglosse Nr. I

Wie die erste Kritik jeder Wissenschaft notwendig in Voraussetzungen der Wissenschaft, die sie bekämpft, befangen ist, so ist Proudhons Werk "Qu'est ce que la propriété?" die Kritik der Nationalökonomie vom Standpunkt der Nationalökonomie aus. – Auf die juristische Partie des Buches, welche das Recht vom Standpunkt des Rechts aus kritisiert, brauchen wir hier nicht näher einzugehen, da die Kritik der Nationalökonomie das Hauptinteresse bildet. – Das Proudhonsche Werk wird also wissenschaftlich überschritten durch die Kritik der Nationalökonomie, auch der Nationalökonomie, wie sie in der Proudhonschen Fassung erscheint. Diese Arbeit ist erst durch Proudhon selbst möglich geworden, wie Proudhons Kritik die Kritik des Merkantilsystems durch die Physiokraten, die der Physiokraten durch Adam Smith, die des Adam Smith durch Ricardo sowie die Arbeiten Fouriers und Saint-Simons zu Voraussetzungen hat.

Alle Entwicklungen der Nationalökonomie haben das Privateigentum zur Voraussetzung. Diese Grundvoraussetzung gilt ihr als unumstößliche Tatsache, die sie keiner weiteren Prüfung unterwirft, ja auf welche sie, wie Say naiv gesteht, nur "accidentellement" zufällig zu sprechen kömmt. Proudhon nun unterwirft die Basis der Nationalökonomie, das Privateigentum, einer kritischen Prüfung, und zwar der ersten entschiednen, rücksichtslosen und zugleich wissenschaftlichen Prüfung. Dies ist der große wissenschaftliche Fortschritt, den er gemacht hat, ein Fortschritt, der die Nationalökonomie revolutioniert und eine wirkliche Wissenschaft der Nationalökonomie erst möglich macht. Proudhons Schrift "Qu'est-ce que la propriété?" hat dieselbe Bedeutung für die moderne Nationalökonomie, welche Sieyès Schrift "Qu'est-ce que le tiers état?" "Was ist der dritte Stand?" für die moderne Politik hat.

Wenn Proudhon die weiteren Gestaltungen des Privateigentums, z.B. Arbeitslohn, Handel, Wert, Preis, Geld etc. nicht, wie es z.B. in den "Deutsch-Französischen Jahrbüchern" geschehen ist (siehe die "Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" von F. Engels), selbst als Gestaltungen des Privateigentums faßt, sondern mit diesen nationalökonomischen Voraussetzungen die Nationalökonomen bestreitet, so entspricht dies ganz seinem oben bezeichneten, historisch gerechtfertigten Standpunkt.

Die Nationalökonomie, welche die Verhältnisse des Privateigentums für menschliche und vernünftige Verhältnisse hinnimmt, bewegt sich in einem fortwährenden Widerspruch gegen ihre Grundvoraussetzung, das Privateigentum, in einem analogen Widerspruche wie der Theologe, der die religiösen Vorstellungen beständig menschlich interpretiert und eben dadurch gegen seine Grundvoraussetzung, die Übermenschlichkeit der Religion, beständig verstößt. So tritt in der Nationalökonomie der Arbeitslohn im Anfang als der proportionierte Anteil auf, der der Arbeit am Produkt gebührt. Arbeitslohn und Gewinn des Kapitals stehn im freundschaftlichsten, wechselweise sich fördernden, scheinbar menschlichsten Verhältnisse zueinander. Hinterher zeigt es sich, daß sie in dem feindschaftlichsten, in umgekehrtem Verhältnis zueinander stehn. Der Wert ist im Anfang scheinbar vernünftig bestimmt, durch die Produktionskosten einer Sache und durch ihre gesellschaftliche Nützlichkeit. Hinterher zeigt es sich, daß der Wert eine rein zufällige Bestimmung ist, die in gar keinem Verhältnis weder zu den Produktionskosten noch zu der gesellschaftlichen Nützlichkeit zu stehen braucht. Die Größe des Arbeitslohns wird im Anfang durch die freie Übereinkunft zwischen dem freien Arbeiter und dem freien Kapitalisten bestimmt. Hinterher zeigt es sich, daß der Arbeiter gezwungen ist, ihn bestimmen zu lassen, wie der Kapitalist gezwungen ist, ihn so niedrig als möglich zu setzen. An die Stelle der Freiheit der kontrahierenden Partei ist der Zwang getreten. Ebenso verhält es sich mit dem Handel und mit allen übrigen nationalökonomischen Verhältnissen. Die Nationalökonomen fühlen selbst gelegentlich diese Widerspruche, und die Entwicklung derselben bildet den Hauptgehalt ihrer wechselseitigen Kämpfe. Wo sie ihnen aber zum Bewußtsein kommen, greifen sie selbst das Privateigentum in irgendeiner partiellen Gestalt als Verfälscher des an sich, nämlich in ihrer Vorstellung, vernünftigen Arbeitslohns, des an sich vernünftigen Werts, des an sich vernünftigen Handels an. So polemisiert Adam Smith gelegentlich gegen die Kapitalisten, Destutt de Tracy gegen die Wechsler, so Simonde de Sismondi gegen das Fabriksystem, so Ricardo gegen das Grundeigentum, so fast alle modernen Nationalökonomen gegen die nichtindustriellen Kapitalisten, in welchen das Eigentum als bloßer Konsument erscheint.

Die Nationalökonomen machen also bald ausnahmsweise – namentlich wenn sie irgendeinen speziellen Mißbrauch angreifen – den Schein des Menschlichen an den ökonomischen Verhältnissen geltend, bald aber und im Durchschnitt fassen sie diese Verhältnisse gerade in ihrem offen ausgesprochenen Unterschied vom Menschlichen, in ihrem strikt ökonomischen Sinn. In diesem Widerspruch taumeln sie bewußtlos umher.

Proudhon nun hat dieser Bewußtlosigkeit ein für allemal ein Ende gemacht. Er hat den menschlichen Schein der nationalökonomischen Verhältnisse ernst genommen und ihrer unmenschlichen Wirklichkeit schroff gegenübergestellt. Er hat sie gezwungen, das in der Wirklichkeit zu sein, was sie in ihrer Vorstellung von sich sind, oder vielmehr ihre Vorstellung von sich aufzugeben und ihre wirkliche Unmenschlichkeit einzugestehen. Er hat daher konsequent nicht diese oder jene Art des Privateigentums, wie die übrigen Nationalökonomen, auf partielle Weise, sondern das Privateigentum schlechthin auf universelle Weise als den Verfälscher der nationalökonomischen Verhältnisse dargestellt. Er hat alles geleistet, was die Kritik der Nationalökonomie von nationalökonomischem Standpunkte aus leisten kann.

Herr Edgar, der den Standpunkt der Schrift "Qu'est-ce que la propriété?" charakterisieren will, redet natürlich kein Wort weder von der Nationalökonomie noch von dem unterscheidenden Charakter jener Schrift, der eben darin besteht, die Frage nach dem Wesen des Privateigentums zur Lebensfrage der Nationalökonomie und Jurisprudenz gemacht zu haben. Der kritischen Kritik versteht sich das alles von selbst. Proudhon hat nichts Neues mit seiner Negation des Privateigentums getan. Er hat nur ein von der kritischen Kritik verschwiegenes Geheimnis ausgeplaudert.

"Proudhon", fährt Herr Edgar unmittelbar nach seiner charakterisierenden Übersetzung fort, "findet also etwas Absolutes, eine ewige Grundlage in der Geschichte, einen Gott, der die Menschheit lenkt, die Gerechtigkeit."

Proudhons französische Schrift vom Jahre 1840 steht nicht auf dem Standpunkt der deutschen Entwicklung vom Jahre 1844. Das ist Proudhons Standpunkt, ein Standpunkt, den eine Unzahl ihm diametral entgegenstehender französischer Schriftsteller teilt, der also der kritischen Kritik den Vorteil gewährt, die entgegengesetztesten Standpunkte mit einem und demselben Federstrich charakterisiert zu haben. Man braucht übrigens nur das von Proudhon selbst aufgestellte Gesetz, die Verwirklichung der Gerechtigkeit durch ihre Negation, konsequent durchzuführen, um auch dieses Absoluten in der Geschichte überhoben zu sein. Wenn Proudhon nicht bis zu dieser Konsequenz fortgeht, so verdankt er dies dem Unglück, als Franzose und nicht als Deutscher geboren zu sein.

Für Herrn Edgar ist Proudhon durch das Absolute in der Geschichte, den Glauben an die Gerechtigkeit, zu einem theologischen Gegenstand geworden, und die kritische Kritik, welche ex professo von Amts wegen Kritik der Theologie ist, kann sich seiner nun bemächtigen, um sich über die "religiösen Vorstellungen" auszulassen.

"Es ist das Charakteristische jeder religiösen Vorstellung, daß sie das Dogma eines Zustandes aufstellt, in welchem am Ende der eine Gegensatz als der siegreiche und allein wahre dasteht."

Wir werden sehn, wie die religiöse kritische Kritik das Dogma eines Zustandes aufstellt, in welchem am Ende der eine Gegensatz, " die Kritik", über den andern, "die Masse", als alleinige Wahrheit den Sieg davonträgt. Proudhon beging aber ein um so größeres Unrecht, in der massenhaften Gerechtigkeit ein Absolutes, einen Gott der Geschichte zu erblicken, als die gerechte Kritik sich selbst die Rolle dieses Absoluten, dieses Gottes in der Geschichte ausdrücklich vorbehalten hat.

 

Kritische Randglosse Nr. II

"Proudhon kommt durch die Tatsache des Elends, der Armut, einseitig zu seinen Betrachtungen, in ihr sieht er einen Widerspruch gegen die Gleichheit und Gerechtigkeit; sie leiht ihm seine Waffen. So wird ihm diese Tatsache zu einer absoluten, berechtigten, die Tatsache des Eigentums zu einer unberechtigten."

Die Ruhe des Erkennens sagt uns, daß Proudhon in der Tatsache des Elends einen Widerspruch gegen die Gerechtigkeit, sie also unberechtigt findet, und in demselben Atemzug versichert sie, daß diese Tatsache ihm zu einer absoluten, berechtigten wird.

Die bisherige Nationalökonomie kam von dem Reichtum, den die Bewegung des Privateigentums angeblich für die Nationen erzeugt, zu ihren das Privateigentum apologisierenden Betrachtungen. Proudhon kommt von der umgekehrten, in der Nationalökonomie sophistisch verdeckten Seite, von der durch die Bewegung des Privateigentums erzeugten Armut, zu seinen das Privateigentum negierenden Betrachtungen. Die erste Kritik des Privateigentums geht natürlich von der Tatsache aus, worin sein widerspruchsvolles Wesen in der sinnfälligsten, schreiendsten, das menschliche Gefühl unmittelbar empörendsten Gestalt erscheint – von der Tatsache der Armut, des Elendes.

"Die Kritik dagegen faßt beide Tatsachen der Armut und des Eigentums zu einer einzigen zusammen, sie erkennt die innere Verbindung beider, macht sie zu einem Ganzen, das sie als solches nach den Voraussetzungen seiner Existenz fragt."

Die Kritik, welche von den Tatsachen des Eigentums und der Armut bisher nichts gefaßt hat, macht "dagegen" ihre in der Einbildung vollbrachte Tat gegen die wirkliche Tat Proudhons geltend. Sie faßt beide Tatsachen zu einer einzigen zusammen, und nachdem sie aus beiden eine einzige gemacht hat, erkennt sie nunmehr die innere Verbindung beider. Die Kritik kann nicht leugnen, daß auch Proudhon eine innere Verbindung zwischen den Tatsachen der Armut und des Eigentums erkennt, da er eben dieser Verbindung wegen das Eigentum aufhebt, um das Elend aufzuheben. Proudhon hat sogar mehr getan. Er hat im Detail nachgewiesen, wie die Bewegung des Kapitals das Elend erzeugt. Die kritische Kritik dagegen läßt sich auf solche Kleinigkeiten nicht ein. Sie erkennt, daß Armut und Privateigentum Gegensätze sind: eine ziemlich verbreitete Erkenntnis. Sie macht Armut und Reichtum zu einem Ganzen, das sie "als solches nach den Voraussetzungen seiner Existenz fragt"; eine um so überflüssigere Frage, als sie soeben "das Ganze als solches" gemacht hat, also ihr Machen selbst die Voraussetzung seiner Existenz ist.

Indem die kritische Kritik "das Ganze als solches" nach den Voraussetzungen seiner Existenz fragt, sucht sie also in echt theologischer Weise außerhalb des Ganzen nach den Voraussetzungen seiner Existenz. Die kritische Spekulation bewegt sich außerhalb des Gegenstandes, den sie zu behandeln vorgibt. Während der ganze Gegensatz nichts anders ist als die Bewegung seiner beiden Seiten, während eben in der Natur dieser beiden Seiten die Voraussetzung der Existenz des Ganzen liegt, überhebt sie sich des Studiums dieser wirklichen, das Ganze bildenden Bewegung, um erklären zu können, daß die kritische Kritik als Ruhe des Erkennens über beide Extreme des Gegensatzes erhaben ist, daß ihre Tätigkeit, welche "das Ganze als solches" gemacht hat, nun auch allein imstande ist, das von ihr gemachte Abstraktum aufzuheben.

Proletariat und Reichtum sind Gegensätze. Sie bilden als solche ein Ganzes. Sie sind beide Gestaltungen der Welt des Privateigentums. Es handelt sich um die bestimmte Stellung, die beide in dem Gegensatz einnehmen. Es reicht nicht aus, sie für zwei Seiten eines Ganzen zu erklären.

Das Privateigentum als Privateigentum, als Reichtum, ist gezwungen, sich selbst und damit seinen Gegensatz, das Proletariat, im Bestehen zu erhalten. Es ist die positive Seite des Gegensatzes, das in sich selbst befriedigte Privateigentum.

Das Proletariat ist umgekehrt als Proletariat gezwungen, sich selbst und damit seinen bedingenden Gegensatz, der es zum Proletariat macht, das Privateigentum, aufzuheben. Es ist die negative Seite des Gegensatzes, seine Unruhe in sich, das aufgelöste und sich auflösende Privateigentum.

Die besitzende Klasse und die Klasse des Proletariats stellen dieselbe menschliche Selbstentfremdung dar. Aber die erste Klasse fühlt sich in dieser Selbstentfremdung wohl und bestätigt, weiß die Entfremdung als ihre eigne Macht und besitzt in ihr den Schein einer menschlichen Existenz; die zweite fühlt sich in der Entfremdung vernichtet, erblickt in ihr ihre Ohnmacht und die Wirklichkeit einer unmenschlichen Existenz. Sie ist, um einen Ausdruck von Hegel zu gebrauchen, in der Verworfenheit die Empörung über diese Verworfenheit, eine Empörung, zu der sie notwendig durch den Widerspruch ihrer menschlichen Natur mit ihrer Lebenssituation, welche die offenherzige, entschiedene, umfassende Verneinung dieser Natur ist, getrieben wird.

Innerhalb des Gegensatzes ist der Privateigentümer also die konservative, der Proletarier die destruktive Partei. Von jenem geht die Aktion des Erhaltens des Gegensatzes, von diesem die Aktion seiner Vernichtung aus.

Das Privateigentum treibt allerdings sich selbst in seiner nationalökonomischen Bewegung zu seiner eignen Auflösung fort, aber nur durch eine von ihm unabhängige, bewußtlose, wider seinen Willen stattfindende, durch die Natur der Sache bedingte Entwicklung, nur indem es das Proletariat als Proletariat erzeugt, das seines geistigen und physischen Elends bewußte Elend, die ihrer Entmenschung bewußte und darum sich selbst aufhebende Entmenschung. Das Proletariat vollzieht das Urteil, welches das Privateigentum durch die Erzeugung des Proletariats über sich selbst verhängt, wie es das Urteil vollzieht, welches die Lohnarbeit über sich selbst verhängt, indem sie den fremden, Reichtum und das eigne Elend erzeugt. Wenn das Proletariat siegt, so ist es dadurch keineswegs zur absoluten Seite der Gesellschaft geworden, denn es siegt nur, indem es sich selbst und sein Gegenteil aufhebt. Alsdann ist ebensowohl das Proletariat wie sein bedingender Gegensatz, das Privateigentum, verschwunden.

Wenn die sozialistischen Schriftsteller dem Proletariat diese weltgeschichtliche Rolle zuschreiben, so geschieht dies keineswegs, wie die kritische Kritik zu glauben vorgibt, weil sie die Proletarier für Götter halten. Vielmehr umgekehrt. Weil die Abstraktion von aller Menschlichkeit, selbst von dem Schein der Menschlichkeit, im ausgebildeten Proletariat praktisch vollendet ist, weil in den Lebensbedingungen des Proletariats alle Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft in ihrer unmenschlichsten Spitze zusammengefaßt sind, weil der Mensch in ihm sich selbst verloren, aber zugleich nicht nur das theoretische Bewußtsein dieses Verlustes gewonnen hat, sondern auch unmittelbar durch die nicht mehr abzuweisende, nicht mehr zu beschönigende, absolut gebieterische Not – den praktischen Ausdruck der Notwendigkeit – zur Empörung gegen diese Unmenschlichkeit gezwungen ist, darum kann und muß das Proletariat sich selbst befreien. Es kann sich aber nicht selbst befreien, ohne seine eigenen Lebensbedingungen aufzuheben. Es kann seine eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben. Es macht nicht vergebens die harte, aber stählende Schule der Arbeit durch. Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in seiner eignen Lebenssituation wie in der ganzen Organisation der heutigen bürgerlichen Gesellschaft sinnfällig, unwiderruflich vorgezeichnet. Es bedarf hier nicht der Ausführung, daß ein großer Teil des englischen und französischen Proletariats sich seiner geschichtlichen Aufgabe schon bewußt ist und beständig daran arbeitet, dies Bewußtsein zur vollständigen Klarheit herauszubilden.

"Die kritische Kritik" darf dies um so weniger anerkennen, als sie sich selbst zum ausschließlich schöpferischen Element der Geschichte proklamiert hat. Ihr gehören die geschichtlichen Gegensätze, ihr die Tätigkeit, sie aufzuheben. Sie erläßt daher durch ihre Inkarnation Edgar folgende Bekanntmachung:

"Bildung und Bildungslosigkeit, Besitz und Besitzlosigkeit, diese Gegensätze müssen, wenn sie nicht entweiht werden sollen, ganz und gar der Kritik anheimfallen."

Besitz und Besitzlosigkeit haben die metaphysische Weihe kritisch spekulativer Gegensätze erhalten. Nur die Hand der kritischen Kritik kann sie daher antasten, ohne ein Sakrilegium zu begehn. Kapitalisten und Arbeiter haben sich in ihr wechselseitiges Verhältnis nicht einzumischen.

Herr Edgar, weit entfernt zu ahnen, daß man seine kritische Auffassung des Gegensatzes antasten, daß man dies Heiligtum entweihen könne, läßt seinen Gegner eine Einwendung machen, die nur er selbst sich machen konnte.

"Ist es denn möglich", fragt der imaginäre Gegner der kritischen Kritik, "sich anderer Begriffe als der schon bestehenden, Freiheit, Gleichheit usw., zu bedienen? Ich antworte" – man merke auf, was Herr Edgar antwortet –, "daß die griechische, die lateinische Sprache untergingen, als der Gedankenkreis erschöpft war, dem sie zum Ausdruck dienten."

Es ist nun klar, warum die kritische Kritik keinen einzigen Gedanken in deutscher Sprache gibt. Die Sprache ihrer Gedanken ist noch nicht gekommen, so sehr Herr Reichardt durch seine kritische Behandlung der Fremdwörter, Herr Faucher durch seine Behandlung der englischen und Herr Edgar durch seine Behandlung der französischen Sprache die neue kritische Sprache vorbereitet haben.

 

Charakterisierende Übersetzung Nr. II

Der kritische Proudhon:

"Die Ackerbauer teilten den Erdboden unter sich; die Gleichheit heiligte nur den Besitz; bei dieser Gelegenheit heiligte sie das Eigentum."

Der kritische Proudhon läßt sogleich mit der Teilung des Erdbodens das Grundeigentum entstehen. Er bewerkstelligt den Übergang vom Besitz zum Eigentum durch die Redensart "bei dieser Gelegenheit".

Der wirkliche Proudhon:

"Der Ackerbau begründete den Grundbesitz ... es war nicht genug, dem Arbeiter die Frucht seiner Arbeit zu sichern, wenn man ihm nicht zu gleicher Zeit das Instrument der Produktion sicherte. Um den Schwächeren vor dem Übergriff des Stärkern zu bewahren ... fühlte man die Notwendigkeit, zwischen den Besitzern beständige Grenzlinien zu ziehen."

Also bei dieser Gelegenheit heiligte die Gleichheit zunächst den Besitz.

"Jährlich sah man mit der Zunahme der Bevölkerung die Habsucht und die Gier der Kolonisten wachsen; man glaubte den Ehrgeiz durch neue unüberwindliche Schranken brechen zu müssen. So wurde der Boden zum Eigentum, durch das Bedürfnis der Gleichheit ... ohne Zweifel war die Teilung nie geographisch gleich ... aber das Prinzip blieb nichtsdestoweniger dasselbe; die Gleichheit hatte den Besitz geheiligt, die Gleichheit heiligte das Eigentum."

Bei dem kritischen Proudhon

"übersahen die alten Begründer des Eigentums über der Sorge für ihr Bedürfnis, daß dem Eigentumsrecht zugleich das Recht zu entäußern, zu verkaufen, verschenken, erwerben und verlieren entsprach, was die Gleichheit, von der sie ausgingen, zerstörte".

Bei dem wirklichen Proudhon übersahen die Begründer des Eigentums diesen seinen Entwicklungsgang nicht in der Sorge für ihr Bedürfnis. Sie hatten ihn vielmehr nicht vorhergesehen, aber selbst wenn sie ihn hätten vorhersehn können, selbst dann würde das gegenwärtige Bedürfnis den Sieg davongetragen haben. Der wirkliche Proudhon ist ferner zu massenhaft, um dem "Eigentumsrecht" das Recht zu entäußern, verkaufen etc., d.h. um der Gattung ihre Arten entgegenzustellen. Er stellt das "Recht, sein Erbteil zu erhalten", dem "Recht, es zu entäußern etc." entgegen, was einen wirklichen Gegensatz und Fortschritt bildet.

 

Kritische Randglosse Nr. III

"Worauf stützt nun Proudhon seinen Beweis für die Unmöglichkeit des Eigentums? Das übersteigt allen Glauben: auf dasselbe Prinzip der Gleichheit!"

Zur Erweckung des Glaubens des Herrn Edgar hätte eine kurze Reflexion ausgereicht. Es kann Herrn Edgar nicht unbekannt sein, daß Herr Bruno Bauer allen seinen Entwicklungen das " unendliche Selbstbewußtsein" zugrunde legte und dies Prinzip als das schöpferische Prinzip auch der dem unendlichen Selbstbewußtsein durch ihre unendliche Bewußtlosigkeit scheinbar gradezu widersprechenden Evangelien auffaßte. In derselben Weise faßt Proudhon die Gleichheit als das schöpferische Prinzip des ihr gradezu widersprechenden Privateigentums. Wenn Herr Edgar einen Augenblick die französische Gleichheit mit dem deutschen Selbstbewußtsein vergleicht, wird er finden, daß das letztere Prinzip deutsch, d.h. im abstrakten Denken, ausdrückt, was das erstere französisch, d.h. in der Sprache der Politik und der denkenden Anschauung, sagt. Das Selbstbewußtsein ist die Gleichheit des Menschen mit sich selbst im reinen Denken. Die Gleichheit ist das Bewußtsein des Menschen von sich selbst im Element der Praxis, d.h. also das Bewußtsein des Menschen vom andern Menschen als dem ihm Gleichen und das Verhalten des Menschen zum andern Menschen als dem ihm Gleichen. Die Gleichheit ist der französische Ausdruck für die menschliche Wesenseinheit, für das Gattungsbewußtsein und Gattungsverhalten des Menschen, für die praktische Identität des Menschen mit dem Menschen, d. h. also für die gesellschaftliche oder menschliche Beziehung des Menschen zum Menschen. Wie daher die destruktive Kritik in Deutschland, ehe sie in Feuerbach zur Anschauung des wirklichen Menschen fortgegangen war, alles Bestimmte und Bestehende durch das Prinzip des Selbstbewußtseins aufzulösen suchte, so die destruktive Kritik in Frankreich durch das Prinzip der Gleichheit,

"Proudhon eifert gegen die Philosophie, was wir ihm an und für sich nicht verdenken können. Warum aber eifert er? Die Philosophie, meint er, sei bis jetzt noch nicht praktisch genug gewesen sie habe sich auf das hohe Pferd der Spekulation gesetzt, und da seien ihr die Menschen gar zu klein vorgekommen. Ich meine, daß die Philosophie überpraktisch ist, d.h. sie war bisher nichts als der abstrakte Ausdruck der bestehenden Zustände, sie war stets in den Voraussetzungen derselben, die sie als absolute hinnahm, befangen."

Die Meinung, daß die Philosophie der abstrakte Ausdruck der bestehenden Zustände sei, gehört ursprünglich nicht Herrn Edgar, sondern Feuerbach, der die Philosophie zuerst als spekulative und mystische Empirie bezeichnete und nachwies. Indessen weiß Herr Edgar dieser Meinung eine originelle, kritische Wendung zu geben. Schließt Feuerbach nämlich, daß die Philosophie aus dem Himmel der Spekulation in die Tiefe des menschlichen Elendes herabzusteigen habe, so belehrt uns Herr Edgar dagegen, daß die Philosophie überpraktisch ist. Es scheint aber vielmehr, daß die Philosophie, eben weil sie nur der transzendente, abstrakte Ausdruck der vorhandnen Zustände war, wegen ihrer Transzendenz und Abstraktion, wegen ihres imaginären Unterschieds von der Welt die vorhandenen Zustände und die wirklichen Menschen tief unter sich gelassen zu haben wähnen mußte; daß sie andrerseits, weil sie sich nicht wirklich von der Welt unterschied, kein wirkliches Urteil über sie fällen, keine reale Unterscheidungskraft gegen sie geltend machen, also nicht praktisch eingreifen konnte, sondern höchstens mit einer Praxis in abstracto sich begnügen mußte. Überpraktisch war die Philosophie nur in dem Sinne, daß sie über der Praxis schwebte. Von der unendlichen Kleinheit, in welcher die wirklichen Menschen der Spekulation erscheinen, legt die kritische Kritik, der die Menschheit in eine geistlose Masse zusammenfällt, das eklatanteste Zeugnis ab. Die alte Spekulation stimmt hierin mit ihr überein. Man lese z. B. folgenden Satz aus Hegels "Rechtsphilosophie":

"Auf dem Standpunkt der Bedürfnisse ist es das Konkretum der Vorstellung, das man Mensch nennt; es ist also hier und auch eigentlich nur hier vorn Menschen in diesem Sinne die Rede."

Wenn die Spekulation sonst von dem Menschen redet, so meint sie nicht das Konkretum, sondern das Abstraktum, die Idee, den Geist etc. Von der Weise, wie die Philosophie die vorhandnen Zustände ausdrückt, gab Herr Faucher in bezug auf die vorhandnen englischen Zustände und Herr Edgar in bezug auf die vorhandnen Zustände der französischen Sprache ergreifende Exempel.

"So ist auch Proudhon praktisch, indem er, den Begriff der Gleichheit den Beweisen für das Eigentum zugrunde liegen findend, aus demselben Begriff gegen das Eigentum doziert."

Proudhon tut hier ganz dasselbe, was die deutschen Kritiker tun, welche aus der Vorstellung des Menschen, den sie den Beweisen für das Dasein Gottes zugrunde liegen finden, grade gegen das Dasein Gottes dozieren.

"Sind die Konsequenzen des Prinzips der Gleichheit stärker als sie selbst, wie will ihm Proudhon zu seiner plötzlichen Stärke verhelfen?"

Allen religiösen Vorstellungen liegt nach Herrn B[runo] Bauer das Selbstbewußtsein zugrunde. Es ist nach ihm das schöpferische Prinzip der Evangelien. Warum waren nun die Konsequenzen des Prinzips des Selbstbewußtseins stärker als es selbst? Weil, antwortet man zu deutsch, zwar das Selbstbewußtsein das schöpferische Prinzip der religiösen Vorstellungen ist, aber als außer sich gekommenes, sich selbst widersprechendes, entäußertes und entfremdetes Selbstbewußtsein. Das zu sich selbst gekommene, das sich selbst verstehende, das sein Wesen erfassende Selbstbewußtsein ist daher die Macht über die Geschöpfe seiner Selbstentäußerung. Ganz in demselben Fall befindet sich Proudhon, natürlich mit dem Unterschied, daß er französisch und daß wir deutsch sprechen, daß er daher auf eine französische Weise ausdrückt, was wir auf eine deutsche Weise ausdrücken.

Proudhon wirft sich selbst die Frage auf, warum die Gleichheit, obgleich sie als schöpferisches Vernunftprinzip der Stiftung des Eigentums und als letzter Vernunftgrund allen Beweisen für das Eigentum zugrunde liegt, dennoch nicht existiere, sondern vielmehr ihre Negation, das Privateigentum? Er betrachtet daher die Tatsache des Eigentums in sich selbst. Er beweist, "daß in Wahrheit das Eigentum als Institution und Prinzip unmöglich ist" (p. 34), d.h., daß es sich selbst widerspricht und in allen Punkten aufhebt, daß es, deutsch ausgedrückt, das Dasein der entäußerten, sich selbst wider- sprechenden, der sich selbst entfremdeten Gleichheit ist. Die wirklichen französischen Zustände wie die Erkenntnis dieser Entfremdung deuten dem Proudhon mit Recht auf die wirkliche Aufhebung derselben hin.

Proudhon fühlt das Bedürfnis, in seiner Negation des Privateigentums die Existenz des Privateigentums zugleich historisch zu rechtfertigen. Wie alle ersten Entwicklungen dieser Art ist auch seine Entwicklung pragmatisch, d.h. er unterstellt, daß die vergangnen Geschlechter mit Bewußtsein und Reflexion in ihren Institutionen die Gleichheit, die ihm das menschliche Wesen repräsentiert, verwirklichen wollten.

"Wir kommen immer wieder darauf zurück ... Proudhon schreibt im Interesse der Proletarier."

Er schreibt nicht aus dem Interesse der selbstgenügsamen Kritik, aus keinem abstrakten, selbstgemachten Interesse, sondern aus einem massenhaften, wirklichen, historischen Interesse, aus einem Interesse, das es weiter als zur Kritik, nämlich zur Krise bringen wird. Proudhon schreibt nicht nur im Interesse der Proletarier; er selbst ist Proletarier, Ouvrier Arbeiter. Sein Werk ist ein wissenschaftliches Manifest des französischen Proletariats und hat daher eine ganz andre historische Bedeutung als das literarische Machwerk irgendeines kritischen Kritikers.

"Proudhon schreibt im Interesse derer, die nichts haben; Haben und Nichtshaben sind ihm absolute Kategorien. Das Haben ist ihm das Höchste, weil ihm zugleich das Nichthaben als höchster Gegenstand des Nachdenkens dasteht. Jeder Mensch soll haben, aber gleich viel wie der andre, meint Proudhon. Man bedenke aber, daß mir an dem, was ich habe, nur das interessant ist, was ich ausschließlich, was ich mehr habe als der andre. Bei der Gleichheit wird mir das Haben und die Gleichheit selber etwas Gleichgültiges."

Nach Herrn Edgar sind Haben und Nichthaben für Proudhon absolute Kategorien. Die kritische Kritik erblickt überall nur Kategorien. So sind nach Herrn Edgar Haben und Nichthaben, Arbeitslohn, Besoldung, Not und Bedürfnis, Arbeit für das Bedürfnis nichts anders als Kategorien.

Wenn die Gesellschaft sich nur von den Kategorien des Habens und Nichthabens zu befreien hätte, wie leicht würde ihr jeder selbst noch schwächere Dialektiker als Herr Edgar die "Überwindung" und "Aufhebung" dieser Kategorien machen! Herr Edgar unterstellt dies auch als eine solche Kleinigkeit, daß er es nicht einmal der Mühe wert achtet, dem Proudhon gegenüber sogar nur eine Erklärung der Kategorien des Habens und Nichthabens zu gehen. Da aber das Nichthaben nicht bloß eine Kategorie, sondern eine ganz trostlose Wirklichkeit ist, da der Mensch, der nichts hat, heutzutage nichts ist, da er, wie von der Existenz überhaupt, so noch mehr von einer menschlichen Existenz abgeschnitten ist, da der Zustand des Nichthabens der Zustand der völligen Trennung des Menschen von seiner Gegenständlichkeit ist, so scheint das Nichthaben durchaus berechtigt, als höchster Gegenstand des Nachdenkens für Proudhon dazustehn, um so mehr, je weniger man vor ihm und den sozialistischen Schriftstellern überhaupt über diesen Gegenstand nachgedacht hatte. Das Nichthaben ist der verzweifeltste Spiritualismus, eine völlige Unwirklichkeit des Menschen, eine völlige Wirklichkeit des Unmenschen, ein sehr positives Haben, ein Haben von Hunger, von Kälte, von Krankheiten, von Verbrechen, von Erniedrigung, von Hebetismus, von aller Unmenschlichkeit und Widernatürlichkeit. Jeder Gegenstand aber, der zum erstenmal mit dem vollen Bewußtsein seiner Wichtigkeit zum Gegenstand des Nachdenkens gemacht wird, steht als höchster Gegenstand des Nachdenkens da.

Daß Proudhon das Nichthaben und die alte Weise des Habens aufheben will, ist ganz identisch damit, daß er das praktisch entfremdete Verhältnis des Menschen zu seinem gegenständlichen Wesen, daß er den nationalökonomischen Ausdruck der menschlichen Selbstentfremdung aufheben will. Weil aber seine Kritik der Nationalökonomie noch in den Voraussetzungen der Nationalökonomie befangen ist, so wird die Wiederaneignung der gegenständlichen Welt selbst noch unter der nationalökonomischen Form des Besitzes gefaßt.

Proudhon stellt nämlich nicht, wie die kritische Kritik ihn tun läßt, dem Nichthaben das Haben, sondern der alten Weise des Habens, dem Privateigentum, den Besitz gegenüber. Den Besitz erklärt er für eine "gesellschaftliche Funktion". In einer Funktion aber ist es nicht das "Interessante", den andern "auszuschließen", sondern meine eignen Wesenskräfte zu betätigen und zu verwirklichen.

Es ist Proudhon nicht gelungen, diesem Gedanken eine entsprechende Ausführung zu geben. Die Vorstellung des "gleichen Besitzes" ist der nationalökonomische, also selbst noch entfremdete Ausdruck dafür, daß der Gegenstand als Sein für den Menschen, als gegenständliches Sein des Menschen, zugleich das Dasein des Menschen für den andern Menschen, seine menschliche Beziehung zum andern Menschen, das gesellschaftliche Verhalten des Menschen zum Menschen ist. Proudhon hebt die nationalökonomische Entfremdung innerhalb der nationalökonomischen Entfremdung auf.

Der kritische Proudhon besitzt auch einen kritischen Eigentümer, nach dessen

"eigenem Geständnis die, welche für ihn arbeiten mußten, verloren, was er sich aneignete".

Der massenhafte Proudlion spricht zum massenhaften Eigentümer:

"Du hast gearbeitet! Solltest du nie andre für dich haben arbeiten lassen? Wie haben sie also, während sie für dich arbeiteten, verloren, was du zu erwerben gewußt hast, während du nicht für sie arbeitetest?"

Der kritische Proudhon läßt den Say unter "richesse naturelle" "natürlichen Reichtum" "natürliche Besitztümer" verstehen, obgleich Say, um jeden Irrtum abzuschneiden, im Epitomé Auszug zu seinem "Traité d'économie politique" "Darstellung der Nationalökonomie" ausdrücklich erklärt, daß er unter richesse weder Eigentum hoch Besitztum, sondern eine "Summe von Werten" versteht. Natürlich, wie der kritische Proudhon durch Herrn Edgar reformiert wird, so reformiert er seinerseits wieder den Say. So "folgert" nach ihm Say "sogleich auf ein Recht", sich "ein Feld als Eigentum zu nehmen", weil die Ländereien leichter anzueignen sind als Luft und Wasser. Say, weit entfernt, aus der größern Möglichkeit der Aneignung des Grund und Bodens auf ein Eigentumsrecht an demselben zu folgern, sagt vielmehr ausdrücklich: "Les droits des propriétaires de terres – remontent à une spoliation," "Die Rechte der Grundbesitzer gehen auf einen Raub zurück" ("Traité d'économie politique", édition III, t. 1., p. 136, Nota.) Deswegen bedarf es nach Say des "concours de la législation" "Mitwirkung der Gesetzgebung" und des "droit positif" "positiven Rechts" zur Gründung des Rechts am Grundeigentum. Der wirkliche Proudhon läßt den Say nicht "sogleich" aus der leichtern Aneignung des Grund und Bodens das Recht des Grundeigentums folgern, er wirft ihm vor, daß er die Möglichkeit statt des Rechts gelten lasse und die Frage nach der Möglichkeit mit der Frage nach dem Recht verwechsle:

"Say prend la possibilité pour le droit. On ne demande pas pourquoi la terre a été plutôt appropriée que la mer et les airs; on veut savoir, en vertu de quel droit l'homme s'est approprié cette richesse."

"Say nimmt die Möglichkeit für das Recht. Man fragt nicht, warum die Erde eher angeeignet worden ist als das Meer und die Lüfte; man will wissen, kraft welchen Rechts sich der Mensch diesen Reichtum angeeignet hat."

Der kritische Proudhon fährt fort:

"Hierzu ist nur zu bemerken, daß mit Aneignung eines Stück Landes auch die übrigen Elemente, Luft, Wasser, Feuer, angeeignet werden: Terra, aqus, aere et igne interdicti sumus Von Erde, Wasser, Luft und Feuer sind wir ausgeschlossen."

Weit entfernt, daß der wirkliche Proudhon "nur" dies bemerkt hat, sagt er vielmehr, daß er nebenbei (en passant) auf die Appropriation von Luft und Wasser "aufmerksam" macht. Bei dem kritischen Proudhon findet sich die römische Bannformel auf eine unbegreifliche Weise ein. Er vergißt zu sagen, wer die "wir" sind, die interdiziert sind. Der wirkliche Proudhon redet die Nichteigentümer an:

"Proletarier ..., das Eigentum exkommuniziert uns, terra etc interdicti sumus."

Der kritische Proudhon polemisiert gegen Charles Comte wie folgt:

"Charles Comte meint, der Mensch bedürfe, um zu leben, der Luft, der Nahrung, der Kleidung. Einige dieser Dinge, wie Luft und Wasser, seien unerschöpflich, bleiben also immer Gemeineigentum, andere seien in geringerer Masse vorhanden und würden Privateigentum. Charles Comte beweist also von den Begriffen der Begrenztheit und Unbegrenztheit aus; er wäre vielleicht zu einem andern Resultat gekommen, wenn er die Begriffe der Entbehrlichkeit und Unentbehrlichkeit zu Hauptkategorien gemacht hätte."

Welch kindische Polemik des kritischen Proudhon! Er mutet dem Charles Comte zu, die Kategorien, von denen aus er beweist, aufzugeben und zu andern Kategorien überzuspringen, um nicht zu seinen eignen Resultaten, sondern "vielleicht" zu den Resultaten des kritischen Proudhon zu kommen.

Der wirkliche Proudhon stellt keine ähnlichen Zumutungen an Charles Comte; er findet ihn nicht ab mit einem "Vielleicht", er schlägt ihn mit seinen eignen Kategorien.

Charles Comte, sagt Proudhon, geht aus von der Unentbehrlichkeit der Luft, der Nahrung und für gewisse Klimate der Kleidung, nicht um zu leben, sondern um nicht aufzuhören zu leben. Um sich zu erhalten, bedarf der Mensch daher (nach Charles Comte) unaufhörlich der Aneignung von Sachen verschiedener Art. Diese Sachen existieren nicht alle in demselben Verhältnis.

"Das Licht der Himmelskörper, Luft, Wasser sind in so großer Quantität vorhanden, daß der Mensch sie nicht merklich vermehren oder vermindern kann; jeder kann sich daher so viel von ihnen aneignen, als seine Bedürfnisse erheischen, ohne in etwas dem Genusse der andern zu schaden."

Proudhon geht nun von Comtes eignen Bestimmungen aus. Zunächst beweist er ihm, daß die Erde ebenfalls ein Gegenstand des ersten Bedürfnisses ist, dessen Nutznießung also jedem freistehen muß, innerhalb der Klausel des Comte nämlich: "Ohne dem Genusse des andern zu schaden". Warum ist die Erde also zum Privateigentum geworden? Charles Comte antwortet, weil sie nicht unbegrenzt ist. Er mußte aber im Gegenteil schließen: Weil sie begrenzt ist, kann sie nicht angeeignet werden. Aus der Aneignung von Luft und Wasser geht für keinen ein Schaden hervor, weil immer genug davon übrigbleibt, weil sie unbegrenzt sind. Die willkürliche Aneignung der Erde dagegen schadet dem Genuß des andern, eben weil die Erde begrenzt ist. Ihr Genuß muß also im allgemeinen Interesse geregelt werden. Die Beweisführung von Charles Comte beweist gegen seine These.

"Charles Comte, so deduziert Proudhon" (nämlich der kritische Proudhon), "geht von der Ansicht aus, daß eine Nation Eigentümerin eines Landes sein kann, während man doch, wenn das Eigentum das Recht zu brauchen und zu mißbrauchen mit sich führt – jus utendi et abutendi re sua das Recht, das Seinige zu gebrauchen und zu mißbrauchen ( auch: verbrauchen) – auch einer Nation nicht das Recht, ein Land zu brauchen und zu mißbrauchen, zusprechen kann."

Der wirkliche Proudhon spricht nicht von dem jus utendi et abutendi, was das Eigentumsrecht "mit sich führe". Er ist zu massenhaft, um von dem Eigentumsrecht zu sprechen, welches das Eigentumsrecht mit sich führt. Das jus utendi et abutendi re sua ist nämlich das Eigentumsrecht selbst. Proudhon spricht daher direkt einem Volk das Eigentumsrecht auf sein Territorium ab. Denen, welche dies übertrieben finden, erwidert er, daß von dem eingebildeten Recht des Nationaleigentums zu allen Epochen die Oberherrlichkeit, Tribute, Regalien, Fronden etc. hergeleitet wurden.

Der wirkliche Proudhon deduziert gegen Charles Comte wie folgt: Comte will entwickeln, wie das Eigentum entsteht, und beginnt damit, eine Nation als Eigentümerin vorauszusetzen, er fällt in die petitio principii Beweisfehler durch Verwendung eines noch unbewiesenen Satzes als Beweisgrund. Er läßt den Staat Ländereien verkaufen, er läßt einen Industriellen diese Güter kaufen, d.h. er unterstellt die Eigentumsverhältnisse, die er beweisen will.

Der kritische Proudhon wirft das französische Dezimalsystem über den Haufen Er behält den Franc bei, setzt aber an die Stelle des Centime den "Dreier".

"Wenn ich, setzt Proudhon" (der kritische Proudhon) "hinzu, ein Stück Land abtrete, so beraube ich mich nicht bloß einer Ernte, sondern ich entziehe meinen Kindern und Kindeskindern ein bleibend Gut. Der Boden hat nicht bloß heute einen Wert, er hat auch einen Fähigkeits- und Zukunftswert."

Der wirkliche Proudhon spricht nicht davon, daß der Boden nicht bloß heute, sondern auch morgen einen Wert hat; er stellt den vollen, gegenwärtigen Wert dem Fähigkeits- und Zukunftswert entgegen, der von meiner Geschicklichkeit, den Boden zu verwerten, abhängt. Er sagt:

"Zerstört die Erde, oder was für euch dasselbe ist, verkauft sie: ihr entäußert euch nicht nur einer, zweier oder mehrerer Ernten, sondern ihr vernichtet alle Produkte, welche ihr davon ziehen konntet, ihr, eure Kinder und Kindeskinder."

Es handelt sich für Proudhon nicht darum, den Gegensatz zwischen einer Ernte und dem bleibenden Gut hervorzuheben – auch das Geld, das ich für den Acker löse, kann als Kapital zu einem "bleibenden Gute" werden –, sondern von dem Gegensatz des gegenwärtigen Werts und des Werts, den der Boden durch eine fortdauernde Bebauung erhalten kann.

"Der neue Wert, sagt Charles Comte, den ich einer Sache durch meine Arbeit beilege, ist mein Eigentum. Proudhon" (der kritische Proudhon) "will ihn auf folgende Weise widerlegen: Da müßte also der Mensch aufhören, Eigentümer zu sein, sowie er zu arbeiten aufhört. Das Eigentum des Produkts kann nimmermehr das Eigentum des zugrunde liegenden Stoffes mit sich führen."

Der wirkliche Proudhon:

"Der Arbeiter mag sich die Produkte seiner Arbeit aneignen, aber ich begreife nicht, daß das Eigentum der Produkte das der Materie nach sich zieht. Der Fischer, der an demselben Ufer mehr Fische als die übrigen Fischer zu fangen weiß, wird er durch diese Geschicklichkeit Eigentümer des Striches, worin er fischt? Wurde dieGeschicklichkeit eines Jägers jemals als ein Eigentumstitel auf das Wild eines Kantons betrachtet? Ähnlich verhält es sich mit dem Ackerbauer. Um den Besitz in Eigentum zu verwandeln, ist noch eine andere Bedingung nötig als die bloße Arbeit, sonst würde der Mensch aufhören, Eigentümer zu sein, sobald er aufhören würde, Arbeiter zu sein."

Cessante causa cessat effectus. Wenn die Ursache aufhört, hört die Wirkung auf. Wenn der Eigentümer nur als Arbeiter Eigentümer ist, so hört er auf, Eigentümer zu sein, sobald er aufhört, Arbeiter zu sein.

"Nach dem Gesetz ist es daher die Verjährung, welche das Eigentum schafft; die Arbeit ist nur das sinnfällige Zeichen, der materielle Akt, wodurch die Okkupation sich kundtut."

"Das System der Aneignung durch die Arbeit", fährt Proudhon fort, "widerspricht also dem Gesetz; und wenn die Anhänger dieses Systems sich desselben zu bedienen vorschützen, um die Gesetze zu erklären, so widersprechen sie sich selbst."

Wenn ferner nach dieser Meinung z. B. die Urbarmachung des Landes "das vollständige Eigentum desselben schafft", so ist das eine petitio prin- cipii. Faktisch ist es, daß eine neue produktive Fähigkeit der Materie geschaffen ist. Zu beweisen wäre eben, daß damit das Eigentum der Materie selbst geschaffen ist. Die Materie selbst hat der Mensch nicht geschaffen. Er schafft sogar jede produktive Fähigkeit der Materie nur unter der Voraussetzung der Materie.

Der kritische Proudhon macht den Gracchus Babeuf zum Parteigänger der Freiheit, bei dem massenhaften Proudhon ist es ein Parteigänger der Gleichheit (partisan de l'égalité).

Der kritische Proudhon, der das Honorar Homers für die Iliade taxieren soll, sagt.

"Das Honorar, welches ich dem Homer gebe, und das, was er mir leistet, soll gleich sein. Wie ist der Wert seiner Leistung zu bestimmen?"

Der kritische Proudhon ist zu sehr über die nationalökonomischen Kleinigkeiten erhaben, um zu wissen, daß der Wert einer Sache und das, was sie einem andern leistet, sehr verschiedne Dinge sind. Der wirkliche Proudhon sagt:

"Das Honorar des Dichters soll gleich sein seinem Produkt, welches ist also der Wert dieses Produkts?"

Der wirkliche Proudhon unterstellt, daß die Iliade einen unendlichen Preis (oder Tauschwert, prix), der kritische, daß sie einen unendlichen Wert habe. Der wirkliche Proudhon stellt den Wert der Iliade, ihren Wert im nationalökonomischen Sinne (valeur intrinsèque), ihrem Tauschwert (valeur échangeable), der kritische Proudhon ihrem "innern Wert", nämlich ihrem Wert als Gedicht, den "Wert für den Umtausch" entgegen.

Der wirkliche Proudhon:

"Zwischen einer materiellen Belohnung und dem Talent existiert kein gemeinschaftliches Maß. In dieser Beziehung ist die Lage aller Produzenten gleich. Folglich ist jede Vergleichung unter ihnen und jede Vermögensklassifikation unmöglich." ("Entre une récompense matérielle et le talent il n'existe pas de commune mesure; sous ce rapport la condition de tous les producteurs est égale; conséquemment toute comparaison entre eux et toute distinction de fortunes est impossible.")

Der kritische Proudhon:

Relativerweise ist das Verhältnis der Produzenten gleich. Das Talent ... kann nicht materiell aufgewogen werden ... Jede Vergleichung der Produzenten untereinander, jede äußerliche Auszeichnung ist unmöglich."

Bei dem kritischen Proudhon muß

"der Mann der Wissenschaft sich gleichfühlen in der Gesellschaft, weil sein Talent und seine Einsicht nur ein Produkt der gesellschaftlichen Einsicht sind".

Der wirkliche Proudhon spricht nirgends von den Gefühlen des Talents. Er sagt, das Talent müsse sich beugen unter das gesellschaftliche Niveau. Er behauptet ebensowenig, daß der Mann von Talent nur ein Produkt der Gesellschaft sei, er behauptet vielmehr:

"Der Mann von Talent hat dazu beigetragen, in sich selbst ein nützliches Werkzeug zu produzieren ... es gibt in ihm einen freien Arbeiter und ein akkumuliertes gesellschaftliches Kapital."

Der kritische Proudhon fährt fort:

"Er muß überdies der Gesellschaft dankbar sein dafür, daß sie ihn, damit er der Wissenschaft obliegen könne, von den übrigen Arbeiten entbindet."

Der wirkliche Proudhon nimmt nirgends zu der Dankbarkeit des Mannes von Talent seine Zuflucht. Er sagt:

"Der Künstler, der Gelehrte, der Poet empfangen ihre gerechte Belohnung dadurch allein, daß die Gesellschaft ihnen erlaubt, sich ausschließlich der Wissenschaft und der Kunst hinzugeben."

Schließlich bringt der kritische Proudhon das Wunder zuwege, daß eine Gesellschaft von 150 Arbeitern einen "Marschall", also wohl auch eine Armee erhalten kann. Bei dem wirklichen Proudhon ist der Marschall ein – "Hufschmied" (maréchal).

 

Kritische Randglosse Nr. IV

"Wenn er" (Proudhon) "einmal den Begriff des Salärs beibehält, wenn er einmal in der Gesellschaft eine Einrichtung sieht, die uns zu arbeiten gibt und uns dafür bezahlt, so kann er die Zeit um so weniger als das Maß für die Bezahlung annehmen, als er kurz vorher, dem Hugo Grotius beistimmend, durchführt, daß die Zeit in Beziehung auf die Geltung eines Gegenstandes gleichgültig sei."

Hier ist der einzige Punkt, wo die kritische Kritik den Versuch macht, ihre Aufgabe zu lösen und dem Proudhon nachzuweisen, daß er vom nationalökonomischen Standpunkt aus falsch gegen die Nationalökonomie operiert. Hier blamiert sie sich in wahrhaft kritischer Weise.

Proudhon hatte mit Hugo Grotius übereinstimmend entwickelt, die Verjährung sei kein Titel, um den Besitz in Eigentum, um ein "Rechtsprinzip" in ein anderes zu verwandeln, so wenig wie die Zeit die Wahrheit, daß die Winkel eines Dreiecks gleich zwei rechten sind, in die Wahrheit, daß sie gleich drei rechten sind, verwandeln kann.

"Ihr werdet es nie zustande bringen", ruft Proudhon aus; "daß die Zeitdauer, die durch sich selbst nichts schafft, nichts wechselt, nichts modifiziert, den Nutznießer in einen Eigentümer verwandeln kann."

Herr Edgar schließt: Weil Proudhon sagte, die bloße Zeitdauer könne ein Rechtsprinzip nicht in ein anderes verwandeln, sie könne überhaupt für sich nichts wechseln, nichts modifizieren, darum begeht er eine Inkonsequenz, wenn er die Arbeitszeit zum Maß des nationalökonomischen Wertes des Arbeitsprodukts macht. Es gelingt Herrn Edgar, diese kritisch-kritische Bemerkung zustande zu bringen dadurch, daß er "valeur" "Wert" mit "Geltung" übersetzt und so auf die Geltung eines Rechtsprinzips wie auf den kommerziellen Wert eines Arbeitsprodukts in demselben Sinne anwenden kann. Es gelingt ihm, indem er die leere Zeitdauer mit der erfüllten Arbeitszeit identifiziert. Wenn Proudhon gesagt hätte, die Zeit könne eine Mücke nicht in einen Elefanten verwandeln, so könnte die kritische Kritik mit demselben Recht schließen: Also darf er die Arbeitszeit nicht zum Maß des Arbeitslohnes machen.

Daß die Arbeitszeit, welche die Produktion eines Gegenstandes kostet, zu den Produktionskosten des Gegenstandes gehört, daß die Produktionskosten eines Gegenstandes das sind, was er kostet, wofür er also, von den Einflüssen der Konkurrenz abstrahiert, verkauft werden kann, dieser Einsicht muß selbst die kritische Kritik sich bemächtigen können. Bei den Nationalökonomen gehört außer der Arbeitszeit und dem Material der Arbeit zu den Produktionskosten auch noch die Rente des Grundeigentümers, wie Zinsen und Gewinn des Kapitalisten. Letztere fallen bei Proudhon fort, weil das Privateigentum bei ihm fortfällt. Es bleiben also nur noch die Arbeitszeit und die Auslagen übrig. Proudhon, indem er die Arbeitszeit, das unmittelbare Dasein der menschlichen Tätigkeit als Tätigkeit, zum Maß des Arbeitslohnes und der Wertbestimmung des Produkts macht, macht die menschliche Seite zum Entscheidenden, wo in der alten Nationalökonomie die sachliche Macht des Kapitals und des Grundeigentums entschied, d.h. Proudhon setzt in noch nationalökonomischer, darum widerspruchsvoller Weise den Menschen wieder in seine Rechte ein. Wie richtig er vom Standpunkt der Nationalökonomie aus verfährt, mag man daraus ersehn, daß der Stifter der neuen Nationalökonomie, Adam Smith, gleich auf den ersten Seiten seines Werks "An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations" entwickelt, daß vor der Erfindung des Privateigentums, also unter der Voraussetzung der Nichtexistenz des Privateigentums, die Arbeitszeit das Maß des Arbeitslohns und des von ihm noch nicht unterschiedenen Wertes des Arbeitsprodukts war.

Die kritische Kritik unterstelle aber selbst einen Augenblick, Proudhon sei nicht von der Voraussetzung des Arbeitslohnes ausgegangen. Glaubt sie, daß jemals die Zeit, welche die Produktion eines Gegenstands erfordert, nicht ein wesentliches Moment in der "Geltung" des Gegenstandes sein, glaubt sie, daß die Zeit ihre Kostbarkeit verlieren werde?

In bezug auf die unmittelbar materielle Produktion wird die Entscheidung, ob ein Gegenstand produziert werden soll oder nicht, d.h. die Entscheidung über den Wert des Gegenstandes, wesentlich von der Arbeitszeit abhängen, die seine Produktion kostet. Denn von der Zeit hängt es ab, ob die Gesellschaft die Zeit hat, sich menschlich auszubilden.

Und selbst was die geistige Produktion betrifft, muß ich nicht, wenn ich anders verständig verfahre, bei dem Umfang, der Anlage und dem Plan eines geistigen Werks die Zeit, die zu seiner Produktion erforderlich ist, in Anschlag bringen? Ich setze mich sonst wenigstens der Gefahr aus, daß mein Gegenstand in der Idee nie zu einem Gegenstand in der Wirklichkeit wird, also nur den Wert eines imaginären Gegenstandes, d.h. einen imaginären Wert sich erwerben kann.

Die Kritik der Nationalökonomie auf nationalökonomischem Standpunkte erkennt alle Wesensbestimmungen der menschlichen Tätigkeit an, aber nur in entfremdeter, entäußerter Form, wie sie hier z.B. die Bedeutung der Zeit für die menschliche Arbeit in ihre Bedeutung für den Arbeitslohn, für die Lohnarbeit verwandelt.

Herr Edgar fährt fort:

"Damit nun das Talent gezwungen werde, jenes Maß anzunehmen, mißbraucht Proudhon den Begriff des freien Handels und behauptet, der Gesellschaft und ihren einzelnen Mitgliedern stehe ja das Recht zu, die Erzeugnisse des Talents zurückzuweisen."

Dem Talent, das auf nationalökonomischem Grund und Boden bei den Fourieristen und Saint-Simonisten übertriebene Hororarforderungen macht und seine Einbildung von seinem unendlichen Wert als Maß an den Tauschwert seiner Produkte anlegt, antwortet Proudhon ganz so, wie die Nationalökonomie jeder Prätention eines Preises, der sich weit über den sogenannten natürlichen Preis, d.h. über die Produktionskosten des dargebotenen Gegenstands erheben will, antwortet – durch den freien Handel. Nur mißbraucht Proudhon nicht dieses Verhältnis im Sinn der Nationalökonomie, er unterstellt vielmehr als wirklich, was bei den Nationalökonomen nur nominell und illusorisch ist, die Freiheit der kontrahierenden Teile.

Der kritische Proudhon reformiert schließlich die französische Gesellschaft, indem er ebensosehr die französischen Proletarier als die französische Bourgeoisie umschafft.

Den französischen Proletariern spricht er die "Kraft" ab, weil der wirkliche Proudhon ihnen den Mangel an Tugend (vertu) vorwirft. Er macht ihre Geschicklichkeit zur Arbeit zu einer problematischen Geschicklichkeit – "ihr seid vielleicht zur Arbeit geschickt" – , weil der wirkliche Proudhon ihr Geschick zur Arbeit unbedingt anerkennt (prompts au travail vous etes behend bei der Arbeit seid ihr etc.). Er verwandelt die französischen Bourgeois in geistlose Bürger, wo der wirkliche Proudhon die unedlen bourgeois (bourgeois ignobles) den gebrandmarkten Edlen (nobles flétris) entgegenstellt. Er verwandelt den Bourgeois aus einem juste-milieu-Bürger (bourgeois juste-milieu) in "unsere guten Bürger", wofür sich die französische Bourgeoisie bei ihm bedanken mag. Wo der wirkliche Proudhon daher den "bösen Willen" (la malveillance de nos bourgeois) der französischen Bourgeois "wachsen" läßt, läßt er konsequenterweise die "Sorglosigkeit unserer Bürger" wachsen. Der Bourgeois des wirklichen Proudhon ist so wenig sorglos, daß er sich selbst zuruft: "N'ayons pas peur! N'ayons pas peur!" "Laßt uns keine Furcht haben! Laßt uns keine Furcht haben!" So spricht einer, der sich die Furcht und die Sorge wegräsonieren will.

Die kritische Kritik hat in der Schöpfung des kritischen Proudhon durch die Übersetzung des wirklichen Proudhon der Masse offenbart, was eine kritisch vollendete Übersetzung ist. Sie hat eine Anweisung gegeben zu der "Übersetzung, wie sie sein soll". Sie bekämpft daher mit Recht die schlechten, massenhaften Übersetzungen:

"Das deutsche Publikum will die buchhändlerische Ware zu einem Spottpreise, der Verleger will also eine billige Übersetzung, der Übersetzer will bei seiner Arbeit nicht verhungern, er kann sie sogar nicht mit reiflicher Bedächtigkeit" (mit aller Ruhe des Erkennens) "machen, weil der Verleger durch schnelle Lieferung der Übersetzungen Konkurrenten den Rang ablaufen muß; ja sogar der Übersetzer muß die Konkurrenz fürchten, muß fürchten, daß ein anderer sich erbiete, die Ware billiger und schneller herzustellen – und so diktiert er sein Manuskript irgendeinem armen Schreiber frisch drauflos – und zwar diktiert er so schnell wie möglich. damit er nicht den nach Stunden gezahlten Schreiberlohn umsonst gebe – überfroh, wenn er am nächsten Tag den mahnenden Setzer gehörig befriedigen kann. Übrigens sind die Übersetzungen, mit denen man uns überflutet, nur ein Ausruck der jetzigen Impotenz der deutschen Literatur" etc. (Heft VIII, p. 54, "Allgemeine Literatur-Zeitung".)

 

Kritische Randglosse Nr. V

"Dem Beweise für die Unmöglichkeit des Eigentums, welchen Proudhon daraus führt, daß die Menschheit sich besonders durch das Zinsen- und Profitsystem und durch die Unverhältnismäßigkeit der Konsumtion zur Produktion aufzehre, fehlt das Gegenstück, die Aufweisung nämlich, daß das Privateigentum In der "Allgemeinen Literatur-Zeitung": wie das Eigentum historisch möglich sei."

Die kritische Kritik besitzt den glücklichen Instinkt, auf Proudhons Entwicklungen über das Zinsen- und Profitsystem usw., d.h. auf die bedeutendsten Entwickelungen Proudhons, nicht einzugehn. An diesem Punkte kann nämlich die Kritik Proudhons auch selbst zum Schein nicht mehr geliefert werden ohne ganz positive Kenntnisse über die Bewegung des Privateigentums. Die kritische Kritik sucht sich für ihre Ohnmacht durch die Bemerkung zu entschädigen, daß Proudhon nicht den Beweis für die historische Möglichkeit des Eigentums geliefert hat. Warum verlangt die nichts als Worte gebende Kritik, daß andere ihr alles geben?

"Proudhon beweist die Unmöglichkeit des Eigentums daraus, daß der Arbeiter sein Produkt aus dem Lohn seiner Arbeit nicht wiederkaufen könne. Proudhon gibt den erschöpfenden Grund hiefür an, indem er das Wesen des Kapitals herbeiholt. Der Arbeiter kann sein Produkt nicht wiederkaufen, weil es stets ein gemeinschaftliches, er selbst aber nichts als ein einzelner bezahlter Mensch ist."

Herr Edgar hätte im Gegensatz zur Proudhonschen Deduktion sich noch erschöpfender dahin äußern können, daß der Arbeiter sein Produkt nicht wiederkaufen kann, weil er es überhaupt wiederkaufen muß. In der Bestimmung des Kaufens ist es schon enthalten, daß er sich zu seinem Produkt als einem ihm abhanden gekommenen, entfremdeten Gegenstand verhält. Der erschöpfende Grund des Herrn Edgar erschöpft unter anderen nicht, warum der Kapitalist, der selbst nichts als ein einzelner Mensch und dazu ein durch den Profit und die Zinsen bezahlter Mensch ist, nicht nur das Produkt der Arbeit, sondern noch mehr als dieses Produkt wiederkaufen kann. Um dies zu erklären, wird Herr Edgar das Verhältnis von Arbeit und Kapital erklären, d.h. das Wesen des Kapitals herbeiholen müssen.

Die angeführte kritische Stelle zeigt in der sinnfälligsten Weise, wie die kritische Kritik das, was sie soeben aus einem Schriftsteller gelernt hat, sogleich benutzt, um es als selbsterfundene Weisheit gegen denselben Schrift- steller mit einer kritischen Wendung geltend zu machen. Aus Proudhon selbst hat nämlich die kritische Kritik den von Proudhon nicht angegeben und von Herrn Edgar angegebenen Grund geschöpft. Proudhon sagt:

"Divide et impera ... trennt die Arbeiter voneinander, und es ist sehr möglich daß der Taglohn, der jedem Einzelnen gezahlt wird, den Wert jeden individuellen Produkts übersteigt; aber das ist es nicht. worum es sich handelt ... Wenn ihr alle individuellen Kräfte gezahlt habt, so habt ihr noch nicht die Kollektivkraft gezahlt."

Proudhon machte zuerst darauf aufmerksam, daß die Summe der Saläre der einzelnen Arbeiter, selbst wenn jede individuelle Arbeit vollständig bezahlt würde, nicht die Kollektivkraft zahlt, welche sich in ihrem Produkt vergegenständigt, daß also der Arbeiter nicht als ein Teil der gemeinschaftlichen Arbeitskraft bezahlt wird, was Herr Edgar dahin travestiert, daß der Arbeiter nichts als ein einzelner, bezahlter Mensch ist. Die kritische Kritik macht also einen allgemeinen Gedanken Proudhons gegen die weitere konkrete Entwicklung geltend, die derselbe Proudhon demselben Gedanken gibt. Sie bemächtigt sich dieses Gedankens in kritischer Weise und spricht in folgendem Satze das Geheimnis des kritischen Sozialismus aus:

"Der heutige Arbeiter denkt nur an sich, d.h. er läßt sich für seine Person bezahlen. Er selber ist es, der die ungeheure und unermeßliche Kraft, welche aus seinem Zusammenwirken mit andern Kräften entsteht, nicht in Anschlag bringt."

Der kritischen Kritik zufolge liegt das ganze Übel nur am "Denken" der Arbeiter. Nun haben zwar die englischen und französischen Arbeiter Assoziationen gebildet, in welchen nicht nur ihre unmittelbaren Bedürfnisse als Arbeiter, sondern ihre Bedürfnisse als Menschen den Gegenstand ihrer wechselseitigen Belehrung bilden, worin sie überdem ein sehr gründliches und umfassendes Bewußtsein über die "ungeheure" und "unermeßbare" Kraft äußern, welche aus ihrem Zusammenwirken entsteht. Aber diese massenhaften, kommunistischen Arbeiter, welche in den Ateliers Werkstätten von Manchester und Lyon z.B. tätig sind, glauben nicht durch "reines Denken" ihre Industrieherren und ihre eigne praktische Erniedrigung wegräsonieren zu können. Sie empfinden sehr schmerzlich den Unterschied zwischen Sein und Denken, zwischen Bewußtsein und Leben. Sie wissen, daß Eigentum, Kapital, Geld, Lohnarbeit u. dgl. durchaus keine ideellen Hirngespinste, sondern sehr praktische, sehr gegenständliche Erzeugnisse ihrer Selbstentfremdung sind, die also auch auf eine praktische, gegenständliche Weise aufgehoben werden müssen, damit nicht nur im Denken, im Bewußtsein, sondern im massenhaften Sein, im Leben der Mensch zum Menschen werde. Die kritische Kritik belehrt sie dagegen, daß sie in der Wirklichkeit aufhören, Lohnarbeiter zu sein, wenn sie den Gedanken der Lohnarbeit im Gedanken aufheben, wenn sie im Gedanken aufhören, sich als Lohnarbeiter zu gelten, und dieser überschwenglichen Einbildung gemäß sich nicht mehr für ihre Person bezahlen lassen. Als absolute Idealisten, als ätherische Wesen können sie hinterher auch natürlich vom Äther des reinen Gedankens leben. Die kritische Kritik belehrt sie, daß sie das wirkliche Kapital aufheben, wenn sie die Kategorie des Kapitals im Denken überwältigen, daß sie sich wirklich verändern und zu wirklichen Menschen machen, wenn sie ihr "abstraktes Ich" im Bewußtsein verändern und jede wirkliche Veränderung ihres wirklichen Daseins, der wirklichen Bedingungen ihres Daseins, d.h. also ihres wirklichen Ichs, als eine unkritische Operation verschmähen. Der "Geist", der in der Wirklichkeit nur Kategorien erblickt, reduziert natürlich auch alle menschliche Tätigkeit und Praxis auf den dialektischen Denkprozeß der kritischen Kritik. Eben das unterscheidet ihren Sozialismus von dem massenhaften Sozialismus und Kommunismus.

Nach seinen großen Entwicklungen muß Herr Edgar natürlich der Kritik Proudhons "das Bewußtsein absprechen".

"Proudhon will aber auch praktisch sein." "Er glaubt eben erkannt zu haben." "Und doch", ruft die Ruhe des Erkennens triumphierend aus, "wir müssen ihm auch jetzt noch die Ruhe des Erkennens absprechen." "Wir nehmen einige Stellen, um zu zeigen, wie wenig er seine Stellung zur Gesellschaft durchdacht hat."

Wir werden später noch einige Stellen aus den Werken der kritischen Kritik nehmen (siehe die Armenbank und die Musterwirtschaft), um zu zeigen, wie sie die allerersten nationalökonomischen Verhältnisse noch nicht kennengelernt, viel weniger durchdacht hat und also mit dem ihr eigentümlichen kritischen Takt sich dazu berufen fühlte, den Proudhon ihrer Beurteilung zu unterwerfen.

Nachdem nun der kritischen Kritik als der Ruhe des Erkennens die massenhaften "Gegensätze anheimgefallen" sind, nachdem sie aller Wirklichkeit unter der Form von Kategorien sich bemächtigt und alle menschliche Tätigkeit in die spekulative Dialektik aufgelöst hat, werden wir sie aus der spekulativen Dialektik die Welt wiedererzeugen sehn. Es versteht sich, daß die Wunder der kritisch spekulativen Weltschöpfung, sollen sie anders nicht "entweiht" werden, der profanen Masse nur unter der Form von Mysterien mitgeteilt werden können. Die kritische Kritik tritt daher in der Inkarnation Wischnu-Szeliga als Geheimniskrämer auf.


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