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Liebesprobe

Zuerst erschienen in »Das Herz«, Insel-Verlag, Leipzig, 1910

Textquelle: Aufbau-Verlag, Berlin, 1953. Heinrich Mann, Novellen, II. Band

 

I

»Wen haben Sie geliebt?«

»Eine; Manoella.«

»Antworten Sie ernst!«

»Manoella Römer, die Tochter eines brasilianischen Pflanzers, und nie eine andere.«

»Ihre lächerliche Unaufrichtigkeit zeigt mir am besten, daß Sie mich nicht lieben. Aber was verlange ich.«

»Du tust mir leid, Noella, du quälst dich. Mehr noch dich als mich. Warum nicht einfach glauben? Siehst du nicht mich, wie ich dir glaube?«

»Sie haben es leicht. Denn als ich mit meiner Mulattin nach Europa kam, war ich ein Kind. Kaum verließ ich, erwachsen, das Institut, lernten Sie mich kennen. Was aber weiß ich von Ihnen? Ihre Freunde haben mir Sachen zugeraunt, die ich nicht glaube.«

»Und die ich vielleicht nicht leugnen würde. Ich bin zehn Jahre älter als du, Noella. Ich habe die Sehnsucht gekannt, bevor ich dich kannte. Deine Schuld ist es, daß die Frauen, zu denen sie mich trug, mir nun verblichen sind. Ich weiß dir nichts von ihnen zu sagen. Sie machen mir Scham. Sei ganz sicher, daß von meiner frühen Zeit bis zu dir eine leere Straße führt. Nur einige Bildsäulen mögen am Graben stehen, so alt und verwittert, daß ihre Züge ausgelöscht sind.«

»Du sprichst schön. Du sprichst zu schön. Ich glaube dir nicht.«

»Noella! Ich liebe dich! Es gibt nur dies Wort. Aber wenn dein Zweifel uns beide unglücklich und einsam gemacht haben wird, erinnere dich an dieses Gebirge, dies Tal mit seinem Kloster. Dann vielleicht wirst du fühlen, daß hier unter der Brücke an deiner Wange die Wange dessen gelehnt hat, der dich liebte.«

»Mag sein, daß ich's dann glauben werde. Aber werde ich recht haben? – Ach, das alles hilft nicht, Lieber. Sieh das Kloster: wie mächtig und wie treu! Es ist ein Frauenkloster, ich könnte darin sein. Die Zypressen, die Eichen, die nun fern und schwarz im goldenen Himmel liegen, sie wären mein Garten. Ich wäre geborgen.«

»Du denkst nur an Flucht. Ich wünsche mir nichts, als mein Leben zu deinem zu machen; du aber sinnst, wie du deiner Liebe ledig werdest.«

»Verzeih, Lieber! Es kommt, weil ich schlimm daran bin. Mein Vater ließ mich im Garten des Instituts allein und verschwand. Ich war acht Jahre alt und schon eine Fremde. Fremde müssen Mißtrauen lernen. Ich schrak zurück vor den Herzen von Menschen, seit das erste Herz mich preisgegeben hatte. Wenn meins zu voll war, teilte ich mit einem kleinen Vogel. Besonnte Gartenbeete empfingen aus meinen Lippen, die auf ihrer Erde lagen, meine Beichten. Gleichwohl ergab ich mich Freundschaften voll geheimen Überschwanges, von denen mir Scham zurückblieb, und rasch enttäuschten Verliebtheiten. Auf jedem solcher Fluchtversuche holte meine erste Erkenntnis mich ein: daß wir allein sind. Wieder füllte meinen ganzen Horizont dann das trostlose Bild von Wesen, die durcheinandergleiten, Worte tauschen, Worte – und ohne daß etwas geschah, verschwinden und wechseln. Wo waren die Meinen: in welchen Weiten! Und ich stand, bald erwachsen, des Nachts noch auf, um den Brief einer Mutter zu küssen, die in sieben Jahren keinen geschrieben hatte als diesen … Nun sieh, Lieber: diesen unseren grünen Berg umkränzen bläuliche, und steigen wir hinüber, erwartet uns das Meer. Vorgebirge entschleiern sich, eins ums andere, dem, der wandert; den Küsten folgen Küsten; die Vogelschwärme ziehen, und die Städte liegen versammelt unter Wolken, die sich auflösen, wie die Schwärme sich auflösen werden, wie die Städte sich auflösen werden. Ich kann wohl nicht machen, daß du fühlst, welche Last von Verlorenheit und Nutzlosigkeit ich trage. Da stehen wir, aneinandergedrängt, heimlich und eng unter einer Brücke, und jeder glaubt, er liebe den andern. Aber warum sitzest du nicht in Gesellschaft anderer Frauen, in einem festlichen Hause, und ich treibe, tausend Meilen weiterhin, übers Meer? Es könnte anders sein und wird einmal anders sein. Werden wir uns nicht eines Tages trennen, weil wir glauben, wir lieben uns nicht mehr?«

»Es wird Irrtum sein: wir wollen uns dann erinnern, Manoella, daß es Irrtum sein muß. Die Wahrheit fanden wir beide, als wir einander fanden.«

»Ich gäbe alles, unsere Liebe und mein Leben, für eine Minute des Glaubens. Aber ich weiß nur von meinem eigenen Herzen. Komm, stütze dein Gesicht zwischen meine Hände und sieh mich an!«

»Manoella, welch kläglich-einsames Lächeln! Du tust mir sehr weh. Deine Augen zucken so voll Angst hin und her, als grüben sie sich, leise und stumm, durch meine hinab. Dringst du endlich bis zu meinem Herzen vor? Öffnet es sich dir? Nein? Du seufzest? Es ist unmöglich? – Was murmelst du?«

»Ich liebe zu sehr. Wie solltest du so lieben können? Diese weite und treulose Welt hat solche Liebe nicht. Ich verstehe, daß Frauen meinesgleichen sich Christus verlobten. Nur ihm durften sie trauen. Ich, die ich nicht gläubig bin, müßte mein Herz einem Bilde geben, dem Abbild eines Lebenden, das alles stumm von mir empfangen würde und mich nicht täuschen könnte, weil es kein eigenes Herz hat …«

»Sinnst du diesem Bilde nach? Meine kleine Noella, ich liebe dich. Ich liebe auch deine fremden Einbildungen; sie sind wie von einem Kinde, das lange in einem Versteck bei allzu seltsamen Blumengerüchen lag und vor dem ersten Menschengesicht zurückschrickt.«

»So willst du ein wenig bei mir aushalten? Gib wieder deine Wange, laß sie mich wieder mit meiner fühlen! Mir ist leichter, denn du bist gut. Wir wollen denken, diese Stunde der Erleichterung beginne erst. Ist sie zu Ende, wer weiß, ob sie wiederkehrt. Ich habe solche Furcht vor dem Leben … Sieh, gerade unter uns, mitten im Hasten des Baches, schließen große Steine einen Spiegel ein. Wie still er ist, und schon dämmerig! Unsere aneinandergelehnten Gesichter haben in ihm keine Augen mehr: nur Schatten, die verfließen. So war neben dem Schiff, das mich vor langer Zeit herüberfuhr, in den Wellen ein Gesicht: ja, und manchmal schleifte bläulich ein Mantel heraus. Die Gottesmutter, sagten die Matrosen; sie begleite uns. Ich möchte, du wärest nur ein Bild, das im Meer neben mir herzieht. Ich würde glauben, du liebtest mich.«

 

II

Mochte man eine Stunde lang meinen, sich ausgesprochen zu haben und einander nahe zu sein; immer blieb soviel Uneingestandenes, Trennendes. ›Kannten andere‹, dachte Manoella, ›diesen Traum mit wachen Augen, daß eine Welt, die versteinere, sich immer enger um einen schließe? Wie in einem Käfig aus Menschen, die Säulen waren, schlage das eigene Herz, das einzige auf Erden, immer gepreßter, immer elender? Und ihre Versuchungen! Wenn er sie in seine Arme holte, der Wunsch, er möge jetzt sterben, vor Ablauf der Minute, damit seine Liebesworte wahr blieben. Und ihre abergläubischen Bedrängnisse! Brachte er heute wilde Orchideen mit, dann war sie gerettet, dann liebte er sie. Alles konnte gut werden, wenn in dem Postwagen, der ihn aus der Stadt zurückfuhr, mehr als drei Personen saßen. Und immer zwingender dieser Gedanke: »Ich muß verschwinden, er muß mich tot glauben. So werde ich erfahren, ob er mich geliebt hat.«

So ist es. Noch erträgt er meinen Trübsinn, meine Feindseligkeit, all mein Krankhaftes; er ist gut. Aber ich werde seine Güte abnutzen, das Letzte wird verloren sein. Bevor es soweit kommt, will ich gehen.‹

Sie erklärte, sie müsse nach Hause.

»Was willst du drüben suchen?«

»Dich!«

Und an seinem Hals:

»Mir ahnt, daß alles dort gut wird.«

 

Drüben hörte sie, die kleine Stadt Minhoao sei im Erdbeben eingestürzt. ›Ich bin darin umgekommen!‹ Sie lenkte die Nachricht bis zu ihm. Nun wartete sie.

›Was wird er tun?‹ sann sie im inneren Hof ihres fensterlosen Hauses, schaukelte sich und sann.

›Oh! Er wird großen Schmerz haben. Jetzt, da ich tot bin, liebt er mich wirklich. Kein Buch wird ihn mehr anziehen, er hat kein Ohr mehr für die Stimme einer Sängerin. Auch auf sein Tintenfaß aus altem Porzellan bin ich nicht mehr eifersüchtig. Mir ist wohl.

Wird er sich in die äußerste Wildnis flüchten? Wird er in großen Städten und bei Frauen sich zerstreuen wollen? Er wird nicht können; lieber läßt er sich von seinen Sinnen quälen, als daß er Selbstverachtung erträgt. Seit er mich kennt, macht jede andere Lust ihm Selbstverachtung. Ich fühle das jetzt; ich bin so glücklich, es zu fühlen. Welch guter Gedanke es war, den eigenen Tod zu genießen!

Aber nicht immer will ich ihn quälen. Ich habe ihn so lieb! Ich will ganz sanft sein. Wird er nicht herüberkommen? Die Stätte aufsuchen, wo ich umkam? Ich werde dort sein; ja, als Geist. Es wird eine Mondnacht sein. Er wird mir doch glauben, ich sei ein Geist? Und wenn nicht? Wenn nicht! Unsere Hände werden sich streifen: ich fühle, daß ich nichts hindern kann; und er hat meine Wärme gespürt. Er zieht mich herüber, wir sind einander so nahe, daß er meine lebenden Augen erkennt, in denen Liebe ist. Er zittert und schreit auf. Unsere Arme öffnen sich!‹

Sie zitterte selbst, hatte sich aufgerichtet und horchte, über die Mauern ihres geschlossenen Hauses hinweg, auf die dumpfe Stimme eines fern vorbeifahrenden Dampfers … Das Meer war wieder verstummt, und nur dahinten im Urwald schrien die Affen, wie Gemordete.

 

III

Eines Tages dann kam, von unbekanntem Absender, eine Kiste an. Manoella erblaßte. Sie ließ die Kiste in ihr Schlafzimmer setzen, die Nägel herausreißen und schickte den Neger fort. Halb zog sie die Tür zu; im Zimmer war nur noch graues Licht; und hob den Deckel. Er polterte hin, sie keuchte drüben im Winkel, die Brust an die Wand gedrängt, als wollte sie hindurch, und doch die Augen, die Entsetzen weitete, der Leiche zugewandt.

»Er hat sich getötet, weil er mich tot glaubte! Ich habe ihn getötet!«

Sie sank zusammen, sie rutschte auf den Knien ins Zimmer zurück. Ihr Gesicht war von Reue verstört, ihre erhobenen Hände baten verzweifelt.

»Wie weiß und scharf seine Miene! Und er hat Blut auf der Brust: schwarzes Blut! Georg!«

Aber sie fuhr zurück. Ihr Körper, der sich ihm hingeworfen hatte, war von ihm abgestoßen worden, von seiner hölzernen Härte.

»Was ist das? Dies Hemd läßt sich nicht falten, diese Hand ist unbeweglich, festgewachsen auf der Brust? Keine Grube kann ich in diese Wange küssen. Das alles ist Holz: steif und wild geschnitzt, greuelvoll bemalt: ein Götzenbild! Aber es zieht mich seltsam an. Was geschieht mir? Träume ich?«

Da fand sie seinen Brief.

»Du hast nun das Bild, das Du brauchst. Du wolltest mich leiden sehen; hier laß Dir mein Sterben vortäuschen. Nur eine Lüge: denn die Wahrheit bist Du nicht wert.«

Den Brief preßte sie auf ihre Lider. Sie wollte nicht weinen. Ungelindert sollte ihr Schmerz sie haben.

»Da war die Liebe! Nun er mich verachtet, weiß ich, wie sehr er einst mich liebte!«

In ihr rang es um Hoffnung.

»Er lebt! Was will alles andere! Er lebt, und ich kann vor seine Füße stürzen, seine Verzeihung anrufen. Er wird sie gewähren! – Ja: aber wird er verstehen? Werde ich mich ihm erklären können? Vielleicht wird er's nicht einmal wollen. War vielleicht froh, mich endlich aus seinem Herzen verstoßen zu dürfen. Ich machte allzuviel Unruhe darin … Nein, ich glaube nicht, daß er mich liebte. Ich glaube nicht«, sagte sie zu dem Holzbild, »daß du den Atem der Liebe mitbringst und daß du von seiner Liebe so wund bist. Du bist kalt. Ich bin mit dir allein.«

Sie sah um sich, über die tief beschatteten Wände hin. Auf jener leeren hing, kaum noch erkennbar, Christus.

»Als Kind kniete ich vor ihm, er erfüllte mir jede Sehnsucht.«

Sie betastete den Betstuhl, bog ein Knie.

»Es geht nicht mehr: zu sehr habe ich einen anderen geliebt.«

Sie schlich zurück, den Atem angehalten. Sie schob ihre Hand unter den hölzernen Nacken, hob das Bild – ihr Herz sprang wild auf – aus der Kiste, schleppte es keuchend zu ihrem Bett. Da stand sie noch und bangte – aber die Arme brachen ihr nieder von der Last, die Puppe fiel aufs Bett. Manoella sah sie an, und langsam kämpfte sich Erlösung aus ihrer gequälten Miene. Sie beugte sich über das Holzbild.

»Du wirst mir treu sein, wirst nur mich kennen und mich immer verstehen. Du mußt wohl, denn ich gebe dir ja meine Seele. Du wirst nur von mir leben und mit mir sterben. Drum kann ich dich lieben und deiner Liebe trauen: wie andere Frauen, denen die Welt zu weit und zu treulos war, jenem anderen Bild, dort drüben an der Wand, sich vertraut haben.«

Es dunkelte. Sie machte Licht, schloß die Tür und lauschte: die urweltlichen Einsamkeiten ringsum schickten Schattenlaute in dies klösterlich kahle, fensterlose Zimmer – und Manoella zog auch über den eigenen Nacken den Bettschleier, der um das Holzbild hing, und führte ihre Lippen seiner Brust entgegen und seiner gemalten Wunde.


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