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»... Wenn du den Himmel je
Geseh'n, wo er am klarsten, könnt' er doch
Sich nie vergleichen mit dem Blau der Adern
Auf ihrer Lilienhand; und ihre Liebe
Verlieh den stolzen Aufschwung ihm des Aars.«
Alter Dichter.
Während dieser vier Tage wußte sich Mr. Underdown kaum zu helfen. Die Posse von Miß Belmonts ansteckendem Fieber fand bei dem ganzen Haushalt Glauben, und jeder Besuch wurde auf's Gewissenhafteste ausgeschlossen. Aber obgleich das Herrenhaus von der ganzen benachbarten Gentry gemieden wurde, haftete doch ein einziges schlimmes Auge wachsam darauf. Brauchen wir zu sagen, daß es Rubasore war, welcher dem Sitze des alten Commodore diese Ehre erwies?
Dieser Gentleman hatte bemerkt, daß außer den Briefen, welche durch die Post einliefen, im Laufe des Tages oft zwei, sogar drei Expresse zu Trestletree-Hall anlangten und wieder abgingen. Diese Boten kamen, wie er sich überzeugt hatte, von dem alten Commodore, und er schloß ganz richtig, wenn er annahm, daß diese rührige Korrespondenz mit Mr. Underdown den mit Steckbriefen verfolgten Mörder betraf, welcher, wie Rubasore wohl wußte, Niemand anders als Augustus war.
Die übrigen Damen des Haushalts fühlten sich kaum weniger unglücklich als Mr. Underdown. Sie fürchteten das Schlimmste, obgleich sie die Gefahr nur bei Miß Belmont und ihrer beständigen Wärterin Miß Bacuissart suchten. Mr. Underdown kam selten mit ihnen zusammen, und wenn es geschah, blieb er stets nur sehr kurze Zeit. Auf die wiederholte Frage: »Wo ist der Commodore – warum kommt er nicht?« konnte er nur antworten, daß er mit Nächstem eintreffen werde, und daß ihn vorderhand ein höchst wichtiges Geschäft in London zurückhalte.
Jedermann in Trestletree-Hall glaubte, dieser vierte Tag wolle gar kein Ende nehmen, und nur die beiden Liebenden machten eine Ausnahme.
Wir müssen übrigens jetzt für eine kleine Weile die Bewegungen des alten Commodore verfolgen. In der Hauptstadt ist Gold allmächtig. Legt nur eine hinreichende Menge dieses heilsamen Metalls auf die Augenlider der Rechtsgelehrten, und ihr werdet bemerken, wie ihnen mit einemmale die Schuppen von den Augen fallen, und wie sie plötzlich so hellsehend werden! Sir Octavius nahm drei der gewandtesten in seinen Sold – die Florentins wurden bald entdeckt, und von ihnen erhielt er augenblicklich Kunde über Alles, was seinen Neffen betraf. Er zweifelte keinen Augenblick an seiner Unschuld; auch war ihm vollkommen bekannt, wo und in welcher Weise sich der Flüchtling verborgen hielt – keine unangenehme Kunde für ihn.
Der nächste Schritt betraf nun eine Beseitigung der Zeugnisse, welche nachtheilig für Augustus wirkten. Unglücklicherweise war der Verwundete bald, nachdem er den mit ihm confrontirten Mann für seinen Mörder erklärt hatte, gestorben. Der andere Constabel, welcher es beschwor, er habe ihn niedergeschlagen, nahm nach drei befriedigenden Konferenzen mit den drei von dem alten Commodore beauftragten Rechtsgelehrten seinen Eid wieder zurück. Aber nun war es eine Hauptsache, wo möglich den wahren Kapitän Mainspring zu fahen. Wir brauchen kaum zu sagen, daß jedem Angehörigen seiner Bande, welcher zu seiner Habhaftwerdung beitrüge, ungeheure Belohnungen geboten wurden.
Man sah Sir Octavius, nachdem er dem Könige seine Aufwartung gemacht hatte, gewöhnlich von dem Ministerium des Innern nach den Polizeibureaus humpeln, wenn er nicht etwa den Bow-Street-Läufern, den Dieben und Diebshäschern aller Art Audienz ertheilte. Um Orden und Bänder war es ihm nicht zu thun. »Gebt mir nur meinen Neffen mit makelloser Ehre zurück,« lautete seine Antwort an die Minister. In dem vollen Glanze des Ruhmes, von dem er umstrahlt war, und in der Mitte seiner wohlverdienten Popularität, gab man sich natürlich alle Mühe, einer so bescheidenen Anforderung genügend zu entsprechen. Seine Schritte wurden ihm daher nach Kräften erleichtert, und man hätte von ihm sagen können, daß er das Kommando seines Geschwaders für eine Weile gegen den Oberbefehl über die Polizeimacht der Hauptstadt umgetauscht habe.
In allen diesen Bemühungen handelte Kapitän Oliphant als sein Beistand und Adjutant. Der Commodore hatte vornämlich im Auge, eine öffentliche Gerichtsverhandlung zu umgehen, oder wenn dies unmöglich war, seinen Neffen nicht vor die Schranken stellen zu lassen, bis hinreichende Beweise gesammelt wären, um eine siegreiche Freisprechung zu sichern.
Endlich schien es Fortuna satt zu haben, den würdigen alten Commodore und seinen schwer verfolgten Neffen länger zu quälen. Einer der Bande meldete sich zum Königszeugen, und in Folge seiner Nachweisungen wurde der wirkliche Kapitän Mainspring nach einem verzweifelten Widerstand, in welchem er einen neuen Mord beging, ergriffen.
Sein Bekenntniß und das Zeugniß des Anderen entlasteten Augustus so vollständig allen Verdachtes, daß die Haftbefehle zurückgenommen wurden und der Minister des Innern einen Befehl zu augenblicklicher Befreiung des Angeschuldigtem erließ, wenn derselbe unglücklicherweise irgendwo sollte in Gewahrsam genommen worden sein. Nachdem alle Angelegenheiten so glücklich bereinigt waren, stiegen Abends sieben Uhr Sir Octavius und Kapitän Oliphant in den Reisewagen des Commodore und riefen jubelnd in einem Athem den Kutschern »nach Trestletree-Hall!« zu. Die Equipage fuhr ab, und sie flogen frohen Herzens so rasch von hinnen, als nur je vier Vollblutfuchsen vor einem Wagen dahinsprengen konnten.
Vorwärts, vorwärts, ihr muthigen Thiere! Verachtet die träge Erde unter euren funkensprühenden Hufen! Holt neue Kraft durch eure ausgedehnten Nüstern aus der belebenden Luft; bäumt euch nicht gegen die Peitsche und rebellirt nicht gegen den Sporn! Von eurer Eile hängt das Glück oder der Jammer vieler sich liebenden guten Herzen ab. Vorwärts – vorwärts!
In demselben Augenblicke befanden sich die Liebenden allein. Der Tag war schwül und der Abend dumpf und stille. Die viertägige Einsperrung hatte Rosa schlaff und unwohl gemacht, denn sie konnte sich nicht der Aufregung gegenseitiger Händedrücke oder des Austausches wonniger Blicke erfreuen. Auf Rebekkas Bitte hatte sie einen langen und unnützen Brief an den alten Commodore geschrieben, der unverweilt abgeschickt worden war. Jetzt gebrach es ihr an Beschäftigung; ihre Entschlossenheit verließ sie, und sie hatte sich nach ihrem Gemache zurückgezogen, um in der Schwermuth ihres Herzens zu weinen.
Augustus war gleichfalls wie der eingesperrte wilde Vogel des Gebirges erlahmt. Er wurde mürrisch und über viele Dinge ungeduldig, am meisten aber über das alterthümliche Frauenkleid, das er zu tragen genöthigt war. Er würde fast die blutbefleckten Lumpen des Mörders vorgezogen haben, die er vor einigen Tagen so entrüstet weggeworfen hatte.
»O, Rebekka, ich muß heute Nacht diesen Ort verlassen.«
»Unmöglich! was willst du damit sagen, mein Theurer?«
»Ich kann diese Verkleidung nicht länger tragen. Ich will wieder einmal als Mann vor meinen Mitmenschen stehen, und wenn Gott zulassen sollte, daß ihre Augen blind bleiben – daß sie das Schuldig über mich aussprechen – so sollen sie sich überzeugen, daß ich leiden kann wie ein Mann – und zwar wie ein unschuldiger Mann.«
»Das sind entsetzliche Worte. Was meinst du damit, Augustus? Du bist fieberisch. Lege deine brennende Wange an die meinige – sie ist kühler – so – Augustus. Ist dies nicht besser, als Schellen an den Händen und schwere Eisen an den Füßen? Sind meine Arme, die dich jetzt so zärtlich umschlingen, unangenehme Bande? Komm, komm, Augustus, lächle – lächle nur ein klein wenig, damit sich dein sinnverwirrtes Weibchen daran laben kann. So, jetzt ist alles gut. Du solltest immer so aussehen – du bist so schön, so gar schön, wenn du lächelst! Bist du jetzt nicht glücklich?«
»Ich bin mit einemmale zu glücklich und zu elend – ich hätte nicht hieherkommen sollen. Würde ich nicht eine endlose Verdammniß verdienen, wenn ich dein edles Herz bräche? Du würdest sterben, wenn man mich zum Schaffote führte – armes Kind – du würdest sterben!«
»Zuverlässig, Herr Graf, aber ich will um deswillen nicht bemitleidet sein, Sir,« sagte sie stolz und schmollend. »Du hast dein Leben gewagt, um der Schmach der Geißel zu entgehen, und stehe ich so weit unter Dir, Augustus, daß ich nicht einen Ruhm darin finden dürfte, für dich zu sterben, der du den Tod der Schande vorzogst? O, mein Augustus, ich bin nur ein einfaches armes Ding, habe aber ein starkes Herz – doch laß uns nicht mehr von Tod und Schaffotten sprechen. Die Engel, welche die Unschuld beschützen, sind unsichtbar für uns thätig. Da hast du nun einen von Rosa's Sprüchen. Ist sie nicht sogar bis zum Fehler schön?«
»Fehlerlos schön, willst du sagen, Rebekka?«
»Nein, nein, du stumpfer Kopf; es wäre ein Fehler in meinen Augen, wenn du sie so fändest. Doch dies ist Unsinn. Welche köstliche Stille, die uns umgibt –!«
»Offen gesprochen, ich finde sie nicht so. Ich sehne mich, die frische Luft zu athmen – das blaue Himmelsgewölbe wieder zu schauen – meine Augen an der weiten grünen Aussicht zu laben. Ziehe doch nur für eine kleine Weile die Blenden auf und öffne das Fenster.«
»Das ist gefährlich, mein Lieber.«
»Nicht im Geringsten – wer kann in dieses Zimmer hereinsehen? Außerdem ist der Rasen und das Gesträuch verlassen, denn Niemand kommt nach der Hinterseite des Hauses. Erquicke mich, meine Theuerste, mit der frischen Luft.«
Gehorsam erhob sie sich, entfernte die Blenden und warf das Fenster auf.
»Ah! das ist köstlich! Dieser Balkon – ich werde ihn für immer lieben! Hier war es, wo mein vergehendes Herz nach vielen Tagen des Leidens wieder neue Kraft fand! Hier hörte ich deine Stimme – die Töne fielen auf mich nieder, als bade ich mich in Güssen von Segen. Die Schönheit deiner Gestalt täuschte mich, obschon ich augenblicklich deine Stimme erkannte.«
»Schmeichler, wenn du mich in dieser Weise zu verderben suchst, so will ich wieder mein Latzschürzchen tragen und auf's Neue mein Haar wirr um die Schultern fliegen lassen.«
»Du wirst nicht so grausam sein, denn dies wäre ein Todesstoß für deine Tante Matilda. Wir wollen auf den Balkon hinaustreten; er soll uns heilig sein und von nun an den Namen ›Altar der Beständigkeit!‹ tragen.«
»Oh, versuche keinen so übereilten Schritt.«
»Er ist nicht übereilt – ich verlange, mich auf den alten Schauplätzen wieder umzusehen, wo wir so oft als Kinder gespielt haben. Komm, Rebekka, es ist keine Gefahr vorhanden. Und wenn es auch vielleicht ein Diener oder Bauer sieht, so können sie doch nicht weiter sagen, als daß sie hätten eine sehr große und anmuthige Dame auf dem Balkon vor Miß Bacuissarts Fenster stehen sehen.«
»Augustus, du siehst nicht aus wie eine Dame, obschon du vielleicht das reichste Damenkleid in der Grafschaft trägst. Und dann auch deine Haare –«
»Die magst du bedecken, wie du willst; nur laß uns auf den Balkon hinaustreten. Die Sonne geht bald unter und es ist so entzückend – so schwermüthig entzückend, Zeuge zu sein, wie sie an dem Horizonte hinuntersinkt!«
Um was hätte Augustus vergeblich bitten können, wenn er bei seiner Rebekka flehte? Mit ein wenig Lachen und vieler Furcht setzte sie eine Musselinhaube auf seinen Kopf und trat Hand in Hand mit ihm auf den Balkon hinaus. Sie zählten die Zeit nicht nach Minuten. Da standen sie, Gelübde ewiger Liebe austauschend und den süßesten Gefühlen Luft machend. Sie waren so verzückt, daß sie das Geräusch nicht hörten oder wenigstens nicht darauf achteten, welches das wiederholte Auf- und Zuschlagen eines Fensters in Mr. Underdowns Zimmer veranlaßte. Endlich wurden sie aus ihrer Liebesträumerei zu einiger Besinnung aufgeschreckt, denn sie hörten Mr. Underdown mit einer Donnerstimme rufen:
»Wer schleicht hier herum? John, bring' mir die Flinte!«
Die Liebenden wichen entsetzt in ihr Gemach zurück und trugen Sorge, nicht nur das Fenster zu schließen, sondern auch die Blenden wieder niederzulassen.
Beeile dich, wackerer alter Commodore; wenn du je Energie entwickeltest, so zeige sie jetzt. Der Dolch des Mörders wird bald zittern über dem Busen deiner geliebten Tochter – und, o Schrecken, er blitzt in ihrer eigenen Hand!
Es war zehn Uhr und beinahe dunkel, denn der Mond kämpfte durch den waldumgürteten Horizont. Rebekka und Rosa waren im Begriffe, den schwermüthigen Augustus zu verlassen, als sich ein Schrecken einflößendes Getöse an der äußeren Thüre des Herrenhauses vernehmen ließ.
»Ich bin entdeckt – sie kommen!« rief Augustus. »Hört – sie brechen die Vorderthüre ein.«
»Nach dem Balkon! Flieh' in das Gebüsch!« rief Rebekka.
Aber der Balkon bot keine Aussicht zur Flucht, denn viele Männer hatten ihren Posten auf dem Rasen unter dem Fenster.
»Wenn ich jetzt verhaftet werde, Rebekka, so bin ich verloren. Ich will lieber sterben.«
»Ich sterbe mit dir.«
Ich sehe mich genöthigt, zu sagen, daß Miß Belmont, welche so oft in ihrer Einbildung die Heldin gespielt hatte, jetzt völlig gelähmt dastand.
»Aber könnten wir nicht ein wenig Zeit gewinnen, Rebekka? Vielleicht würde es mir möglich, über das Dach zu entkommen. Doch da sind wieder diese höllischen Weiberkleider. Wie kann ein Mann in einem solchen Anzuge klettern, laufen oder fechten?«
»Raffe dich auf – hörst du nicht? Augustus ist in Gefahr. Wir müssen das Haus in Flammen setzen; vielleicht gelingt es ihm, in der Verwirrung zu entkommen. Hurtig, leere unsere Garderobe – bring' alles Bettzeug und die Vorhänge herbei; häufe sie mitten in der Flur auf. Glauben die Narren, sie können uns greifen, wie Schafe, die für das Schlachtmesser eingestellt sind?«
Die arme Rosa, welche mehr todt als lebendig war, gehorchte. An der Vorderseite des Ganges, der zu den Schlafgemächern führte, wurde hastig eine Masse von Kleidungsstücken, Leinwand und anderen verbrennlichen Stoffen aufgehäuft. Nachdem diese Maßregel beendigt war, drängte Rebekka ihre Freundin nach der anderen Seite des Haufens.
»Geh', mein gutes Mädchen,« rief das aufgeregte Wesen; »du bist freundlich, begabt und schön, aber dennoch nicht würdig, mit mir und Augustus das gleiche Geschick zu theilen. Mein Lieber, wir werden jetzt wohl in der Verwirrung entkommen können, wenn das Feuer am meisten tobt.«
»Ich kann dies nicht ertragen,« sagte Augustus. »Gib mir das Licht – ein Opfer ist genug, Rebekka. Ich befehle dir diesen Dolch wegzuwerfen – er paßt nicht für die Hände eines Weibes.«
Aber in demselben Augenblicke erwies sich Rebekka ganz als die Tochter ihres Vaters, denn statt aller Antwort warf sie die brennende Kerze unter das entzündliche Material vor ihr nieder. In einem Augenblicke loderte die Flamme hoch auf und die ganze Flur erfüllte sich mit Rauch. Die Hitze und der Dampf waren so erstickend, daß sich Augustus genöthigt sah, mit Rebekka nach der Hinterseite des Hauses zu flüchten und alle Fenster aufzureißen.
In demselben Momente bog der alte Commodore um die Ecke vor dem äußeren Portale und sah, daß die Hinterseite seines Hauses in Flammen stand.
»Vorwärts, ihr Schurken, so lieb euch euer Leben ist!« brüllte er. »Beim Himmel, das ist das Werk meiner Becky, Noll! Sie hat schon einmal mein Haus in Flammen gesteckt, weil ich sie ohne Nachtessen zu Bette schickte. Das Feuer ist in ihrem Zimmer. Es muß irgend ein Tollhäuslerstreich von ihr sein, um Augustus zu beschützen. Fahrt zu, ihr Schurken, fahrt zu!«
Die keuchenden Rosse strengten sich auf's Aeußerste an, und der Weg von einer Viertelmeile, welcher durch den Park führte, war fast im Nu zurückgelegt. Sir Octavius und Kapitän Oliphant stürzten über die Trümmer der zerbrochenen Thüre in das Herrenhaus. Die Marmortreppe war mit Menschen angefüllt, von denen einige mit Wassereimern das Feuer zu löschen bemüht waren, die andern mit Stäben und Hirschfängern über die brennenden Schränke neben dem Stiegengeländer wegzukommen suchten. Alles war mit lebhaft rothem Licht furchtbar bestimmt erhellt. Die Verwirrung war entsetzlich und das betäubende Gekräusch der Weiber schnitt den Männern in's Herz. In der Nähe des brennenden Haufens stand Mr. Underdown, die augenscheinlich leblose Rosa in seinen Armen, während er Augustus und Rebekka auf das Eindringlichste zurief, sie sollten Rettung suchen und sich an diejenigen, welche an der Hinterseite des Hauses stünden, ergeben, da dies das einzige Mittel sei, um dem Flammentode zu entgehen. Aber die hervorstechendste Figur auf der obersten Treppe war Mr. Rubasore, der, von einer andern Magistratsperson begleitet, den Steckbrief in der Hand hielt und die Männer antrieb, durch die Flammen zu stürzen und den Verbrecher lebendig zu ergreifen, indem er ihnen die doppelte Belohnung verhieß, welche in der Proklamation ausgeboten war.
Mittlerweile hatte sich der Rauch ziemlich zerstreut, aber das Getäfel der Flur, die Dielen des Bodens und die Deckbalken oben standen in hellen Flammen. Hinter der hellen Lohe stand eine hohe Gestalt in ein alterthümliches Frauenkostüm gekleidet, die in der Rechten als Waffe einen großen Bettpfosten trug, mit der Linken aber bemüht war, einem jungen, sehr schönen Frauenzimmer einen blanken Dolch zu entreißen. In der seltsamen Beleuchtung schienen sie keine sterblichen Wesen zu sein.
Der Commodore und Kapitän Oliphant befanden sich im Nu oben auf der Treppe. Der erstaunte alte Seemann war für einen Augenblick so überwältigt, daß er nur rufen konnte: »rettet meine Kinder!« Dann aber suchte sich sein kochender Busen Luft zu machen und statt eines ungeheuerlichen Fluches brüllte er hinaus:
» Nestroque!«
Bei diesem Rufe ließ die störrische Rebekka ihren Dolch fallen und warf sich in die Arme ihres Geliebten.
»Wir sind gerettet,« rief sie. »Ich höre das Schlachtgeschrei unseres Hauses – es ist mein Vater.«
Der alte Seemann ergriff Rubasore mit seinem eisernen Haken, schleuderte ihn rücklings die lange Treppenflucht hinunter, stürzte dann über das brennende Gebälk, faßte seine theure Becky in die Arme und gelangte mit ihr, während Augustus ihm folgte, wieder wohlbehalten aus dem Bereich der Flammen. Als er mit seiner Last die Treppe hinunterstürzte, fiel es Niemand ein, den ihn begleitenden Augustus zu greifen, sondern alle Anwesenden, selbst die Constabeln und Bowstreet-Beamte nicht ausgenommen, zogen, während sie an ihnen vorbeikamen, die Hüte ab und erfüllten das Haus bis an's Dach mit ihren Hurrahs.
Der Vater trug seine Tochter nach dem nächsten Gemach des Erdgeschosses. Wie zärtlich sie sich an ihn anklammerte, und mit welch' glücklichem Entzücken er über ihr weinte! Kapitän Oliphant und Mr. Underdown folgten augenblicklich mit Rosa.
»Da, Underdown,« sagte der Commodore, »nehmt diesen Ministerialbefehl – zeigt ihn der Magistratsperson und seinen Häschern! Gebt ihnen Feuereimer in die Hände und fordert sie auf, an dem Löschen der Flammen mitzuhelfen! Bemannt alle Feuerspritzen im Hause – die Leute sollen von dem Graben an nach Kriegsschiffsweise das Wasser von Hand zu Hand gehen lassen. Ah, ha – Noll trägt für diese Schönheit Sorge. Meine Mündel vermuthlich. Gust, mein Junge, gib deinem alten Onkel einen Kuß – kannst den Geschmack davon auf Rebekkas Lippen abreiben. Aber das sind saubere Geschichten, he! O, ihr schlauen Spitzbuben – und noch obendrein zu glauben, daß der alte Kerl nicht Alles wisse. Hab' ich mich um euretwillen nicht Tag und Nacht abplacken müssen. Aber he – was ist dieß? Bei Allem was herrlich – Becky ist ein Frauenzimmer, und noch obendrein ein ganz prächtiges Frauenzimmer geworden! Vor drei Monaten noch verließ ich sie als ein muthwilliges Kind; und merkt jetzt auf mich – da steht sie – Master Augustus, Master Gust, soll eine Palle an's Gangspill gelegt werden?«
»Der Graf von Osmondale,« sagte Rebekka durch ihre Thränen lächelnd.
»Bleibt mir mit dem Grafen vom Halse – war er nicht mein Neffe, ehe er ein Graf war? Und ein Graf in Weiberkleidern – in einem verbrämten Reifrocke – hum! Noll borge ihm eine von deinen Uniformen.«
»Mein theurer Onkel – Alles nur keine Uniform.«
»Aber mein theuerster Vater, du vergissest, daß dein Haus in Flammen steht.«
»Nun, es kommt mir fast selbst so vor, du Hexe; aber Becky, es wäre mir lieb, wenn ich jetzt ein einziges Glas kalten Grogs haben könnte.«
Das Feuer war gelöscht. Es ist Zeit, dieses Kapitel zu schließen, denn Erklärungen sind gar langweilige Dinge, und Entzückensergüsse lassen sich nicht gut lesen. Gesegnet war der Schlummer jener Nacht für alle Bewohner von Trestletree-Hall.