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Die Mühlen des Lebens

»Mein kleines Gefecht«

Nérac ist eine Stadt im Lande, die Vögel fliegen über sie hin, die Hammel ziehen vor ihre Tore mit Getrappel, und weite, flache Felder umgeben sie äußerst fruchtbar: dies alles schon tausend Jahre. Die Menschen hämmern auf Holz und Leder, zerschneiden Stein oder Fleisch, an der grünen Baïse stehn sie und angeln. Sooft aber bewaffnete Reiter auf der Straße den Staub erheben, bringt man die bewegliche Habe in Sicherheit und nähert sich ihnen mit leeren Händen in der Hoffnung, verschont zu bleiben. Es ist kein Verlaß auf die Mauern und Gräben, auch nicht auf die Herren, ob katholisch, ob hugenottisch, die gerade befehlen. Die nächsten, die schon unterwegs sind, werden sie erschlagen oder verjagen. Das Heil des Bürgers ist einzig, sich zu ergeben jedem, der will, und das tun sie. In Nérac gehen die einen zur Messe, die anderen zur Predigt, und je nach der Religion des neuen Eroberers behaupten sie, dies oder jenes, zu glauben.

Der junge König von Navarra, als er glücklich frei war, vermied seine Hauptstadt Pau: dort hatte seine Mutter, die Königin Jeanne, in ihrem hohen Glaubenseifer den Protestantismus unduldsam gemacht. Er erwählte das ländliche Nérac für seinen Wohnsitz und Hof. Denn es lag in der Grafschaft Albret, dem alten Besitz seiner mütterlichen Vorfahren, und hielt ziemlich genau die Mitte des Landes, das er fortan verwalten sollte. Dies war zusammengesetzt aus seinem eigenen Königreich und der Provinz Guyenne mit ihrer Hauptstadt Bordeaux. Sein Königreich, das waren noch immer die Gebiete Albret, Armagnac, Béarn, Bigorre und Navarra. Seine Edelleute und Hugenotten hatten, indessen er selbst im Louvre saß, abgeschlagen sowohl den alten Montluc, der im Auftrag des Königs von Frankreich bei ihnen eindrang, wie die spanischen Haufen, die von den Bergen herabstiegen. Das Land des neuen Gouverneurs, der auch König hieß, reichte entlang den Pyrenäen und der Küste des Ozeans bis dort, wo die Gironde in ihn fällt. Das ist der Südwesten.

Die Luft der Freiheit berauscht wie der Wein, in Wind und Sonne getrunken. Das Brot der Freiheit ist süß, wenn es gleich trocken wäre. Durch das Land reiten nach langer Gefangenschaft! Nur selten nach Haus kommen und überall zu Haus sein. Keine Wächter und Aufpasser, lauter Freunde. So ist es gut zu atmen, davon wird jede Viehmagd schöner, als dem Gefangenen die Prinzessin war. Ihr seht zwar nicht zum besten aus, werte Landsleute. Seid reichlich verkommen, während wir fort waren. Das haben verschuldet Montluc, die Spanier und eure beiden Religionen. Wer hält sie denn aus, den Glaubenseifer und die ständige Lebensgefahr. Wir können davon mitreden. Meistens verließet ihr eure zerstampften Felder und verbrannten Häuser, es werden in der Provinz viertausend sein. Seid selbst endlich Räuber geworden, und ich begreif es. Dem aber will ich ein Ende setzen, und hier soll Fried sein.

Er hatte die Zuversicht, weil er neu anfing, daß alle könnten neu werden. Heiter und duldsam sein, ist doch leicht? Die kleinen Städte aber sind verbockt und verstockt durch schlechte Erfahrungen, sie ziehen die Brücke hoch, wenn wir kommen. »Turenne, deine Stimme trägt gut, ruf ihnen hinauf, daß der Gouverneur alles Geschehene verzeiht, und was wir nehmen, bezahlen wir. Sie wollen nicht? Sag ihnen, sie sollen vernünftig sein. Sind wir erst mit Gewalt bei ihnen eingedrungen, dann wird geplündert. Mein Rosny spitzt schon drauf. Ist auch in der Ordnung und war nie anders.«

Dann wurde etwas geplündert, etwas vergewaltigt und aufgehängt nach gutem altem Verfahren. Die kleine böse Stadt mußte doch wissen, woran sie war mit dem neuen Herrn. Dann wurde ein Hauptmann zurückgelassen mit wenigen Soldaten, und wieder galt die königliche Befehlsmacht um einige Meilen weiter. Der Prinz von Geblüt verteidigte sie im Umherreiten. Er sagte etwas leichthin zu einem Freund, d'Aubigné, dem blutjungen Rosny sogar: »Dich nehm ich in meinen Geheimen Rat auf.« Als eines Tages auch Mornay eintraf, wollte er, daß der Geheime Rat des Fürsten tatsächlich zusammenträte im Schloß von Nérac: Du Plessis-Mornay war Staatsmann und Diplomat. Vorerst kam es dazu selten. Auf einem Heimweg erhielt der Fürst die Nachricht, daß Kaufleute auf der Straße wären ausgeraubt worden. Dorthin im Galopp! Wer seine Habe zurückbekam, zahlte gern die Abgaben - anders als der Bauer, der sein Geld nicht aus der Erde grub, mochten die Räuber ihm sogar den Hof anzünden. Aber er blieb fortan verbunden dem Gouverneur, der ihm das Leben gerettet hatte und seinen Töchtern die Ehre. Freiwillig empfingen diese einen der jungen Herren bei sich; meistens war es der Gouverneur. Der Vater durfte es wissen oder auch nicht. Derart vollbrachte Henri Taten auf kleinem Bereich, das aber der Anfang eines großen war, und um die Ordnung, Pflege und baldige Wiederbevölkerung des kleinen bemühte er sich vorerst.

Sehr hell war der Himmel, silbern sein Licht, und die Abende waren so mild, wenn der Gouverneur und seine Räte, die vielmehr seine Kriegsmänner waren, nach ihrer Arbeit dem rosigen Schein entgegenritten ins Ungefähr. Das ist aber das Glück: nicht zu wissen, wo du essen und mit welcher du schlafen wirst. Im Louvre geschah alles unter mißtrauischen Blicken, und die Vorzimmer flüsterten davon. Um so lieber besuchte er jetzt arme Leute, oft kannten sie ihn noch nicht, sein geripptes Wams aus abgetragenem Samt machte nicht viel aus ihm, er ließ sich gerade den Bart wachsen und trug einen Filzhut. Geld führte er nicht mit sich, sie verlangten keins für die Suppe aus Kohl und Gänsefleisch, Garbure genannt, und für ihren Rotwein vom Faß; nachher kam dennoch das Geld zu ihnen von seiner Rechnungskammer in Pau. Die Armen waren ihm von Natur näher als die Reichen: er untersuchte nicht, warum, und hätte es schwer gefunden. Weil sie gesund rochen, nicht wie der König von Frankreich und seine Lieblinge? Seine eigene Kleidung war genauso sehr mit Schweiß durchtränkt, wenn er zwischen ihnen saß. Oder wegen ihrer kräftigen Ausdrücke, der Spitznamen, die sie jedem gaben? Auch ihm kamen immer solche, anstatt der richtigen, auf die Lippen, sogar für die ehrbarsten seiner Diener. Die Armen sind leicht guter Laune, und das war er selbst.

Übrigens war ihm bewußt, daß er gar nicht anders hätte sein dürfen. In einem Land mit viertausend Brandstätten und einer verwilderten Bevölkerung stolziert man nicht umher als der unnahbare Herr. Einen hatte es gegeben hier: er sollte nicht hart, grausam oder geizig - nur stolz, unerlaubt stolz sollte der Herr gewesen sein gegen den gemeinen Mann, darum hatte dieser ihn getötet. Henri war gewarnt; nicht umsonst sah man ihn in abgeschabten Hosen. Wenn nur kräftige Muskeln sich darin abdrückten! Außerdem veranlaßte er selbst das Gerede, zweierlei sei ihm unmöglich: ernst zu bleiben und zu lesen. Der Ernst ist für den gemeinen Mann schon halbe Überhebung, wer aber liest, der ist hier fremd und kann seiner Wege gehen, was die vornehmen Leute denn zumeist auch taten. Dieser nicht. Er wohnte im Lande und hatte nicht nur Schlösser, auch eine Mühle, die betrieb er wie jeder andere Müller: hieß auch so. Den Müller von Barbaste nannten sie ihn - und fragten nicht lange, wie häufig er eigentlich dort wäre in seiner Mühle, und was er dort täte. So weit forscht das Volk nicht nach. Obwohl es den Gelehrten mißtraut, genügt ihm selbst oft ein Wort, und es sucht dahinter nichts.

Ein König, ein echter König ist voll Geheimnis - aber das wäre er nicht in kostbarer Kleidung: unerkannt und sehr gering ist er der König selbst. Du erkennst ihn plötzlich, und dein Herz stockt. Einmal, auf der Jagd, verlor er sein Gefolge, und am Fuß eines Baumes saß ein Bauer. »Was tust du da?« - »Was soll ich wohl tun. Den König will ich sehen.« - »Dann los, sitz hinter mir auf! Wir reiten hin, und du siehst ihn dir richtig an.« Der Bauer stieg mit zu Pferd, und unterwegs fragte er, woran er den König erkennen könnte. »Du mußt bloß achtgeben, welcher den Hut aufbehält, wenn alle andern ihn abnehmen.« Jetzt stößt er zu der Jagdgesellschaft, und alle Herren entblößen den Kopf. »Nun?« fragt er den Bauern. »Welcher ist der König?« Der antwortet aber bauernschlau: »Herrschaft! Sie oder ich, einer von uns muß es sein, denn nur wir zwei haben den Hut auf.«

Unter den Worten versteckte sich die Furcht mitsamt der Bewunderung. Hatte der König den Bauern angeführt, so hielt dieser, mit der gebotenen Vorsicht, auch den König zum besten. Daraus muß der König lernen. Der gemeine Mann behält zufällig mit ihm allein den Hut auf, sitzt hinter ihm zu Pferd, darf aber dabei nicht vergessen weder seine Bewunderung noch seine Furcht. Jedesmal beginnt das Erlebnis mit Übermut und endet mit einer Lehre. Fröhlich gelaunt ritt er einst nach der Stadt Bayonne, denn sie hatte ihn zu Tisch geladen. Wie er nun hinkam, war im Freien gedeckt, umringt von allem Volk mußte er essen, ihnen Rede und Antwort stehen - aber so nah sie herandrängten, um an seiner Suppe und sogar an seinem Lederkoffer zu riechen, er mußte lachend und in Mundart redend noch der König und das Geheimnis bleiben. Es gelang ihm ohne Mühe, weil sein Herz einfach war, und nur sein Verstand war's nicht. Wenn er gut hervorging aus solch einer Sache, fühlte er eine Befreiung wie nach einem glücklichen Gefecht. Während der Dauer des Wagnisses ist die Gefahr vergessen: er unterhält sich, und er gibt sich hin.

Den Armen, wenn er sich selbst bei ihnen einlud, konnte er auch seine Nöte klagen, und dies mit Zorn und mit Humor, ganz in ihrer Weise. Sie fluchten auf seine Beamten, die ihnen verboten, zu wildern; dann nahm er selbst sie mit zur Jagd. Sie bekamen zu hören, was er auf dem Herzen hatte gegen seinen Stellvertreter, Herrn de Villars; den hatte der Hof von Frankreich ihm auf die Nase gesetzt für den alten Montluc. Dieser Villars spürte ihm nach, als wären sie noch immer in Schloß Louvre. Die Stadt Bordeaux ließ den hugenottischen Gouverneur nicht zu sich ein, und da Henri dagegen machtlos war, stellte er sich gleichgültig. Nur am Tisch der armen Leute, wenn die Gesichter schon erhitzt waren, brach seine Wut aus, und er wurde bei ihnen ein Empörer, das waren hier alle von der Religion. Ihr Protestantismus war ihre Waffe und wurde auch seine. Er teilte den Glauben der armen Leute.

Hugenottische Banden durchzogen die Gegend, sie brandschatzten, so gut wie die andern - zuerst jedesmal die Kirche, zogen dann vorläufig ab, und nach drei Tagen kam auch das Herrenhaus des Dorfes daran, war nicht bis dahin das Lösegeld beschafft und zur Stelle. Der bedrohte Edelmann jagte nach Nérac, aber der Gouverneur war im Schloß nicht immer gleich aufzufinden. Er ergeht sich in seinen Gärten am Laufe der Baïse, so erfuhr der Bittsucher. Sie sind indessen viertausend Schritt lang, von seinen großen Schritten. Sehen Sie nach, Herr, ob er dort ist! Flüßchen und hohe Bäume, alles von demselben matten Grün, und die Wipfel neigen sich zueinander über dem schnurgeraden Laubgang, der die Garenne heißt. Eine Brücke führt vom Park, der Ihnen frei steht, hinüber zu den Blumen und der Orangerie. Nicht zu eilig, Herr, brennt es denn schon bei Ihnen? Sie könnten ihn versäumen, sehen Sie nach, Herr, bei den steinernen Brunnen und in jeder Laube. Der König von Navarra sitzt vielleicht an einem der Plätze und liest den Plutarch. Darüber aber der Pavillon des Königs, der wird bewacht. Sie erkennen ihn an dem roten Dach aus Schindeln. Rot und grellweiß spiegelt er sich im Wasser. Versuchen Sie nur nicht einzudringen, Herr, hüten Sie sich! Sollte der Gouverneur sich dort aufhalten, hat niemand zu fragen, bei welcher Beschäftigung und mit wem!

Der geängstigte Edelmann verließ unverrichteterdinge das Schloß von Nérac. Sein Herz erbitterte sich gegen den hugenottischen Gouverneur. Als aber am dritten Tage die Räuber, ihrem Versprechen gemäß, wiederkehrten, wer fuhr über sie her, und war doch bis zuletzt nicht sichtbar geworden? Ihren Anführer ließ Henri aufhängen, ganz, als wäre er nicht von der Religion gewesen. Die Leute machte er sogleich zu seinen Soldaten. Im Herrenhaus aß er zu Abend; der Edelmann war hochbeglückt mit allen den Seinen, und ungesäumt schickte er Nachricht an seine Verwandten und Freunde ringsum über seine gelungene Errettung durch den hugenottischen Gouverneur. In Wahrheit der erste Prinz von Geblüt! Sollten wir dennoch mit ihm rechnen müssen - dereinst, falls der Thron keinen anderen Erben mehr hätte: aber das liegt weitab. Bis jetzt mag er gut sein, unsere Dörfer zu beschützen vor seinen eigenen Glaubensgenossen. Er ist vor allem Soldat, ein Meister der Zucht und Feind aller wilden Banden oder bewaffneten Strolche. Wer sich bei keinem Hauptmann in die Rolle schreiben läßt, wird bestraft; wer aber den Eid geleistet hat und dennoch durchgeht, womöglich mit der Löhnung, wird mit Tod bestraft. Auch gibt es endlich wieder eine Marktpolizei.

›Es geht vorwärts‹, denkt Henri, der dafür sorgt, daß solche Briefe und Gespräche in Schwung kommen. Sehr wichtig ist das Vertrauen der Unbekannten: es kann sogar die Tatsachen verändern. Viel wäre geschehen, wenn man zum Beispiel sich einbildete, hier im Lande gäbe es nur noch eine und dieselbe Religion! Seine Armee war gemischt aus beiden Bekenntnissen: er sorgte dafür, daß die Neuheit auffiel und gewürdigt wurde. An seinem Hof in Nérac hatte er so viele Katholiken wie Protestanten; die meisten der Edelleute dienten ihm ohne Bezahlung, um seiner Person und Sache willen, und alle waren angehalten zu einer ehrenhaften Friedfertigkeit - die nicht immer bewahrt blieb. Dem König für seinen Teil standen sein Roquelaure und sein Lavardin so nah als nur sein Montgomery und sein Lusignan; er schien gar nicht mehr zu wissen, daß die letzten beiden von seiner Religion waren, die beiden ersten nicht.

Ihm war es durchaus bewußt, trotzdem fand er die Kühnheit, entgegen der Übereinkunft und herrschenden Wahrheit laut zu sagen: »Wer seiner Pflicht nachkommt, ist auch von meinem Glauben, ich aber bin vom Glauben derer, die tapfer und gut sind.« Er sprach dies aus und schrieb es in Briefen, obwohl ihm aus den Worten eine Schlinge gemacht werden konnte. Er hatte aber hinter sich den Louvre, die lange Gefangenschaft, Lüge, Todesfurcht; er sah zurück auf das Gemetzel um des Glaubens willen. Gerade er hätte alles Menschliche hassen können. Statt dessen berief er sich nur noch auf das, was Menschen einigen sollte, und das war, tapfer und gut zu sein. Natürlich dachte er sich das Seine. Tapfer - das sind die wohl. Sogar im Louvre waren die meisten von uns tapfer. Güte? Noch hüten fast alle sich, von Güte etwas merken zu lassen. Dafür müßten sie nicht nur tapfer, sondern kühn sein. Er verführte sie aber, ohne selbst zu bemerken, womit: dadurch, daß er seine Güte würzte mit einiger List. Milde und Duldsamkeit sind den Menschen nicht mehr verächtlich, wenn sie sich überlistet fühlen.

Der Friede im Königreich war wieder einmal mißlungen. Er hieß nach Monsieur, dem Bruder des Königs von Frankreich. Monsieur war seit seinem Frieden nicht mehr d'Alençon, sondern d'Anjou und bereichert um hunderttausend Taler Rente. Sogar seine deutschen Truppen bezahlte ihm der König, gegen den sie gekämpft hatten. Monsieur für seine Person hätte sich beruhigen können, obwohl er dies in seinem kurzen Leben nicht fertigbrachte. Vielmehr ging er nach Flandern, wollte König der Niederlande werden und von Thron zu Thron die Hand ausstrecken nach der Hand Elisabeths von England: eine Fünfundvierzigjährige mittlerweile. Die hochbeinige Königin und ihr kleiner Italiener, so nannte sie den Mann mit den zwei Nasen: über das Paar ließ sich viel lachen, des Abends in Nérac, wenn der Gouverneur und sein »Geheimer Rat« beim Wein die Nachrichten besprachen. Sonst aber war der Friede, der nach Monsieur hieß, mißlungen. Die Pariser waren nicht einmal hingegangen, als der König ein Feuerwerk hatte abbrennen lassen. Die Liga des dreisten Guise wühlte, und selten waren im Königreich die Tische, an denen man beisammensaß und nicht fragte, was einer glaubte. Daher berief der König von Frankreich die Ständeversammlung nach seinem Schloß in Blois. Protestantische Abgeordnete reisten nicht mehr dorthin, sie wußten zu gut, wie man betrogen wird. Aber der König von Navarra ließ für den Frieden schreiben durch seinen Diplomaten, Herrn Du Plessis-Mornay, und vor allem schrieb er selbst.

Die anderen hatten alle nur die Sorge, einander zu schaden, Protestanten wie Katholiken. Diese, als die Stärkeren, riefen nach Gewalt, jene nach ihrer verbürgten Sicherheit. Wer indessen der Schwächere ist, muß nicht auf das Recht pochen, sondern Duldsamkeit und Güte empfehlen: unter dem Schutz dieser Tugenden wird er leicht seine Macht vergrößern. Tugend aber, verbunden mit Macht, erwirbt mehr Anhänger, als jede der beiden allein. In ihren Zwecken verstanden sich Henri und sein Gesandter, gingen auch dieselben Wege. Mornay: seinen Schriftsatz an die Ständeversammlung schob er einem wohlgesinnten Katholiken unter, als hätte der ihn verfaßt, und war doch nur eine Erfindung des frommen und listigen Mornay. Henri wieder - persönlich, so schrieb er dorthin, bitte er Gott, ihn wissen zu lassen, welches die wahre Religion sei. Dann würde er ihr dienen und die falsche verjagen aus dem Königreich, womöglich sogar aus der Welt. Glücklicherweise ließ Gott ihm hierüber keinerlei Mitteilung zugehn: so lief er nicht die Gefahr, daß er seine befestigten Plätze etwa hätte ausliefern müssen.

Was er im Ernst tun konnte, damit der Bürgerkrieg nicht wieder ausbräche, dessen beeiferte er sich - eilte auch entgegen, als der König von Frankreich ihm Gesandte schickte. Diese sollten ihn wieder einmal zum Katholizismus bekehren, und das hinter den Mauern seiner treuen Stadt Agen. Der eine war derselbe Villars, der ihn nicht in Bordeaux einließ, der andere ein Erzbischof aus seinem eigenen Hause, der dritte bedeutete am meisten, denn es war der Schatzmeister von Frankreich. Henri empfing alle auf einmal und jeden für sich. Man weiß nie, was einer ohne Zeugen noch vorbringen wird, besonders bei Geldsachen. In der gemeinsamen Sitzung beklagte der Erzbischof die Leiden des Volkes, und Henri weinte - wobei er sich dachte, daß die Leiden des Volkes zwar die seinen wären, nicht aber die des Erzbischofs; und gerade darum war auch das Königreich nur ihm selbst bestimmt. Diese Nachricht kam ihm allerdings von Gott. Darum ließ er auch in demselben Augenblick von seinen Leuten eine Stadt stürmen. Der gute Villars hatte sie entblößt von den Soldaten, die er brauchte, um mit starker Bedeckung vor seinen Gouverneur zu treten. ›Mein kleines Gefecht!‹ So jubelte Henri heimlich; weinte dabei noch immer, aber wer unterscheidet Freudentränen von anderen. ›Mein kleines Gefecht!‹

Marquis de Villars nahm seine Rache, es währte gar nicht lange. Henri spielt »langen Ball« in seinem Schloßhof, den ein Viereck hoher Gebäude umschließt. Verzierte Fenster und kunstreiche Säulengänge entlang den Fronten, die breite und großartige Doppeltreppe hinab zum Fluß und den Gärten: alles haben seine Vorfahren erbaut schon vor zweihundert Jahren, und an jeder der vier Ecken bewacht die Herrlichkeit ein dicker Turm. Auch Turmwächter können sich natürlich mit Mädchen vergessen, und währenddessen schleicht sich der Feind heran von einem Busch zum andern und im Schutz eines Hauses bis hinter das nächste. Im umhegten Hof wirft Henri den langen Lederball. Säße er gerade beim Essen, dann wäre in die Wand des Speisezimmers eingesenkt ein enges Gelaß, dort kauert der Beobachter, der das Land abspäht nach verdächtigen Erscheinungen. Man sollte die Maßnahmen nie vergessen: jetzt ist es zu spät. Ein klägliches Geschrei erhebt sich; der Feind ist eingedrungen hinter die vierte Front, schon hält er jemand an der Kehle. Die Ballspieler sind ohne Waffen. Während seine Freunde über die Freitreppe entspringen, verschwindet Henri im Haus - und so lange der Feind ihn nachher sucht, er wird nicht gefunden.

 

Château de la Grange

Er entfernte sich unter den Füßen der Suchenden, dann unter der Stadt, dann unter den Feldern. Der unterirdische Gang, in den hinab er sich tastete, war alt und von allen Lebenden nur ihm bekannt. Er traf das Feuerzeug, die Lampe, und vermied bei ihrem kleinen Licht die Löcher und verschütteten Stellen. Der Weg erschien ihm diesmal weniger lang als sonst, da er an den enttäuschten Feind dachte. Der Atem wurde allerdings beklommen hier unten: dafür erwarteten ihn am Ziele dieser Aushöhlung ein Paar zärtlicher Arme - und in was für Hände wäre er soeben beinahe gefallen! Endlich wieder Stufen. Er löschte das Flämmchen, hob den Verschluß der Grube auf. »Achtung!« rief eine Frauenstimme. »Achtung, meine Tauben!« Denn die Person hatte gerade einigen Tauben die Hälse umgedreht und sie auf die Stelle am Boden gelegt, wo dieser erhitzte und arg verschmutzte Mann hervorkroch. Ihn blendete das Tageslicht, er sah nicht, wer das war: Fleurette, ein Mädchen, das er geliebt hatte als Achtzehnjähriger, und sie war damals siebzehn gewesen.

Sie erschrak nicht, weil er aus der Erde stieg, aber ebensowenig erkannte sie ihn: wegen seines Zustandes, und überdies hatten die Erlebnisse sein Gesicht verändert, auch ließ er sich den Bart wachsen. Seine sanften und warmen Augen hätten ihn ihr gewiß verraten, aber die schloß er und blinzelte: daher erkannte Fleurette ihn nicht. Ihr eigenes Gesicht war übrigens breit geworden, wie auch die Gestalt. Im Unmut über ihre fortgestoßenen Tauben setzte sie die Fäuste auf die Hüften und schalt. Er lachte, antwortete lustig und ging zum Brunnen, sich zu säubern. Ein anderer Brunnen hatte einst ihr gemeinsames Bild aufgenommen, und ihren Abschiedsblick hatten sie darin versenkt mit ihrer letzten Träne. »Wenn wir ganz alt sein werden, dieser Brunnen weiß von uns auch dann noch, und selbst bis über unsern Tod.« Das ist wahr; noch später werden die Leute einander ein Gewässer zeigen und sagen: »Darin ertrank sie, Fleurette. Sie liebte ihn so sehr!« Schon jetzt halten die meisten sie für gestorben, weil eine so schöne Liebe für sich allein fortleben soll, ohne die verwandelten Menschen.

Verwandlung. Er hat sein Gesicht gewaschen und klopft sich den Schmutz von den Schultern, ohne sich nach ihr umzusehen. Sie wartet ab, wie unter der verwahrlosten Hülle ein Edelmann erscheint. Der wird hineingehn, wird über die Treppe des Schlößchens gehn zu der Dame, in ihr Liebeskabinett, dessen Wände bemalt sind mit Wesen, halb Frau halb Fisch, und aus den Ecken blicken Engelsköpfe, dieser lieblich, drüben einer streng. Von der Decke des Zimmerchens strahlt die Sonne, denn Christus ist die Sonne der Gerechtigkeit, wie dabei geschrieben steht, und Fleurette hat es gelesen. Sie nimmt ihre Tauben auf. Grade wendet Henri sich her, aber jetzt sieht sie nicht hin. Über ihnen klingt die Luft von vergessenen Worten. Der Himmel ist sehr hell, silbern das Licht, die Sommerabende so lind. Sie sind noch einmal im Leben allein, hier zwischen den Wirtschaftsgebäuden. Er könnte das fremde Mädchen, das gebückt steht, an sich und hinter die Scheune ziehen. Er denkt wirklich daran, aber droben sieht man vielleicht zu. Er eilt hinauf. Sie betritt mit ihren Tauben die Küche. Der Platz bleibt verlassen, indessen klingt die Luft weiter von vergessenen Worten. Du bist glücklich bei mir? So sehr war ich es noch nie! Dann erinnere dich meiner, so weit du reiten magst - und der kleinen Kammer, in die der Garten duftete, während wir uns liebten. Du bist siebzehn Jahre, Fleurette. Du achtzehn, lieber Knabe. Wenn wir ganz alt sein werden -

Die Stimmen von Feldarbeitern nähern sich. Keine klingenden Lüfte mehr.

 

Im Garten

Merkwürdig, sein Unternehmen gegen das Schloß des Gouverneurs bekam, dem Stellvertreter nicht gut. Der König von Frankreich verzieh es ihm nicht, wie man in Nérac erfuhr. Oder war es eher das Mißlingen des Überfalls, das den armen Villars zuletzt sogar seine Stellung kostete. Der Adel erklärte sich gegen ihn - nicht nur hierzulande: auch in der benachbarten Provinz Languedoc, deren Gouverneur Damville mit Henri ein Bündnis schloß. Damville war ein Gemäßigter, gehörte zu den Politischen und tat gern etwas für den Frieden zwischen den beiden Bekenntnissen. Wenn nur nicht auch Friedfertigkeit zur unrechten Zeit etwas gewesen wäre, was die Stellung kosten konnte! Villars allerdings war im Begriff, die seine zu verlieren, weil er das Gegenteil zu weit getrieben hatte. Er wurde besonders verfolgt und unmöglich gemacht durch einen der einflußreichsten Männer der Provinz, Marschall Biron. Dieser wühlte gegen Villars noch mehr, als sogar Henri wußte, obwohl er unterrichtet war.

Indessen beschäftigten Henri mehrere Sorgen. Er wollte bei Hof nicht nur die Absetzung seines Stellvertreters erreichen: er wünschte sehnlich, daß seine liebe Schwester zu ihm käme, und auch seine gute Freundin, die Königin von Navarra, mochte er nicht länger entbehren. Es kam vor, daß er sich wirklich sehnte nach Margot; alte Zärtlichkeiten verlassen niemals ganz den Leib, der sie empfangen hat. Öfter dagegen bedachte er, daß seine katholischen Untertanen die Schwester des Königs von Frankreich hätten erblicken müssen, ihm zur Seite: sogar das Tor von Bordeaux wäre aufgesprungen! Was seine kleine Catherine anging - o schnell, Kathrin, daß du schon da wärst! Sollst meine Orangerie bewundern, sollst meine Papageien sprechen lehren und Vögel hören, deren wunderbaren Gesang du noch nicht kennst, Kathrin: Kanarienvögel! Außerdem ist die Kleine eine so strenge Hugenottin und würde sofort bei denen von der Religion meinen Ruf verbessern; denn leider, der ist nicht ganz, gut.

Dies kam natürlich, weil er viele Frauen kannte. Aber erstens, es gibt viele, die unsere Liebe lohnen - jede auf ihre Art, diese mit ihrem kräftigen Duft, die andere als eine reine Blüte. Das Edelfräulein hat eine mißtrauische Mutter, Henri reitet Nächte hindurch zu einem Stelldichein in der Frühe. Die Dirn des beliebigen Kerls ist leichter zu haben. Nun war da auch die Frau eines Köhlers, der hauste im Wald, und bei ihm trafen einander die Jäger vom Hof. Sie liebte ihren König überaus, und er sie heiß genug, daß er die ganze Jagd, Herren und Diener, im Regen warten ließ, indes er drinnen bei ihr lag. Man kennt diese schnellen Feuer, die nichts hinterlassen. Wie ist das nur, zwanzig Jahre später adelte der König den Köhler. Noch immer wird er wissen von der Hütte im Wald und von den unverlierbaren Freuden. Denn es ist die Frau seine nächste Verbindung zum Volk. Er erkennt es in ihr; besitzt es und dankt ihm.

Seine Schwester aus Paris zu holen, schickte er keinen anderen als seinen getreuen Fervaques. Der Biedermann hatte ihn verraten, aber auch den König von Frankreich hatte er schon im Stich gelassen, und wer ist sicherer als der, dem niemand mehr traut. Fervaques brachte wirklich die Prinzessin durch alle Fährnisse bis hierher, sie blieb aber nicht lange in Nérac: ihr Bruder geleitete sie selbst nach Pau, dort waren der Glaube und die Sitten streng, auch seine eigenen, sooft er hinkam. In Pau, wo sie beide waren erzogen worden von ihrer lieben Mutter, wurde er nur mit seiner Schwester gesehen unter den grünen Bäumen ihrer Kindheit. Draußen lag ein Lieblingsschlößchen, umgeben von hohen Wipfeln: dorthin hatte auch Jeanne oftmals ihre Zuflucht genommen, wenn sie mit ihren beiden Kindern die Frische schöner Schatten empfinden wollte und in ihrer Seele den Atem Gottes dachte rauschen zu hören wie die Bäume rauschen. Die Natur war ein Geheimnis des Ewigen, eins seiner Geheimnisse. Die Gärtner dienten Gott unter anderen Zeichen als die Priester. Chantelle hieß sein Gärtner, den er so gern ansprach wie einen Weisen, und auch das Wohnhaus stellte der König ihm neu her. Die Hauptallee im Park aber trug den Namen Madame, und das war Jeanne. Dort ergingen sich ihre Kinder, der Bruder zur Schwester geneigt. Die Schwester denkt: ›Sieh! Wir haben uns verspätet und es wird Abend. Der Garten erscheint uns heute tiefer die Dämmerung trägt ihn still fort aus dem Raum und aus der Ordnung. Selbst die steinerne Frau, die Wasser schüttet mit ihrem Faß, sie ist getaucht in die Farbe des abendlichen Gebüsches und hat kein Vorrecht mehr, weiß zu sein und zu leuchten. Wir alle sind einander gleich als Christen: das ist besonders wahr in dieser Stunde. Ich, seine Schwester, muß ihn allerdings als meinen Herrn ansehen, hier aber ist er es weniger. Spreche ich? Die Dinge kommen mir nicht zu, und ich fürchte sie. Dennoch verlockt es mich, ihm von dem berüchtigten Ball in Agen zu sprechen.«

»Mein Bruder!«

»Was gibt es, Schwesterchen?«

»Es gehn so schlimme Gerüchte.«

»Du meinst den Ball in Agen.«

Darüber erschrak sie so sehr, daß sie stehnblieb. Man merkte ihrem Fuß sonst wenig an, sie konnte auch tanzen. In diesem Augenblick aber hätte sie gehinkt. Ihr Bruder Henri sagte schnell: »Ich kenne das Gerede - natürlich kenne ich es, sie haben es doch nur aufgebracht, damit ich mit meinen protestantischen Edelleuten die Stadt Agen verlassen sollte. Anfangs dachte ich dort zu wohnen, nach meiner Flucht aus dem Louvre. Sofort haben die Geistlichen von der Kanzel gehetzt gegen uns. Herr de Villars fing gleich mit Verleumdungen an. Aber die katholischen Damen haben das Ärgste selbst erfunden, um sich zu belustigen. Du mußt wissen, Schwesterchen, daß manche deines Geschlechtes sich belustigen an Dingen, die in Wirklichkeit nicht geschehen sind.«

»Laß das, Bruder, und sag mir, ob auf dem Ball in Agen, als der Saal voll war von den Damen der Stadt, die Kerzen und Lichter plötzlich ausgelöscht worden sind von dir und deinen Herren.«

»Nein. Man kann das nicht sagen. Ich habe wohl bemerkt, daß es etwas dunkler wurde in dem großen Saal. Vielleicht waren mehrere gleichzeitig niedergebrannt. Man bläst zuweilen aus bloßem Übermut auf die Flamme; wer weiß, ob nicht die Damen selbst!«

Hier erzürnte sich Catherine. »Du leugnest zu viel. Es wäre besser, du würdest weniger in Abrede stellen, dann dürfte ich dir das übrige glauben.« Dies sprach kein unerfahrenes Mädchen: nicht mehr die kindliche Stimme, nicht ihre hohen, erschreckten Endsilben. An Henri war es, zu erschrecken: zu ihm sprach seine strenge Mutter. Auch sehen konnte er den Unterschied kaum, denn es war Nacht geworden. Wie ein Knabe gestand er.

»Meine Edelleute wollen die Damen geküßt haben im Dunkeln. Keiner rühmt sich, daß er sie auch entehrt habe. Die Gelegenheit allerdings war da, sogar die Laune. Nachher will natürlich niemand es gewesen sein, wegen des ausgebrochenen Skandals.«

»So habt ihr euch aufgeführt!« sagte Jeanne und Catherine. »Sind das die strengen Sitten, die du unserer Heimat erhalten sollst? Nein, lieber zeigst du ihnen hier, was du gelernt hast in Schloß Louvre bei den Feinden der Religion.«

Der Atem blieb ihm weg. Was jetzt kommen sollte, traf ihn persönlich. »Nicht allein, daß mehrere der entehrten Damen vor Schreck und Scham gestorben sind: du hast dir noch andere Unglücksfälle vorzuwerfen - überall im Land, wo du umherreitest und die Frauen verführst. Ich will sie dir nicht nennen und aufzählen, du kennst sie zu gut. Ich will dich lieber mahnen, daß du Gott liebst, anstatt die Frauen.«

Er hielt still. Die Predigt, die hiermit begonnen hatte, war unentrinnbar.

»An erster Stelle sollen wir lernen, unsere Herzen zu üben im Gehorsam des Herrn. An dem Ende müssen wir anfangen; damit aber etwas Ganzes wird, ist es nötig, daß unsere Augen, Hände, Füße, Arm und Bein - daß all das mittut. Grausame Hände erweisen ein Herz voll Bosheit, und schamlose Augen ein verderbtes Herz.«

Sie redete weiter gut und schön. Prinzessin Catherine bekam Briefe aus Genf und bewahrte sie in ihrem Sinn - obwohl auch sie nicht mehr lange danach handeln sollte. Ihr Bruder Henri weinte im Dunkeln. Die Tränen kamen ihm leicht, auch über Unabänderliches, das er zu ändern gar nicht gewillt war. Hiermit meinte er indessen nicht nur seine eigene Natur, sondern auch die eng verwandte seiner lieben Schwester. Mit ihrem frommen Eifer kämpfte die Arme gegen ihre Liebe zu ihrem Vetter Henri Bourbon, der jetzt noch den Eber jagte. Erscheint er aber erst in Person, dann wird alles schon geschehen sein, bevor Kathrin es selbst noch weiß! Das Ende ihrer kindlichen Unschuld, das war es, was ihr Bruder beweinte. Andererseits fand er es ganz vernünftig, daß einmal auch die Unschuld seiner Schwester endete. Geteilt zwischen Mitleid und Zustimmung umarmte er sie herzlich und unterbrach mit einem Kuß ihren besten Satz. Dann führte er sie in das Haus.

Weil alle Zärtlichkeit, sogar die für das eigene Fleisch und Blut, und jeder Schauder des Gemütes seinen münzbaren Wert hat, bekam Prinzessin Catherine am Morgen eine kleine Stadt geschenkt von ihrem lieben Bruder - der sie indessen selbst noch nicht hatte. Es war eine böse kleine Stadt, die ihn bis jetzt nicht einlassen wollte; er mußte sie erst erobern für seine liebe Schwester. Noch viele reizende Geschenke bekam diese - in späterer Zeit, als ihr königlicher Bruder es konnte. Einmal waren es siebenhundert feine Perlen, und auch ein Herz, reich besetzt mit Diamanten; den Preis kannte die Rechnungskammer. Übrigens waren die Stunden in Pau jedesmal gezählt. Die schönen Möbel in dem großen Stadtschloß bedecken sich wieder mit Hüllen; Henri wird niemals andere für schöner halten. Die Kronjuwelen von Navarra wird er nicht anrühren in Zeiten, als er kein zweites Hemd besitzt. Zu Pferd! Unruhigere Gegenden besucht! Auch Margot macht uns nur Sorgen. Sie hat ihren Bruder Franz, der nach Flandern durchgehen wollte, an einem Strick aus ihrem Fenster gelassen, hat dann den Strick in ihrem Kamin verbrannt und fast den Louvre angezündet. Dann ist sie gleichfalls ab nach Flandern, und was für Streiche! Kinder, was für Streiche! So spricht Henri in seinem Geheimen Rat.

 

Der Geheime Rat

Die Mitglieder des Rates begeben sich je zwei und zwei in das Schloß. Die doppelte Freitreppe erlaubt den Herren, die gerade nicht ganz gut miteinander stehn, sie auf verschiedenen Seiten zu ersteigen. Zwischen den beiden Armen der Treppe rinnt aus der Mauer ein Brunnen in sein halbrundes Becken. Das marmorne Geländer wendet sich von den Pfosten im weichsten Bogen, jede Hand ist versucht, es zu berühren. Das Auge gleitet von selbst über die bescheidenen Verzierungen, mit denen ein liebreicher Meißel den Stein belebt hat. Aber auf halber Höhe vereinigen sich die Arme, und die Treppe wird breit, sie wird öffentlich und führt zu dem Fürstenschloß. Jugendliche Schritte, laute Stimmen, die meisten der Räte durcheilen sogleich dort oben den Hof und wenden sich rechts. Sie benutzen einige Stufen und eine Galerie von Säulen, die läuft die ganze Front entlang; jede der Säulen trägt an ihrem Kopf ändere Bilder von sagenhaften Vorgängen. Die Türen der Zimmer stehen offen, der Tag leuchtet. Schnell betritt man das größte, setzt sich auf Truhen oder hölzerne Schemel, versammelt sich mit erregten Reden, umarmt sich mit Gelächter, trennt sich gereizt - dies alles, indessen der Fürst noch erwartet wird.

In die kugelsichere Mauer, die sonst kein Fenster hat, ist eingesenkt der Posten des Beobachters. Zwischen seinen Gitterstäben blickt der Soldat hinunter in den äußeren Hof, dann über den Laufgraben in das Land hinaus. Hinter dem Stadttor zieht eine Straße, darauf könnten Feinde erscheinen. Friede und Sicherheit wohnen auf beiden Ufern der grünen Baïse, diesseits und jenseits der Brücken: sie heißen die alte und die neue. Diese schwebt hinüber zu dem stillen Park La Garenne, die andere verbindet die Stadtteile. Unterhalb des Schlosses wohnen Bürger wohlbehütet. Drüben bauen Herren vom Hof sich an, seitdem es hier den Hof gibt. Handwerker, Krämer und Gesinde drängen sich zu den festen Häusern der Großen: so entstehen Gassen, gewunden, eng, ein Häuflein von einer Stadt, durch die hinweg Bäche eilen und Kinder spielen. Die Kleinen erstürmen schreiend die hohe alte Brücke, Alte klettern sie vorsichtig hinan; und das Spiegelbild ihrer offenen Bogen tief im Wasser nimmt nacheinander die Schatten auf - all derer, die hier leben.

Oberhalb der Schloßtreppe, auf der gerundeten Bank von Stein, sitzen zwei Herren, die Henri erwarten. Der Herr im Reisemantel ist Philipp Mornay, er findet Henri unbedacht: allein unterwegs, bei sinkendem Abend, und es ist Krieg. Es ist wieder Krieg. Der Friede, der nach Monsieur benannt war, hat nicht vorgehalten. Der König von Navarra hat seinen Diplomaten ausgesendet auf die Suche nach Verbündeten, aber die meisten entziehen sich der Aufforderung, wie sie nur können. Da ist ein Vetter des ermordeten Coligny, und dieser Montmorency hat selbst, dem Tode näher als dem Leben, in der Bastille gelegen. Dennoch ist der beleibte Mann zu träge für die Rache - für die Gerechtigkeit, sagt Mornay. Für die Religion, behauptet er. »Die Lauen speit ER aus seinem Mund aus«, entscheidet der Hugenott - begründet auch mit kühlen Worten, warum sie stürzen müssen, alle, die von der Religion nur Vorteil ziehn und nicht groß genug sind, ihrer Sache zu dienen. Den Herzog von Anjou hat Mornay verlassen, der jagt blindlings nach Königreichen für sich selbst. Eingetroffen ist Mornay, nach Abenteuern und Gefahren, bei einem Fürsten, mit dem er es versuchen will, obwohl der Fürst bis jetzt ein leichtherziges Leben führt. Nicht alles liegt aber an der Natur, viel mehr tut die Sendung. Gott ist stärker als die Leidenschaften seines Erwählten. Im Grunde ist der fromme Mornay ganz ohne Sorge um den unterwegs verspäteten Henri. Der steht unter hohem Geleit.

»Sie wurden gefangengenommen auf Ihrer Reise hierher?« fragte der Herr neben ihm auf der Bank.

»Aber man erkannte mich nicht«, antwortete Mornay, hob die Schultern und war versichert: im rechten Augenblick erblindeten seine Feinde. »Hören Sie, wie es war, Herr de Lusignan. Wir betrachteten die Ruinen Ihres Stammhauses, in einer Gegend, die der Mondschein verzauberte, so daß es leicht war, an Märchen zu glauben. Dort begegnete in alten Tagen Ihr Vorfahr der Fee Melusine und hatte von ihr dasselbe Glück und Leid, das die Frauen der Menschen jederzeit austeilen können. Durch Schuld der Fee Melusine wurde unsere Aufmerksamkeit abgelenkt, daher waren zwanzig Bewaffnete früher über uns als wir über den Graben. Die ganze Frage ist bei solchen Gelegenheiten, sich für einen anderen ausgeben zu können, nicht aber wie ein Hugenott auszusehn.«

Der zweite Herr mußte lachen. Wenn einer so aussah, war es Philipp Mornay. Nicht nur, daß ein schlichter weißer Kragen über seinen dunklen Anzug geschlagen war: die Haltung machte es, und der Ausdruck sagte genug. Der Blick forderte niemand heraus, war auch nicht in sich versunken. Der Blick erforschte die Gewissen - verständig und ruhig unter der immer glatten Stirn. Bis in das Alter wird die Stirn ohne Falten bleiben, weil Mornay mit seinem Gott im reinen ist; wird eine unberührte Hochebene bleiben über dem zusammengedrückten Gesicht, das Flecken bekommen und in die Züge des Grames verfallen wird. So dereinst. Indessen sitzt er auf einer abgerundeten Steinbank, jung, im Herzen kühn, und erwartet den Fürsten, dessen Aufstieg er begleiten soll. Nichts ahnt Mornay von den Worten, die er bestimmt ist in ferner Zeit als letzte auf seinen Fürsten zu sprechen: »Wir haben hier zu verkünden eine traurige, abscheuliche Neuigkeit. Unser König, der große König, den die Christenheit hat getragen seit fünfhundert Jahren -«

Sehr hell war der Himmel, silbern sein Licht, und der Abend näherte sich mild. Henri kam aus seinen Gärten, ging über die neue Brücke und hatte den Arm voll Blumen. Da er die beiden Herren oben auf der Treppe stehen sah, lief er, verlangte schon von weitem nach dem Bericht seines Gesandten; hörte ihn an, und obwohl nichts Günstiges zu melden war, schenkte er ihm eine Blume. »Jemand hat sie abgerupft«, erklärte Henri. Ohne es zu wollen, rückte er die Schulter in Richtung des Lusthäuschens am Fluß: da wußten sie Bescheid. Gleichzeitig ging über ihnen im Schloß ein mächtiges Lärmen an. »Meine Hugenotten bringen mir meine Katholiken um!« rief Henri und sprang schon in den Schloßhof.

Wirklich war Herr de Lavardin an Herrn de Rosny geraten: dieser ein junger Hahn, sein Hauptmann außer sich wegen der durchbrochenen Mannszucht. Die übrigen Edelleute schrien alle mit, Getöse erfüllte das Zimmer, und die Sache selbst wäre niemals in Erfahrung zu bringen gewesen. Glücklicherweise kannte Henri sie am besten. »Marmande«, das war die Stadt, wo Hauptmann Lavardin den Fähnrich Rosny auf einen verlorenen Posten geschickt hatte. Henri selbst mußte den Jungen und seine paar Arkebusiere dort heraushauen, was nicht verhindern konnte, daß alle ziemlich kläglich abzogen mit ihrer einzigen Kanone und den beiden Feldschlangen ohne Munition. Lavardin wollte von niemand daran erinnert werden, daß er den verunglückten Angriff auf Marmande unternommen hatte entgegen der Meinung seines Königs. Jetzt fing gar sein Fähnrich von der dummen Sache an. »Milchbart!« brüllte der gereizte Vorgesetzte. »Wenn ich Ihnen die Nase drücke, kommt Milch heraus.« Sofort wollte Rosny sich mit ihm schlagen, von den Edelleuten aber waren die einen eifrig dabei, die anderen versuchten, die Gegner zu trennen. Man hätte nicht geglaubt, in einem einzigen Zimmer mit sechs oder acht Personen könnte so viel vorgehn - alles war aber eigentlich nur Betätigung der Lebensfülle und guten Laune. Henri zeigte sich mit seinem Arm voll Blumen, warf sie unter seine Edelleute, und seinen Rosny bestrafte er, wie es recht war. Er sagte ihm, um seinen Dienst in der besten Kompanie unter den besten aller Führer wär's nun geschehn, und er selbst, der König, wollte ihn aus Mitleid für seine große Jugend in Zucht nehmen. Das ließ der Junge sich gefallen, hatte übrigens darauf gerechnet. Gleich bekam er wieder sein still vernünftiges Gesicht. Auch Lavardin war beruhigt, und überdies umarmte ihn sein König.

Andere ereiferten sich statt dessen über diese und jene kleine Stadt, die sich Greuel erlaubt haben sollte. Das Heer des Königs von Navarra zog umher und wurde nie fertig, Frieden zu stiften, zu rächen und Ordnung zu machen. Hier war der Geheime Rat, jedes Mitglied durfte dem Fürsten seine Meinung sagen, und mehrere hielten ihm vor, er führte den Krieg nicht streng genug. Sein Vetter Condé betriebe die Operationen tätiger und klagte über seine Lässigkeit. »Es ist mein Land. Seines ist es nicht«, sagte Henri - mehr für sich als für andere. Nur Mornay horchte darauf. Der ganze Geheime Rat sprach meistens durcheinander. Die allgemeine Aufmerksamkeit lenkte Henri auf sich, als er anfing zu erzählen von der Königin von Navarra. Er ließ das eine Bein vom Tisch herabhängen, das andere hatte er unter sich gezogen, kaute am Stengel einer Rose und schluchzte manchmal, wie von innerem Lachen - fühlte aber in Wahrheit keine unvermischte Freude.

Die Königin von Navarra hatte zuerst ihrem geliebten Bruder Monsieur fliehen geholfen, dann war sie ihm vorausgeeilt nach Flandern, um für seine Sache zu arbeiten. Gefährlich, gefährlich - in einem Lande, das die Spanier unter ihren Stiefeln hielten, und der größte Stiefel war Don Juan d'Austria. »Die Königin, meine Gemahlin, hat alle hinters Licht geführt unter dem Vorwande der Krankheit, die sie kurieren wollte mit dem Wasser von Spa. Bevor die Spanier, die ohne Witz sind, müßt ihr wissen - Stelzschritte machen sie, halten den Kopf steif, wie sie ihren Kragen bügeln, und können nicht sehen, was auf der Erde los ist: bevor die Spanier das erste Wort gemerkt hatten, war das ganze Land aufgewiegelt von Ihrer Majestät. Darauf hat Don Juan d'Austria sie allerdings aus dem Land hinausbegleiten lassen in aller Eile. Am Abend vorher hatte er ihr noch einen Ball gegeben. Da kann man nichts machen, ihr eigener Bruder, der König von Frankreich, hatte sie den Spaniern angezeigt aus Furcht vor Don Philipp.«

Gelächter des Unmutes, samt einigen Flüchen. In Gedanken und die Zähne zusammengebissen, schloß Henri: ›Gleichviel. Wenigstens hat meine arme Margot auf dieser Reise sich als eine ganz große Dame gefühlt - bis zu dem Hinauswurf. Goldene Karossen und Sänften aus Samt, darin die huldreiche Königin, und überall blondes Volk, das entzückt ist. Sie hat sich auch selbst entzückt. Sonst ist sie keine glückliche Frau, meine arme Margot, in der Familie, die sie hat. Sie sollte zu mir kommen. Ich brauche sie hier.‹ - »Leider verbietet ihr königlicher Bruder, daß sie mit einem Hugenotten lebt.« Dies letzte hatte er laut ausgesprochen: er bemerkte, daß in dem Lärm nur einer ihn aufmerksam ansah, sein Diplomat.

»Herr de Mornay«, sagte er, »es ist traurig, aber der König von Frankreich haßt seine Schwester, und sie darf uns nicht sehn.«

Mornay erwiderte, daß Ihre Majestät, die Königin von Navarra, sicher nichts so sehnlich wünschte seit ihrer verunglückten Reise nach Flandern. »Ihr königlicher Bruder wird gegen seine Frau Schwester nur aufgebracht durch die Liga. Der Herzog von Guise -«

»Gehn wir hinaus«, bestimmte Henri, und er verließ vor Mornay das Zimmer. Sie machten in dem Wandelgang einige Schritte, so schnell, wie Henri es liebte, und kehrten wieder um. Der Gesandte, der aus der Gegend von Paris zurückkehrte, kannte die neuesten Morde im Louvre. Guise erhielt den König in Angst und Schrecken. Dieser flüchtete immer häufiger ins Kloster, und nicht mehr nur das jenseitige Grauen trieb ihn. Außer seinem eigenen Tod fürchtete er auch das Aussterben seines Hauses, denn die Königin schenkte ihm keinen Sohn.

»Sie wird es niemals tun«, warf Henri schnell ein. »Die Valois bekommen keine Söhne mehr.« Er verschwieg, von wem er die Kenntnis und Gewißheit hatte: von seiner Mutter. Mornay sah ihn an und sagte zu sich selbst, daß Gott der Herr ihn richtig geführt habe zu diesem Fürsten. In demselben Augenblick erkannte er endgültig, wer Henri war - kein Müller von Barbaste, Schürzenjäger und Befehlshaber über zweihundert Bewaffnete, sondern der künftige König von Frankreich und seiner Berufung voll bewußt. Er gab sich einen falschen Anschein, aus Klugheit und weil er Zeit hatte zu warten, denn lang ist die Jugend. Aber niemals vergaß er. Da nun der Fürst mit einem Wort ihm sein Herz aufgeschlossen hatte, verneigte Mornay sich. Der Rede bedurfte es nicht mehr, das Einverständnis war hergestellt. Mit einer einfachen Wendung der Hand wies Henri ihn auf den Park La Garenne hin, wo sie einander demnächst treffen wollten ohne alle Zeugen.

Schon wurden sie gestört. Seine alten Freunde, d'Aubigné und Du Bartas, gebrauchten ihr Vorrecht, ihren König jederzeit zu unterbrechen. Sie kamen laufend über den Hof, erstürmten die Treppe, und sogleich sprachen sie durcheinander. Die Neuigkeit rechtfertigte allerdings ihre Aufregung. Marquis de Villars war abgesetzt. Der mißlungene Überfall auf das Schloß seines Gouverneurs hatte dem Stellvertreter die Ungnade des Königs von Frankreich zugezogen. An die Stelle des Entlassenen trat Marschall Biron, der auch wirklich alles getan hatte, um es zu verdienen. Dieser Meinung war besonders Agrippa. Voll glücklicher Zuversicht rühmte er den neuen Stellvertreter, der aus lauter Edelmut seinen Einfluß bei Hof aufgeboten hatte gegen den düsteren Vorgänger. Du Bartas, von ganz verschiedenem Temperament, erwartete von dem neuen Mann ein noch ränkevolleres Verhalten als das des alten. In die beiden Ansichten teilte sich dann der Geheime Rat, als die Mitglieder von der Sache hörten.

Die Vernünftigsten, wie Rosny und La Force, dieser katholisch, sahen in Biron vor allem einen Gallensüchtigen mit gelben Augen; im Jähzorn hatte er einem Pferd die ganze Schnauze heruntergesäbelt, was nicht für ihn zeugte. Lavardin und Turenne, gleichfalls von verschiedenen Bekenntnissen, waren dennoch darin einig, daß dem Marschall Biron ein gewisses Vertrauen zu gewähren sei. Er entstammte einer der ersten Familien der Provinz Guyenne. Ihm käme es von selbst zu, hier Frieden zu halten. Dies hätte man glauben können. Henri aber las, während der Geheime Rat sich ereiferte, die königliche Verfügung: seine alten Freunde hatten sie ihm übergeben. Darin stand nun, daß Marschall Biron die Macht und Befugnis erhalte, unbeschränkt zu befehlen überall in Provinz und Land Guyenne, in Abwesenheit des Königs von Navarra. Als ob ich abwesend wäre - zum Beispiel gefangen im Louvre! So begriff Henri. Ihm wurde kalt und dann heiß. Er rollte das Schriftstück zusammen und ließ keinen anderen hineinsehen.

 

Mornay oder die Tugend

Sehr früh am Morgen ging Mornay in den Park La Garenne. Noch waren keine Wachen angestellt. Wenn der König kam, konnte ihre Zusammenkunft von niemand beobachtet werden, und was sie sprachen, blieb unbekannt. Mornay hoffte, daß der König die bedeutende Gelegenheit wahrnähme und daß er allein käme. Mornay hatte keinen geringen Begriff von seiner Einmischung, wo immer er sie unternahm, in England, Flandern, bei Geschäften des Krieges oder während der Herstellung des Friedens. Da er warten mußte im Park La Garenne, gedachte er beim Zwitschern und Trillern der frühen Vögel der Herrlichkeit Gottes, der es zuließ, daß die unschuldigste Natur unmittelbar rührte an die abscheuliche Welt; und durch seinen Sohn hatte der Herr beides vereinigt, denn in Schweiß und Blut war Jesus dahingegangen wie wir, und auch wie wir hatte er den Gesang der Erde, nur noch rührender, in sich getragen. Mornay schrieb dies auf seine Täfelchen, für seine Frau Charlotte Arbaleste. Seit drei Jahren waren sie verheiratet, aber oft und lange getrennt worden durch die Reisen des Mannes, durch die Aufträge der Fürsten, ihnen Geld, immer wieder Geld zu verschaffen. Mornay war genötigt, mehr Berechnungen von Schuld und Zins aufzusetzen als Reden über Leben und Tod. Diese hatte er dennoch verfaßt auf Verlangen seiner Verlobten, als sie zu Sedan im Herzogtum Bouillon, einer Freistatt für Flüchtlinge, einander gefunden hatten.

Ihre Begegnung war geschehn im strengsten Ernst des Lebens und des Todes, zwei Jahre nach der Bartholomäusnacht, und dieser war jeder von ihnen nur entgangen, um arm und verfolgt weiter zu bestehen zur Ehre Gottes. Die Güter Charlortes waren beschlagnahmt, denn sowohl ihr Vater als auch ihr erster Gatte hatten der Religion angehört. Seine Freunde rieten dem jungen Mornay damals zu einer vorteilhafteren Verbindung; er dagegen sagte, Geld und Gut wären das letzte, woran man denken dürfte bei einer Heirat: Hauptsache wären das sittliche Verhalten, die Gottesfurcht und der gute Ruf. Dessen allen erfreute sich Charlotte, sie hatte einen klaren Kopf und trieb Mathematik, ein sicheres Auge und malte. Sie war mildtätig für Arme und sogar von den Großen gefürchtet wegen ihrer Unerbittlichkeit gegen das Schlechte. Lieber als alles betätigte sie ihren glühenden Eifer für Gott und seine Kirche. Dies, und nicht Geld und Gut hatte sie in die Ehe mitgebracht. Mornay fühlte sich reich, als sie ihm erzählte, daß schon ihr Vater einst in Straßburg habe Meister Luther disputieren gesehen mit anderen Doktoren. Nun war Luther niemals in Straßburg gewesen: Mornay erkundigte sich hierüber. Wenn aber ein Bericht ihres Vaters sich in ihrer Erinnerung verklärt hatte, dann sollte Charlotte ihre schöne Begeisterung behalten, und Mornay schwieg. Dies war seine Ehe mit der Hugenottin.

»Sie haben mich verstanden und sind früh auf«, sagte auf einmal Henri - war ungesehn in die Laube getreten und setzte sich zu Mornay. Er fragte sogleich: »Wie finden Sie meinen Geheimen Rat?«

»Er ist zu wenig geheim - und zu laut«, antwortete Mornay, ohne mit dem Lid zu zwinkern, wie Henri es ihm vormachte.

»Über Marschall Biron ist viel Unsinn geredet worden. Wie? Der ist mein ehrlicher Freund. Das ist gewiß Ihre Meinung?«

»Sire! Wenn er Ihr Freund wäre, hätte der König von Frankreich ihn nicht ernannt. Aber sogar ein ehrlicher Freund würde es nicht lange bleiben als Ihr Stellvertreter.«

»Ich sehe, daß Ihr Verstand nicht überschätzt wird«, sagte Henri hierauf. »Wir haben viel lernen müssen, wie, Mornay? Sie hatten es nicht gut in der Verbannung.«

»Und Sie im Louvre nicht.«

Beide bekamen starre Augen. Es war gleich vorbei; Henri fuhr fort: »Ich muß mich hüten, der Hof will mich nochmals gefangensetzen. Lesen Sie!« Er zog das gestrige Schriftstück hervor: Macht und Befugnis für den Marschall von Biron -

»In Abwesenheit des Königs von Navarra«, sprach Mornay laut nach.

»In meiner Abwesenheit«, wiederholte Henri und schüttelte einen Schauder ab. »Nicht noch einmal!« beteuerte er. »Zwölf Pferde ziehen mich nicht nach Paris.«

»Sie werden es wieder betreten als König von Frankreich«, versicherte Mornay - mit einer Handbewegung, kein Höfling hätte sie vollendeter abgerundet. Henri zuckte die Schultern.

»Guise ist zu stark mit seiner Liga. Ich will mich Ihnen anvertrauen: er ist sogar dem König von Spanien schon zu stark, so daß Don Philipp, als Sicherheit gegen Guise, mir versteckte Angebote machen läßt. Er will meine Schwester Kathrin heiraten, nicht mehr und nicht weniger. Ich selbst soll eine Infantin bekommen. Von der Königin von Navarra läßt er mich einfach scheiden - in Rom, wo es für ihn kein Hindernis gibt.«

Mornay sah ihn an, mit dem Blick der Gewissenserforschung.

»Was bleibt mir übrig«, äußerte Henri gedrückt. »Ich werde annehmen müssen. Oder wissen Sie einen Ausweg?«

»Ich weiß den«, entschied Mornay, streng aufgerichtet, »daß Sie niemals vergessen, wer Sie sind: ein französischer Fürst und Verteidiger der Religion.«

»Dann sollte ich das schöne Angebot des mächtigsten Herrschers einfach zurückweisen?«

»Nicht einfach zurückweisen sollen Sie es, sondern es weitermelden an der König von Frankreich.«

»Gerade das hab ich getan!« rief Henri, lachte und sprang auf. Das Gesicht des Hugenotten verklärte sich; einen Augenblick später lagen sie einander an der Brust.

»Mornay! Du bist der alte geblieben. Einst in dem berittenen Haufen! Du liebtest das Äußerste und den Aufruhr, du hieltest Reden vom Moder und Grand im Purpur der Könige. Unbesonnen warst du selbst damals nicht und sagtest dem Glück nicht nein, als du fortkommen konntest aus der Bartholomäusnacht.«

Er schlug ihn vor den Bauch, als Zeichen der Anerkennung und Freude. »Dem Tod ausweichen, damit fängt alle Diplomatie an - und auch die Kriegskunst.« Gleichzeitig faßte er ihn beim Arm und entführte ihn mit seinen langen Schritten, von denen dieser Parkweg viertausend mißt.

Henri und sein Gesandter trafen einander noch öfter früh und ungesehn. Der wahre Grund, weshalb der König den Rat des Gesandten immer wieder hören wollte, blieb unbekannt, sogar wenn jemand ihnen heimlich gefolgt wäre. Mornay hielt Henri für den künftigen König von Frankreich, das war es; hatte aber mehr als nur die Beweise des inneren Bewußtseins, die einzigen, die Henri klar waren. Eine unverkennbare Weltlage sprach dafür, daß dieses Königreich, und im ganzen Abendland grade dieses, müßte fest vereint werden in der Hand eines Prinzen von Geblüt. Nicht Frankreich allein: die Christenheit »seufzt nach einem Fürsten«. Dies war nicht mehr der verfallende Philipp mit seinem zusammengewürfelten Weltreich, im Niedergang wie er. Solche Reiche können nicht auskommen, ohne fortwährend Unternehmungen ins Werk zu setzen gegen die Freiheit der wenigen Nationen, die noch frei sind. Damit aber beschleunigen sie nur ihr eigenes Ende. Mornay verhieß dem bis jetzt furchtbaren Philipp vor seinem Tode, der schimpflich wäre, die schärfsten Züchtigungen von der Hand Gottes. So drückte er es nicht aus, das dachte er nur. Kühl stellte er fest, daß die wahllose Ausdehnung einer Macht und ihre Begierde nach Vorherrschaft unweise wären. Ein Königreich wie dieses im inneren Zerwürfnis erhalten zu wollen - Mornay nannte es weder gottlos noch sträflich, obwohl er dies meinte. Dagegen sprach er von der Logik der Dinge und von der Wahrheit; denn die Wahrheit braucht nur zu erscheinen und siegt auch schon.

Alles in allem war Mornay bemüht, daß Henri nicht nur durch das Gefühl, sondern klar und verständig seine eigene Zukunft für groß hielte. Er sollte sich im Bunde wissen mit der Wahrheit, der wirklichen und der sittlichen: eine kommt nicht vor ohne die andere. Denn wir sind als Menschen erschaffen worden von Gott, sind das Maß der Dinge, und nichts ist wirklich, als was wir anerkennen nach eingeborenem Gesetz. Eine derart hohe Vernunft, hoch und tief wie eine Mystik, mußte wohl reizen und verführen, besonders den Fürsten, der selbst ihr Mittelpunkt war. Voraussagen der Zukunft locken immer an, sogar um sechs Uhr früh in einem Park, der noch fröstelt; und andernfalls hätte Henri vier volle Stunden länger geschlafen, denn gewöhnlich endeten seine leichten Abenteuer spät in der Nacht. Er kam aber, um vernünftig Erkanntes über sich selbst und seine Feinde zu hören.

Seinen Weg zum Thron, so hörte er, sollte er merkwürdigerweise beschreiten als Verbündeter, ja als Retter des letzten Valois, der ihn bis jetzt doch haßte. Mornay aber hielt sich hier an das Wort »Liebet eure Feinde« - das zwar nicht überall gelten kann, es wäre gegen unsere menschliche Bestimmung. Man muß nur das Auge haben für die Fälle, in denen es wirklich gilt. Henri war nach seiner eigenen Natur durchaus bereit, seine Feinde zu lieben, sie für sich zu gewinnen und sie seinen Freunden sogar vorzuziehen. Vielleicht trug er daher das Bündnis mit dem letzten Valois als Vorgefühl hier schon in sich und dachte nur später, nach vollzogener Tatsache, Mornay hätte so früh die Dinge beim genauen Namen gekannt. Auch den Untergang der spanischen Armada vor der Küste Englands erfuhr Henri auf die Weise zehn Jahre zuvor. Als es geschehn war, meinte er wahrhaftig, das Ereignis wäre ihm wörtlich angekündigt worden im Park La Garenne von Mornay. Der Gesandte hatte möglichenfalls das Wort Untergang gebraucht, ob er es nun bezogen hatte auf eine Flotte oder auf ein Weltreich. Das Leuchten seiner Rede war aber erhalten geblieben in Henri. Denn es ist die Erkenntnis ein Licht und wird ausgestrahlt von der Tugend. Schurken wissen nichts.

Henri ließ durch Mornay die Tugend zu sich sprechen. Das ist angenehm, solange sie sagt: Du bist jung und von Natur ausersehn. Die schönen Gelegenheiten begegnen deinen schönen Anlagen, für dich sind sie geboren. Bis die Stunde der größeren Taten schlägt, mach dich zum unbestrittenen Herrn dieser Provinz und deiner Partei. Laß die Zeit, hier ist der Himmel hell, zehn Jahre sind wie ein Tag. Soweit sprach die Tugend angenehm.

Indessen fiel es ihr ein, zu sagen und als Denkschrift zu überreichen, daß der König von Navarra spätestens um acht Uhr morgens könne angekleidet sein und seinen Geistlichen das Gebet abhalten lassen. Dann sollte er in sein Arbeitszimmer gehn und dorthin nacheinander zum Bericht bestellen alle, die er mit seinen Geschäften betraut hatte. Kein lärmender Geheimer Rat mehr, wo man lachte, Geschichten erzählte und Streit anfing. Mornay wollte, daß Henri von seinen Räten nur die tugendhaften bei sich behielt: wer wäre da übriggeblieben außer ihm selbst? Henri persönlich aber sollte ein Beispiel geben seinem Hause, und nicht nur seinem Hause, sondern dem Königreich Navarra, und nicht nur diesem, sondern der Christenheit. Mornay ertrug an dem Fürsten, den er sich erwählt hatte, nichts Tadelnswertes. Jeder sollte bei ihm finden, was er am meisten ersehnte, aber niemals erlebte: die Fürsten - Brüderlichkeit, die Gerichte - Rechtssinn, das Volk - die Sorge, ihm Lasten abzunehmen. Der Fürst sei bedacht, aufzutreten mit Würde, ja mit Glanz; besonders aber gebe er niemandem Gelegenheit, ihn zu verleumden. Nicht einmal sein gutes Gewissen darf ihm genügen. Das weitere wurde ganz verfänglich. Dieses Ratsmitglied, das seinen Titel ernst nahm, fing von den Sitten des Fürsten an.

»Verzeihen Sie Ihren treuen Dienern noch ein Wort, Sire. Die offenkundigen Liebschaften, denen Sie so viel Zeit schenken, sind nicht mehr an der Zeit. Heute will es die Stunde, Sire, daß Sie eine Liebschaft haben mit der ganzen Christenheit und im besonderen mit Frankreich.«

›Wie Kathrin!‹ dachte Henri. ›Ich will dich mahnen, daß du Gott liebst, anstatt die Frauen‹: das waren ihre Worte. Auch der andere Hugenott lag ihm jetzt damit in den Ohren. Nein, die Tugend sprach nicht mehr angenehm. Es ist wahr, daß sie zu früh kam und verlangte von dem jungen Fürsten eine Wohlanständigkeit - weder ihm noch dem Zustand seines verwilderten Ländchens hätte sie gegenwärtig entsprochen. Aber dieser Punkt, fast nur dieser, blieb immer verwundbar bei Henri. Als er schon der anerkannte Erbe der Krone Frankreichs war, meldete sich die hartnäckige Tugend des Herrn de Mornay mit denselben Empfehlungen, und sie kamen wieder ungelegen, reizten zum Ärger, zum Spott; und endlich verstummten sie dann auch. Das Leben geht weiter ungewarnt, die Tugend verzichtet, und der Alternde sinkt unter sich selbst herab durch Leidenschaften, mit denen er sich noch einmal Jugend vortäuscht. So wird es kommen, Henri. Jugend und Liebe werden einst die Irrtümer eines noch immer ungestillten Herzens geworden sein; dazu wird sogar dein Mornay schweigen. Sei froh, daß er heute redet!

Statt dessen rächte er sich dafür. In seinem Geheimen Rat, den er übrigens ließ, wie er war, äußerte der König bei Anwesenheit des Gesandten Mornay: den Katholiken schuldete er mehr Dank als den Hugenotten. Wenn diese ihm dienten, wäre es Eigennutz oder Eifer für die Religion. Die anderen hätten davon keinen Vorteil, und um seiner Größe willen schadeten sie ihrem eigenen Glauben. So ungerecht war der Vergleich, daß die katholischen Herren ihn selbst nicht ruhig hinnahmen. Henri vergaß aber sogar die persönliche Schonung und Barmherzigkeit; bei Anwesenheit seines Gesandten machte er einen Raben nach. Die von der Religion heißen allerdings Raben, weil sie sich dunkel kleiden, viel Psalmen krächzen und angeblich sehr auf Beute aus sind. Als der König zu dieser augenscheinlichen Beleidigung überging - er tat es immer noch verstohlen in einer Ecke -, da wollte niemand es gesehen haben, und gerade die katholischen Herren verdeckten den Vorfall mit lauten Gesprächen. Henri selbst war alsbald verschwunden.

Draußen weinte er - aus Scham und Erbitterung über sein Verhalten zu der Tugend, die verkörpert war in dem Hugenotten Mornay. Er versteifte sich wohl, er empfing den Gesandten nicht mehr allein, besonders nicht im Park La Garenne um sechs Uhr früh, da er um zehn erst aufstand. Das konnte nicht hindern, daß er an Philipp Mornay denken mußte, wenn er ihn nicht sah, und neben allen anderen am Hof hielt er ihn, meist ohne Nutzen für diese. Er behauptete: Ein ganz anderer Freund ist d'Aubigné, der mich zur Flucht aus dem Louvre gedrängt hat. Ein ganz anderer Freund ist Du Bartas: der hat mir das Leben gerettet in dem gemeinen Wirtshaus - nicht zu reden von dem schmerzlich vermißten d'Elbeuf, der mich beschützt hat auf Schritt und Tritt. Was waren sie aber? Kriegsmänner, und die Tapferkeit war etwas Selbstverständliches, von ihr machte niemand Aufhebens, sie rührte nicht einmal an den äußersten Bereich der Tugend. Jetzt nehme man einen der nächsten hier, der besten im Rat: was blieb übrig von ihnen, wurden sie verglichen mit Mornay? Allen hafteten Untugenden an, manch häßliche sogar, und um so lieber verzieh Henri sie. Die Freundschaft und das Königtum haben die Macht, auszulöschen. Keiner aber verfügte über das Wissen, das hohe und tiefe Wissen des großen Hugenotten. Unwissenheit ist nicht auszulöschen.

Agrippa, der alte Freund, nahm die Freigebigkeit des Fürsten in Anspruch wie nur einer; der Rechnungskammer in Pau war sein Name am besten bekannt. Einmal sprach er zu einem anderen Edelmann über den König, laut genug, daß Henri es hören mußte. Der andere hatte nicht aufgepaßt, und Henri selbst wiederholte: »Er sagt, daß ich ein Geizkragen bin, und kein Mensch auf Erden strotzt so wie ich von Undank.« Eines anderen Tages wurde dem König ein halbverhungerter Hund gebracht, er hatte das Tier geliebt und dann vergessen. Auf seinem Halsband war eingeritzt ein Sonett von Agrippa; es begann:

»Der treue Citron lag in bessern Tagen auch
Auf deinem heiligen Bett: jetzt schläft er auf den Steinen.
So geht's dem treuen Hund, er lernte wie die Deinen,
Was bei dem Freund und was beim Undankbarn der Brauch.«

Die Anwendung kam am Schluß:

»Ihr Herrn vom Hof, die ihr mit stolzen Blicken streift
Den Hungerhund, wie er verjagt durch Straßen schweift,
Erhofft für eigene Treu nur keinen andern Lohn!«

Henri wechselte die Farbe, als er dies las. Die Erkenntnis selbst begangenen Unrechts erfaßte ihn immer sehr schnell und heftig, wenn er es nachher auch wieder vergaß. Eher fand er für die Vergehen anderer eine Entschuldigung. Dem armen Agrippa rechnete er seine Verdienste an, nicht aber die Reizbarkeit seiner dichterischen Natur. Der junge Rosny liebte das Geld noch viel mehr: er gab es nicht aus, er sammelte es. Er hatte inzwischen seinen Vater beerbt, war Baron und besaß die Güter dort oben am Saum der Normandie. Als Henri seine Soldaten bezahlen mußte, verkaufte Baron Rosny einen Wald, und zwar entschloß er sich hierzu, damit die glücklichen Feldzüge des Königs von Navarra das geliehene Geld verzehnfachten. Er baute sich in Nérac, jenseits der alten Brücke, ein Haus, denn gute Geschäfte verlangen Weile. Übrigens durfte sein Fürst ihm nicht zu nahe treten, nicht einmal nach schweren Fehlern: dann brauste Rosny auf. Er wäre weder sein Vasall noch sein Untertan, sagte er Henri ins Gesicht, und er könnte auch gehn - woran in Wirklichkeit kein Gedanke war, schon wegen des Hauses. Henri antwortete scharf, der Weg steh ihm offen, er selbst fände bessere Diener - was ebenso wenig ernst gemeint war. Wie Rosny nun eben geraten war, gehörte er zu den besten: sogar, wenn er für einige Zeit nach Flandern abreiste zu einer Erbtante, der er um des lieben Geldes wegen vormachte, er wäre katholisch.

Von zwei Fräulein wählte er die weniger schöne, aber reichere und heiratete sie. Seine junge Frau holte der Baron aus seinem Schloß im Norden, während dort die Pest hauste. Die Frau saß mitten im Wald in ihrem geschlossenen Wagen und wollte ihren Mann, aus Angst vor Ansteckung, nicht zu sich lassen. Den Baron focht nichts an. Die Pest und alle anderen Hinterhalte, er ging hindurch mit seinem stürmischen Stolz. Nach überstandener Gefahr legte er den Panzer ab und nahm Rechnungen vor. Mit seinem König schlug er alle Schlachten. Als das Königreich aber zusammengebracht war, hatte Henri einen großen Finanzminister.

Hier sind beide noch jung und am Anfang, erobern gemeinsam kleine böse Städte, setzen ihr Leben aus wegen einer Fahne und eines sumpfigen Grabens - der glückliche Rosny kommt dennoch immer auf seine Kosten. Wenn endlich geplündert wird, wer verdient viertausend Taler auf einmal und rettet dafür noch ihren vorigen Besitzer, einen alten Mann, vor den grausamen Soldaten! Henri kannte den Jungen. Der liebte den Ruhm, die Ehre - und fast so sehr das Geld. Dagegen vertröstete Henri einmal auch Mornay auf Zeiten, da sie beide reich sein würden. Er tat es absichtlich, um ihn in Versuchung zu führen Mornay sagte einfach: »Ich dien und bin schon reich.«

Mit gewollter Härte erwiderte hierauf Henri: »Ich achte Ihrer Opfer nicht Herr de Mornay. Ich denk an meine eigenen.«

»Wir bringen alles nicht Menschen, sondern Gott dar.« Diese Antwort war demütig und war doch eine Zurechtweisung. Henri wechselte die Farbe.

Kurz danach wurde ihr kleiner Trupp aus einem Gehölz heraus angefallen und zwar von Reitern des Marschalls Biron, die zahlreicher waren. Dem König von Navarra und seinen paar Begleitern blieb nur übrig, zu wenden und das Weite zu suchen, verfolgt von Schüssen. Als sie anhalten konnten, war zu sehen, daß dem König die Schuhsohle unter dem Fuß weggeschossen war. Der König streckte den ganz unverletzten Fuß hin, damit jemand ihm einen anderen Stiefel darüberzöge. Der es tat, war Mornay. Henri sah sein Gesicht nicht; Mornay stand gebückt, und vom Hals rann ihm, in einem Bach, das Blut. »Mornay! Sie sind verwundet.«

»Ein Nadelstich - wenn ich die Gefahr erwäge, der Eure Majestät entgangen ist. Ich bitte um eine Belohnung, Sire. Setzen Sie Ihr Leben nicht noch einmal unbedacht aus!«

Henri erschrak. Die erste Belohnung, um die Mornay bat, war diese. Jetzt erhob er auch das Gesicht, es erschien vom Blut überlaufen Und schon bleich. »Wir waren über die schlimmen Absichten des Marschalls Biron einer Meinung, Sire.« Sonst nichts; Henri vernahm gleichwohl: als Sie mich noch empfingen allein und vertraut im Park La Garenne - sein Herz fing davon an zu klopfen. Leise sagte er:

»Morgen, am gleichen Ort, zur selben Stunde.«

 

Ein schweres Geheimnis

Philipp Mornay schlief diese Nacht wenig, und sein Gewissen schlief nicht mit ihm. Er kämpfte schon längst mit sich, ob er ausspräche, wovon er Kenntnis hatte. Die Gelegenheit war gekommen und die Pflicht nachgerade unabweisbar. Während er zeitweilig vom Wundfieber verwirrt war, sah er sich selbst vor dem König stehn, hörte sich reden - schneller als sonst, auch um vieles unwiderstehlicher. Der König gab ihm alles zu, sogar das böse Gerücht von der Frau des Müllers, eine unehrbare, obendrein gefährliche Sache. Der König senkte die Stirn zum Zeichen der Reue, erhob sie indessen wieder, da Mornay es innig wünschte in seinem Fiebertraum. Er wollte nicht, daß sein König durch ihn beschämt würde. Noch weniger war er gesonnen, ihm das Andenken zu trüben an die ihm liebste Person. Leider drängte es damit, wenn der König auf dem abschüssigen Wege seiner Leidenschaften jemals sollte zurückgehalten werden. Man mußte ihm zeigen, wohin sie führten, dies aber konnte nur einer: der Besitzer des schweren Geheimnisses.

Herr! Entbinde mich der Pflicht, bat der Fiebernde, dessen unbeherrschte Gedanken sein Gebet sofort erfüllten. Er brauchte nicht mehr auszusprechen, was ihn so furchtbar quälte, denn der König wußte es schon. Das Unerklärliche war geschehen, der König, nicht mehr Mornay, besaß die anklägerischen Schriftstücke. Er zog sie hervor, gab sie Mornay zu lesen und versicherte, daß die erlangte Kenntnis des Geheimnisses ihn zum Anhalten gebracht und vor dem Sturz gerettet habe. Er sehe jetzt, sagte der König, daß selbst ein geweihtes Leben durch die Unenthaltsamkeit des Geschlechts habe erniedrigt werden können, so daß einige Mitwisser nur in Grauen und Mitleid dieser Toten gedächten. Was bedeutete es dann noch, wenn ein ganzes Volk seine dahingeschiedene Königin verehrte als fromm und rein? Ich, sprach der König im Traum des Fiebernden, will mich warnen und bessern lassen. Ich verzeihe allen, die ihrer Menschennatur gefolgt sind. Ich tat es selbst im Überdruß. Damit soll ein Ende sein: das verspreche ich als der König.

Nachdem Mornay das Versprechen des Königs empfangen hatte, entschlummerte er ruhiger - erwachte aber, als es Zeit war, in den Park La Garenne zu gehn. Sein Kopf war völlig klar, dennoch meinte er zunächst, die beiden Schriftstücke mitsamt dem Geheimnis wären wirklich im Besitz des Königs, anstatt in dem seinen. Er mußte zuerst die Mappe aufschließen: darin fanden sie sich wirklich vor. Nichts war verändert, der König wußte nichts, noch immer wartete auf Mornay die harte Pflicht.

Was niemals vorgekommen war, er betrat die Allee nach dem König. Henri ging sie schon auf und nieder mit ungeduldigen Schritten. Kaum des Gesandten ansichtig, führte er ihn mit eigener Hand zu der Bank, betrachtete besorgt den eingebundenen Schädel und fragte, wie es damit stehe. Ein kleines Stück der behaarten Kopfhaut wäre fortgerissen durch die Kugel, erklärte Mornay. Der Schaden wäre gering, er lohnte kaum die königliche Erkundigung. »Wenn es Eurer Majestät beliebt, sprechen wir von Geschäften.«

»Sie dulden tatsächlich keinen Aufschub«, sagte Henri - zögerte aber, bevor er von seinen Geldverlegenheiten anfing. An Mornay fand er etwas Ungewohntes, es ähnelte der Furcht. Er hat eine schlechte Nacht gehabt, entschied Henri und sprach von seinen Bauern, denen er durchaus die Steuern erleichtern mußte. Wie nur den Ausfall ersetzen? Er rief, zum Scherz scheinbar, indessen um das Herz war es ihm ernst: »Könnt ich es machen wie die selige Königin, meine Mutter! Sie bestrafte sich für die geringste Verfehlung. Hundert Pfund zahlte sie der Rechnungskammer, wenn sie vergessen hatte zu beten. Meine Bußen würden etwas mehr ausmachen als die meiner lieben Mutter!«

Da bezwang Mornay seine Furcht. Sie war Menschenfurcht gewesen; das Gottvertrauen verdrängte sie. Er erhob sich, Henri betrachtete ihn neugierig.

»Die selige Königin«, sagte Mornay, klar und ruhig wie immer, »sie war strenge gegen sich in allem, und doch in einem nicht. Ihre Majestät ist eine unerlaubte Ehe heimlich eingegangen mit dem Grafen Goyon, der getötet wurde in der Bartholomäusnacht. Die Königin schloß die Verbindung ohne den Segen der Kirche, und auch nachträglich wurde er ihr nicht erteilt, da sie den begangenen Fehler nicht öffentlich wollte einbekennen. Sie stand im Alter von dreiundvierzig Jahren, der König, Ihr Vater, war seit neun Jahren tot. Sie hatte von Herrn de Goyon einen Sohn.«

Hier schnellte Henri auf. »Einen Sohn! Was sind das für Märchen.«

»In den Büchern Ihrer Rechnungskammer, Sire, stehen keine Märchen. Dort sind verzeichnet fünfundsiebzig Pfund, für den Unterhalt eines Kindes, genannt Francois Goyon, das die Königin in Pension gab am dreiundzwanzigsten Mai 1572.«

»Damals war sie nach Paris gereist - wollte mich verheiraten - und starb.« Henri stammelte, Tränen schossen ihm in die Augen. Während der Dauer eines Gedankens war Jeanne noch vergrößert durch gehäufte Schicksale - ungeahnte, nicht sogleich faßbare. Ihrem Sohn schwindelte. Vorbei der Gedanke. Plötzlich schlug der Stolz des Sohnes in Demütigung um. »Unwahr!« rief er, und seine Stimme brach. »Fälschung! Verleumdung einer Frau, die nicht widersprechen kann!«

Als Antwort reichte Mornay zwei Schriftstücke hin. »Was soll das!« rief Henri sofort. »Wer wagt hier eine schriftliche Anklage?« Er sah die Unterschriften, die des Genfers de Bèze; dann las er einzelne Sätze, und endlich ergab er sich der übermächtigen Wahrheit. Die hervorragenden Mitglieder des Konsistoriums bescheinigten im Namen der reformierten Kirche, daß die Ehe fehlerhaft eingegangen wäre. Die beiden Teile hatten vor zwei oder drei Zeugen sich einander versprochen: eine Gewissensehe, wie man wohl sagte, in Wirklichkeit aber eine Ehe gegen das Gewissen. Die guten Sitten waren nicht geachtet worden, die Ehe vollzogen ohne Kenntnis und Billigung der Kirche, ja der dringende Wunsch und Rat der Kirche war unbeachtet geblieben. Die Pastoren hatten verlangt im Namen des Herrn, daß bis zur öffentlichen Regelung die Gatten einander nicht sehen sollten, oder wenn es denn sein müßte, nur selten und für zwei oder drei Tage höchstens: selbst damit nährten sie nur das Ärgernis, das aber notwendig zu beseitigen wäre, wenn sie entgehen wollten dem Zorn Gottes. Unterließen sie dies, dann verdienten die Teile rechtens, unverzüglich ausgeschlossen zu werden vom Abendmahl.

Da stand es. Der Königin Jeanne war gedroht worden mit der höchsten Strafe derselben Religion, der sie alles hatte hingegeben: Ruhe, Glück, ihre Kraft und auch ihr Leben. Warum? »So das Übel überhand nähme, was Gott verhüten möge, muß auch die Kirche zum äußersten schreiten. Solch ein groß Ärgernis ist untragbar für die Kirche des Herrn.« Folgten alle Unterschriften - und waren natürlich echt. Eine Anfrage hätte genügt, es festzustellen. Aber der Sohn der gemaßregelten Jeanne fühlte keine Lust, den Pastoren die Ehre einer Erkundigung zu erweisen. Sie hatten gehandelt aus weltlichen Rücksichten, und keineswegs ermächtigt von Gott dem Herrn: dies war sein Eindruck, er empfing ihn als ersten und behielt ihn für immer. Die Worte dieser Geistlichen waren: Gute Sitten, Ärgernis und öffentliche Regelung - Worte, die nichts vom Geist verkündeten. Sondern sie alle behaupteten nur das Vorrecht der Zusammenlebenden, einander zu beobachten und auszuspähen, einander zu verurteilen, freizusprechen, auf alle Fälle aber einer herrschsüchtigen Gesamtheit die Macht zu geben über unsere Person. ›Wir sollen nicht lieben dürfen ohne Aufsicht‹, dachte der Sohn der gemaßregelten Jeanne mit Empörung. ›Der Trost ist, daß wir auch zu sterben nur vermögen unter viel Aufhebens und allgemeiner Beteiligung!‹ Er verzog keine Miene: ihre Verschwiegenheit hatte er gelernt - im Schloß Louvre, und dort meinte er wieder zu sein. Die Luft der Freiheit wehte nicht mehr, seitdem er wußte, daß seine liebe Mutter hier in ihrem eigenen Land war gemaßregelt worden, weil sie liebte. Kurzweg gab er die Schriftstücke zurück. »Behalten Sie das! Oder bringen Sie es dorthin, woher Sie es geholt haben.«

Mornay sagte: »Die Schriftstücke befanden sich in den Händen des Pastors Merlin, der unserer verehrten Königin beistand in ihrer schweren Stunde. Er hatte von der Verstorbenen den Auftrag, sie mir auszuhändigen, damit nicht ihre Kinder sie läsen.«

»Jetzt hab ich sie gelesen«, erwiderte Henri nur.

Mornay atmete mühsam auf, dann kam eine Stimme, die verstellt klang vor Selbstüberwindung. »Die Königin hatte ihrem Seelsorger bekannt, daß sie Enthaltsamkeit nicht länger einhalten könnte, worauf er sie dann heimlich zusammengab mit dem Grafen Goyon. Er wußte, das war keine Trauung; aber er hatte Mitleid.«

»Mornay!« rief Henri, überanstrengt auch er. Das übrige war ein tonlose Gemurmel aus zerrissenem Innern. »Sie sind ein Rabe - in weißer Haube. Ihr Verband und Ihre Wunde schützen Sie vor mir, Sie wissen es. Ich bin wehrlos gegen jemand, der sich gestern für mich hat anschießen lassen: das mißbrauchen Sie. Ich muß anhören, daß meine Mutter von der Unzucht besessen war, wie ich es bin - werde auch ihren Weg gehen. Das haben Sie beschlossen für den Fall, daß ich Ihnen nicht gehorche. Unglücksrabe!« schrie er plötzlich auf - machte kehrt und entfernte sich mit großen Schritten. Sein Nacken war gebeugt, und seine Tränen fielen vor ihn hin.

Hierauf folgten Tage, in denen diese beiden nichts erfuhren voneinander. Der König ritt gegen eine kleine böse Stadt, aber den Gesandten nahm er nicht mit. Zwischen seinen Kämpfen und Mühen, die ihn der geheimen Qual sollten vergessen lassen, wurde Henri dennoch angefallen von Gedanken. Dreiundvierzig war sie alt, und ertrug noch nicht, enthaltsam zu sein. Eine Kugel verlangte der Sohn der Königin Jeanne. Ihr lustiger Sohn verlangte im Feuergefecht nach einer Kugel zur Abkürzung der Zeit, in der er sich noch müßte erniedrigen wie seine Mutter. Als er dann heil hervorging aus dem Feuergefecht, freute er sich, lachte, und für sich allein machte er Witze über seine fromme Mutter, die doch auch ihren Teil genommen hatte vom Guten.

Er brauchte immer Bewegung, denn an Ort und Stelle entdeckte er das Schlimmste - merkwürdigerweise hatte er bis jetzt diese Anzeichen nie beobachtet. Das Volk erzählte sich, wie die Königin Jeanne verfahren war mit denen, die ihr widerstanden. Protestantisch werden, oder man verschwand in ihrem Schloß zu Pau, das Verliese hatte, und Henri kannte sie. Gleich nebenan war getafelt worden. Seine Mutter handelte grausam für die Religion; da sie aber zu allem entschlossen war, ihre Ehe geheimzuhalten, hatte sie sich der Verliese wahrscheinlich auch bedient, um Mitwissern den Mund zu schließen. Davon bekam sie jetzt ein neues Gesicht für ihren Sohn, in dem sie weiterlebte. Er erinnerte sich, wie er einst ihr ganz verändertes Todesantlitz vorausgefühlt hatte, an dem Tage, als ihr letzter Abgesandter ihre letzte Botschaft brachte. Sie leben weiter: die Toten verwandeln sich nur. Begleiten uns, so schnell wir reiten, und halten uns plötzlich ein neues Gesicht hin: erkennst du mich? Ja, Mutter!

Er erkannte, daß sie größer geworden war. Dies war sein erster Gedanke gewesen in dem Augenblick, als er von ihrer geheimen Ehe Kenntnis erhalten hatte. Der Gedanke hatte jetzt feste Gestalt bekommen. Jeanne war wirklich vergrößert durch gehäufte Schicksale - sonst aber, wie jemals, fromm, mutig und rein. War auch gestorben für alles dies, mit einbegriffen ihre späte Leidenschaft. Der Tod ist gut, der uns bestätigt. »Herr de Goyon, Sie leben!« Dies hatte Henri einst gerufen im großen Saal des Louvre, nach der Bartholomäusnacht, beim ersten Wiedersehn mit den Mördern. Aus ohnmächtiger Wut forderte er damals Tote auf, als ob sie zugegen wären. »Herr de Goyon, Sie leben« - und dieser lebte schon nicht mehr, er war nicht im großen Saal, er lag im Brunnen, als Fraß der Raben. Heute erst war er auferstanden, im Umkreis einer Frau, die er gekannt hatte.

Inzwischen erging es auch Mornay nicht immer gut. Er bereute, seinem König Schmerz bereitet zu haben; bezweifelte nachträglich sogar den Nutzen. Die unehrbare und gefährliche Sache in der Mühle, er erfuhr, daß sie weiterging; aber gerade sie war der letzte Anstoß gewesen, als Mornay sein schweres Geheimnis preisgab. Sorgen machte ihm auch, daß der König jetzt unterrichtet war von dem Dasein eines Bruders, den er doch nicht anerkennen durfte: es wäre entgegen der praktischen Religiosität und wäre Unordnung gewesen. Bei dieser Auffassung der Dinge warf Mornay es sich vor, daß er den Grafen de Goyon auferweckt hatte. Henri dagegen war geneigt, es ihm zu danken. Gerührt, wenn auch aus verschiedenen Gefühlen, lagen sie eines Tages einander wieder an der Brust - plötzlich und ohne Worte, die nur geschadet hätten.

 

Die Mühle

Henri aber reitet nach seiner Mühle. Wie oft macht er unbegleitet den Weg, längs des Flusses La Garonne, hinüber bei einem alten Städtchen, und jetzt abgebogen. Er streift an Zweige, im welken Laub waten die Hufe. Am Rande des Gehölzes hält er und späht nach seiner Mühle droben auf windigem Hügel, ob er den Müller sieht. Sehr zu wünschen wäre, daß der Mann fort ist mit seinem Wagen. Henri trachtet danach, allein zu sein mit der Frau. Übrigens hat er das Recht zu kommen, wann es ihm beliebt. Der Müller von Barbaste, das ist er selbst, wie jeder weiß. Sein Pächter verrät sonst von einem Schlaukopf nichts; dennoch ist der grobe Tölpel hier eingezogen mit einer jungen hübschen Frau. Kennt seinen Herrn und bleibt ihm die Pacht schuldig. In Rechnung steht dafür die junge hübsche Frau, an die aber der Herr nicht rühren soll. Der Kerl ist eifersüchtig wie ein Türke.

Der Müller von Barbaste lebt im Volksmund. Ältere, sanfte Leute glauben wirklich, er selbst höchst eigenhändig lasse die Flügel laufen und sammle das Mehl, das aus der kreisenden Walze fällt. In Wahrheit hat er noch keinen einzigen Sack zugebunden: das tut der Pächter, und mit der Frau macht er's wahrhaftig ebenso. Der Herr und der Ehemann verstehen einander ausgezeichnet; jeder weiß, was der andere will, jeder hütet sich und paßt auf. Dieser Art sind sie einander nahegekommen. Sooft der Herr einkehrt, nötigt der Pächter ihn zum Essen zu bleiben. Nicht die Frau hat die Kühnheit, nur der Mann. Er ist sich seines Vorteils bewußt, ein stämmiger Mann, Besitzer der begehrten Frau und hat seine Überlegenheit noch immer nicht genug auf die Probe gestellt. Soll nur der Herr in die Falle gehen!

Heute wartet Henri lange am Rande des Gehölzes, wo Schatten über ihn fällt; sie können ihn nicht sehen von der Mühle. Diese schwingt mit Wucht ihre Flügel - nur, in der Luke erscheint niemals das breite weiße Gesicht des Mannes, der gewöhnlich den Umkreis abspäht. Die Frau! Sie streckt den Kopf heraus, äugt herüber, blinzelt, findet nichts, dennoch scheint ihr Ausdruck sowohl verschlagen als ängstlich. Was das wohl bedeutet? Gleichviel, das Mehl auf der Haut steht gut zu ihren dunklen Augen, und sie ist schmalgliedrig. »Madelon!« Er darf getrost den Namen rufen, der trennende Raum ist groß, die Flügel der Mühle klappern; sie hört ihn nicht. Jetzt erst erschrickt sie, denn sein Pferd hat gewiehert; und bevor sie zurücktritt, macht sie nach dem Waldrand hin ein Zeichen, es kann heißen: Komm! Ich bin allein.

Henri bindet sein Tier an, geht hinüber und rund um den Hügel, ob der Pächter sich nirgends zeigt. Endlich dringt er ein. Die große Mahlkammer liegt übersichtlich da, zwei Wände hinan sind Säcke geschichtet, an der dritten arbeitet die Walze in ihrem Kasten, zu der vierten herein pfeift der Wind. Die Müllerin wendet sich schnell um, als von der Zugluft die Tür zuschlägt: sie hat Korn auf die Walze geschüttet oder stellt sich, als habe sie es getan: Das Brusttuch ist ihr verrutscht, die Hügelchen aus hellem Fleisch werden hastig gehoben und gesenkt von dem Atem der Überraschten. »Mein hoher Herr!« sagt sie, beugt ein Knie und rafft mit Anstand ihren Rock. Sie ist keine Bauerndirne, kennt Ironie und drückt sich in der Schriftsprache aus, sobald Henri erscheint; ist auch nicht zu bewegen, gemeiner zu reden. Das ist eine der Listen, mit denen sie ihn hinhält.

»Madelon«, sagt Henri voll Freude und Ungeduld. »Dein Aufpasser ist eingeschlafen in einer Schänke. Wir haben Zeit. Ich will dir das Tuch binden.« Statt dessen öffnete er geschickt das Kleid. Sie wehrte sich nicht, wiederholte aber: »Wir haben Zeit. Wozu so eilig, mein hoher Herr. Wenn Sie gehabt haben, was Sie wollen, werden Sie auf und davon gehen, und ich werde mir nach Ihnen die Augen ausweinen. Ich liebe so sehr Ihre Gesellschaft - weil Sie gut sprechen«, setzte sie hinzu, und in ihren schmalen Augen, obwohl die Miene ehrfürchtig blieb, sammelte sich mehr Spott als je bei einer Marschallin. In diesem Augenblick verehrte Henri das ganze Geschlecht: darum beachtete er garnicht, was sie trieb. Sie ordnete aber zwei Mehlsäcke unterhalb der aufgeschichteten, es ergab einen Ruhesitz, und wenn man wollte ein Lager. Darauf ließ sie sich nieder, winkte ihn zu sich, und gerade dadurch machte sie sich zur Herrin der Umstände.

»Mein Freund«, sagte sie, »jetzt könnten wir sogleich darangehn uns zu lieben; aber das ist eine Beschäftigung, in der ich nicht willens bin, mich unterbrechen zu lassen. Nun kann es kaum ausbleiben um diese Tageszeit, daß Kunden eintreten. Was die Schänke betrifft, mag es sein, daß jemand dort eingeschlafen ist; aber sie liegt keine tausend Schritte von hier, und mancher erwacht plötzlich.« Dies alles sprach die schöne Müllerin mit hohen gleichmäßigen Lauten, ohne Spur von Verwirrung, obwohl er erfolgreich bemüht war, ihren Rock zu entfernen. Es schien durchaus nicht ihrer Person zu geschehn. Sie selbst widmete sich einzig ihren vorsorglichen Überlegungen - bog ihren runden Arm um seine Schulter, damit er besser zuhörte, und kam zur Hauptsache.

»Ich will, daß wir nächstens von früh bis Abend allein beisammen sind und einander alles Liebe und Gute gewähren, ohne daß Fremde dazwischenkommen oder ein Ungebetener uns die angenehmsten Minuten verdirbt. Bist du nicht meiner Meinung, lieber Freund?«

»Soweit ich deine Predigt verstanden habe«, stieß er hervor, versuchte sie umzuwerfen und übersah, daß ihr Arm, der ihn zärtlich umschlang, ganz nebenbei auch ihre Stütze war. Da er seine Absicht aufgeben mußte, lachte er und ging auf ihre Rede ein. »Dein Mann soll für einen Tag aus dem Wege geräumt werden. Wie, hübsche Madelon? Wenn dies deine Absicht ist, führ sie aus! Du bist die einzige, die es kann.«

»Gerad nicht, hoher Herr. Sondern vielmehr du bist der einzige.« Worauf sie ihm dann erklären mußte, wie es zu machen war. »Nur Ihre Ämter, Sire, können einen Müller den ganzen Tag festhalten.«

»Einsperren meinst du?«

Nein, das meinte sie nicht. Schriftstücke sollten angefertigt werden, sollten lang und breit beraten, von den Schreibern mehrfach ausgestellt und gegen Abend endlich beiderseits unterschrieben werden. Beiderseits? Nun ja, die eine der Parteien war Michaud, Pächter dieser Mühle. »Die andere Partei?« Die Frau ließ eine Weile vergehn, inzwischen prüfte sie aus schmalen Augen ihren jungen König, ob er imstande wäre, zu erraten. ›Die Männer sind so dumm, wenn sie etwas anderes im Kopf haben‹, dachte Madelon. »Sie selbst, Sire, sind die andere Partei«, eröffnete sie ihm, senkte den Ton und nickte mild, beides aus Mitleid mit seinem Geisteszustand. »Ihr Notar wird die wichtigsten Papiere statt Ihrer verfertigen, indessen wir beide hier aus vollen Kräften glücklich sind.«

Bei den letzten Worten hob sie die Stimme wieder und gab ihr den Ausdruck seligen Erwartens - obwohl die Seligkeit einigen stillen Hohn enthielt. Daher begriff er auf einmal alles: er sollte bestohlen werden. Die gedachten Schriftstücke konnten nichts anderes enthalten, als daß er das Besitzrecht an der Mühle auf ihren biederen Ehemann übertrug. Das sollte der Preis sein, dafür liebte die Frau dann allerdings wirklich; Michaud hoffte vergebens, ohne Hörner davonzukommen bei dem Handel. ›Denn sie wollen alles‹, dachte Henri, ›die Mühle, die Liebe, besonders aber den Sieg - über beide Männer.‹

»Ich habe verstanden«, sagte er nur; und in diesem Augenblick verlangte er von Madelon nichts weiter, als was sie ihm von selbst schon gegeben hatte: die Schlauheit der Frauen, die so geistreich ist, ihre Kunst zu versprechen, die Geschmeidigkeit und Unerbittlichkeit ihrer süßen Herzen.

Im nächsten Augenblick dachte er: ›Diebin, das soll dir mißlingen‹ - und warf sie tatsächlich um. Sofort schrie sie: »Michaud!« Von den aufgeschichteten Säcken wurde einer herausgestoßen, durch die Lücke kroch der Pächter, ungeschlacht fiel er über Henri. Die Last loszuwerden, verlangte von Henri Geschmeidigkeit, wahrhaftig keine geringere als die der Frau, da sie ihn in die Hand hatte bekommen wollen. Wirklich bewunderte sie ihn als Kennerin und überließ ihren Mann seinem Schicksal.

Da der hohe Herr jetzt glücklich auf den Füßen stand und Abstand genommen hatte, duckte der Tölpel sich und wollte ihm seinen dicken Kopf in die Magengrube rennen. Der Tölpel wurde zu Fall gebracht, und Henri rief im Ton des Gebieters: »Michaud!« - was nicht mehr helfen konnte. Der Kopf war dunkel angeschwollen, der Tölpel dem Schlagfluß nahe. Am Arm des Herrn zog er sich vom Boden hoch, hielt den Arm auch weiter umklammert, aber Henri widerstand nicht. Wenn der Mann sich nur beruhigte und aus der Sache kein Skandal wurde. Daher ließ Henri sich ziehen, wohin Michaud wollte. Dieser stolperte umher in blinder Wut, oder vielleicht war die Wut absichtsvoller als Henri meinte, denn plötzlich gerieten sie an den tiefen Kasten, worin die Mahlschraube kreiste. Beim allerletzten Schritt begriff Henri das Vorhaben mit dem Fuß riß er den Pächter nieder, sonst war es geschehen. Der Pächter hätte ihn über den Brunnen geworfen, Hand und Arm wären erfaßt worden von der eisernen Schraube.

Das Entsetzen ist erfinderisch in seinem Ausdruck. Pächter Michaud wälzte sich am Boden, stößt schwaches Geheul aus, man glaubt ferne Esel zu hören. Dazwischen verdreht er den Hals, um sich nochmals zu überzeugen, daß dem König nichts geschehen ist - worauf er fortfährt mit Wälzen und Heulen. Madelon, weißer als das Mehl, mit Kopfwackeln wie eine Greisin, ist hingekniet; will die erhobenen Hände aneinanderlegen und bringt es nicht fertig, sie zittern zu sehr.

Kalt überlaufen, aber dennoch hell lachend verläßt Henri diese beiden, macht sich davon, läuft, lacht, schüttelt das Mehl ab, schüttelt das Abenteuer ab. Es gibt Sachen, die müssen auch für das Gedächtnis so verwirrt und jäh bleiben wie sie sich zugetragen haben: besonders feindliche Überfälle im Krieg und in der Liebe. Man ist ohne große Ehre, aber mit dem bloßen Schrecken davongekommen, sitzt auf und läßt das Pferd rennen. Furchtbar viele Mühlen sind im Land, und Müllerinnen ohne Ende. Diese Mühle sieht mich so bald nicht wieder. Wenn ich aber doch einmal vorbeikäme?

Verwandlung. Müller Michaud empfängt an seinem Tisch den König, einen gealterten König, grauer Bart und Federhut. Ihm ist vorangegangen die Legende seiner unzähligen Kämpfe um dies Königreich. Mit ihm eingetreten sind alle seine sagenhaften Liebschaften in diesem Volk. Fünf Personen umringen den Tisch, eine große irdene Schüssel speist alle, sie haben geschnittenes Brot und Wein in Krügen. Abend ist, und in der zugigen Mühle flackern über ihren Köpfen viel Flammen aus den Schnäbeln der Lampe. Hinten steht Dunkelheit, das Licht fällt nach vorne, auf die Brust: mild und inständig hebt es die Personen aus der Nacht.

Der König, leicht auf den Tisch gestützt, hält in der Hand sein Glas. Vier der Personen halten Gläser, nur die Müllerin nicht. Vorgeneigt hängt sie, unjung und versunken, an ihrem König, der vorbeiträumt in das Ungewisse. Ist aber doch mit ihr allein an den beiden vorderen Tischecken. Weiter zurück in einem eigenen Zwischenraum: zwei Junge, die Tochter und der Müllersknecht, berühren einer das Glas des anderen, und ihre Augen vergessen sich ineinander mit Andacht. Als letzter drüben hebt sein Glas der Müller, schwingt seinen Hut und singt - das Lied vom galanten König. Greise Haare hat Michaud, treu blickt er auf seinen König, singt ihm munter zu, weiß ganz gewiß, daß der König das Volk liebt und alle Töchter des Volkes.

Das Lied macht den jungen Leuten die Liebe noch einmal so gegenwärtig, aber den beiden Gealterten verklärt es ihre Erinnerungen schmerzlich. Der König, halb das Ohr geneigt, lächelt, wie der, für den das beste vorbei ist. Madelon von einst, das verstehst nur du. War es denn schön und erfreulich damals, trotz List und Überfall? Ihr beide müßt es wissen. Fleurette jedenfalls, reine Frühe, Tau und Blüte, hat später ihr liebes Herz nicht wiedererkannt - ist auch schon längst hinab.

 

Der Feind

Die Sache mit der Mühle kam so allgemein im Land herum, wie vorher die Geschichte vom Ball in Agen. Der Gouverneur hatte damals in seinem Stellvertreter den Urheber des Geredes gesehn und tat es wieder. Biron allerdings übertraf seinen Vorgänger. Anzunehmen war, daß die Müllerin geschwiegen hatte. Ihr Mann konnte getrunken und sich verraten haben; merkwürdig war nur, wie gründlich sein Geständnis ausgenützt wurde. Er erschien vor einem Gericht, und es tagte in Agen, derselben Stadt, die schon den ersten Skandal erlebt hatte. Der Gouverneur hätte gern das Gericht verhindert, den Pächter zu vernehmen; indessen wurde vor seinen Leuten das Tor geschlossen, und auf der Mauer gingen die Verteidiger in Stellung.

Marschall Biron war an diesem Tage nicht in Agen: eine so offene Handlung beging er nicht. Jedesmal mied er gerade die Stadt, die vor dem Gouverneur das Tor schloß, und solcher Städte wurden immer mehr. Er gab keine nachweisbaren Befehle. Henri hätte ihn auch schwer anklagen können wegen des bewaffneten Angriffs, der ihn selbst eine Schuhsohle, Herrn de Mornay ein Stück Kopfhaut mitsamt den Haaren gekostet hatte. Marschall Biron kannte alle Ränke, dabei verstand er, für seine Person im Halbdunkel zu bleiben: was ungewöhnlich erscheint für einen jähzornigen Mann. Er las viel; vielleicht wurde er durch die Bücher listig, obwohl andere eher unschuldig bleiben vom Lesen. Die Tatsache war, daß er dem Gouverneur den schlechten Ruf machte, und dies nicht nur in Hinsicht der Frauen. Man sagte, daß Henri zwar die Frauen verführte, den Männern aber an das Leben wollte. Mancher Edelmann traute ihm nicht mehr, darunter die, denen Henri ihren Besitz und Leib bewahrt hatte vor den Mordbrennern. Es ist leicht, einem Mann von ungezügelten Sitten auch die Gerechtigkeit abzusprechen, so sehr verdient der Gouverneur sich gerade um sie gemacht hatte im Lande.

Henri mußte zusehen, wie seine Ehre abnahm; es betraf wahrhaftig nicht nur den Helden galanter Abenteuer, sondern den Verwalter und Kriegsmann. Noch ein wenig mehr, und er wäre herabgedrückt zu einem Fürsten ohne Ansehen, ohne Selbstherrlichkeit, ein leerer Name und Titel: Biron hätte ganz allein die Macht gehabt. In der Provinz Guyenne gehörte sie ihm schon, Henri war noch immer nicht hineingelangt nach Bordeaux. Der Stellvertreter mit seiner Übermacht von Reitern und Landsknechten erdreistete sich sogar gewisser Einfälle in das Königreich Navarra. Damals saß Henri in seinem Schloß Nérac wie ein gejagtes Tier. Er berief nicht einmal mehr seinen Geheimen Rat, aus Furcht, eine zu große Wut und damit auch seine Schwäche preiszugeben. Die alten Freunde leisteten hier ihre besten Dienste; ihnen wenigstens durfte Henri sich zeigen und anvertrauen: auch den ohnmächtigen Zorn, die vergeblichen Pläne der Rache. Ja, die Tränen eines Verzweifelten erlaubte er sich vor ihnen.

Sie verhielten sich an einem bestimmten Abend jeder nach seiner Natur. Du Bartas grollte düster und unbestimmt, Agrippa d'Aubigné empfahl einfach die Wiederaufnahme des Krieges gegen den Hof von Frankreich. Ohnedies war kein Zweifel, daß Biron nur handelte, weil er Rückhalt bei Hofe fand. Nicht umsonst hatte der König von Frankreich seine Gesandten geschickt, damit Henri wieder katholisch würde. Noch deutlicher war die Forderung, er sollte an den Hof reisen, um sich die Königin von Navarra selbst zu holen. »Sire! Mir sagt mein kleiner Finger, daß man Sie hierzulande so bald nicht wiedersehen würde.« Dies brachte Agrippa höchst wirksam vor; in seinen wenigen Worten standen alle alten Gefahren des Louvre auf, Madame Catherine neigte sich über ihren Stock mit den Zügen des Unheils. Diese Erinnerungen häuften Entsetzen auf die Empörung, und Henri wäre am Ende so weit gegangen, den Aufbruch zu befehlen. An der Spitze seiner Truppen hätte er sich in Bewegung gesetzt gegen seinen Stellvertreter. Schon unterwegs wäre das Unternehmen dann abgeblasen worden, weil Henri seinen gesunden Sinn inzwischen wiedererlangt hätte. Der falsche Schritt blieb ihm erspart, obwohl Du Bartas aus tiefster Seele zuriet, angesichts der Blindheit und Schlechtigkeit der Menschen. Da begann aber Philipp Mornay:

»Sire! Sie haben einen Feind: er heißt Marschall Biron. Fragen Sie nicht, wessen Auftrag er befolgt oder auch nur vorschützt. Warum sollte er den König von Frankreich anders gegen Sie aufbringen, als hier die kleinen Landedelleute? Er verleumdet Sie. Er verleumdet Sie bei Bauern und Königen, denn er will Sie verdrängen aus seiner Provinz und will in ihr der einzige Herr sein. Sire, Sie haben vor Augen das Königreich. Ein Biron blickt nicht über seine Provinz hinaus. Hier fangen Sie ihn, hier schlagen Sie ihn mit seinen eigenen Waffen!«

»Ich will ihn lächerlich machen«, rief Henri. »Wie konnte ich nur daran denken, gegen ihn in den Krieg zu ziehen!«

Er führte Mornay am Arm hinaus unter den offenen Wandelgang und wiederholte, während er seine großen, schnellen Schritte tat: »Ich habe wieder einmal einen Feind.« Dabei dachte er an Madame Catherine, seine vorige Feindin. Mornay erklärte:

»Wir begegnen unfehlbar dem Feind, den der Himmel schickt, und es ist immer der, den wir gerade brauchen.« Das sagen die Freunde jedesmal; aber es verbessert nichts.

»Ein schöner Feind«, rief Henri. »Haut seinem eigenen Pferd die Schnauze ab! Übrigens hinkt er.«

Mornay sagte: »Er ist nicht nur schlau, sondern wißbegierig, geht immer mit der Schreibtafel umher und merkt an, was er hört.«

»Er hinkt«, sagt Henri, »und er trinkt. Ist auch krank an der Leber, die Knochen stehen ihm aus dem Gesicht. Die Kinder laufen fort, wenn er sie zufällig ansieht mit seinen harten Augen. Ein Kinderschreck, und ein alter Mann von mindestens fünfzig Jahren. Mornay, der Himmel hat mich benachteiligt mit dem Feind, ich hätte einen besseren verdient.«

»Wir wollen dankbar sein«, erwiderte Mornay, worauf sie sich trennten.

Sogleich begann der Gouverneur einen sonderbaren Krieg gegen seinen Stellvertreter. Wo dieser immer hinkam, wurden bei seinen Mahlzeiten die leeren Flaschen gezählt, besonders aber die Flaschen, die er zwischen den beiden Mahlzeiten leerte. Der Gouverneur sorgte dafür, war auch bemüht, das Land gründlich zu unterrichten über den Wein des Marschalls Biron. Bald setzten die Leute von selbst hinzu, daß der Marschall in einer Schänke am Wege wäre liegengeblieben über Nacht, weil er in seinem Zustand die Stadt nicht mehr erreichen konnte. Infolge des Bekanntwerdens solcher beschämenden Einzelheiten bekam Biron zuerst die adlige Jugend gegen sich; denn diese trank nicht mehr im Übermaß, es war nur noch eine Gewohnheit älterer Geschlechter. Die Jungen machten es wie Henri, sie tranken zu ihren beiden Mahlzeiten zu guter Letzt den größten Schluck. Wenn Henri ein Bauernhaus besuchte, füllte er gleich am Faß mit eigener Hand seinen Becher; aber das tat er nicht einfach aus Durst, sondern um seiner Volkstümlichkeit willen. Die armen Leute fanden ihn nie vom Wein benommen, und sie schlossen daraus, daß er mehr vertrüge als sie, obwohl sie den ganzen Tag nur an das Trinken dachten. Daher sahen sie ihm leichter nach, daß eine der Töchter ein Kind bekam.

Die adlige Jugend neigte zur Unkeuschheit, seitdem das Zechen abkam, und glaubte damit edleren Freuden nachzugehen, als wenn man soff. Sie sagten, obschon beides Laster genannt würde, an dem einen wäre doch auch der Geist beteiligt, es verlangte Klugheit und geböte Mut. Das Saufen wäre die gemeinste der Untugenden, es wäre ganz und gar nur leiblich, irdisch, der Verstand ginge dabei in die Brüche und auch noch andere Fähigkeiten hörten auf. Biron verurteilt bei dem Gouverneur nur das, was er selbst nicht mehr kann. Worin er sich aber auszeichnet, das rechnen sich höchstens seine deutschen Reiter zur Ehre an!

Biron mit seiner Schreibtafel merkte sich solche Reden und antwortete darauf in den Schlössern, daß sein Jahrhundert keusch gewesen wäre wie er, ja er selbst wäre rein in die Ehe getreten - und obwohl es nach der Mahlzeit war bekräftigte er seine Rede dadurch, daß er auf den Händen um den Tisch ging. Wer nahe hinsah, bemerkte sogar, daß er nicht die Hände gebrauchte, sondern nur seine beiden Daumen. Er berief sich aber nicht allein auf seine wohlerhaltene Kraft, sondern mehr noch auf die Worte Platons. Denn dieser griechische Weise hat wohl den Wein verboten für Kinder bis zu achtzehn Jahren, und vor dem vierzigsten soll niemand sich betrinken. Nachher verzeiht er es und meint, daß Gott Dionysos alternden Männern zurückgäbe die einstige Fröhlichkeit und Sanftmut, so daß sie es wieder wagten zu tanzen. Wirklich führte Marschall Biron die Hausfrau zum Reigen, was ihn nicht hinderte, etwas später unter furchtbaren Ausbrüchen des Zornes das Schloß zu verlassen.

Henri, der alles erfuhr, hätte eigentlich Mitgefühl gehabt für den merkwürdigen Mann. Ihm war es natürlich, über den Feind nachzudenken bis nah an die Liebe. Dies war nur nicht die Meinung des Feindes. Der Marschall beantwortete die versuchten Freundlichkeiten des Gouverneurs nicht grob, aber durch Anzüglichkeiten. Um den Alten womöglich für sich zu gewinnen, übersandte Henri ihm schöne Bücher, die er selbst hatte drucken lassen. Sein Drucker, Louis Rabier, kannte die neuesten Verbesserungen der Kunst. Gegen den Willen der Stadt Montauban, der Rabier verpflichtet war, hatte der Gouverneur ihn in seinen eigenen Dienst gestellt, gab ihm ein Haus und fünfhundert Pfund: dafür druckte der Meister ihm den Plutarch, der das alte Lehrbuch der befestigten Charaktere ist. Dem Marschall schickte Henri die Reden Ciceros: ein große prachtvoller Band, auf das Leder in Gold gepreßt das Wappen von Navarra.

Der Marschall glaubte nicht, daß etwas so Seltenes und Kostbares ihm als Geschenk sollte zugedacht sein; oder er tat, als glaubte er es nicht. Sondern er ließ das Buch zurückbringen mit höflichem Dank. Als Henri es aufschlug, fand er eine Stelle angestrichen: nur eine. Sie ist nach Platon übersetzt und heißt »Difficillimum autem est, in omni conquisitione rationis, exordium« - was einfach bedeutet: Aller Anfang ist schwer. Von seiten eines Feindes, der nicht der Jüngste war, konnte es aber auch heißen: Verdammter Grünschnabel!

Henri, nicht faul, läßt von seinen schönen Büchern ein anderes einpacken, eine Abhandlung über Chirurgie, auch hierin ist etwas angestrichen, eine Entlehnung aus dem Dichter Lukrez. Mit lateinischen Versen wird gesagt:

»Unmerklich nehmen ab die Kräfte,
Versiegen müssen unsere Säfte,
Bergab geht's mit uns immerdar.«

Dies gelesen, und Biron verliert alsbald sowohl Maß als Besinnung. Mit nächstem versetzt er dem Gouverneur etwas vom Dichter Martial über die Behaarung des Körpers. Er selbst hatte die nackte, gelbe Haut eines Gallensüchtigen: wen wollte er daher treffen mit der Erwähnung der rauhen Gliedmaßen? Henri sah ein, daß nichts anzufangen war mit dem Feind: es mußte gekämpft werden. Durch ein anderes Buch ließ er ihm noch die Botschaft zukommen, ihr Urheber war der Dichter Juvenal: Nec facilis victoria de madidis …

»Wenn sie im Wein auch untersanken
Und nur noch stammeln oder schwanken,
Glaub nicht, du hättest sie besiegt!«

Es war immer noch eine Huldigung und eigentlich ein letzter Versuch, mit dem Stellvertreter zu einem Vertrag zu kommen. Wenn sie, einer wie der andere, es ehrlich meinten, so ließ der Gouverneur ihm sagen, dann müßten sie es beweisen durch die Einigkeit, mit der sie alle beide hier in der Provinz Guyenne dem König von Frankreich dienten. Als Antwort schloß Marschall Biron sich in Bordeaux ein und befestigte es. Er ließ verbreiten, daß er den König von Navarra bei der ersten Gelegenheit wollte fangen und nach Paris schicken, denn dort erwartete man ihn dringend, besonders aber Madame Catherine verzehrte sich nach ihrem geliebten Schwiegersohn! Dies hätte Biron für sich behalten sollen. Henri nannte seinen Feind ruhmredig und nichts weiter, dennoch ließ er im ganzen Land seinen Kurieren nachstellen; auf den abseitigsten Wegen wäre keiner durchgekommen.

Mehrere wurden nacheinander abgefangen. Einer trug nichts bei sich, als nur den Bericht über den stattgehabten Wettstreit der lateinischen Dichter; dieser war dargestellt wie ein glücklich aufgedecktes Staatsverbrechen. Die Verse sollten allerdings gerichtet sein gegen den Marschall, wegen seiner Treue für den König von Frankreich; behauptet wurde indessen, daß sie eine doppelte Anwendung zuließen. »Bergab geht's mit uns immerdar«, bezog sich hiernach ebensowohl auf den Hof! Auf den König und sein Haus!

Dem Boten, der nur die kritische Auslegung überbringen sollte, folgte in mehreren Stunden Abstand der zweite: dessen Auftrag war schon deutlicher. Nicht mehr von Stilblüten war dort die Rede, sondern von Straßenraub, Schändung, Brand und Mord, was alles, der Meldung zufolge, auf Rechnung des Königs von Navarra kam. Er richtete eine ganze Provinz des Königreiches zugrunde, damit er sie sich besser aneignen könnte. So schrieb Biron, der in Wahrheit alle Gewalttaten selbst beging - und als Henri es gelesen hatte, betrachtete er auch die eigenen Absichten seines Stellvertreters in der Guyenne entschieden anders als vorher. Den ganzen Mann sah er mit strengeren Augen an. Zu scherzen ist nicht mehr an der Zeit. Es muß gehandelt werden, zugeschlagen derart, daß der Stellvertreter einen heilsamen Schrecken davonträgt. Vielleicht wird er für eine Weile zur Ruhe gebracht. »Wenn's vorüber ist, wollen wir wieder lachen.«

Auf diese Worte seines Herrn antwortete Agrippa d'Aubigné: »Und warum nicht sogar während der Ausführung? In mir regt sich ein noch unaussprechlicher Gedanke«, sagte er beiseite. Henri meinte für sich, der Feind wäre nicht komisch genug, solange er in einer starken Festung auf Überfälle sann. Gerade an diesem Tage ergriff er noch einen Kurier des Marschalls, und der war der entscheidende. Diese Botschaft versprach der Königinmutter wahrhaftig den Fang des Königs von Navarra. Für seine Auslieferung forderte Marschall Biron als Preis und persönlichen Besitz eine ganze Anzahl von Städten, sowohl in der Provinz Guyenne als auch im Lande Béarn.

Henri war recht erschrocken. Er saß auf einem Grabenrand, der Himmel hatte sich verdüstert, die Gegend und seine heimische Zuflucht boten gar keine Sicherheit mehr, sein Feind meinte es ernstlich böse. Es ist nicht schlimm, einen Feind zu haben und ihn zu kennen: man reitet ihm entgegen und schlägt ihn, die erste Furcht ist bald überstanden. Schlimm ist es, seine Heimlichkeiten zu entdecken und auf einmal offen ins Gesicht zu bekommen den Atem eines Abgrundes, der nicht war geahnt worden. Jetzt entsendet der Spalt die üblen Schwaden. Man verschluckt sie und hätte Lust, sich durch den Hals zu entleeren. »Biron erpreßt meine Städte«, wiederholte der junge König am Grabenrand.

Als er aufsah, begegnete Henri dem Blick des gefangenen Kuriers: der stand vor ihm mit gefesselten Füßen. »Du bist doch ein Hugenott«, sagte Henri. Der Mann erwiderte: »Marschall Biron hält mich nicht dafür.«

Henri beachtete ihn genau, endlich wendete er die Hand, die Fläche nach oben, wie jemand, der keine Wahl hat. »Du bist bereit und willens, deinen Herrn an mich zu verraten um der Religion willen. Du sollst ihm eine Botschaft bringen, und er soll glauben, du kämest zurück aus Paris. In Wirklichkeit wirst du bis zu dem Tage, da du zurück sein könntest, im Verlies meines Schlosses zu Nérac liegen, wo es dir schlecht ergehen wird.«

Das schreckte den Jungen durchaus nicht ab, sogar den folgenden Beleidigungen hielt er stand. Der Gouverneur bestimmte, wieviel sein Verrat in Geld wert wäre. Nachher sollte die Rechnungskammer in Pau den Betrag auszahlen. Dann ritt Henri fort; das Verlies hatte er vergessen, der Junge war frei. Von Stund an blieb er aber unter Aufsicht, wohin er ging, mit wem er sprach. Er versteckte sich und schwieg, so daß ihm denn endlich getraut werden konnte. Mit leeren Händen und einem einzigen Satz, der auszusprechen war, meldete der Kurier sich zurück bei dem Herrn, der ihn abgeschickt hatte.

Infolgedessen kam Marschall Biron tatsächlich nach einem einsamen Haus, genannt Casteras, ließ sein kleines Gefolge zurück beim nächsten Busch und ritt ganz allein über die Heide. Sie lag fahl unter einem schwärzlich dahinjagenden Gewölk. Des Windes wegen, den er liebte, trug der Marschall keinen Hut, war auch ohne Mantel, da der Wein ihn in Hitze erhielt. Auf seinem Klepper, der knochig war wie er selbst, schwankte er wohl hin und her, fiel aber niemals ab. Das wußte jeder. Wer zusah, erkannte den gelben Schädel, harten Blick, ein Gerüst mit Scharnieren, das klapperte. Sturm, Einöde - und der berittene Tod: da lacht wahrhaftig keiner aus dem Volk, das der Gouverneur versteckt hat überall in der Nähe des Hauses. Der Marschall ist in eine Falle gegangen, wie er es verdient hat. Es würde ihm nichts mehr helfen, das Pferd zu wenden und davonsprengen zu wollen. Er ist nur noch hundert Schritt von dem Hause, das frei und kahl dasteht mit einem engen Balkon unter dem Dach.

Auf dem Balkon erscheint etwas. Marschall Biron hält sofort an, weil der Vorgang nicht geheuer ist. Seine Vorahnungen erweisen sich jetzt dennoch als begründet. Die Gestalt dort oben ist nicht aus dem Hause getreten, sie war zu plötzlich da. So wäre sie denn vom Boden aufgestiegen, was aber nicht angenommen werden kann von einer Persönlichkeit wie Madame Catherine. Biron sieht ganz klar, die Dünste des Weins trüben ihm niemals die Aussicht. Die alte Königin ist ihm wohlbekannt, das große schwere Gesicht unter der Witwenhaube. Auch hört er ihre Stimme, die schwerlich zu verwechseln ist. Agrippa hat nicht umsonst vier Jahre lang ihren behaglich-unheilvollen Tonfall studiert, er ahmt ihn vorzüglich nach. »Dreckskerl!« ruft er in die Heide, dem einsamen Reiter entgegen. »Du Dreckskerl bleib nur, wo du bist. Was treibst du für Unfug: saufen und lateinische Verse in die Runde schicken. Dafür möchtest du ganze Städte einstecken und das Königreich bestehlen. Der König von Navarra, mein geliebter Schwiegersohn - wollt ich auf dich warten, bis du ihn mir bringst! Lieber komm ich selbst und versöhn mich mit ihm, was eine Kleinigkeit ist, sobald ich hübsche Weiber mitbringe. Was war denn in der Mühle? Wo hast du damals gesteckt? Statt ihn zu fangen, lagst du besoffen in der Schänke!«

Der Marschall hörte die sonderbare Rede bis zu Ende an. Als sie aus war, wußte er genug - zog aus dem Gürtel eine Pistole und feuerte sie ab. Die falsche Madame Catherine war beizeiten untergetaucht, nur die Mauer dort oben bekam ein Loch. Biron spornte seinen Klepper an, jetzt aber bog um die Ecke des Hauses ein anderer Reiter, der Gouverneur oder sogenannte König, ein Vogel, der sich lustig machen will über verdiente Marschälle. Der alte Mann hat einen Blick wie Eisen, nimmt die Zähne nicht auseinander, hebt aber unbewußt die Pistole. »Gut, daß sie abgeschossen ist«, ruft Henri herausfordernd. »Sie würden das Königshaus ausrotten. Ich muß der Königinmutter melden, daß Sie nach ihr gezielt haben, Herr de Biron.«

Der bringt vor Wut nichts heraus. Endlich kommt es.

»Sie haben mir einen Popanz hingestellt, die Hängebacken und dicke Nase aus Wachs, die Gestalt mit Plunder ausgestopft. Wär's aber auch die richtige Madame Catherine gewesen - bei meiner Seel, der Schuß hätt mir nicht leid getan.«

»Tapferer Held!« so ermuntert Henri ihn. »Gott Mars in Person spricht zu mir.«

»Mein sind die Städte!« brüllt Marschall Biron. »Mein soll die ganze Provinz sein! Ein König von Navarra oder von Frankreich - mir eins, hab Galgen für alle!« So brüllt er. Denn es ist möglich, daß er auf dem Pferde festsitzt und sicher in die Ferne blickt: darum verlassen ihn dennoch sein Halt und seine Klarheit.

»Halunke, du hast dich verraten«, sagt über ihm die bekannte fette Stimme: auf dem Balkon steht wieder Madame. Catherine, streckt auch den Finger nach ihm aus. Biron erschaudert plötzlich von oben bis unten, reißt sein Pferd herum, er flieht. Da sprengen ihm Bewaffnete vor den Weg, halten ihn auf und verhindern seine wenigen Begleiter, näher zu kommen. Das Handgemenge wird aber unterbrochen durch den Befehl des Gouverneurs: »Laßt ihn laufen! Jetzt kennen wir ihn.«

Abzug Biron. Agrippa als alte Witwe fängt an zu tanzen auf seinem Balkon und drunten schlagen alle in die Hände, hervorgebrochenes Volk, es tanzt mit. Morgen erzählt das ganze Land sich die Geschichte, das Land wird lachen wie wir. Auch Gelächter ist gut gegen einen Feind. Biron wird sich verstecken - für eine längere Weile, und inzwischen soll bei Hof bekannt werden, soviel als nützlich ist: nicht mehr. Wir schweigen von dem Balkon.

 

Eauze oder Menschlichkeit

Ein Anfall seiner Krankheit machte es dem Marschall unmöglich, Kuriere nach Paris zu schicken. Er spie Galle infolge seiner Demütigungen vor der Provinz und dem ganzen Königreich, das er bis in sein Bett hinein glaubte lachen zu hören. Obwohl Henri es überging in seinen Berichten, wurde bei Hof sehr wohl bekannt, daß Marschall Biron geschossen haben sollte auf die nachgeahmte Gestalt der Königinmutter. Der König von Frankreich, den er hatte aufhängen wollen, war gesonnen, ihn vor sein Parlament zu berufen und ihm den Prozess zu machen. Madame Catherine überzeugte aber ihren Sohn, daß zwei seiner Feinde, die selbst einander befeindeten, dort, wo sie waren, auch müßten gelassen werden. So unternahm man nichts gegen den Stellvertreter des Gouverneurs; Henri erhielt nur schöne Worte.

Dagegen rächte er manche Untat Birons, solange dieser entmutigt und krank war. Leider mußte er auch die furchtbarsten Handlungen der Rache erlauben, angesichts der Wut seiner Soldaten über die Greuel der anderen. Er selbst und seine Leute wurden aber genauso grausam befunden von den Städten, die zufällig seinem Stellvertreter ergeben waren. Auf beiden Seiten verursachte ein bloßes Gerücht die höchst wirkliche Vergeltung, und diese zog um so ärgere Strafen nach sich. Man wurde, wofür man einander hielt, wurde noch schlimmer und konnte sich in Unmenschlichkeit nicht genug tun.

Einst auf dem Weg von Montauban nach Lectoure empfing Henri die Meldung von einem bevorstehenden Angriff aus dem Hinterhalt; schickte auch gleich die Herren de Rosny und de Meilles mit fünfundzwanzig Pferden, um den gefährlichen Hohlweg zu säubern. Dies getan, flüchteten dreihundert von den Feinden in eine große Kirche mit festen Mauern: die mußte man erst untergraben, es dauerte zwei Tage und Nächte. Als die Belagerten sich ergaben, wollte der König von Navarra sechs von ihnen hängen, alle anderen laufen lassen. Indessen durfte er nicht gnädig sein, denn auf einmal wurde bekannt, daß dieselben Katholiken sich ganz abscheulich aufgeführt hatten in der Stadt Montauban. Nicht damit zufrieden, sechs junge Protestantinnen zu vergewaltigen, hatten einige Wüteriche »die Natur der Unglücklichen mit Pulver gefüllt«, hatten es angezündet, und sechs schöne und fromme Mädchen waren in Stücke zerrissen. Daher wurden jetzt dreihundert Gefangene ohne Erbarmen niedergemacht.

Henri ritt während des Gemetzels davon, als ob er flüchtete. Er war in Verzweiflung wegen seines Rufes, den er beflecken mußte mit Bluttaten, nur weil sein Stellvertreter vor keinen zurückschreckte. Biron blieb bedacht, daß die Städte aus bloßer Furcht ihre Tore geschlossen halten sollten vor dem Gouverneur. Gerechtigkeit und strenge Zucht, die dem Gouverneur zuerst waren nachgesagt worden, mußten in Härte umschlagen, nach der Absicht des Stellvertreters; ja, dieser war auf dem besten Wege, den Namen Henris so verhaßt zu machen wie seinen eigenen. Henri begriff es, und auf seiner Flucht vor dem Gemetzel der dreihundert beschloß er, künftig anders zu handeln, als der Stellvertreter ihm vorschrieb.

Eauze gehörte zu den kleinen bösen Städten, die ihn nicht einließen und von keiner Unterwerfung wissen wollten. Recht besehen waren es nur die Schöffen und einzelne Bürger, die mehr Land besaßen als die übrigen, und die Ärmeren arbeiteten für sie. Das niedrige Volk hielt zu dem König von Navarra, der in die Häuser der Armen ging und ihre Töchter liebte. Dafür wurde auch ihm Liebe. Die Armen hätten ihm gewiß das Tor geöffnet; sie konnten es nicht, wegen der Besatzung, und weil diese den Reichen dienstbar war. Der Widerstand der Armen machte aber die Wohlhabenden mißtrauisch untereinander. Jeder sicherte sich im voraus Ausflüchte, für den Fall der Übergabe. Ein Apotheker sagte zu seinem Nachbarn, dem Sattler: »Im Vertrauen, Nachbar! Weißt du wohl auch, wer dem König von Navarra seine Konfitüren liefert? Sein Apotheker in Nérac, genannt Lalanne; aber ich hab ihm das Rezept verkauft.«

»Nachbar«, antwortete der Sattler, »das ist wie mit dem ledernen Futteral für den königlichen Trinkbecher. Das Futteral mußte ausgebessert werden, aber niemand durfte es wissen, weil ein Becher, der nicht mehr verschlossen ist, ganz leicht könnte vergiftet werden. Sie haben mir vom Hof das Futteral gebracht«, flüsterte der Sattler.

Gleichzeitig merkte der eine sich die unvorsichtigen Eröffnungen des anderen, falls Marschall Biron früher da wäre als der König von Navarra. Dann sollte jeder, außer ihm selbst, der Strafe ausgeliefert werden. Eine Frau träumte von einem Engel, der ihr den Marschall ankündigte, und sie erzählte es schreiend auf dem Markt. Ihr Mann war daher besonders bedroht, gesetzt, daß der Gouverneur schneller kam. Er war ein Fuhrmann und hatte einen Schuldschein des Herrn d'Aubigné in Zahlung genommen von einem Wirt auf dem Lande. Dort hatte der König von Navarra gegessen: dies war im äußersten Fall der Rückhalt des Fuhrmannes.

Fremden in geringer Zahl wurde das Stadttor aufgetan; daher war Henri unterrichtet, sowohl über die Uneinigkeit der Bürger wie über ihre Furcht. Die Besatzung war unbedeutend, galt übrigens als unsicher infolge der Mißerfolge Birons. Der Gouverneur nahm mit sich fünfzehn ausgewählte Edelleute, über ihren Panzern trugen sie Jägerröcke: so sollten sie unbemerkt eindringen. Kaum war er selbst aber drinnen, rief ein Soldat: »Der König von Navarra!« und schnitt das Seil des Fallgitters durch. In der Falle saßen ihrer fünf, Henri selbst mit Mornay, sowie den Herren de Batz, de Rosny und de Béthune. Alsbald läutete es Sturm, die Bevölkerung lief zu den Waffen und bedrohte die fünf kühnen Gefährten.

Der vorderste Trupp der Bürger betrug fünfzig Mann, auf diese ging der König von Navarra geradewegs zu, Pistole in der Faust, während er aber eine Rede begann an seine vier Edelleute: »Drauf und dran, Freunde und Gefährten!« Er meinte weniger diese, als die guten Leute von Eauze, die er zum Stillstand bringen und einschüchtern wollte. »Drauf und dran! Hier müßt ihr dartun euren Mut und Festigkeit, denn davon hängt unser Heil ab. Folge mir jeder und mach's wie ich. Nicht schießen!« rief er besonders laut. »Laßt die Pistole wo sie ist!« - als ob er zu seinen vier spräche. In Wahrheit hörten die bewaffneten Bürger der wohlgesetzten Rede eines so sehr bedrohten Königs mit offenen Mündern zu und rührten sich nicht. Drei ungefähr schrien allerdings »Schießt auf den Rotrock! Das ist der König von Navarra.« Bevor indessen jemand sich aufraffte, drang Henri mit voller Wucht in den Haufen. Vor Schrecken fiel dieser auseinander und verzog sich nach hinten.

Von dort wurden mehrere Gewehre und Pistolen abgefeuert. Alsbald entstand in der Gasse ein Getümmel, weil das arme Volk, das den König liebte, die Schützen anfiel. Ihnen selbst war es durchaus nicht geheuer; noch während des Kampfes gerieten sie einander in die Haare, keiner wollte wirklich seine Waffe abgeschossen haben. Henri brauchte nur ruhig zu warten: nicht lange, und die Schöffen oder Konsuln warfen sich ihm zu Füßen, sie sagten her im Ton einer Litanei: »Sire! Wir sind Ihre Untertanen und ergebenste Diener. Sire! Wir sind Ihre -«

»Ihr habt aber auf meinen scharlachroten Rock gezielt«, erwiderte Henri.

»Sire! Wir sind Ihre -«

»Wer hat auf mich geschossen?«

»Sire!« betete ein Bürger mit Schurzfell. »Ich habe das lederne Futteral Ihres Trinkbechers zum Ausbessern bekommen. Auf einen Kunden schieße ich nicht.«

»Wenn durchaus einige hängen müssen«, riet einer, vertraulich aus Angst: »Sire, dann hängen Sie nur arme Leute: von ihnen gibt es zu viele bei den Zeiten.«

Henri entschied sehr laut: »Ich will die Stadt nicht plündern lassen, obwohl es Brauch und Sitte ist, und verdient hättet ihr es. Aber jeder soll zehn Pfund den Armen geben. Sofort holt euren Priester und zahlt an ihn das Geld!«

Hierauf schleppten sie einen alten Geistlichen herbei, versuchten aber gerade ihm das ganze Unglück in die Schuhe zu schieben. Er war es, er hätte der Frau des Fuhrmannes in den Kopf gesetzt, daß ein Engel vom Himmel den Herrn Marschall Biron ankündigte, nicht aber den Herrn König von Navarra, und nur darum hätten sie leider das Tor geschlossen. Dringend empfahlen sie, den Greis büßen zu lassen für die Stadt. Wenn nicht sie selbst und nicht einmal die Armen - einer mußte hängen: von dem Gedanken konnte man sich in Eauze nicht trennen. Henri mußte ausdrücklich befehlen: »Niemand wird gehängt. Geplündert wird auch nicht. Aber ich will essen und trinken.«

Diese Gelegenheit erfaßte ein Gastwirt sofort, er deckte Tische auf offenem Markt, für den König, seine Herren, die Konsuln und die Wohlhabenden. Henri forderte Stühle auch für die Armen. »Sie haben Geld genug, da ihr es ihnen geben sollt.« Die Armen ließen es sich nicht zweimal sagen, Henri selbst aber konnte bis jetzt seinen Platz nicht erreichen vor lauter Kniefälligen, die jeder besonders wollten versichert werden ihres Lebens und ihrer Habe. Andere sollen verschont bleiben, aber ich? Aber ich? Es war ein verzweifeltes Jammern von Wesen, die nicht begreifen, was ihnen zustößt, und es nicht glauben wollen, obwohl es ihre Rettung ist. Was sie statt dessen gewohnt sind, setzt sich immer wieder an die Stelle, in ihren verwirrten Köpfen. Darüber kann einer verlieren, was er zum Leben braucht, das innere Gleichgewicht.

Der Fuhrmann, dessen Frau den Engel erblickt hatte, taumelte ratlos umher und fragte jeden: »Was ist das?« Immer dringender, laut klagend, aber mit geschlossenen Augen, als ob ein Heer von Engeln anrückte und ihn blendete, fragte der Fuhrmann: »Was ist das, was geht vor?« Endlich antwortete ihm ein kleiner Herr im grünen Jägerrock.

»Menschlichkeit ist es. Die große Neuerung, der wir beiwohnen, ist die Menschlichkeit.«

Der Fuhrmann riß die Augen auf, da erkannte er den Herrn, dessen Schuldschein er hatte in Zahlung genommen von einem Wirt. Er zog den Schein hervor und erkundigte sich: »Löst der Herr ihn ein?« Agrippa wurde hiervon peinlich berührt, er drehte dem Gläubiger den Rücken zu. Der Fuhrmann entfernte sich in entgegengesetzter Richtung, er schwenkte die Hände über dem Kopf und sprach mehrmals das neue Wort, das er gehört hatte und nicht faßte. Es ließ ihn zweifeln an der bekannten Welt der Schuldscheine und Vergeltungen, ja, das Wort versetzte ihn in einen tödlichen Tiefsinn. An einem Balken seines Heubodens erhängte er sich.

Auf dem Markt aber wurde getafelt. Mädchen, die ihre Arme und Schultern angenehm entblößt hatten, reichten die Speisen, den Wein, und empfingen viel Dank von Gästen, die nicht anders geglaubt hatten, als daß es für sie aus wäre mit all dem. In ihren Gesprächen nannten sie das neue Wort, das ihnen zu Ohren gekommen war, halblaut wie ein Geheimnis. Voll Überzeugung aber tranken sie auf den jungen König, der sie ohne ihr Verdienst leben ließ, auch ihren Besitz verschonte und noch mit ihnen zu Mittag aß. So beschlossen sie denn, ihm allzeit treu zu bleiben, und gelobten es kräftig.

Henri erkannte, daß er seiner Sache richtig gedient hatte. Er sah auch die Menschen. Da er sie jetzt nicht mehr gewinnen, überlisten, niederschlagen mußte, hatte er erst den richtigen Blick für die armen Menschengesichter - vorher wut- und angstverzerrt, jetzt ausgelassen glücklich. Henri winkte mit der Hand seinem Agrippa, denn er wußte: der hatte sein Lied bereit und fertig. Agrippa stand auf. »Ruhe!« wurde gerufen, bis alle ihn hörten. Er sang - jeden Vers doppelt, und beim zweitenmal fielen alle mit ein, im munteren Ton und schnellen Takt der Psalmen:

»So ringe nur die Hände,
O Christ, verhüll Dein Haupt,
Mit Dir ist jetzt ein Ende,
Da Du an Freundlichkeit
Hierorts, in dieser Zeit
Voreilig hast geglaubt.

Sie stechen und sie schlagen,
Weil keiner keinem traut,
Bereuen dann und klagen,
Denn Galgen stehn gebaut:
Daß nur der Nachbar hänge!
Vergeßt mich im Gedränge!

Da eint der große Fürst des Landes,
Mit Hilfe menschlichen Verstandes
Die Guten eint er mit den Bösen.
Hosianna! Ihr seid schon befreit!
Es hat die lautere Menschlichkeit
Die Gnadenmacht, euch zu erlösen!«

 

Hohe Gäste

Das Ereignis von Eauze hatte auch die Besonderheit, daß es den Marschall Biron mehr erbitterte als sogar seine Niederlage bei dem einsamen Haus Casteras. Der König von Navarra bediente sich zur Vermehrung seines Einflusses unerlaubter Mittel, der Stellvertreter hatte sie von Anfang an mißbilligt - ganz abgesehn davon, daß dem Eindringling überhaupt kein Einfluß zustand nach der Meinung des Alten. Dieser erlitt bittere Eifersucht. Seine Briefe nach Paris klagten seit langem über die Volkstümlichkeit des jungen Mannes und über seine Sittenlosigkeit. Verstört aber klangen sie seit dem Tage von Eauze. Henri mißachtete hiernach die Gesetze des Krieges, da er weder hängte noch plünderte; ja, er untergrub das menschliche Zusammenleben, er tafelte an demselben Tisch mit arm und reich!

Solange in der Provinz nur Unordnung herrschte, hatte es der Königinmutter nichts ausgemacht. Jetzt erfuhr sie aus besonderen Berichten, wenn nicht durch Biron, daß die Städte, eine nach der anderen, sich dem Gouverneur unterwarfen. Das war nicht nach ihrem Sinn. Sie beschloß, in eigener Person dort unten zu erscheinen, damit nicht noch mehr Unglück geschähe.

Madame Catherine sah ein, daß sie dem Schwiegersohn wenigstens die Frau mitbringen mußte. Die beiden Königinnen reisten vom zweiten bis zum achtzehnten August, da waren sie in Bordeaux, unter dem Schutz des Marschalls Biron. Sie hatten bei sich ein Heer von Edelleuten, Sekretären, Soldaten, nicht zu vergessen die gewohnten Edelfräulein und schönen Frauen des Hofes, darunter Charlotte de Sauves. Diese war eingeladen gegen den Willen der Königin von Navarra, aber auf Befehl ihrer Mutter.

Der Ortswechsel des bunten Zuges vollzog sich, wie immer, mit einer Großartigkeit, die unterbrochen wurde durch allerlei Schrecken. Im Süden, nahe dem Ozean, erwartete man Überfälle durch Hugenotten; einige Male hielt auf freiem Felde alles an, die Wagen, die Reiter und das Fußvolk. Die Bewaffneten umringten die Karossen der Königinnen. War der falsche Alarm überstanden, ging es weiter mit hü und hott. Dafür sonnte man sich im eigenen Glanz an jeder größeren Haltestelle. In der Stadt Cognac hatte Margot einen der Erfolge ihres Lebens: die ehrbaren Frauen staunten ob ihrer Kleiderpracht, bestürzt und fassungslos. Ein Stern ging auf über dieser fernen Provinz, zum Schaden des Hofes von Paris, der von Schönheit verwaist und jetzt der Sonne bar war: so schwärmte einer der Mitreisenden, ein Herr de Brantôme. Für ihn selbst wäre es besser gewesen, große, wohlgestaltete Glieder zu haben, wie die Herren Guise, Bussy, La Mole. Darauf gab Margot mehr als auf Begeisterung. Reden konnte sie selbst; bei dem Einzug in Bordeaux, der ein Triumph wurde, antwortete sie mit Majestät und Anmut allen, die sie begrüßt hatten. Dies war besonders Biron.

Außer seinen anderen Stellungen bekleidete der Marschall das Amt eines Bürgermeisters von Bordeaux, Hauptstadt der Provinz; und gerade sie hatte den Gouverneur bis jetzt nicht empfangen. Henri weigerte sich einfach, den Königinnen dorthin entgegenzukommen. Es mußte verhandelt werden, das dauerte fast sieben Wochen. Dann hatte Henri erreicht, daß die Beteiligten sich trafen in dem einsamen Haus Casteras, demselben, wo Biron geschlagen worden, und die ganze Gegend war noch voll davon. Der Marschall wagte sich dort nicht zu zeigen. Henri erschien mit hundertfünfzig berittenen Edelleuten, ihr Anblick erregte bei der alten Königin ebensoviel Besorgnis als Bewunderung. Um so liebevoller versicherte sie den Schwiegersohn ihrer Gefühle, die friedlich wären. Sie ging so weit, ihn den Erben des Thrones zu nennen - nach ihrem Sohne d'Alençon natürlich; aber sie und er wußten, was von dem zu halten war.

Sie sind dann in denselben Wagen gestiegen, der entflohene Gefangene, die Mörderin seiner Mutter und seiner Freunde. Sie haben nicht aufgehört, von Liebe überzufließen bis zu ihrer Ankunft in dem Ort La Réole, wo sie endlich den Mund schließen und sich trennen durften. Henri ging in ein anderes Haus mit Margot. Er hat nicht wieder gesprochen, hat nur in den Schein der Kerzen gestarrt, ungeformte Laute ausgestoßen und ganz vergessen, daß hinter seinem Rücken eine der schönsten Frauen sich entkleidete. Plötzlich bemerkt er ein ersticktes Schluchzen, wendet den Kopf und findet die Vorhänge des Bettes zugezogen. Er hat dorthin einen Schritt getan, hat ihn sogleich zurückgenommen, und übernachtet hat er in einem Sessel. Ihm wurde erst wohler, als er den Zusammenstoß mit Biron hinter sich hatte.

Der Marschall ließ nicht warten. Kaum hatten die Königinnen das Unglückshaus Casteras weit genug hinter sich gelassen, bei ihrem nächsten Aufenthalt stellte er sich ein. Henri erlaubte ihm nicht einmal, mit seinen Begrüßungen fertig zu werden, und fuhr ihn schon an. Im Zimmer waren die Königinnen sowie der Kardinal von Bourbon, Onkel Henris und eigens mitgebracht, um ihn vertraulich zu stimmen. Alle erstarrten bei diesem Auftreten des jungen Mannes, niemand faßte sich schnell genug, um seinen Ausbruch aufzuhalten. Mit dem ersten Wort nannte er Marschall Biron einen Verräter, dessen Kopf auf dem Grèveplatz zu fallen verdiente. Dann folgten seine Anklagen, und er brachte sie nicht vor wie ein Eifersüchtiger, wahrhaftig nicht, sondern sprach namens des Königreiches, das er verteidigte, sprach schon vom Thron herab: die alte Königin wurde fahler davon anzusehn.

Als Biron antworten wollte, versagte ihm die Zunge. Die Adern an seinen Schläfen schienen nahe dem Zerspringen. Er knackte mit seinen Fingern. Sein rollender Blick fiel durch Zufall auf den alten Kardinal. Sofort rief Henri: »Man weiß, daß Sie jähzornig sind, Herr Marschall. Jähzorn ist eine gute Ausrede. Sollte es Ihnen indessen einfallen, meinen Onkel, den Kardinal, aus dem Fenster zu werfen, dann machen Sie sich auf etwas gefaßt. Nein. Gehen Sie lieber auf den Daumen um den Tisch: das wird Sie beruhigen.« Nicht mehr die Sprache des Thrones - nur der bekannte Schelm gab seinen Witz zum besten. Hierauf faßte Henri seine Margot bei der Hand, hob diese bis zur Höhe der Augen, und in anmutiger Gangart verließen sie zusammen das Zimmer.

Sie küßten sich hinter einer Tür wie Kinder. Margot sagte: »Jetzt weiß ich, wie Sie es gemeint haben, mein lieber Herr, und bin endlich wieder eine glückliche Frau.« In der nächsten Zeit stellte sich heraus, daß sie der Wiedervereinigung sehr bedurft hatte. »Eine Frau allein, teurer Henricus, was ist das? Mit dir war die Hälfte meines Verstandes entflohen aus Schloß Louvre. Ich habe mich in unsinnige Unternehmungen gestürzt und bin tief gedemütigt worden.« Er wußte, was sie meinte: ihre verunglückte Reise nach Flandern, der Zorn ihres königlichen Bruders, ihre Gefangenschaft. »Ja, mein Stolz hat gelitten. Als die Städte deines schönen Südens mich aufnahmen wie ein höheres Wesen, hatte ich Mühe, mich nicht selbst für eine reisende Komödiantin zu halten.«

Sie ging zu weit. Ihr Schmerz war so unbedacht, daß sie diesmal ihre Tränen über ihre geschminkten Wangen laufen ließ: Henri mußte sie vorsichtig entfernen mit seinen Lippen.

Ihre Aussprachen, Zärtlichkeiten und gemeinsamen Rührungen spielten in einer Reihe von Städten. Der bunte Zug der Königinnen besuchte noch viele Orte, Henri begleitete ihn nicht, er stieß zu ihm nur zwischen zwei Jagden. Dadurch vermied er manches peinliche Gespräch mit seiner Schwiegermutter über die Tagung der reformierten Abgeordneten. Die Glaubensfreiheit lag ihr am Herzen, wie sie sagte. Madame Catherine war herbeigereist, zu keinem anderen Zweck, als wegen einer Beratung mit den führenden Hugenotten zwecks Anwendung des letzten königlichen Erlasses über die Glaubensfreiheit. Henri wußte aber, daß solche Erlasse niemals wirklich in Kraft träten, und bevor die Konferenz aus wäre, begänne schon der nächste Religionskrieg. Mehrere seiner Freunde dachten anders, besonders Mornay. Daher ließ Henri sich darauf ein, den Ort der Konferenz mit auszusuchen. Indessen fiel seine Wahl jedesmal anders, als die seiner geliebten Schwiegermutter. Erst abends traf er bei den Reisenden ein, wo sie gerade haltmachten; zog sich alsbald zurück mit der Königin von Navarra, und da er sie beglückte, erzählte sie ihm vieles. Das erleichterte sie, für ihn aber war es gut zu wissen.

Sie entsetzte sich über die Gewalt im Königreich. Hier unten wäre Frieden - wenn sie zurückdächte! Das Königreich ging zugrunde an Gewalt, was angemaßte Herrschaft heißt. Nur noch die Liga befahl anstatt des Königs. »Mein königlicher Bruder haßt mich, aber er bleibt mein Bruder, ich bin die Prinzessin von Valois - und vergesse es nicht, je weniger er selbst darauf bedacht ist, König zu sein. Die Guise werden uns stürzen«, brachte sie hervor mit zusammengebissenen Zähnen, war bleich und anzusehen wie Medea. Ihr Gatte hätte geschworen, daß sie mit dem Herzog von Guise niemals wieder schlafen würde - oder nur, damit sie ihm, wie Dalila dem Samson, den gelben Bart scheren könnte.

Ihre Finger spielten in den Kinnhaaren ihres lieben Herrn. Sie lobte sein ernster gewordenes Gesicht. Lange betrachtete sie es, zweifelnd, überlegend, bevor sie das Folgende aussprach: »Du führst in dieser Provinz ein kleines Leben. Ich will es mit dir teilen, mein Herr und Gebieter, und werde glücklich sein. Eines Tages sollst du dich aber erinnern, daß du für größere Geschicke ausersehen bist - und sollst mein Haus retten«, schloß sie zu seinem großen Erstaunen. Ihre Mutter und Brüder hielten ihn bis jetzt für ihren Feind, der sie aus der Macht drängen wollte, noch bevor er sie beerbte. Die Vereinigung der Körper hatte die Prinzessin von Valois schneller belehrt als jede andere Art, auf die ein Mensch den anderen prüft. Sie traute ihm, solange sie bei ihm war: nachher nicht mehr. Wie konnte sie. Ihr kam es zu, das Aussterben ihres Hauses zu rächen an seinem Erben und Henri nochmals zu verraten, bevor sie endlich von ihrem ganzen Stamm allein übrigblieb. Sie blieb kinderlos wie ihre Brüder. Die letzte Prinzessin von Valois bemühte sich zeit ihres Lebens um das Gleichmaß der Glücklichen, Gesicherten. In Wirklichkeit ging nichts sie an, was nach ihr kam: daher war sie von Grund auf unruhig. Mit ihr sollte mehr enden als nur sie; vergebens suchte sie Gleichmaß.

In der Stadt Auch wurde das eheliche Idyll einmal stürmisch unterbrochen. Nicht umsonst zog Madame Catherine ihre Edelfräulein mit umher. In eine von ihnen verliebte sich ein älterer Hugenott, der voll Verwundungen war, sogar im Mund hatte er welche, er konnte kaum sprechen - und um eines Mädchens willen lieferte er seinen festen Platz den Katholiken aus. Henri ließ zuerst mit achtungsvollen Worten seine liebe Schwiegermutter wissen, was er von ihren kleinen Bosheiten hielt. Sich selbst rechnete er zu den Dienern des Königs, die alte Übeltäterin vielmehr zu denen, die ihm Böses zufügten. Dies laut zu sagen war eine Genugtuung. Da die Alte sich aber stellte, als wäre es das erste, was sie hörte von dem Verrat des Kommandanten, nahm Henri höflich Abschied, ritt aus und nahm sich eine andere kleine Stadt als Pfand. So neckten diese beiden einander, bis sie schließlich übereinkamen, der Rat der Reformierten sollte in Nérac tagen.

Inzwischen war es Dezember geworden, die Blätter flogen im Wind: nicht mehr die rechte Jahreszeit für schöne Einzüge. Königin Marguerite von Navarra ritt dennoch einen weißen Zelter, der das gewöhnliche Pferd der Märchenprinzessinnen ist. Rechts und links von ihr tänzelten ein goldgelbes und ein braunes, mit der jungen Catherine von Bourbon und ihrem Bruder Henri, der sich in großen Staat geworfen hatte zu Ehren seiner Gemahlin. Die alte Madame Catherine war nicht geeignet, vom Volk in der Nähe betrachtet zu werden, besonders nicht unter diesem hellen Himmel; sie sah hinter einem Fenster zu. Die unvergleichliche Margot, strahlend von Ruhe und Sicherheit, hörte drei junge Mädchen etwas aufsagen. Sie stellten Musen dar und führten, der Königin zu Ehren, ein Gespräch, das der Dichter Du Bartas ihnen in den Mund legte. Die erste redete im Dialekt des Landes, die zweite in der Schriftsprache, die dritte benutzte die Ausdrucksweise der alten. Margot verstand das Lateinische und das Französische, vom Gascognischen entging ihr manches. Sie fühlte aber was das versammelte Volk von ihr erwartete: wickelte sich ihre reich bestickte Schleife vom Hals und schenkte sie der einheimischen Muse. Schon hatte sie die Herzen gewonnen, und auch das ihre schlug davon höher.

Madame Catherine betrachtete alles scharf in dieser ländlichen Hauptstadt. Ihr alter Zaunkönig machte aus sich, was er konnte, empfing sie und ihr Gefolge soweit seine Mittel reichten, tischte ihnen alles mögliche auf. Wenigstens zeigte er, daß er sich freute. Noch abfälliger beurteilte sie die Abgeordneten auf der Tagung, als diese endlich zusammentrat. Alle fand Madame Catherine wie Pastoren aussehend oder wie gewisse Vögel, die sie hierorts nicht beim Namen nannte. Verhandelt wurde zum Schein über gemischte Gerichtshöfe mit reformierten Beisitzern und über die Verzeihung begangener Ausschreitungen. Der wirkliche Gegenstand war, wie immer, die befestigten Plätze der Hugenotten. Diese forderten unmäßig viele, die alte Königin aber hätte ihnen am liebsten alle fortgenommen. Sie übte vor ihren Damen eine Rede mit lauter Bibelstellen ein und dachte die guten Leute zu überlisten in der Sprache, die ihnen geläufig war. Ihr eigenes Aussehen und ihr Ruf widerlegten indessen alles, was sie in Munde führte: das entging ihr erstaunlicherweise.

Sie glaubten ihr in sämtlichen Sitzungen kein Wort und behielten eherne Stirnen, bis sie ihnen mit Hängen drohte. Die Königin Marguerite mußte weinen; ihr inniger Wunsch, geliebt zu werden, wurde gefährdet durch ihre schreckliche Mutter, die man vielfach auch komisch fand - und dies gewöhnlich, wenn sie aus der Tür in die Landschaft trat. Im Saal der Tagung nahm sie einen erhöhten Thron ein, das ging noch an. Draußen wurde sie zu einem kleinen Fleck auf der hellen Gegend, ging krumm an ihrem Stock, die gelben Wangen schaukelten; und wer der Bartholomäusnacht gedachte - er hatte vielleicht nicht gelacht seitdem -, der lachte infolge des Gegensatzes jetzt. Auch ihre Ehrenfräulein verzerrten sie im Grunde nur. Hier ist nicht Schloß Louvre, die Sonne scheint zumeist unverschleiert auf beide Ufer der Baïse und den Park La Garenne. Hier wird offen und harmlos Krieg geführt und geliebt. Die alte Frau aber rechnet auf die geheimen Abgründe des Geschlechts. Das Alter geht mit dem Laster eine falsche Verbindung ein und macht sich zum Gespött.

Die Sittenstrengsten der Hugenotten haben es damals Henri nicht verübelt, daß er sich mit mehreren der willigen Fräulein einließ. Seine Margot litt im Augenblick nicht sehr darunter, sie war in Anspruch genommen von ihrer neuen Rolle: Landesmutter und höheres Wesen. Die Hauptsache blieb, daß Henri selbst nur einfach nahm, was angeboten wurde, aber den Schönheiten eine Nase drehte, wenn sie ihn fortlocken wollten an den Hof von Frankreich. Hierauf war es abgesehn mit der Reise, der Tagung und dem Besuch der hohen Gäste: nur hierauf, er hatte es gleich geahnt. Zuletzt mußte seine Schwiegermutter persönlich ihm mit ihren Gründen aufwarten. Sie hielt ihm vor, daß ihr Sohn, der König, in seinem Louvre jetzt ganz allein stände. Sein Bruder d'Alençon wäre gegen ihn im Aufruhr, die Guise und ihre Liga unterwühlten seinen Thron. Aber nicht weniger wäre zu fürchten ein Prinz von Geblüt, der sich dem Hof entfremdete und allmählich zu stark wurde in seiner Provinz. Ob Henri gar nicht daran dächte, er könnte ermordet werden? Dies war der letzte Trumpf seiner lieben Schwiegermutter: sie drohte ihm mit Mördern.

Er ließ sich dennoch nicht in ihre mütterlichen Arme fallen, sondern antwortete, daß ihm bei Hof noch keine Versprechung wäre gehalten worden. Als Gouverneur dächte er von hier aus weiter den Frieden zu verbreiten im Königreich, dessen Dienst er einzig im Sinn hätte. Darauf nahmen sie bald Abschied voneinander, und zwar mit derselben, häufig überfließenden Liebe wie am Anfang des Besuches. Er hatte aber gewährt den ganzen Winter bis in den schönen Monat Mai. Ihre beiden Kinder begleiteten die gute Mutter eine Strecke, bis sie allein weiterzog - über schlechte Wege, durch bergiges Land, im Bereich einer unzuverlässigen Bevölkerung. An einem Ort wurde die alte Königin empfangen von rosenstreuenden Mädchen, aus einem anderen mußte sie schleunigst entweichen vor der allgemeinen Abneigung. Sie zog einfach ihren schwarzen Filz ins Gesicht, auch sie war tapfer, alle sind tapfer; unbeirrt stieg sie vom Pferd auf ihren Karren um und predigte im Holpern und Stolpern nichts als Frieden: aber welchen meinte die Mutter der sterbenden Söhne?

Als sie ihn längst nicht mehr erwartete, bog auf einmal wieder ihr lieber Schwiegersohn um die Ecke. Er mußte sie ein allerletztes Mal sehen und ihr eine Haarlocke opfern. Es sind dicke Locken, wie die Protestanten sich eine um jedes Ohr schlingen. Die um das rechte hatte er seiner lieben Schwiegermutter gleich anfangs überlassen; zum Schluß durfte sie ihm auch noch die linke abschneiden. Dies ereignet sich bei einem ländlichen Friedhof, und in traulicher Stimmung wünscht Madame Catherine dort einzutreten. »Wenig Friedhöfe bei euch.« Sie schüttelt den Kopf. »Werden die Leute so alt?« Bleibt vor mehreren Gräbern stehen. Murmelt: »Wie die gut aufgehoben sind!« Unter der Erde sind die Menschen ihr lieber. Dann ist Friede, auch in ihrem Gemüt.

Später einmal, als König von Frankreich, wird Henri hinabsteigen zu der Gruft Katharinas von Medici, bei Lebzeiten Madame Catherine; wird ihren Sarg betrachten, und rückwärts zu seinem Gefolge wird er sagen - mit einem ungewissen Lächeln, das niemand ganz versteht, wird er sagen: »Wie sie gut aufgehoben ist!«

 

Moralité

Il a choisi de combattre: s'est-il bien demandé ce que combattre veut dire. C'est surtout endurer, sans les mépriser, des peines multiples, très souvent per dues ou d'une portée infime. On ne commence pas dans la vie par livrer des grandes batailles décisives. On est déjà heureux de se maintenir, à la sueur de son front, tout au long d'une lutte obscure et qui chaque jour est à recommencer. En prenant pierre à pierre des petites villes récalcitrantes et une province qui se refuse, ce futur roi fait tout à fait figure de travailleur, bien que so travail soit d'un genre spécial. Il lui faut vivre d'abord, et pauvre il paie en travail. C'est dire qu'il apprend à connaître la réalité en homme moyen. Voilá une nouveauté considérable: le chef d'un grand royaume et qui sans lui irait en se dissociant, débute en essuyant les misères communes. Il a des ennemis et des amours pas toujours dignes de lui, ni les uns ni les autres, et qu'il n'aurai certainement pas en faisant le fier.

Cela pourrait très bien le rendre dur et cruel, comme c'est généralement cas pour ceux qui arrivent d'en bas. Mais justement, lui ne vient pas d'en bas. Il ne fait que passer par la condition des humbles. C'est ce qui lui permet d'être généreux et de se réclamer de tout ce que dans l'homme il peut y avoir d'humain. D'ailleurs l'éducation reçue pendant ses années de captivité l'avait préparé à être humaniste. La connaissance de l'intérieur de l'homme est bien la connais sance la plus chèrement acquise d'une époque dont il sera le prince. Attention c'est un moment unique dans l'histoire de cette partie du monde, qui va s'orienter moralement, et même pour plusieurs siècles. Ce prince des Pyrénées et passe de conquérir le royaume de France, pourrait écouter les conseils d'un Machiavel: alors, rien de fait, il ne réussira pas. Mais c'est le vertueux Mornay qui le dirige et même qui le soumet à des épreuves qu'un autre ne tolérerai pas. Les secrets honteux de la personne la plus vénérée, voyez Henri y être initial et en souffrir en silence: vous aurez la mesure de ce qu'il pourra faire pour les hommes.


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