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Einunddreißigstes Kapitel

Lehr' an Tyrannenhöfen Schmeichelei'n,
Lehr' weitgereiste Jesuiten lügen,
Lehr' Flammen lodern und die Stürme dräu'n,
Den Bach das Wiesenthal durchpflügen;
Lehr' liegenbleiben träges Holz;
Lehr' Weibern Wankelmuth und Stolz –
Sieh', ob dein Müh'n nicht besser unterbliebe;
Nur ein's versprich mir: lehre mir nicht Liebe.

Cowley.

Am andern Tage hatte jedoch Mr. Rubasore eine weit schwierigere Rechnung mit Mr. Underdown zu bereinigen. Nach der gegenseitigen Verständigung machte der frühere Vormund die schreckliche Entdeckung, daß seine Aussichten auf Rosa für immer zu Grunde gerichtet und sein Ruf in der Gesellschaft gebrandmarkt sei.

In Verfolgung seiner Rachepläne gegen die Familie der Bacuissarts hatte er sich aus Gründen, die sich später herausstellen werden, in der Umgegend des Herrenhauses verborgen und es in dieser Weise unmöglich gemacht, daß Mr. Sharpus, sein Attorney, mit ihm verkehren konnte, obschon Letzterer nicht unterlassen hatte, nach allen seinen gewöhnlichen Schlupfwinkeln gebührende Kunde von den Verhandlungen vor dem Kanzleihofe ergehen zu lassen.

Es war ihm nicht entfernt eingefallen, daß so kräftige Schritte gethan werden könnten, um seine Entwürfe zu vereiteln. Mit einemmale sah er sich jetzt entehrt und aus dem geselligen Verkehr mit Allen, die ihn kannten, geworfen. Vielleicht waren noch einige gute Punkte in dem Charakter des schlimmen Mannes; aber jedenfalls ließen sie sich nur schwer entdecken und konnten dann doch für die übrige Schlechtigkeit nur wenig schadlos halten. Zuverlässig besaß er einen großen moralischen Muth, obschon er ihn in der Regel für eine unmoralische Sache verwendete und jene Festigkeit des Entschlusses, welcher endlich das Glück zwingt, die Bemühungen mit Erfolg zu krönen.

Er hielt sich wacker gegen die kalte Verachtung des Mr. Underdown und gegen die schneidend augenfällige Geringschätzung der Damen, welche erschienen, um sich den schlimmen Mann noch zum letztenmal zu betrachten.

Als er am folgenden Morgen mürrisch andeutete, er befinde sich wohl genug, um entfernt zu werden, um so mehr, da sein Wagen vor der Thüre stehe, erklärte ihm Mr. Underdown noch zum Abschied mit gelassener Stimme:

»Wenn Sir Octavius und Kapitän Oliphant zurückkehren, so werdet Ihr natürlich Allem aufbieten, um durch Abbitte einer persönlichen Ahndung zu entgehen. Meine Pflicht ist augenfällig. Ihr habt Euch auf ganz unverantwortliche Weise nach Sonnenuntergang in unsern geschlossenen Park eingeschlichen und einen schnöden, feigherzigen Angriff auf die Erbin der schönsten Besitzung und der ersten Familie in der Grafschaft begangen.«

»Die Tigerin hat mich schwer genug getroffen,« knirschte Rubasore zwischen den Zähnen.

»Es wäre nicht zu schwer gewesen, wenn Ihr zu todt geschlagen worden wäret. Es ist immer ein Arm bereit, um eine Bacuissart zu rächen.«

»Vipern durchgängig!«

»Ihr habt vorgewendet, daß Ihr nach einem Uebelthäter späht, dessen Namen und Beschreibung Ihr uns nicht geben wollt; das ist eine seichte und, wie ich fürchte lügenhafte Ausflucht. Wir würden Euch in Euren Nachforschungen Beistand geleistet haben. Aber warum übernehmt Ihr selbst das Amt eines Constable? Ich kann darin nur einen gemeinen Vorwand sehen. Ich werde ohne Zögerung wegen des Ueberfalls und Angriffes Klage gegen Euch führen und Euch zwingen, Bürgschaft zu stellen. Erwartet, sobald Ihr nach Hause kommt, eine richterliche Vorladung. Euer Ruf ist für immer dahin, und wenn Ihr aus den feindseligen Maßregeln, die wir gegen Euch ergreifen müssen, nur Anlaß nehmt, Euch aus der Umgegend zu entfernen, so werden wir froh und dankbar genug sein.«

»Seid Ihr fertig? – Ist Euer Gift erschöpft? – Gemästeter Parasit dieser beutelstolzen Familie – trotz Eurer Gemeinheit und Niedrigkeit, sollt sogar Ihr mir über Eure Worte erröthen. Ich will dieses Volk in den Koth zerren – will seinem Namen das schwärzeste Brandmal der Ehrlosigkeit aufdrücken, so daß man mit Abscheu davor ausspeit. Ja, dies will ich thun und unverweilt. Was Euch betrifft, Ihr wilde Katze mit dem Arme einer Kesselflickerin, ich werde noch Disteln und Nachtschatten pflanzen auf Eurem frühen Grabe.«

»Soll ich dem Vieh nicht Eins in's Gesicht schlagen?«

»Und Euch, Miß Rosa, will ich durch Prozesse zu Grunde richten. Ich hoffe, es wird mir gelingen, zuletzt noch durch Bettelarmuth und Schande Euch das Herz zu brechen. Ja, das will ich thun, oder in dem Versuche zu Grunde gehen – so wahr mir Gott helfe.«

Mit diesen Worten verließ er das Gemach, in welchem seine frühere Mündel fast in Convulsionen zurückblieb. Mr. Underdown blickte ihm mit Abscheu nach, und Miß Bacuissart war mehr als je geneigt, dem unverschämten Droher die Feuerzange, mit der sich in den letzten fünf Minuten ihre Hände beschäftigt hatten, nach dem Kopf zu schleudern.

Im Laufe des Tages sah sich Mr. Rubasore genöthigt, vor einem Friedensrichter zu erscheinen und Bürgschaft für seine persönliche Verantwortung vor den nächsten Grafschaftssitzungen, die gesonderten Anklagen des Einschleichens und Angriffs betreffend, zu stellen.

Er hatte bisher in ärmlichen Bauernhäusern, wo seine Person unbekannt war, Quartier gemacht und von hier aus heimlich die Gegend durchschlichen. Da jetzt ein längeres Verbergen nutzlos gewesen wäre, so bezog er dreist seine eigene Wohnung und erfreute sich daselbst der für ihn wünschenswerthen Einsamkeit, indem er sich vor allen Besuchen verläugnen ließ. Hätte er den Spion und Verräther selbst aufgegriffen, so wäre er im Stande gewesen, der Familie Bacuissart gewisse tyrannische Bedingungen aufzulegen, unter denen die Zurückgabe seiner Mündel nicht zu den unbedeutendsten gehört haben würde; dieser Plan war ihm jedoch vereitelt, weshalb er jetzt seiner ganzen Thätigkeit aufbot, um den Flüchtling öffentlich fahen zu lassen.

Zu diesem Ende verschaffte er sich den Beistand zweier aus dem Dienste gejagter riesiger Wildhüter von sehr schlechtem Ruf, und da es ihm durch seinen Einfluß gelungen war, diese beiden Personen bei der Londoner Polizei unterzubringen, wo sie beeidigt wurden, so beschloß er, in Gemeinschaft mit ihnen jede Hufe Landes auf zwanzig Meilen im Umkreise von Astell-House und Trestletree-Hall zu durchstöbern. Die Bitterkeit seiner Gefühle gegen die Familie unserer Heldin wurde keineswegs gemildert, als er den kläglichen Bericht las, den Mrs. Dredgely über die sogenannte gewaltsame Entführung von Miß Belmont erstattet hatte. Ihr Schreiben vergrößerte sehr den eigenen Widerstand und schmähete Kapitän Oliphant nebst Mr. Underdown in den gewähltesten Ausdrücken; da außerdem ihre lästersüchtige Feder sehr umfassend war, so ließ sie sich auch herab, Peter Drivel in ihre Verwünschungen einzuschließen, indem sie hoffte, wenn sie die eine Seite seines Herzens mit Haß mäste, werde sie bald die andere mit Liebe für ihre zarte Person erfüllen können. Um das zähe Stück gegerbten Leders für die Aufnahme der letzteren empfänglich zu machen, erschöpfte sie jeden Ausdruck der Hingebung an seine Interessen und Person mit allen ihr zu Gebote stehenden Beredsamkeitsgaben. Dazu kamen noch einige allgemeine Winke über die Leichtfertigkeit von Miß Belmonts Benehmen, wobei sie nicht vergaß, jede Aeußerung Rosa's zu berühren, von der sie glaubte, sie dürfte dazu dienen, Mr. Rubasore aufzubringen. Letztere Anklageepistel bildete fast ein kleines Wörterbuch, das jedes Synonymum für das Wort Verachtung in sich faßte. Mr. Rubasore konnte Alles dies nicht ganz begreifen, glaubte übrigens daraus entnehmen zu dürfen, seine beleibte Cousine fühle sich in der üblen Behandlung, die er erlitten, persönlich gekränkt und theile deshalb sympathetisch einige seiner Empfindungen.

Als er die Briefe seines Attorney öffnete, fand er alle Angaben seiner Verwandten völlig bekräftigt, wie denn auch Mr. Sharpus den Eifer und die Anhänglichkeit dieser verständigen Dame nicht genug loben konnte. Die ungeheuren Kosten, in welche er sich verwickelt hatte, machten ihn allerdings nicht wenig betroffen; indeß wußte er wohl, daß ihm ein Eingehen in diese ärgerliche Sache nur neuen Verdruß bereiten konnte. Er beschloß daher, großmüthig zu sein und seinen besseren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Von edlem Antrieb geleitet, setzte er sich nieder und schrieb folgenden Brief an Mrs. Dredgely.

» Meine theure Muhme!

»Ich danke Euch aus der Fülle eines überquellenden Herzens für den Eifer, den Ihr in Wahrung meiner Interessen entfaltet habt, und obgleich Ihr mir nicht wirksam dienen konntet, so glaubt mir, daß ich Eure Bemühungen voll zu würdigen weiß und sie nach Gebühr belohnen werde. Da ich so schnöderweise meiner gesetzlichen Gewalt über Miß Belmont beraubt worden bin, so geht natürlich Euer künftiger Aufenthalt in Jaspar-Hall auf Eure eigene Gefahr und Kosten, denn es ist jetzt in die Gewalt der eingedrungenen Vormünder gegeben, Euch für jeden weiteren Tag Kost und Wohnung anzurechnen und Euch zu Zahlung ihrer Forderung zu zwingen, was von der rachsüchtigen Natur solcher Leute und dem Hasse, den sie gegen mich und die Meinigen tragen, ohne Zweifel zu gewärtigen steht.

»Wie mir Mr. Sharpus schreibt, seid Ihr bis auf den Augenblick, in welchem meine Mündel meiner Obhut entnommen wurde, bezahlt worden, weshalb Ihr keine weitere Forderung an mich zu stellen habt. Da Ihr jedoch ohne Zögerung von Jaspar-Hall aufbrechen müßt und ich Euren Eifer für meine Interessen zu schätzen weiß, so schließe ich Euch mit den besten Wünschen für Euer Glück diese Hälfte einer Pfundnote Numero 17,165 bei; die andere Hälfte soll Euch übermacht werden, sobald Ihr anderswo Euern Aufenthalt gewählt habt. Die Empfangsbescheinigung mögt Ihr mir in einem frankirten Schreiben zugehen lassen – nicht, daß ich abgeneigt wäre, das Porto für den Brief einer so nahen Verwandten zu bezahlen; aber ich könnte zur Zeit seines Anlangens nicht zu Hause sein, und es ist gemessener Befehl in meinem Hause, nie einen Brief anzunehmen, dessen Postgebühr nicht berichtigt ist. Es ist vielleicht am Besten, wenn Ihr wieder zu der asthmatischen Tabakhändlerswittwe in St. Bartholomews-Close zieht. Die Bedingungen sind billig, und die alte Dame wirds wahrscheinlich nicht mehr lange treiben; wenn Ihr derselben gebührende Aufmerksamkeit schenkt, so habt Ihr alle Hoffnung, in ihrem Testament bedacht zu werden.

»Meine gute Muhme, Eure Absicht, zu mir zu kommen und mein Hauswesen zu führen, ist ungereimt, da ich kein Haus mache; auch muß ich sorgfältig darauf sehen, meinen Ruf gegen die Verläumdungen meiner Nachbarn sicher zu stellen. Miß Rosa hält sich zu Trestletree-Hall auf und hat einige Damen nebst jener öligen Schlange, dem Mr. Underdown, zur Gesellschaft. Ich bedaure, bemerken zu müssen, daß sie sehr gesund und glücklich aussieht, obgleich ich Euch sagen kann, Madame, daß dies zuverlässig nicht lange währen wird.

»Ihr werdet mich entschuldigen, daß ich den Aufwand des Porto's für gegenwärtiges Schreiben Euch aufbürde, da alle meine Versuche mißlungen sind, eine Frankatur dafür zu erhalten.

Glaubt mir, daß ich stets verbleibe
Euer
Euch liebender Vetter
Ruben Rubasore

Die großmüthige Gabe, welche in diesem freigebigen Briefe eingeschlossen war, kostete die schöne Empfängerin als ein doppeltes Schreiben – da es zuerst nach London und von dort aus fast bis nach Landsend gehen mußte – genau fünf Schillinge. Mrs. Dregely las es mit der größten Ueberraschung, denn eine solche Ueberfülle von Gemeinheit konnte nicht einmal sie begreifen.

»Wir wollen doch sehen,« sagte sie, grimmig mit den Zähnen knirschend, »was der schließliche Werth dieses vetterlich liebevollen Geschenks ist. Von hier gehe ich nicht fort, denn ich bin überzeugt, Rosa wird mich nicht vertreiben; die beiden Briefe, welche mir die zwei Hälften bringen sollen, kosten mich also gerade zehn Schillinge, der einfache aber, in welchem ich den Empfang der ersten und später den Empfang der zweiten anmelden muß, beträgt weitere fünf. Der schäbigte, alte Filz! Und doch bin ich seine nächste Verwandte, seinen Erben ausgenommen, den er viel ärger haßt, als den Gedanken an seinen eigenen Sarg. Natürlich, und er wollte Miß Rosa heirathen – er soll sich lieber mit den Würmern vermählen, die nach seinem ausgetrockneten Gerippe lüstern sind!«

Miß Dregely war ein schlimmes Weib, aber ihre ganze Bösartigkeit entsprang aus der Schwäche ihres Verstandes. Hätte das Glück sie wohlwollender behandelt, so würde sie vielleicht eine würdige Rolle im Leben gespielt haben. Sie sah es gerne, wenn sie selbst es gut hatte, und trug mit Freuden dazu bei, Andere glücklich zu machen; aber sie war üppig erzogen, und konnte den Versuchungen keinen Widerstand leisten, welche ihr durch den Mangel und die Armuth in den Weg geworfen wurden. Derartige schwache Personen können zwar nichts aus Herzensgrund lieben, als ihre eigene Wohlfahrt, hassen aber stets diejenigen, welche derselben in den Weg treten und sie beeinträchtigen. Deshalb verabscheute Mrs. Dregely von nun an Mr. Rubasore aus voller Seele, und schwur ihm in ihrem unchristlichen Gebete ewigen Haß. Auf den Knieen betete sie zu dem Spender alles Segens, er möchte ihr diesen Mann zum Gatten geben, damit sie ihm zum Fluche werden und ihn zwingen könne, sein eigenes kränkendes Gift zu verschlucken; sie wollte es ihm auf seinem Todbette in der Arznei sowohl, als in seinem Gerstenschleime beibringen, zugleich ihm sagend, er möchte sich abzufahren beeilen, damit ein schnöder Geizhals weniger aus der Welt sei.«

Nach diesem Gebete hob sie den Theil ihrer Note sorgfältig auf und schrieb Mr. Rubasore, den sie schon als ihren künftigen Gatten betrachtete, einen Brief voll Demuth, Unterwerfung, Dankbarkeit und Schmeichelei. Der Köder wirkte: er erklärte sie für die musterhafteste der Frauen und begann glühend zu wünschen, sie möchte Rosa's Vermögen haben, damit er ihr Rosa's Platz in seinem Hause und – wir müssen es vermuthlich so nennen – in seinem Herzen anweisen könnte.

Mrs. Dregely hatte sich in ihren Spekulationen nicht getäuscht. Miß Belmont schrieb ihr unter Mr. Underdowns voller Zustimmung eine sehr freundliche Rückantwort, und bat sie, so lange in Jaspar-Hall zu bleiben, als es ihr gelegen sei, und sich keinen der gewöhnten Genüsse abzubrechen; auch solle sie den gewöhnlichen Gehalt als ihre Gouvernante fortbeziehen, bis Rosa volljährig geworden sei.

Alles dies war Balsam für ihren verwundeten Stolz und ein Gegenmittel gegen ihre Furcht vor der asthmatischen Wittwe, der erbärmlichen Kost, der schlechten Gesellschaft und der dumpfen Atmosphäre von St. Bartholomews-Close. Demungeachtet war ihr Dank lange nicht in jenem schwunghaften Style gehalten, in welchem sie Rubasore auf sein schäbig-selbstsüchtiges Benehmen geantwortet hatte. Die Sprache ihres Briefs an Mr. Belmont war einfach, ruhig und sachgemäß; in der Epistel an ihren Verwandten aber drückte jeder Satz die grenzenloseste Anhänglichkeit, den unerschöpflichsten Dank und die größte Dienstbereitwilligkeit aus. Wenn die Leute Briefe lesen, so mögen sie sich an Mrs. Dregelys Korrespondenz erinnern.


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