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Lahoros, der König von Pera, hatte schon dreißig Jahre regiert. Er hatte keine Kriege geführt, keine Schulden gemacht, keine Günstlinge gelitten, keine Maitressen gehalten, und deßwegen sagten die Geschichtschreiber, es sei während seiner ganzen Regierung nichts Merkwürdiges vorgefallen. Da aber alle seine Vorfahren auf dieselbe Art regiert hatten, so war es dem Volke zur Natur geworden, seine Könige während ihres Lebens wie Väter zu lieben und nach ihrem Tode wie wohlthätige Götter zu verehren. Nur die Geschichtschreiber und Philosophen waren ganz außer sich darüber und stellten scharfsinnige Untersuchungen an: woher es wohl eigentlich komme, daß in Pera seit Menschengedenken kein merkwürdiger König auf dem Throne gesessen habe. Das Volk wußte, wie das gemeiniglich geht, die Ursache davon vollkommen. Es war die Göttin Almanzina, die Beschützerin des Reichs, welche das Volk aus besonderer Zuneigung vor merkwürdigen Königen bewahrte. Eine alte Sage ging, sie habe vor uralten Zeiten selbst das Land beherrscht, und von ihr rühre noch die Unschuld, die Treue und die immerwährende Heiterkeit her, welche das Volk noch bis auf den heutigen Tag vor allen Völkern Asiens auszeichnete. Dieselbe Sage verkündet, das alte verfallene Gebäude, in der Mitte der Stadt, welches den ehemaligen Königen zur Wohnung diente, sei von ihr selbst erbaut worden, und sie habe es zwar späterhin den Königen eingeräumt, aber sich ein Gewölbe, ganz im Innersten des Gebäudes, vorbehalten, worin herrliche Dinge wären, wo hinein aber Niemand kommen dürfe, wenn nicht die gütige Beschützerin zürnen und ihre liebevolle Obhut dem Volke entziehen solle.
Diese Sage nun hatten die Philosophen aus Gründen, die Geschichtschreiber aus Thatsachen, die Naturkundigen aus Erfahrungen, sattsam widerlegt; aber das Volk glaubte daran und war glücklich; die Könige richteten sich danach und waren geliebt. Auch war wirklich dieses heilige Gewölbe mit einer großen eisernen Thür und mit ungeheuern Schlössern und Riegeln verwahrt, und während diese das Gewölbe bewachten, bewachte eine Anzahl Soldaten im Vorgemache die Riegel und Schlösser. In dieses Vorgemach wurden nach uraltem ehrwürdigen Gebrauche die neugebornen Kinder der Könige gebracht, und die gütige Almanzina wurde gebeten, das Leben dieser Kleinen mit ihrem Schutze und mit allen den Herrlichkeiten zu beglücken, die in dem Innern des heiligen Gewölbes aufbewahrt waren. Je schöner diese Kinder heranwuchsen, je milder ihre Herzen, je frömmer ihre Sitten waren, desto fester glaubte das Volk an seine Wohlthäterin, und Idola, die einzige Tochter des alten Lahoros, bestärkte diesen Glauben vollends. Ihre herrliche Gestalt, ihr engelreines Herz machten sie zum Liebling Aller. Jeder sagte: »Wenn Almanzina einmal wiederkäme, sie müsse aus solchen Augen die Welt ansehen, aus einem solchen Munde ihre liebevollen Worte hören lassen, mit so holdseligem Liebreiz sich bewegen, sie müsse Idola's Gestalt annehmen, um von Allen angebetet und vergöttert zu werden.«
Deutsche Aufklärer wissen, wie schwer es ist, dem Volke seinen Glauben auszureden, und doch ist das deutsche Volk im Anhören so geduldig und im Verstehen so scharfsinnig, wie nur irgend ein Volk auf der runden Erde. Man denke sich also die Verzweiflung der Peranischen Klarmacher, die für ihre Reden keine Ohren, für ihre Beweise keine Aufmerksamkeit, für ihre gewagten Behauptungen keinen Muth fanden. Ein Glück für sie, daß derselbe Schutzgeist sie aufrecht hielt, der ihren zahlreichen Brüdern in allen Zeiten und an allen Orten beistand. – Sie hüllten sich in ihre Selbstzufriedenheit, verachteten Alle und vergötterten sich selbst.
Im achtundzwanzigsten Jahre der Regierung des Königs Lahoros begab es sich, daß ein fremder Pastetenbäcker durch Pera reisete, der in ungeheurem Rufe stand; und da es Sitte war, daß alle fremde Virtuosen, wenn sie nur irgend von Bedeutung waren, dem Könige ihre Künste zeigten, so versäumte der Pastetenbäcker nicht, seiner Peranischen Majestät die Aufwartung zu machen und ihr eine Pastete zu überreichen, aus der die Gewürze der alten und neuen Welt, zu einer köstlichen Sauce vermischt, in Wohlgerüchen aufdampften und selbst die abgestorbensten Geschmacksnerven zur höchsten Empfänglichkeit aufreizten.
Der König aß davon und fand sie köstlich, und weil er sie köstlich fand, aß er herzhaft darauf los und beschenkte den Virtuosen mit einer goldenen Dose zur Belohnung feiner Kunst. Und der Virtuose beschenkte den guten König zur Belohnung feines Appetits mit einer Magenkrankheit, welche die Hofchronik von Pera nach allen ihren Symptomen weitläufig beschreibt, weil ihr Verfasser, wie er selbst gesteht, den sonderbaren Glauben hatte, die Unpäßlichkeiten der Könige könnten nicht genau genug beschrieben werden. Warum er sie für so wichtig hält, setzt er nicht hinzu, und unterscheidet sich dadurch seltsam von andern Schriftstellern, die alle Warums bis auf das erste Warum zurückführen, wo sie verdrießlicher Weise auch stehen bleiben müssen.
Die Krankheit war hartnäckig. Alle Aerzte im ganzen Lande wurden nach einander zur Hauptstadt berufen, die erprobtesten Mittel gebraucht, ein System nach dem andern befolgt, aber der König ward gequält, die Aerzte wurden reich, die Systeme wurden gelobt und die Krankheit blieb. Da erschien auf einmal ein kleines buckliges Männchen in Pera, das sagte laut, es könne Alles, und es sei ihm ein Leichtes, dem Könige zu helfen. Auch theilte das Männchen gedruckte Zettel aus, worin es bewies, daß vor ihm weder Geist noch Verstand auf der Welt gewesen wäre, daß aber Beides in reichlichem und unerhörtem Maaße bei ihm anzutreffen sei.
Das kleine bucklige Männchen kam aus fremden Landen, kannte kein ander Vaterland als die Welt, keinen andern Gott, als sich selbst, und keinen höhern Verstand, als die kleine Portion, die zufälliger Weise in seinem kleinen Gehirne ihren Sitz hatte. Aber das Männchen hatte wirklich das Glück, daß sich die gesunde Natur des Königs gerade in dem Augenblicke selbst half, als er ihr durch sein Mittel helfen wollte, und der Königs der ein dankbares Herz hatte, schrieb diese Wohlthat der Natur auf Rechnung des buckligen Männchens, und gewann ihn lieb, und vertraute ihm seine Unterthanen an, wie er ihm seinen Magen anvertraut hatte.
Man würde aber wirklich dem kleinen Männchen zu viel thun, wenn man ihm nachsagen wollte, es habe gleich Anfangs seine Würde gemißbraucht. Es konnte nicht dazu kommen. Ungeachtet in seinem Köpfchen ein neuer Plan nach dem andern aufblühte, so war es doch ein großes Glück für das Land, daß einer den andern verdrängte, keiner bis zur Ausführung reif ward, und Alles so gerade und gut seinen Gang fortging, wie es bisher gegangen war.
Nur den guten König quälte der kleine Buckel mit immerwährenden Erzählungen von merkwürdigen Königen, die im Frieden wunderseltsame Anstalten gemacht und im Kriege ungeheure Thaten gethan hatten, daß sich der König oft selbst sehr klein vorkam, und fast noch kleiner wie der kleine Buckel. Aber wenn sich der alte Lahoros weiter nicht zu helfen wußte, so sagte er: »Almanzina ist weit klüger wie Du, kleiner Buckel, sie ist meine Freundin und die Beschützerin meines Volks, und durch sie geht Alles gut, warum soll ich mich quälen, merkwürdig zu werden?«
Das kleine Männchen fuhr aber fort und erzählte viel von der Süßigkeit des Ruhms und wie herrlich es sei, das Land zu vergrößern, die Schätze zu häufen, den Dichtern Stoff zu Gesängen und den Geschichtschreibern große Thaten zu hinterlassen. Freundlich antwortete ihm der alte König: »Sage mir, kleiner Buckel, was ist süßer als mein Leben? bin ich nicht ruhig unter dem Schutze meiner Göttin? bin ich nicht glücklich bei der Liebe meines Volks? und wenn ich sehe, wie meine Idola schöner blüht, als alle Blumen des Morgenlandes, was kümmern mich Deine Dichter, Deine Geschichtschreiber und Dein Ruhm?«
Der kleine Buckel zuckte die Achseln und dachte darauf, wie es anzufangen wäre, dem Glauben an die Göttin Almanzina einen tödtlichen Streich zu versetzen und den Liebling des Königs, die fromme, schöne Idola, von seinem Herzen zu entfernen. Und siehe da! es gefiel dem Schicksale, die erste Hälfte dieses Planes über alle Erwartung zu erfüllen.
Schon lange war der kleine große Geist um das geheime Gewölbe im Innersten des alten Palastes herumgeschlichen, aber Schloß und Riegel, Mauern und Wache setzten seiner Entdeckungslust undurchdringliche Grenzen. »Es ist nichts darin!« sagte er immer zu sich selbst, und doch kam ihm bei diesem Nichts ein Grauen an, das er sich nicht zu erklären wußte.
Eines Tages war er in das Stockwerk, das gleich e über dem Gewölbe lag, hineingestiegen. Er durchsuchte alle Winkel, klopfte an alle Mauern und fand endlich – wer beschreibt das Entzücken des kleinen Buckels? – einen Stein im Fußboden, der locker war. Sogleich machte er sich rüstig darüber her, hämmerte, wackelte, hob, drückte, bis auf einmal – ein Schauer fuhr dem kleinen Entdecker durch alle Glieder – der lockere Stein mit dumpfem Gepolter in das Gewölbe hinabfiel.
Eine gute Weile saß das kleine Männchen unbeweglich da und schöpfte tief Odem. Es war ihm wunderbar heimlich zu Muthe; ein leiser Frost schlich ihm über den ganzen Leib und klappte mit seinen Zähnen. Noch konnte er seine Heldenthat nicht recht begreifen.
»Vielleicht ein Schatz!« sagte er zu sich selbst, und seine Fingerspitzen wurden wieder warm. – »Possen!« rief er endlich und raffte sich zusammen und sprang auf. Er eilte nach Hause, holte Feuerzeug, ein Lämpchen und eine kleine Laterne, und schlich sich vorsichtig, um nicht bemerkt zu werden, wieder in das alte Gebäude. Kaum war er wieder bei seiner Fundgrube angelangt, so brannte er sein Lämpchen an, band sein Laternchen an einen Strick, warf sich der Länge lang auf den Fußboden hin und ließ die kleine Illumination ganz sachte in das Gewölbe hinab.
Der matte Schein des Lämpchens fiel an die großen, stillen, ehrwürdigen Mauern und schimmerte bleich an den kolossalen Säulen, welche das Gewölbe stützten. Der kleine Buckel stierte mit weit aufgerissenen Augen hinab, er schwenkte das Lämpchen hierhin, dorthin, nach allen Winkeln, überall sah er alte dicke Mauern, plumpe Säulen und alte verblühte Kränze, die zwischen ihnen aufgehangen waren. Nicht einmal eine Inschrift, über die sich eine Abhandlung schreiben ließ, nicht einmal einen Kasten voll Geld, der die Mühe gelohnt hatte, in dieses alte Dunkel hinabgeblickt zu haben. »Nichts!« rief der kleine Buckel und seufzte. –. »Nichts!« schallte ihm das dumpfe Echo des Gewölbes zurück.
Hat man einmal eine Entdeckung gemacht, oder nur irgend einen Satz zur Welt gefördert, der wie eine neue Entdeckung aussieht, so wandelt alle Menschen die Hühnernatur an, und es gehört ein sehr starker Geist dazu, nicht zu gackeln. Der kleine Buckel, der aber jeden Tag mehrere Male zu sich selbst sagte: »Ich bin ein großer Geist!« war eben deßwegen nur ein sehr schwaches Menschenkind, und das große Licht, das ihm durch sein kleines Lämpchen aufgegangen war, blendete ihn vollends. Wie Zentnerlast lag die wichtige Entdeckung auf seinem Herzen, und er schaffte sich Luft. Geheimnißvoll führte er erst einige hochgelehrte Herren zu dem Loche, – ließ sein Laternchen hinunter, ließ die Herren gucken, sehen, schwatzen, und war außer sich vor Freude, als man ihn bis zum Himmel erhob, feine Entdeckung pries und seinen Namen unter den berühmtesten Namen des Morgenlandes nannte.
Endlich überredete er auch den alten Lahoros, hinabzusehen, und sagte mit dem überlegnen Tone eines Mannes, der Alles vorausgesagt hat: »Da siehst Du nun, o König, daß die Weisheit aus mir gesprochen hat! In dem alten abergläubischen Heiligthume ist Nichts, und mein Licht hat Alles aufgehellt, was so viele Jahrhunderte in der tiefsten Tiefe verborgen war.«
Der König erschrak sehr und stutzte lange und sah mit betrübter Miene in das alte Heiligthum seiner Vorfahren hinab. Endlich aber sagte er: »Kleiner Buckel! ich sehe wohl, daß es bei Deinem Lämpchen aussieht, als wäre Nichts darin; aber ich denke doch, wenn man mit einer großen Fackel in diesem dunkeln Gewölbe herumginge, so würde man Manches erblicken, was Dein Lämpchen nicht sichtbar macht.« Da erwiederte das kleine Männchen: »Wie lange wirst Du noch an dem Aberglauben hängen, der Dich und Deine Vorfahren von der Reihe der Könige ausschließt, deren Namen die Geschichte werth hält, in ihre unsterblichen Bücher aufzuzeichnen?« Der alte Lahoros schüttelte den Kopf und sagte: »Kleiner Buckel, Dein verdammtes Lämpchen hat mich arm gemacht, und Du willst noch, daß ich mich meiner Armuth freue? Aber Eins bitte ich von Dir, sage meiner Idola nichts davon, sie wendet ihre stillen Gebete hierher, und wie die Blume ihren Kelch der Sonne öffnet, so schließt sie ihr reines Herz der Göttin auf. Laß mein Kind zufrieden und raube ihm seine Sonne nicht!«
So wenig sich der alte König davon merken ließ, so war er doch durch die Entdeckung des kleinen Buckels sehr beunruhigt. Sein festes Zutrauen war erschüttert, und es gab Augenblicke, wo er in seinem Kopfe einen ähnlichen Kitzel fühlte, wie der kleine Buckel in dem seinigen herumtrug. Der Gedanke, daß die ganze Geschichte von Almanzina eine fromme Fabel wäre, und daß im Grunde sein armes Volk keinen andern Schutz habe, als ihn selbst, machte ihm vielen Kummer. Es schien ihm, als müsse er wirklich dem kleinen Buckel folgen, nicht um berühmt zu werden, sondern um sein verwaistes Volk durch heilsame Vorkehrungen für die Zukunft zu sichern.
So war der Funken gefallen, der kleine Buckel blies, der Zufall begünstigte, und da der Frühling mit seinen Blumen und seinen Gesängen das alte glückliche Reich wieder besuchte, ward er mit kummervollen Gesichtern, mit Kriegsgeschrei und Waffenübungen empfangen. Der erste Schritt nämlich, den Lahoros zu Verbesserungen machte, war, daß er auf Anrathen des kleinen Buckels den Tribut verweigerte, den die Könige von Pera seit undenklichen Zeiten an Persien zahlten. Da gerade damals, ein Greis auf dem persischen Throne saß, der den Krieg nicht liebte, auf seine Rechte nicht eifersüchtig war und den unbedeutenden Tribut nicht vermißte, so schien das Wagstück eben nicht gefährlich zu sein, und der kleine Buckel triumphirte, und Lahoros glaubte auf die wohlfeilste Art eine merkwürdige That gethan zu haben. Aber die Szene änderte sich schnell. Der Greis in Persien starb, und Zerir, der junge Held, dessen feurige Seele nach Thaten dürstete, bestieg den väterlichen Thron. Ein neues Leben regte sich, mit Entzücken hörten die persischen Jünglinge den Aufruf zum Kriege, und Pera war das erste Opfer, was ihrem Muthe gebracht werden sollte.
Lahoros erschrak. Gern hatte er Alles bewilligt, um seinem Volke die gewohnte Ruhe zu lassen, aber der kleine Buckel sprach mit Zuverlässigkeit vom Siege und vom Ruhm und von der Unfehlbarkeit seiner weisen Maßregeln, ließ jedoch in der Stille seine Habseligkeiten zusammenpacken und schickte sie, als die ersten übeln Nachrichten vom Heere eintrafen, über die Grenze.
Der Morgen graute. Von kriegerischer Musik geweckt, sprang Zerir von seinem Lager auf und trat vor sein Zelt. Da trat Sahun zu ihm, der alte Vezier seines Vaters, und die Führer des Heeres umringten ihn, und die Jugend von Persien empfing den königlichen Jüngling mit Waffengeklirr und mit Freudengeschrei.
»Ihr habt wie Männer gefochten,« sprach Zerir, »nun gilt es, zu vollenden. In zwei Schlachten sind sie geschlagen; auf den Feldern, wo sie ihre Schwerter gegen uns wetzten, haben wir unsere Triumphlieder gesungen; aber der alte widerspenstige Fürst hat sich noch nicht den Siegern unterworfen. Hinter den Wällen seiner Stadt glaubt er unsere Siegerschritte aufzuhalten, aber laßt uns versuchen, ob seine Schutzwehr so mächtig ist, als er glaubt; denn glücklich muß vollbracht werden, was männlich begonnen war!«
Ein lautes Jauchzen beantwortete die Rede des königlichen Jünglings. Er bestieg sein Pferd und eilte, von seinen Heerführern umgeben, die Befestigungen von Pera zu untersuchen, hinter welche sich der alte Lahoros mit dem Rest seiner Treuen geflüchtet hatte. Er sprengte über das Schlachtfeld des gestrigen Tages. Bilder des Todes und der Zerstörung umgaben ihn; er bemerkte sie nicht. Das Aechzen hülfloser Verwundeter tönte durch die Lust; er hörte es nicht. Scharfsichtig, wie der Adler seinen Raub ausspäht, hing sein Auge an den Thürmen der Stadt und an den Befestigungen ihrer Mauern. »Ehe die morgende Sonne aufgeht, muß sie mein sein!« rief er, und die Heerführer, welche den Ungestüm des Jünglings kannten, schwiegen. Nur der alte Sahun sagte: »Herr, sie wird Dein sein, aber die Tapfern werden die Graben ausfüllen und die Feigen werden in die Stadt dringen und Gräuel der Plünderung verüben, und der Ruf dieser Thaten wird auch Dein sein!«
»Ich will nie alt werden,« rief Zerir entrüstet, »daß ich nicht schwach werde wie dieser Greis! Denkst Du mich durch das Gespenst zu schrecken, das Du Ruf nennst? Wer hat Dir verrathen, daß Feige in meinem Heere sind, und wer hat Dir gesagt, daß die Tapfern fallen werden? Bin ich nicht auch Einer von ihnen? Und soll es sein, so sei's! Mächtig und schnell wie die kühne That, so nahe sich mir ein rühmlicher Tod; ich fürchte ihn nicht, und keiner meiner Tapfern fürchtet ihn: aber unrühmlich abzuziehen von diesen Mauern und heimzukehren, ehe der alte trotzige Mann überwunden ist, das fürchte ich, und das fürchten sie Alle.«
Sahun sagte: »Mein Herr hat keinen Sohn in diesem Heere, und zu Hause wohnt ihm kein liebendes Weib, das mit Angst seiner Heimkehr wartet.«
»Macht Weiberliebe zaghaft,« erwiederte Zerir, »so mögen sie die Götter von mir entfernen. Mein Geist ist frei, und mein Herz ist kühn: so will ich bleiben bis ich ende.«
»Das Ende meines Herrn sei fern,« sagte Sahun, »und es nahe ihm nicht früher, bis sein menschliches Herz menschliche Freuden gekostet hat.«
Unwillig wendete sich Zerir von dem Greise zu den Führern seines Heeres. Verwegner Muth blickte aus Aller Augen. »Du bist kühn,« riefen sie, »wie der Adler, der über den Felsen schwebt, und muthig wie der junge Löwe, der nach Beute ausgeht. Führe uns, wir folgen Dir!«
In der einsamsten Laube ihres Gartens saß Idola. Der Morgenwind spielte mit ihren Blumen und flüsterte in den Blättern des Feigenbaums; Vögel wiegten sich singend auf allen Aesten; Bienen summten im Blüthenstaube, und lustig hüpfte der Bach mit kleinen Wellen zu ihren Füßen. Aber niedergedrückt von Kummer, hing das seelenvolle blaue Auge des Mädchens an dem Boden, und Thränentropfen glänzten an ihren Wimpern wie der Thau an dem zarten Rande der Rosenblätter. Leise war ihre Gespielin Alissa ihr nachgeschlichen; sie setzte sich zu ihr.
»Meine Idola weint?« sagte sie und faßte sie ans Kinn und hob das gesunkene Köpfchen in die Höhe.
»Es ist vorbei, Alissa! Ich fragte mich: »»Was soll ich thun bei den Leiden meines Volks und bei dem Kummer meines geliebten Vaters?«« Die Morgenröthe hat mir es zugeweht; nun weiß ich es!«
»Und Alissa darf es nicht wissen? Seit wann bin ich nicht mehr die Vertraute meiner Idola?«
»Ich will Dir Alles anvertrauen, Du Liebe; aber schließ' es tief in Deine Brust und bewahre das Geheimniß, bis Alles vollbracht ist. – »»Zerir ist ein wilder Jüngling,«« sagt man, und sein Zorn ist gegen meinen armen Vater entbrannt; aber werden nicht selbst Götter versöhnt, und lassen ihren finstern Zorn, wenn ein unschuldiges Opfer geblutet hat? Sieh', ich will mich aufmachen, und will zu ihm hinausgehen, und will mich zu seinen Füßen werfen und ihm sagen: »»Schone das graue Haar meines alten Vaters, verwüste nicht unsere Felder und tobte nicht unsere blühenden Jünglinge, sondern schlachte Dir ein Opfer, das Deinen Zorn versöhne, und laß mich das Opfer sein!««
»Nein, Idola! ich lasse Dich nicht. Willst Du dem jungen Leben entsagen, ehe seine schönsten Freuden Dir aufgegangen sind?«
»Wie oft hörte ich unsere Alten sagen, das Leben sei eine mühsame Reise auf einem stürmischen Meere! – Ich glaubte das nicht. Für Idola war das Leben ein Lustwandeln durch einen blüthenvollen Hain, wo überall Wohllaut tönte. – Ich Thörin, wie wahr ist ihr Spruch! Alissa, wer früh stirbt, schifft nur auf einem schmalen Arme des stürmischen Meeres von einer Insel zur andern!«
»Hab' ich doch Alles mit Dir getheilt, meine Idola, laß mich auch jetzt mit Dir gehen!«
»Nein, Alissa, Du sollst bleiben und glücklich sein! Das Herz, in welchem mein Andenken lebt, darf nicht mit mir untergehen.«
Von Schmerz überwältigt, sank Alissa an Idola's Brust; Thränen erstickten ihre Worte, sie schluchzte laut.
»Ist Dir denn aller Muth entfallen, meine Freundin?« fuhr Idola fort und drückte sie an ihr treues Herz. »Sich' doch rund um Dich her, wie Alles lebt und athmet in großem festen Vertrauen? Lustig hebt der Baum seine Aeste empor in die reine, leichte Himmelsluft, Licht und Wärme hofft er von ihr und milde Regentropfen, und sie giebt ihm, was er hofft; und die kleine Blume klammert sich mit ihren Wurzeln an die Erde; Nahrung und Gedeihen erwartet sie von ihr, und die Erde giebt Alles; und der Vogel fliegt fröhlich aus seinem Neste, fest vertrauend, daß ein günstiges Lüftchen ihm die Körnlein zuführen werde, wovon er lebt und seine Jungen nährt, und das Lüftchen kommt und füttert ihn. – Sieh', Alissa! und ich, ich sollte kleinmüthig sein? Nein, o Geliebte! wie sich die hohe Winde an den Palmbaum hinaufrankt und ihre zarte Rebe vor Stürmen schützt, so schlingt sich mein Vertrauen zu dem mütterlichen Herzen meiner Göttin hinauf!«
In ernsten Gedanken verloren, saß Alissa neben ihrer Freundin. Sie blickte gen Himmel, da theilten sich die Wolken und ein Sonnenstrahl fiel auf sie herab. Begeistert sprang Alissa auf, fiel an Idola's Brust, preßte einen langen ahnungsvollen Kuß auf ihre Lippen und eilte davon.
»Was eilt sie so,« sprach Idola, »und läßt mich allein? Wird sie auch mein Geheimniß bewahren?«
Sie stand auf und wollte nach dem Palaste zurückgehen, da fiel ihr Blick auf ihre Blumen.
»O lebt wohl, meine Lieblinge! lebt wohl! Ich werde euch nicht mehr pflegen, ihr lieben zarten Blumen! Umsonst wartet ihr nach einem heißen Tage auf Idola, daß sie komme und euch mit frischem Wasser kühle! Andere werden kommen und euch pflegen und eurer Schöne sich freuen; aber vergeßt Idola nicht! O blumenreiche Erde!« rief das Mädchen, und ihr Herz brach in Thränen, »gib Idola ein sanftes Lager in deinem mütterlichen Schooße!«
Schlaflose Nächte waren in dem Palaste der Könige von Pera eine unerhörte Sache. Aber der arme Lahoros hatte noch keine Nacht ruhig geschlafen, seit ihn der kleine Buckel unter die merkwürdigen Könige versetzt hatte. Dafür verfluchte er aber auch den kleinen Buckel, die Geschichtschreiber und alle Narren, die lieber berühmt werden als ruhig schlafen wollen. Herzlich gern hätte er jetzt den Tribut, der ihn in die schlimmen Händel verwickelt hatte, zehnfach bezahlt, wäre dadurch nur Alles wieder beim Alten gewesen; aber Zerirs Stolz, seine Kriegslust, seine weitaussehenden Plane schienen jeden Vergleich unmöglich zu machen.
Gleich Anfangs hatte der kleine Buckel gesagt: »Ew. Majestät, es gibt vier Welttheile, aber der kultivirteste von allen ist Europa; dort schießen und schlagen sich die Leute unter einander mehr todt, als in den drei übrigen zusammengenommen, und daher zieht das Land im Fache des Sengens, Brennens und Todtschlagens ganz unvergleichliche Künstler; ja, wenn man ein Hunderttausend solcher Subjekte hat, so ist man im Stande, die schwierigsten Sätze zu beweisen und die zweifelhaftesten Dinge klar zu machen.« Er hatte etwa ein Dutzend solcher Helden verschrieben und stellte sie dem Könige vor.
Lahoros, der wenigstens Riesen erwartet hatte, lachte laut auf, als er magere, kleine, geputzte Männer vor sich sah, die große Hüte und kleine Röcke, kurze Säbel und gewaltig dicke Stöcke trugen. »Und mit diesen Schwächlingen,« sagte er, »denkst Du die persischen Jünglinge zu schlagen?«
»Herr,« nahm einer von ihnen das Wort, »wir fechten nicht in der Nähe. Wir sind abgerichtet, aus der Ferne zu treffen und zu tödten, und das schwächste Kind kann den größten Helden erlegen.«
»O Schlangen!« rief Lahoros, »und wer hat Euch dazu abgerichtet?«
»Dieser Stock,« sagte der Soldat, »mit dem wir wieder Andere abrichten.«
»Nahe sich Keiner meinem Volke!« sagte der König und verließ das Zimmer.
Er wollte in den Garten gehen, um in der freien Luft seine Sorgen zu vergessen; aber vor der Thür des Palastes hatte sich eine ungeheure Menge Volks versammelt, und wie sie den alten König erblickten, fielen sie kniend auf die steinernen Stufen nieder und riefen um Hülfe. Da brach dem alten Lahoros das Herz. Schnell ließ er seinen Rath versammeln und setzte sich mit kummervollem Herzen auf den Thron seiner Väter.
Er schwieg, weil er so gewöhnt war, stillzuschweigen, wenn er sich gesetzt hatte, und das ganze Kollegium schwieg auch, weil es im Grunde nicht wußte, warum es zusammengekommen war.
»O König,« hob endlich der kleine Buckel an, »die Zeit Deines Ruhms ist gekommen; der tapfere Widerstand Deines Heeres hat ganz Asien mit Bewunderung erfüllt; die Mauern von Pera werden ewig bleibende Trophäen Deines Muthes werden, und die Nachwelt wird Dich erheben über alle Könige …«
»O Du kleiner buckliger Teufel!« unterbrach ihn der König; »ich weiß zwar eigentlich nicht, was das für ein Ding ist, das Du Nachwelt nennst, aber wenn die Nachwelt so spricht, wie Du da gesagt hast, so gebe ich nicht so viel auf das alberne Geschwätz. Geschlagen sind meine Truppen, mein Volk ist verarmt, die Göttin Almanzina hat uns ihren Schutz entzogen, weil Du sie mit Deinem verdammten Lämpchen beleuchtet hast, und seit ich berühmt worden bin und ganz Asien von mir spricht, sind meine Tage voll Sorgen, meine Nächte ohne Schlaf und meine Unterthanen in Verzweiflung. Und daran bist Du schuld und Deine kleine Laterne und das verwünschte Ding, das Du Nachwelt nennst!«
Da erhob sich der ganze Rath und sagte: »O König, erlaube uns, daß wir dem kleinen Buckel den Hals brechen!«
»Laßt ihn in Frieden ziehn,« sagte der alte Lahoros; »mag er doch andere Könige merkwürdig machen, denen das Ding besser bekommt, wie mir und meinem Volke.«
Grimmig rannte der kleine Buckel aus dem Saale, und ein lautes Gelächter begleitete ihn.
Zerir machte seine Anordnungen für den künftigen Morgen. Ehe der Tag anbrach, sollten die Wälle von Pera erstürmt sein. Sein Zelt wimmelte von Kriegern, die seine Befehle erwarteten. Da drängte sich schnell durch den dichten rohen Haufen ein Mädchen hindurch; ihr langes schwarzes Haar floß aufgelöst um ihren Nacken; ihr Herz schlug ängstlich wie der Fittich der Taube, die ein Raubvogel mit seinen Klauen gepackt hat; ihr schüchternes Auge durchflog die Versammlung und suchte den König. Sie fand ihn und stürzte zitternd und athemlos zu seinen Füßen. Stillschweigend, mit edlem Ernst, traten die Krieger zurück.
Betroffen über die ungewohnte Szene stand Zerir da und beugte sich unwillkürlich zu der schönen Gestalt herab, die wie leblos zu seinen Füßen lag. »Wer bist Du und was willst Du?« sagte er endlich mit freundlichem Tone.
Erstaunt blickte das Mädchen empor. »Das ist nicht die Stimme eines blutdürstigen Kriegers,« rief sie, »das ist nicht das Auge eines Verderbers! Man sagt, Du habest kein menschliches Herz, Tödten sei Deine Lust und Verheeren Deine Freude, und ich komme her und bringe mich Dir selbst zum Opfer! Tödte mich! aber schone das graue Haupt unsers Königs und erbarme Dich des unschuldigen Volkes!«
»Ich bin nicht blutdürstig,« sagte Zerir, »aber die Weichlichkeit ist mir verhaßt und Buhlerkünste verführen mich nicht! Sage mir, wer bist Du?«
»Ich bin Alissa, die Freundin Idola's, der Tochter unsers Königs. Idola wollte selbst zu Dir kommen und sich dem Tode überliefern; aber das Opfer wäre zu theuer gewesen. Ganz Asien würde trauern, wenn seine schönste Zierde gefallen wäre. Ich aber sterbe für Idola gern.«
»Wer hat Dir eingegeben, so mit mir zu sprechen?«
»Bei den Entschlüssen der Männer,« sagte das Mädchen, »sitzt der Verstand zu Rathe, aber das Weib, o Herr, folgt den Eingebungen seines Herzens!«
»Bin ich denn ein Tiger, der in eine friedliche Herde einbricht und zur Lust würgt? Glaubst Du, ich sei fähig, ein unschuldiges Weib zu tödten, das sich mir selbst überliefert?«
»O Herr, werden doch auch die Götter versöhnt, wenn das unschuldige Lamm auf ihren Altären blutet. Nimm Du mich auch zum Opfer und schone meiner Idola und ihres Vaters!«
»Ich hasse die Götter, die sich so versöhnen lassen! Ich bin ein Mensch, und mein alter Sahun sagt, ich sei ein wilder Mensch, aber so wild und so grausam wie Deine Götter bin ich nicht!«
»Und doch, o Herr, hast Du unser friedliches Land mit Krieg überzogen? hast unsere blühenden Jünglinge in die lange Nacht hinübergeschickt, da ihnen das schöne Leben noch so lieb war? Hast Du da nicht gehandelt wie die grausamen Götter, die Tausende vertilgen um Eines Schuldigen willen? O, laß Dich auch versöhnen wie sie. Nimm ein unschuldiges Opfer und wende Deinen Zorn?«
Sahun trat hervor und sagte: »Mein Herr lasse die Rede dieses Mädchens zu seinem Herzen gehen; sie will ihr Leben opfern für ihre Freundin und ihr Vaterland: gewiß, mein Herr opfert ihr seinen Ehrgeiz und schickt sie mit Worten des Friedens in ihre Vaterstadt zurück!«
»Hast Du vergessen, alter Mann,« sagte Zerir, »daß List und Betrug durch das Weib in die Welt gekommen sind? Glatte Worte, sagt man, gehen über ihre Lippen, und heuchlerische Thränen fallen aus ihren Augen, aber in ihrer Brust sitzt ein Herz, das über den Betrug lacht und des Betrogenen spottet!«
»Fesselt sie!« rief er seiner Wache, »daß sie nicht entrinne! Hat sie wahr gesprochen, kommt sie wirklich aus eignem Antrieb und aus Liebe zu ihrer Freundin – Zerir wird ihr dann die Fesseln selbst abnehmen und sie ehrenvoll entlassen: hat sie aber eine Rolle gespielt, so soll der Künstlerin der Lohn nicht entgehen!«
»Für meine Idola!« rief Alissa und küßte die Ketten, die man an ihre zarten Hände legte. »Solltest Du Idola kennen,« fuhr sie gegen Zerir fort, »o Herr, Du würdest meinen Worten glauben und mich um diese Fesseln beneiden!«
»Spare Deine Reden,« erwiederte Zerir, »ehe die morgende Sonne aufgeht, werde ich vor Idola stehen, denn noch diese Nacht erstürme ich die Stadt!«
Ohnmächtig sank Alissa in die Arme des alten Sahun.
Wüthend über den Schimpf, der ihm widerfahren war, war der kleine Buckel aus der Versammlung fortgerannt. Sein Leben war ihm unerträglich, die Welt war ihm zuwider, sein Stolz war zu tief gekränkt, seine Rache kochte um so bitterer, da ihm alle Kraft fehlte, sie fühlbar zu machen.
Aus Furcht, dem erbitterten Volke in die Hände zu fallen, flüchtete er in den alten Palast. »Die Dummheit,« sagte er höhnisch, »hält ihn für heilig: hier werde ich sicher sein, bis die Nacht anbricht.« Keine Wache verhinderte ihm den Eingang. Man hatte alle Mannschaft auf den Wällen nöthig.
Schleichend trat er in das Vorgemach. Idola kniete hier im stillen Gebete; sie bat die Göttin um Schutz und Kraft zu ihrem großen Unternehmen. Wenn die Sonne hinter die Berge hinabsinken würde, wollte sie ihren Entschluß ausführen und sich zum Opfer stellen für ihren alten Vater und für das unglückliche Volk.
Der kleine Buckel öffnete den Mund, um über das fromme Mädchen zu spotten, aber eine unbekannte Macht schloß ihm die Lippen; er zitterte und flüchtete sich in den entferntesten Winkel. Idola bemerkte ihn nicht, sie fuhr in ihrem stillen Gebete fort. Alles Heilige und Große war in ihr Herz eingezogen und erfüllte sie mit Freudigkeit und Ergebung. Und als das fromme Mädchen so glaubend und vertrauend mit ihrer Göttin sprach, da öffnete sich die große eiserne Thür des Gewölbes, und ein Wohlgeruch strömte auf Idola zu, und eine leise melodische Stimme sprach: »Idola, fürchte Dich nicht, Deine Mutter ruft Dich, Deine Göttin wird Dich schützen!«
Zitternd schlich Idola näher. »Ich komme, meine Mutter,« lispelte sie leise und trat über die Schwelle des Gewölbes.
Der kleine Buckel hatte in seinem Schlupfwinkel kein Auge von Idola verwendet; er sah jetzt, daß sie in das Gewölbe hineinwankte. Ein teuflischer Gedanke fuhr in ihm auf. Grimmig wie eine Katze sprang er nach der Thür, warf sie zu, daß es im ganzen Palaste wiederhallte, schob die schweren eisernen Riegel vor und rief hohnlachend: »Da warte auf Deinen Befreier!«
Er horchte lange an der Thür, ob er nichts von Idola höre, aber Alles um ihn her blieb still und stumm wie das Grab. Die Neugier trieb ihn in das obere Stockwerk. Er suchte die Oeffnung, die ihm einst zu seiner wichtigen Entdeckung geholfen hatte; sie war nicht mehr zu finden. Aber noch standen die Werkzeuge da, die er damals gebraucht hatte: das Feuerzeug, das Lämpchen und die Laterne.
»Ich will heute ein helleres Licht anstecken,« sagte der Bösewicht und beschloß, wenn es Nacht würde, das alte Schloß in Brand zu stecken. Der kleine Buckel hatte die Welt in Brand gesteckt, wenn sein Lämpchen nicht zu klein dazu gewesen wäre.
Die Nacht brach an. Ruhe herrschte über der ganzen Gegend, und das Heer rückte mit fürchterlicher Stille gegen die Stadt. In finsteres Schweigen versunken, ritt Zerir an der Spitze seiner Truppen. Sahun war ihm zur Seite.
»Wenn das Mädchen wahr geredet hat,« brach Zerir endlich das Stillschweigen, »so möchte ich wohl die Idola sehen, von der Jedermann mit Entzücken spricht und der zu Liebe sie ihr Leben so freudig aufopfern wollte.«
»Sieh' Deine Tausende an, mein Herr,« sagte Sahun, »opfert Dir nicht Jeder von ihnen willig und gern sein Leben?«
»Nein!« rief Zerir, »so nicht wie sie! Einige treibt der Ruhm, Wenige die Vaterlandsliebe, die Meisten zwingt gewohnte Unterwürfigkeit; aber aus Liebe für mich? – Nein, Sahun, täusche mich nicht!«
»Ich wünschte,« erwiederte Sahun, »daß mein Herr in Frieden zu dieser Stadt zöge, und nicht als Ueberwinder ihres Vaters vor Idola's Augen träte!«
»Laß das gut sein, alter Mann! Dem Greise soll kein Leid widerfahren; aber soll ich von mir sagen lassen, ich sei durch glatte Worte überwunden und mitten im Laufe meiner Siege durch ein schönes Weib aufgehalten worden?«
»Wie wahr hat mein Herr gesprochen, daß nur der Ruhm die Männer treibt, und daß das reine Herz nur ein Erbtheil des Weibes ist!«
»Also Du an meiner Stelle?«
»Ich würde dem alten Manne Frieden bieten und seine schöne Tochter als Weib heimführen und von mir sagen lassen: »»Zerir ging aus, Ruhm einzuernten, und hat das Glück seines Lebens erobert!««
»Sahun, ich verstehe Dich nicht; das sehe ich wohl, daß Dein Glück eine andere Gestalt trägt, wie das meinige, und daß die Welt in Deinen Augen sich anders spiegelt: aber ob es daher kommt, daß Du weiser bist als ich, oder nur daher, daß Dein Haar grau ist und Dein Herz nicht mehr so kräftig schlägt wie das meinige, das weiß ich nicht.«
»Mein Herz hat so geschlagen,« erwiederte Sahun, »wie das Deinige; aber, o Herr! es hat nicht-eher Ruhe gefunden, als bis es aufhörte so zu schlagen.«
Während dieser Unterredung waren sie nahe an die Walle der Stadt gekommen. Noch war Alles ruhig. Kein Wachtfeuer brannte, kein Anruf der Wachen unterbrach die nächtliche Stille. Zerir ließ seine Truppen Halt machen und schickte Kundschafter gegen die Thore der Stadt.
Er ordnete sein Heer. Die Kundschafter kamen zurück und sagten: »In der Stadt ist Alles ruhig wie im tiefsten Frieden; unbesetzt sind die Wälle, die Thore stehen offen, im festen Schlafe liegen die Einwohner; mache Dich auf und überfalle sie, kein Widerstand hält Dich zurück!«
»Nein!« rief Zerir. »Gegen wehrhafte Männer bin ich ausgerückt, aber nicht gegen Schlafende! Keiner wage es, Hand an einen Wehrlosen zu legen! Haben sie friedlich die Thore geöffnet, so will ich friedlich bei ihnen einziehen!«
Er ließ das Heer lagern und brach mit einer kleinen Anzahl auserlesener Truppen nach der Stadt auf.
Nahe am Thore schlüpfte eine kleine Gestalt bei ihm vorüber. »Wer bist Du?« rief Zerir.
»Ich will zu Zerir,« sagte zitternd der kleine Buckel; »und bringe ihm willkommene Botschaft; bringt mich zu ihm.«
»Rede! Du stehst vor ihm,« sagte Zerir.
»Herr, wenn Du der Mann bist, vor dessen Namen Asien zittert und der seine Lust hat an dem Verderben seiner Feinde, so nimm Deinen Knecht mit Wohlgefallen auf und beglücke ihn mit Deiner Gunst.«
»Womit glaubst Du sie verdient zu haben?« fragte Zerir.
»Sieh', Herr, den Rauch, der über jenem alten Thurm emporsteigt! Die Flamme greift schon um sich. Das ist mein Werk! Idola hat sich dorthin geflüchtet, und der alte einfältige König glaubt dort sicher zu ruhn; aber in wenig Augenblicken stürzen die brennenden Trümmer über die Häupter Deiner Feinde, und Du triumphirst, und ich bin gerächt!«
»Ungeheuer! Dein Lohn soll Dir werden! Nehmt ihn fest!« rief Zerir und sprengte durch die Thore der Stadt.
Die Flamme war ausgebrochen. Aengstlich eilten die Einwohner zur Rettung herbei. Zerir war mitten unter ihnen. Begeistert von dem Beispiele ihres Helden, stürzten sich seine Truppen in die Flammen, und in wenig Minuten war die Gefahr vorüber.
Unwissend, daß der gefürchtete Held vor ihnen stand, nannten ihn Alle ihren Retter und überhäuften ihn mit Dank und Segenswünschen, und der alte Lahoros drückte ihm die Hand und sagte: »Komm', Fremdling, ich will Dich zu meiner Idola führen, daß sie Dir danke; Du hast das Heiligthum ihrer Göttin gerettet.«
»Wo ist Idola?« fragte Zerir. »Hier!« antworteten unsichtbare Stimmen, und die große eiserne Thür des Gewölbes sprang aus ihren Angeln, und ein weiter prächtiger Saal eröffnete sich. Tausend Kerzen flammten an den Wänden umher, die Säulen waren mit frischen Blumenkränzen behangen, in der Mitte brannte ein Opferaltar mit heiligem Feuer und im Hintergründe erhob sich ein prächtiger Thron. Almanzina saß darauf, und Idola lag zu ihren Füßen wie das Lamm zu den Füßen seiner Hirtin.
Betroffen trat Zerir zurück. Sein Blick ruhte auf Idola's herrlicher Gestalt. Idola's Auge hing mit Wohlgefallen an dem stolzen Blicke des Jünglings.
»Tritt näher zu meinem Throne, Du junger Held!« rief Almanzina.
»Deine Stimme klingt wie die Stimme meiner Mutter,« sagte Zerir; »wer bist Du, große Fürstin?«
»Ich heiße Almanzina, die Freundin der Menschen; mein Reich ist das stille Reich des Friedens, der Liebe und des Vertrauens.«
»O Mutter,« erwiederte Zerir, »dann bin ich nicht Dein Sohn! Wild ist die Brust des Jünglings, unruhig sein Streben, ewig wechselnd schweifen seine Wünsche umher!«
»Des Mannes Kraft,« sagte Almanzina, »und die Sanftmuth des Weibes sind gleich werth geachtet vor den ewigen Göttern; aber wo sich beide in Liebe vereinen, da feiert die Natur ihr schönstes Fest, und Almanzina segnet ihre Verbindung.«
»Dem Erretter,« fuhr sie fort, »bin ich Dank schuldig, und dem Sieger gebührt eine Belohnung. Nimm Idola, meinen Liebling, von meiner Hand, sie sei Dein Weib!«
Und sie führte das erröthende Mädchen dem Jünglinge herab, und Zerir faßte ihre Hand und sagte: »Idola! willst Du mein sein?«
»Gieb Frieden unserm Lande, o Jüngling, ehre dar graue Haupt meines Vaters und liebe meine Göttin, so will ich Dein sein!«
»Frieden mit aller Welt!« rief Zerir, »Du bist mein Weib!«