Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Teil


Erstes Kapitel.
Aufstieg

Mangolf erkrankte an dem Skandal; Lea Terra, die ihn eben darum mitgemacht hatte, behielt recht. Einen ganzen Morgen fieberte er über den Zeitungen, ihrer ersten, die Phantastik der Geschichte noch nicht erschöpfenden Darstellung. Ein Herr der höchsten Gesellschaft war ihr Held. »Wir wollen vorläufig nur verraten, daß er den Sphären der Reichsregierung nicht fern steht.« Die unfreiwillige Heldin entstammte der Schwerindustrie. Ihr Vater, einer unserer großen Industriekapitäne, war schwerlich der Mann, den Affront hinzunehmen. Seit wann verließ man reiche Erbinnen auf der Hochzeitsreise. Die Fortsetzung der Affäre lag vorerst im Dunkel. Der durchgegangene Bräutigam sollte mit einer Dame, die der Bühne oder der Halbwelt angehörte, in Italien noch Abenteuer zu bestehen gehabt haben, die der Aufklärung bedurften. »Unser Mailänder Korrespondent ist der im Mittelpunkt des Skandals stehenden Dame hart auf der Spur.«

Mangolf sah: dies konnte das Ende von allem sein. Seine eigenen Beziehungen zu der Schauspielerin, die der Mittelpunkt war, konnten ihm den Hals brechen. Sie mußten es. Terra hatte unfehlbar gerechnet! Denn man würde nicht versäumen, ihn der Anstiftung zu beschuldigen. Wer hatte den ersten Nutzen, wenn Tolleben sich erledigte? Ein Tolleben, märkischer Uradel, Bonner Borusse, Halberstädter Kürassier! Knack, die Macht und die Blüte des kaiserlichen Neudeutschlands! Solcher Koalition fühlte Mangolf sich nicht gewachsen, sein Fieber stieg. Es würde ihn niedergeworfen haben, aber er war stark genug, das Bild dieses Terra zu verscheuchen, so oft es auch wiederkam. Der wirkliche Anstifter, erfolgreich, diesmal in seinem Element! Der Mensch, dem Zynismus Verdienst schien, der an den höheren Mächten des Lebens die Rache seiner zersetzenden Komik übte! Der Elende, der nicht einmal vor der eigenen Schwester –. Ach, fort damit, still, halte Dich still! Umsonst, dies Bild kam wieder, dies scharfe Gesicht der Qual, die Geliebte in aller Wollust ihres Betruges, ihrer Rache! Mangolf ließ, in einer Ecke des Zimmers hockend, die heißen Tränen fließen – lautlos; aber Lea Terra, dahinten irgendwo, hörte es wohl und war glücklich.

Am Nachmittag hatte er den Anfall unterdrückt und erschien beim Tee des Staatssekretärs. Seine krankhafte Blässe lag unter ein wenig Schminke, den verdächtigen Glanz seiner Augen dämpfte er mit gehaltenen Mienen voll würdigen Bedauerns. Sie gefielen, Lannas sah sie ihm geradezu ab. Die Komtesse Alice bedauerte vor Fremden ihre Freundin Bella bis zum Schluchzen; aber kaum allein mit Mangolf und der Altgott, gewann sie dem Vorfall heitere Seiten ab. Sie gestand sogar: »Dem langweiligen Tolleben hätte ich es nicht einmal zugetraut.« Eine Anerkennung! – und auch die Altgott, die vor Angst stumm geblieben war, schloß sich hier an; sie hatte die Anerkennung des Tollebenschen Geniestreiches nun schon öfter gehört. Einen Augenblick blieb sie mit Mangolf ohne Zeugen, da sagten beide gleichzeitig: »Von Terra spricht niemand.«

Große Erleichterung, in den bewegten Tagen, die folgten, war es immer wieder Tolleben, den jede neue Einzelheit ins Licht stellte. Die Entrüstung über die peinliche Lage seiner jungen Frau überschritt nicht das Gebotene, sein eigener Hineinfall war ein Ausgleich des Schicksals. Die Rolle Terras blieb im Dunkeln, die der unbekannten Schauspielerin schien begreiflich, weil ihrem Stand und Beruf entsprechend, – und ward Mangolf nach ihr gefragt, war die Frage weit eher schmeichelhaft gemeint. Einer fragte ihn nach ihr in einem ganz besonderen Ton: Lannas. Nicht umsonst hatte Lannas sich gefürchtet vor der gefahrdrohenden Verbindung Tollebens mit dem Hause Knack. Er sah es als sein persönliches Glück an, daß die Verbindung unterbrochen war. Eine Dame, die seinem Privatsekretär nahe stehen sollte, hatte beigetragen? Dies war dem Privatsekretär anzurechnen. Und er behandelte ihn gut ... »Falsch angefangen!« sagte Mangolf im Geiste zu Terra. Wer stand verächtlicher da, als der Boshafte, dem es fehlging, als der Schamlose, auf den niemand achtgab. Blieb nur, daß Mangolf selbst sich zweifellos getroffen fühlte und daß er hassen mußte von früh bis spät, hassen mit dem Gefühl des Verzehrtwerdens und des Hungerns. Er hörte, so oft er allein war, das unsichtbare Frohlocken Terras. »Nun sieh Dich an. Der Schmerz um Deine treulose Geliebte kreuzt sich in Deiner Brust mit der Angst um Deine Laufbahn, und ist nur die Laufbahn gerettet, das andere verschluckst Du.« Die Stimme Terras ward teuflisch. »Anstatt hervorzutreten und an dem Tolleben Rache zu nehmen, sei froh, wenn die Sache ihm gut ausschlägt!« Mangolf ward gelb zu dieser Zeit bis in die Augen. Was ist das Unerträgliche schlechthin? Ein Witz, der Deine ganze Existenz vor Dir aufdeckt, wie einen operierten Bauch, der offen steht und schlecht riecht. Einmal begegneten sich die Freunde auf der Straße. Von weitem schien es, daß Terra schmunzle, etwas näher, daß er neugierig werde. Als sie aneinander waren, hob seine Hand sich gegen den Hutrand, blieb aber erschreckt in der Luft stehen, und sein Gesicht ward bedauernd. So leidensschwer war der Haß, der, gelb bis in die Augen, ohne Gruß an ihm vorbeiging.

Aus der Bahn geworfen von seinen entnervenden Gefühlen, geriet der strenge Mangolf zum ersten Mal in ein zuchtloses Bummeln. Mißbrauchte seinen Auftrag bei dem jungen Erwin. Dies war nicht mehr der weltmännische Führer eines verträumten Jünglings, es war das Laster, verzerrtes Laster, eine Flucht und ein Zähneklappern von Laster, dem alsbald Atem und Steigerung ausgingen. Was gab es noch, was erfand man noch? Die Frau von drüben! Das eigene Nest des andern, sein Jugendtraum ... In einem Nachtlokal ward Bekanntschaft geschlossen, Mangolf erläuterte der Fürstin die Eigenheiten seines Schützlings und erbat ihr Entgegenkommen. Er sah in das weiße Gesicht, die Weide des andern, und haßte ihn. Haßte und merkte zugleich, er begehre die Frau. Nie vorher würde er etwas anderes als Ekel bei ihr empfunden haben, er, den nur Reinheit reizte! Macht denn Haß dem Verhaßten ähnlich? Besuch bei ihr. Der junge Erwin wartete nichtachtend im Vorzimmer, indes Mangolf verschwunden war mit der Frau.

Aber noch ein Besuch: da war das Kind; Mangolf erriet, wessen Kind. Sogleich ließ er den jungen Lannas bei der Frau und sah nur noch das Kind. Ob sein Vater es oft küsse, ob es – große Spannung – ihn liebe. Das Kind wußte nicht. Da wollte Mangolf mit ihm ausgehn und es bald, bald wiederhaben. Welch eine Verwirrung! Unaufmerksam hörte er die Mutter sagen, mit dem Grafen brauche sie Zeit.

Sie brauchte Zeit und Geld. Die beiden kehrten wieder. Erwin brachte ihr das Geld, das der Wucherer Kappus dem Sohn des Staatssekretärs lieh. Mangolf hatte es vermittelt, einzig um noch hier zu sein und bei dem Kinde den Vater auszustechen. Einst ward auf besondere Art geläutet, das Kind rief »Papa!« und wollte hin. Da schob Mangolf es, trotz seines Geschreies, in den Winkel und hielt sich bereit, dem Eintretenden den Weg zu versperren. »Die Frau ist beschäftigt, das Kind hat mich; Deine Familie, wenn Du sie so nennst, gehört jedem mehr als Dir. Laß Dir nur den Anspruch nicht einfallen, als habe hier irgend ein menschliches Wesen mehr Sinn für Dich, als die ganze Welt, in der Du nichts ausrichtest!« Es war sehr still. Das Kind schrie nicht mehr, es hatte in dem Winkel ein Spiel erfunden; entfernt lachte die Frau. Einer sollte fortgedrängt werden bis an den Rand der letzten menschlichen Zusammenhänge wo Leere den Ausgestoßenen hinnimmt. Mangolf wartete, aber der andere kam nicht. Statt seiner erschien Tolleben.

Tolleben war, ohne daß irgend jemand darum wußte, in Berlin. Er wollte unbemerkt in Erfahrung bringen, wie man sein Erlebnis auffasse, was ihn erwarte. »Der schmeichelhafteste Empfang«, versicherte Mangolf. »Sie haben Eindruck gemacht.« – »Sogar mir imponieren Sie«, sagte die Dame des Hauses. Tolleben behielt trotzdem die Gewitterstirn. »Wenn Ihr Freund Terra mir je in die Hände fällt –.«

Mangolf schwieg; aber die Frau von drüben sagte: »Was wollen Sie? Er hat Ihnen Reklame gemacht. Nur seine Schwester kann ich nicht fair finden. So etwas will bei besseren Theatern sein?« fragte sie und prüfte gelassen die beiden Rivalen, der eine betrogen, der andere genarrt. Plötzlich lachten beide schallend, wie aus demselben Halse. Der junge Erwin legte seine Zigarette fort und sagte: »Ich will nicht hoffen, Fürstin, daß Sie von Fräulein Terra sprechen.« Sie gab ihm eine leichte Ohrfeige. »Hoffen Sie ruhig!« sagte sie, – worauf er sein Zeichenbuch einpackte und ging. Mangolf mußte folgen. Tolleben, der zurückblieb, erklärte, das Ganze sei ein Mißgriff. »Hätte ich damals auf der Probe das Glück gehabt, die schönere der Damen vorzufinden –.« Dabei hatte er ein streng geschäftliches Gesicht. Sie verstand ihn sofort.

»Wir können nachholen«, sagte sie klar und zog die Füße auf den Diwan. »Ich meine wiederanfangen. Aber diesmal nur in aller Öffentlichkeit. Auch ich will Reklame haben.«

»Das meine ich eben«, bestätigte Tolleben.

»Sie sind mit mir Ihrer Frau durchgegangen, gut, mit keiner anderen als mir waren Sie auf Reisen; und ich bin nicht die Frau, die sich mit Apachen verabredet, ihrem Kavalier den Kreditbrief abzunehmen, und ihn in weiter Ferne seinem Schicksal überläßt. Es sind nicht meine Methoden. Man sieht Sie noch weiterhin in meiner Begleitung, Sie sind also nicht hineingefallen, es war Verleumdung, wer will es noch behaupten. Aber schon heute Abend muß man uns sehen.«

»Ganz meine Ansicht«, bestätigte Tolleben.

»Müssen Sie aber wie ein Eisberg sein?«

»Ich bin geschäftlich hier. Sie haben die gewünschte Reklame.«

»Allein genügt sie mir nicht«, sagte sie schläfrig und ließ ihre nackte Hand über das Kissen auf ihn zuschleichen. »Geschäfte haben mich noch niemals ganz ausgefüllt.«

»Aber Sie haben auch noch keins versäumt.«

»Sie vergessen mir nicht die allerhöchste Oper. Aber was kann ich für die perverse Phantasie eines Selbstmordkandidaten. Die allerhöchste Oper hat alle möglichen Leute bloßgestellt, nur Sie nicht, dafür sorgte ich.«

»Das weiß ich, Lili.« Endlich war er erweicht. Schon lehnte sie den Kopf ins Kisten zurück und breitete das Gesicht hin. Tolleben langte, sich vorwagend, über ihrem Mund an, mit seinem Gebiß, den Augensäcken, der Glatze. Sie blinzelte und wartete, da sagte die hohe, feine Stimme:

»Ihnen, Lili, kann ich es verraten, mein Bedarf an Weibern ist durch die doppelte Hochzeitsreise mehr als gedeckt. Ich habe die Neese plein«, sagte der Bismarck noch deutlicher und ganz Staatsmann. Die Fürstin sprang leicht auf, sie stieß ihn fort.

»Wenigstens sind Sie aus den Schulden? Natürlich, als Sie durchgingen, hatten Sie die Mitgift bei sich!«

Es war von Einfluß auf das Schicksal Tollebens, daß alle dies glaubten. Zum mindesten war es klar, daß er sich in seinem Scheidungsprozeß eine riesenhafte Abfindung würde zusprechen lassen. Man beglückwünschte ihn, wohin er kam. Das entlegene Abenteuer mit der Schauspielerin verlor bald jede Glaubwürdigkeit; sie wurden zusammen gesehen, und zwar im besten Einvernehmen. Tolleben durfte sich als erfolgreicher Diplomat fühlen. Nichts blieb übrig von allem was ihn anging, als der Ruhm, das reichste Mädchen des gesamten Bürgertumes rundweg sitzen gelassen zu haben, wie ein verführtes Dienstmädchen. Das war noch ein Junkerstreich. »In der Bahn, meine Liebe, – und sie hatten ein reserviertes Kupee, die Vorhänge blieben den ganzen Tag geschlossen, was kann sie leugnen. Und an der Grenze, hast Du nicht gesehen –.« Hof- und Agraradel, Offizierskorps wie hohe Beamtenschaft waren für Augenblicke gerächt an dem drohend heraufsteigenden bürgerlichen Reichtum. Tolleben ward umhergereicht, Held der Saison, Liebling der Mütter, zage Hoffnung der Töchter. Seine Ähnlichkeit mit dem großen Kanzler sprang plötzlich in die Augen, die Eingeweihten wußten, ihm sei eine einzigartige Laufbahn vorbehalten. Sogar Lannas trug der allgemeinen Auffassung Rechnung; er ließ durchblicken, daß er den Tollebenschen Streich im Grunde für das Manöver eines begabten Diplomaten halte.

Dennoch hatte er ein wachsames Auge auf seine Tochter, sie machte die Tolleben-Mode gar zu gutgläubig mit. Der erfahrene Vater sprach: »Mein kluges Kind kann unmöglich glauben, daß ein grauer Esel wie unser Freund, den Ruhm ein Löwe zu sein heil und gesund übersteht. Am Schluß ist er ein für allemal erledigt.« Aber die Tochter mit ihren geistreichen Augen: »Wer kann das wissen. Bei der Maske! Und wer ist denn da, wer kommt in Frage?«

Als was? Gatte der Komtesse Lannas? Oder Nachfolger Lannas' im Auswärtigen, wenn er selbst zu der Stellung des Reichskanzlers aufrückte? Dem Vater ward es ungemütlich, er sah schon sein eigenes Kind einen Verfolger ihm auf die Spur setzen. Daher umarmte er das Kind, er küßte es lächelnd unter echten Tränen. »Wir sind noch lange auf einander angewiesen, Du mein Liebling!« – Ihr Blick schien zu sagen, daß dieser Zustand möglichst abgekürzt werden sollte. Der Vater küßte sie noch zärtlicher. »Ich habe nur Dich. Nur die großartigste Verbindung wird mir für Dich gut genug sein.«

Worauf er mit dem Herzog von Drachenfels anrückte. Ein zeitgemäßer Typ, mit Interesse nahm Alice ihn auf. Widerschein von Paris, Ästhet vom Ende des Jahrhunderts, ganz Haar und schwarze Krawatte, ganz schöne Reizsamkeit. Ehrgeiz? Sinnlose Zusammensetzung zweier plumper Begriffe. Ein Grandseigneur im höchsten Sinn konnte vielleicht noch Botschafter sein, einer europäischen Hauptstadt die Botschaft gepflegtester Klasse bringen. Sonst nichts.

Komtesse Lannas ließ ihn lange im Zweifel, daß er auch ihr sonst nichts zu geben habe. Sie flirtete mit dem Herzog. Den Tolleben ließ sie von anderen feiern, sie aber sah wachsam zu.

Tragisch empfand es der Gefeierte, daß grade sein Glück ihn hinderte, für sein Fortkommen etwas wirklich nützliches zu tun. Tolleben fand nicht den Mut, sich den Rosenketten zu entwinden. Er sagte sich: »Ich bin ein gefangener Riese. Schluß!« Aber irgend eine Schwäche machte, daß er sich versäumte. So kam Mangolf voran.

Mangolf war von seinen ungesunden Abwegen eiligst zurückgeholt worden durch den Anblick des Tollebenschen Glückes. Über Nacht ward sein Auge klar, seine Hand sicher. »Dies ist der Augenblick!« fühlte er. »Nimm zusammen, was Du hast!« Und Mangolf schrieb an Knack.

Der Großindustrielle hatte sich, geschlagen wie er war und voll Groll, mit seiner verschmähten Tochter in seine rheinischwestfälischen Herrschaftsgebiete verbannt, von beiden sah und hörte man nichts. Wie lange konnte der Zustand dauern. Wenn alle es zeitweilig vergaßen, daß die Flotte vermehrt, die Artillerie rastlos erneuert und die Macht eines Knack allen Wechselfällen immer weiter enthoben ward, Mangolf bedachte es. Er unterrichtete den Abwesenden von der Lage der Dinge, ohne gefühlsmäßige Abschweifungen, aber mit sachlicher Sympathie, und erklärte eine innenpolitische Ablenkung gerade im Interesse des Staates für durchaus geboten. Die unmittelbare Folge war eine freigebige Handbewegung Knacks und, so gut wie gleichzeitig, eine ungeahnte Zunahme der noch langsamen alldeutschen Bewegung.

Mangolf trat entschlossen in sie ein. Erst, als nichts mehr daran zu ändern war, befragte er seinen Chef.

»Sie sind nicht ungeschickt«, sagte Lannas. »Zuerst sprechen Sie in einer öffentlichen Versammlung, dann kommen Sie zu mir, als ob ich noch etwas verhindern könnte.« Mangolf beteuerte, daß es selbstverständlich keine Sachlage gebe, in der er sich nicht dem Winke Seiner Exzellenz unterwerfen würde.

»Reden Sie nur! Mein Privatsekretär ist kein Beamter wie die anderen; diesen Vorteil nützen Sie aus und treiben Ihre eigene Politik ...«

Er wäre untröstlich, beteuerte Mangolf, wenn sie dem verehrten Staatsmann auch nur eine Minute unbequem wäre.

»Vielleicht kann ich Ihre Politik als Ergänzung meiner eigenen nicht übel brauchen«, sagte Lannas darauf. »Eins schickt sich nicht für Alle.«

Er habe sich erlaubt, dies gleich mit zu berechnen, gestand Mangolf. Lannas ging von ihm fort und schmollte. »Wenn ich Sie aber auch maßregeln wollte, dann fragen Sie mich: was kannst Du machen. Sehr richtig. Einen Privatsekretär, der den Schutz des Alldeutschen Verbandes und seines Vorsitzenden, des Generals von Heckerott, genießt, kann ich nicht anders loswerden, als wenn ich ihn befördere.«

Er sah aus dem Augenwinkel, wie Mangolf errötete. »Nur die eine Chance habe ich: daß Sie weiter oben Anstoß erregen«, schloß Lannas.

Dieser Gefahr, der einzigen aber entscheidenden, war Mangolf sich bewußt gewesen, bevor er Stellung nahm. Eine Regung dort auf dem Gipfel, und er war abgetan oder beglaubigt. Die Stunde kommt, Du entgehst ihr nicht. Besser noch, allen Einflüssen vorzugreifen und den Gipfel im Sturm zu nehmen, bevor er sich recht besann.

Kaltblütig faßte Mangolf auf der Tribüne Fuß, in jener Versammlung der Alldeutschen, die zum erstenmal das unbeschönigte Programm vernehmen sollte. Er sprach gegen eine zivile Politik, die sich von der Bismarck'schen Tradition entfernt hatte. Das Gegengewicht waren Knack und der Admiral von Fischer. Die Flotte mußte stärker werden als die englische, und das englische Weltreich im Entscheidungskampf uns zufallen: dies war deutschnationales Pflichtgebot ... Mangolf führte eine ungeahnt jugendliche Stimme hin und her zwischen besonnener Festigkeit und einer Art Jauchzen, das die Hörer zu Ausrufen hinriß. Dunkel, schmal, gelblich bleich, kein anerkannt deutscher Umriß stand dort oben, und umso überzeugender wirkte das deutsche Bekenntnis. Keiner der ihren würde die rot- oder weißgesichtigen, verdickten oder grobknochigen Gestalten im Saal so weit verführt haben. Mangolf hielt sie im Auge, während er zu jauchzen schien, und blieb sich von Stufe zu Stufe bewußt, wie viel sie ertrugen. Die Stadt Lille nannte er Ryffel und niederdeutsch, Toul hieß Leuk, und hier wie dort hatte die französische Trikolore sich vor die Füße des deutschen Aars zu senken. Ehe nicht volle sieben französische Departements von der französischen Fremdherrschaft befreit wären, sei das Reich nicht gesättigt und die alte Schuld nicht beglichen.

Sogleich nach beendeter Leistung, im Künstlerzimmer, indes er die kraftvollen Händedrücke zurückgab, mußte Mangolf hinter der entschlossensten Maske seine schweren Zweifel verbergen. Hatte er sich nicht dennoch übernommen? Aus einem Wagnis wie diesem ging man abgestempelt hervor, war offiziell nicht mehr verwendbar und hatte schließlich nur denen genützt, die sich klug zurückhielten. Schlimme Nacht; – aber am Morgen lag alles wieder im Klaren. Abwarten! Er suchte Lannas nicht auf, und Lannas ließ ihn nicht rufen. Nachmittags erfuhr er, der Kaiser sei unangesagt bei feinem Staatssekretär erschienen, um sich Vortrag halten zu lassen. Der Privatsekretär trat ein, mit den Unterlagen. Lannas, ohne sich bitten zu lassen, nannte seinen Namen: da blitzte der Kaiser ihm in die Augen, bis Mangolf sie geblendet senkte. »Na, Sie haben ja gestern den Vogel abgeschossen«, sagte der Kaiser schnell, und die kaiserliche Hand erledigte die Sache günstig, mit einem Schlag auf den Schenkel und einem Wink abzutreten. Mangolf verlor keinen Augenblick, er ging, solange noch die Sonne auf ihm lag, rückwärts und unter glatten Verbeugungen pünktlich ab.

Noch am gleichen Abend bat Lannas ihn zu sich. Er lehnte am Schreibtisch und spielte nachdenklich mit seiner Uhrkette.

»Also doch«, sagte er. »Ich muß Sie befördern.«

Was gegen den Willen Seiner Exzellenz geschehe, könne ihn nicht freuen, erklärte Mangolf betrübt. Lannas lehnte die Annäherung ab.

»Sie sind in Ihrem Recht. Denn Sie haben alles auf einmal riskiert, und haben gewonnen.«

»Nicht gegen Eure Exzellenz!«

»Gegen die zivile Politik, die sich von der Bismarckschen Tradition entfernt hat.«

Mangolf bemerkte, wie talentlos, ja, gottverlassen Lannas aussehe, sobald er unglücklich war. Nur die Geschwelltheit des Erfolges kleidete sein dickes Gesicht, nur Grübchen und zweiflerische Schelmerei. Er suchte nach etwas wirklich Beruhigendem, das er seinem Opfer sagen könne.

»Jetzt bin ich Beamter wie jeder andere. Auch ich vertrete nur noch die Politik Eurer Exzellenz, ganz gleich, ob aus Überzeugung, Disziplin oder um eines wohlverstandenen Vorteils willen.«

Lannas überprüfte, den Kopf wiegend, das Gesprochene. Es konnte für den Augenblick ehrlich gemeint sein, – aber dieser Ton, seine falsche Ehrerbietung und wirkliche Überhebung? Hier keimte eine Gefahr – eine unter vielen und vielleicht die entfernteste, aber eine besondere. »Ein wirkliches Talent, das meine Nachfolge prätendiert«, so fühlte Lannas, »darf ich nicht aus dem Auge lassen.« Plötzlich hatte er das Grübchen zurück.

»Wir werden weiter zusammen arbeiten und uns hoffentlich immer besser verstehen«, sagte er schlicht und streckte die Hand hin.

 

»Ich gratuliere«, sagte Tolleben, »obwohl ich lieber wüßte, wie ich dazu komme. Ihnen gratulieren zu müssen.«

Wahrscheinlich hatte er das Arbeitszimmer Mangolfs nur darum so früh am Morgen betreten.

»Hier stimmt etwas nicht,« sagte er, »das wissen wir beide. Ich hielt es für das Einfachste, mich an Sie selbst zu wenden.«

»Loyal wie immer«, bestätigte Mangolf. »Aber, Herr Baron, wann hätte es schon gestimmt. Das Regime, dem wir dienen, ist so verwickelt, daß mit einiger Sicherheit nur auf den Zufall zu rechnen ist; – und auch auf ihn nicht, denn Begabung kann ihn durchkreuzen.«

»Gehirnfatzke«, war in den Zügen Tollebens zu lesen. Mangolf um so artiger:

»Ein Mann wie Sie hat alle Trümpfe in der Hand. Sie waren bislang zu vornehm, vielleicht zu vergeßlich, sie gegen mich auszuspielen. Einen, Sie wissen wohl noch welchen, haben Sie kürzlich unter den Tisch geworfen. Herr Baron, ich hatte Sie noch nie so sehr bewundert.«

Die Stimme bebte ihm.

»Das eben fehlt mir, die Fähigkeit, Zeit zu versäumen, mal auszuspannen. Geniestreiche sind meinesgleichen versagt, ich habe keine Flügel mitbekommen. Was ich mir in Jahren mühselig errackere, überspringen Sie Begnadeter auf einmal und gehen durchs Ziel. Wo bin dann ich!«

Mangolf redete, bis die Tollebenschen Züge nichts anderes mehr ausdrückten, als ruhiges Vertrauen in die eigene Unvergleichlichkeit. Als Tolleben dann fort war – er hatte ihm die Tür geöffnet, ihn bis zur Treppe begleitet – bedurfte Mangolf einer Viertelstunde der Sammlung, einer Art Gebet zu sich selbst. Am Sonntag darauf aber ward er belohnt: ein anderer demütigte sich, Terra.

An der Wohnungstür Mangolfs klopfte es stark, aber dumpf, wie ein bedrücktes Herz, und Terra erschien, Anzug und Ausdruck die Korrektheit selbst, einen großen Zylinderhut in der dunkel bekleideten Rechten.

»Mein lieber Wolf!« versetzte er feierlich und blieb, den Zylinderhut vor sich hinhaltend, auf seinen Füßen stehen. Auch Mangolf erhob sich wieder, um den in dramatischer Sprache vorgetragenen Glückwunsch anzuhören. Dann erst erlaubte Terra ihm und sich selbst, Platz zu nehmen. Mangolf gestand, daß er ihn nicht erwartet habe; und Terra, zerknirscht:

»Ich bin mir bewußt, mein lieber Wolf, wie viel ich Deinen Nerven wieder einmal zugemutet habe. Es ist gottlob nicht das erstemal, das erleichtert mir diesen Schritt, den mein Gewissen nun einmal ohne Widerrede von mir fordert.«

»Wir kennen uns«, sagte Mangolf trocken. Terra griff es auf.

»Wir kennen uns! Würde ich denn wagen. Dir unter die Augen zu treten, wenn ich nicht wüßte, daß der Erfolg Dich großherziger macht, anstatt hochmütiger! Du hast vor Gott und den Menschen das volle, unveräußerliche Recht, mich mit Fußtritten ins Gesäß aus Deiner Tür zu befördern, und selbst dies wäre noch eine Aufmerksamkeit, die zu meinen Taten in einem gradezu schreienden Mißverhältnis stände.«

»Es ist nicht so schlimm«, sagte Mangolf. »Die von Dir inszenierte Komödie hat für mich ihr Gutes gehabt. Daß Du das Gute nicht in Deine Berechnung einbezogen hattest, will ich Dir nicht nachtragen.«

»Gott sei Dank, Gott sei Dank«, – Terra preßte die Hand auf das Herz, das noch nachträglich stockte. »Meine Sünde ist von mir genommen.«

Mangolf setzte sich zurecht. »Ich finde, daß Du Dich viel unverzeihlicher an Dir selbst versündigst. Wenn in ein menschliches Dasein so gute Gelegenheiten fallen wie in Deins, hat niemand es nötig, sich zum Narren zu machen.«

»Hart, aber wahr«, murmelte Terra.

»Überdenke einmal, wie Du Deine Beziehungen zum Hause Lannas im Lauf der Zeit ausgenützt hast. Das erste war, daß Du Dich in die Tochter verliebtest, das zweite, daß Du dem Vater einen Menschlichkeitsapostel vorspieltest, und zu guter Letzt erfindest Du einen Witz, der die nächste Umgebung in die Luft sprengt, sonst nichts. Ich frage nicht, wo die natürlichste Dankbarkeit bleibt«, sagte Mangolf mit wachsender Erbitterung, indes Terra gradweise zusammensank. »Ich stelle nur fest, daß Deine schon mehr krankhafte Unverantwortlichkeit Dich unfähig gemacht hat. Dir im Leben auch nur die bescheidenste Stellung zu sichern.«

Zusammengesunken murmelte Terra:

»Du hast nur zu recht, mein lieber Wolf, mein Dasein ist verfehlt. Ich bin Gott und den Menschen ein Ärgernis, jeder leidlich Wohlgeratene wendet sich von mir mit Abscheu. Ich werde mich hüten, auch nur einen einzigen meiner namenlosen Hineinfälle abzuleugnen. Aber –«. Aus tiefster Zerknirschung zuckte ein Blick, »Deinen alldeutschen Bockmist in der Hasenheide habe ich denn doch nicht von mir gegeben.«

Der überrumpelte Mangolf fand nur: »Es war nicht in der Hasenheide.«

»Dann verzeihe mir auch noch den Irrtum! Du hast mir schon so viel zu verzeihen. Überdies bin ich leider genötigt, Dich anzupumpen.«

»Das wundert mich nicht. Mich wundert vielmehr, wovon Du bis heute gelebt hast.«

»Von meiner Arbeit«, sagte Terra mit Würde. »Ich gab Unterrichtsstunden. Jetzt habe ich dazu keine Zeit mehr, muß aber dennoch für meine Anwaltskanzlei einige Möbel anschaffen.«

»Du bist Anwalt?«

»Seit zwei Monaten. Ich habe in größter Zurückgezogenheit mein Studium vollendet und kann Dir versichern, daß ich nicht für das Examen arbeitete, sondern um rein menschlichen Gewinn. Die Arbeit um ihrer selbst willen getan, beschert nämlich Kampf, Idee, Erfolg, Leiden und Glück. Auch Macht, wenn Du willst.«

»Einen Augenblick!« sagte Mangolf, der nicht zuhörte. »Du bist tatsächlich Anwalt?« – und er sah den Freund durchdringend an. Etwas in seiner Haltung überzeugte Mangolf. »Und dann läßt Du mich noch nachträglich eine halbe Stunde predigen! Dein Examen ist gemacht, mehr wird nicht von Dir verlangt. Endlich, mein lieber Klaus, darf ich Dich meinerseits beglückwünschen.«

Händeschütteln. Mangolf war aufrichtig froh, er schenkte Wein ein. Terra schien wenigstens das Kompromittierendste seiner sozialen Erscheinung nun doch verlieren zu wollen. »So kann man endlich wieder unbefangen verkehren. Prost!«

Terra vollzog den Trinkakt. Dann: »Mein lieber Wolf, eine Enttäuschung muß ich Dir leider bereiten. Ich habe nur Armenpraxis.«

»Du haft noch keine andere gefunden?«

»Ich habe noch keine andere gesucht.«

Mangolf stutzte nur kurz. »Ich pumpe Dir das Geld«, sagte er. »Von den Möbeln hängt es ab, wer sich hineinsetzt.«

»Ich darf keine zu eleganten kaufen«. Terra war in sichtlicher Verlegenheit. »Eine Person, die mir über die schlimmste Zeit hinweggeholfen hat, würde mit Recht fragen, warum ich nicht zuerst ihr das Ihre zurückgebe.«

Mangolf schwieg. Er ahnte längst, von welchem fragwürdigen Geld sein Freund lebte; in diesem Augenblick konnte Mangolf es aus seinem Mund erfahren. Terra war bewegt und wahr, das Bedürfnis, sich anzuvertrauen, stand ihm im Gesicht. Darum schwieg Mangolf. In alter Bruderschaft schonte er sich selbst, wenn er den Bruder schonte. Er wandte sich ab und holte das Geld. Gleich darauf nahm Terra Abschied, mit feierlicher Umarmung und der ganzen Zeremonie eines Punkt für Punkt geordneten Rückzuges.

Während er hinunterstieg, verharrte Mangolf auf dem Fleck, tiefinnen bewegt von den Zügen und Gegenzügen ihres Geschickes, das ihm wieder einmal ein und dasselbe schien. Verwirrt regten Glück und Unheil sich in seinem Herzen zugleich. Zwilling eines Menschen, dem nicht zu trauen ist, Dein Feind und Dein Spiegel. Ein Wunderlicher, und ihm durch Haß und Liebe verfallen, mußt Du normale Menschen führen.

Terra trat aus dem Haus, da betrachtete Mangolf ihn durch ein Opernglas. Terra ging über den Wilhelmsplatz. Unversehens warf er sich herum und zog vor Mangolf, der so schnell nicht verschwinden konnte, tief den Zylinderhut.

 

Aus dem Geld machte Terra zwei Teile und brachte den größeren der Frau von drüben. Er wußte, daß sie darauf gewartet hatte, sie legte es aber unachtsam weg, sie schien unfroh und reizbar. Terra hatte Gedanken nur für das Kind. »Guten Tag, Claudius«, sagte er, und ging mit ausgestreckter Hand, brennenden Ernst in seinen dunklen Augen, auf es zu. Es wartete still ab, bei seinem letzten Schritt aber sprang es ihm mit einem wohlüberlegten Satz an den Hals. Der Vater hielt es vor sich hin, und indes es zappelte, sah er es an. Es hatte Stirn und Augen der Mutter, gewöhnliche Stirn von richtigen Maßen, Abbild des Lebensverstandes und Lebenswillens, über klaren grauen Augen, die vielleicht niemals tiefes Sehnen ausdrücken, sicherlich es aber in anderen erwecken sollten. Und dazu der Mund von ihm – ja, dem Gesicht des Weibessohnes einverleibt sein eigener, noch unbefestigter Mund, dem vieles bevorstand, Worte machen, schlürfen, küssen, sich krampfen, schlaff offen stehen, lügen, lästern und klagen, bevor er die ganze Komödie erlernt hatte, in der er mitspielte, und vom Wissen und Schweigen Knoten in den Winkeln der Lippen bekam.

Terra setzte das Kind auf den Boden und steckte ihm etwas Süßes in den Mund. »Man dankt nicht«, sagte er streng. »Je mehr Du dankst, desto weniger bekommst Du. Frage Deine Mutter, ob es so ist.«

»Kinder merken es, wenn man sich lustig macht«, sagte die Mutter von der Wand her.

Das Kind jedenfalls gab sich keiner Täuschung hin. Es prüfte den strengen Vater und erklärte seiner Mutter: »Er tut mir nichts, er hat mich viel zu lieb.«

»Spiele, wie es für Dein Alter paßt!« befahl sie.

»Spielen wir, wie es für unser Alter paßt«, befahl es seinerseits dem Vater. Terra war gleich dabei. Er hängte das Taschentuch vor sein Gesicht, zog langsam den Vorhang weg, – und es erschien eine Art schalkhaften Lustmörders, keine Stirn, ein Auge zugekniffen, der Mund schmatzend vor Urtrieb. »Das Antlitz Gottes«, verkündete der Vater, indes das Kind begierig schauderte. Diesmal empörte sich die Mutter. Da zeigte sich aber die Pflegerin, und sofort ordnete die Mutter an, das Kind auszuführen.

»Ich halte es nicht mehr aus«, sagte sie, als es schon fort war. Er zog die Brauen hoch. »Sie, verehrteste Freundin, die Sie in ihrem ganzen gottseligen Dasein keinem noch so verworfenen Geschöpf begegnet sind, das Sie nicht anstandslos ausgehalten hätten!«

»Laß den Unsinn!« sagte sie so mutlos, daß er aufmerksamer hinsah. Sie saß auf einem Stuhl an der Wand, hatte die Knie gespreizt, die Hände darauf gestützt und ließ ihre erschlafften Formen im losen Kleid sich legen, wie es kam. Das Haar war um einiges dunkler, das Gesicht blendete weniger, an Hals und Armen erschienen Töne der Ermüdung. Sie sagte mürrisch: »Das Leben kann dreckig sein.«

»Ohne sich merklich anzustrengen«, bestätigte Terra. »Aber wie kommt das Leben zu der Ehre, mein Kind, daß Du seinem Talent, dreckig zu sein, eine ungewöhnliche Beachtung schenkst? Ich vermute: Tolleben. Er hat versagt. Als Reklameplakat lockt er keinen Hund vom Ofen weg. Ich würde dich gewarnt haben. Hat nur Unkosten verursacht, wenn mich nicht alles täuscht.«

Ihr Blick begleitete den seinen und gab ihm recht. Das maurische Kabinett, in das man hineinsah, war neu und hatte sich bisher nicht bezahlt gemacht. »Wenn es sonst nichts wäre!« klagte sie. »Ich hatte sogar Wagen und Pferde angeschafft. Noch nicht bezahlt und schon wieder verkauft.«

»Aber Fürstin!«

»Jetzt wollen sie das Schlafzimmer wieder abholen. Du kannst es Dir gerade noch ansehen.« Auflachend: »Ansehen kostet nichts.« Und sie ging vor ihm hinein, mit gleichgültigem Wiegen. Plötzlich wankte sie. »Ach Gott, was habe ich. Alles mit Elfenbein eingelegt«, murmelte sie noch, wie er sie auffing.

Sie schien sich schwer zu machen, als handelte es sich zwischen ihnen um eine Kraftprobe. Das monumentale Bett, das ihr schlaff hingebogener Arm ihm zeigte, war nahe, der Diwan des maurischen Kabinetts noch weit, und die Last wand sich dem Träger schwellend um alle Glieder. Er hob sie hoch empor, trug sie auf steifen Armen vor sich her und senkte die Last, koste es was es wolle, leicht auf das Polster. »Wie stark Du bist! Was will ich weiter«, sagte sie schläfrig und zog ihn mit. Er glitt aber, das Haar zerzaust, unter ihren entblößten schönen Armen hervor. »Sie erlauben, daß ich mich setze.«

»Wie Sie wollen«, sagte sie, nicht enttäuscht, nicht böse. Er, kurz und stark atmend, aus gemessenem Abstand: »Noch immer der alte Zauber, Lili. Aber, nichts für ungut, was beabsichtigen Sie damit?«

Den Kopf im Arm sah sie herauf. Ihr Blick war wieder sachlich, die Haut gleißte durch das schmeichelnde Halbdunkel. »Mit Dir vergessen, daß ich gepfändet werden soll«, klar und eindeutig wie je. Nur er, er glaubte ihr nicht.

»Wir sind Kameraden«, sagte sie daher prüfend. »Du pfeifst auf alles, wie ich; wir müssen Zusammenhalten, dann kriegen wir sie« – mit einer Bewegung in die Welt hinaus. Geschäft und Liebe, eine Bundesgenossenschaft voll dunkler Folgen, und jenseits von Herkommen und Gesetz die Sinnenfreude vervielfacht durch stündliche Gefahr für Freiheit und für Leben. Dies war ein Angebot, das sich hören ließ. Vor vier, fünf Jahren war es der Wunsch der Wünsche; ein Griff, und gleich der Vollbesitz. Das schöne Raubtier sein eigen, Fleisch und Atem seiner selbst, und das Leben ihr Raub. So stand es nicht mehr, er fühlte mit Angst: »Ich habe nachgelassen, oder sie ist heruntergekommen, wahrscheinlich beides. Ich bin ein schon ergrauter Esel, man nennt es Mann werden. Noch übler, sie hat einen Anfall von Alter, es ist natürlich nur ein Anfall; aber fast bettelt sie.« Ein Stück von ihm starrt den Niedergang an, in ihr. Es war das erstemal, und ihn schauderte. Um so tönender sprach er.

»Ihnen, Fürstin, spielt nur Ihr schöner Leib einen Streich. Ich bin der Mann, es mir zu Nutz zu machen. Ob selbst mit Elfenbein eingelegt. Sie haben mich!« – noch mehr Abstand nehmend. »Sollten Sie aber tatsächlich zweifeln: zweifeln an Ihrer göttlichen Sendung, lebendige Männer in der Luft zu tranchieren, dann bewahre der Allgütige mich vor dem hirnlosen Verbrechen, Ihnen noch behilflich zu sein, daß Sie sich zugrunde richten. Glauben Sie mir, wir waren auf dem rechten Wege, als Sie damals mich grünen Jungen glatt sitzen ließen.«

»Ach so. Daran denken Sie noch. Ich will doch gerade alles tun, was Sie damals wollten: sogar mehr, ich will Dich heiraten«, sagte sie klar. Sie sah ihn im offenen Munde die Zunge bewegen und verlangte: »Nun rede einmal ausnahmsweise in vernünftiger Sprache.«

Er betrachtete sie lange. Das Raubtier wollte bürgerlich werden! »Das hast Du davon, daß Du kein Korsett trägst. Da kommt eine Frau wie Du aus der Form, auch geistig.«

»Meine Beine sind geblieben, wie Du sie liebtest«, – und sie machte eine enthüllende Bewegung. »Aber es gibt noch andere Gründe.«

»Wir haben gemeinsame Geldangelegenheiten.«

»Wir haben auch ein Kind.«

Da sie ihn endlich ergriffen sah: »Nun hast Du einen Beruf, Du mußt es versorgen. Niemand kann Dir bester dabei helfen als ich mit meinen reichen Bekanntschaften. Meine Kolleginnen prozessieren noch öfter als die Herren, und zahlen, was Du ihnen abnimmst ... Nun?«

»Das will ernsthaft überlegt werden«, – womit er aufstand. »Eine bürgerliche Versorgung bietet sich nicht alle Tage. Du hast mit sicherem Takt den Augenblick abgepaßt, wo ich sie brauchen könnte.«

»Nun also.« Sie begleitete ihn in das Vorzimmer, dort zeigte sie auf ihre ermüdeten Formen und sagte erbittert, aber auch mit sonderbarer Zuversicht:

»Du kannst Dich darauf verlassen, daß sie nicht so bleiben.«

 

Und er kehrte zu seiner Praxis zurück. Er lernte, schlecht bezahlt, aber für tieferen Nutzen, den täglichen Kampf der Menschen miteinander kennen. Eltern gegen die gefährlich werdenden Kinder, Junge gegen ausgediente Alte; die Selbstzerfleischung elender Mütter, die ihre Säuglinge quälen, und alternder Männer, die den Rest der Kraft lieber gleich vertrinken; lumpige Übervorteilungen, um derenwillen ganze Familien selbst sich ausrotten wollen. Verwandte, die haßerfüllt allesamt herfallen über einen der ihren, der anders denkt, anders lebt; Körperverletzungen unter Leidensgenossen wegen einiger Pfennige; arme verwirrte Kindesmorde der verführten Mägde und die Grausamkeit der Wucherer, kalt und ordnungsmäßig wie das Gesetz, die Schwachen aber immer und überall ohne Mitleid für einander, – ihm begegneten alle Wirrsale der Unvernunft, der ganze menschliche Ausverkauf, die vollständige soziale Zoologie.

Er selbst hatte viele Tage des namenlosen Kleinkampfes, und größere Tage, an denen seine Logik triumphierte: unausweichliche Logik, die vom Richter das gewollte Urteil erzwingt. Als tüchtiger Mann mit Leistungen vor Dir selbst dastehen, auch dies kann einen halben Tag erfüllen. Er hatte aber Tage des Erbarmens: da erstirbt die eigene Leistung; was hilft sie, wie kann sie an gegen Gebirge von Not und von Unvermögen. Warum ist dies? Warum seid ihr? Fiebernde Erbitterung, Verfall der Hoffnungen, alles Glaubens. Auch so muß zwischen euch ausgehalten, für euch gewirkt werden. Sieh, nun gibt die Summe von allem zum Schluß nur Demut. Du kannst nichts tun, den Durchschnitt zu erhöhen: tue für wenige, was Du mußt.

»Was schulde ich meinem Allernächsten? Meinem Freunde Mangolf die allerhöchste Hochachtung vor seinen Erfolgen, Nichtachtung von mir brächte ihn dem Selbstmord nahe. Meiner Schwester Lea das Engagement in Berlin, das ihr, Gott sei Dank, nun sicher ist. Man kann nicht mehr tun, als den Leuten Gelegenheit geben, ihr Können zu zeigen. Was aber meiner ältesten Freundin? Meiner Beraterin und Beschützerin, der Mutter meines Kindes und treuen Begleiterin meines Lebens? Ich muß sie heiraten. Es ist meine gottverdammte Pflicht und darum, ohne Garantie, auch mein Bestes.«

Sie war zu Verwandten gefahren, in irgend eine kleine Stadt, wo sie nun wohl genötigt war, aus den Tiefen ihrer Vergangenheit ihre bürgerlichen Begriffe hervorzuholen. Ihrem gewohnten Leben entrissen, wartete sie zweifellos auf seinen entscheidenden Schritt. Inzwischen sorgte sie noch aus der Ferne für ihn. Ein Erfinder stellte sich in seiner Kanzlei ein, hübscher junger Mann, dem es so oder so nicht fehlen konnte. Er hatte sich aber brav nützlich gemacht, bis eine Freundin der Fürstin Lili dazwischentrat. Auf einmal flog seine ängstlich behütete Habe, den Ersparnissen folgten die Aussichten, und es war der Wucherer Kappus, der sie ihm abgekauft hatte. Das Interesse des größten Wucherers beglaubigte wohl den Wert der Erfindung, über die ein Vertrag mit ihm vorlag. Aber der Vertrag war der Art, daß nach menschlichem Ermessen dem jungen Mann von seiner Erfindung nichts übrig blieb, als die Erinnerung. Terra sollte eine Lücke in dem Vertrag finden, einen schwachen Punkt, eine Handhabe. »Dann werden Sie selbst wissen, was Sie zu tun haben«, schrieb ihm die Fürstin Lili.

So klug wie anständig! Machten Erfindung und Erfinder ihren Weg, dann hatte Terra, ihr Befreier, gleich bei seinem ersten Auftreten die Öffentlichkeit auf eine auffallend günstige Art mit sich beschäftigt. »Kein Mensch in der ganzen Welt kann die Sorge für mein Wohl weiter treiben, oder auch die Lebenskenntnis. Ein dummer Junge würde sich etwas darauf einbilden, daß er sie heiratet. Ich weiß, was ich tue. Ich schließe eine Vernunftehe.«

Drei Monate lang ging er mit dem Vertrag schlafen und stand mit ihm auf. Er wußte ihn auswendig, die Sätze erschienen in Traum und Wachen nach Belieben vor seinen Augen, und unversehens sprang feurig eines der Worte vor, ein einziges, das vielleicht das Sesam war, der geheime Spalt, durch den das Licht der Märchenschätze blinkt. Umsonst, der Vertrag stand wie gewachsen, das eigene Werk Kappus', von ihm in allen Wassern gewaschen. Angefochten aber mußte er werden, zwingend angefochten: Terra hatte es sich vorgesetzt als Zeichen. Es galt noch mehr als die entscheidende Probe seines Könnens, es galt den abergläubischen Versuch, ob gegen die finsteren Mächte durchzudringen sei mit dem Wort, mit nichts als einem ganz entblößten Wort.

Er überließ seine Kanzlei einem Vertreter und zeigte sich dort nur selten. Viel Zeit verging ihm bei seiner Schwester.

Die Schauspielerin hatte ihre Wohnung in einer kleinbürgerlichen Stadtgegend. Meist öffnete sie selbst, das Mädchen kam nur für Stunden; und Haar und Anzug verwirrt von der Arbeit, mit noch berauschten Augen, ging sie ihm in das Zimmer voran. Er setzte sich abseits, sie hielt die freie Mitte und sprach ihre Rolle. Ihm bewegten sich alsbald vor dem Geist die Schicksalsworte, die er mitgebracht hatte. »Bravo! Es geht vorwärts«, sagte er dazwischen aus Höflichkeit und unter dem Einfluß dieser förderlichen Luft.

Seine Schwester hatte den gemieteten Möbeln zwanglos ihr Wesen beigebracht mit ihren bunten, leichten Sachen, den Tüchern, Schachteln, künstlichen Sträußen und Packen zerlesener Textbücher. Noch verstaubte irgendwo im Winkel, gegen die Wand gekehrt, der Totenkopf, den die Anfängerin einst auf ihre kühne Lebensfahrt mitgenommen hatte. Die Kerzen waren aufgesteckt für den Fall, daß die Vorhänge geschlossen würden und junge Schmerzen sich ausatmeten im nächtlichen Schein. Auch blickte aus dem Schlafzimmer jenes schwarz und leichenfarbene Bild eines Jünglings von Velasquez, das so sehr dem fernen, ewig beweinten Schatten Mangolfs glich. Wer aber weinte hier? Lea neigte sich in die Tür, beschwingte Neigung; die verjüngte Hand, so zart und fest wie einst, griff an den Pfosten hinauf, schwebte über ihr wie die Hand des Glückes; und sie jubelte herein: »Ihr glaubt doch nicht, es ginge ohne mich?«

Ihr Auftritt, festgehalten, solange bis der Ton saß. »Ihr glaubt doch nicht –« Das volle Licht der Fenster traf sie, ihr Haar flirrte, ihr Fleisch leuchtete, sie warf den Kopf wie eine besonnte Blume im Wind. »Bravo! Es geht vorwärts«, wiederholte der Bruder mit Überzeugung. »Ihr glaubt doch nicht, es ginge ohne mich?« jubelte die Schwester.

Wieder ließ Terra, zu dieser Begleitmusik, eines Tages das Wort, das er stundenlang um sich selbst gejagt hatte, verschnaufen und verschwinden: ein neues sprang ihm aus den Wortreihen des Vertrages entgegen, und eine Art beglückten Erschreckens wollte es ihm ankündigen als das gesuchte. Er wendete es um, tastete es ab, öffnete es bis in sein Herz. Ganz reglos saß er zuletzt, sogar der Atem stockte. Da, ein Aufatmen, stark wie Simson. Es war geschehen. Die Waffe war geschmiedet, erfunden das Sesam. Sieg! Er sprang vom Sitz auf, er würde Lea umarmt haben; – und jetzt erst bemerkte er, daß es völlig Nacht geworden und seine Schwester längst fort war. Das Theater mußte soeben aus sein. Aus der Küche kam Geräusch; Terra ging hin. Jemand kochte, es war Kurschmied.

»Sieg, mein Lieber«, rief Terra dem Schauspieler entgegen. »Die Mächte der Finsternis haben einen schlechten Tag. Es gibt in Berlin einen Lohgerber, dem in diesem Augenblick seine Felle wegschwimmen.«

Kurschmied begrüßte dies, völlig durchdrungen von dem Ereignis. Sofort bekam er seine bläulichen Halbkreise um die flackernden Augen. »Ich wußte es!« Weite Bewegung des Kochlöffels: »Sie werden fertig mit der Gesellschaft!« Dann bat er schwärmerisch: »Verschaffen Sie mir Eintritt zu der Gerichtssitzung! Gern will ich auf Kainz und Mitterwurzer mein ganzes Leben lang verzichten, nicht aber auf Ihren großen Tag, ich muß dabei sein. Ich will Sie mit im Triumph tragen.«

Terra mußte ihn darüber belehren, daß dieser Sieg keine weithin sichtbare Maske trage. Ein Schriftsatz, eine mürrische Entscheidung, der nächste Fall. Aber eine Beute war doch dem Geier entrissen, ein Werk des Geistes den Krallen des Geldes, ein Mensch dem Abgrund. »Und obendrein«, sagte Terra und verließ die Küche, »wird meine Zukünftige sehen, wen sie vor sich hat!«

An der Flurtür klopfte und läutete es gleichzeitig: Lea. Sie drang ein wie ein Windstoß. »Schnell, das Essen! Ich war heute gut. Die Leute gehen nur noch meinetwegen hinein. Was habt Ihr zu essen, ich falle vor Hunger um. Dreiviertel Haus. Sechs Vorhänge.«

»Nicht übel für eine zwanzigste Vorstellung«, sagte der Bruder.

»Zweiundzwanzigste!«

»Aber Deine neue Rolle wird noch besser.«

»Ich,« hastete Kurschmied, indes er den Tisch deckte, »wenn ich im zweiten Akt meine paar Sätze gebracht habe und gehen kann, jedesmal möchte ich lieber dableiben, um Dich anzusehen, aber es ist besser, daß ich koche.«

»Nur zu wahr«, sagte Lea und aß schon.

»Auch Dein Bruder hat einen Riesenerfolg gehabt,« versuchte Kurschmied.

»Ach nein?« machte sie übertrieben erstaunt.

»Er gewinnt sicher seinen Prozeß.«

»Nun dann«, sagte sie flüchtig. Gleich darauf erinnerte sie sich. »Verzeihe Lieber! Es ist natürlich eine sehr wichtige Sache, für Dich und überhaupt. Aber da sitzest Du, nicht wahr? hast Dir etwas ausgedacht und wartest nun ab, was die Leute damit anfangen. Ich will selbst dabei sein. Nicht nur der Kopf, mein ganzer Körper macht ihnen klar, was ich will und bin. Sieh her, heute Abend haben sie angefangen zu applaudieren, als ich dies machte.«

Sie neigte nur den Kopf in den Nacken, ließ die Hände ausdrucksvoll an den Hüften hingleiten und hatte so sehr das Lächeln beseelter Erwartung, daß Pause und Beifall unvermeidlich schienen. Kurschmied und Terra wollten wirklich klatschen, da hörte man aber jemand an der Tür, jemand, der den Schlüssel haben mußte. Er trat ein: Mangolf. Lea saß noch da, wartende Seele, wartende Glieder. Er ging auf sie zu, zuerst ganz langsam, dann hingerissen, nahm ihre Hand von der Hüfte, um sie zu küssen, und sagte herzlich: »Komödiantin, aber eine gute.«

Terra kam ihm entgegen, sie schüttelten sich die Hände, wie zwei befreundete Großmächte. Kurschmied besorgte den Tee.

»Also in meiner neuen Rolle werde ich gut?« fragte Lea nochmals, und bevor ihr jemand antworten konnte: »Wenn ich schlecht wäre, würde noch gerade rechtzeitig vor der Premiere die Welt untergehen, damit ich mich nicht blamieren kann. Ich habe zu viel Glück.«

»Einmal kommt es«, bestätigte Kurschmied. »Du bist jetzt daran. Ich habe es immer gewußt« – mit bläulichen Halbkreisen. Lea, die Hände im Nacken verschränkt, den Blick auf Mangolf: »Gottlob, daß wir wieder Kitsch spielen. Mit Literatur war für mich nichts zu machen, verlorene Jahre.«

»Um des Himmels willen keinen Rausch, keine ruchlose Schönheit!« bemerkte Terra, mit der Stimme des Dichters Hummel. Lea erkannte sie und lachte. »Ich muß mir die Haare nicht mehr glatt kämmen und nicht mehr herb fern. Ich darf ihnen eine unverschämte Komödie vormachen.«

»Du darfst strahlen«, sagte Mangolf stolz.

»Solange wie es dauert, warum nicht«, – die Augen in seinen. Und er, aus tiefer Brust: »Es dauert.«

Worauf er einen heftigen Gang durch das Zimmer antrat. »Wir sind im Aufstieg«, stieß er hervor. Auflachend wie ein Junge: »Das Ende wird sein, daß ich eines Tages Reichskanzler bin.« Er machte einen Satz, stand auf dem Tisch und schwenkte eine Teetasse. »Aber Herr Geheimer Legationsrat«, sagte Kurschmied, »wir haben auch Wein.«

»Ihr glaubt doch nicht, es ginge ohne mich?« jubelte Lea in die Ansprüche Mangolfs hinein, – indes Terra bedachte: »Zweifellos ist es Aufstieg, man lernt den Erfolg schätzen.« »Großartig«, sagte er, »wir sprechen uns wieder, wenn ich mit Kappus fertig bin.«

»Schenkst Du mir dann etwas?« fragte die Schwester. »Du mußt doch Geld verdienen wie Dein Kappus.«

Er erklärte: »Sollte ich auch, wie Du es mir freundlich zu verstehen gibst, ein Bürgersmann werden, so bleibt mir doch immer die heroische Aussicht, mich durch Anständigkeit zu ruinieren – vielleicht sogar, mit ihr groß zu werden.«

»Auf Dein Gastspiel als heroischer Bürger!« rief die Schwester und trank. Terra folgte gemessen, Mangolf ausgelassen. »Aber Sie, Kurschmied?« rief er. »Um Sie her ist lauter Vollgefühl, Sie aber äußern sich nicht.«

»Ich diene«, sagte Kurschmied.

Die drei von sich Besessenen sahen ihn einen Augenblick starr an. Terra schloß: »Das ist der sicherste Standpunkt. Wenn wir erst wieder im Dreck sind, hat er umso mehr alle Hände voll zu tun.«

Mangolf zeigte ein verdunkeltes, tiefes Gesicht, er setzte sich vor das Klavier und spielte den »Liebestod« in einer dermaßen hingegebenen Haltung, als spielte der »Liebestod« sich selbst. »Derselbe Rücken wie einst« – sah Terra. Seine Schwester schien bei dem Anblick, den Klängen zu vergehen und hinzusinken. Heimlich verließ Terra das Zimmer, solange auch Kurschmied noch darin war.

Er hatte sich von dem Haus erst wenige Schritte entfernt, da holte Kurschmied ihn ein. »Ich dachte. Sie würden so lange wie möglich oben bleiben«, sagte Terra. »Sind Sie denn nicht eifersüchtig?«

»Ich eifersüchtig?« sagte Kurschmied schlicht. »Nur auf das Unglück. Sie darf nicht unglücklich sein, sie war es zu lange.«

Der Bruder sagte schmerzlich: »Ist sie überhaupt berufen, glücklich zu sein? Man kann mehr sein als das.«

Kurschmied, verständnislos: »Es ist ganz einfach. Er mußte zuerst eine sichere Anstellung haben. Jetzt darf er mit ihr verlobt sein. Noch dazu hat sie Erfolg, da darf er sie sogar –« Kurschmied raunte: »heiraten.«

Der Bruder zog die Brauen hoch. »Sie haben es von ihr?«

Kurschmied nickte, auch er hatte die Brauen hinaufgezogen. Plötzlich hörte er: »Daraus wird nichts« – mit schneidender Stimme. Tödlich erschrocken, stammelte er: »Dann entstände eine namenlose Katastrophe.«

Terra sagte schon wieder in seiner herkömmlichen Art, es konnte tragisch oder nur verblüffend sein: »Gehen Sie zu Bett und verschlafen Sie die Katastrophe. Sie werden nicht so lange schlafen müssen als Sie denken.«

Kurschmied blieb gehorsam stehen und ließ Terra weiterziehen. Dann lief er ihm aber nochmals nach. »Nicht Sie!« sagte er gesteigert. »Ich selbst nehme es auf mich.«

»Wovon reden Sie?« fragte Terra, aber der Schauspieler war von dannen.

 

Je näher die große Entscheidung rückte, umso zweifelhafter ward sie für Terra. Sein Beweis blieb zwingend, vor Gott und dem Wort würde er gewonnen haben. Erfolge aber hängen überall und immer von Menschen ab, nicht vom Gedanken. Richter, sagte sich der Rechtsanwalt, sind oftmals verpflichtet, gegen die unausweichlichste Logik zu richten, denn hinter ihnen steht fordernd eine andere, die Logik der bestehenden Gesellschaftsordnung. Diese allgegenwärtige Herrscherin erkennt durch den Mund ihres Richters, daß die Erzeugnisse dessen, der geistig arbeitet, mit vollem, unveräußerlichem Recht dem gehören, der das Geld hat. Jede Einschränkung dieses Rechtes trägt den Charakter einer Abfindung, wenn nicht eines Almosens. »Kappus ist stärker als ich.« – »Nur mit der bestehenden Gesellschaftsordnung lassen sich gute Geschäfte machen.« Die furchtbaren Wahrheiten begleiteten ihn in seine schlaflose Nacht. Am Morgen stand der Bau seines Beweises in neuer Klarheit vor ihm auf; unmöglich, zu argwöhnen, daß ein urteilender Geist sich selbst würde schänden, die Klarheit würde leugnen wollen.

Der Tag der Entscheidung. Terra ging nicht selbst, sein Vertreter sollte ihn aus dem Gerichtsgebäude anrufen, gleich nach der Entscheidung. Hin und hergewandert vor dem Telephon, Rauchwolken ausgestoßen, das Pochen in den Schläfen gefühlt und bei jedem Anläuten eine Schwäche in den Knien. Schwer und schleichend ward es Abend, nebenan die Angestellten packten endlich zusammen. Die Wirrsal des Für und Wider in seinem Gehirn, der Kampf ins Leere, Kampf, den andere entschieden, alles zusammen ergab nachgerade so viel Ekel wie Angst. Fliehen wollen – und nicht loskommen von der selbstersonnenen Folter! Da kam der Anruf.

Der Prozeß war gewonnen. Freue Dich! Du freust Dich nicht? Terra lachte kurz und hart in den Apparat, bestätigte die Meldung und hängte ein. Er dachte sich endlich zu setzen, statt dessen fiel er hin, ohne Besinnung. So fand ihn Mangolf.

»Was ist das?« sagte Mangolf. »Die Türen offen, hier sieht es aus! Bist Du überfallen worden?«

»Vom Glück, wenn ich mich recht erinnere«, – und Terra stand auf. »Ich habe den Prozeß Kappus gewonnen.«

Mangolf gratulierte, es hatte einen Beigeschmack von Geringschätzung. Terra verstand ihn. »Fahre so fort«, hieß dies. »Wende Deine äußerste Leidenschaft an läppische Privatsachen. Eine Gefahr weniger.«

Sie setzten sich am Schreibtisch einander gegenüber und warteten. Terra fing an. »Eine läppische Privatsache, ich hing unglücklicherweise mit meinem Selbstgefühl darin fest. In diesem Augenblick kann mir das Urteil gestohlen werden.«

»Dann darf ich Dir von meinen eigenen Dingen sprechen.« Mangolf hing an seinen Augen. »Was würdest Du sagen, wenn ich heiratete?«

Aber Terra schloß die Augen. Er ließ den Mund offen, in seinem Gesicht arbeitete es angestrengt und lautlos.

Mangolf sagte schließlich ungefragt: »Es ist nicht Lea.«

Da öffnete Terra die Augen: sie waren gehetzt, wie die eines Hundes, der, bis in den letzten Winkel geprügelt, zuschnappt. »Ich würde mich auch beeilt haben,« sagte er, »meine volle brüderliche Autorität dafür einzusetzen, daß sie keinen Glücksritter heiratet.«

Mangolf blieb ruhig. »Schon lange wünsche ich eine offene Aussprache herbei.« – Terra, Schlag auf Schlag: »Am Abend in ihrer Wohnung war es Dir nicht anzusehen.«

Mangolf atmete schwer auf. »Ich will, daß sie solange irgend möglich, glücklich bleibt. Könnte sie es für immer sein! Gerade Du mußt mir raten. Wir sind Freunde.«

»Wenn wir es heute bleiben,« sagte Terra, »sind wir es.«

»Wem wäre gedient, wenn ich Lea heiratete? Gewiß nicht mir, – und ich habe das Recht, bei mir anzufangen. Meine Karriere wäre zu Ende; als Konsul nach Übersee, mehr gäbe es nicht. Und ihr? Sie würde sich gerade so gut opfern müssen. Bleibst nur Du. Sollen wir beide daran glauben, bloß damit Dein Gefühl für bürgerlichen Anstand gut wegkommt? Entscheide! Ich richte mich danach.«

»Du beschämst mich«, sagte Terra. »Ich hatte meine fünf Sinne noch nicht wieder beisammen. Es soll nicht mehr vorkommen.« Er gab sich feierliche Haltung. »Fahren wir fort! Verdient die Braut ihr Glück?«

»Das eben möchte ich mit Deiner Hilfe feststellen«, begann Mangolf düster und zog ein Papier hervor. »Die Braut ist Frau Bellona von Tolleben-Knack – im Fall, daß wir beide heute Abend zu einem positiven Ergebnis kommen.«

»Abgemacht«, sagte Terra – und empfand Erbarmen mit dem gequälten Ehrgeizigen. Wen bemühte er selbst, um zu heiraten.

»Eine beiläufige Frage. Liegt die Entscheidung bei Dir allein? Deine Auserwählte redet Dir nicht hinein? Ihr Vater auch nicht?«

»Sie liebt mich«, sagte Mangolf, die Brauen zusammengezogen. »Sie ist Herrn von Tolleben geopfert worden. Den Versuch kann der Alte nicht wiederholen. Übrigens hat er den Junkern Rache geschworen. Ich mit meinem Einfluß auf Lannas bin für ihn der gegebene Schwiegersohn, geradezu der Mann des Schicksals. Nimm hinzu, daß Lannas im Begriff steht, Reichskanzler zu werden.«

»Wie das arbeitet!« bemerkte Terra, als bewunderte er eine Maschine.

»Zu gut«, sagte Mangolf mit einem Blick in sein Papier. »Man wirkt auf mich ein. Ich könnte festgelegt werden, bevor ich es gewollt habe. Da ist besonders Gräfin Altgott.«

»Mit ihrem politischen Salon.«

»Sie steht im Briefwechsel mit Bella Knack. Sie ist eine der wenigen klugen Personen, die die Rückkehr der Knacks schon frühzeitig in ihre Rechnung einstellen.«

»Ich kenne meine Altgott«, bestätigte Terra. Mangolf erklärte:

»Sie hat ihren Salon von dem Lannas'schen abgezweigt, dabei gewinnt Lannas eine inoffizielle Zentrale, die für ihn arbeitet.«

»Ihr aber können, juchhe, keine Liebhaber mehr nachgesagt werden. Die Politik ist ein Alibi. Erfinderische Altgott!«

Mangolf wiegte den Kopf, nicht ohne Mißbilligung. »Sie ist durchaus ernst zu nehmen.«

»Dann folge ihr!«

»Nein, dann frage ich: was will sie für sich? Knack besticht sie vielleicht. Ich wäre der Geneppte.«

Terra war versucht, schallend aufzulachen, trotz der Miene Mangolfs. Denn Terra hatte im Geist ein Bild von einst erblickt, die Tür des Mangolfschen Vaterhauses, die Inschrift: Mangolf, Agent. Daran vorüber knarrte die brüchige Treppe, aufging hochoben das kleine Zimmer, ein Kasten, Raum für einen einzigen Schritt, – und wer wendete die dunkel umwitterte Stirn her? Derselbe, der sie ihm auch jetzt entgegenneigte – zweifelnd, ob es nicht Übervorteilung sei, wenn die reichste bürgerliche Erbin Deutschlands ihm angeboten ward.

Terra lachte nicht. »Alle Achtung«, sagte er. Mangolf schien ihn nicht zu verstehen; er fuhr fort: »Ich habe nur meine guten Augen und allenfalls Deine.«

»Wir wollen sie gebrauchen«, entschied Terra. »Äußere, bitte, Deine Verdachtsgründe.«

»Verdachtsgründe liegen nicht vor: nur eine Bilanz.« Womit er das Blatt Papier hinüberreichte. Während Terra es ratlos prüfte:

»Du siehst, daß alles aufgeht, weder Gewinn noch Verlust.«

In der Tat sah Terra auf zwei Spalten Posten einander gegenüberstehen, die im Sinne des Rechners sich aufzuheben schienen, denn jede Zeile schloß mit einer Null. »Ich erkläre Dir meine Bilanz«, sagte übrigens Mangolf; und da Terra sie ihm zurückgeben wollte: »Laß! Ich weiß sie auswendig.«

Er wußte seine Bilanz so gut auswendig, wie Terra seinen Vertrag; und nun er sie durchging, durchgrub, durchfieberte, war er versunken in innere Gluten, die auch Terra kannte.

»Sie ist reich, aber kompromittiert.« Er zeichnete in die Luft eine Wagrechte: »Ich bin arm, aber korrekt.«

»Es wäre freilich schwer zu entscheiden, wer besser wegkommt«, murmelte Terra. Mangolf fuhr fort.

»Sie liebt mich, ich sie nicht.«

»Da liegt Dein Vorteil!« rief Terra.

»Warte ab! Rechte Spalte: Mir eignet eine innerliche Demut vor dem Reichtum. Sie aber weiß es nicht nur, sie setzt es voraus.«

»Bruch«, sagte Terra.

»Ich bin bürgerlich und ohne Verwandte. Darum gerade bin ich kein grober Tolleben. Sie hat keine Mutter, aber einen peinlichen Vater.«

»Rest Null«, sagte Terra.

»Ich bin weder Offizier noch Korpsier, aber dafür eleganter als solche Leute im Durchschnitt, von fremdländischem Typ, und ich schlage mich.«

»Du schlägst Dich?« fragte Terra schnell. Mangolf warf hin: »Du traust mir wohl genug Geschicklichkeit zu, daß die Frage niemals aktuell wird.«

Wagerechte, andere Spalte: »Sie ist obenauf moderne Dame, darunter Gans mit Doppelbetrieb.«

»Wieder nichts,« sagte Terra. »Noch ein Posten.«

»Meine Zukunft ist ungewiß. Als Protektor freilich habe ich Lannas. Drüben steht: Sie, mit ihrem Geld, ist irgend eines Erfolges im Leben sicher, es kann aber ein zweischneidiger sein.«

»Fazit«, schloß Terra, »daß Du von unten kommst und sie auch, und daß sie Dich gebrauchen kann, wie Du sie.«

»Und dies sagt nichts«, preßte Mangolf hervor. »Dies ist quälend unentschieden, die glatte Rechnung des Spießbürgers«. Er flammte auf. »Wie ich ihr das Geld vor die Füße werfen wollte, wenn die Bilanz auf ihrer Seite schwächer wäre. Oder sie könnte stärker sein, dann gnade ihr Gott vor mir und meinem Talent!«

»Dein Talent, Du hast es nicht gebucht«, bemerkte Terra.

»Weil es selbstverständlich ist wie das Dasein und außerdem, weil es von Ereignissen abhängt. Wie talentlos stehe ich mit meiner Kanonenprinzessin da, wenn am Tage meiner Hochzeit ganz Europa ein ewiges Friedensbündnis schließt.«

»Deine Sache, es zu verhindern«, sagte Terra; und mit Schärfe: »Meine dagegen, es herbeizuführen.«

»Da könnte die Entscheidung liegen!« Mangolf sprang feurig auf. »Wir wollen das Unsere tun. Zwei Jahre muß das Mädchen noch fasten und beten, dann hat sich entschieden, wer stärker ist. Du oder ich. Davon hängt ihr Glück ab.«

»Du sitzest im Nest, Du müßtest schon heute wissen, wohin die Reise geht.«

»Unsere Politik? Keine Ahnung. Ihr Kurs wird immer planloser, je näher man steht. Ihr Geheimnis ist aber, daß sie kein Ziel hat. Wer dies heraus hat, den befördert mein Chef«, – auflachend wie ein junger Teufel.

»Und Deine Alldeutschen?« Auch Terra verließ seinen Platz. Mangolf eilte ihm durch das Zimmer nach, er ergriff ihn dringend beim Arm.

»Sage mir eins, aber im vollen Ernst, von Dir zu mir: mache ich mich mit ihnen lächerlich?« Da Terra die Lippen aufeinanderpreßte: »Sprich, mir sagst Du nichts neues. Sie sind in allem, Auftreten und Programm, in einer Weise grotesk übertrieben, daß keine noch lebensfähige Nation sich von ihnen in den Krieg hetzen läßt. Dem Dümmsten müssen Sie auffallen.«

»Auffallen«, wiederholte Terra. »Das ist der halbe Erfolg. Für Komik haben hier nicht viele Sinn, alle aber für das Aufgetragene. Das Leben ein Plakat, sagt der Monarch seinem Volk, und täglich versteht es ihn besser.«

Mangolf irrte an den Wänden umher. »Wenn ich wüßte, ob wir dem Chef und selbst dem Allerhöchsten schon Angst genug in die Glieder gejagt haben, daß sie sich kalt stellen bei der Annäherung Englands.«

»Wie? Es liegt eine vor?« Terra trat in die Mitte. Mangolf, aus dem dunkeln Winkel: »Dir hätte ich es nicht sagen dürfen.«

»Beruhige Dich«, sagte Terra. »Ich werde nicht in den Zeitungen für ein Bündnis mit England schreiben. Das Bündnis mit England würde an mehreren anderen Stellen Europas peinlich auffallen und bei uns selbst nur die Versuchung eines leichten Sieges verstärken. Nein, Deinem Alldeutschen Verband setze ich einen anderen Bund entgegen.«

»Welchen?«

»Den Bund der Todesgegner.«

»Lebwohl«, sagte Mangolf. Er steckte seine Bilanz wieder ein. »Ich fuße auf Gegebenheiten. Unser Gegenstand, ob ich die geborene Knack heirate oder nicht, ist hiermit schon fast entschieden.«

Flüchtiger Händedruck, aber in der Tür wendete Mangolf sich um.

»Eine Neuigkeit, Tolleben bewirbt sich um Alice Lannas.«

Terra schlug eine Lache auf.

»Sie macht noch ihre Bilanz«, rief Mangolf in sein Gelächter hinein und war fort.

Dies alles hatte Zeit genug gekostet. Terra setzte sich hin, die Nacht hindurch wollte er arbeiten. Der Einfall, die Frau von drüben zu heiraten, mußte noch besser sein als er sich hätte träumen lassen, denn zur gleichen Zeit überlegte Alice sich den Tolleben. »Meine Alice«, fühlte er – arbeitete aber darauf los. Die Fürstin Lili hätte nachgerade zurück sein dürfen, wo versauerte sie, man hörte nichts mehr. »Die Tochter des neuen Herrn Reichskanzlers wartet nun vergebens auf meine Wenigkeit. Sie wird von ihren Ansprüchen nachlassen müssen, auch ich lasse nach« – über seinen Akten gebückt und heftig grimassierend, aus Unzufriedenheit mit den eigenen Gedanken. Plötzlich warf er den Akt fort, er fühlte sich erbleichen, sein gehetztes Gesicht zur Ruhe kommen. »Ich liebe Alice und sie mich – in dieser selben Stunde. Genug es zu wissen. Glück, mehr als der Alltag bringt, wollen wir uns nicht wünschen. Wer stiegt, kann nicht ackern. Ich bin der Mann des schrittweisen Vormarsches.«

Zweifelnde Augen, »wer bin ich?« – und der Fragende trat vor das Fenster. Von tief unten kam das Heranrollen und Abfließen, die ruhelose Wiederkehr des nächtlichen Verkehrs. »Nur Einer bin ich unter Hunderttausend. Das wäre ein schlechter Spießbürger, der nicht auf Jugendeseleien zurückblicken könnte: Weltverbesserung, eine Prinzessin. Unbewußt habe ich den sichersten Weg gewählt zum Spießbürger.«

Die kühnere Stimme rief dennoch Nein! »Nein! Du sollst im Namen Vieler leben. Dies unterscheidet dich.« Er öffnete das Fenster dem elementhaften Lärmen, alsbald ward auch sein stilles Innere durchbraust und erzitterte. Alle Muskeln seines untersetzten Körpers härteten sich, er spreizte die Beine und stemmte die ausgereckten Hände gegen beide Wände der Fensternische, als hielte er mit seiner Kraft das Tor aufrecht und offen, durch das hindurch die Straße sollte, durch das hindurch alle Straßen sollten.

»Abgemacht«, sagte Terra und setzte sich wieder vor seinen Tisch. »Ich habe eine Aufgabe, sagen wir es unter uns: eine Sendung und Führerschaft. Die Lage der Dinge verlangt, daß alles unfeierlich und als ein übliches Geschäft vonstatten gehe. Viel wird daher gelogen werden. Meine Sendung heißt: »Ihr sollt euch nicht mehr umbringen müssen. Abgemacht. Und jetzt arbeiten wir uns aus dem Dunkel!« Damit griff er zu dem Akt.

 

Da seine Braut verschwunden schien, fragte er bei ihr. Sie war da – erst kürzlich? »Nein, schon länger«, sagte sie. »Aber unsere Aussprache hatte keine Eile.«

»Verjüngt, wenn es überhaupt möglich war, noch jünger zu werden. Wie hast Du das gemacht?«

»Gefalle ich Dir wieder?«

»Wann heiraten wir?«

»Denkst Du daran noch? Dann sage ich es Dir lieber gleich. Du kannst nicht verlangen, daß ich mich Deinetwegen ruiniere. Jeder ist sich selbst der Nächste.«

Auf diese Weise erfuhr Terra, daß er sich in der Sache Kappus eine geradezu unverständliche Dummheit geleistet habe. Jeder andere würde den Fall nicht vor den Richter gebracht, sondern sich mit Kappus verständigt haben. Dem Erfinder seine Abfindung, Terra aber mußte sich von Kappus natürlich beteiligen lassen, wozu sonst das Ganze. Er hatte nicht gewußt, was er zu tun hatte, seiner Braut war dies furchtbar in die Glieder gefahren. Gerade noch rechtzeitig sah sie sich gewarnt vor einem so gefährlichen Versorger. »Freundchen, Dich heiraten wäre Selbstmord.«

Terra gab dies, wenn auch bedauernd, zu. »Eine Frau wie Du hat, ich sage es blutenden Herzens, das volle, unveräußerliche Recht auf einen normalen Mann mitten aus der normalen bürgerlichen Gesellschaft. In Deinem ganzen gesegneten Dasein hast Du für Dein Fortkommen nichts weiter getan, als was die bürgerliche Gesellschaft den Ihren unbedingt zur Pflicht macht. Du hattest nur die schönere Geste bei Deinen Gemeinheiten, das sollte sie Dir allmählich verzeihen.«

Sie mußte lachen. »Komisch bist Du nun mal. Also komme bald wieder! Ich muß Dich darauf vorbereiten, daß Du hier einen Riesenbetrieb findest. Das Schlafzimmer behalte ich, nur das arabische Kabinett wird verkauft. Halbdunkel brauche ich nicht mehr.«

»Gott ist Dein Zeuge«, sagte er feierlich; er sah sie im vollen Licht die Arme recken über ihr hoch aufleuchtendes Haar und sich auf die Fußspitzen heben. Die Formen wieder weich gewellt, kraftvoll gespannt wie je, und Farben, neu getönt, als schüfe ein neues Blut sie noch einmal: unvergänglich stand sie, die Fußspitzen beisammen wie auf einer Kugel, und drehte sich langsam um sich selbst.

»Dein Meisterstück«, sagte er. »Wie hast Du das gemacht?« – worauf sie rätselhaft lächelte und hell und farblos nach der Amme rief. – Eine Amme? Allerdings. Dies war das Ganze. Daher ihr Zustand damals, ihre Entmutigung, ihr Einfall, ihn zu heiraten ... Und die Amme kam, das Neugeborene auf dem Arm. Das ältere Kind hielt sich an ihrem Rock. »Es ist ein Mädchen«, sagte die Mutter.

»Ich habe mich wie ein ausgemachter Esel benommen«, stellte Terra fest. Sie zuckte nur die Achseln. Sie machte nicht viel aus der Dummheit der Männer, ihre Dummheit war Voraussetzung. »Den Vater kennst Du«, sagte sie, für den Fall, daß er auch diese Erklärung noch brauchte. Tatsächlich fiel ihm erst jetzt der Name ein, er errötete jäh. »Mein Sohn und die Tochter des Herrn von Tolleben sind Geschwister? Das war nicht vorgesehen.« Da schien sie ihrerseits erstaunt. »Was willst Du dabei tun«, murmelte sie zögernd. Er sagte stark: »Es ist nicht mein Wunsch, daß die Kinder zusammen aufwachsen. Komm', mein Sohn, wir gehen«, – und er streckte die Hand hin.

Die Mutter ward unruhig. »Laß das gefälligst! Übrigens ist das andere nicht von Tolleben. Es ist von Mangolf.« Da er sie anstarrte, als würde er zuspringen: »Nun ja, von Deinem Freund. Aber Du hast mich auf einen Gedanken gebracht. Ich rede dem Tolleben ein, es sei von ihm. Es wird ihm schmeicheln, er stellt das Kind sicher, Dein Freund ist aus der Sache. So stimmt es für alle Teile.« Sie ging trällernd beiseite, – womit sie ein wenig Furcht verbarg; sein Aussehen war immer noch drohend. Unvermutet machte er aber eine scharfe Wendung. »Komm', mein Sohn!« wiederholte er.

Erwartung. Die Mutter beruhigte sich, sie wechselte Blicke mit der Amme. »Nun? Kommt er?« fragte sie, nicht einmal spöttisch. Vergebens beugte Terra, die Hand hingestreckt, sich nieder, vor seinem brennend ernsten Blick machte der Knabe, von Falte zu Falte, die Runde um den ganzen Rock der Amme. Der Sechsjährige preßte, wenn er hervorsah, den Mund, wie Terra.

»Dein Vater nimmt Dich mit«, wiederholte Terra.

»Wenn Du nicht lieber bei Deiner Mutter bleibst.« Sie öffnete die Arme. »Zu wem kommst Du?« Und der Knabe lief hinein. »Er ist Dir viel zu ähnlich«, sagte die Mutter, siegreich und versöhnlich. »Drum hängt er an mir.«

Terra bemerkte höflich: »Die Eindrücke Deines Hauses wären für manchen das lohnendste, das er sich irgend wünschen könnte, vielleicht nur gerade nicht für einen heranwachsenden Knaben.«

Sie fragte dagegen: »Dein hochvornehmes Elternhaus hat Dich aber blendend auf das Leben vorbereitet?« Da er den Mund offen behielt: »Du, der noch heute nicht erfaßt hat, was das Leben ist!«

Sie hielt den Fall für geklärt und ging an eine unterbrochene Beschäftigung. Terra sagte »Nichts für ungut« zu seinem Sohn, und er schlug ihm ein Spiel vor.

Worauf er beschloß: »Die heutigen Lehren will ich mir hinter die Ohren schreiben. Es wird Zeit. Denn ich habe noch überall zuletzt etwas geliefert, das mich unmöglich machte.«

Er arbeitete erfolgreich weiter, ließ sich die Zeit, die ohne Gewinn höherer Art verging, nicht verdrießen und war es, wenn er am Wochenende seine geistige Inventur aufnahm, zufrieden, Demütigungen vermieden und der Mitwelt sich ohne Schande angepaßt zu haben. Grundsatz: »Nur eine gesunde Lebenspraxis kann mich instand setzen, meine von ihr abweichenden Absichten mit Erfolg auf die Mitwelt anzuwenden.«

Nach bald zweijähriger Geduld erschien eines Morgens Kappus. »Herr Rechtsanwalt«, sagte der berühmte Wucherer, »Sie sind mein Mann, denn Sie sind ein selten ehrlicher Mann.« Einwendungen ließ er nicht zu und sprach weiter: »Aber auch ein fleißiger Mann, ein Frühaufsteher, auf dem Posten vor allen Ihren Beamten. Und das ist gut, Herr Rechtsanwalt, denn uns darf niemand stören oder gar behorchen. Wir kämen in Teufels Küche, Herr Rechtsanwalt.« Er sprach eindringlich und warm, so war sichtlich seine Natur. Sein Rock war hoch geschlossen, seine Haut ganz weiß und mild. Nun er den Kopf warf und mit dem Zylinderhut einen langsamen Halbkreis beschrieb, glich er einem leutseligen höheren Geistlichen. »Nehmen wir Platz!« sagte er, stellte den Zylinderhut unter seinen Stuhl und zog dafür sein Käppchen über.

Er war alt, aber gefärbt. Warme, blaue Augen glänzten unter den gefärbten Brauen. Ein Wucherer, und korpulent! Dem Betrachter sagte seine Miene: »Auch Du hast mich verkannt.« Plötzlich ward er ganz schmerzliches Bedauern.

»Hätten Sie sich gedacht, daß ein Graf Lannas den alten Kappus neppen würde?«

Terra sah ihn starr an, dann stand er auf und schloß die Polstertür fest. Zurückkehrend: »Jetzt los, und drücken Sie sich aus, als sprächen Sie mit dem Vertreter Ihres Gegners!« Kappus, erbaulich: »Spreche ich mit mir selbst je anders, als verträte ich meinen Gegner?«

Sogleich ward er wieder schmerzliches Bedauern, mit schonender Stimme und frommem Flüstern weihte er Terra ein. Der junge Graf Erwin hatte ihm ein Brillantenkollier als Pfand gelassen, und die Brillanten stellten sich nachträglich als falsch heraus.

»Sie haben sie vorher nicht prüfen lassen?«

»Zum erstenmal in meinem Leben nicht. Was sagen Sie, aus Hochachtung vor dem neuernannten Reichskanzler, im Vertrauen auf den Mann und weil ich dachte: »Der Sohn des höchsten Mannes nach dem Kaiser hat es nicht nötig.«

»Sie wußten am besten, daß Graf Erwin Schulden hat, denn er hat sie vorwiegend bei Ihnen.«

Kappus sah sich beargwöhnt, daß er die Unechtheit der Steine sogleich erkannt und eine Erpressung darauf begründet habe. Umso eindringlicher und wärmer verwahrte er sich dagegen, als könnte es ihm jemals einfallen, einen Lannas in einen Skandal zu verwickeln. »Ist erst einer drin, dann sind sie alle drin, und es kostet einen Reichskanzler. Aber wen kostet es den Reichskanzler? Unser geliebtes Deutschland. Nein, Herr Rechtsanwalt, das muten Sie mir nicht zu! Lieber verlöre ich mein ganzes Geld.«

»Wieviel ist es?« fragte Terra, aber er brachte es nicht heraus. Kappus sagte: »Eine bedeutende Summe, wir wollen noch nicht in Zahlen reden«, und er verbreitete sich weiter über die moralisch-politischen Folgen. Terra schnitt ab. Er werde die Gegenseite befragen. Nur wenn seine Vermittlung auch drüben gewünscht werde, könne er eingreifen.

»Sie wird gewünscht werden«, sagte Kappus herzlich. »Sie, Herr Rechtsanwalt, sind bei Lannas wie das Kind im Haus, Sie haben Einfluß auf den Alten. Wozu komme ich sonst ausgerechnet zu Ihnen.«

Mit dieser Schlußwirkung verschwand er hinter der Polstertür.

Terra wollte an Erwin Lannas schreiben, da kam Erwin schon selbst. »Ein peinliches Mißverständnis ist vorgekommen«, sagte er, die Schultern nach vorn bewegend, als ob es ihn fröre. »Besonders peinlich für meine Schwester.«

Plötzlich fühlte Terra sein Herz bis in den Hals schlagen. Er hätte es selbst nicht gedacht. Kein Wort brachte er hervor, Erwin erklärte unaufgefordert: »Weil sich dabei herausgestellt hat, daß das Kollier falsch war. Ihr einziges größeres Erbstück von unserer Mutter!«

»Sie wußten es vorher nicht? Natürlich nicht. Aber Kappus glaubt es – oder tut, als glaubte er es, was ebenso schlimm ist. Berichten Sie mir jetzt alles, und, wenn ich mir die Bitte ergebenst erlauben darf –«

Jetzt sprach er, um zu sprechen und Herr seiner Aufregung zu werden. Wie sehr der junge Lannas derselbe war! Man wußte noch immer nicht, wohin sein Blick zielte, ein Blick wie von zwei Halbedelsteinen. Rote Lippen wie ein ganz junger Mensch, in dem blassen reinen Gesicht: unberührt und um keine Stunde gealtert.

»Wir brauchten Geld«, begann er. »Alice braucht immer Geld für nützliche Dinge, ich für ganz unnütze. So ist es. Wir hätten lieber die Erbschaft erwartet: Sie wissen, die große Erbschaft unseres Vaters von seinen bürgerlichen Verwandten. Leider war unsere Lage unhaltbar. Alice hat sich den Schritt sicher gut überlegt. Wenn sie mir von einer Sache erst spricht, ist sie abgemacht. Wir verkaufen das Kollier, sagte sie mir.«

»Verschweigen Sie nichts!« verlangte Terra schroff.

»Sie hatte es Unter den Linden bei Bärwald schätzen lassen.«

»O!« machte Terra unbewußt.

»Sie hat es mir damals nicht sagen gemocht. Sie sagt mir natürlich nur, soviel sie will. Ihre Absicht war, daß ich das unechte Kollier irgendwem für den Betrag verkaufte, den es wert war. Das Platin daran war echt.«

»Dies war ihre Absicht«, beteuerte Terra, ohne es zu wissen.

»Meine Dummheit ganz allein hat das Unglück verschuldet. Ich ließ das Kollier nochmals schätzen und ging ebenfalls zu Bärwald. Er war höchst verwundert. Wahrscheinlich nahm er an, daß ich Bescheid wisse, und sagte mir nichts. Er riet mir nur ab, an diesem Zeitpunkt zu verkaufen, er sei ungünstig. Ich verstand ihn nicht und ging leider zu Kappus. Der gab mir, wie gewöhnlich, nicht viel. Aber –« Erwin überreichte Terra ein Papier. »– er lieh es mir ausdrücklich auf ein echtes Kollier.«

»Dies ist die Falle«, stellte Terra fest. »Jetzt will er sicher die Erbschaft Ihres Herrn Vaters mit einer Riesensumme belasten.«

Der junge Erwin sagte Ja. »Daher komme ich zu Ihnen«, so schloß er den Bericht seiner träumerischen Wanderungen und hielt die Schultern, als fröre ihn.

»Ich hoffe einen für Sie und die Ihren günstigen Vergleich zustande zu bringen«, sagte Terra sofort. »Ich weiß viel über Kappus. Er fürchtet mich. Er war schon vor Ihnen hier.«

»Wird er schweigen?«

»Nur solange er nicht redet, kann er hoffen, etwas herauszuschlagen.«

»Er muß schweigen wegen meiner Schwester«, sagte der Bruder schneller als sonst; und als fürchtete er, sie verraten zu haben: »Kein Mensch weiß, wie sie um ihre Stellung kämpft. Sie ist ehrgeizig. Wir hatten kein Geld, Papa durfte es nicht wissen. Was blieb ihr übrig.«

Terra, gehoben: »Ich bin felsenfest davon überzeugt, daß der Gräfin Alice die größten Geschicke bestimmt sind. Die glänzendste überhaupt denkbare Partie wird nur den Anfang machen.«

»Das sagen Sie,« meinte Erwin, »aber wir sitzen dafür, wie es scheint, noch nicht fest genug im Sattel. Denken Sie, wir dürfen es noch nicht einmal mit dem Tolleben verderben. Er will Alice heiraten; Sie verstehen, wieviel Lust sie hat. Aber einfach nein sagen, ist unmöglich. Sie hält ihn hin. Sie wartet, ich weiß selbst nicht, worauf.«

Terra fühlte nochmals sein Herz, er antwortete nicht. Sie schwiegen, bis der junge Lannas aufstand.

»Damit Sie unterrichtet sind«, sagte er noch, »ich nehme vor unserem Vater alles auf mich allein. Ich habe meiner Schwester das Kollier entwendet und den Wucherer damit betrogen. Wird auf diese Weise, wenn es zum Äußersten käme, Alice geschützt sein?«

»Gewiß. Aber Sie selbst?«

»O, ich kann aus der Welt gehen«, sagte der träumerische Wanderer und hielt zwei Finger, gerundet wie eine kleine Mündung an die Schläfe.

Terra beeilte sich, ihm klar zu machen, wie unzweckmäßig dies wäre. Es handelte sich vielmehr darum, mit Kappus fertig zu werden, ohne daß Graf Lannas über die Halsbandgeschichte die Wahrheit erfuhr.

Demgemäß handelte er. Lannas löste das Kollier für echt aus, viel billiger, als Kappus es sich erträumt hatte, legte aber den Kronenorden vierter Klasse noch darauf. Alle Beteiligten konnten zufrieden sein, keiner aber war es wie Kappus. Der alte Mann hatte Tränen in den Augen. »Es ist nicht der schöne Orden«, schluchzte er. »Es ist, weil unser liebes Deutschland vor einem grauenhaften Skandal bewahrt geblieben ist.«

Lannas, glücklich wie immer und unbewußt über einen Abgrund gelangt, beehrte Terra mit einigen freundlichen Zeilen. Der Besuch Terras wurde erwartet; aber er ging nicht hin.

 

Da traf mit der Post die Verlobungsanzeige Mangolfs ein. Er schrieb dazu, daß er sich seinen ältesten, um nichts zu sagen: einzigen Freund als Trauzeugen erbitte. Zweiter Zeuge sei der Herr Reichskanzler. Knappe und stolze Worte; zu fühlen war, wie sehr es gewollte Selbstbehauptung hieß, daß Mangolf an seinem bisher größten Tage, sich neben einem Rechtsanwalt Terra zu zeigen beschloß. Über seinem Stolz hatte er augenscheinlich vergessen, daß sein Trauzeuge der Bruder seiner verlassenen Geliebten war.

Wie vor den Kopf geschlagen, ging Terra zu Lea. Er hatte ihr Unglück doch lange vorausgewußt; jetzt schien es ihm eine Katastrophe ohne Ausweg und ohne Trost.

Er fand sie nicht zuhause. Die Aufwärterin, die im Fortgehen war, öffnete ihm, er wartete auf seine Schwester in dem Zimmer, das, wenn sie es verlassen hatte, noch bewohnt war von ihren Arbeiten und Träumen. Was tat sie jetzt? Wo, in welchen Ängsten, welchen grauenvollen Versuchungen irrte sie umher? »Dich in den Armen halten, Schwester! Du würdest weinen in der Zuflucht, so schwach sie ist. Wir wären auch diesmal noch über den Berg.« Ach! Statt dessen war sie bei einem anderen, er wußte es zu gut; bei dem Einzigen, zu dem er ihr nicht folgen durfte. Als er vor dem Telephon stand und sich die Hände hielt, um nicht anzurufen, läutete es, sie sprach. »Ich bin bei ihm, er kommt noch immer nicht. Warte auf mich!« Er rief hinein: »Komm' her zu mir!« Da war sie schon fort.

So liefen sie denn beide, sie dort wie er hier, durch ein Zimmer, das ihre Angst wie mit Wolken füllte, liefen auf das Schicksal zu und würden doch zurückprallen, wenn es eintrat. Ein Schrei! Durch Ferne und Lärm der Stadt hatte ihr Bruder sie schreien gehört. Ihr Geliebter stand hinter ihr, sie fuhr herum. »Ich habe Dich erschreckt«, sagte der Geliebte beherrscht.

Sie aber zornig: »Ich nehme an, daß alles Geschwätz ist.«

Worauf er mit Achselzucken: »Das nimmst Du nicht an. Du bist im Bilde.«

Mit ihrer schönsten Bewegung, verachtungsvoll über die Schulter sagte sie: »Das alles ist uns schon einmal passiert. Weißt Du, Lieber, in Frankfurt, als ich heiraten wollte? Du kamst herbeigereist und warst nicht loszuwerden.«

»Sei froh, jetzt wirst Du mich los.«

»Und dann die anderen Male? Die Geschichte mit Tolleben? Du hast mir alles verziehen – wie ich Dir. Wären wir die langen Jahre beisammen, wenn es nicht sein müßte? Oh! die Demütigungen. Sie kamen von Dir, es mußte sein. Und plötzlich aus? Geht nicht, Lieber. Du weißt doch, Lieber, es geht nicht. Ich will Dein Unglück nicht, aber verläßt Du mich, ist es Dir sicher. Eine andere kannst Du nicht lieben. Deine eigenen Worte, Du sagtest sie nicht mir. Wir haben alles gemeinsam, auch die Worte. Weißt Du noch, was Du sagtest? Zwischen Dir und mir ist es fürs Leben!«

Wo waren Verachtung und Zorn. Bald drängte sie in den armen Satz all ihre Kraft, bald bot sie das offene Herz an. Ihr Gesicht, ihr ganzer Körper stellte wechselnd Kampf und Hingabe dar, die schönen und geübten Hände trugen hin was sie sprach, beschworen, zitterten danach, zuzugreifen. Er aber wich zurück.

Da ließ sie sich fallen. »Was habe ich Dir getan?«

Nun trat er hinter ihren Sessel. Er streichelte das helle Haar, seine Hand war verführerisch wie je. »Ich liebe nur Dich, Lea. Mir fehlte bis jetzt der Mut, ganz offen zu Dir zu sprechen. Du gibst ihn mir. Ich bin abhängig und ehrgeizig, darum tue ich den peinlichen Schritt. Nur darum. Ich wollte, ich könnte zurück.«

Sie sahen einander im Spiegel, ihr Gesicht leuchtete auf. »Komme zurück!« – schmerzvoll aufjubelnd und schon hingelehnt, damit er sie wieder küsse. Er küßte sie und sagte: »Was ändert sich denn. Wir bleiben die Alten.« Da riß sie sich los und sprang auf.

Sie starrte ihm wie blind ins Gesicht. »Was wolltest Du? Heiraten und mich behalten?«

Er sah Unheil kommen, er streckte die Hand aus, aber sie war schon geflohen bis in den Winkel, schon hatte sie aus ihrer Handtasche einen Gegenstand gezogen und ihn an die Lippen gesetzt. Gerade fing der Geliebte noch ihre Hand auf. »Laß das!« sagte er rauh.

»Es könnte Dir schaden!« Sie lachte schrill auf. »Aber es ist bloß Lippenschminke, Lieber.« Darauf ließ er sie los, sie war frei, zusammenzubrechen und am Boden zu weinen. Er war es jetzt, der hin und her ging, die Stirn in Falten, tief aufgewühlt. Unvermutet hörte er sie sprechen, eine Stimme wie ein Kind. »Ich will Dein Unglück nicht«, sagte sie, ach, so demütig vom Boden her. »Wenn denn ich Dein Unglück wäre. Ich gebe Dich frei. Hättest Du mich nicht gerade zuletzt so glücklich gemacht!« Das verlassene Kind, das dort lag, weinte.

»Aufgepaßt!« sagte der Mann sich. »Die Tränenszene, dritter Akt. Wer sich fangen läßt, verliert.« Er verschränkte die Arme.

Als nichts von ihm kam, stand sie geduldig auf. Indes sie sich glatt strich: »Ich habe einen schlechten Scherz gemacht. Du kannst es mir glauben.« Gar zu eindringlich; er stutzte. »Denn hätte ich Gift, wäre ich bestimmt nicht taktlos genug, es hier bei Dir zu nehmen. Eine bekannte Schauspielerin, auf Deinem Teppich tot: es hätte Dir wirklich geschadet. Verzeih!«

Ironie, trotz leise lockendem Blick. Er ward noch unzufriedener anzusehn. Sie war zum Gehen fertig.

»Es wäre mir nirgends angenehm, meine Liebe. Weder auf meinem Teppich noch sonstwo«, sagte er noch, wie sie in der Tür stand.

»Das kann ich verstehn«, sagte sie und die Ironie erklärte sich offen; hochdramatische Ironie. »Aber ich weiß doch nicht, ob Du um den Polizeibericht herumkommen wirst.«

Fort war sie – und er mit ihrer Drohung allein, an Händen und Füßen gebunden und ihrer Drohung ausgeliefert.

Es dunkelte, als sie heimkam, aber sie erkannte auf dem Sopha ihren Bruder, der sie erwartete. Er hatte, über sich gebeugt, die Stirn in den Händen und hörte nichts, wie zu der Zeit, als er mit verschärftem Gesicht jenen Vertrag zu durchdringen pflegte. Plötzlich stand er auf, er sagte: »Gib das Gift her!«

Die Schwester: »Ich habe keines.«

»Du hast ihm nur bange gemacht? Sage die Wahrheit!«

Die Schwester, ohne sich zu wundern: »Dir kann ich sie sagen. Ich hätte welches haben wollen – und den Mut hätte ich haben wollen.«

Er zog sie auf das Sopha. »Mein Kind, versündige Dich an Gott nicht! Auf Grund unverbrüchlicher Tatsachen kann ich Dir mitteilen, daß die Liebe zu Gott durchaus gleichbedeutend mit der Liebe zu Dir selbst ist. Wir wären naiv, uns umzubringen; Gott und das Leben nehmen uns bereitwilligst die Verantwortung ab.«

Aber er fühlte, ihre Hand teilnahmslos in der seinen. Da schüttelte es ihn, sie wandte sich her, sie suchte im Dunkeln seine Augen. Große Tränen rannen schwer heraus. Seine Stimme war getrübt, die Sprache formlos. »Wer sind wir denn. Weisheiten, – als ob uns damit gedient wäre! Wir sind nicht mehr grün genug, uns abgebrühte Flausen vorzumachen. Schwester! Ich will Dir Märchen erzählen, wie einst von den roten Schuhen.«

Ihre Hand war nicht mehr ohne Teilnahme. Ihr Arm stützte sich an seinen und er zitterte. Der Bruder flüsterte stark: »Du wirst so glücklich werden wie zuvor.«

Auch sie flüsternd: »Ich will nicht mehr. Glaube mir, ich bin froh, daß es aus ist.« Pause. »Wie ist eigentlich die Frau?«

Er atmete laut auf, das Leben hatte sie wieder!

Gegen das erhellte Fenster gerichtet, mit Augen, die ins Leere gruben, hörte sie ihn an über Bellona Knack. Hoheitsvolles Lächeln: »Ich glaube wirklich, ich muß mich nicht aufregen.«

Der Bruder, bereitwillig: »Eine Vernunftheirat in der vollsten Bedeutung des Wortes. Ich bürge Dir dafür, er wird todunglücklich.« In Gedanken aber: »Nicht ganz. Denn Du nimmst ihn zurück als Ehemann.«

Sie fragte, es klang unbefangen: »Er hat Dir nicht geschrieben? Keine Anzeige?« Kaum aber hatte sie den Brief, lief sie Licht zu machen, warf sich am Tisch über das Papier, photographierte es mit ihren unbewegten Augen, verging darin. Der Bruder rief sie laut an. »Du spielst heute nicht?« Er erinnerte sich: »Um diese Zeit kommt sonst Kurschmied.« Sie sagte wie verschlafen: »Kurschmied ist fortgeblieben.«

»Seit wann?«

»Ich weiß nicht. Er war immer da. Auf einmal war er nicht mehr da. Ach ja, den Abend, als ich ihm sagte, Mangolf werde sich verloben.«

»Denselben Abend?«

»Er klapperte noch in der Küche, dann war er fort, wie durch den Schlot.«

»Du hast sein Gesicht nicht gesehen?«

»Warum sein Gesicht?«

»Ich werde ihn aufsuchen«, sagte Terra, und er ging unverzüglich. Im Theater erfuhr er die Wohnung des Schauspielers. Dort war er ausgezogen, unbekannt wohin. Er sollte zur Bahn gefahren sein, vielleicht auf ein Gastspiel im Lande? Terra suchte vergebens sogar die Agenten auf, die es hätten wissen können.

 

Zur festgesetzten Stunde fand er sich bei Mangolf ein. Mangolf kam ihm atemlos mit einer Frage entgegen, unterdrückte sie aber, und von der Anstrengung erbleichte er. Umso mehr bemühte er sich dann um weltmännische Leichtigkeit. Nur als der Freund ihn drängte: »Die geborene Knack wartet«, beschattete sich seine Stirn. »Ich muß Dich bitten, mich bei Wahrung der gebotenen Form zu unterstützen«, sagte er im amtlichen Ton. »Übrigens liebe ich Frau von Tolleben.« Er brachte es noch fertig, sich in die, die seinen Erfolg verkörperte, sogar zu verlieben!

Auf der Straße fragte er plötzlich, und sein Schritt stockte: »Was macht Lea?«

»Sie ist prächtig gelaunt und wünscht Dir Glück – aus Zeitmangel nur durch – mich.« Aufgeräumt, im Tone dessen, der von keinen Zusammenhängen weiß; und mit Genugtuung sah Terra den Freund noch bleicher als vorhin.

Sie holten die Braut und ihre Familie aus ihrem Hotel ab. Der Reichskanzler als zweiter Trauzeuge ward erst am Standesamt erwartet. Er betrat den Saal in dem wirksamsten Augenblick, den der Bräutigam sich hätte wünschen können. Alle waren versammelt, und eine Pause war entstanden.

In aufsehenerregender Wagenreihe zur Kirche. Der Eingang zur Sakristei war von dem wohlgeordneten Spalier der Zuschauer bis an den Fahrdamm verlängert. Zuerst kam ein Korridor, den Topfgewächse schmückten. Die Tür hinten blieb störender Weise geschlossen, der Reichskanzler selbst öffnete sie den Damen der Familie. Indes er ihnen folgte und am anderen Ende des Korridors die ersten Insassen der noch anfahrenden Wagen erschienen, stand das Brautpaar unbeachtet und allein, mit dem Rücken nach einer Palmengruppe. Nur Terra, der dem Reichskanzler die Tür aus der Hand nahm, sah die Palmenblätter heftig schwanken und einen Arm hervordringen. Der Arm schwang einen Dolch. Gegen den Rücken Mangolfs stieß er ihn schon, da hatte Terra ihn gefaßt und abgewürgt, der Hand entfiel die Waffe. Gleichzeitig stürzten die Palmen, und Kurschmied erschien, verzweifelt ringend.

»Mensch, kommen Sie zur Vernunft!« keuchte Terra. Mangolf hatte sich noch nachträglich geduckt, zur Vermeidung des Dolchstoßes, der nicht mehr drohte. Seine junge Gattin vergaß ihn im ersten Schreck, sie brachte durch einen Sprung sich selbst in Sicherheit. Dann erfaßte sie ihren Fehler und sank um, gerade als der zurückkehrende Reichskanzler sie auffangen konnte. Er übergab sie ihrem Vater, und Knack, kopflos erbittert durch das Verhängnis, das die Heiraten seiner Tochter verfolgte, schleifte die Bewußtlose unnachsichtig, mit größter Eile in die Sakristei. Der Reichskanzler seinerseits ging knapp und entschlossen gegen die Individuen vor, die, alles gleichzeitig, aus dem Hintergrund schnellten. Wenige leise aber bestimmte Worte, schon war er der Herr. Die Vorgeschnellten flogen zurück, wie von Seilen gerissen. Ja, dahinter besänftigten sie noch die Ankommenden, nichts sei geschehen. Mangolf wandle sich nach Terra um, er hatte etwas zu sagen; aber Terra mit Kurschmied war schon draußen.

Er hatte rechtzeitig einen Ausgang nach dem Garten entdeckt. Festen Schrittes erreichte er das Gitter und die Straße. Kurschmied neben ihm flatterte nur noch. Der Griff, in dem Terra ihn hielt, war zwecklos geworden, Kurschmied hatte sich ergeben. »Bei Ihnen haperte es schon immer im Taktgefühl«, sagte Terra und sah sich nach einem Beförderungsmittel für Kurschmied um. Die Seitenstraße war einsam.

»Ich war so begeistert«, sagte Kurschmied reumütig. Aber stolz trotz allem: »Lea wäre gerächt gewesen!«

»Blamiert«, verbesserte Terra und winkte; denn eine Droschke erschien. Kurschmied ward hineingestoßen. »Verschwinden Sie!« raunte Terra ihm furchtbar in das durchgefallene Gesicht. »Verschwinden! Verstanden?«

»Meister, der Ihre bin ich, solange ich atme!« Um seine Augen schimmerten die bläulichen Halbkreise, so fuhr er ab.

Als Terra die Sakristei betrat, stand es so, daß das Opfer Bellona, auf Chorgestühl ruhend, verschwand hinter Damen, die ihm zusprachen. Die Herren Lannas und Knack verteidigten den Zutritt gegen die Hochzeitsgäste, die in der Kirche lärmten. Die Trauung sollte vertagt sein, eine Sensation kündigte sich an. Der Reichskanzler ließ dementieren, Knack bat die Leute, einem Mann wie ihm doch zu glauben.

Der junge Ehemann Mangolf hielt sich, ohne Verwendung wie er war, in Deckung hinter dem geöffneten Türflügel. Die Brauen gesträubt, winkte er Terra herbei. »Ich wollte Dir gleich vorhin sagen: Dein Eingreifen war überflüssig ... Nun also, ich danke Dir; aber ist er fort?« fragte er, und ohne warten zu können: »Weiß man es schon?«

Terra wischte sich die Stirn, er war empört, im Namen des Freundes wie der Schwester. »Der Mensch hat uns allen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.«

Mangolf: »Gott sei gedankt, daß er sich wenigstens nicht den Augenblick vor der standesamtlichen Trauung ausgesucht hat!« Worauf Terra wie der Versucher: »Lea kann sich aufhängen. Selbst ein Schwachsinniger muß begreifen, daß Ihr beide nach dem heutigen skandalösen Vorfall Euch meiden müßt wie die Pest, sonst macht wahrhaftig einer den anderen unmöglich.« Die Augen in denen Mangolfs. Aber Mangolf widersprach nicht.

Nach der Pause fragte er nochmals: »Ist er fort?« Terra bejahte mit Handbewegung. Gleich weiter Auge in Auge: »Der Mensch ist als Verlegenheit zur Welt gekommen. Er hat noch jede Situation in der raffiniertesten Weise mißverstanden. Unsereiner wendet so viel Blick und Schonung für menschliche Taten auf, damit zuletzt ein begeisterter Lümmel den Dolch zückt.«

»Ausgerechnet den Dolch, eine Lächerlichkeit«, murmelte Mangolf – aber er ward bleich und bleicher, der Blick Terras brannte. »Die Lächerlichkeit wäre zu tragen, wenn sie vollendet wäre«, sagte Terra, finster wie der Tod. Er zeigte, daß er den Dolch in der Brusttasche verwahre. »Auch würde Lea dann nicht mehr von den Zufällen Deiner Karriere abhängen.« Knirschend.

Mangolf stieß die Hand vor – aber faßte sich schnell. »Wenn nicht Du es wärest«, warf er hin und lachte gewinnend. »Ich rechne auf Deine Freundschaft mehr als je. Man darf nichts erfahren, die Zeitungen dürfen höchstens Falsches bringen.« Er ergriff den Freund mit beiden Händen vorn am Rock, eine ganz ungewohnte Geste. »Denke daran, daß ich dank meiner Heirat der Nächste bin, der Unterstaatssekretär wird!«

Terra, entwaffnet, behielt den Mund offen. »Bravo«, sagte er dann. Beide atmeten auf, sie lösten sich von einander.

»Aber rette mich!« wiederholte Mangolf noch. Die Tür, die sie deckte, ward geschlossen. Der Reichskanzler sah Terra und nahm ihn bei Seite. Sein Gesicht, noch gnädig strahlend, solange er die Tür schloß, ward unvermittelt beleidigt und tief verärgert. »Dazu komme ich her«, äußerte er, im Ton einer Dame, die die gewohnte Rücksicht vermißt.

»Eine äußerst peinliche Rücksichtslosigkeit gegen Eure Exzellenz«, sagte Terra demgemäß.

»Ein anderer als ich mit meinem bekannten Wohlwollen, begibt sich eines Nachgeordneten wegen nicht erst in die Lage«, grollte Lannas noch, mit einem gehässigen Seitenblick nach Mangolf, der sich abwesend stellte. Der Reichskanzler drehte ihm schroff den Rücken, da bewegte Mangolf inständig die Lippen, es hieß nochmals: »Rette mich!« Terra tat es.

»Darf ich Eurer Exzellenz in Kürze meinen allergehorsamsten Bericht erstatten. Der Attentäter ist unter meinen Augen in einer Droschke abgefahren.«

»Ohne Zuhilfenahme der Polizei hoffentlich?«

»Niemand wurde bemüht. Der Attentäter verschwindet glatt, ich bürge dafür Eurer Exzellenz mit meiner Person.«

»Danke, Herr Rechtsanwalt. Dann bin ich über den Punkt beruhigt. Ich kenne Sie.«

»Der andere Punkt!« sagte Terra, ohne sich bitten zu lassen. »Mehreren Berichterstattern habe ich den Fall schon in der harmlosesten Weise erklärt.«

»Sie sind mein Freund«, schloß Lannas aus beinahe unüberlegtem Antrieb. »Warum sieht man gerade seine Freunde nie? Schon einmal wollte ich mich mündlich bei Ihnen bedanken, und Sie kamen nicht. Nach Ihrer heutigen Leistung müßte ich Ihr Fortbleiben als unfreundlichen Akt deuten.«

Indes Terra sich tief verneigte: »Ich glaube, ich habe etwas für Sie.«

Er hatte seine Grübchen zurück. So führte er persönlich die frisch gestärkte junge Frau dem Gatten wieder zu, ja, Lannas klopfte Mangolf ermutigend auf den Arm.

Die Trauung ging günstig vorüber, das Frühstück im Hotel nahm den glänzendsten Anlauf; da verließ Terra es.

Er verbrachte den Tag mit den ihm bekannten Berichterstattern und trug Sorge, jedem einen anderen Hergang zu erzählen. Er erfuhr, was umging und bog die Gerüchte vor allem derart zurecht, daß keines hinwies auf Lea. Seine letzte Fassung war, ein Zahnarzt in mittleren Jahren, vor längerer Zeit dem Irrsinn verfallen infolge Untreue seiner Braut, erblickte seither krankhafterweise unter jedem Brautschleier seine Gewesene. Zufällig gerade heute sei er aus der Anstalt entwichen. Daher, kurz vor der kirchlichen Trauung eines Herrn vom Auswärtigen Amt, die unbedeutende Störung, die nur wenige bemerkt hatten.

Am Abend aber saß Terra im Theater und Lea spielte. Ihr altes Erfolgstück war nach einer Pause wieder angesetzt; sie sollte wieder jubeln: »Ihr glaubt doch nicht, es ginge ohne mich?« – »Wie wird sie jubeln?« fragte drunten der Bruder.

Das elegante Dirnenstück entwickelte sich wie gewöhnlich, frivol und etwas melancholisch war der Auftakt, und sogleich hatte die Heldin ihren stürmischen Abschied von dem Liebhaber Nummer eins. Er hatte sie geliebt, gequält, betrogen und wieder von vorn. Sie hatte gelitten, sich gerächt, ihn zurückgeholt und nochmals abgestoßen. Nun war es zu Ende. Sie blieb allein, zerbrochen, verzweifelt, mit Bitternis getränkt bis in den Tod. Schritte. Sie wollte fort, ihr winkte nur der Tod.

Statt seiner erschien der Liebhaber zwei, ein sanfter, junger Kavalier, der sie zu lieben gedachte. Er kam mit Seelentiefen und suchte etwas besonderes an diesem Treffpunkt der Lebewelt. Nach einigen begreiflichen Nieten fand er es nun. Sie war immerhin bereit, noch ein wenig sich aufhalten zu lassen vor ihrem letzten Gang: bereit aus Müdigkeit und weil es eins war, so sah der Bruder. Das Stück begann sich zu verändern.

Wie begegnete sie denn heute seiner Werbung, das abgebrühte, aber schwerelose Geschöpf? Am Rande des Diwans sagte er ihr, indes hinten die Kameraden soupierten, seine besonderen Wünsche, und sie lag. Geschwungene Linie, lang und schmal im buntschimmernden Futteral der Robe, leicht erhöht die Knie, den Kopf über das Polster gesenkt, sie war ganz Liegen, das ungenützte Daliegen. Die nackte Schulter glänzte ins Leere, vergebens hing der nackte starke Arm herab. Warum nicht? Sie konnte durchaus eingehen auf die Marotte des Herrn, der Treue suchte und Sanftmut versprach.

Entschluß, sie küßte. Das allzu goldene Lockengebäude an ihrem rückwärts gesenkten Kopf ward erschüttert, die Reiherfedern wippten, zu seinen Lippen hob sie das Gesicht. Allzu weiß, mit groben Bühnenzügen und dem schwarzen Strich der geschlossenen Wimpern, malte es den Kuß. Diese Lippen wollten Verlobung vortäuschen? Versprechungen des Lebens küssen? Eine Totenmaske sog sich wild an, knapp vor dem Sterben.

Feiern den Eintritt in die neue Liebe! Dahinten brachen sie auf. Vom Diwan geschnellt, – und der große bewegte Körper wollte mit vorangestreckten Armen über alle fortfliegen, die Zuversicht selbst. »Ihr glaubt doch nicht, es ginge ohne mich?« Es gellte, und der Vorhang fiel.

Dies, das Jauchzen, das man kannte? Es hatte gegellt; lag die große Frau jetzt nicht, zusammengebrochen und allein gelassen, über dem verwüsteten Tisch, dort hinter dem Vorhang? Er ging wieder hinauf, sie und ihr Mitspieler verneigten sich. Da zuckte sie heftig zusammen; wem war ihr Blick, der die Runde machte, in jener Loge begegnet? Der Bruder sah hin, die Loge war leer. Er auf seinem Parkettplatz sprach zu ihr durch den Vorhang. »Nun, nun, mein Kind, wir sind älter geworden, das ist das Ganze. Wie lange spielen wir schon Komödie? Acht Jahre, – so vergeht die Zeit. Jetzt kommt erst das Beste, Du wirst Dein blaues Wunder sehen. Bestehe um Gotteswillen nur die diesjährige Prüfung, verehrte Künstlerin!«

Das Stück verschob sich weiter. Sie spielte Glück. Niemand hatte sie so glücklich gesehen wie heute Abend, mit dem Liebhaber zwei. Er hatte das beste Leben, nur sie selbst war ihrer Sache nicht sicher. Auch dies konnte enden, so aufreibend schrecklich wie das Vorige, – wenn sie auch hier wieder liebte. Sie fürchtete, zu lieben und dann verlassen zu werden. Sie eilte, daß sie ihm zuvorkomme: nur darum betrog sie ihn, mit dem Liebhaber eins – und ließ sich erwischen. Die Szene. Zwei merkt erst jetzt, er liebe sie, und hat seinen Ausbruch. Eins hat ihm Genugtuung angeboten und ist gegangen. Sie selbst besteht darauf, sie liebe noch immer jenen, nie habe sie diesen geliebt; wird kalt und stumm. Dieser glaubt ihr nicht, zu gut weiß er das Gegenteil, weiß es durch sich selbst. Für ihn ward es ernst, auch sie soll endlich gestehen.

So gesteht sie denn; nein, sie liebt keinen: auch den nicht, mit dem sie ihn zielbewußt betrogen hat. Auch der hat nur wissen sollen, daß sie nun kalt sei – nun kalt sei und bleibe! »Der Eine kann mich zu haben glauben, der Zweite, sogar ein Dritter: wer aber hat mich noch? Das war einmal!« schwört sie. Schaudert es ihn? Es ergreift ihn, er möchte verzeihen. »Damit Du mich später um so sicherer davonjagst? Später, wenn ich wehrlos bin.« Da er leugnet: »Doch. Der, den ich liebe, jagt mich davon.«

Wo ist das glatte Stück der schwachen Gefühle hin? Frech und schrankenlos agiert sie vor dem Menschen, hat die Selbstachtung abgetan, möchte nacktes Grauen sein: alles, damit es ihr erspart bleibe, noch einmal leiden zu müssen. Er will ihr nichts ersparen, sie entreißt sich ihm, flieht nach hinten und steht, wie gefangen, in einem Vorhang.

Dort nun zeigt sie, wie man leidet: was sie schon erlitten hat, was sie noch erleiden würde – zeigt, was je Leiden war. Ihre schlaffen Arme tasten aufwärts, um zu flehen, aber was hilft Flehen, sie sinken wieder. Das Gesicht sieht niemanden, einsam plant es, verzückt. Die ganze Frau aber, dieser kostbare Körper im reichen Kleid, wird arm, wird offen jedem Blick, ja, durchscheinend, ihr seht die Flamme. Ihr hört nicht hin, welche Sätze sie klagt, seht nur in ihr die Flamme zehren: zehren und sie durchleuchten.

»Alle Wetter«, sagte der Bruder. »Es geht vorwärts.« Er stellte fest: »Wir haben unsere beste Zeit und sind samt und sonders im Aufstieg, ich komme von einer Hochzeit. Dieser Aufstieg hier aber ist bestimmt der solideste. Auf diesen kann man sich verlassen, wie auf den Schmerz.«

Die Schauspielerin inzwischen bereitete ihren Abgang vor. Der Mann war fertig, sie hatte ihn endlich niedergerungen. Er saß, war ganz krank von ungewohntem Erleben und wünschte sie innerlich zu allen Teufeln. Sie aber hatte Hoheit bekommen; Abschied in Hoheit und müden Nachwehen ihrer großen Szene. Ein letzter Händedruck? Er schlug ihn aus, rückte verwundet die Schultern. Da hatte sie, über ihn fort, ein Nicken, eine Wendung: »Dann nicht.« All ihr Wissen in dem Nicken, das ganze Ende in der Wendung. Sie hatte nicht glaubwürdig gejauchzt heute, aber ihr stummes »Dann nicht« war restlos gekommen.

Geklatscht ward mit vereinzelter Heftigkeit, im Ganzen aber mäßig. Diesen letzten Enthüllungen widerstrebte der gesunde Sinn. Was für das Herz war, schien vorüber, der erste Akt hatte beinahe im Bordell gespielt. Die Damen fühlten sich tief getroffen von den Toiletten der Heldin.

Wie Terra aufstand, fand er sich neben Erwin Lannas. »Auch ich bin hergekommen«, erklärte der Spaziergänger; er hatte dabei ganz ungewohnte, starre und aufgerissene Augen. Der Bruder hielt selbst, solange sie sich ansahen, die Lider mit Anstrengung fest, um nur keine der Tränen, die noch kamen, zu zerdrücken. Aus Befangenheit und weil Terra schwieg, sprach Erwin.

»Ich saß bei dem Hochzeitsfrühstück und sah Sie fortgehen. Dann ward auch ich hinausgerufen. Ein Bekannter von der Presse wollte die Wahrheit über das Attentat wissen. Was ich wußte, hatte ich erraten und sagte es ihm nicht. Er behauptete selbst eine Menge Unsinn. So gingen wir durch mehrere Cafés.«

»Glauben Sie nicht, wir sollten dorthin zurückkehren? Das Stück spielt weiter, für uns aber fehlt, glaube ich, nichts mehr.«

»Nein. Noch schöner kann sie nicht werden.« Erwin Lannas schloß einfach: »Ich liebe sie.«

Mangolf aber verließ seine heimliche Loge, er ließ sich die Tür zur Bühne öffnen.

Die ganze Zeit nach dem Bruch mit Lea hatte er sie beobachten lassen, ob sie an Selbstmord denke. Eine Detektivin, die ihre Aufwärterin zu vertreten vorgab, hatte die ganze Wohnung nach Gift durchsucht. Sie fand keines, – was ihn nicht beruhigte. Dann trug sie es am Körper! Bei der ersten Begegnung mit ihm konnte sie es nehmen, auf offener Straße oder, wer weiß, an seinem Hochzeitstage. Er wagte sich öffentlich nicht mehr zu zeigen; es war ihr geglückt, sie hielt ihn unter ihrer Drohung. In diesen Wochen haßte er sie – und hatte sie nie so heftig begehrt. Er mußte sich befreien, und sei es mit Gewalt. Er sann auf ein Mittel, sie aus Berlin polizeilich zu entfernen; mochte sie weit fort in aller Stille ihre Drohung wahrmachen. Nein! Davor sei Gott! Und Reue, Sehnsucht, Angst trieben ihn vor ihr Haus. Sie aber stand droben. Sie sah durch den Vorhang hinunter, den Schatten durchspähend, in den er sich drückte, Augen suchend, die sie nur ahnte, nicht fand, – wie er die ihren nicht.

An seinem Hochzeitstag blieb sie zu Hause, keine Seele ließ sie ein, seine Spionin hinterbrachte es ihm. Die Entscheidung! Sie fiel. Nun war sie gefallen, tot und entstellt bedeckte seine Geliebte das Lager, das sie beide und ihre Freuden getragen hatte! »Ist sie tot?« – die ungesprochene Frage Mangolfs an ihren Bruder. Der Mordversuch jenes Kurschmied zeugte, in allen Schrecken, doch auch die bange Hoffnung, hiermit sei die Rächerin nun abgefunden, sie werde von ihm ablassen, ihre eigene Vernichtung ihm nun ersparen. Aber sobald er sich selbst in Sicherheit fühlte, gleich an der Hochzeitstafel, halten Furcht und Leidenschaft ihn wieder. Er erfand Vorwände, um die Abreise mit seiner Neuvermählten bis Abends zu verzögern, und am Abend rief der von ihm bestellte Bote ihn dringend ins Amt. Er eilte ins Theater, er stahl sich in die Loge.

Mein Gott, welche Frau! Solche Schönheit in Selbstaufgabe! So viel Reiz gerade beim Untergang! Er faßte ihren Verlust nicht, Mangolf kannte zum erstenmal im Leben sich selbst nicht mehr. Er sagte sich wohl, was sogar ihr Bruder gesagt hatte: »Ihr müßt Euch meiden wie die Pest!« Ja, Mangels begriff alle Folgen seiner Schwäche. Die zum zweitenmal verlassene Knack schnitt seine Laufbahn ab, er war nicht Tolleben. Dennoch, die äußersten Vorgänge des zweiten Aktes erlaubten keine Gegenwehr. Die selige Selbstzerfleischung jenes Herzens befreite den Ungetreuen von jedem Zweifel. Glanz des Leidens, das es völlig durchleuchtete, gab ihm auf einmal Kraft für das Opfer, das er bei ihrem Glückesglänzen nie auch nur erwogen hatte. Er gehörte ihr, sie ihm.

So stand er auf, tiefernst, und ging zu ihr.

Sie hatte ihre Garderobe gerade betreten, sie hielt den Stuhl in der Hand, um erschöpft darauf hinzusinken. Als er dastand, wartete sie. Ihr Gesicht zeigte Genugtuung und Müdigkeit. Sie hörte:

»Ich komme Dir zu sagen Lea, daß ich unwiderruflich entschlossen bin, mich von meiner Frau, die ich niemals wiedersehen werde, scheiden zu lassen und Dich zu heiraten.«

Da erst setzte sie sich. Aber es blieben sowohl Genugtuung wie Müdigkeit. »Bist Du so weit, Lieber?« sagte sie sanft. »Ja, ich war gut heute Abend. Es ist nett von Dir, daß Du mich angesehn hast. Was das Andere betrifft –« Schmerzlich, aber nicht zu sehr: »Das ist nun weg. Ich habe es weggespielt heute Abend. Es war nicht leicht; Du darfst es nicht noch einmal verlangen.« Zuletzt mit Strenge und auch mit Klagen. Sie stand auf, sie zog sich nach der Wand zurück. »Noch einmal würde ich vielleicht nicht durchkommen, Lieber. Und könnte es denn ausbleiben, daß Du mich doch noch verläßt? Ich weiß etwas Besseres, seit heute Abend weiß ich, daß es das Bessere ist. Du behältst Deine Frau, sie wird mein bester Schutz sein, Du wirst mir nicht mehr untreu werden.«

Eine Sekunde der Starrheit, dann stürzte er sich über ihre Hand, tief über ihrer Hand verharrte er in Zerknirschung und in Dank – Dank für Rettung aus höchster Gefahr. Sie aber berührte seinen Scheitel voll Mitleid, ungesehene Tränen ließ sie auf ihn fallen, vergeblicher Trost für so viel dargebrachte Selbstachtung und einen so großen Verzicht.


 << zurück weiter >>