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III.
Einer, der das könnte

Wie sie durch das Rauchzimmer gingen, saßen an dem grün bedeckten Tisch vor großen Papieren der alte Panier und von Eisenmann. Panier holte beim Anblick eines weiblichen Wesens seine Gichtbeine unter dem grünen Teppich heraus und stützte sich empor. Auf seiner gekrümmten Hand war ein dicker Knoten. Er stand endlich aufgerichtet, kurz, beleibt, ohne Hals, wüste violette Röte über dem gewellten weißen Bart, funkelnde Brillen unter schwarzen struppigen Brauen und ehrsames Greisenhaar auf der Stirn voll heftiger dummer Laster. Er wartete schmunzelnd, ob man ihn vorstellte:

»Panier«, sagte er schließlich selbst mit einem Kratzfuß.

Ute wollte weiter, aber er rief:

»Herrjeses, das is ja woll – Sind Sie nicht Fräulein Ende? ... Is die auch schon 'ne Dame! Nöh, nu dürfen Sie man nich gleich weglaufen. Wir müssen Sie uns doch erst 'n bischen besehn. Was machen Sie denn, Fräulein Ute, Sie sollen ja jetzt beim Theater sein – oder Sie lernen dafür.«

»Ja, ich lerne dafür«, sagte Ute, und all ihr Fleisch war in Angst. Die gefräßigen schwarzen Augen des Alten zogen ihr die Röcke stramm über den Schenkeln und öffneten ihr die Knöpfe vor der Brust.

»Is doch die Möglichkeit«, äußerte er. »Was aus den kleinen Mädchen wird. Daß wir Sie nicht gesehn haben, das is ja woll seit Anno – drei, vier Jahr is es ja woll. Na, und voriges Jahr sind wir doch auch 'n bischen nach München gekommen. Da haben wir aber gar nie das Vergnügen gehabt.«

»Haben Sie's nun nachgeholt?« fragte Ute und ließ ihn stehen.

Von Eisenmann blieb hinter seinen Papieren herrisch zurückgelehnt, einen Arm über den Tisch geschoben, den andern auf der Hüfte. Er war mager, gelblich und herausfordernd. Seine Stirn erhob sich schmal und entblößt, der schwarze Schnurrbart zottelte stürmisch über seinen blassen jähzornigen Lippen. Er fragte Claude mit Strenge, wo er gewesen sei. Claude erklärte dem Freunde seiner Mutter nachlässig, daß er Fräulein Ende zur Stunde begleitet habe.

»An einem Tage wie heute ist das ein Fehler«, behauptete von Eisenmann. »Ihre Frau Mutter hat nach Ihnen gefragt.«

»Dann wird sie es mir selbst sagen«, meinte Claude schonend. Er schämte sich vor von Eisenmann, der die Geschmacklosigkeit beging, ihn zu hofmeistern. Es ihm zu sagen, wäre auch wieder geschmacklos gewesen. Der Mensch mußte doch selbst fühlen, daß er sich falsch benahm. Aber von Eisenmann hielt Claudes Milde für Herausforderung.

»Ich spreche als Freund Ihrer Mutter!« rief er erhobenen Hauptes. »Ich genieße das Vertrauen Ihrer Mutter.«

»Ich weiß«, machte Claude zerstreut. Der Mensch genoß doch noch mehr. Wollte er ihm denn weismachen, er habe kein Verhältnis mit seiner Mutter. Wie konnte jemand so taktlos sein.

»Sie werden künftig von Ihrer Mutter abhängen, und die Interessen Ihrer Mutter vertrete ich! ... Sie werden also guttun, sich mit mir besser zu stellen als bisher.«

Panier griff ein.

»Laß ihn man, Claude. Er ist nicht halb so wild, wie er tut. Und wir sind auch noch da, mein Jung. Immer 's Panier hoch! Wir sind doch der engste Geschäftsfreund von deinem seligen Vater. Wir lassen dich nicht darben, dazu haben wir zuviel Pietät. Will er dir mal nichts geben, dann komm du man zu uns, und fertig is die Kiste.«

»Danke«, sagte Claude. »Es wird sich schon machen.«

Aber von Eisenmanns Augen loderten in noch böserem Blau aus völlig schwarzen Winkeln. Er sprang sogar auf, vergaß alle Hoheit, hatte Speichel im Mundwinkel. Claude versagte es sich, sichtbar die Achseln zu heben. Er dachte: ›Das Individuum ist, was Matthacker eine Sauerstoffnatur nennt. Er verbrennt enorm viel, verschlingt Massen Fleisch, ohne stärker zu werden, regt sich fortwährend auf, bespuckt die ganze Welt von einem furchtbar hohen Posten, und weiß selber nicht, wie er da hinaufkommt.‹

»Ich wiederhole Ihnen ...«, sagte von Eisenmann und fauchte ein paarmal. Inzwischen erhob sich draußen Frau Marehns Stimme, und von Eisenmann mäßigte sich.

»Sie werden selbst zugeben, daß es ein Fehler war, heute an Frivolitäten zu denken.«

Claude betrachtete ihn mit Teilnahme. Aber aus dem gelben Salon kehrte Ute eilig zurück.

»Sie reden von meiner Arbeit als von etwas Frivolem? Herr von Eisenmann, das ist ein Fehler von Ihnen

Und in ihrer Haltung und ihrer Stimme waren viel steilere Anmaßungen als in seiner.

»Nu süh mal«, sagte Panier.

»Mein Fräulein, das sind Gesichtspunkte«, erklärte schneidend von Eisenmann.

»Allerdings. Man muß die äußerliche Vorschriftsmäßigkeit entbehren können, ohne damit gleich alles zu verlieren«, meinte Claude sehr stramm.

»Nu süh mal«, sagte Panier. » Jetzt kann er sich wehren, wo die Dame dabei ist. Tjatja, die Damen.«

Claude sagte noch etwas, er redete sogar mit von Eisenmann gleichzeitig und ohne ihn zu hören. Ute stand geringschätzig dabei. Panier sagte ihr:

»Eisenmann ist auch 'n Kunde, von dem darf man sich bloß nicht imponieren lassen, sonst holt einen der Teufel. Na wir – uns soll er mal kommen. Uns könnt der Kaiser von China kommen. Nöh ... Und dann, warum soll Claude sich woll nicht mit 'ner Dame vom Theater abgeben, weil sein Vater gestorben ist. Er war weiß Gott unser Freund, aber wenn wir deswegen nicht ins Theater gehen sollen – mit solchen Duckmäusereien arbeitet man bloß wieder für die Pfaffen. Nöh, dazu sind wir nicht zu haben.«

Er kam händereibend näher. Ute rettete sich von einem Stuhl zum andern. Schließlich blieb sie stehen und maß wütend den Alten.

»Und wenn Sie erst auftreten, Fräulein Ute«, sagte Panier, »denn kann sterben wer will, wir gehn doch hin. Sogar wenn wir selbst schon tot und begraben sind.«

»Sie sind ja noch ziemlich rüstig.«

»Machen Sie sich man lustig. Wer woll zuletzt lacht. Wissen Sie, auf lange leben kommt es überhaupt nicht an; aber auf viel leben.«

»Was nennen denn Sie leben?« fragte sie und suchte mit kalter Neugier hinter seinen Brillengläsern.

Er zuckte mit dem Kopf nach Claude hinüber.

»Wir sind immer noch besser als mancher Junge!« behauptete er und erklärte:

»Wer weiß. In Düren haben sie 'n feines Theater. Und wir sind da einer von denen, die die Sache machen, Fräulein Ute.«

»Düren? Wie groß ist das eigentlich?« fragte sie sofort, ganz bei der Sache.

Da trat Frau Marehn ein, entsetzt über die erhobenen Stimmen.

»Herr von Eisenmann, ich bitte Sie ... Claude, dein Vater liegt eben erst im Sarge.«

Claude wunderte sich selbst.

»Oh, Ute!« rief Frau Marehn halblaut. »Und niemand sagt mir, daß du da bist.«

Sie umarmte Ute, die stillhielt und etwas murmelte, das höflich klang.

»Du durftest in dieser schweren Stunde nicht fehlen. Ich danke dir, daß du kommst. Es ist manches zwischen uns getreten, du weißt, ich kann deine Entschlüsse nicht alle billigen, liebe Ute.«

»Das verlang ich auch gar nicht, liebe Melanie«, sagte Ute trostreich. Sie strebte sichtlich nach Bescheidenheit, aber ohne rechten Erfolg. Frau Marehn warf sich trotzdem an ihre Brust:

»Und, o Gott, wir waren doch Freundinnen!«

Sie blieb ein wenig liegen, und auf Utes kalten Reizen sahen alle Melanies Schönheit noch wärmer blühen. Ihr Kornblond war noch reifer, noch voller von Verstecken der Liebe, neben der harten Pracht von Utes roten Flechten. Ihre Hand war noch reicher an Grübchen. Sie sah noch enger geschnürt aus, mit noch stärkeren Hüften und noch runderer Brust. Die Füße unter ihrem schweren Körper waren noch kleiner. Der magere von Eisenmann betrachtete sie von oben. Panier durchwühlte sie mit den Augen wie jede Frau. Claude sah zu, lehnte es ab, sich unbehaglich zu fühlen, und sagte sich, es gebe keinen vernünftigen Grund, seiner Mutter ihre Jugend nicht zu gönnen.

Frau Marehn flüsterte davon, wie schwer für eine Frau das Alleinstehen sei, und sie seufzte, aber aus keiner großen Tiefe. Sie richtete sich auf.

»O Gott, wie bist du gut angezogen! ... Ja, das ist der Vorteil, wenn man immer Schwarz trägt. Stirbt dann einer, so macht es nichts. Ich war bei Schultze und bei Schober, aber natürlich nichts Passendes. Sie ändern es bis morgen – wenn Sie's tun.«

Jetzt seufzte sie tief.

»Wollen wir zu ihm gehn?«

Alle gingen mit, gelangweilt, auf peinliche Augenblicke gefaßt, aber dazu entschlossen. Die Witwe fühlte sich einer lästigen Bekanntschaft wieder einmal zu einem Besuch verpflichtet.

Der Tote lag hinter dem gelben Salon, in dem Zimmer mit Frau Marehns Bildnis von Stuck, und mit dem Kopf gerade unter diesem Bildnis. Die Frau in ihrer geistlosen Genußsucht hatte von jeher hinweggesehen über den Mann und seine strengen Zahlen. Nun sah ihr üppiges Bild hinweg über seine erkaltete Maske.

Frau Marehn betete, Ute erregte durch ihre Haltung die Meinung, sie tue es auch. Claude schaute ihr zu. Panier und von Eisenmann bekamen achtungsvolle Gesichter; sie empfanden: ›Hier ist nichts zu machen. Wenn einer noch soviel Geld zahlen wollte, tot bleibt tot.‹

In die anstrengende Stille trat Bella, wieder ganz außer Fassung, weil sie Trauer äußern mußte. Sie gab der Witwe ihre weiche Hand, eine Schulter hochgezogen, mit einer Miene, als sei ihr Gewissen schlecht. Ihre Blumen ließ sie ganz hastig und verstohlen zu den andern gleiten, und sie beugte ihr schönes, dickes Gesicht über den Toten in seinem Sarg wie über die Wiege eines Neugeborenen, das sie zu bewundern hatte.

Dann ging man wieder in den gelben Salon, schob sorgfältig die Kulissentür zusammen und trank Portwein. Panier nahm ein zweites Glas, er bewog ohne Mühe auch Bella dazu. Er bemächtigte sich ihrer ganz, drängte sie in die Ecke am Kamin.

»Donner, das haben wir ja noch gar nicht gewußt, daß Fräulein Ute so 'ne schöne Freundin hat. Wie geht das zu. Wo haben Sie den Teint her, Fräulein?«

»Ich weiß nicht. Ganz von selbst«, sagte sie freundlich.

»Sie wollen doch sicher auch aufs Theater, wie?« fragte er und betrachtete ihren großen Hut.

»Na, wenn wir Ihnen nützen können, wir sind nämlich im Theaterverein, zu Haus in Düren.«

»Ich singe aber. Paßt Ihnen das?«

»Das soll uns woll passen. Wir singen ja selber. Nöh, ganz fertig sind wir noch lange nicht, Fräulein Bella. Wir können noch sehr vergnügt sein.«

Er räusperte sich, begann hinten im Schlunde an der Bildung eines Tones zu arbeiten; da fiel ihm der Tote ein, und er gab es auf. Er überzeugte sich, daß Claude und Ute beschäftigt waren.

»Sie sind doch ganz was anderes, Fräulein Bella«, raunte er. »Was 'ne richtige Dame sein soll.«

Und seine Hand mit dem Gichtknoten tastete auf ihrem weiten Gewande nach der Hüfte.

»Das müssen Sie nicht tun«, sagte Bella sanft und wohlmeinend, ohne sich ihm zu entziehen.

Frau Marehn erschien in der Tür des Rauchzimmers.

»Herr Panier! Unser Kassier Herr Ringsum ist da. Herr von Eisenmann spricht mit ihm.«

»Is jut«, sagte Panier.

»Kommen Sie, Ringsum gibt uns Aufklärungen.«

»Gleich. Ein Moment, Frau Melanie. Ringsum kann warten. Erst kommen die Damen. Die Damen gehen immer vor. Was, Claude? Das Beste hier auf Erden und unterm Sternenzelt, das Beste sind die Damen auf dieser Tränenwelt.«

»Nun muß ich wirklich gehn«, erklärte Bella. »Papa wird sonst bös, er will mich beim Essen immer sehn.«

»Das können wir woll begreifen. Ihr Papa weiß Bescheid, dem soll es woll schmecken. Was ist denn Ihr Papa, Fräulein Bella?«

»Papa ist Direktor an der Ortererschen Brotfabrik.«

»Denn heißt er Walgauer? Nu süh mal. Orterersche Brotfabrik, da liefern wir ja die Kohlen für. Nu müssen wir doch mal Ihrem Herrn Vater unsern Besuch machen.«

»Ach ja, bitte«, sagte Bella.

»Siehst du woll, Claude, was 'n richtiger Kavalier ist, das merken die Damen gleich. Was, Fräulein Bella?«

»Ja, wirklich, Herr Panier.«

»Immer 's Panier hoch!«

Er ging hinaus, kurzbeinig, mit mißtrauischen Blicken auf seine Füße in ihren gewölbten Schuhen.

Ute rang die Hände mit zerstörten Mienen.

»Wenn man so 'nen Menschen sieht, kann einem die Lust zur Arbeit vergehn. Auf diesen Mangel an Geschmack soll man wirken. Das sitzt im Parkett. Na – auch gut.«

Bella sagte erstaunt:

»Ich finde ihn sehr nett für einen alten Herrn.«

»Du sagst das, als ob du ihn heiraten könntest.«

»Warum nicht? Er ist doch ein appetitlicher Greis.«

Claude meinte:

»Wir kriegen bald was anderes zu essen.«

»Du bleibst, Bella«, sagte Ute. Bella lehnte ab, sanft und wichtig:

»O Gott, nein, was meinst du, ich könnte nicht essen, wo nebenan eine Leiche liegt. Was ißt man da alles mit, Miasmen oder so was. Sie verzeihn schon, Herr Claude.«

»Bitte schön«, sagte Claude.

Und Bella stahl sich davon.

Nebenan redete die dumpfe Stimme des Kassiers Ringsum.

»Dann ist ja Herr Marehn in einem geschäftlich sehr günstigen Augenblick gestorben«, so stellte von Eisenmann fest, mit Anerkennung für den Toten. Panier hoffte, daß er also die 500 000 Mark des alten Marehn jetzt nicht aus seinem Geschäft herauszuziehen brauche.

»Wir würden sein Geld gern noch behalten«, erklärte er, »aus Pietät gegen unsern alten Freund.«

Und er entfaltete klatschend ein großes Taschentuch.

Claude schloß angewidert die Tür. Er blieb mit Ute allein zwischen zwei geschlossenen Türen. Hinter der einen lag sein Vater; hinter der anderen veranschlagte man seines Vaters Nachlaß. Claude lehnte sich gegen den Tisch, um Utes Haarknoten vor Augen zu haben. Ihr Haarknoten richtete sich hoch gegen die gelbe Seide an der Wand; sein Kupfer wütete auf ihr. Der blaßgrün lackierte Lehnstuhl ohne Polster spannte herb seine dünnen Arme um ihre engen Hüften. Ihre Schenkel standen lang über den schmalen Sitz hinaus, kühn umfaltet vom Kleide. Sie waren das stärkste an ihr, und Claude begehrte am heftigsten sie. Auf ihrer schwarzseidenen Bluse war ein wenig Silberstickerei, ein Zweig mit Blättern, an der linken Achsel. Sie wendete sie Claude zu; die Seide schillerte dunkel bei ihrer Bewegung auf der noch mageren Schulter. ›Es ist recht, daß sie sich dunkel kleidet‹, dachte Claude. ›Ihr metallenes Haar würde alle Farben töten.‹ Er sah, ohne es zu wissen, so sehr verstörte sie ihn, in ihr starkes, ruhiges Gesicht, das sie ihm hinhielt. Plötzlich zuckte er zusammen; sie hatte gefragt:

»Seit wann liebst du mich eigentlich?«

»Wie kommst du darauf?« murmelte er.

»Ja warum. Weil heut so vieles vorfällt.«

Ihre Schulter zuckte nach dem Zimmer des Toten.

»Man erinnert sich. Also seit wann.«

»Du weißt es doch. Seit du da bist.«

»Komisch. Mir sind seitdem eine Menge anderer Sachen dazwischengekommen. Dir natürlich auch.«

»Mir nie. Ach – wie kannst du ahnen, was du für mich geworden bist. Ich weiß ja, man ist allein. Hast du schon mal nachgedacht, was mein Leben war, bevor ich dich kannte?«

»Nein«, sagte sie, überrascht davon, daß man ihr zumutete, sich mit etwas anderem zu beschäftigen als mit sich selbst. Und neugierig verlangte sie:

»Sag es mal.«

»Ja, das zu sagen –«, meinte er zweifelnd und tat zwei Schritte.

»Meine Mutter kennst du und kannst dir denken, was ich ihr bin. Sie ist ja selber nur ein dickes Schulkind, liebt ihre Kinder nur solange sie klein wie Puppen sind, weint ewig meinem Schwesterchen nach, das als Baby gestorben ist, und findet mich lästig, weil ich sie älter mache, als sie sich fühlt. Sie hat immer nur darauf gesonnen, Unfug zu treiben hinter dem Rücken des Schulmeisters.«

Er deutete mit dem Kopf dorthin, wo sein Vater lag.

»Sie nippte unaufhörlich am Ehebruch, ich wußte das schon als Junge. Ob sie einmal einen stärkeren Zug getan hatte, war mir unbekannt und gleichgültig. Die Frau interessierte mich zuwenig. Was das alles für angelernte Redensarten sind von der Schande der Mutter, unter der der Sohn durchaus zusammenbrechen muß. Fällt mir nicht ein, zusammenzubrechen.«

»Das ist fein«, erklärte Ute. »Du gefällst mir.«

»Wie gesagt, wenn sie mich je liebgehabt hätte. Aber wir kennen einander so wenig, daß wirklich wenig darauf ankommt, womit jeder von uns sich unterhält. Zum Beispiel der Rennonkel nebenan –«

»Was soll dir der machen«, sagte Ute, von Herzen einverstanden.

»Manchmal brauchte sie für ihre kleinen eiteln Sinnlichkeiten einen Vertrauten. Sie hielt es nicht aus, sie mußte es einmal herausjauchzen, was sie in der Stille angestiftet hatte, das Schulmädel. Dann rief sie mich, ihren Sohn, in ihr Toilettezimmer und sagte zum Beispiel: ›Papa ist so schrecklich bös auf den Leutnant von Trutzhelm, und er hat mir doch bloß beim Tanzen den Arm geküßt.‹«

»Unappetitlich«, sagte Ute mit einer Grimasse. »Er hat sicher geschwitzt.«

»Wer? Der Arm oder der Leutnant?«

»Beide.«

Sie lachten.

»Dann hat die arme Frau sich in dich verliebt, Ute. Da kam sie an die Rechte.«

»Bitte sehr. Ich konnte ihr nützen, das war alles. Gleich als sie mich mit dem jungen Ende im Englischen Garten traf, verglich sie ihr Haar mit meinem, ich habe es sehr wohl gemerkt. Na, und weil es stimmte, bin ich zu euch ins Haus gekommen.«

»Jaja, du stehst ihr famos.«

Sie lachten wieder. Die Tür ward auseinandergeschoben, Frau Marehn sagte vorwurfsvoll:

»Ihr lacht schon zweimal. Worüber lacht ihr eigentlich?«

»Über jemand, den du nicht kennst, Mama.«

»Es ist doch heute nicht passend zu lachen. Claude, Herr von Eisenmann ist wirklich unzufrieden mit dir.«

Frau Marehn zog sich zurück.

»Kannst du die Unzufriedenheit ertragen, Claude?« fragte Ute. Er faltete die Hände.

»Kann man so naiv sein wie sie? Diese Naivität entwaffnet einfach.«

»Also manchmal hat sie dich doch gereizt?«

»Manchmal verursachte sie mir eine Wallung zugunsten meines Vaters ... Willst du noch hören?« fragte er erstaunt.

»Natürlich.«

»Für gewöhnlich aber wußte ich nichts anzufangen mit diesem Vater, der gelähmt, unbeweglich und abseits irgendwo im Hause saß und von dem eigentlich schon bloß noch der Kopf lebte. Und der lebte nicht für mich.«

»Er ist doch eine feine Figur«, sagte Ute in der Erinnerung an Archibalds Monolog.

»Nur als Vater –«, meinte Claude bedenklich.

»Da allerdings –«, bestätigte Ute. »Übrigens das mit den Eltern finde ich weiter nicht melancholisch. Mein Papa ist ja auch nicht empfehlenswert.«

»Meiner steckte mir hier und da Tausendmarkscheine in die Hand. Dazwischen kamen Zeiten, wo er keinen Hunderter hatte. Schließlich ist er immer gut gegen mich gewesen, und seinem Gefühl fehlte vielleicht bloß die Gelegenheit, sich klarzuwerden. Ich gab ihm auch keine, so viel ist richtig. Ich las Romane, im Schulranzen versteckt, weißt du, und bei jedem Geräusch unter den Tisch geworfen, denn mit Lektüre war Mama streng – und beim Lesen erfaßte mich manchmal die Ahnung höherschlagender Herzen. Ich wünschte mir auch eines; aber ich wußte nicht wie und für wen.«

»Das war vor meiner Zeit. Jetzt wird Tusch geblasen, und ich trete auf.«

»Und du trittst auf«, wiederholte Claude mit einem Schauer.

»Das ist das Ereignis deines Lebens, nicht?«

»Ja.«

»Komisch, komisch.«

Mit ihren grauen und weiten Augen, die ganz hell waren, durchsuchte sie rücksichtslos seine trüberen.

»Du mußt bedenken, ich hatte meine Kindheit allein verlebt, ganz allein zwischen diesem Vater in seinem Arbeitszimmer und dieser Mutter in ihren parfümierten, mit Fremden gefüllten Salons. Ich war sehr schüchtern.«

»Du bist es noch, mein Lieber.«

»So? ... Ich fürchtete das Zusammentreffen auf der Treppe mit den weltkundig und fratzenhaft lächelnden Gesichtern. Ich erstieg lieber die Dienerschaftstreppe. Wenn das Haus nach festlichen Diners duftete, nach Zigarren, Blumen, gepuderten, gesalbten, erhitzten Menschen, verschloß ich mich im zweiten Stock in mein Zimmer. Einmal, ich war dreizehn, überraschten mich ein paar Damen, wie ich im Nachthemd stand. Sie betrachteten mich durch Lorgnons, lachten und gingen hinaus, etwas weniger lustig.«

»Puten«, sagte Ute.

»Ein anderes Mal hatte ich mich drüben in den Rauchsalon geschlichen. Es war Konzert, ich wollte meinen Teil davon. Alle waren im Musikzimmer, ich glaubte mich in Sicherheit. Da hörte ich jemand an der Tür. Ich flüchtete, wild erschreckt, erst hierher, dann dort hinein, wo jetzt Papa liegt, schließlich auf die Treppengalerie und wieder ins Rauchzimmer – der andere immer hinter mir, ohne daß wir uns zu sehen kriegten. Dreimal machten wir die Runde, eine Jagd auf den Fußspitzen. Schließlich blieb ich stehen, nebenan, wo Papa liegt; und der Leutnant von Trutzhelm sprang herein. Er hatte wahrscheinlich geglaubt, eine junge Dame spiele mit ihm Verstecken, oder wenigstens ein Dienstmädchen. Als er den langen, rot überlaufenen Jungen sah, drehte er erzürnt den Rücken.«

Claude war wieder ganz rot. Ute, sehr aufmerksam, verzog keine Miene.

»Unter Demütigungen«, sagte er hart, »ohne Liebe, mit Aufwallungen wesenloser Sehnsucht und voll schüchternen Trotzes ist meine Kindheit vergangen. Da kamst du, Ute.«

»Also da.«

»Ich war sechzehn.«

»Ich auch. Aber das merkte man nicht. Gleich im Englischen Garten galt ich als fertige Dame. ›Ihre Tochter, Herr Ende? Unmöglich. Sie, ein so junger Mann? Bringen Sie sie mir doch. Auf Wiedersehen.‹ ... Dann rollte der Wagen deiner Mama weiter, und der junge Ende war beglückt. Er hatte bei euch Spaß gemacht wie überall. Jetzt durfte auch seine Tochter anfangen, Spaß zu machen.«

»Meinst du nicht, daß du zu ernsten Diensten berufen wurdest? Ich glaube, der Leutnant von Trutzhelm hatte eine kleine Unzartheit begangen.«

»Ah! Das konnte ich nicht wissen. Aber daß deine Mama mich als Stütze für ihren Ruf gebrauchte, war mir klar. Ich war immer da, und immer als süße kleine Freundin, nie als Kind. Ich mußte Melanie sagen, bloß nicht Tante. Gott, was liegt an den Dummheiten. Nur soll man mich nicht zur Dankbarkeit auffordern und im Namen empfangener Wohltaten von mir verlangen, daß ich der Kunst entsage. Ich verstehe, als Schauspielerin kann ich den Ruf keiner großen Dame mehr stützen; im Gegenteil. Drum bin ich ja gegangen. Aber Dankbarkeit? Bitte, nein. Ich habe deine Mutter gebeten, sich bei mir zu bedanken. Ich habe meinen Ruf für sie riskiert, und es ist meine Sache, daß mir nicht viel daran liegt.«

Ute war in Aufruhr.

»Gib mir auch eine Zigarette!« befahl sie, ohne Furcht für ihr Organ. Claude ging umher, er träumte laut.

»Am ersten Tage, als ich eintrat, lehntest du ganz kühl, wie eine kostbare Prinzessin, in einem seidenen Stuhl ... Es war hier, der Salon ist seitdem neu möbliert, aber der Stuhl, auf dem du zuerst gesessen hast, der steht droben bei mir ... Du gabst mir die Hand, deiner Sache gewiß, und als ob du ganz freundschaftlich sagtest: ›Was für ein schüchterner kleiner Mensch!‹«

»Was für ein schüchterner kleiner Mensch«, sagte Ute und gab Claude die Hand.

»Darauf liebte ich dich! Du hattest mich freundschaftlich angesehen, du warst schön. Du warst die Reiche, du hattest alles zu geben. Ich war immer im Salon, immer um dich her, begleitete dich nach Hause, sprach, lachte. Das Leben fing an für mich ... Ja, Ute, damals warst du noch ein menschliches Wesen.«

»Was heißt das?«

Er wußte längst, wie sehr er ihr Komödienspiel haßte, mitten in allem Zauber, den es ihm eintränkte. Aber er war seiner versichert gewesen; sie würde es nie erfahren. Und jetzt brach alles heraus, er wußte nicht warum – weil irgendein Sturm wehte.

»Das heißt, daß du bloß noch Kunstwerk sein willst und gar kein Mensch mehr. Tragt ihr eure Kunstwerke nicht immer mit euch herum, sieht man sie euch nicht immer an? Ihr seid selbst euer Werk. Ihr macht aus euch selbst, aus eurem Körper und eurer Seele, ein Kunstwerk, zusammengesetzt aus Brusttönen und Gekreisch, aus Schminke, Atlas auf Pappe gefüttert, aus tragisch wankenden Schritten, aus – ich weiß nicht. Deine Arbeit, deine geliebte Arbeit ist darauf gerichtet, daß du deine gutgewachsenen Glieder der Reihe nach unterbindest und eine echte Empfindung nach der andern erstickst, bis sie alle absterben. Dafür schraubst du dir Kunstglieder ein und verstellst deine Lunge, dein Hirn und deine Augen zu Kunstempfindungen. Wenn die Verwandlung fertig ist, pflanzt du dich vor tausend Dummköpfe hin, und es kommt nun darauf an, daß die Puppe, die du aus dir gemacht hast und die ›Papa‹ und ›Mama‹ sagen kann, den Dummköpfen draußen auf die Nerven geht, daß sie Tränen loslassen oder einen Lachkrampf kriegen. Dann triumphierst du, dann wirst du berühmt und bist am Ziel!«

Er bemerkte schon während seiner letzten Sätze, daß sich das auch ganz anders auffassen lasse. Um die entweichende Überzeugtheit zu ersetzen, sprach er recht laut. Ute betrachtete ihn aufmerksam.

»Du mußt wirklich verliebt sein ... Du bist gar nicht –«

Da ging nochmals die Tür auf. Frau Marehn klagte:

»Aber wer schreit hier denn so schrecklich? Claude, ich dachte, du habest wenigstens etwas Pietät.«

»Hab ich auch, Mama«, sagte er, beinahe erweicht durch seine große Aussprache. Aber hinter seiner Mutter erschien blitzend von Eisenmann:

»Hier wird geraucht! Das ist einfach unglaublich!«

Claude sagte:

»Mein Vater spürt es nicht, ihm ist es gleich. Und Ihnen, Herr von Eisenmann, muß es gleich sein.«

Von Eisenmann stieß Drohungen aus, aber Panier rief von draußen:

»Das haben Sie nu doch weg, Eisenmann, das hilft nu nichts. Nu kommen Sie man wieder rein, alter Freund.«

Schließlich warf Claude die Frage auf:

»Wenn mein Vater sich aufrichten könnte – wem würde er hier die Tür weisen, mir oder – Ihnen?«

Mit solchen Möglichkeiten rechnete von Eisenmann nicht. Er stellte fest:

»Ich bin in meinem Recht!«

Er hatte doch diese Frau erobert!

Claude blieb nichts übrig, als die Achseln zu zucken. Frau Marehn flüsterte ihrem Geliebten etwas Bittendes zu. Sie schlich hinaus, allmählich folgte er ihr. Panier rief noch:

»Wir rauchen ja auch! Was sollen wir woll nicht rauchen! Nöh, auf so 'n Unsinn lassen wir uns nicht ein. – 'n freidenkender Mensch ...«

Hier rollte die Tür zusammen. Ute brach ihr verächtliches Schweigen. Sie beendete einfach ihren Satz.

»Du bist gar nicht langweilig, wie sonst alle, die nur eine Rolle kennen. Alle diese dumpfen Bürger, die dahingehen und ihr Leben lang dasselbe reden. Immer nur auf ihr kleines Stichwort fahren sie los, dann machen sie wie aufgezogen zwei, drei Gesten, die keinen mehr überraschen, und gehen wieder ab. Das ist der normale Mensch. Wir aber, wir – wir wirken mit unserer ganzen Persönlichkeit, wir haben die ganze Leier in uns. Wir verändern uns nicht, wie du meinst. Wir sind nur mehr, als ihr auf einmal erfassen könnt. Wir geben euch täglich ein Stück davon anzustarren, und ihr seid schon ganz dumm davon.«

»Du verachtest also jeden, der nicht so ist wie – ihr?«

»Von Herzen.«

»Mich auch?«

»Ich will dir sagen – von dieser Seite, ja. Von einer andern gar nicht. Da bist du auch wieder ein Mensch auf eigene Hand. Aber – lassen wir's.«

Sie war wieder ganz bei sich selbst.

»Überhaupt bist du ja mein Freund.«

»Und ich hab dir zuerst recht gegeben, als du zur Bühne wolltest – ich zuerst.«

Ute lächelte überlegen.

»Recht gegeben? Du hast nicht den Mut gehabt, mich zu hindern. Ein Talent zerbrechen, mir meine Leidenschaften verbieten, mich an jeder Genugtuung hindern, die nicht von dir kommt, mich in dein Leben zwingen – ich bitte dich, du bist ja kein von Eisenmann, kein Junker im letzten Stadium, dem es noch in allen Instinkten sitzt, daß die Welt mit Hinblick auf ihn geschaffen ward, der an ihrer Widersetzlichkeit nervenkrank wird und sich der Tobsucht nähert.«

»Nein«, sagte Claude.

»Nun also, darum hast du mich hübsch artig zu Archibald geführt.«

»Du weißt, wie es mir schwer ward?«

»Du hieltest mir kleine vorsichtige Reden über die Gefahren und die Enttäuschungen, die junge Schauspielerinnen erwarten – ganz wie ein Alter. Außerdem warst du auf jeden Mimen eifersüchtig, der mich begeisterte. Aber du brachtest mir ganz still seine Photographien. Das war nobel! Das war um so nobler, als du, ein Mann, natürlich nicht verstehen konntest, wie wenig mir solch Mime Mann war. Ob du Künstler bist? Jedenfalls hast du etwas – genug, ich hab dich achten müssen.«

»Danke«, sagte Claude.

Er wußte sich nicht mehr auszudrücken; es endete immer mit dem einen. Ute wartete. Sie setzte sich wieder in das gebrechliche Lackmöbel mit der niedrigen Rückenlehne; darauf stützte sie die Arme. Die Schultern wurden zurückgedrängt, die Linie der Büste, unten gewölbt, war frei, jung, geschmeidig. Claude entschloß sich:

»Du mußt bedenken, was mir verlorenging, als ich dich zu Archibald bringen mußte. Seit heute kannst du das besser beurteilen.«

»Nein. Was uns viel entgeht, wenn wir kein Verhältnis miteinander haben, das werd ich nie begreifen.«

»Es handelt sich nicht darum. Aber mir war es doch ganz selbstverständlich gewesen, ich würde dich heiraten.«

»Ach so. Mir auch.«

Er war entsetzt.

»Wie! Und das sagst du so ruhig!«

»Ist das so aufregend? Jedes junge Mädchen von guten Anlagen, das plötzlich in ein reiches Haus versetzt ist, wird eine Stunde nach der Ankunft den Plan fassen, den Sohn zu heiraten. Der Gedanke wird einem durch zu viele Romane nahegelegt, weißt du, er ist unwiderstehlich. Darum hab ich ihn auch bloß acht Tage lang behalten. Dann sagte ich: ›Meinen Weg mache ich, das steht fest. Aber nicht durch so verbrauchte Mittel.‹ Das war längst bevor ich wußte, ich würde zur Bühne gehen.«

»Aber erst, als du das wußtest – oh, den Tag vergeß ich nicht. Es war schon ein gemeiner Streich. Es war solch wundervoller Sommerabend, ganz violett, in eurem Hause standen alle Fenster offen, man hörte vom Englischen Garten die Vögel. Plötzlich ein Geschrei – Herrgott, ist das Utes Stimme? Ist sie krank, überfällt man sie? Ich stürze hinauf. Ich reiße deine Tür auf, will rufen. Aber du hörst nicht, du fällst hin, aufkreischend: ›Abscheulich! Was hab ich getan?‹«

»Ach ja«, sagte Ute befriedigt. »Das war das.«

»›Was entdeck ich? Gott!‹ stöhntest du dumpf, mit dem Gesicht in einem seidenen Kissen. Und die Hand ausgestreckt gegen mich, ohne von mir zu wissen: ›Weg aus meinen Augen, um Gottes willen –.‹ Mir ward ganz kalt. Warst du wahnsinnig? Was für Grauenhaftigkeiten waren vorgefallen?«

» Die Angst«, sagte Ute, lautlos lachend.

»Du standst auf, du sahst mich, aber ich war nicht dort, wo du lebtest. ›Aus Großmut, aus Barmherzigkeit, hinaus, von meinen Augen! – Wollen Sie mich morden? Ich hasse Ihren Anblick! Meinen Brief und meinen Schlüssel geben Sie mir wieder!‹ Ich erkannte endlich die Eboli.«

»Na, gottlob.«

»Ich hörte weiter zu, von dir unbeachtet, deinen großen Monolog. Du warst voll von allem, was sich fühlen läßt, von allem, was Menschen leben macht: von Liebe, Haß, Eifersucht. Du zischtest vor Rachsucht und wälztest dich vor Gier nach einem. Und in mir, Ute, in mir, der ich dir zuhörte, hob sich etwas Unbekanntes auf – nein, etwas Bekanntes, aber etwas, das ich nie gewagt hatte. Ich schluckte es nieder. Ich fühlte mich weiß werden und drückte die Lippen aufeinander. Aber während ich steif dastand und leise atmete, war in mir ein anderer, der warf sich zu dir hin, Ute, vor deine Knie; der zuckte und schrie mit dir. Und der spielte nicht. Der rang die Hände im Ernst, ich versichere dich. Der schluchzte, jubelte, der flog zu Sternen, stürzte in Schlünde, lebte und starb an dir, Ute!«

»Das war dir wirklich nicht anzumerken«, sagte Ute und stand vom Stuhl auf.

»Er ward schließlich ohnmächtig, der andere, ich merkte nichts mehr von ihm. Ich war ein junger Mann aus der Schackstraße und du eine Schauspielerin.«

Ute sah genußsüchtig in seine Augen, auf seine Blässe und in all diese Anbetung hinein, die ihr galt, die eine Wirkung ihrer geliebten, gepflegten, täglich geübten Persönlichkeit war.

»Du erzählst das ja ziemlich ruhig. Wenn dir damals so wild zumute war, warum bliebst du wie aus Holz?«

»Wild zumute? Das war gar nicht ich selbst. Mir träumte, daß ich schrie, daß ich kämpfte, daß ich – liebte. Mir träumte, ich wäre einer, der das könnte.«

Sie fragte neugierig:

»Warst du glücklich?«

Er antwortete:

»Ich weiß nicht mehr. Es war sehr viel Schmerz dabei. In Wirklichkeit fühle ich nie so argen Schmerz.«

Sie wandte sich ab, atmete tief:

»Lassen wir das. Solche großen Sachen sind nur auf der Bühne zu brauchen.«

»Es muß sie doch auch irgendwo im Leben geben.«

»Vielleicht früher mal«, meinte Ute.


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