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Stiller Gram.

Wir sprachen von dem Manne des Tages, von seinem Glücke und seinen Triumphen, von seinen ungeheuern Planen und den beharrlichen Anstrengungen, sie auszuführen, von dem Glanze, den er über die Geschichte seines Volkes und seines Zeitalters verbreitet. Der Gegenstand hatte uns erwärmt. Die alten größern Helden der Vorwelt gingen, im Gefolge ihrer kühnen Thaten, vor unserer Erinnerung vorüber; Marathon und Thermopylä glänzten uns mit ihren ewigen Trophäen und wir stimmten Alle darin überein, daß die Größe des Helden Alles in sich vereinigt, was der Mensch groß nennt.

Unser Adelbert war den ganzen Abend still und in sich verschlossen geblieben. Sein Geist, der sonst bei jeder edeln Anregung mit kühnem Fittich sich erhob, schien wenig Theil an unserer Unterhaltung zu nehmen, und als wir ihn endlich aus seinem dumpfen Hinbrüten aufwecken und in unser Gespräch ziehen wollten, sagte er etwas unwillig: »Der Gegenstand, worüber Ihr sprecht, kann mich heute nicht in Enthusiasmus versetzen, ich habe gerade heute Veranlassung gehabt, viel darüber nachzudenken, und es giebt Vergleichungen, die ihn seines Glanzes berauben.«

»Seines Glanzes berauben?« fragten wir Alle neugierig.

»Mein Bruder hat heute einer Begräbnißfeierlichkeit beigewohnt,« sagte Karoline lächelnd, »und das hat ihn verstimmt.«

»Verstimmt?« fragte Adelbert: – »das nun wohl eben nicht! ob aber nicht gerade bei dem Grabe, das ich heute zudecken sah, eine höhere Stimmung in mir entstehen mußte, als der Enthusiasmus für einen gepriesenen Helden? das wäre eine andere Frage.«

»Fast möchte ich fragen,« sagte Fritz; »was verstehst Du unter höherer Stimmung? Ich begreife wohl, wie man niedergeschlagen werden kann, wenn man sieht, wie unbedeutend das Leben der meisten Menschen hinschleicht, wie diese Summe von Kraft durch erbärmliches Treiben und Sorgen der Alltäglichkeit in kleine Münze verwandelt und nichtswürdig verschleudert wird, daß sich am Grabe oft noch weniger sagen läßt, als an der Wiege, wo man doch wenigstens von frommen Hoffnungen schwatzen konnte – aber eine höhere Stimmung?«

»Und doch!« erwiederte Adelbert fest, »oder glaubst Du, daß nur der äußere Glanz den Werth des Lebens und den Begriff der Größe bestimmt?«

»Du verirrst Dich in erbauliche Betrachtungen!« entgegnete Fritz etwas spöttisch. –

»Und ich glaube,« fuhr Adelbert fort, »wenn die Gräber reden könnten und die Geschichte wahr spräche, mancher unbekannte Name würde hoch glänzen und manche angestaunte Größe würde zusammensinken! – aber das ist es, die Erscheinung gilt Alles und liefert den Maaßstab!«

»Hm,« sagte Konrad, »wenn nun der Mensch nicht anders messen könnte, soll man deßwegen den Begriff der Größe aufgeben? Auch kümmert es mich wenig, ob die Geschichte wahr spricht oder nicht, genug, daß ich mich an dem Glauben der Wahrheit erwärme und erhebe.«

»O ja!« rief Karoline, »das Zergliedern! wie ist es mir verhaßt! Das Herrlichste und Schönste wird in lauter Einzelheiten aufgelöst, von denen jede so unbedeutend aussieht, daß man erstaunt, wie es möglich war, von dem Ganzen hingerissen zu werden?«

»Ihr versteht mich falsch,« sagte Adelbert ruhig, »eben darum, weil ich mit vollem Herzen achte, was wahrhaft achtungswerth ist, so muß mir das unerkannte und unbelohnte Verdienst höher erscheinen, als das gefeierte und gepriesene; so muß mir die Größe, die sich ohne Ruhm und ohne Belohnung aufopfert, heiliger erscheinen als die, welche Eure Helden, von Ehre und Ruhm gelockt, auf Kosten von Tausenden errangen. Was wären Eure Leonidas, Eure Cäsars, Eure Napoleons, ohne die tapfern Herzen gewesen, die ihr Blut für sie vergossen und deren Namen die Geschichte nicht nennt? Sie stehen hoch, aber ihre eigne Größe wird durch fremde, unerkannte emporgetragen, indeß das Verdienst, das nur durch sich selbst groß ist, im Dunkeln steht und seinen Namen nur in den Herzen weniger Freunde zurückläßt.«

»So wahr das Alles ist,« entgegnete Konrad, »so vermindert es doch die Bewunderung nicht, mit der ich die Thaten der Helden betrachte. Die wahre Würdigung des menschlichen Lebens gehört vor das Auge Gottes, der Mensch urtheilt nach dem, was zu seiner Kunde gelangt.«

Adelbert. Das ist es eben! Wenn Du einen Menschen gekannt hättest, dessen Leben eine ununterbrochene Reihe heldenmüthiger Entsagungen, eine fortdauernde aufopfernde Liebe gewesen wäre, und Du ständest nun an seinem Grabe und sähest, wie unbemerkt und unbekannt solch ein großes Herz auf der Welt lebte und von der Welt schied, wie weder die Achtung seiner Zeitgenossen, noch der Dank der Nachwelt ihn aufmunterte und belohnte – könntest Du in einer solchen Stimmung die Gepriesenen und Berühmten noch so ungetheilt bewundern?

Karoline. Du spannst unsre Neugierde. Warst Du je in dem Falle?

Adelbert. Heute zum ersten Male in meinem Leben.

Fritz. Seltsam, lieber Bruder, man sagte mir, Du seist bei dem Begräbnisse eines Frauenzimmers zugegen gewesen.

Adelbert. Eben da!

Fritz. Man sagte, es sei eine alte Jungfer gewesen.

Adelbert. So ist es!

Konrad. Eine alte Jungfer? Bruder, Du gefällst Dir in Paradoxen! Frage die ganze Welt, ob es etwas Entbehrlicheres und Nutzloseres gibt, als solch ein zweckloses Wesen.

Adelbert. Sagt das die ganze Welt? Nun so sagt die ganze Welt wieder einmal etwas Triviales, das ein Mann, der sich nicht unter der Menge verlieren will, nicht nachsagen sollte.

Karoline. Und willst Du uns nicht erzählen, wodurch diese Unbekannte Deinem Herzen so theuer geworden ist?

Adelbert. Was könnte ich Euch zu erzählen haben! Eure Phantasie ist mit Riesenbildern angefüllt, und das Leben meiner Verstorbenen war so still, so Tag für Tag langsam fortschreitend, keine einzige glänzende That erhob es, aber jeder Tag, jede Stunde war ein Triumph eines großen Herzens über ein unwürdiges Schicksal.

Karoline. Und Du traust uns nicht zu, daß wir das Große und Schöne auch ohne Glanz hochachten würden?

»Der Mann,« fuhr Adelbert fort, »sucht seine Größe in Thaten und Wirken, die Größe des Weibes liegt in der Demuth und in der Geduld. Die Leidenschaften, die den Mann emporheben, sind nicht die edelsten. Ehrgeiz und Ruhmsucht sind gewöhnlich die Triebfedern, die ihn zu großen Thaten aufreizen. Das Weib aber wird nur durch Liebe und durch Glauben zur Heldin. Der Mann denkt ewig nur an sich und bezieht Alles auf sein Selbst; das Weib vergißt sich völlig über den Gegenstand, dem ihr Leben gewidmet ist. Wenn der Mann untergeht, so zieht er Mehrere in seinen Fall hinab; das Weib trägt allein, und wenn ihr die Last zu schwer wird, so bricht ihr Herz allein. – Und daher kommt es, daß sich die Thaten der Männer prunkvoll erzählen lassen. Sie entstehen plötzlich, sie bestimmen das Schicksal einer Familie, eines Volks, der Welt, und einzeln stehen sie da wie glänzende Meteore in düstrer Nacht, wie Grenzsteine an neuen Abtheilungen der Weltgeschichte; aber bei dem Weibe muß man das ganze Leben erzählen, mit allen seinen Kleinigkeiten, denn eben dadurch ward es groß, daß es vermögend war, eine lange Lebenszeit hindurch in diesem drückenden Kampfe auszuhalten.

»Sollte man glauben,« sagte Karoline und zerdrückte lächelnd eine Thräne in ihrem Auge, daß diese feurige Lobrede aus dem Munde eines Hagestolzen gehen könnte?«

Konrad. Ein Epigrammenfabrikant würde sie gerade daraus erklären.

Adelbert. Ich denke, so ein kleiner Mensch ist nicht unter uns. Aber Du erinnerst Dich, Karoline, daß ich einmal nahe daran war, diesen Titel abzulegen.

Karoline. Ich erinnere mich nur, daß wir es einmal glaubten, denn Du selbst hast uns kein Wort davon gesagt, und noch bis heute hat meine Neugierde umsonst nach dem Wesen geforscht, die den Philosophen mit der Welt aussöhnen konnte und ihn …

»Halt!« unterbrach sie Adelbert, »mit der Welt ausgesöhnt? das war ich schon längst. So lange man noch Jüngling ist, mag es erlaubt sein, sich mit ihr zu zanken; aber wer den Streit länger fortsetzt, ist – wenigstens kein Philosoph. – Mir die kurze Zeit schöner zu machen, das, freilich das hätte sie wohl gekonnt!«

Adelberts unterdrückte Stimme und eine Thräne, die er umsonst zu verstecken suchte, verriethen seine Empfindung.

»Adelbert!« sagte Karoline und faßte seine Hand,« »Deine schwermüthige Stimmung – die Thräne, die Du mir vergebens verbirgst – o sprich! wo lebt sie, wo ist sie!«

»Still! still!« sagte Adelbert und legte seine Finger auf Karolinens Lippen. Dann setzte er leise hinzu: »Ich komme von ihrem Grabe, sie ist bei Gott!«

»Bruder!« riefen wir Alle, und umfaßten ihn und drückten seine Hände, und Karoline fiel weinend an seine Brust.

Fritz. Du bist unter den Deinen Adelbert, willst Du Deinen Kummer immer in Dich verschließen?

»Erzähle uns von ihr,« bat Karoline.

Adelbert drückte ihre Hand und sagte schwermüthig lächelnd: »Wirst Du sie dann lieb haben, Karoline?«

»Und Du zweifelst?«

»Wohlan denn!« fuhr Adelbert fort. »Ihr nennt mich verschlossen, und es ist wahr, ich spreche selten von dem, was meinem Herzen heilig ist. Mir scheint es, es könne Manches gar nicht, oder nur selten, zum Gegenstande des Gesprächs gemacht werden. Aber es sei! Ich fühle, es wird mir wohl thun, wenn ich Euch die Geschichte eines Mädchens erzähle, deren Leben unter Sorgen und Druck unbemerkt erloschen ist; deren Namen die Welt vergessen hat, die ich aber ewig wie eine Heilige achten und lieben werde, und deren Andenken ich auch in Eure Herzen legen möchte.«

Wir setzten uns schweigend um ihn, und er begann:

Konstantia Hill war die älteste Tochter eines reichen Kaufmannes in S… Ihr Vater war ein schlichter und gerechter Mann, der aber, wie fast alle Kaufleute, ja wie fast die ganze industriöse Generation unsrer jetzigen Zeit, Gelderwerb als den Zweck seines Lebens ansah. Er ließ seinen beiden Töchtern eine Erziehung geben, die seinen Vermögensumständen angemessen war, und die unter der unmittelbaren Leitung ihrer vortrefflichen Mutter stand. Sie waren beide noch Kinder, als sie das Unglück hatten, diese zärtliche Mutter zu verlieren. Ein Verlust, der, so wichtig er auch in der Zukunft für sie wurde, doch anfänglich keine bedeutenden Folgen für sie hatte, da ihre Erziehung den besten Händen anvertraut war. Im sechzehnten Jahre traten sie in die Welt. Der Ruf von den Reichthümern ihres Vaters, ihre Schönheit und die vollendete Erziehung, die sie genossen hatten, räumten ihnen in allen Gesellschaften den obersten Platz ein. Man beeiferte sich um ihre Gunst. Man fand keinen Zirkel angenehm, in welchem sie fehlten.

Konstanzens jüngere Schwester Julie war schöner, sie besaß jenes ungezwungene und einnehmende Betragen, welches die Herzen Aller gleich bei der ersten Bekanntschaft fesselt; sie hatte das seltene Talent, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten geltend zu machen, ohne dadurch minder bescheiden zu erscheinen; sie wurde daher Konstanzen, deren stille demüthige Seele mehr in sich verschlossen war und die deshalb für stolz galt, überall sichtlich vorgezogen. Aber weit entfernt, daß sich das fromme Mädchen dadurch hätte gekränkt fühlen sollen, erhob sie selbst ihre Schwester weit über sich, und sah in dem Vorzuge, den man ihr gab, nur eine gerechte Anerkennung der vortrefflichen Eigenschaften, die sie selbst an ihr bewunderte. Doch machte sie das Bewußtsein, ihre jüngere Schwester sei ihr in Allem unendlich überlegen, noch stiller und schüchterner, und es war schwer, so vertraut mit ihr zu werden, daß sie diese Schüchternheit ablegte.

Unter den jungen Herren, die in allen Gesellschaften vorzüglich Julien umringt hielten, war ein, dem Anschein nach, sehr liebenswürdiger Jüngling. Er bewarb sich eifrig um ihre Gunst, sie zeichnete ihn vor allen Uebrigen aus; er gestand ihr, daß das Glück seines Lebens in ihren Händen läge, und es gelang ihm, Juliens Liebe zu erhalten. Mit der reinsten Freude nahm Konstanze an dem Glücke ihrer Schwester Antheil. Der junge Mann ward von der ganzen Stadt glücklich gepriesen und beneidet, aber gewohnt, Alles mit kaufmännischer Vorsicht zu betreiben, wollte er die Glückwünsche seiner Bekannten nicht eher annehmen, bis er von Juliens Vater wegen der Mitgabe seiner Tochter Gewißheit erhalten hätte. Er wußte, der alte Hill hatte in den letztern Jahren beträchtlichen Verlust erlitten, und ungeachtet man ihn noch immer für sehr reich hielt, so glaubte doch der vorsichtige Freier, man könne nicht behutsam genug gehen. Eine Verbindung aus bloßer Neigung war in seinen Augen eine unverzeihliche Thorheit.

Die Unterhandlungen mit Juliens Vater hatten nicht den gewünschten Erfolg. Der alte Hill erklärte mit Offenheit, er könne seiner Tochter nur eine kleine Summe als Mitgabe auswerfen, der junge Mann bestand auf einer ungleich größern, die er für nothwendig hielt, um seine Geschäfte weiter auszubreiten und seiner künftigen Familie Unterhalt und Bequemlichkeit zu sichern. Der Handel um Julien, – denn was war es anders? – zerschlug sich. Der Vater kündigte es seiner Tochter selbst an. Er stellte ihr vor, daß er, ohne an ihrer ältern Schwester im höchsten Grade ungerecht zu handeln, die Forderung des jungen Mannes nicht bewilligen könne. Julie war außer sich, aber sie war eine gute Tochter, sie liebte Konstanzen zärtlich, sie erschrak vor dem Gedanken, ihr Glück auf Kosten dieser geliebten Schwester zu gründen, und versprach, sich dem Willen ihres Vaters unbedingt zu unterwerfen.

Konstanze erfuhr Alles. Sie drang mit den rührendsten Bitten in ihren Vater, dem Glücke ihrer Schwester nicht hinderlich zu sein, sie beschwor ihn, er solle auf sie keine Rücksicht nehmen, sie betheuerte, sie könne nur dann glücklich sein, wenn sie ihre Schwester glücklich sähe. Der Vater drückte sie mit Thränen der Freude an sein Herz, aber sein gerechter Sinn blieb unerschütterlich. Je mehr er den edeln Charakter seiner Tochter kennen lernte, desto mehr hielt er es für seine Pflicht, für ihr Schicksal zu sorgen.

Der junge Mann, der seine Liebe so glücklich mit seinem Kalkül zu verbinden gewußt hatte, zog sich zurück. Julie kämpfte mit einer Leidenschaft, die schon zu mächtig geworden war. Still und in sich gekehrt floh sie jetzt alle Gesellschaften; die Freuden der Welt schienen ihre reizenden Farben für sie verloren zu haben. Ein Jahr war vergangen. Sichtbar welkte Julie hin. Eine immerwährende Kränklichkeit zehrte an ihrem Leben. Sie verrieth Niemand die Ursache derselben, der Name des Jünglings ging nie über ihre Lippen; aber konnte Konstanzen die Quelle dieser Leiden verborgen bleiben? Vergebens hatte sie ihren Vater bisher mit Bitten bestürmt, er war unbeweglich geblieben. Jetzt wiederholte sie diese Bitte noch dringender; ihr Herz war von dem Gedanken zerrissen, daß ihre geliebte Schwester bloß ihretwegen so unglücklich werden sollte. Sie stürzte sich zu den Füßen ihres Vaters, und gerührt von dem beharrlichen Edelmuthe seines Kindes, ängstlich über den hinwelkenden Zustand Juliens, vielleicht auch geleitet von der Hoffnung eines ansehnlichen Gewinns, den ihm eine eben unternommene Spekulation versprach, gab er endlich nach. –

Die zerrissenen Bande wurden wieder angeknüpft, der junge Mann kam, er war wieder so zärtlich, so liebenswürdig wie ehemals. Mit ihm kehrte die Gesundheit Juliens und die Heiterkeit der ganzen Familie zurück.

Mit frohlockender Seele fiel Konstanze auf ihre Knie und dankte Gott, daß er ihren Bitten Kraft gegeben habe. Sie betete für das Glück ihrer Schwester, der sie Alles freudig aufgeopfert hatte. – An sich dachte das edle Mädchen nicht! Und als sie ihre Schwester zum Traualtare begleitete, klopfte ihr Herz noch höher für Wonne und für Freude auf, als das Herz der Braut, die sich nun, nach so vielen Schwierigkeiten, mit dem Manne verbunden sah, dessen Besitz ihr lieber als ihr Leben gewesen war.

Ein halbes Jahr war verflossen, und Konstanze bemerkte, daß Juliens Auge oft umwölkt war, daß ihre vorige Lebhaftigkeit von Tage zu Tage verschwand, daß sie etwas auf dem Herzen trug, was sie den Blicken ihrer Schwester zu verbergen suchte. Konstanze war zu bescheiden, um in das Innere der häuslichen Lage Juliens einzudringen, aber nur zu bald ward sie damit vertraut. Ihr Schwager war nicht der Mann, der im Stande war, den Gegenstand seiner Achtung und Liebe glücklich zu machen. So liebenswürdig sein Betragen gegen Fremde war, so mürrisch und übellaunig war er in seinem Hause. Juliens zarte Empfindlichkeit wurde durch diese üble Stimmung unaufhörlich verletzt; es kam zu Streitigkeiten, die zwar oft durch Versöhnungen beigelegt wurden, die aber immer häufiger und immer bitterer wieder eintraten. Konstanze litt unbeschreiblich.

In dieser Zeit war es, wo ich das edle Mädchen kennen lernte. Meine Geschäfte riefen mich oft in das Haus ihres Vaters, der Mann gewann mich lieb, ich ward in die Geheimnisse der Familie eingeweiht. Ich sah Konstanzens tiefes Leiden über das unglückliche Loos, das ihrer Schwester geworden war; aber ihre fromme, auf Gott vertrauende Seele hörte nicht auf zu hoffen und in demüthiger Geduld eine bessere Zukunft zu erwarten. Von der nahen Niederkunft ihrer Schwester versprach sie sich viel, sie hoffte, das Vatergefühl würde ihrem Schwager eine bessere Stimmung geben, und ihre arme Julie würde als Mutter einen Ersatz für das finden, was sie als Gattin verloren hatte. An diese Hoffnung hielt sie sich fest und tröstete auch ihre Schwester damit, wenn sie muthlos wurde, und dann und wann den Gedanken einer Scheidung zu äußern wagte. Aber warum hatte das Schicksal beschlossen, alle Hoffnungen, auf welche die fromme Seele baute, zu vernichten? Die so sehnlich erwartete Niederkunft erfolgte. Julie ward gefährlich krank, ihr so sehr gereiztes Nervensystem unterlag. Gott schied sie von einem Manne, der ihrer nicht werth war. – Sie starb. Ihr Kind folgte ihr wenig Wochen darauf nach. –

Konstanze stand am Grabe dieser geliebten Unglücklichen, für die sie ihr künftiges Schicksal aufgeopfert hatte. Und wie war diese Aufopferung belohnt worden! Stiller Gram und ein früher Tod waren das Loos der armen Julie geworden. Ich war Zeuge von Konstanzens tiefem Schmerze, aber ich sah auch das heilige große Vertrauen, mit welchem sich das fromme Mädchen in die Arme der Religion flüchtete. Ja, sie war es, und dankbar werde ich immer mich dessen erinnern, sie war es, die mich durch ihr Beispiel belehrte, die Religion sei nicht bloß Mittel zur augenblicklichen Erhebung, nicht bloß göttliche Poesie, sondern ein fester Stab auf mühsamem Wege, ein sichrer Anker zur Zeit des Sturms. Eine selige Ueberzeugung! der große Gewinn, den uns die Widerwärtigkeiten des Lebens zuführen!

Konstanze glaubte, der Tod ihrer Schwester sei das Härteste, was ihr das Schicksal aufgelegt habe. Glücklicher Irrthum, der uns die Zukunft immer in schönern Farben darstellt als die Gegenwart! Juliens Tod war nur der erste bittere Tropfen aus dem Kelche, den Konstanze leeren sollte.

Die kaufmännische Lage ihres Vaters fing an, von Tage zu Tage mißlicher zu werden. Jene Spekulation, die ihn hauptsächlich zu der raschen Einwilligung in Juliens Verheirathung vermocht hatte, verunglückte völlig. Er gerieth in ein Labyrinth von Sorgen und Mühseligkeiten, das nur einen traurigen Ausgang versprach. Mit kluger Vorsicht hatte sich sein Schwiegersohn gleich nach Juliens Tode von einer Familie zurückgezogen, deren Umgang ihn an eine lästige Dankbarkeit erinnerte. Eine noch reichere Heirath tröstete ihn bald über Juliens Verlust, und Konstanze war zu stolz, von den Händen eines Mannes Hülfe zu suchen, dessen gemeine Denkungsart sich in allen seinen Handlungen bewährte. Auch erlaubte ihr das zärtliche Andenken an ihre geliebte Schwester nicht, mit ihm, den sie für die einzige Ursache ihres Kummers und ihres frühen Todes ansah, in verwandtschaftlichen Verhältnissen fortzuleben.

Ein Kaufmann, der nichts Höheres kennt, als Gewinnst, der nach Zahlen berechnet werden kann, und der gewohnt ist, sich und sein ganzes Leben nach Prozenten anzuschlagen, ist das unglücklichste Geschöpf unter der Sonne, wenn ihm seine Plane mißglücken. Der alte Hill war in diesem Falle. Gesundheit und Muth verließen ihn. Mit Furcht und Schrecken sah er dem Schiffbruche seines Vermögens entgegen, und die Vorstellung von dem hülflosen Zustande, in welchem er sein einziges Kind hinterlassen würde, zehrte an seinem Leben und quälte ihn mit unaufhörlichen Vorwürfen über den Mangel väterlicher Gerechtigkeit, daß er den Bitten seiner großmüthigen Tochter nachgegeben habe. Aber mit welcher Zärtlichkeit, mit welcher edeln Standhaftigkeit bemühte sich dies vortreffliche Mädchen, die Leiden ihres Vaters zu erleichtern. Mit blutendem Herzen zwang sie sich oft zur Heiterkeit, um den gesunkenen Muth ihres Vaters wieder aufzurichten, mit ängstlicher Sorgfalt führte sie das sparsame Hauswesen fort und versagte sich mit Freuden jeden Aufwand, an welchen sie von Jugend auf gewöhnt war. Durch diese treue Hülfe ward es dem guten alten Manne möglich, eine Zeitlang über Krankheit und Unglück zu triumphiren und sich durch die drückendsten Handlungsverlegenheiten durchzukämpfen; endlich aber kam sie doch, die unglückliche Stunde, der er so angstvoll entgegengesehen hatte – er ward bankrott.

Eine schwache Hoffnung, sein zertrümmertes Vermögen mit Hülfe einiger Verbindungen, die er in Frankreich hatte, wieder herzustellen, bewog ihn, dorthin zu gehen. Konstanze wünschte ihn zu begleiten, aber er konnte es nicht über sein Herz bringen, seine Tochter den Beschwerlichkeiten einer Reise, die in dürftigen Umständen und mit so ungewissen Aussichten unternommen wurde, auszusetzen. Er vertraute sie also dem Schutze einer Tante, einer Wittwe, die durch ihre gute Pension und vorzüglich durch eine sehr ausgebildete Tugend der Sparsamkeit in Stand gesetzt wurde, in einem kleinen Landstädtchen eine recht ansehnliche Rolle zu spielen. Ihre gesunde, weder durch Liebe, noch durch Kummer, noch durch irgend eine andere Empfindung geschwächte Konstitution gab ihr in einem Alter von beinahe sechzig Jahren noch alle Kraft, nicht nur ihrem eigenen Hauswesen rüstig vorzustehen, sondern sich auch in die Geschäfte und Angelegenheiten Anderer zu mischen; und da sie ihren Morgen- und Abendsegen pünktlich las und keine Kirche versäumte, so glaubte sie ein ungezweifeltes Recht zu haben, ihre eignen Tugenden zu preisen und die Aufführung Anderer nach Belieben zu bekritteln. Sie nahm die unglückliche Konstanze bloß deßwegen in ihr Haus auf, um Jedem, der sie besuchte, in ihrer Gegenwart erzählen zu können, wie gut sie dem armen Mädchen da wäre, und wie sehr sie sich seiner annähme!

Mit demüthiger Ergebung ertrug Konstanze diese für ihr empfindliches Herz so harte Kränkung. Andere Umstände in ihrer jetzigen Lage schmerzten sie noch weit tiefer. Ihre Tante hatte den höchsten Widerwillen, ja, man konnte fast sagen, Abscheu gegen Lektüre und Musik, und doch war das die einzige Erholung Konstanzens, das einzige Mittel, ihren unter dem Drucke so vieler Trübsale gebeugten Geist zu stärken und zu erheben. Ihr Vater hatte mit zärtlichster Besorgniß eine auserlesene Büchersammlung und ein vortreffliches Instrument für sie gerettet; aber kaum hatte sie ein Buch in die Hand genommen, kaum zu singen oder zu spielen angefangen, so erhob sich eine Strafpredigt der Tante über gelehrte Frauenzimmer, die ihre Väter an den Bettelstab gebracht hätten und von der Gnade ihrer Anverwandten leben müßten – und Konstanze floh mit zerrissenem Herzen von ihrem Flügel und flüchtete sich in den einsamen Winkel ihrer Kammer, um ihren Schmerz durch Thränen zu erleichtern. So vergebens ihr Bestreben auch war, durch ein demüthiges Betragen, durch kleine Dienstleistungen, durch eine immerwährende Aufmerksamkeit auf alle ihre Launen das Wohlwollen dieser Frau zu gewinnen, so fuhr sie doch ununterbrochen darin fort, weil ihr dankbares Herz sich einer Person verpflichtet hielt, von deren Mildthätigkeit sie nun einmal abhing.

Mehrere Jahre waren ihr schon unter diesem harten Druck verflossen, und noch zeigte sich keine Aussicht zu einer glücklichen Veränderung. Das Schicksal ihres Vaters hatte sich nicht gebessert, die Hoffnung zu seiner Zurückkunft, auf welche die arme Konstanze wie auf ihre Erlösung gerechnet hatte, verschwand endlich ganz. In dieser unglücklichen Periode schrieb sie einen Brief an ihren Vater; sie schilderte ihm, doch mit möglichster Schonung, um den Unglücklichen nicht noch tiefer zu kränken, die traurige Lage, in der sie sich schon so viele Jahre befunden hatte, und bat ihn um die Erlaubniß, ihre Tante verlassen zu dürfen. Sie wollte durch Unterricht junger Frauenzimmer in weiblichen Arbeiten, in Musik und Sprachen, ihren Unterhalt zu erwerben suchen. Auf diesen mit dem kindlichsten Vertrauen geschriebenen Brief erhielt sie eine Antwort, deren Inhalt ich erst nach dem Tode dieses unglücklichen Mannes erfuhr.

Ich kam von meinen Reisen zurück. Die traurige Lage der Hill'schen Familie war mir bekannt. Das Bild der frommen Konstanze hatte mich überall begleitet. Ich beschloß, sie aufzusuchen.

Viele Jahre waren verflossen, seit wir uns nicht gesehen hatten. Die Schicksale, die meine unglückliche Freundin erlebt hatte, waren nicht von der Art gewesen, daß sie ihre Person und ihr Betragen vervollkommnen konnten. Ich fand sie auffallend verändert, und wie wäre es möglich, daß selbst das gebildetste Frauenzimmer in solchen Umgebungen leben könnte, ohne an ihren Reizen und Annehmlichkeiten zu verlieren! Die unerwartete Vergröberung ihrer Sprache und ihres Betragens erschreckte mich Anfangs, aber bald bemerkte ich, daß noch dieselbe geistvolle Zärtlichkeit, dieselbe Feinheit der Seele in ihr wohnte, die ich ehemals an ihr bewunderte. So sieht eine schöne Statue aus, die lange allen Angriffen einer bösen Witterung ausgesetzt war, die äußere Politur ist verschwunden, aber jene höhere Vortrefflichkeit ist geblieben, welche kein Einfluß eines ungünstigen Himmels zu zerstören vermag. – Sie nahm meinen Besuch mit jenem Uebermaaß der Dankbarkeit auf, womit liebenswürdige Unglückliche unerwartete Gefälligkeiten ihrer Freunde zu vergelten bemüht sind. Sie erzählte mir einfach, ohne Uebertreibung, selbst ohne Klagen, ihre unglücklichen Schicksale. Ich sprach von Veränderung, ich machte ihr Hoffnung, sie in das Haus einer meiner Verwandtinnen zu bringen, ich suchte sie von meiner innigen Theilnahme, von meiner unbegrenzten Hochachtung zu überzeugen. Ihr Auge glänzte vor Freude, aber auf einmal brach sie in Thränen aus und verließ mich. Kurz darauf kam sie zurück. Sie hatte eine Brieftasche in ihrer Hand, sie gab mir zwei Briefe und sagte mit Thränen: »Sehen Sie hier selbst, warum ich Ihr gütiges Anerbieten nicht annehmen darf.«

Ich las. Das erste dieser Papiere war die Abschrift jenes Briefs, den Konstanze an ihren Vater geschrieben hatte, der zweite enthielt seine Antwort. Der unglückliche Greis war durch den Verlust seines Vermögens, durch die Vorwürfe, die er sich über Konstanzens Unglück machte, durch die fürchterliche Vorstellung, daß dieses edle Mädchen durch Armuth und Hülflosigkeit der Verführung bloßgestellt wäre, und am Ende vielleicht zur Liederlichkeit und Verworfenheit herabsinken könnte, offenbar in eine Geisteszerrüttung gefallen. Der Ton seines Briefes verrieth das nur zu deutlich. Er war verworren, abgebrochen, mit der höchsten Leidenschaft geschrieben. Er beschwor, er befahl Konstanzen bei ihrer Tante zu bleiben, er drohte ihr, im Fall sie diesen letzten väterlichen Befehl übertreten würde, mit seinem Fluche, ja, seine Verwirrung war sogar so weit gegangen, diesen Fluch in den schrecklichsten, herzzerreißendsten Ausdrücken niederzuschreiben, und gleich darauf nahm er den rührendsten Abschied von seiner Tochter, segnete sie für ihre treue Liebe und tröstete sie auf ein fröhliches Wiedersehen in der Welt des Friedens und der Ruhe.

Gerührt von dem Wechsel menschlicher Schicksale, gab ich Konstanzen den Brief zurück. Ich stellte ihr vor, wie unrecht sie thäte, auf die leidenschaftlichen Worte eines alten Mannes, den Unglück und Krankheit seiner Besinnung beraubt hätten, so viel Gewicht zu legen. Aber vergebens waren alle meine Vorstellungen. »Was mir mein Vater befahl,« sagte das fromme Mädchen, »geschah immer aus Liebe zu mir, ich bin ihm im Leben stets gehorsam gewesen, versuchen Sie nicht, mich seiner Asche untreu zu machen.«

Der entschlossene Ton, womit sie dies sprach, das ruhige, obgleich in Thränen schwimmende Auge, womit sie mich ansah, überzeugten mich von der Festigkeit ihres Entschlusses, aber ich gab noch nicht alle Hoffnung auf. Hingerissen von so viel Edelmuth, legte ich alle Zurückhaltung ab, ich gestand ihr, daß ich sie von dem ersten Augenblicke unserer nähern Bekanntschaft an bewundert, verehrt, geliebt hätte, ich faßte ihre zitternde Hand und fragte sie, ob sie nicht mein Schicksal mit mir theilen, mich durch den Besitz eines so vortrefflichen Herzens glücklich machen wolle. –

Sie wendete sich von mir ab, ein Strom von Thränen stürzte über ihre blassen Wangen, sie kämpfte mit sich selbst, aber nur wenige Minuten, dann kehrte sie sich wieder zu mir. Sie sprach gefaßt, wiewohl mit gebrochenem Herzen: »Nein, mein gütiger Freund, ich kann, ich darf Sie nicht in mein unglückliches Schicksal verflechten; so viele Mühe ich mir auch immer gegeben habe, Menschen glücklich zu machen, es ist mir nie gelungen. Jetzt darf ich das weniger als je hoffen. Das Unglück hat mich sehr verändert. Ich hatte ehemals ein Herz voll Liebe und Freude! o mein Freund! jetzt ist es mir oft, als wenn mein Herz zu Stein geworden wäre, ich liebe nichts, ich wünsche nichts, ich sehne mich nach nichts, als – nach dem Tage meiner Erlösung.«

Diese Worte, mit der Miene der tiefsten Wahrheit ausgesprochen, raubten mir auf einen Augenblick allen Muth, ihr zu antworten. Und um meine Verwirrung vollkommen zu machen, trat jetzt die alte Tante in unser Zimmer.

Diese widerliche Person, die ihre gemeine Natur hinter ein Betragen voll affektirter Würde und kleinstädtischer Komplimente zu verbergen suchte, gab sich alle Mühe, mich angenehm zu unterhalten. Mit pöbelhaftem Scherz sprach sie von dem blassen Aussehen meiner Freundin, das sie ihrem einsamen Leben zuschrieb, und wie unrecht sie thät', sich darüber zu grämen, daß sich noch keine Partie für sie gefunden habe, da sie doch in ihrem Hause mit so viel Güte und Wohlthat überhäuft würde. Konstanze entfernte sich, und ich nahm kurz darauf auch die Gelegenheit wahr, mich von dieser unangenehmen Gesellschaft loszumachen.

Als ich zu Hause angekommen war, erhielt ich ein Billet von Konstanzen. Sie dankte mir mit den herzlichsten Ausdrücken für meine Theilnahme an ihrem Unglück und für die großmüthige Liebe, mit der ich ihr eine Veränderung ihrer Lage angeboten hatte, aber sie bat mich, ich möchte sie nie wieder besuchen. Sie suchte mich über ihr Schicksal zu beruhigen, sie machte sich Vorwürfe, daß sie mir ihre Lage so traurig geschildert hatte, sie wiederholte ihren Vorsatz, standhaft den Befehlen ihres Vaters treu zu bleiben, nur bat sie mich, ich möchte sie nie wieder auf eine so harte Prüfung stellen, sie nie wieder einem so schmerzlichen Kampfe mit sich selbst aussetzen, wie ihr mein heutiger Antrag verursacht hätte. Meine Freundschaft, sagte sie, sei das Einzige, was ihr auf dieser Welt theuer sei, und der Gedanke, daß noch ein Mensch lebte, der sie einst in glücklichen Zeiten geliebt und in ihrem Unglücke nicht verkannt hätte, mache ihr Muth, Alles getrost zu ertragen, was die Vorsehung über sie beschlossen habe.

Ich sah sie nun nicht wieder, aber unser Briefwechsel dauerte einige Jahre fort. Sie gab mir immer tröstende und beruhigende Nachrichten, sie klagte nicht, sie murrte nicht, sie trug gelassen und groß wie eine Heldin.

Vor ungefähr acht Tagen kam eine alte Aufwärterin in der Dämmerung zu mir und brachte mir ein Billet. Nothwendige Geschäfte verhinderten mich, es sogleich zu lesen. Erst den andern Morgen fiel es mir wieder in die Hände. Ich öffnete es. Es war von Konstanzen, aber mit unleserlicher Hand geschrieben. »Endlich, mein theuerster Freund,« schrieb sie, »ist die Aussicht zu einer baldigen Veränderung meines Schicksals da, ich werde eine weite Reise antreten, ich wünschte sehr, Sie vorher noch einmal zu sprechen, und ich hoffe von Ihrer Güte, Sie werden mir diesen Wunsch nicht verweigern.«

Voll Erstaunen, wie Konstanze hierher komme, und neugierig, das frohe Ereigniß zu erfahren, das eine solche Veränderung bewirkt hätte, eile ich in das angegebene Haus. Die alte Aufwärterin kommt mir auf dem Vorsaale entgegen. Ich frage nach Konstanzen. Sie führt mich leise in eine schwach erleuchtete Kammer, sie schlägt die Vorhänge von einem Bette zurück; ich trete hinzu, ich sehe Konstanzen abgezehrt und todtenbleich dem Augenblick ihrer Erlösung entgegenharren. Sie ward meine Bestürzung gewahr. Mit etwas unverständlicher, aber sanfter Stimme sagte sie: »Freuen Sie sich mit mir, mein Freund, daß es der Weisheit Gottes gefällt, mich meiner Lasten zu entledigen und in sein seliges Reich aufzunehmen.« Ich reichte ihr meine Hand, sie drückte sie schwach. Die Aufwärterin erzählte mir, eine Prozeßsache habe die Tante bewogen, hierher zu reisen. Die üble Witterung und die ungewohnten Strapatzen hätten meiner Freundin diese Krankheit zugezogen. Ich sprach von der Hoffnung ihrer Wiederherstellung, aber eine schnelle Röthe flog über ihr abgezehrtes Gesicht, und sie erwiederte heftig: »Können Sie wirklich so grausam sein, meine Wiederherstellung zu wünschen?«

Hierauf sprach sie sanfter: »Ich bin Ihnen noch einen Beweis meiner Liebe und meiner Achtung schuldig. Ich setze Sie zu meinem Erben ein. Schätze,« sagte sie schmerzhaft lächelnd, »habe ich freilich nicht; mein ganzes Eigenthum ist hier in diesem kleinen Koffer. Meine Sachen gehören meiner Tante, denn von ihrer Güte habe ich sie erhalten; aber meine Papiere, die Briefe von meinem unglücklichen Vater und die Aufsätze, die ich zu meiner Erheiterung niedergeschrieben habe, diese vermache ich Ihnen. Lassen Sie mein Andenken nicht in Ihrem Herzen erlöschen. Ich danke Gott, daß an meinem Sterbebette noch ein Mensch steht, der mich wahrhaft liebt. Und nun noch eine Bitte,« fuhr sie fort, »besorgen Sie mein Begräbniß, lassen Sie mich an der Seite meiner geliebten Schwester ruhen.« –

Ich versprach ihr Alles. Ich hielt ihre abgezehrte kalte Hand in der meinigen und benetzte sie mit meinen Thränen. »Nun, so wäre denn mein Haus bestellt,« sagte sie freudig, »und ich scheide von der Welt mit Dank und Liebe.«

Sie sank, vom Sprechen ermattet, auf ihr Kissen zurück. Sie fiel in einen sanften Schlummer, ihre Hand zuckte leise in der meinigen und – sie hatte vollendet. –

Wir saßen still und gerührt um unsern Bruder. Karoline weinte. »Warum,« rief Fritz, »mußte diese Blume auf so fremdem Boden verschmachten?« Aber Adelbert sagte tief gerührt: »Ich vergesse sie nie, so lange ich lebe!«

Ende des fünften Bandes.


Druck der Hofbuchdruckerei zu Altenburg.


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