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Fünfundzwanzigstes Kapitel

»Ihr Mächte, die ihr thätig schafft,
Zu tilgen aus der Sünde Zünder,
Brecht immerhin der Sünde Kraft,
Doch übt Vernichtung nicht am Sünder.«

Altes Lied.

Mr. Rubasore fühlte sich verlegen. Er blickte seinem Patienten in's Gesicht und sein Herz hätte vergehen mögen; indeß beschloß er doch, die einmal angenommene Rolle durchzuführen, denn sein Verlangen, den Namen und die Geschichte des muthmaßlichen Spions zu erfahren, hatte sich bereits ein wenig gelegt. Er fühlte, daß er es nicht wagen durfte, ihr aufdringliche Fragen vorzulegen.

Endlich saßen sie Seite an Seite, und nach einigem Stocken begann Mr. Rubasore mit den gewöhnlichsten Gemeinplätzen, mit welchen sich der menschliche Geist möglicherweise nur unterhalten kann, und die der eigentlichen Thorheit nahe genug stehen.

Nachdem sie gefunden, wie sie beide derselben Ansicht waren, – daß nämlich ein schöner Tag in Aussicht stehe, wenn es nicht regne und weder die Hitze oder die Kälte allzulästig falle – und was dergleichen wichtige Unterhaltungsgegenstände mehr sind – räusperte sich Mr. Rubasore sehr fachmäßig, und setzte sich endlich in Besitz von Rosaliens Handgelenk.

Auf alle seine Fragen gab sie nur kurze Antworten, aber im süßesten Tone, den er je gehört zu haben glaubte. Wenn sich ihre blassen Lippen öffneten, bemerkte er, daß ihr Schweigen zwei Reihen der herrlichsten Zähne verbarg – Zähne, die nur geschaffen zu sein schienen, das Elfenbeinportal des Lächelns zu sein, obgleich sich von einem Lächeln nichts blicken ließ. Ihre Lippen thaten sich auf und enthüllten die innere Schönheit, aber die Freude hatte ihren auserlesensten Sitz verlassen.

Mr. Rubasore, der im Allgemeinen ein gut unterrichteter Mann war, spielte die angenommene Rolle nicht übel, obschon ihn die Symptome sehr in Verlegenheit setzten. Es war augenscheinlich kein Fieber vorhanden, und der Puls ging regelmäßig, obgleich schwach und langsam. Sie klagte nicht über Husten, Schwerathmigkeit oder Brustbeklemmung, hatte weder guten noch schlechten Appetit, und machte sich nichts aus dem Essen, obschon sie eine zureichende Menge Nahrung zu sich nahm, wenn man ihr dieselbe vorsetzte – wenigstens sagte sie so.

Ihre Hauptbeschwerden waren die schreckhaften Träume; sie konnte keine Ruhe davor finden, zitterte vor dem Einschlafen und wagte es kaum, ihre Augen zu schließen. Sie bat Mr. Rubasore, ihr ja kein Opium in was immer für einer Form zu verschreiben, da dieses nur ihre Leiden erhöhe und sie bis an den Rand des Wahnsinns treibe.

Nachdem sie seinen vielen Fragen in möglichst kurzen Worten Genüge gethan hatte, kam er natürlich zu dem Schlusse, daß ihre Krankheit die alte Geschichte: »ein leidender Geist« sei und das Geheimniß, welchem er auf die Spur zu kommen wünschte, wurde für ihn nur von desto größerer Wichtigkeit. Es hatte auch noch andere, weit tiefere Beweggründe, mit welchen wir vorderhand um so weniger zu schaffen haben, da er es zur Zeit kaum wagte, sich selbst dieselben zuzugestehen.

Die nächsten Fragen betrafen ihre Lebensweise, und die Antworten, welche er erhielt, machten ihn eigentlich schaudern. Trotz aller Behutsamkeit des Mädchens konnte es ihm nämlich nicht entgehen, daß sowohl Vater als Tochter miteinander wetteiferten, wer am besten hungern und das Andere aus den irrigen Glauben bringen könne, daß sie jeden Tag so viel äßen, als sie brauchten. Und dennoch waren sie kein Geld schuldig, wie denn auch sich kein Laden in der Nachbarschaft mit dem des Monsieur Florentin an Reinlichkeit messen konnte. Dazu war Rosalie in ihrem Anzug nicht nur sehr sauber, sondern auch bien gentille. Man hat mit Recht den würdevollen Fall des ermordeten Cäsar vor der Statue des Pompejus und den ruhigen Heldenmuth gepriesen, mit welchem er sich in seinen Mantel hüllte, um selbst im Tode den Anstand und die Majestät einer ruhigen Größe zu bewahren. Was war jedoch all dies in Vergleichung mit der Seelengröße dieser beiden fremden freundlosen Dulder? Der Dolch des Hungers drang ihnen grausam durch den Busen, und doch riefen sie nicht die Vorübergehenden an, um ihnen ihre Wunden zu zeigen, sondern hüllten sich in die Mäntel ihres Ehrgefühls, und machten sich darauf gefaßt, ohne Klagelaut vor dem Altare zu sterben, dessen Heiligkeit Niemand verletzen sollte – vor dem Altare der Selbstachtung.

Dies war sogar für den selbstsüchtigen Rubasore zuviel, und der bessere Theil seines Wesens triumphirte. Sobald er eine klare Einsicht in die Sachlage gewonnen hatte, erhob er sich und sagte, er wolle sich Zeit nehmen, um über die Symptome nachzudenken und dann am andern Morgen die nöthigen Heilmittel verschreiben.

Er stellte keine weitern Fragen an Rosalie, sondern verabschiedete sich freundlich von ihr und begab sich in den Laden hinunter. Dort angelangt, versank er in ein tiefes Brüten, wozu er dann auch hinreichend Zeit hatte, da ein Kunde zugegen war, welcher sich rasiren ließ. Er verfolgte den ganzen Prozeß mit philosophischer Aufmerksamkeit und fühlte, daß er, für die nächsten vier Stunden wenigstens, ein viel besserer Mensch geworden war.

Der Kunde war ein stämmiger, mürrisch aussehender Kohlenträger, der in bitterböser Laune dasaß, Monsieur Florentius weißeste Serviette unter dem Kinn, die einen schroffen Gegensatz zu dem rußigen Zwilchkittel bildete. Sein Bart war viele Tage alt und konnte mit einem Feld voll Zehnpennynägel verglichen werden, die, die Spitzen aufwärts, auf einem Kiesbeete wuchsen. Der untere Theil seines Gesichtes, der an Größe mit dem ungekämmten, struppigen Haarboden wetteiferte, war mit weißem Schaum eingeseift. Während das Rasirmesser durch die dichten Stoppeln fuhr, knirschten die spröden Kohlentheilchen und andere harte Substanzen laut und die Schneide bog sich um, während der Mann fluchte und ausschlug, Monsieur Florentin aber mit der zarten Emsigkeit einer Amme, die ein krankes Kind pflegt, in seinem Geschäfte fortfuhr. Die Höflichkeit des Barbiers war unverwüstlich, aber weder das Herz des Kohlenträgers, noch sein stachelichter Bart wollte sich durch die erweichenden Applikationen, die in der Macht des armen Fremdlings standen, beschwichtigen lassen.

Die lästige Operation nahm endlich ein Ende. Der Mann wusch und trocknete sich, worauf Monsieur Florentin für alle seine Aufmerksamkeit, für die Verschwendung von Seife und Zeit, wie auch für das Beschmutzen von zwei oder drei Handtüchern – einen Penny und einen Fluch erhielt.

Wir wissen, daß alles dies schrecklich gemein ist; aber knüpfen wir mit Mr. Rubasore eine kleine Betrachtung daran, und wir können manches Heilsame daraus erholen. Daß es bei Mr. Rubasore der Fall war, ist bereits bemerkt worden. Er machte die Entdeckung, daß die höchsten Tugenden auf dem allerniedrigsten Standpunkte geübt werden können, und daß die Laster der Anmaßung, der Rücksichtslosigkeit in Beziehung auf die Gefühle Anderer sich nicht blos auf diejenigen Klassen beschränken, von denen man annimmt, daß sie sich nur wenig um die Gefühle derjenigen bekümmern, welche unter ihnen stehen. Damit verband sich auch die Bemerkung, daß man beutelstolz sein kann ohne Beutel und nur mit zwei Pencen in der Tasche, daß man im Ausgeben eines einzigen Pennys weit mehr verächtliche Eitelkeit an den Tag zu legen vermag, als wenn man über Tausende verfügt, und daß der Hunger zwar den Körper verkümmert, aber nicht diejenigen Laster zerstört, welche man bei den Uebersättigten eben so gut trifft, wie bei denen, welchen sogar die Brodkruste fehlt, um ihr ärmliches Dasein zu fristen.

»Das ist ein sehr sauer verdienter Penny,« meinte Mr. Rubasore.

»Sauer wohl, aber ehrlich, Monsieur. Wie habt Ihr Rosalie gefunden?«

»Ich will offen gegen Euch sein. Sie hat zu viel in ihrem Gemüthe und zu wenig in ihrem Magen.«

»Ihr ermordet mich – vous m'assassinez. Juste ciel! was soll ich thun?«

»Ihr müßt ihr zu essen geben und ich will dafür sorgen, daß sie spricht. Auch Ihr seid nicht ganz wohl, weßhalb ich Euch gleichfalls etwas verschreiben muß. Ich bin übrigens etwas eigen in meinen medizinischen Ansichten und operire so wenig wie möglich mit Arzneien, denn ich ziehe es vor, großentheils durch eine entsprechende Diät zu kuriren. Ich will Euer Freund sein, aber Ihr müßt meinen Weisungen unbedingte Folge leisten.«

Statt daher in schlechtem Latein das noch schlechtere Rezept eines ekelhaften Tranks aufzuzeichnen, schrieb er drei gute Speisezettel, einen für das Frühstück, einen andern für das Diner und einen dritten für ein frühes Abendessen, ohne den kleinen Beisatz des Thees zu vergessen.

Als Monsieur Florentin dies las, standen ihm nicht gerade die Haare zu Berg, denn sie waren abrasirt; dagegen hoben sich aber seine Augbraunen so sehr, und seine Stirne zog so tiefe Furchen des Erstaunens, daß sein Toupé anfangs in die Höhe stieg und dann wieder beträchtlich heruntersank.

» C'est une chose nicht possible,« sagte er, die ausgebreitete hagere Hand auf die Brust legend; »und Monsieur, wir sind nicht acht in unserer Familie.«

»Was das Unmögliche betrifft, so überlaßt dies der Vorsehung und Eurem Arzte; in Anbetracht der Zahl Eurer Familie aber, mag sie nun groß oder klein sein, erwarte ich, daß Alles, was ich verschreibe, gebührend verbraucht wird. Ah, Monsieur Florentin, Ihr seid noch nicht bekannt mit der englischen Luft. In Frankreich habt Ihr so viele Dinge, von denen Ihr leben könnt – verzeiht, da ist zum Beispiel Eure Nationaleitelkeit, Euer unnachahmlicher Frohsinn, Eure schöne und elastische Haltung – aber in England gehört zu Erhaltung des Lebens nothwendig Nahrung, Nahrung, Nahrung – und ich sage Euch daher, eßt, eßt, eßt.«

Dann verabschiedete er sich, ohne den Grund, welcher ihn nach dem Laden geführt hatte, zur Sprache zu bringen, aufs freundlichste von dem überraschten Barbier, und sagte für den andern Morgen einen abermaligen Besuch zu.

Monsieur Florentins Betrachtungen waren nicht von der tröstlichsten Natur. Er fühlte sich sehr hungrig – nun, daraus machte er sich nicht viel, weil er daran gewöhnt war – aber der Gedanke, daß Rosalie an unbeschwichtigtem Hunger gelitten habe oder leide, brachte in fast zum Wahnsinn. Welche Qual – es war Essenszeit. Er betrachtete sein Rezept, auf welchem für die Person zwei große Hammelsrippchen, nicht zu sehr gebraten, und zwei Kartoffeln von beträchtlichem Umfang aufgeschrieben waren; dazu kam noch eine Pinte starken Ales für Monsieur, eine Beigabe von zwei Gläsern guten Portweins für Mademoiselle, und noch eine kleine Liste von allerlei Leckerbissen, welche die Dame auf alle Fälle haben müsse, so oft sie Lust dazu bekomme. Als der gute alte Franzose dies las, wässerten ihm Mund und Augen à l'envie les uns de l'autres. Um das Aufgezeichnete beizuschaffen, hatte er eben einen einzigen Penny und einen Fluch verdient, welch letzteren er nicht gegen Waare umsetzen konnte. Außerdem fehlte es an Brennmaterial, denn da es spät im Juni war, hatten sie auf keine Feuerung Bedacht genommen.

Mitten in dieser Verwirrung, welche eine volle Stunde nicht von ihm weichen wollte, rief ihn die sanfte Stimme seiner Tochter in das obere Gemach. Er legte die Kette in einer Weise vor die Ladenthüre, daß man hören mußte, wenn Jemand eintrat, und begab sich nach dem Zimmer des ersten Stockes. Hier stand ein kleiner, runder Tisch mit einem reinen Tuche belegt, auf welchem zwei nicht sehr neugebackene Pennysemmeln von sehr geringem Umfange lagen (denn während des Revolutionskrieges erlösten die Landwirthe für ihre Produkte gute Preise), und in der Mitte befand sich eine große Schüssel mit zwei Salatköpfchen. Wenn es hier auch kein pain à discretion gab, so war doch Wasser nach Belieben vorhanden und die Näpfe und Platten sammt den Bestecken sahen sogar reinlich aus, daß sie im Stande waren, »in den Rippen des Todes« Appetit zu wecken.

Das Mahl war jedenfalls sehr leicht und poetisch – eine sogenannte » frugale Erfrischung« in der Art jener Mahlzeiten, die bei den Romanheldinnen so beliebt sind, nur mit dem Unterschiede, daß die Erfrischung gar zu frugal war.

Mit Rubasores Rezept in der einen, und dem schwer verdienten Penny in der andern Hand betrachtete der arme Flüchtling mit einer Jammermiene seine Delikatessen. Indeß, il faut manger pour vivre, et non pas vivre pour manger. Mit diesem Aphorismus im Munde, den er bereitwillig mit etwas Substanziellerem gefüllt haben würde, begann er den Salat anzumachen; das heißt, er mischte ihn, goß ein wenig sehr mit Wasser verdünnten Weinessig zu und träufelte einige Tropfen Oel darauf.

Während dieser Vorbereitung war Rosaliens Oberlippe sehr thätig und bekundete großes Leiden; aber dennoch verrieth kein Laut der Klage, keine Thräne den Zustand ihres Innern.

» Le voilà prêt. Nun, mein Mädchen, laß dir's schmecken so gut du kannst.«

Sie gestattete jedoch ihrem Vater nicht, von dem Bischen Salat auf ihren Teller zu legen, und schob ihm auch die andere Semmel zu. »Vater,« sagte sie, »ich habe schon gespeist. Siehst du nicht hier die Krumen und die Ueberreste? Verzeih, daß ich nicht wartete.«

»Wie ist dies möglich, Rosalie? Ich weiß ja, daß wir keine andern Lebensmittel als diese hier im Hause hatten.«

Und nun erschien das Roth, welches die Gesundheit ihrem schönen Antlitze, ihren Tugenden und ihrer kindlichen Liebe versagte, auf den Ruf der Schaam, als sie ihre Lüge sprach, obschon nur ihre Wangen davon überflogen wurden. Ihr Herz stand dafür um so reiner da, und kindliche Liebe heiligte das Gefühl, welches das Mädchen veranlaßte, zu dem Kunstgriffe der umhergestreuten Krumen seine Zuflucht zu nehmen.

»Wohl wahr, Vater, aber ich habe durch Anfertigung eines Spitzenstrichs einige Pence verdient und die gute Frau, welche über uns wohnt, verschaffte mir Brod und sogar ein wenig Fleisch. Ich bitte nochmal um Verzeihung, daß ich nicht auf dich wartete. Ich bin – wollte sagen – ich war sehr hungrig.«

»Wie magst du von Verzeihung reden?« entgegnete Monsieur Florentin, indem er die eine Semmel in den Mund steckte. »Nein, Rosalie« – und damit verschwand die Hälfte des Salats – »ich sollte dich um Verzeihung bitten« – und nun wanderte die andere Semmel zwischen seine Kinnladen – »daß ich einer Tochter, die in jedem Betracht so liebenswürdig ist,« – jetzt verschwand auch die andere Hälfte des Salats – »nicht besser unterstützen kann.« Das Diner war nun alle. » Le voilà tout – laß uns Gott danken für unsere Mahlzeit, obgleich ich in Wahrheit noch sehr hungrig bin.«

Der gute Franzose bemerkte nicht den wolfartigen Starrblick, der aus den Augen seiner Tochter leuchtete, als er das dürftige Mahl verzehrte. Während er jedoch einen tiefen Zug Wasser nahm, entdeckte er, daß sie hastig alle Krumen von dem Tische in ihre Handfläche hinunterstreifte und dieselben gierig verschlang. Da erkannte der Vater plötzlich die Wahrheit; er wandte sich rasch gegen das Mädchen und rief im Tone großen Verdrusses: »Rosalie, du hast mich getäuscht, hast mich mit einer Unwahrheit hintergangen, mein Kind. Du bist ohne Mahlzeit geblieben und hungerst.«

»O mein gütiger Vater!«

Das arme Mädchen konnte nicht mehr sagen, sondern brach in einen Strom von Thränen aus.

»Ich habe noch diesen Penny; was können wir verkaufen?«

Aber eh er weiter zu sprechen vermochte, machte ihn das Rasseln der Kette an der Ladenthüre unten darauf aufmerksam, daß Jemand eingetreten war; auch vernahm er unmittelbar nachher die Fußtritte mehrerer Personen, welche die schmale Treppe heraufkamen.

»Trockne deine Thränen, Rosalie,« sagte er hastig. »Fasse dich und laß diese hartherzigen Engländer nicht Zeugen unserer Noth sein.«

Dann ging er nach der Thüre, um sie zu verriegeln. Aber man kam ihm zuvor; sie wurde aufgerissen und ein Kellner mit einer bedeckten Schüssel trat herein, dem ein zweiter und ein dritter folgte. Ehe Vater oder Tochter sich von ihrem Erstaunen erholt hatten, sahen sie ihren kleinen Tisch mit vortrefflich angerichteten Hammelsrippchen, zwei Platten voll Gemüse, einer Flasche Portwein und einen Krug schäumenden Bieres bedeckt.

Dieses Gericht veranlagte Monsieur Florentin unwillkürlich nach Messer und Gabel zu greifen. Er fragte dann um Erklärung, welche auch unverweilt von dem Oberkellner eines benachbarten Wirthshauses, der die großartige Prozession anführte, gegeben wurde. Er sagte blos, »der Arzt, welcher am Morgen hier gewesen sei, habe seinem Gebieter aufgetragen, Monsieur Florentin täglich mit zwei substantiellen Mahlzeiten und einer Pinte Wein für Mademoiselle zu versehen; auch hoffe er, daß Monsieur mit dieser ersten Probe zufrieden sei.«

Zungengeläufig, wenn auch nicht beredt in seinem Danke, schob Monsieur Florentin den Kellner an den Schultern aus dem Zimmer – und dann – dann speiste Monsieur Florentin zum zweitenmal, während Mademoiselle ihr Fasten brach.

Diese Handlung, welche so edelmüthig aussah, würde, wenn sie zu Miß Belmonts Kunde gelangt wäre, Mr. Rubasore zuverlässig weit bessere Dienste geleistet haben, als sein studirter Brief. Auch ist soviel gewiß, daß er, als er sich zu dem erwähnten wohlthätigen Akte entschloß, eine hohe Selbstzufriedenheit empfand, die eben so köstlich, als neu für ihn war, obschon wir nicht umhin können, die Versicherung abzugeben, daß er gerade keine Ehre dabei verdiente. Man glaube nicht, daß ein höhnischer Sinn aus mir rede und daß ich nur so spreche, weil er mich in's Gesicht sowohl, als hinter meinem Rücken stets nur einen unnützen Pensionär nannte, denn die Handlung war im besten Lichte betrachtet, nicht viel mehr, als ein bloßer Sinnengenuß, und ihrem Verdienste nach kaum höher anzuschlagen, als das Vergnügen, welches wir daran finden, wenn wir eingesperrte und hungrige Thiere füttern. Sie kostete ihn kein Opfer, denn der Aufwand dabei war für ihn ein reines Nichts. Wäre dieser Vater und diese Tochter, trotz der edlen Rechtlichkeit und der seinen Höflichkeit des Einen oder der heroischen kindlichen Aufopferung der Andern, auf was immer für eine Weise mit ihm in Berührung gekommen, so daß er in ihnen hätte Rechte anerkennen und Privilegien achten müssen, so würde dieser Mahlzeitgeber aller Macht seiner Bosheit aufgeboten haben, um gedachte Berechtigungen zu verhöhnen, oder sie zu schmälern und in ein untergeordnetes, mißliebiges Licht zu stellen. Demselben Grunde ist es zuzuschreiben, daß Damen – ich will auch die Herren nicht ausnehmen – Lieblingsthiere halten und sich Wunder was auf ihre ungeheure Zuneigung gegen dieselben zu Gute thun. Lady Vilainame lebt vielleicht im Streite mit ihrer Mutter, unterhält eine Todfeindschaft gegen ihre Zwillingsschwester und hat ihr einziges Kind aus dem Hause getrieben, aber doch überfließt sie von Zärtlichkeit gegen einen garstigen Schoßhund. Sir Hickery Rasp vertreibt die Einwohner eines ganzen Dorfes aus ihrem Heimwesen und läßt sie im unfreundlichsten Wetter Hungers sterben, dabei sich seines Hasses gegen die Armen rühmend, und doch ist er so in seinen Hühnerhund vernarrt, daß er in einem Duelle gegen den Mann, den er Freund nennt, sein Leben wagt, um einen dem Hunde zugefügten Schimpf zu rächen.

Aber diese Zuneigungen sind keine Belege für die Liebe, sondern für die Tyrannei des menschlichen Herzens. Derartige Thiere haben keine Rechte – nichts, womit sie sich Achtung sichern können. Sie verlangen nichts und gewinnen deßhalb Alles. Sie sind Dinge, über die wir unsere Herrschaft üben – wir können uns zu ihren Despoten machen, und deßhalb lieben wir sie. Wenn Damen oder Herren sagen, sie lieben ihre Thiere um gewisser angeblicher guter Eigenschaften willen, so muß man ihnen keinen Glauben schenken. Es gibt eine ungeheure Menge von Tugenden unter ihren Nebenmenschen, die sie in ihren Herzen aufspeichern und mit ihrer besten Zuneigung nähren könnten; aber das wollen sie nicht. Sie verlangen wegwerfende Abhängigkeit – einen Gegenstand, an dem sie ihre Herrschsucht üben können.

Ach, die arme Menschennatur! »Leg' dich, Pompey, leg' dich! Ich brauche deine Schmeicheleien nicht, denn sie sind doch nur Speichelleckerei. Ich will nichts davon. Siehst du Bursche, siehst du, wie da ein Nebenmensch auf uns zukommt? Lege dich, Hund, und unterstehe dich ja nicht, nach ihm zu bellen und zu kläffen. Die Lumpen stehen dir nicht an, Pompey, aber ich sage dir, er ist mein Bruder! Ruhig, Pompey! Freilich, er hat ein arg schuftiges Aussehen – aber dennoch ist er mein Mittheilhaber an dem gesegneten Privilegium der Unsterblichkeit. Schon gut, ihr braucht nicht mehr zu sprechen – da ist Geld für Euch – ich bin selbst arm – mein Halbsold gestattet mir kaum, die nöthige Außenseite eines Gentlemans zu behaupten – wahrhaftig, es wird mir schwer, mein guter Mann. Ihr solltet nicht undankbar sein. Was geht Euch mein Hund an, he, wenn er auch besser genährt und untergebracht ist? Weg mit Euch, Mann – es geschieht von meinem eigenen Gelde. Ihr werdet unverschämt! Ja wohl da, Rechte der Armen – was habt Ihr für ein Recht unverschämt zu sein? Vermeßt Euch nicht gegen mein Alter, ich bin Kapitän Dribble. Fort mich Euch, oder ich setze die Vagabunden-Akte gegen Euch in Kraft. Und ist's nicht ganz entsetzlich, einen armen Mann in dieser Weise fluchen zu hören! Komm' her, Pompey, mein lieber, mein guter Hund, der du deinen Herrn so sehr liebst. Pompey, du bist im Grunde doch der beste Freund des alten Seemanns!«

Ach, die arme Menschennatur!


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