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Am neunten Mai 1588 schleicht der Herzog von Guise sich heimlich mit wenig Begleitung in Paris ein. Der König hat ihn bitten, ängstlich bitten lassen, er möge nicht kommen. Valois weiß, daß die bloße Gegenwart des anderen sein Ende einleitet, oder sie entscheidet das Ende des anderen. Wer von beiden wagt, und wagt es früher? Guise hat damals die fremde Armee der Hugenotten vernichtet, das königliche Heer unter Joyeuse ist im Gegenteil geschlagen worden von Navarra. Trotzdem hat der arme König versucht, sich als den Sieger aufzuspielen; das Volk und die ehrbaren Leute verachten ihn einmütig. Seine Parlamentarier, die großen Richter des Landes, sind fast als einzige noch königlich gesinnt: sie sind im Denken erfahren. In dieser unübersichtlichen Lage darf man nicht vom Gesetz abweichen, aber das Gesetz ist der König. Wem können sie es sagen und begreiflich machen? Weder den Reichen, denen Guise, nicht der absterbende Valois, für ihr Geld bürgt, noch den aufgeregten Leuten auf der Straße, die »Hungersnot« schreien. Es ist schon oft gehungert worden: kein Grund zur Annahme, daß man das gewohnte Maß des Fastens nächstens würde überschreiten müssen. Eine Volksmenge indessen, die einmal falsch gewählt hat, begeht auch weiterhin nur Unsinn. Sie sind für Guise, einen Abenteurer und Massenbetrüger im feindlichen Sold. Ihre widernatürliche Parteinahme erzeugt bei ihnen Wut und Angst - es ist der Widerstand ihres Gewissens, aber das verstehen sie nicht. Wegen zerrütteten Gemütes ergibt Paris sich seiner eingebildeten Hungersnot.
Guise mit seinen fünf oder sechs Reitern gelangt bis in eine volkreiche Straße, noch immer unerkannt, das Gesicht unter dem Hut und dem Mantel. Die Stadt, besonders die zahlreichen Klöster, sind von seinen Truppen voll, er kann sie rufen, wo immer er sich befindet. Aber er spielt den Furchtlosen und den Geheimen, der überraschenden Wirkungen wegen. Bald ein Vierziger und Vater vieler Söhne, behält er noch immer die schaustellerische Wucht der Mittel, mit denen solch ein Unberufener sich in Szene setzt. Sein eigener junger Mann, der dafür abgerichtet ist, zieht dem geheimnisvollen Reiter den Hut und den Mantel weg, der kleine Schalk, und ruft hell: »Edler Herr, geben Sie sich zu erkennen!«
Vor dem König in seinem Schloß Louvre sagte währenddessen die alte, sehr alte Königin Madame Catherine: »Guise ist der Stab meines Alters.« Ihr Sohn blickte mit schweren Augen auf die Erfinderin der Bartholomäusnacht, deren letzte Folgen jetzt auf ihn niederfielen, und das wußte er sogar ohne besondere Meldung. Diese traf aber alsbald ein, und mit der Ankunft des Herzogs von Guise erfuhr man auch gleich seinen Erfolg. »Wir sind gerettet!« hatte als erste eine feine Dame dem Herzog zugerufen, wobei sie ihre Maske von den Augen herabzog. »Guter Fürst, wir sind gerettet!« Darauf geriet die ganze Straße in ein Wogen der Begeisterung. Keine Hungersnot mehr, Führer verjagt Hungersgespenst! Tränen der Freude flossen. Stiefel, die vom Pferd hängen, kann man einfach küssen. Rosenkränze wurden an ihm gerieben, damit er sie heiligte, und natürlich wurden Menschen erdrückt.
Solange der korsische Oberst Ornano dies berichtete, sah der König nicht ihn an, er hielt den Blick auf seiner Mutter, die ihn fühlte, denn er war schwer. Sie murmelte dumpf vor sich hin: »Guise ist der Stab meines Alters« - dies aber, um sich in all ihrer Dummheit zu behaupten und diese zu schützen sogar gegen sich selbst: weil sie einen lichten Augenblick hätte haben können. Ihr Geist war völlig erdfarben geworden, Erde vom Friedhof, und dorthin schien sie zurückkehren zu wollen, als sie abging, ungleich mit dem Stock aufklopfte, schlurrte, tappte, Zickzack machte, immer tiefer in sich selbst verfiel; der Kopf saß zuletzt nur noch in Höhe der Knie.
Der korsische Oberst erklärte seine Meinung, weil er versichert war, der König dächte nicht anders. Der Herzog müßte erdolcht werden. Ein Geistlicher, der auch zugegen war, rechtfertigte die Meinung mit dem passenden Bibelwort. Mehrere entschlossene Männer äußerten sich, und der König widersprach nicht: sein Schweigen schien ihnen so gut wie Zustimmung. Untereinander beredeten sie, was man noch in der Hand hätte von der bewaffneten Macht des Königs, und ob nach vollbrachter Tat der Schrecken der Gegenseite anhalten würde, bis man Verstärkungen bekäme. Da erschien schon wieder die Mutter des Königs: mit ihr wahrhaftig Guise. Kein schöner Guise, kein stolzer Held. Auf dem Weg zum Zimmer des Königs waren seine gnädigen Anreden nicht erwidert worden, und der Feldmeister der Garde, Crillon, hatte sich den Hut um so fester aufgesetzt. Daran erkannte der Herzog, was ihm bevorstand. Bleich und fassungslos langte er an. Aber ihn begleitete die alte Frau: der König unterließ, das Zeichen zu geben für die Dolche, weil die alte Frau dabei war. In Schloß Louvre hatte er von seinem ganzen Hause, das tot oder gegen ihn empört war, nur sie allein, die ihn bis hierhin gebracht hatte. Darum fürchtete er sie wie das Schicksal. Kein Gedanke, in ihrem Beisein, gegen ihren Willen, den rettenden Dolchen zu winken. Er fuhr den Herzog kurz an und drehte ihm den Rücken.
Guise ließ sich auf eine Truhe fallen. Ein Auge tränte wegen der Nähe der großen Narbe, er schien zu weinen. Er hatte alles gesehen, die Furcht des Königs. ›Ebensoviel Furcht wie ich‹, dachte Guise. Aber die verzerrten Züge des Königs hatte er richtig verstanden. Der Entschluß zu töten versagte nur für diesmal. In dem entferntesten Winkel war die alte Königin bemüht, ihren Sohn zu beruhigen: Guise machte, daß er fortkam. ›Heil, ich lebe noch, und da ist auch gleich mein Volk, ist bis in den Hof des Louvre gedrungen, mich herauszuholen. Wieder der Held. Heil, und jetzt wird durchgegriffen.‹
Das denkt man, nachdem man sich hat überraschen lassen. Im Ernst wollte ein Lothringen nicht Barrikaden errichten und dem König eine Schlacht liefern in seiner Hauptstadt: er hatte nur gearbeitet derart, daß es dahin kommen mußte. Als er vor dem Ziel zurückschrak und sich lieber schlafen gelegt hätte, besuchte ihn Mendoza, der Gesandte Don Philipps, und sprach zu ihm im Ton des Befehls. Sein wahrer Herr konnte den Herzog von Guise nötigen. Innerhalb von drei Tagen sollte Frankreich vom offenen Bürgerkrieg erfaßt sein, dies der Wille des Weltbeherrschers. Guise wurde nicht gewürdigt, den Grund zu erfahrener war indessen mit Nachrichten bedient worden. Die Armada lag endlich fertig, um auszufahren gegen England. Diese Flotte wurde seit Jahren gerüstet, war auch ausgestattet mit jedem Bedarf für ganze Jahre, obwohl nicht mehr als vierzehn Tage zu berechnen gewesen wären für die Überfahrt Unterwegs sollte sie die französischen Häfen in aller Sicherheit anlaufen können. Der Weltbeherrscher wollte niemandem begegnen von seinen französischen Feinden: er war von Natur genau und vorsichtig. Darum mußten innerhalb von drei Tagen in Paris die Fässer mit Sand aufgeschichtet werden. Aus seinem Louvre hatte der König sie schon längst den Fluß heraufschwimmen gesehen. Da er in seiner äußersten Not einige Schweizer und Deutsche zur Stadt einrücken ließ, hatte der Aufstand seinen letzten Vorwand. Die Fremden wurden hingemacht von der großen Überzahl, knieten und erhoben ihre Rosenkränze. Der König mußte bitten für seine Soldaten, so viele noch am Leben waren. Er bat den Herzog von Guise, wodurch dieser vollends den Mut verlor, den König zu töten; das hatte Mendoza von ihm verlangt.
Da nun keiner wagte, den anderen zu töten, weder Valois noch Guise, trat Schwanken ein, und überlassen blieben die Straßen tagelang den Mönchen, die beim Sturmgeläut ein Gemetzel predigten. Auch die Schwester des Guise, Furie der heiligen Liga, tat das ihre: zum Mord hetzte sie von ihrem Balkon herab die stürmische Schar der hochgesinnten Jugend. Sie sagte: »Jugend, meine Jugend, du bist immer hochgesinnt«, was die künftigen Advokaten, Prediger oder Anstreicher ihr ohne weiteres glaubten. Dünnflüssiges Blut wird gern mit Gesinnung verwechselt. In Zeiten der allgemeinen Übereiltheit genießt junges Blut große Achtung. Die Herzogin von Montpensier verstand sich in ihrer wütenden Ausgelassenheit noch immer auf Gesichter; dort unten in dem Schwarm ihrer Verehrer bemerkte sie eins, dasselbe nicht zum erstenmal. Wer so aussah, war zu gebrauchen. Sie ließ den jungen Klosterschüler heraufholen.
Sie tat ein übriges und bereitete sich vor, legte ein Gewand aus Schleiern an ihren hochgewachsenen Körper, besprengte ihr Schlafzimmer mit Duftwasser, Rabenhaar, das schon gefärbt ist, hervorquellende Brüste, silberne Sterne über und über: sie prüfte sich und entschied, daß es genug war, trotz allen Verwüstungen des Gesichts durch Leidenschaften. ›Sechsunddreißig Jahre - bei einem anderen könnte es leicht zu spät sein‹, so dachte die große Dame. ›Nicht aber bei einem bäuerischen Mönch von zwanzig Jahren, der das erstemal in seinem Leben das Bett einer Herzogin erblickt.‹ Sie fragte auch: ›Was tun, und wie weit geh ich?‹ Gleichviel, antworteten ihre starken und vollen Schultern, die sich hoben und wieder senkten.
›Ich will etwas und will es bis ans Ende. Das fehlt den Männern, sogar meinem angebeteten Guise, der nächstens den Thron von Frankreich besteigen soll. Ein einziger Streich ist nötig, vor dem aber erschrickt er. Seine Schwester nicht. Die würde zuletzt mit eigener Hand zustoßen. Meine Hand ist kräftig, meine Glieder nicht schwächer als die meines Bruders, die Schultern sind breit, ich könnte selbst der Held der Familie sein, bis auf die Kleinigkeiten, die mich zur Frau machen; und damit will ich's schaffen.‹
Sie winkte, ihre Dienerschaft lief herbei, führte den Mönch herzu, schob ihn in die Tür, die gleich wieder geschlossen wurde. Eine Göttin blieb im Gemach allein mit einem braunen Wesen von dort unten, das gewaltig stank. Das Duftwasser half nichts gegen den Geruch von Ungewaschenheit, und dieser verbreitete sich sofort: Aber die Dame hielt ihm stand. Sie sprach das Mönchlein an, das glupte mit Äuglein, schmatzte mit dicken Lippen, und in den zusammengesteckten Ärmel rückte der Bauernkerl die Hände: hätte sie gern hervorgeholt und Fleisch betastet. Keine Spur von Scheu, heute ist alles durcheinander, alle gelten gleichviel in der heiligen Liga. Man sehe nur auf der Straße hinter die Sandfässer: liegen übereinander Obersten und Ritter, die haben wir hinmachen dürfen. Ihre Weiber stehn uns frei. Hei. Hochherzige Jugend, sagt sie.
»Wie heißt du?« fragte die Herzogin in einem Ton, daß der Junge erschrak. »Wissen Sie doch«, brummte er. »Haben mich selbst bei Namen genannt von oben. ›Jakob, wo bist du?‹ riefen Sie. Na hier. Was soll's jetzt sein.«
»Knie hin!« befahl die Herzogin stark. »Bete den Rosenkranz.« Ihre Herrschaft und Macht über ihn waren unbeschränkt, das erkannte sie an seinen irrsinnigen Worten. Sie ging in seinen Träumen um, schon seit den vorigen Malen, als sie vom Balkon herab geredet hatte. Kniend mußte er ihr beichten, sein gemeines und liederliches Schicksal: die Fleischessünde, derentwegen er aus dem Kloster nach Paris geschickt worden war, um eine Tat zu vollführen. Sein Vorsteher hier prägte ihm ein: Fleischessünde - nur gut zu machen durch eine Tat. »Durch welche?« fragte die Herzogin. Das wußte er nicht. Die Mönche, die ihn erzogen, ließen die Sache selbst noch im Dunkeln. Die Mönchen richten immerfort Königsmörder ab, zuletzt aber verwenden sie keinen. Dieser ist meiner. »Du gehörst mir«, befahl sie. »Ich stell mit dir an, was ich will. Ich kann dich unsichtbar machen. Steh auf, dreh dich zur Wand.« Sie ging an das Ende des Zimmers und suchte. »Jakob, wo bist du?« Er hörte sie mehrmals fragen, ohne daß er sich meldete. ›Da bin ich nun richtig unsichtbar, hei‹, sprach er bei sich; sonst dachte er nichts. Sein Herz ging deshalb nicht schneller.
»Jakob komm und berühre meinen Saum, davon wirst du wieder sichtbar.«
»Will gar nicht sichtbar werden«, maulte er, »außer, wenn ich mehr anfassen darf als nur den Saum.«
Dennoch schlappte er heran auf seinen Sandalen; aber noch bevor er nach ihrem durchsichtigen Gewand hatte greifen können, sagte sie dies halblaut dabei fürchterlich: »Jakob! Du sollst den König töten.«
So stumpf das Wesen war, es taumelte, das Gesicht verfiel, lange kam nichts endlich aber nur Angstgestöhn. Während seines Schweigens gingen die Schrecken der Verdammnis, sichtbar wie Flammen, hervor aus dem Munde der höllischen Dame. Unter ihrem Schleier bemerkte er auf einmal den Pferdefuß und wie deutlich!
»Gehorche mir, Jakob, dann ist dein Glück gemacht. Wenn du den König tötest, hast du drei Wünsche frei. Du kannst den Kardinalshut verlangen. Reich sollst du sein. Das dritte gewähr ich dir selbst« - wobei sie auf flacher Hand ihre Reize darbot. Gleichzeitig ging sie mit ihrer Stimme zum Girren über, berückte ihn ganz unmäßig, sah ihn zittern wie Espenlaub, seinen Speichel triefen, und in diesem Zustand erfuhr der Blöde von ihr, daß ein König so gut wie ein Mensch ist. Stirbt auch nur einmal und ist dann immer tot. »Dich aber können sie suchen, du bist unsichtbar. Jakob, wo bist du?«
»Hei, bei dir!« antwortete er glucksend vor Zufriedenheit, dann jetzt hatte er begriffen und machte sich keine Sorgen mehr.
»Wenn du den König getötet hast und Kardinal bist. Zu mir darf nur ein Kardinal kommen.« Dies im Gegenteil kühl und herablassend, während sie eine schnelle Musterung über ihn hielt. ›Viel zu fett ist der Trampel, um behende den Valois abzustechen. Muß fasten, und seiner Erleuchtung wegen soll er Pulver in das Essen bekommen, obwohl er auch so schon alles sieht und hört, was man will. In seinem Kloster werden sie ihm feurige Teufel vormachen, für den Fall, daß der Esel jemals die Hinterfüße versteift. Aber das tut er nicht, ich halt ihn.‹ Dabei zog sie an der Klingel. »Fort mit dem Stänker, und auslüften!« Da sie zum Fenster trat, halbnackt wie sie war, stürmte drunten nach ihrem Anblick zusammen viel hochgesinnte Jugend. Sie ließ sich in Ruhe bewundern, das Fenster reichte bis auf den Boden. Übergroß durch die Leidenschaft ihres Stolzes sah sie dem Himmel in sein Sonnenauge, und es blendete sie nicht.
»Ich - wag es.«
Als der letzte Valois aus seinem Schloß Louvre flüchtete, dachte er an seine Vetter Navarra und wünschte ihn herbei. ›Wenn ich ihn hier hätte, sollte Paris wohl etwas kleiner werden, so viele würden wir köpfen. Diese Stadt ist zu groß, man muß ihr Blut abzapfen. Ich, der einzige König, der sie immer bewohnt und mit seinem Hof bereichert hat. Die öffentliche Hinrichtung des Guise soll ein Volksfest werden.‹
Heiß und erbittert, konnte der arme König dennoch in Muße seine Gedanken verfolgen. Guise hatte ihm einen Ausgang heimlich offengelassen, er flüchtete mit Zustimmung seines Feindes, der ihn los war und in der Hauptstadt das Regiment ergriff. Vor der Karosse des Königs gingen seine Garden, im Schritt fuhr er nach seinem nächsten Aufenthalt, seine Gedanken aber verließen niemals ganz den Vetter Navarra. ›Hätte ich ihm Joyeuse und meine schönste Armee entgegengeschickt, nicht, damit er sie schlug, sondern vereint hätten sie gegen Paris ziehen müssen, mich zu befreien!‹
Bei einiger Vertiefung in den Gedanken erkannte er die Unmöglichkeit. ›Seine katholische Armee hätte dem Befehl nicht gehorcht. Gelangte andererseits der protestantische Vetter bis nach Paris - dann wär's um meinen Thron geschehen‹, entschied Valois, obwohl er zweifelte. Er war nur zu unglücklich, um grade jetzt sein Mißtrauen aufzugeben. Er hielt daran fest, als an seiner einzigen Stärke. ›Auch um mein Leben wär's geschehen‹, behauptete er aus Trotz.
Henri hatte selbst die größte Furcht vor Gift, und dies schon zwei Monate, seit dem Tode seines Vetters Condé. Der Prinz von Condé war vergiftet worden: von seiner eigenen Frau, wie Henri glaubte. Sofort hielt er auch seine arme Margot dazu fähig, aus dem Gleichgewicht wie sie war, eine Beute ihres unsinnigen Hasses. Der eßlustige Henri, überall im Lande hatte er sich unbesorgt zu Gast geladen, plötzlich wurde bei ihm gekocht in der verschlossenen Küche, unter Aufsicht. Vetter Condé hatte eine ganze Nacht erbrochen. Am zweiten Morgen danach frühstückt er stehend, will Schach spielen, wieder ist ihm sehr übel, und er stirbt: schon wird die Haut schwarz. ›Ich trauere um ihn wegen dessen, was er mir hätte sein sollen. Wie er war, das betrauere ich nicht.‹
Vierundzwanzig Mörder wurden in dieser Zeit ausgeschickt gegen den König von Navarra. Was der arme Valois sich heimlich wünschte: sein Vetter möchte ihm zu Hilfe kommen, andere befürchteten es und wollten es abwenden. Man sagte ihn tot, wie gewöhnlich die tun, deren Vorteil es wäre, und einige sind sogar in der Lage, Genaues darüber zu wissen. Der Herzog von Guise hat sich bei dem König von Frankreich dringend erkundigt, ob es wahr ist. Der König konnte nur hoffen, daß sein Vetter Navarra lebte; nach dem Tode des Prinzen von Condé hatte er ihm Gesandte geschickt, besonders Herrn des Montmorency. Dies war wirklich der letzte seiner Versuche, den Übertritt zur katholischen Kirche zu erreichen bei dem einzigen überlebenden Haupt der Protestanten. Nachher war Henri der unanfechtbare Erbe der Krone. Niemand glaubte, daß seine Protestanten noch von ihm abfallen könnten seit dem Verschwinden des Mitbewerbers um ihre Führung. Doch: Henri kennt sie. Er weiß auch, daß er auf gradem Wege bleiben muß, solange das Abweichen nach Schwäche aussähe. Seine innere Festigkeit kann Untreue nicht brauchen und verwirft ein vorzeitiges Gelüst. Wenn das Königreich kämpfend erworben und zusammengebracht ist nach allen weiter bevorstehenden Mühen des Lebens, ergraut, von erprobter Macht und Gewalt: um ihretwillen wäre es durchaus nicht mehr nötig, dann, aus freien Stücken wird er zur Messe gehen. Vorher nicht. Um nur geduldet zu werden, niemals.
Der tapfere Henri aber fürchtete Gift und Messer, weil diese nicht erlauben, daß man sich wehrt, wie ein Soldat und wie das Gewissen sich wehren. »Das Messer ist noch schrecklicher als das Gift, es droht nicht nur beim Essen. Überall unter Menschen kann mir über den Rücken Kälte laufen, weil ich nicht sehe, was hinter mir einer aus dem Ärmel zieht. Ein kleines Messer ist bald versteckt, sehr leicht im weiten Ärmel eines Mönches. Zu mir kam aber ein feiner Edelmann, kannte die Sprache nicht, sogar Lateinisch nicht, und hatte sein Anliegen auf einem gerollten Pergament, das er aus dem Futteral zog: der Dolch glitt ihm dabei von selbst in die Hand. Ich mußte erstaunlich schnell zufassen und ihm das Gelenk umdrehn! Den Hauptmann Sacremore dagegen haben meine Leute abgefangen. Beweise sind da, es stimmt, er ist mir auf die Spur gesetzt. Sonst hätte ich es nicht geglaubt von einem so mutigen Offizier. Mörder sind feige - ich aber soll sie immerfort fürchten? Endlich will ich mit einem von ihnen Wein trinken und mich an seine Art und Anblick gewöhnen.‹
Das war im Schloß zu Nérac. Am Abend schickte er alle fort, ließ den Gefangenen hereinbringen, ihm die Fesseln abnehmen, und blieb mit seinem Mörder allein, zwischen beiden nur der Tisch.
»Hauptmann Sacremore, ich will von Ihnen wissen, wie das Töten ist. Getötet werden - auch das soll ich vielleicht erfahren, aber nicht durch Sie. Von dem feigen Mord sprechen Sie mir, als Soldat und brav. Nun?«
Der Mann hatte böse Augen, sonst war er schön in der Art von verwüsteter Einzelgängern. Saß in gefälliger Haltung, ein Edelmann aus italienischem Haus: die tiefe Ironie der Züge hätte ihn allein schon kenntlich gemacht. Er antwortete nicht. Henri schob ihm Wein hin, dafür dankte er wohlerzogen und trank das Glas leer. »Sie könnten vergiftet sein, Hauptmann Sacremore.«
Hierüber wunderte der Mörder sich höflich. »Sire! An Todesarten für mich fehlt es Ihnen nicht.«
»Welche, glauben Sie, werde ich wählen?«
»Sire, die ehrenhafteste, den Zweikampf«, sagte der Mörder und gab seine List für Leichtsinn aus.
»Herr Charles de Birague, ich scherze nicht. Sie sind ins Land gekommen mit dem früheren Kanzler, der unsere Grundbesitzer im Gefängnis erdrosselte, damit die alte Königin erben konnte. Ihnen sind versprochen, wenn Sie mich töten, viele goldene Pistolen spanischer Prägung. Sie haben im Feld als Glückssoldat den Namen Sacremore erworben, bleiben aber ein Birague.«
»Sire, Sie wollen mich beschimpfen. Ich dagegen biete Ihnen an, daß wir uns ehrlich schlagen. Ich als Ihr Mörder bin Ihnen gleich geworden, darum sitzen Sie mit mir auf, hier in totenstiller Nacht.«
»Das weiß ich«, sagte Henri. »Für diese Stunde sind Sie mir gleich. Was hätten Sie übrigens getan, wenn es Ihnen gelungen wäre?«
»Ich wäre in Diensten des Königs von Frankreich geblieben, und der hat mich auch abgeschickt.«
»Sie lügen - würden lügen, selbst wenn das Gold in Ihren Taschen nicht spanisch gewesen wäre.«
»Gut«, gab Birague zu. »Aber in diesem Königreich wäre ich wirklich geblieben, denn es ist das schwächste, das beste für meinesgleichen. Es müssen die Einwohner mit aller Welt und unter sich zerfallen sein, dann sind sie meine Volksgenossen und machen mein Geschäft. Sire, ich weiß, daß Sie das ändern werden, wenn Sie am Leben bleiben. Darum hab ich mich an Ihnen versucht, hätte es sogar ohne Lohn getan.« Da sah Henri in der Schurkerei den graden Weg und die Festigkeit; er hätte es nicht geglaubt. »Sacremore, Ihr Kriegsname ist verdient oder fast.« Hiermit legte er seinen Dolch mitten auf den Tisch. »Wer schneller zufaßt, Sacremore!«
Kaum ausgesprochen, schon schnellte die Hand des Mörders ab, stieß aber auf die andere. Beide feindlichen Hände zogen sich zurück bis hinter den Tischrand. Nur die Augen hielten einander fest, sie bewachten einander sprungbereit, schaudernd und mit Hochgenuß. Henri indessen erdachte eine Überraschung. »Sacremore, erwarten Sie kein Geld mehr aus Spanien. Ich habe dort wissen lassen, daß Sie verraten haben und arbeiten künftig für mich.«
Dies hören, und der Mörder fletschte die Zähne, er war in seinem Haß kein schöner Mann mehr. Seine glühende Fratze erregte unbedingt Schrecken, vielleicht hieß er grade ihretwegen, wie er hieß; und so bekam er Zeit, um den Dolch an sich zu reißen. Henri konnte einzig noch den Tisch umstoßen, das tat er. Der Tisch war schwer; damit er nicht erschlagen wurde, gebrauchte der Mörder seine beiden Hände, dabei verlor er den Dolch. Als er vom Boden aufgekommen war, entsprang er durch die Tür, und den offenen Wandelgang dahin flüchtete er, leicht wie ein Mädchen.
»Sacremore! Bleiben Sie. Für Sie ist Geld bei mir zu verdienen.«
Piff paff, und ein Sturz von der Treppe. Der Wachtposten im Hof hat geschossen: kein Sacremore mehr.
Schade. Tapferer Kerl, und ich hätt ihn ehrlich gemacht. Durch Zufall umzukommen - nach einer solchen Nacht! Henri vergaß ganz, daß er selbst die Nacht und die Probe bestanden hatte. Man muß auch vor dem Mörder nicht zittern.
Valois schlug sich gleicherweise umher mit den Mördern seines Königreiches und seinen eigenen: saß mit ihnen am Tisch und lebte im Grausen. Damals hielt er die Ständeversammlung zu Blois. Der König hatte sich dorthin geflüchtet; alsbald folgte Guise ihm, auch die Häupter der Liga machten sich auf die Strümpfe, die sechzehn, die jeder ein Pariser Stadtviertel befehligten. Ja, gemeines Volk aus der Hauptstadt wird hingeschafft, als Drohung für die vernünftigen Abgeordneten der Provinzen, auf die Valois allenfalls zählen dürfte. Vernunft ist anrüchig und wird abgeschreckt. Eine Bande von Geißelbrüdern überfällt den König; die muß er wohl empfangen, er hat ihre Aufführungen selbst schon mitgemacht aus Neigung, sich zu verkleiden. Ein Bruder seines toten Lieblings Joyeuse stellt den Gekreuzigten dar, eine ganze verwilderte Passion bricht in die Zuflucht des armen Königs ein, Christus blutet leibhaftig, die römischen Soldaten rasseln mit rostigen Waffen, unvermutet springen sie unter die aufgeregte Menge. Die heiligen Frauen sind eigentlich Kapuziner, um so besser können sie heulen, klagen und sich hinwerfen. Da bricht, unter den Hieben der Geißeln, auch der Menschensohn nieder. Heb ihn auf, Valois! Wenn du dich weigerst, verrätst du die Religion. Wo nicht, haben wir dich im Gewühl, und nur ein einziges Messer wäre nötig. Indessen fürchteten sie im Grunde sich selbst und ihren lästerlichen Rausch.
Was sollte ein gelehrter Jurist und Mitglied des Königlichen Parlamentes davon denken, denn auch diese Herren wurden mit gepreßt zu dem Unfug. Gelehrsamkeit wird schwer vergessen, und ein' klarer Geist verwirrt sich nicht auf Befehl. In dem Fall erleichtert es den Umschwung, daß jemand der Massenbewegung beitritt: darin versinkt er bis über den Kopf; und wer sonst zuviel gedacht hätte, lernt es, aus massenhafter Gerührtheit und Volksverbundenheit zu heulen »wie ein Kalb«. Der Präsident de Neuilly brachte es hierin weit genug, daß sogar der Tyrann Valois bewegt war, und gerade gegen ihn sollte er das gekränkte Volk doch aufbringen mit seinen Tränen, während ein Prediger Boucher dasselbe erreicht, wenn er schäumt. Jeder in seiner Art, der Herzog von Guise seinerseits machte es mit dem Drücken vieler schmutziger Hände, was ihm sehr zum Ekel war.
Dem Herzog von Guise begann alles zum Ekel zu werden, seine Rolle als Volksheld, sein Eifer in der Freundschaft für Spanien, sein Verkehr. Umringt von spanischen Galgenvögeln, die ihn beaufsichtigen, mußte er dem hochmögenden Gesandten Don Philipps seinen eigenen Fürsten schamlos preisgeben. Er mußte sprechen: »Der König, Ihr Herr, wird uns zu Hilfe kommen, wenn unser Fürst sich der Hugenotten bedient.« Guise wäre lieber selbst Hugenott geworden, als dies noch oft zu wiederholen.
Eitelkeit und seine Nachgiebigkeit gegen die Verehrung, die ihm unverdient entgegengebracht wurde, lauter Schwächen im Grunde, hatten ihn in seine falsche Laufbahn geworfen. Er war von zu guter Herkunft, um es nicht zu wissen. Nur ganz kleine Leute halten sich für große Männer, wenn eine verlogene und irrsinnige Massenbewegung sie auf Gipfel trägt, wohin sie nicht gehören. Heil mein Führer! hört ein Herzog von Guise und möchte sich verkriechen oder lieber noch die ganze Gesellschaft zurückjagen in ihre Kramläden. Sich mit dem König versöhnen, ist sein innigster Wunsch. Der König sollte ihn zu seinem Stellvertreter ernennen für das ganze Königreich, dies aber, bevor die Armada siegreich aus England zurück ist und die Spanier die Höhe der Unverschämtheit erreicht haben. Guise will ihnen noch vorher entgegentreten. Dafür ist eins nötig, auch die Ständeversammlung in Blois tagt nur zu dem einen Zweck.
Der König hat ihr versprechen müssen, die Ketzer auszurotten; jetzt soll er den König von Navarra verlustig erklären seiner Rechte als Erbe der Krone. Der König versucht Ausflüchte. Navarra selbst richtet an die Versammlung eine Denkschrift - feierlich erklärt sie gleichwohl seine Anwartschaft für verfallen. Abgesprochen werden ihm die Rechte eines ersten Prinzen von Geblüt.
Dies kaum erfahren, vergaß Henri seine Mörder, seine Muse, und mit der Romantik die Angst. Er zog in den Krieg. Wie? König und Liga, alle entfesselt gegen ihn allein, und treiben mit Umzügen und Geheul eine Unzucht des Geistes die er seiner Natur nach verachtete wie keinen Sacremore. Unrecht tun und töten will das Leben; aber es will nicht, daß man deshalb heuchelt und die Vernunft abtut. Er zog in den Krieg nach der Bretagne, weit hinauf durch das Königreich, dessen Vertreter ihn inzwischen feierlich absetzten und verstießen. Er schlug sich mit königlichen Truppen und mit denen der Liga, was ihm diesmal für gleich galt, denn er war erbittert. Auf gradem Weg zum Thron - und mußte nochmals untertauchen, wie am Anfang, als Unbekannter. Der große Sieg von Coutras - jetzt wieder Sümpfe, kleine Städte und Hinterhalte, ein armer Edelmann fällt, hundert Feinde lassen sich fangen, Hagel, Sturm, wir nehmen ein Seeschloß. War unsere Kanone früher angekommen! Dumme Sache, zu tun haben gegen Meer und Winde!
Im Eifer des Gefechtes vergaß er dennoch seinen Überdruß und Zorn; freute sich, da zu sein, zu atmen, obwohl sie es ihm nicht gönnten, und Boden zu gewinnen, wenn auch unmerklich. Eines Mittags unter einem Baum allein, außer Atem von der heftigen Bewegung, grade dem Tode entronnen, macht er sich an sein Mahl; etwas verloren sieht er umher. Das Land ist weit, entweicht bis in den Himmel, schweigt und läßt sich überbrüllen vom Meer. Es will ihn nicht, es kennt ihn nicht einmal, und wäre nicht sein tiefinnerer guter Mut, er könnte fürchten, daß für ihn immer aufs neue alles von vorn beginnt wie hier. Dieselben Bilder kehren wieder unendlich: Sümpfe und Hinterhalte, hundert Gefangene, vornüber fällt ein armer Edelmann, es stürmt, hagelt, und das Seeschloß muß ich haben, war unsere Kanone nur schon zur Stelle! Auf seiner Hand, die schwarz vom Pulver ist, liegt seine Mahlzeit, eine Brotkruste und ein Apfel.
Er hat Hunger und läßt sich gar nichts verdrießen. Er ist hergelangt auf der Lebensreise - einst war das Gebirge besonnt, er lachte und ging durch glückliche Bäche. Noch jung kam er in die Schule des Unglücks, lernte denken, bis vor den Wendungen des Geistes sein Mund anfing sich zu krümmen, oder doch manchmal. Heimgekehrt unternahm er alle gewöhnlichen Mühen des Lebens, wie jeder mit hungrigen Organen und einer Haut, die leicht zu durchlöchern ist. Von kleiner Art waren zuerst die Mühen: setz dich nur ganz daran, ihre Art wird größer. Jetzt ist er berühmt, wird gehaßt, ersehnt, gefürchtet - erfährt auch, wie die Mühen des Lebens zurückfallen können auf vorige Stufen; und unter einem Baum, im Stehen, verzehrt er seine Mahlzeit.
Zu derselben Stunde empfing der König von Frankreich den Gesandten Mendoza. Dieser hatte Nachricht vom Sieg der Armada und ließ sie sofort im Druck verbreiten. Dann fuhr er von Paris nach Chartres; sein erstes war, in der ehrwürdigen Kathedrale der Heiligen Jungfrau zu danken. Nachher begab er sich zum König, der damals gerade den bischöflichen Palast bewohnte! »Victoria!« sagte der Gesandte erhaben, sobald er jemanden erblickte - trat ein beim König und zeigte ihm seinen Brief. Da hielt ihm der König einen neueren entgegen: die Engländer hatten die Armada beschossen, hatten fünfzehn der Schiffe versenkt und fünftausend Mann getötet. An eine Landung in England war nicht mehr zu denken.
Mendoza versuchte alles abzuleugnen, und was dennoch wahr wäre, sollte ihn nicht hindern, erhaben zu bleiben. Fünfzehn Schiffe untergegangen - aber die Armada zählte hundertundfünfzig, lauter Riesen, lauter Türme aus Holz. Fünftausend Tote - darum war die Landungsarmee kaum merklich schwächer geworden, nicht zu reden von den nahenden Verstärkungen.
Nur daß diese in Wirklichkeit nicht nahten, sondern in Holland blockiert waren. Der König von Frankreich bewunderte höflich die schwimmenden Türme, die Don Philipp mit größter Umsicht hatte erbauen lassen. Leider brachte ihre Höhe den Nachteil mit, daß ihre Kanonen nur in die Ferne zielen konnten, und noch bedauerlicher hatte Admiral Drake den wunden Punkt der prächtigen Flotte schnell erfaßt. War aus dem Hafen von Plymouth vorgeschossen mit seinen Kähnen bis unter die Leiber der Riesen und hatte sie durchlöchert. Wie unrecht, der Himmel selbst ergriff die falsche Partei, Stürme treiben noch jetzt, während wir sprechen, die spanischen Schiffe auseinander, manche bis ins Eismeer, dort zerschellen sie.
Ein Spanier lachte nicht, sonst hätte der Gesandte lachen müssen über die kindischen Angriffe der Stürme oder Englands gegen die Weltmacht. Er schwieg und verachtete. Der König unterbrach ihn darin nicht; sie standen voreinander in dem steinernen Saal, jeder seinen Hut auf dem Kopf. Dreist wurden zuerst ein paar Herren vom Hof. »Die Königin von England triumphiert!« sagte Crillon laut genug. Ein anderer setzte hinzu: »Elisabeth hat sich ihrem Volk gezeigt auf weißem Pferd.«
»Ein großes Volk«, sagte Oberst Ornano fest.
»Ein glückliches Volk, ist gerettet, ist frei, und liebt seine strahlende Königin. Fünfundvierzig Jahre vermögen nichts gegen die Schönheit einer Königin, die gesiegt hat.«
Biron, der alte Feind Henris von Navarra, sagte an dieser Stelle: »Ein einiges Volk. Wir sollten einig sein.« Sogleich ging durch die Versammlung eine Bewegung, und weitergegeben wurde ein Name, zuerst noch heimlich.
Der König verließ den Saal, hinter ihm der Gesandte. Der König durchschritt die gewölbten Gänge: sein Auftreten war majestätisch, wie Valois es vermochte. Bei einem rückwärtigen Fenster blieb er stehen und zeigte hinunter in den Hof. Der Gesandte erkannte ungefähr dreihundert türkische Sträflinge, wie spanische Schiffe sie mitführten als Rudersklaven. Er fragte, woher sie wären. »Von einem gestrandeten Schiff der Armada«, erwiderte der König. Der Gesandte verlangte ihre Auslieferung. Anstatt einer Antwort stellte der König sich unter das Fenster in ganzer Gestalt. Die Sklaven fielen auf die Knie und riefen hinauf: »Misericordia!« Der König betrachtete sie und wandte sich ab. »Darüber muß beraten werden.«
Herren seines Hofes erlaubten sich, auszusprechen: »Beraten ist schon. In Frankreich gibt es keine Sklaverei. Wer französischen Boden betritt, ist frei. Unser König wird seinem Verbündeten, dem Sultan, die Leute zurückgeben.«
Der König tat, als hörte er dies nicht, mit besonderer Auszeichnung geleitet er den Gesandten zur Treppe; dieser indessen mußte in all seinem Stolz noch mehreres hinunterschlucken. Vor und hinter ihm erwähnte man die Gefangenen aus vielen Nationen, die Spanien gezwungen hatte, auf seiner Flotte zu rudern: auch Franzosen waren dem allgemeinen Joch verfallen. »Soldaten und unsere Landsleute! Wir alle, was will denn Spanien aus uns machen? Dasselbe wie aus den Völkern der Erde: Sklaven.« Das erstemal, daß solche Worte vernehmlich wurden am Hof von Frankreich, war der Tag, an dem die Nachricht bekannt wurde vom Untergang der Armada.
Der Gesandte war. schon fortgefahren, aber der König zog sich nicht zurück; er schien zu warten, niemand wußte worauf, viele glaubten ihn in seine frühere Leere versunken. Daher ließen sie sich noch freieren Lauf und wiederholten heftiger, daß alle in diesem Königreich einmütig ihre Freiheit verteidigen müßten nach dem Vorbild Englands. Dieses Land war dem furchtbarsten Schicksal entgangen: alle Folterwerkzeuge der Inquisition fuhren auf den spanischen Schiffen mit. Der katholische Hof von Frankreich hatte auch Protestanten, sowohl erklärte als versteckte, und wer weiß, welcher von ihnen sich einfallen ließ zu sagen: »Gedankenfreiheit, an ihr liegt alles: sie verbürgt unser Recht und unsere Einheit.« Anstatt ihn zum Schweigen zu bringen, gaben sie einander einen Namen weiter, denselben wie vorher, nur jetzt schon kühner; und Biron; nochmals Biron, richtete das Wort an den König.
»Sire! Der König von Navarra: er ist besser, als ich dachte. Ganz selten sieht ein Mensch sein Unrecht ein. Für meinen Teil erkenn ich es.«
In diesem Augenblick kam Guise an: Mendoza schickte ihn, damit er den König zur Unterwerfung zwänge. Er war auch bereit, er drohte sofort mit den dreißigtausend Spaniern, die in Flandern ständen. Eine Stimme: »Und wo steht der König von Navarra?« Guise erwartete vergebens, daß Valois einschritt. Wenigstens hätte er selbst es tun müssen, aber Entmutigung folgt dem angesammelten Überdruß, und man gibt nach. Eine Stimme: »Sire! Rufen Sie den König von Navarra!«
Kein Widerspruch, keine Bestrafung. Guise und seine Liga werden nächstens eine Festung an der flandrischen Grenze den Spaniern ausliefern, sie werden weiter dem Feinde dienen und ihren König bedrängen. Heute ist für den Herzog von Guise der Tag, da die Niederlage der Armada ihn über sich selbst in Kenntnis setzt. Eine Stimme: »Der König von Navarra!«
Abseits von seinem Heer steht Henri unter dem Baum. Das Land ist weit, entweicht bis in den Himmel, schweigt, wird überbrüllt vom Meer. Henri hört seinen Namen rufen.
Er ist geistesabwesend und ist hellhörig. Sein tägliches Geschäft geht weiter, aber ein viel größerer Auftrag soll sogleich ausgesprochen werden. Er versieht das Geschäft, die Füße in der gewohnten schweren Erde. Zugleich erwartet er den Auftrag, innerlich aufgehoben und hingetragen. In dieser doppelsinnigen Zwischenzeit befand sich Henri dort, wo er Krieg führte, aber auch schon anderwärts: ja, Gott näher. Ich sage wie David: Gott, der mir bis jetzt Sieg geschenkt hat über meine Feinde, hilft weiter. So sprach er, und dies sogar: Ich bin besser, als ihr glaubt - neue Worte bei ihm.
In La Rochelle befaßte eine Kirchenversammlung sich mit seinen Sünden; er übte Geduld, hörte die Pastoren reumütig an und antwortete keineswegs, wie er gekonnt hätte: Gute Leute, kleine Seelen, wer hat denn standgehalten in der Schule des Unglücks, den Mühlen des Lebens, und hat überdauert die geistigen Versuchungen, allesamt. Allein eure Enthüllungen über meine liebe Mutter hatten genügen können, ihrem Sohn den Mut zu entziehen, ich aber habe mir bewahrt die angeborene Farbe der Entschließung! Dies sagte er weder in La Rochelle den Pastoren, noch rühmte er sich dessen vor seiner Freundin, der Gräfin Gramont. Was er ihr berichtete, waren fertige Tatsachen, seine Siege über die Armee des Königs von Frankreich - und dann, daß der König den Herzog von Guise getötet, endlich dennoch getötet hatte.
Henri hatte längst damit gerechnet; seine Nachrichten vom Hof waren genau, und noch deutlicher seine Vorstellung der Menschen. Er sah Valois in seiner Ständeversammlung: fast nur Anhänger der Liga infolge des ungeheuersten Terrors bei den Wahlen; alle besessen von einem frechen und liederlichen Haß und wissen nicht mehr, wohin damit. Heben schlanker Hand alle Steuern auf, so viele dieser König in den vierzehn Jahren seiner Regierung verordnet hat; sie nehmen ihm den Rest der Macht, damit aber dem Königreich und sich selbst. Das ist das Ergebnis der vierzehnjährigen Hetze und einer falschen Volksbewegung. Zuletzt kommt alles ans Ziel, es muß nur fest genug in die Köpfe gerammt sein: dann fügt sich die Wirklichkeit, sie verwandelt sich in den leibhaftigen Unsinn, und die lange genug gepredigte Lüge vergießt wirkliches Blut. Dabei sind dies Spießbürger, starren von Unwissenheit über die Religion, über den Staat, über alles Menschliche. Für sie ist der gutwillige Valois ein Tyrann, sein gesitteter Staat soll schändlich sein. Ihr Bund zur Ausplünderung und Auslieferung des Königreiches, sie schwören darauf, daß er die »Freiheit bringt und bedeutet. Die Steuern abzuschaffen, fehlt ihnen noch, damit das Programm durchgeführt wird, wie es vierzehn Jahre lang gebrüllt worden ist über das Land.
Die Weiber dieser erwählten und erwachten Drogisten und Blechschmiede tanzen unbekleidet durch die Pariser Straßen. Der Einfall gehört der Herzogin von Montpensier, Schwester der Guise, Furie der Liga, deren Prozessionen an Reiz gewinnen sollen durch den nackten Irrsinn. Das geht zu weit; Kleinbürger sind zahlreich, sämtlich wollen sie nicht mit loderndem Kopf in ihr Verderben rennen, auch ihre Weiber nicht verwildert hineinschlüpfen lassen. Sie wollen hauptsächlich nicht zahlen; sonst sind sie voll täglicher Widersprüche. Daher ein flüchtiger Aufstand gegen die Bande gieriger Abenteurer, der Paris seinen Zustand verdankt. Hierauf notgedrungene Besinnung Guises: er muß handeln derart, daß niemand zurück kann, das Endgültige muß geschehen, der König sterben.
Der König war damals so arm, wie sogar Henri von Navarra noch nicht gewesen war. Sein Hof hatte sich aufgelöst, seine letzten fünfundvierzig Edelleute sahen sich nach zahlenden Herren um. Valois hatte nichts zu essen, erfährt Henri. In seiner Küche ist das Feuer ausgegangen. ›Habe ich selbst es nicht ausgeblasen, als ich sein bestes Heer zerstörte bei Coutras? Ich muß ihm zu Hilfe kommen. Jetzt bittet er Guise. Der bettelt für ihn bei der Liga. Nichts zu machen mit den Spießbürgern, sie sind die Dümmsten im Lande, auf sie ist Verlaß für einen Führer ohne Gewissen. Er soll es nur nicht zu weit treiben. Er glaubt, der König wäre kein Mann mehr; Guise aber ist kein König, er kennt uns nicht. Wenn die Gesandten berichten, wir wären am Ende, dann fließt uns aus den Jahrhunderten noch alte Kraft zu. Ich will Valois helfen.‹
Guise wird vollends dreist, so erfährt Henri. Er fängt an, die Vorsicht zu vergessen - wohnt selbst im Schloß des Königs, zu Blois, damit er ihn sicher in Händen hält. Und warum nicht Valois ihn? Guise hat alle Schlüssel; gleichwohl erfährt er nichts mehr, denn spät genug mißtraut der König seiner Mutter, er hat ihre Vertrauten abgesetzt, sie kann nicht, was doch ihr Leben war, kundschaften und verraten. Viel Glück, mein Valois, bei deinen heimlichen Vorkehrungen. Du bist nur sehr allein für so besondere Entschlüsse. Guise will nichts wissen; trotz allen Warnungen, fünf an einem Tage, beugt er nicht vor: es hat mehrere Gründe, Henri erkennt sie. Erstens ist Guise hochmütig. Er umgibt sich, wie immer, mit großartigem Gefolge; weigert sich indessen, an eine Gefahr zu denken. Folglich kommen Augenblicke, in denen er ungedeckt ist, und ein Augenblick genügt. Sein Hochmut wird ihn zu Fall bringen - nicht nur, weil er ihn unvorsichtig macht. Er hält sich auch zu gut für die Rolle, die er spielt: Henri weiß Bescheid über seinen alten Spielgefährten. ›Meinem Guise ist nachgerade übel vor Hochmut, er verträgt nicht länger den Atem seiner eigenen Leute. Ich, wenn ich Guise und ein Schurke wäre, ich war auch der Mann, sie zu riechen: Knoblauch, Wein und ihre Füße. Aber ich kann Spanien nicht riechen, daher ginge es nicht. Guise ist außerdem komisch.‹
In seinen Betrachtungen, beim nächtlichen Lagerfeuer oder unter einem Baume mit sich allein, gelangte Henri an die heitere Stelle. Guise zahlt drauf. Er will sich nicht langweilen, hat den Hof zurückgeholt, speist und unterhält die ganze schöne Gesellschaft, den Valois mit - anstatt ihn zu ermorden. Hat Frauen; mehr als ihm guttut, und wir kennen das Vergnügen, haben selbst erfahren, daß es den Zweifel begünstigt und den Überdruß vervielfacht. Davon wird man müde, besonders so ein Goliath, grade die werden es. Wer weiß übrigens, vielleicht will er nicht anders als müde werden. Hochmut, Überdruß, Vergnügen, alles zusammen wäre am Ende der Vorwand, die Augen zu schließen und den Streich zu erwarten. Wir selbst entgingen erst unlängst der Versuchung. Der halbe Schnurrbart wird weiß dabei.
Als der Reitende ankam: der Herzog von Guise ist getötet worden im Zimmer des Königs, der König hat zugesehen hinter dem Vorhang seines Bettes - Henri wunderte sich nicht und war es zufrieden. Die Einzelheiten des Vorganges, jeder Dolchstoß von einem anderen Mörder geführt, alle wütend und so kopflos, als glaubten sie sich selbst nicht ihre Tat: Henri hörte davon mit Ruhe. Er weinte auf Schlachtfeldern: hier nicht. Sie hatten sich an die Beine des Sterbenden gehängt, dennoch hatte er sie durch das Zimmer geschleift bis vor das Bett des Valois, der zitterte, tobte, schaurig frohlockte - und dem Gefallenen hatte er wahrhaftig ins Gesicht getreten, wie Guise einst dem toten Admiral Coligny. Gott vergißt ihnen nichts, dies sah Henri. Wären alle Gesetze gebrochen, das seine bleibt in Kraft.
Die letzte Nacht hatte Guise mit Sauves verbracht: und so hat Henri selbst bei derselben Frau gelegen nahe vor seiner Flucht. Ihn, den sie nicht liebte, hat sie damals nur erleichtert um seine große Einsamkeit. Ihren einzigen Herrn und Gebieter mußte sie als letzte schwächen, so daß ihn in seiner grauen Seide noch fror am Morgen, bis andere ihn vollends kaltmachten. Leb wohl, Guise, und Gruß an Sauves. Der König triumphiert. Den Kardinal von Lothringen hat er im Gefängnis erdrosseln lassen; den dritten Bruder, Mayenne, sucht er noch, möge er ihn finden! Totentanz, dies ganze Jahr achtundachtzig, und die Vornehmsten kommen dran noch einen Tag vor Weihnacht. Häng sie in Paris, mein Valois! Seit vierundzwanzig Stunden hängen der Präsident de Neuilly, der heulen konnte »wie ein Kalb«, und der Vorsteher der Kaufmannschaft. Ein Edelmann, den Guise beschützte, hat mit Menschenfleisch gehandelt. Aufhängen, Valois! Der Totentanz hat angefangen mit unserem vergifteten Vetter Condé, und auch uns beiden stellen Töter nach, mir wie dir. Nicht wir haben mit Menschenfleisch gehandelt. Aufhängen, Valois!
Dies sagt einer, der viele seiner eigenen »Töter« hat laufen lassen und sich sogar gewöhnen wollte, die Nacht mit ihnen aufzusitzen. Einmal endet auch die Ergebung in das Böse der Menschennatur. Sie hat ihre Güte und weiß selbst darum: das macht ihre Bosheit unentschuldbar. Von Anbeginn des Geschlechts haben seine gutgearteten Beispiele für die Vernunft und den Frieden ihren unbedankten Kampf geführt. Eauze oder Menschlichkeit - war höchst lächerlich; ein Wort wie Geisteskämpfer klingt belustigend, wenn sie denn roh und dumm sind und es bleiben wollen. Hier ist aber ein König, Henri mit Namen, der kann rädern und hängen, soviel ihr mögt; auch habt ihr ihn in Laune versetzt durch allzu üblen Hohn auf seine gesunde Vernunft. Untaten des Wahnwitzes war eigentlich alles, was ihm von euch geboren wurde für seinen guten Willen, sein Leben lang. Totentanz geh weiter! Das Jahr hat noch die Woche. Ich erwarte nur die Stunde, bis ich sagen höre, daß man die selige Königin von Navarra hat erdrosseln lassen. Das, und dazu der Tod ihrer Mutter, dann stimm ich an das Danklied Simeons: »Herr, nun lassest Du Deinen Diener in Frieden fahren.«
So sprach und schrieb er, derart war er gesonnen nach der Töterei von Blois Er hoffte, daß Valois überdies umbrächte seine gute Schwester Margot und noch besser Mutter Madame Catherine. Diese starb inzwischen wirklich - ohne fremdes Zutun, nur aus Erschütterung ihres zarten Wesens durch das Hinscheiden Guises, und weil niemand ihr glaubte, daß nicht sie dahinterstak, wo gemordet wurde. Beschuldigt werden dessen, was sie nicht mehr kann, ist hart für eine alte Mörderin. Ihr blieb nur übrig, die Erde zu verlassen. Wirklich tot? Von der Nachricht wurde Henri aus seiner Stimmung gerissen. Er hatte zu gut prophezeit und liebte doch nicht zu töten. Ihm wurde bange um seine Margot von einst. Totentanz, steh still!
Der ist schon längst nicht aufzuhalten. Henri in seinem Kleinkrieg reitet bei starkem Frost, erstarrt in seinem Panzer; muß absitzen und sich heftig bewegen, seiner Erwärmung wegen. Wenig später, nach dem Essen, ergriff ihn eine außerordentliche, sonderbare Kälte. Er bemerkte deutlich, daß an ihm die Reihe war, mit hineingezogen zu werden in den Tanz. Wirklich fand man eine Lungenentzündung. Das geschah in einem kleinen Dorf, und so heftig war die Krankheit, daß sie ihn dort im Gutshaus mußten liegen lassen. An den Scheiben klirrte der Frost, sein Fieber stieg, bis keine Hoffnung auf Leben mehr übrig schien: nur er selbst behielt sie. Er sprach zu sich: »Ich will's vollbringen. Soll nicht alles vergebens gewesen sein.« Er meinte laut zu reden, flüsterte aber nur: »Dein Wille geschehe!« Der Wille des Herrn war zuversichtlich, daß Henri kämpfte und daß er's vollbrachte - mochte er heute nur gewendet werden mit seinem Leinentuch wie Lazarus; und die Krise, die ihn noch retten konnte, war eine Frage von Stunden.
Indes er mehrmals den Himmel offen sah, ging es in dem Königreich wahrhaftig zu, als wiederholten sie, vor dem Anbruch reinerer Jahrhunderte, noch einmal im Abriß eine ganze gräßliche Vorzeit: Totentanz, Veitstanz und Kinderkreuzzug, Pest, tausendjähriges Reich samt weiß verdrehten Augen, die auch zeitweilig erblindeten aus bloßer Einbildung. Da ging es zu. Hei, sagte die hochherzige Jugend nach der Art des Jakob, wo bist du? Endlich läßt sich mit Menschen umspringen. Zu lachen gibt es nichts hierorts. Wer vergnügt gewesen ist am Faschingsdienstag, dem soll das Lachen vergehen. Hütet euch, aus der Kirche fortzubleiben. Aber vom Prediger mit Namen genannt zu werden, bedeutet: du kommst nicht mehr lebend nach Haus. Anzeigen, angeben, ausliefern, an den Galgen bringen, hei. Als Belohnung für die Belastung eines anderen tritt man in sein Amt oder Geschäft: so hat man jetzt üblicherweise zu sein. Darum sind die ehrbaren Leute für diesmal Schurken. Zu anders eingerichteter Zeit werden sie höchst wohlanständig sein, an ihnen soll es nicht liegen. Sie sind, was man grade zu sein hat, diesmal verwahrloste Schurken. Beileibe haben sie es nicht aus sich selbst und ihrem eigenen Mittelpunkt. Fragt sich, wo der liegt.
Überaus verhaßt bei einer Masse mit weiß verdrehten Augen ist das geordnete Denken. Ein unpromovierter Student, der aber die geforderten Meinungen hat, dringt in den Hörsaal des Professors, tritt ihn auf beide Füße, läßt ihn einsperren und wird statt seiner ernannt. Der junge Arzt beseitigt den älteren, der ihm im Weg ist: hat nicht richtig gegrüßt, der Professor die Waschfrau. Desgleichen verfährt ein Unterbeamter: erfrecht sich, je demütiger er sonst war, gegen die hohen Richter des Königlichen Parlaments. Sie müssen mit ihm kommen und das Recht im Namen des totalen Volkes sprechen, da ein Volk erst nach der Abschaffung des Denkens wirklich total werden kann. Wie denn vorher. Dementsprechend tanzen ihre Weiber im Hemd durch die Straßen.
Der Gerichtspräsident in Toulouse wurde vom Volk getötet. Zuerst Barrikaden, nachher ein Galgen für den toten Richter, droben hing schon die Puppe des Königs. Der Richter hatte der Absetzung des Königs widerstanden, dafür hängten sie einen zum anderen. Der letzte Valois war ein armer, schwacher Mensch gewesen, auch in Verbrechen hineingezogen. Dennoch widerfuhr ihm am Ende seiner Tage die hohe Ehre, gehaßt zu werden nicht wegen des Schlechten, sondern aus der Feindschaft verwilderter Massen gegen Vernunft und Menschenwürde - als ihr Sinnbild, so unzulänglich es auch war.
Er geisterte in seinem violetten Rock, die Farbe der Trauer, er trug sie um seines Bruders und seiner Mutter willen. Aber er schien sie in Wahrheit zu tragen für Guise, den er selbst getötet hatte. Dem Toten war er nicht gewachsen. Erst seine Tat, seine einzige, hatte ihn recht entwaffnet. Einen anderen als den letzten hätte sie auf alle Fälle vorwärts gestoßen. ›Jetzt das äußerste, jetzt Schrecken verbreiten, damit er nicht über mich kommt. Was Mut, was Überlegung, ich hab die Wahl nicht. Soldaten herzu, und bevor die erste Betäubung meiner Feinde vorbei ist, müssen sie niedergeschlagen sein. Herbei Navarra!‹
Valois in seinem violetten Rock, bleich und schweigsam, dachte keinen Namen so häufig. Er geisterte durch sein Schloß in Blois, allein und verlassen, abgesetzt vom Thron durch die Kirche selbst, kein Treueid, der sein Volk noch band. Die Abgeordneten der Ständeversammlung reisten nach den Städten des Königreiches. Ihn hätte seine Hauptstadt nicht eingelassen, eher hätten sie ihr dort gefangen und getötet - dies aber, wie er sehr wohl wußte, infolge eines Zustandes der Menschen, der eigentlich Schwäche war. Wütende Schwäche Valois verstand sich aus eigener Natur darauf, sie zu unterscheiden von gesunder Tatkraft. Die war in einem anderen Lager. ›Navarra‹, dachte er hinter dem verschlossenen Gesicht; rief nicht, wagte nicht zu rufen. Den Hugenotten gegen seine katholische Hauptstadt, er selbst der Mann der Bartholomäusnacht! Navarra hätte ihn wohl in den Louvre zurückgeführt, dafür bekäme er Krieg mit der Weltmacht, die furchtbar blieb wie je.
Als die Armada untergegangen war, hatte nur ein Blitz den dunklen Himmel des letzten Valois zerrissen. Er wird nicht mehr Zeit haben, zu erkennen, daß die Weltmacht selbst tödlich getroffen ist. Das geht seinen Erben an. Der Erbe seiner Krone wird am Anfang seines Reiches ohne Land, ohne Geld, beinahe ohne Heer sein; aber er braucht nur zu siegen in einer einzigen unbedeutenden Schlacht über die Söldner und Knechte Spaniens: was geschieht? Ein Aufatmen rauscht durch alle Völker.
Für Valois bleibt es dunkel, jeder Laut erstickt. Um ihn niemand mehr, der Navarra ruft. Draußen niemand, der vor der Ankunft Navarras zittert: wie hätten sie sich sonst erdreistet, dem armen König die letzten Einkünfte zu streichen, und das nach seiner ungeheuren, einzigen Tat. Im Zimmer war es kalt, der König kroch ins Bett. Er hatte Schmerzen, lächerliche Schmerzen, von Hämorrhoiden; seine übrigen paar Edelleute lachten ihn aus, weil er weinte.
›Navarra! Komm! Nein, komm nicht. Ich wein nicht wegen meines Hintern, sondern meine einzige Tat war zwecklos. Jetzt wärest du daran, zu zeigen, was du kannst. Wird auch nicht mehr sein. Doch. Ich weiß, du bist der Mann, dir will ich mich ergeben. Dich anerkenn ich als Erben der Krone, und hätt ich zehnmal abgeschworen. Das Königreich hat nur noch dich: ich habe bezahlt dafür, daß ich es weiß. Sieh mich, Navarra, in meinem Elend. So groß und tief war es nie, wie seit meinem vergeblichen Versuch, mich zu befreien. Nach meiner Tat rief ich: Der König von Paris ist tot, endlich bin ich König von Frankreich! Nenne mich nicht so, ich bin's nicht. Ruf mich Lazare, wenn du anrückst, Navarra. Nein, komm nicht. Doch. Komm.‹
Beide, durch den größten Teil des Königreiches getrennt, waren übel dran. Henri indessen überstand die Krise und war alsbald gesund - verlor sich auch niemals wieder an die mörderischen Vorstellungen, die seine schwere Krankheit angekündigt hatten. Mit Zurückhaltung sprach er von dem Ende der Herren von Guise: »Ich hatte gleich vorausgesehen, ein solches Unternehmen würden die Herren von Guise nicht wälzen können, noch damit zu Rande kommen ohne Fährnis ihres Lebens.« Das war sein Nachruf, und zu ihm stimmte sein Verhalten: es wurde noch umsichtiger, manchem erschien es zu bescheiden. Will er denn gar nicht mehr den großen Zug tun und Valois heraushauen unter seinen Feinden, die allerdings zwischen ihnen beiden liegen die ganze Strecke hindurch? Seine Freunde hatten ihn als den Halsbrecher gekannt, und das in kleinen Dingen. So gemessen, Sire, bei diesem großen?
Er erriet die Mißbilligung seiner alten Freunde. Die ältesten Hugenotten, vom Vater auf den Sohn gewohnt, für die Religion zu sterben: dieselben, die bei Coutras zum Gebet hingekniet waren, und grade deshalb fiel nachher Joyeuse, sie murrten jetzt, selbst wußten sie noch nicht genau, weshalb. Dem katholischen König zu Hilfe kommen, das wollten sie, obwohl sie es schwerlich geglaubt und zugestanden hätten. Henri hielt dafür, die Menschen müßten ganz reif werden, dann war es auch die Gelegenheit. Bei Valois stand es nicht anders, wie ihm zugebracht wurde. Der traurige letzte hatte seine vorige Zuflucht verlassen und war aufgenommen von der Stadt Tours, die zwischen Getreidefeldern auf beiden Ufern der Loire liegt, der besonders maßvolle Mittelpunkt seines stürmischen Königreiches. Valois hoffte dort auszuharren, bis genug seiner Edelleute sich wieder auf ihn besonnen hätten. Sein überlebender Günstling, Epernon, sammelte ihm inzwischen Fußvolk. Es könnte gleichwohl so ausgehen, daß seine Feinde ihn noch vorher überraschen und fangen. Sicher wäre allein Navarra: wo bleibt er? ›Ich, der katholische König‹ - denkt Valois, dem man mühselig eine Truppe anwirbt; ›liefe mir nicht doch mein Heer auseinander, wenn ich den Hugenotten riefe?‹
Henri dachte: »Er wird mich rufen, wenn seine Leute dessen gesonnen sind, und vorher wär's zu früh. Mich drängt es zu dir aus tiefstem Innern, Valois.« Das hielt er geheim, ließ aber nur deswegen an diesem ersten Märztag zu sich seinen Mornay kommen. Es war in einer kleinen Stadt, die er nicht hatte erobern müssen, sondern aufgetan hatte sie sich ihm. Sie bewegten sich hin und her durch einen offenen Gang in der Frühlingssonne, und niemals hatte diese sie so neu und hoffnungsvoll beschienen.
Henri sagte: »Etwas hat sich verändert, jetzt rufen sie mich von allen Seiten. Die Städte streiten sich um mich, welche sich mir früher ausliefern darf. Sind die guten Leute verrückt geworden, oder macht es der Frühling?«
»Sire, es könnte auch sein, daß man will, Sie sollen Ihre Zeit verlieren.«
»Wofür brauche ich sie so eilig?« fragte Henri, und ihm schlug das Herz schneller: dies aber, weil er wohl wußte, welche Sache dringend zu tun war und im letzten Augenblick scheute er. Sehr lange hat er gearbeitet, hat sich Schritt für Schritt und im Schweiße seines Angesichts herangearbeitet an das Ziel. Es ist in Sicht, er könnte zuspringen: da schwankt er, seine letzte Bewegung bleibt aus, er findet plötzlich nicht die Sicherheit aller früheren. Das Glück wird weniger selbstverständlich, als man gemeint hat, da es noch weit war und man tief verwickelt war in Mühen. Prinz von Geblüt, aber die Füße sind von Erde schwer. Soll ein anderer sprechen, entscheide doch Herr Du Plessis-Mornay, wozu wäre er tugendhaft und klug.
»Sire, Sie haben nicht mehr zwei Monate zu verlieren mit hübschen Einzelheiten. Jetzt retten Sie Frankreich, sonst geht es unter. Sie müssen mit allem was Sie aufbringen an Kräften, nach der Loire vorrücken.«
»Dort steht der König«, sagte Henri, sein Herz sprang hoch.
»Grade darum.«
»Ich soll ihn angreifen, Mornay?«
»Sire, Sie sind sein Freund, er wird der Ihre sein, nachdem zehn seiner Heere Sie nicht haben vernichten können.«
»Waren es zehn, Mornay? So viel Müh und Arbeit? Wahrhaftig, und jetzt hat Valois kein einziges mehr, die Liga wird ihn lebendig verschlingen. Sie sagen, Herr Du Plessis, daß ich ihm soll zu Hilfe kommen? Es könnte mir gefallen. Will's doch überlegen.«
Die Folge des Gespräches war, daß er eine Stadt am Wege kaufen wollte, um mit etwas weniger Kampf durch das Königreich zu gelangen: er, der hundertmal sein Leben ausgesetzt hatte, als unmerklich Geringes dabei zu gewinnen war. Jetzt war das Königreich zu gewinnen. Indessen: Mauern berennen, Häuser einäschern und Leichen auf den Straßen lassen, der König, der er sein wird, hat davon zu viel hinter sich, zu gern sähe er davon ab. Statt dessen kauft er die Städte, die sich nicht von selbst ergeben, wird später sogar die Provinzen kaufen, muß aber zuerst noch mehr Schlachten gewinnen und alt werden in der Rüstung, ob er will oder nicht. Sonst läßt sein Königreich sich nicht einmal mit Geld vernünftig, wohlhabend und stark machen.
Solche traurigen Wahrheiten bewegte der lustige Henri Navarra in sich; wären sie ihm bewußt gewesen oder ahnte er sie nur. War wohl reichlich jung für sie, doch gründlich auf sie vorbereitet. Welch ein Glück, neben sich hatte er Mornay, einen heiligen Mann. Dies ist im vollen Ernst ein Mann, der gläubig bleibt in aller eigenen Klugheit und trotz der Bosheit vieler Begegnenden. Er glaubt an die Macht des Wortes, das von Gott ist. Wir müssen es nur erhalten, wie es zuerst aus ihm hervorging, klar und wahr: dann wird es unfehlbar sein. Daher verfaßte Mornay im Namen seines Fürsten einen Aufruf an alle im Königreich. Die Franzosen sollten einträchtig und einig sein.
Er fragte: Was ist wohl erreicht worden mit all den erbärmlichen Kriegen, den Gewalttaten, der Million Menschen, die um ihr Leben kamen, und mit so viel verschwendetem Gold, wie ein ganzes Bergwerk nicht hergibt? Er antwortete, ließ aber eigentlich seinen Leser antworten: Die Verarmung des Volkes ist erreicht worden. Daß der Staat todkrank im Fieber liegt. Unheil ohne Ende. Er fragte: Und wie wird es aussehen, wenn es so weitergeht? Er fragte zuerst den Adel und die Bürger, gab auch gleich die Antworten, die ihr eigener Vorteil ihnen vorschrieb. Dann erhob sich sein Ton, er sprach zum Volk, nannte es die Kornkammer des Königreiches, des Staates Fruchtfeld, seine Arbeit nährt die Fürsten, sein Schweiß stillt ihren Durst. Zu wem wirst du deine Zuflucht nehmen, Volk, wenn der Adel dich mit Füßen tritt?
Mornay sagte, und Henri durch ihn: Mit Füßen tritt. Von den Bürgern der Städte behauptete er, daß sie das Volk aussaugen würden. Auf diese beiden Stände ist kein Verlaß: das Volk hat nur den König, Ruhe und Sicherheit sind allein im König - herauszuhören war, in welchem. Der König der Verfolgten und der Armen, der Sieger über silberne Ritter und Steuerpächter. Da aber gerade in seinem Namen der Aufruf erging, versäumte Mornay nicht, ihn dem König von Frankreich geloben zu lassen, er werde treu sein. Hätte Henri von Navarra dereinst unter dem Segen Gottes seinen Plan zu Ende geführt, dann wollte er Gehorsam erweisen dem König. Sein eigener Lohn sollte sein gutes Gewissen sein. Er wollte sich zufriedengeben mit der Freiheit der Wohlgesinnten.
So der Aufruf, der mit Vorsicht hinwegging über die einzige Klasse der Bevölkerung, bestrebt, sie nicht zu reizen, aber ohne viel Hoffnung, sie zu versöhnen. Mit der Geistlichkeit war nichts anzufangen, und die blinde Kraft des Hasses, hier Liga genannt, kann nicht auf einmal aufgehalten werden, auch durch die Wahrheit nicht. Dennoch, weithin erkannte man diese in den Worten Navarras. Der Glaube seines Mornay wurde vollauf gerechtfertigt. Die Wahrheit verbreitete ein unverhofftes Leuchten: man glaubte es kaum. Dann dürfen wir einträchtig und einig sein? Das war sonst noch nie erlaubt. Was ist geschehn? Auch die beiden Könige staunten, so sehr sie doch zueinander strebten. Die Hindernisse sind nicht fortgeräumt; Navarra denkt an keinen Wechsel der Religion, nur um ein Königreich zu erben. Valois steht, wie immer, in Verhandlungen mit der Liga. Dennoch ließ er Mornay wissen, daß er bereit wäre, und zu Navarra schickte er seine natürliche Schwester, Madame Diana.
Ein einjähriger Waffenstillstand wurde abgeschlossen zwischen den beiden Königen, beide aber waren gesonnen, daß er für alle Zeiten wäre. Inzwischen hatte Henri sich aufgemacht mit seinem Heer, und da die Städte unterwegs ihn willig einließen, rückte er schnell gegen Tours. Der König hatte dort sein Parlament versammelt. Diese Juristen waren vernünftig, und je näher Navarra kam, um so mutiger wurden sie auch: zuletzt trugen sie den Vertrag unter die Gesetze des Königreiches ein. Das geschah am neunundzwanzigsten April. Am dreißigsten erschien Navarra mit seinem Heer.
Es war ein Sonntag hell und klar. Dem armen Valois schien es, er stände von den Toten auf. Zum erstenmal verließ ihn die Furcht, daß die Liga ihn fing und mitnahm. Von der anderen Seite nahte sein Bruder Navarra. Der König war in der Messe, als beide Heere aufeinander trafen am Ufer eines Baches drei Meilen vor der Stadt: die Edelleute des Königs von Frankreich, mit ihren Truppen, und drüben die alten Hugenotten. Sie hielten nicht an, das wäre nicht gut gewesen, sondern vermischten sogleich ihre Reihen, zäumten gemeinsam ihre Tiere ab und tränkten sie in demselben Gewässer. Diese Beschäftigungen verhüteten, daß sie unnütz sprachen und einander müßig ins Gesicht sahen. Erblickt hätten sie gealterte Gesichter, Leiber voller Narben; hätten vielerlei Elend erkannt bei dem anderen wie bei sich selbst, und wären erinnert worden an ihre verbrannten Häuser, getöteten Familien, an zwanzig Jahre Bürgerkrieg. Unmöglich konnten sie während ihres ersten friedlichen Wiedersehens die Bartholomäusnacht vergessen, das konnten weder die Täter noch die Opfer. Geraten war es, Halfter zu lösen und Pferde in den Bach zu reiten. Der König von Navarra wartete dort hinten und ließ sie machen; nach vorn schickte er den Generalobersten seines Fußvolkes.
Vorn am Wasser sagten sie: »Herr de Châtillon«, und wollten es nicht glauben. Dennoch war ein Sonntag hell und klar, der Sohn des Admirals Coliginy ging allein auf den Marschall d'Aumont zu und umarmte ihn. Ein freier Raum entstand um diese Herren, und Köpfe wurden entblößt. Dies einmal geschehen und im Herzen aufgefaßt, verbrüderten sich beide Heere.
Die Könige folgten ihrem Beispiel. Es wäre nicht gut gewesen, den Heeren die Versöhnung vorzumachen. Die Heere vielmehr mußten vorangehen und noch erstaunt sein, was sie sich erlaubten. In Schloß Du Plessis, jenseits des Flusses erwartete der König von Frankreich den von Navarra, er ließ ihn bitten, hier überzusetzen. Aus dieser Zumutung war zu ersehen, daß Valois vom Unglück noch nicht genug gelernt hatte, man hätte denn böse Absichten bei ihm vermutet. Bei Schloß Du Plessis fließen Loire und Cher zusammen. Wer hier übersetzt, ist ungedeckt, von allen Seiten kann der verräterische Schuß fallen, auf der Landzunge aber wird er schutzlos in der Gewalt des Valois sein. Mehrere der Seinen rieten Henri dringend ab; er ließ sich nicht beirren, stieg ins Boot mit einigen Edelleuten und Leibwachen, ja behielt auch sein weißen Federbusch und sein rotes Mäntelchen. Jeder sah von weitem, wer er war.
Er kam glücklich an, weil Gott es wollte, und auch wegen der Sehnsucht, die Valois nach ihm fühlte; er erkannte sie an seiner eigenen, war ihrer darum versichert. Drüben führten Herren des Königs ihn nach dem Schloß, der König indessen erwartete ihn im Park - war eine Stunde früher angekommen, war unruhig im Innern, nach außen wie ein Schlafender und wagte nicht zu fragen. Wo bleibt er? Ihn hat doch kein Unfall betroffen? Von zurückgekehrten Höflingen umringt, fragte er keinen das, was ihn bewegte. Er hörte aber sagen, Navarra wäre im Schloß; da vergaß er sich und lief. Einige Schritte lief Valois, bevor er sich seiner Majestät entsann und sie öffentlich darstellte. Der Park war voll von Menschen, Hof und eingedrungenes Volk. Der König von Frankreich machte den halben Weg, den anderen halben machte der von Navarra.
Er stieg die Stufen hinunter vom Schloß in den Park. Man sah ihn gekleidet als Soldat, das Wams stark abgenützt vom Panzer auf den Schultern und an den Seiten. Die anliegenden Hosen waren aus Samt, in der Farbe welken Laubes, der Mantel scharlachrot, am grauen Hut der große weiße Busch und eine sehr schöne Medaille. Das alles sahen Hof und Volk genau. Außerdem bemerkten mehrere, wenn auch weniger eifrig, daß sein Bart schon ergraute. Ob in Henri Tränen aufstiegen, blieb unbeachtet, so leicht es bei ihm vorkam, wie alte Bekannte noch wissen konnten. Aber auch für sie kaum wiederzuerkennen war das abgemagerte Gesicht, schmaler als alle gewohnten. Um so größer erscheint die tief herabgedrückte Nase; in ihre Wurzel schneidet eine runde Falte; die Brauen sind angestrengt erhoben. Das Gesicht war nicht einfach: nur seine Entschlossenheit machte aus ihm das Soldatengesicht. An den angekränkelten Gefangenen des Louvre durfte niemand denken. Dieser Navarra ging fest in den Hüften dem König entgegen.
Halbwegs werden beide getrennt durch einen Schub Menschen. Die beiden stehen, suchen einander in den Lücken der Menge, sie grüßen, sie strecken nacheinander die Arme aus. Sie sind blaß und tiefernst. Diesen Augenblick streben sie noch zueinander: im nächsten soll alles neu sein. Fried! Fried! - und endlich der feierliche Augenblick des Rechten und Guten.
»Platz! Der König!« riefen die Wachen, die Menge teilte sich, und da nun der König von Navarra hintrat vor Seine Majestät, verneigte er sich, und der König umarmte ihn.
Eines schönen Morgens kam Mayenne, der überlebende Bruder Guises, mit Reiterei und wollte den König fangen. Natürlich führten die Verräter, an denen es um ihn her nie fehlte, den König genau dorthin, wo er verloren gewesen wäre. Ein Müller erkannte den violetten Rock und sagte: »Sire! Wohin? Da sind ja die Frontisten!« Schon griff Mayenne an. Der tapfere Crillon konnte den Vorort nicht halten und kehrte in die Stadt zurück mit so wenig Mannschaft, daß er eigenhändig das Tor schloß. Der König von Navarra war abgezogen, aber noch nicht weit: man schickte nach ihm. Fünfzehnhundert hugenottische Arkebusiere retteten den König. Die von der Liga dachten mit List den Angriff zum Stehen zu bringen; sie riefen: »Tapfere Hugenotten, gegen euch haben wir nichts, nur gegen den König, und der verrät euch.« Die Antwort war eine Salve.
Diese wenigen Krieger mußten sich endlich zurückziehen: das taten sie langsam, mit kleinen Schritten, feuerten weiter, und ein Drittel von ihnen fiel. Crillon, der Soldat des Königs, gestand seitdem seine »Leidenschaft für die Hugenotten«. Ein neuer freier Mut und Unentwegtheit verbreiteten sich angesichts der Freunde, die dem König zugewachsen waren - dergestalt, daß Valois selbst ins Feuer ging. Die Liga aber räumte den Platz, ohne anderen Grund als nur die Furcht. Sehr glücklich war Henri, daß er nicht mehr kämpfen mußte gegen den König, nur noch gegen die Feinde des Königs. Es befriedigte seinen Geist, und das ist mehr als manche eingenommene Festung. Dem König führte er seine Truppen vor, zog über eine Brücke mit zwölfhundert Reitern, viertausend Arkebusieren, und als sie bei ihm anlangten, fragte der König: »Alle sind frisch und fröhlich, ist denn nicht Krieg?« Henri erwiderte: »Sire! Obwohl wir Tag und Nacht zu Pferd sind, ist dies ein milder Krieg.« Valois verstand ihn; er lachte zum erstenmal aus dem Innern, wie Henri.
Der König, mit seinem neuen Mut, versammelte bis zum Sommer fünfzehntausend Schweizer, und das ohne Geld. Mit seinen eigenen und den Truppen Navarras hatte er fünfundvierzigtausend Soldaten, ein starkes Heer: es sollte ihm zurückerobern die Hauptstadt seines Königreiches - hätte es auch gekonnt. Mayenne inzwischen schmolz ein, endlich blieben ihm fünftausend Mann, und keine Spanier, keine Deutschen zeigten sich: weil eine falsche und schimpfliche Massenbewegung zusammenfällt vor jedem frischen Windstoß neuen Mutes, und hat plötzlich keine Massen mehr. In dem eingeschlossenen Paris sogar wurde auf einmal offen geredet. Die braunen Kutten konnten sich nur noch bewaffnet zeigen. Wo ist jetzt die Liga? Wo die herrschende Partei? Das totale Ungeheuer besteht, ganz im Grunde, aus höchstens einem Zehntel Wütender und einem Zehntel Feiglinge. Zwischen diesen beiden Menschenarten - nichts.
Die alten Truppenführer des Königs wußten nicht recht, ob die Belagerung von Paris wirklich unternommen werden sollte. Sie konnte lange währen; das Heer der Liga schwoll gewiß wieder an, wenn die Belagerung zu nichts führte. Auf ihr aber bestand der König von Navarra mit dem Aufgebot seines ganzen Ansehens. »Es geht um das Königreich. Wir müssen nur wissen, daß wir gekommen sind, diese schöne Stadt zu küssen, nicht aber handgreiflich gegen sie zu werden.« Er sagte noch mehr, was das Unternehmen ruhmvoller erscheinen ließ als jedes andere. Dem Kühnen wird geglaubt, und das machte seine Kraft. Darum nahm das königliche Heer am dreißigsten Juli Saint-Cloud, Stadt und Brücke. Der König blieb an diesem Punkt der Umgebung, indessen Navarra einen anderen besetzte.
Zwei Tage später saß er grade zu Pferd, er und seine gute Truppe. Kommt im Galopp entgegen ein Edelmann, sagt ihm ganz wenige Worte ins Ohr: sofort wendet Navarra. Fünfundzwanzig Edelleute nimmt er mit sich nach Saint Cloud. »Sire, warum zum König?«
»Freunde, weil er einen Messerstich in den Bauch bekommen hat.« Darauf schwiegen sie bestürzt, begannen auch später nur untereinander und leise. An der Sache wäre die ganze Liga zu erkennen, so meinten sie. Diese Partei und Bewegung wären nun einmal nicht gemacht für den Kampf, sondern für den Mord. Die Mönche in Paris hatten ein Wunder gepredigt, und wußten wohl, welches. Das Wunder war allerdings geschehen, in Gestalt eines Mordes. Auch zu unserem Herren sind drei junge Leute gekommen, hatten geschworen, es wie Judith zu machen, und nur von ihrer Hand sollte der neue Holofernes sterben. Ja: aber der versteht mit seinen Mördern fertig zu werden. Der arme Valois nicht. Wer hat ihn wohl gestochen?
Sieh da, ein Mönchlein, zwanzig Jahre, dicke Lippen, vor kurzem gewiß ein rechter Ausbund hochherziger Jugend, jetzt fanden die eintreffenden Edelleute des Königs von Navarra seine Überreste als zerdrücktes braunes Bündel im Hof liegen. Nach der Tat war er merkwürdigerweise nicht geflüchtet: er hatte sich mit dem Gesicht gegen die Wand gestellt, hatte auch geflüstert: »Jakob, wo bist du?« So hieß er selbst, Jacques Clément.
Der Erbe der Krone war im Zimmer bei dem Sterbenden, der aber zuerst noch nicht tödlich getroffen schien. Dennoch erlag Valois, da befand sein Erbe sich anderswo. Als er, noch unberichtet, zurückkehrte, warf als erste die schottische Garde des verstorbenen Königs sich ihm zu Füßen. Rief: »Ha! Sire, jetzt sind Sie unser König und Herr.«
Im ersten Augenblick begriff Henri sie nicht - er, mit allem Glauben an seine Sendung. Tief erschrak er; sein Gefühl war: so lange bestand ich meinen eigenen Kampf, trete aber jetzt an die Stelle eines Besiegten, der droben liegt hingemordet, und wie werde ich liegen? Die Stirn gesenkt, ging er über diese Treppe, betrat das Sterbezimmer und betrachtete den Toten. Nun betrachten wir, während wir noch da sind, viele Tote - mit den Augen des Geistes unvergleichlich mehr Tote als Lebende; und wer dessen bewußt wird, glaubt mit ihnen dieselbe Welt zu bewohnen, er redet sie an. Henri Navarra sprach zu dem verewigten Henri Valois: »Die Edelsten in Israel sind auf deiner Höhe erschlagen. Wie sind die Helden gefallen! Wie sind die Helden so gefallen im Streit! Jonathan ist auf deinen Höhen erschlagen.«
Inzwischen beteten bei der Leiche zwei Mönche, ein Herr d'Etrangues hielt ihr das Kinn. Der neue König sollte noch viel zu tun bekommen mit diesem Herrn: so auch mit allen anderen, die plötzlich in das Zimmer drängten wie auf Verabredung. Sie setzten ihre Hüte fester auf, anstatt sie abzunehmen vor dem neuen König, oder warfen sie zu Boden und verschworen sich laut: Lieber tausend Tode sterben, lieber uns jedem Feind ergeben, als einen hugenottischen König erdulden! Das sollte nach Glauben und Gesinnung klingen, klang aber falsch, besonders da einige derselben Herren gleich nach der Mordtat dem Erben ihre Treue gelobt hatten. Damals waren sie in Sorge gewesen, was aus ihnen werden würde; sie hatten sich noch nicht verabredet, das Königreich zu verraten und mit der Liga zu gehen. Das schien ihnen nach gemeinsamer Überlegung das Sicherste. Philipp von Spanien besaß immer noch das meiste Gold der Erde.
Um nicht durchschaut zu werden, hätten sie einen anderen suchen müssen: Henri hielt sie keinen Augenblick für eifrig im Glauben. Er ließ sich sein Trauerkleid schneiden aus dem violetten Rock des Verstorbenen; er hatte Eile und kein Geld für Stoff. Der violette Rock war kleiner gemacht, dennoch erkannte man ihn, und sie stießen einander an, aus Verachtung für die Armut des Königs, bei dem nichts zu holen war. Ohne Zeit zu verlieren entsandten sie in die Wohnung des Königs eine Abordnung, er müßte sich bekehren und zwar gleich. Kennzeichen der Könige von Frankreich wären die Salbung aus der heiligen Ampulle und die Krönung durch die Hand der Kirche. Er wurde bleich vor Zorn. Sie durften sich einbilden: vor Furcht; denn in diesem Augenblick war er scheinbar in ihrer Hand, und sie konnten nicht wissen, daß er sich wohl geübt hatte, Mördern zu begegnen.
Mit einer Majestät, die sie nicht vorausgesehen hatten, widersetzte er sich ihrer Zumutung, er sollte sich der Seele und des Herzens entblößen am Eingang zum Königtum. Hierauf ging er ihren Verein mit den Blicken durch. Große Herren waren dabei: wen aber schickten sie vor und ließen ihn das Wort führen? D'O, nichts als O, und sah auch so aus, ein Junge mit Bauch, durch die Gunst des vorigen Königs zum Faulpelz und Dieb geworden: einer derer, die das Land und seine Einkünfte unter sich aufgeteilt hatten, wozu daher noch ein König. Dieser Ehrlose wagte einem Mann, der gekämpft hatte, die richtige Gesinnung anzuempfehlen und ihm mit der Volksgemeinschaft zu kommen, wie es die Gewohnheit der Ehrlosen ist. Henri faßte ihn ins Auge, was der Junge nicht ertrug, und sprach besonders deutlich: »Unter den Katholiken habe ich für mich alle wahren Volksgenossen und jeden Mann von Ehre.« Bei dieser offenen Beleidigung blieb es still, erstens, weil das feste Gesicht sie aussprach und auch wegen ihrer Wahrheit.
Leute wie diese aber werden noch besser überzeugt, wenn hinter der Tür die Waffen klirren. Sie wird aufgestoßen, ein Soldat, Givry, stampft herein, er ruft: »Sire! Sie sind der König, wenn man Schneid hat. Nur wer feig ist, drückt sich.« Worauf alle, die er meinte, sich drückten. Dann kam Biron, um Henri zu versichern, daß wenigstens die Schweizer ihm treu bleiben würden. Die Schweizer allein, es war nicht viel und hätte nicht gereicht. ›Hier aber ist Biron, ein knochiger, harter Mann, kann, schon bei Jahren, auf seinen Daumen um den Tisch gehn, war mein Feind, ist groß genug, den Irrtum zu gestehn. Kommt zu mir, da es bei mir am schlimmsten aussieht.‹ - »Biron! An mein Herz. Mit Ihresgleichen muß ich siegen.«
Die nächsten fünf Tage sah der neue König sein Heer zusammenschmelzen, wie vorher die Liga das ihre. Marschall Epernon, vor kurzem eine Stütze des Königreiches, stritt sich absichtlich mit Biron, damit er sagen konnte, ein Mann wie er werde nicht Krieg wie ein Strauchdieb führen unter einem solchen König. Sprach es und zog ab nach seinem Königreich, der Provence. Jeder hat sein kleines Königreich, das er sich aus den Provinzen des großen herausgeschnitten hatte: dahin zog er ab, mit sich nahm er seine Edelleute und alle Truppen. Der neue König hatte kein Mittel, sie aufzuhalten. Sich bekehren? Dieselben Menschen hätten ihn um so sicherer verlassen. Erworben hätte er nur die Verachtung seiner eigenen Gefährten, Glaubensgenossen und seiner fremden Freunde. Kein Geld und keine Soldaten mehr aus England oder Deutschland.
Mit seinem Mornay verfaßte er während dieser verzweifelten Tage eine Erklärung, darin wurde jeder der beiden Religionen ihr bisheriger Bestand zugesichert. Sich selbst behielt er vor, überzutreten zu dem Bekenntnis, das nun einmal die Mehrheit seiner Landsleute teilte. Er sagte nicht ganz deutlich: wann; aber er wußte es. Wenn das Königreich mitsamt der ungefügigen Hauptstadt fest in seiner Hand wäre, nur dann und nur aus seinem freien Willen. Als unbestrittener Herr des Königreiches wollte er seinen alten Glaubensgenossen ihre volle Gewissensfreiheit geben, so war sein Vorsatz: ob er ihn faßte um ihretwillen oder aus Selbstachtung, damit er nicht selbst ins Gesicht schlüge allem, was er gewesen. Er ist der König, der das Edikt von Nantes erlassen und die Freiheit verteidigen wird mit seiner ganzen Macht. Dies beschließt er und sieht es voraus während der fünf Tage, in denen die meisten ihm fortlaufen, und ein anderer wäre ihnen nachgelaufen.
Die Hauptstadt inzwischen, die er immer noch belagerte, ließ sich dem äußersten Zustand ihrer gestörten Vernunft. Es ging so weit, daß die wenigen Nüchternen sich den abgegangenen Führer zurückwünschten. Seine Hinterlassenschaft übertraf alles, was er bei seinen Lebzeiten fertiggebracht hatte. Verglichen mit seiner Schwester Montpensier war Guise ein Weiser gewesen. Sie raste im Jubel, dem Boten mit der Nachricht vom Tode des »Tyrannen« sprang sie an den Hals. Ihr Schmerz war nur, daß der sterbende Valois vielleicht nicht mehr erfahren hatte, von wem der Braune geschickt war. Guise hat aus dem Grab seine Hand gestreckt und dich getroffen!
Die Herzogin ließ ihre Mutter, die Mutter der beiden ermordeten Guise, von einem Altar herab zum Volk sprechen, und diese brachte es wirklich außer sich mit ihrem Geschrei. Denn aus der Greisin schrie das ganze Haus Lothringen, seine Ruchlosigkeit, Grenzenlosigkeit und der versteckte Irrsinn, der es antrieb zu allen seinen Taten. Die Herzogin wollte unverweilt ihren Bruder Mayenne zum König ausrufen lassen, da bekam sie es aber mit dem Gesandten Spaniens zu tun. Sein Herr, Don Philipp, sah Frankreich endgültig für eine spanische Provinz an; seine Truppen besetzten Paris. Den Gebieter im Rücken, durfte die Liga sich ihren Ausschweifungen ergeben. Die Mutter des Jakob-wo-bist-Du wurde aus ihrem Dorf geholt und als heilige Jungfrau verehrt. Der braune Junge in Nachbildung wurde auf einem Altar, zusammen mit den beiden Guise, der öffentlichen Inbrunst dargeboten. Selten in ihrer Geschichte hatten Volk, ehrbare Leute und besonders die hochherzige Jugend solche Tage genossen, da ihnen ganz herrlich der Kopf durchgehen durfte. Nur gut, daß sie, bei allem Mißbrauch der Religion, keinen ernsten redlichen Glauben hatten: dann geht das alles nicht, weder Tollheit noch Rausch - so wenig als diese statthaft sind, wenn man nachdenkt.
Es waren dieselben Tage, als vor den verschlossenen Toren Henri, dem alle fortliefen, dennoch fest blieb in seinem Entschluß, die Vernunft zu retten und die Freiheit zu verteidigen. Zuerst soll das Königreich befreit werden von dem Griff des Weltbeherrschers. Henri wird weder bis in die Gascogne zurückweichen noch über die Grenze Deutschlands flüchten. Er kennt Stimmen, die ihm das eine oder andere raten; sie hören sich an wie die des gesunden Menschenverstandes, in einer Lage, die ohne Ausweg erscheint. Er allein weiß einen, der heißt: fest bleiben. Kühnheit erwirbt Vertrauen, Vertrauen gibt Kraft, diese ist die Mutter der Siege, mit ihnen sichern wir unser Reich und Leben.
Am achten August brach er sein Lager ab. Die Hülle des verstorbenen Königs geleitete er nur ein Stück Weges: die Umstände erlaubten noch nicht, sie feierlich beizusetzen. Hierauf teilte er sein Heer. Von fünfundvierzigtausend Soldaten waren übrig zehn- oder elftausend. Mit je drei- bis viertausend Mann schickte er den Marschall d'Aumont und seinen Protestanten La Noue an verschiedene Abschnitte der Ostgrenze, damit sie das Königreich deckten gegen einen neuen Einbruch spanischer Truppen. Er selbst mit seinen dreiundeinemhalben Tausend Arkebusieren, siebenhundert Reitern, beschloß, die ganze Macht des Feindes, soviel von ihr schon im Land stand, auf sich zu ziehen - dorthin, wo er bestimmte.
Er nahm aber den Weg nach Norden, dem Kanal entgegen, in der Hoffnung auf die Königin, die als erste den Weltbeherrscher getroffen hatte. Wäre nicht die Hilfe Elisabeths immer möglich gewesen, Henri hätte nicht damit rechnen dürfen, daß die Stadt Dieppe sich ihm ergäbe. Am sechsundzwanzigsten war er vor Dieppe, das ihm auch sogleich sein Tor aufmachte. Diese Schnelligkeit war ein Kind der Sorge. Hier zeigt sich, herverschlagen aus verdächtiger Ferne, der Hauptmann einer Räuberbande, was ist er denn mehr. Nennt sich König und hat kein Land; Feldherr und keine Soldaten. Sogar seine Frau ist ihm entlaufen. Indessen weiß niemand, wann die ordentliche Heeresmacht des prächtigen Mayenne zur Stelle sein wird und was noch geschehen kann. Von der See werden vielleicht englische Schiffe die arme Stadt beschießen, auf der Landseite setzen schon jetzt die Hugenotten ihr zu. Sie ergibt sich in ein Unheil, das hoffentlich das kleinere ist, und öffnet. Die großen Schlüssel in den Händen kniender Ratsherren, auch Salz und Brot, nebst dem Pokal, der zur Not vergiftet sein könnte: nichts fehlt. Der Räuberkönig hebt aber einen dicken alten Mann vom Pflaster auf, als wög er wie eine Feder, und zu allen spricht er: »Liebe Freunde, nur kein Getue! Mir langt's, wenn wir nett sind. Gutes Brot, guten Wein und freundliche Gesichter!«
Den Becher trank er nicht, was sie übersahen in ihrer Verwunderung, ihn unbesorgt und leicht zu finden. Sie waren Normannen mit schwererem Blut als das seine. Ihre Stadt lag gefährlich, diese Bürger begegneten häufigen Verhängnissen mit hartem Mut. Aber auch noch gut gelaunt sein? Einem jungen Mädchen die Rose aus der Hand nehmen, scherzen und jedem etwas versprechen. Was hat er denn ernstlich zu verschenken? Sie zählen doch seine geringe Schar, die paar Ritter, das arme Fußvolk. Sie denken und fragen einander: »Nicht möglich, damit will er das Herzogtum Normandie erobern?« Es stand nun derart, daß er »damit« das Königreich ganz und gar erobern wollte. Das hörten die Leute nicht einmal, wenn er es laut verkündete: der Gegensatz war zu augenscheinlich für Köpfe ohne Phantasie.
Wie die Leute von Dieppe verhielt sich die große Mehrzahl im Königreich - insofern sie nichts voraussahen, nicht einmal die nächste Stunde Wirklichkeit, dessen ungeachtet alle für Menschen der Wirklichkeit gelten wollten. Sie bemerkten bis zuletzt nicht, daß ihr geistiges Gefüge ein wüster Traum war anstatt Wahrheit. Die Liga, so großmächtig sie umging, tat es doch nur wie ein Nachtgespenst, der Sonne gegenwärtig, um sich aufzulösen. Merkwürdig, das entging ihnen; vielmehr begegneten sie der aufgehenden Wahrheit, die ihr neuer König war, mit Sorgenfalten. Sicher ist, daß sie viel mehr Mißtrauen als Haß fühlten, nicht allein die von Dieppe, sondern alle Leute. Angst meldete sich wohl auch bei ihnen, eine heimlich wühlende Ahnung: diese könnte das Gewissen selbst sein. Wie? »Damit« will er das Herzogtum Normandie erobern? Nicht möglich. Als er dann gesiegt hat - nur eine einzige gewonnene Schlacht, und plötzlich wissen sie: er wird das Königreich haben. Wissen bis an das andere Ende des Königreiches, daß erschienen ist ein langerwarteter Tag.
»Was Dieppe!« rief Agrippa d'Aubigné und war nicht weit davon, ein Gedicht zu machen. »Wir sind keineswegs nur vor Dieppe, auf dieser nebligen Ebene zwischen Waldhügeln und dem Fluß Béthune, wo wir Verschanzungen aufwerfen, und ich habe die Schuhe ausgezogen bei der heißen Arbeit. Dies ist zwar unsere leibliche Gegenwart. Wir Erdenwürmer, nackt wühlen wir uns durch Lehm, werfen zwei Schanzen auf, eine hinter der anderen, damit wir standhalten, wenn von vorn über die Ebene der böse Feind heranfährt. Gedenken uns nach aller menschlichen Kunst zu decken und anzuklammern an diesen Erdenfleck. Im Rücken haben wir das Dorf Arques und über ihm die Burg. Noch weiter hinten soll die Stadt Dieppe uns bergen, wenn wir zurückgehen müßten, und sogar auf die englischen Schiffe hoffen wir.«
»Wo denkst du hin, Agrippa«, sagte Rosny. »Wir gehen nicht zurück.«
Du Bartas warf ein: »Vielleicht werden wir es nicht mehr können, weil unsere Füße still auf diesem Felde liegen.«
»Meine Herren!« Es war Roquelaure, der sie ermahnte. Agrippa indessen blieb bei seinen Gedanken oder bei seinem Gedicht. »Unsere leibliche Gegenwart ist allerdings auf diesem Feld von Arques, links der Fluß, rechts buschige Hügel, grau vom Nebel, und darin eingesenkt der Weiler Martinglise.«
»Mit einer Schenke und gutem Wein. Ich habe Durst«, verkündete Roquelaure.
»Weil unsere Füße still auf diesem Felde liegen«, wiederholte Du Bartas für sich allein und zählte die Silben.
Agrippa: »Wo aber sind wir im Geist? Weder in einer Schenke noch tot zwischen anderen Toten. Wir sind im Geiste schon nach der Schlacht, nach dem Sieg. Wer weiß denn nicht, daß wir siegen sollen! Sogar der Feind hat davon Kunde. Mayenne und seine Überzahl sind im Anzug, rücken eilends vor und wollen nicht anders, als von uns geschlagen werden.«
»Das wäre!« meinte Rosny, kühl und verständig. »Mit solchem Vorhaben bemüht Mayenne sich nicht her zu uns, sondern um den König zu fangen: er hat es selbst gesagt; meint auch, er habe groß Macht und viel List.«
Agrippa: »Dennoch wünscht er in einer Falte seines Herzens dasselbe, was die ganze Welt ersehnt, nicht nur Dieppe und das verwirrte Königreich. Wir sollen sie erretten vor Spanien und vor ihnen selbst. Wir sind das Heilmittel gegen den Weltbeherrscher. Wir bekämpfen nicht sie.«
»Sondern ihre Blindheit und Schlechtigkeit«, ergänzte Du Bartas.
Agrippa, im gehobenen Ton: »Freunde! Auf unseren Sieg wartet die Menschenwelt, bis in die fernsten Länder blicken auf uns alle, die Verfolgung leiden. Unser sind die Gebete der Bedrängten, Mißachteten, und auch das Gewissen der Denkenden spricht für uns.«
Gerade Rosny bestätigte dies. »Wir sind im Einverständnis mit den Humanisten des ganzen Erdteils. Das wäre noch nichts, gesetzt, die Humanisten hätten nur denken gelernt, nicht aber auch reiten und zuschlagen.«
»Sie können es«, versicherten Roquelaure und Du Bartas.
Weiter berichtete Rosny: »Mornay hat in allen Königreichen und Republiken bekanntgemacht, daß wir es sind, die den Weltbeherrscher zu Fall bringen sollen. Er läßt Fama dahinfliegen und blasen über die Lande, daß wir kämpfen für Recht und Freiheit: diese sind unsere Heiligen. Daß wir auftreten anstatt der Tugend, Vernunft und Mäßigung, die unsere Engel sind.«
Roquelaure fragte herausfordernd: »Glauben Sie es nicht, Herr de Rosny?« Der antwortete: »Glauben will ich dies und noch mehr. Haben möchte ich nur einige tausend Pfund aus dem Gepäck des dicken Mayenne.«
Du Bartas begann kraft sicherer Erkenntnis zu sprechen - in einem merkwürdigen Tonfall: ein Gast, der von anderswo Nachricht bringt und früh wieder dorthin aufbrechen soll. »Noch nicht auf diesem Felde werden meine Füße still liegen. Es ist verbürgt. Wir alle sollen aus diesem irdischen Nebel in einen Ausschnitt des Himmels blicken. Besiegt von uns die zehnfache Übermacht, hör ich aufatmen die Völker, und die Gesandten der Republiken setzen sich Bewegung, zu huldigen unserem König und mit ihm Bündnisse zu schließen.
Rosny hätte eingewendet: das ist zu weit gegangen. Ein kleiner Sieg, viertausend Soldaten, die sich gerade noch halten am äußersten Rande des Festlandes und dieses Königreiches: nach menschlichem Ermessen könnten sie nicht entscheiden. ›Mein König wäre darum mehr als ein König ohne Land? Die Gesandten brächen zu ihm auf? Was denn wohl. Aber Fama!‹ dachte er dagegen selbst. ›Aber die bereitwillige Erwartung der Welt! Aber dieser König!‹ Sein Blick traf den des Herrn de Roquelaure, der ihm zunickte, wortlos, der Sache gewiß. Für diese alle, Erdenwürmer, wie sie sich genannt hatten, Arbeiter in Erdwerken, in denen sie hafteten mit nackten Füßen, war die Wahrheit sichtbar geworden, so undurchsichtig um sie her die Luft hing. Als erste und als große Ausnahme kannten sie die nächste Stunde der Wirklichkeit.
Agrippa brauchte nur noch zu sprechen, was sich ihm inzwischen gefügt hatte: sie waren vorbereitet.
»Erscheine! Zwischen uns und Gottes Angesicht
Schiebt sich die Wolke fort. Sein Panzer ist das Licht.
Der neue Himmel hallt vom Wogen der Gesänge,
Die Luft strahlt weiß: das ist von Engeln ein Gedränge.«
Hier angelangt, brach der Sprecher ab, denn wahrhaftig, der Nebel zerteilte sich ihnen zu Häupten, ein Ausschnitt des Himmels ging eiförmig auf, quoll über vom Licht, und mit ihren Augen sahen sie - niemand gestand nachher, was. Es waren aber die Heiligen und Engel, deren Namen sie vorher erwähnt hatten. Standen all in dem Ei aus Licht. Von Angesicht, Kleidung, Bewaffnung glichen diese den schönsten und tapfersten Gottheiten der Alten. Aus ihnen hervor aber trat hüllenlos Herr Jesus Christus als der Mensch selbst.
Vor Arques im Laufgraben hält Henri seinem Marschall Biron vor, daß sie auf den Angriff des Feindes schon eine Woche warten. Mayenne steht drüben hinter dem Wald, kein Geplänkel lockt ihn hervor: in diesem Nebel will er nicht kämpfen. Aber der Nebel wäre von Vorteil für das kleinere Heer. Henri möchte die Schlacht erzwingen. Der Alte rät ab. »Sire! Sie haben auf mich gehört und sich in den Platz Dieppe nicht eingeschlossen. Es ist ein schlechter kleiner Platz.« - »Und wimmelt von Verrätern«, sagte Henri. Der Marschall: »Sie kennen die Menschen, wie ich an mir selbst erfahren habe. Dafür weiß ich länger als Sie auf den Schlachtfeldern Bescheid. Verlassen Sie um keines Nebels willen dies weite, überall gedeckte Viereck. Hier sind Sie sicher, zu widerstehen. Sie haben für sich alle natürlichen Umstände, die Burg in Ihrem Rücken, zu Ihrer Linken den Fluß mit seinem sumpfigen Ufer, unzugänglich für die Reiterei des Feindes, noch mehr für seine Kanonen. Von weitem kann er im Nebel nicht zielen mit Kanonen.«
»Die unseren aber« - murmelte Henri. »Wo sind sie? Das ist das Geheimnis. Das wird die Überraschung sein.«
Biron sah sich um, einen Augenblick sprachen sie nicht. Dann zuckte der Marschall die Achseln. »Auch rechts kann Mayenne nicht angreifen, die Hügel sind buschig und enge gewunden. Bleibt ihm nur übrig, vom Wald her durch das nackte Feld zu kommen. Sire! Sie erwarten ihn zwischen Ihren beiden guten Verschanzungen: auf der vorderen stehen fünfhundert Ihrer alten Hugenotten, an ihnen hab ich mir früher die Knie gerieben. Ist aber auch Raum gelassen, daß Sie fünfzig Pferde in einer Front können vorschicken.«
»Sie haben alles bedacht, Biron, das wissen auch die Truppen. Meine Truppen sind grade mäßig genug an Zahl, daß jeder einzelne Soldat sieht und urteilt. Sein Kampfeseifer ist voll Verständigkeit. Darin liegt unser Vorteil, daß wir nicht zu viele sind.«
»Sire! Ein dichter Nebelreif, der über Ihr Gesicht zieht, verbirgt mir, ob Sie lachen.«
Ihm ins Ohr sagte Henri: »Der Nebel wird dem Feind verbergen, wie wenige wir sind. Und wie gut wir verteilt sind«, schloß er - rückte die ausgestreckte Hand von einem Punkt der weiten Landschaft zum anderen: sechs Punkte, er kannte jeden und fand im Nebel hin.
Weder Henri noch Biron hatten erwähnt, was sich von selbst verstand: der Nebel schützte, aber er gefährdete auch, die einen wie die anderen. Den ganzen Tag schlichen Kundschafter unsichtbar hin und her. In dem riesengroßen Heer der Liga brach öfter ein grundloser Schrecken aus. Bei den Königlichen legte man das Ohr auf den Boden und horchte. Am Morgen darauf gab Mayenne es auf zu warten, bis die Luft klar würde: er griff an. Mayenne war geschickt, er tat etwas Überraschendes, konnte wenigstens meinen, es wäre unerwartet. Er kam zuerst nicht über die Ebene, sondern schickte einiges Fußvolk, nur drei hundert deutsche Landsknechte, seitwärts durch das Hügelland. War er recht berichtet, stand der König in Person rechts von der zweiten Verschanzung. Hinter den Büschen, im Nebel, seine Stellung umgehen und ihn fangen, damit dachte Mayenne sogleich zu gewinnen. Der König gefangen, alsbald sprängen die Deutschen auf die zweite Schanze, stürmten von rückwärts die erste, dort fänden sie die Reiterei der Liga schon eingedrungen. Genommen alle Befestigungen, und was übrigbliebe von den Königlichen, wären auf nacktem Feld zwei, drei verzagte Haufen. So die Schlacht, die der Feind zu schlagen dachte. Beschert wurde ihm eine ganz andere.
Neben der ersten Schanze stand Biron, wie Henri neben der zweiten. Er stützte sich auf eine Kapelle, die wollte er halten mit seinem ganzen Eigensinn. Der Alte hatte nur sechzig Reiter, aber Augen, die erkannten durch den Nebel wie ein Landsknecht unter Büschen schlich. Er schickte einen Reiter zum König. Als die dreihundert Deutschen, schnaufend nach dem heimlichen Schleichen, bei der Stellung anlangten, wurden sie erwartet, und taten wohl daran, mit frommen Gesichtern sogleich die Hände zu erheben. Sie behaupteten, sie wären eigentlich königlich gesinnt, weshalb man ihnen noch über den Graben half, auch die Waffen ließ und der König berührte ihre Hände. Indessen meinten sie es nicht so genau. Das zeigte sich, da Reiterei und Fußvolk der Liga mit Übermacht einstürmten auf die Verteidiger der ersten Linie. Das waren aber die fünfhundert Arkebusiere der Religion, die ließen nicht leicht jemand ein, der sich an ihnen die Knie reiben wollte. Leichte Reiterei des Feindes setzte wohl hinüber in das geschlossene Feld zwischen den beiden Schanzen. Da waren es sechsundzwanzig berittene Edelleute des Königs, die sie anfielen aus dem Nebel, waren nicht zu zählen im Nebel und jagten die feindlichen Reiter vor sich her nach der Kapelle: dort stießen sie auch noch auf Biron und seine sechzig.
Die Landsknechte auf der zweiten Schanze waren mit jeder Minute weniger königlich gesinnt. Sie merkten wohl, die Truppen der Liga waren eingedrungen in das geschlossene Feld. Was weiter geschah, entging ihnen, oder sie begriffen es etwas zu spät: jedenfalls verwandelten sie sich plötzlich in Feinde zurück. Dadurch riefen sie zwar große Wirrnis hervor. Biron, der herbeieilte, wurde vom Pferd geworfen. Derselbe Deutsche, der den Marschall zu Fall gebracht hatte, hielt dem König selbst seinen Spieß vor die Brust und sagte, der Herr sollte sich ergeben. Das wäre soviel wie eine lebenslange Versorgung gewesen für den Guten. Nur leider kam er zu spät, seine Partei war im geschlossenen Feld schon niedergeworfen: er hatte nicht achtgegeben vor Eifer. Plötzlich sieht er sich umstellt von Reitern, die drauf und dran sind, ihn hinzumachen. Sein Gesicht wird dumm wie je, der König lacht und befiehlt, ihn laufenzulassen.
Hier wurde Biron zornig. Steif von dem Sturz, kletterte er auf sein Pferd: noch nie hatte jemand ihn herunterfallen gesehen. Nun war Zeuge der König selbst, machte sich aber nichts daraus, sondern lachte. Seine Sache, wenn er den Spieß des Deutschen auf seiner Brust haben wollte.
»Sire! Ich rühme mich weder meiner Sanftmut noch Seelenkraft. Geben Sie mir den Mann!«
Er war knochig wie sein Klepper, hatte auch seinen eisernen Blick zurück, mit dem Blick kannte Henri ihn aus der Zeit ihrer Feindschaft. Der alte Feind schwankte dort oben lang und dürr; alles Lärmen und Gewühl der Schlacht entriß ihn seinem Sinnen nicht auf Recht und Rache. »Biron, so sind Sie. Nun, und so ist der Landsknecht. Ich aber muß mit vielen Menschen leben.« Der König sprach es ruhig, schon halb fortgewendet. Er war zu Fuß im Graben unter der Schanze; der Reiter aus seiner Höhe sah ihn klein, die ganze graue Rüstung, der große weiße Helmbusch. Um so stärker fühlte er plötzlich den Abstand, ja, mehr als nur einen Abstand des Ranges. Wesen und Macht der Tiefe wollten ihn anrühren unheimlich von dort unten - ihn, den sie den berittenen Tod nannten. Ein Spaßmacher, der dort? Spieler um jeden Einsatz und tränenreiches Kind? Respekt, Biron, das ist der König, so sehr wußten wir es noch nicht. Vor ihm gelte ich, Marschall Biron, dem deutschen Landsknecht gleich. Man sagt: »Er ist gut.«
Man sieht: er ist lustig. Kann sein. So fliegen helle Vögel über dunklen Grund. Ist alles richtig, Sanftmut, Seelenkraft - und besonders, daß wir's uns nur gesagt sein lassen, die gerechte Verachtung der Menschen.
Damit wendete Biron und sprengte nach seiner Kapelle; um diese drehte sich die Schlacht, sie wollte er halten eigensinniger als je - für einen solchen König.
Das große Heer der Liga hatte nichts ausgerichtet gegen das verschanzte Lager inmitten. Durch die Hügel rechts ließ es sich jagen bis nach dem Weiler. Biron hielt die Kapelle, und so lange mußte die Schlacht sich drehen, der Feind geriet von selbst auf das sumpfige Gelände links. Dort drangen mehr Königliche in seine Abteilungen ein, als er jemals dachte, kennenzulernen. Fiel auch niemandem bei, es könnten immer dieselben sein. Eine Truppe des Königs, herangeführt im Galopp von ihm selbst über die ganze Breite des Schlachtfeldes, sie vernichtete Kompanien mitsamt dem Anführer - alsbald aber verging sie im Nebel. Der nachrückende Feind verlor die Richtung. Wohin? Gegen wen? Er suchte den König; der war längst anderswohin zu Hilfe geflogen. Über den Feind kamen neue Truppen her, blieben aber in Wirklichkeit dieselben wie vorher. Seine großen Haufen wurden einzeln ermüdet, bevor sie sich recht erinnerten, daß sie ein übermächtiges Heer waren. Dann allerdings trat von diesem ein Hauptteil zugleich auf den weichen Boden, so daß er wich unter der Wucht. Umkehr, Verwirrung, viele staken im Sumpf. Die Vordersten gerieten an die Schweizer.
Im Hohlweg hinter Hecken standen den Fluß entlang die Schweizer des Königs, sperrten Dorf Arques ab, hätten auch ins Gras gebissen Mann für Mann, bevor nur einer hindurchgelangt wäre von den Feinden des Königs. Es waren, allein und abgeschlossen an einer Stelle fremden Landes, Männer aus Solothurn und Glarus mit ihrem eigenen Obersten, Gallaty. Sie streckten ihre Spieße vor, dies war ihr Platz, auf den sie ihre breiten Füße stemmten; wichen keinem Druck der Übermacht, wären alle geblieben. Einmal sahen sie im Nebel einen weißen Helmbusch, den trug nur der König. Er sagte zu ihnen: »Meine Schweizer! Diesmal deckt ihr mich. Das nächstemal hau ich euch heraus.« Sie verstanden ihn, obwohl er anders sprach als sie, auch kein Französisch, das sie kannten. Er nannte sie Souisses. Er war ihr Freund und hatte ihrem Obersten Gallaty versprochen, daß er, einmal Herr seines Königreiches, der freien Schweiz Hilfe schuldete gegen ihre Bedränger. Das war ein Wort für ihn und sie. Er wollte nachher immer nur der Verbündete freier Völker sein Sie waren von der Art der Eidgenossen, die am Todestage des Admirals Coligny noch seine Treppe gehalten hatten, solange von ihnen einer lebte.
Die Schweizer hielten den Hohlweg. Die Reiter des Königs, fünfzig in der Front, brachen immer wieder aus den Schanzen, sein Fußvolk wehrte sich des Lebens an sechs Stellen, Biron klammerte sich an die Kapelle - und alle diese blieben durchaus dieselben, indes ihre Gegner Atem schöpften und einander ablösten. Handgemenge, Pistolen nah ins Gesicht abgeschossen, nicht früher, als man die Farbe der Schärpe unterscheidet. Die Lanze unter den Sitz des Reiter geschoben, aus dem Sattel mit ihm, zu Boden mit ihm. Ein großer Herr der Liga beschimpfte noch vom Erdboden herauf den jungen Protestanten, seinen Besieger: »Wichse kriegen, Junge!« - und hatte sich schon den Hals gebrochen. Bei der Kapelle aber fiel ein La Rochefoucauld, Josias mit seinem biblischen Namen. Ihr Pferd verloren Rosny und Biron. Der Pferde waren leider mehr als genug da ihre Reiter zwischen den Hufen lagen mit einem Ächzen, das nahm nur noch die Erde auf. Über die Sterbenden hin toste wie je das Leben und hörte sich an wie eine Schlacht.
Der König und sein Helmbusch wurden gesehen bei der Kapelle, im Hohlweg neben dem Fluß, auf den Schanzen, dem nackten Feld, überall, von jedem einzelnen und allen zugleich. Er rief sie an, im Nebel und in der Not, damit sie aushielten und es gut machten. Er rief die großen Namen, deren Träger sich zu seinen Geschicken geschlagen hatten, und war ein Name bis jetzt nicht groß, dann wurde er es durch ihn. Er ritt vorbei an dem jungen Generalobersten seiner leichten Reiterei, Sohn Karls des Neunten und einer Mutter aus dem Volk. ›Valois! Dich kenn ich und vergeß ich nicht, dich und dein Haus. Ihr seid bei mir auf ewig. War schon vorbei. Montgomery, Richelieu! Ich hab eine Überraschung. Rosny, La Force! Wenn die Not am größten, ist Gott am nächsten. Biron! Siehst du nicht den Nebel steigen? Wird steigen, muß steigen, so wahr Gott hilft und wir siegen sollen. La Rochefoucauld, für dich ist meine Überraschung, bald sollst du sie hören hereinbrechen mit Donnerschlag.‹
Vom Pferd herab faßte er diese Schulter, da fällt der Mann um, nicht wie ein Lebender fällt. Einen Toten in seiner Rüstung hatten sie aufrecht an die Kapelle gelehnt.
»Josias? Du?« fragt Henri für sich allein und will nicht glauben, was er fragt. ›Es wird geschehen ein Donnerschlag, aber dieser hört keinen mehr. Retten sollen uns die Kanonen von Burg Arques, sobald der Nebel steigt und sie zielen können. Hab hinter der Schanze einen normannischen Seeräuber, der sagt mir auf die Minute, wann der Nebel steigt. Vernimm dies als letztes, mein Josias!‹
La Rochefoucauld liegt entseelt am Wege, wie einst ein anderer seines Namens, in Schloß Louvre, am Ende der Mordnacht. So liegen die Toten am Wege. Der König ist fort und weiter.
Er ist bei den Schweizern. Bleibt fest dies letztemal! Unmöglich, sie werden überrannt. Der Hohlweg am Fluß, jetzt dennoch aufgegeben, und so auch endlich die Kapelle. Die Reste des königlichen Heeres halten einzig den Brückenkopf, schon bedacht auf den Rückzug nach Arques und Dieppe. »Gevatter«, nennt der König den Schweizer Obersten. »Gevatter, hier bin ich, will mit euch sterben oder Ehr gewinnen mit euch.« Spricht, und sieht dabei, wie alle Zuschauer es gewärtig sind, die tiefen Reihen des Feindes einander vorschieben mit schwerer Wucht, sich zu legen und zu schließen als ein Grabesdeckel über ihn und sein Königreich. Ihn hat geschaudert. ›Vorbei, weiter, zuletzt ist nicht zuletzt: meine Hugenotten!‹ Da holt er sie sich, die festgebliebenen Verteidiger der ersten Verschanzung, seine Alten von Jarnac und Montcontour, Gefährten des Herrn Admirals, Überlebende aus zwei Jahrzehnten der Kämpfe um das Gewissen. Die von der Religion! Sie hören seinen Ruf, erblicken seinen Helmbusch und verlassen die Schanze, die vordere, die behaupten sie eisern seit dem Morgen. Sie waren fünfhundert und treten auf, als wären sie es noch. Bei ihnen marschieren die Toten mit. Ihnen voran geht ihr Pastor Damours. Er heißt Damours.
»Herr Pastor, stimmen Sie den Psalm an«, sagt der König, und sie singen. Den Feind anfallen, wenn er am höchsten glänzt und prahlt, so war es in den alten Schlachten, und auch bei Coutras. Ist keinem Feinde gut bekommen: sogar dieser großmächtige erschrickt, als er den Psalm hört; kommt zum Stehen, verwickelt sich.
O Gott, so zei-ge Dich doch nur,
Und plötzlich wird sich keine Spur
Vom Feind mehr blicken lassen.
Wenn er denn ab sein Lager bricht,
Vergehn vor Deinem Angesicht
Sie alle, die uns hassen.
Befiehl, o Gott, daß alle fliehn,
Du läßt ja auch den Rauch verziehn,
Der auf dem Feld gekrochen.
Das Wachs hält nicht dem Feuer stand,
Den Bösen wird von Gottes Hand
All ihre Kraft gebrochen.
Hier hebt sich der Nebel: sofort donnern von der Burg Arques die Schläge der Kanonen. Die Kugeln zerreißen und zerrütten den Feind, je näher er sich herangewagt hatte. Das ist der Sieg und er verbürgt das Königreich. Nun gibt Gott gar nicht, oder gibt mit vollen Händen von dem, was sein ist, das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit. Auch dies erfährt Henri heute, ergriffen von Gottesfurcht. Coligny, der Sohn des Admirals, trifft bei ihm ein, aus Dieppe, für das nichts mehr zu fürchten ist, siebenhundert heran, zu den vorigen alten Arkebusieren der Religion wieder siebenhundert.
»Dich schickt Gott, Coligny!«
Henri hat nicht geklagt noch gebetet, solange es schlecht und eigentlich verzweifelt stand. Er ruft zu Gott im Glück, und um im Glück sich zu neigen. Lange, gefahrenvolle Stunden hat er mit den Hufen dies Schlachtfeld umgeackert, hat eingegriffen überall, jede seiner kleinen Truppen glaubte ihn immer zugegen. Hier hält er an. Er hat in Nebel und Ungewißheit hinein Namen gerufen und hat die Namen größer gemacht. Er hat seine kleinen Truppen, wo immer sein Helmbusch erschien, befestigt in Mut und Vertrauen. Den Schweizern hat er seine Treue gebracht für die ihre. Er hat mit den Toten am Wege gesprochen. Er hat Marschall Biron gelehrt, wer er ist. Er hat Glück gehabt. Sein Tag ist schon lang, aber nach dem Verwehen des Nebels geht auch sein Tag erst glänzend auf. Er wird nächstens sechsunddreißig Jahre alt, dies war nun erst die Jugend. Über sein Gesicht, das verklärt ist noch eher durch gehabten Kampf und bestandenes Leid als aus Freude, rinnen mit dem Schweiß die Tränen.
Von beiden Seiten drücken seine alten Krieger, Freiheitskrieger, Gewissenskrieger, den Feind ein: alle Kraft des Feindes ist gebrochen, sie aber singen. Rauher Jubel, Sturmglocken des Himmels, an deren unsichtbaren Stricken gerissen wird von der frommen Schar.
In-des-sen bringt die fromme Schar
Dem Herrn ihr Preis und Singen dar,
Sie dürfen Lust sich gönnen:
Vor großer Freude, wie sie sehn
Die Bösen stracks von dannen gehn,
Springen sie, was sie können.
So singt dem Herrn zur hohen Ehr
Und psalmodiert, lobt ihn noch mehr,
Des Ruhm kein Ende kennet!
Da er auf einer Wolke steht
Und Namens großer Majestät
Den Ewigen sich nennet.
Le triomphe final ne sera pas seulement acheté par ses propres sacrifices: Henri assiste à l'immolation d'êtres qu'il aurait voulu conserver. Déjà il avait dû faire ses adieux à sa compagne des années difficiles. Ii faut encore que le Valois, son prédécesseur, s'en aille, et pourtant Henri, l'ayant sauvé de la main de ses ennemis, l'affectionnait d'une manière tres personnelle. Son esprit y était plus content, préférant se mettre d'accord avec le passé, que de le renier. Avec les sens de la vie, on se plie à bien des nécessités. La moins acceptable, pour un esprit bien fait, est celle de voir s'accumuler les désastres. Trop de personnages ayant été mêlés à son existence viennent d'être empörtés par les catastrophes, et la mort a voulu trop bien lui déblayer le chemin. Sur le champ de bataille d'Arques le roi Henri, en nage d'avoir tant combattu, pleure pendant que résonne le chant de la victoire. Ses larmes, c'est la joie qui en cause quelques-unes. D'autres, il les verse sur ses morts, et sur tout ce qui finit avec eux. C'est sa jeunesse qui, ce jour là, prit fin.