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In der allgemeinen Verfinsterung geschahen plötzlich verheißende Zeichen. Am Horizont flammte es auf. War es die Morgenröte einer neuen Zeit? Vielleicht. Vorerst war es nur die Juli-Revolution in Frankreich.
»Viktoria!« schrie Bauernfeld. Er stürmte schon mit fliegenden Fahnen der Zukunft entgegen. »Jetzt fort mit Streusand, Aktenstaub und Zensursverordnungen. Faszikeln hinhauen, einen Strich über den ganzen Quark machen, die Amtstüren aufreißen, daß ein bissel Luft und Licht rein kann, ein bissel Freiheit, damit die Talente im alten Österreich sich auch einmal rühren können ...« Ganz wie der Mayrhofer immer geredet hatte. »Preßfreiheit, Denkfreiheit, Redefreiheit, Aktionsfreiheit!«
Aber der Mayrhofer war einer, der die Faust in der Tasche machte, sich geduldig hinsetzte, Papier verschrieb, Akten häufte, Streusand vergoß und von Amts wegen jede freiheitliche und geistige Regung weiterknebelte. Mein Gott, was soll denn der Mensch machen; der Österreicher kann aus seiner Haut nicht heraus, noch weniger wenn er ein Beamter ist, und damals erst recht nicht. Also die großen Gedanken schön still im Herzen pflegen und nicht gemuckst!
»Freunde!« Bauernfeld sah sich um, wo waren denn die Freunde? Er sah keinen um sich, Schubert tot, Schwind in München, wo sein Stern aufging, Mayrhofer versetzt in Josefstadt, Schober in Ungarn bei dem Grafen Festeticz. Er stand allein. Seine Begeisterung war rasch gekühlt. Gemach, gemach!
Zwei Jahrzehnte mußten überdauert werden, die jämmerlichen dreißiger Jahre und die noch jämmerlicheren vierziger Jahre. Alles Große mußte jetzt schweigen, wie Grillparzer nun schwieg. Ein kleinliches, nichtiges Geschlecht mußte überdauert werden, das dreist den Platz der Großen einnahm; Strauß und Lanner an Stelle Beethovens und Schuberts, Nestroy an Stelle Grillparzers und Raimunds, den lieben Dichterzauberkerl der Vorstadtbühnen, – und dennoch erfüllten diese Kleinen den Zweck, die ganze Haltlosigkeit der Zustände zu offenbaren. Die Wirkung der Flammenzeichen von draußen zu Beginn der dreißiger Jahre war die, daß der Polizeidruck im alten Österreich noch größer und die Zensursverbote verschärft wurden.
Der junge Bauernfeld harrte aus. Er war die muntere Forelle, die sich den Wasserfall hinaufschlängelt, er, der bereits in den dreißiger Jahren für die Zeit nach 48 kämpfte und den Lichtstrahl neuer Auferstehungen ahnte.
Oh, sie mußten kommen, diese Auferstehungen; der göttliche Funke konnte nicht mehr untergehen, nachdem er einmal über der Welt geleuchtet hatte. Der große Sang, der sich in den zwanziger Jahren erhob, war zwar jetzt verstummt, aber jenseits der großen, beginnenden Finsternis mußte er wieder laut ertönen, das sollte dann ein Auferstehen werden! Beethoven, Schubert – und auch Grillparzer, der bis dahin lebendig Eingesargte! Ob er wohl in der trüben Zeit diese Hoffnungen hatte? Oder an sich verzweifelt war? Aber das hatten die Nornen seines Schicksals nicht gewollt, vor allem jene Mittlere nicht, die ihm zu seinem Glück auch das Leid schuf.
Wieder wurde der Dichter viel in den Zeitungen genannt, verhöhnt, verspottet und gegeißelt. Er war abermals das Tagesgespräch geworden.
»Was s' denn nur gegen ihn haben, daß sie gar so herfallen über den armen Grillparzer?« sagte die gutmütige Hofrätin von Chezy beim Tee zu Bauernfeld, der die lebendige Zeitung war.
»Sein Gedicht auf des Kronprinzen Genesung wurde von oben übel vermerkt,« erklärte der Räsonneur. »Man wittert in dem Refrain des Gedichtes »Du bist gut« eine böse Anspielung und macht es ihm zum Vorwurf, daß er keine anderen Geistesgaben hervorhebt als die Güte. Ich bin überzeugt, daß Grillparzer es ganz aufrichtig, ohne Nebensinn gemeint hat. Die allerhöchste Ungnade hat ihn wieder ausgeliefert, jede liebedienernde Schreiberseele darf ihn mit Tinte besudeln. Ach, dieses Zeitalter! Was wird mit uns in Österreich noch werden? Wenn's den besten von uns so geht, was sollen wir sagen? Nur Halunken haben's gut, wie der Saphir und ähnliches Gelichter. Da hat der saubere Rupprecht in seiner Zeitung eine Parodie auf jenen Refrain gebracht und damit Grillparzer apostrophiert: ›Du bist dumm!‹ Pfui Teufel! Den Kerl soll man prügeln.«
»Wissen S' nichts, Herr von Bauernfeld, wird denn gar nichts aus der Heirat mit der Fröhlich?« wollte die hausmütterliche Hofrätin wissen. »Die zwei haben sich doch so gern gehabt, wenn s' gestritten haben, dann war's doch nur aus Liebe.«
»Die Liebe! So heißt es gewöhnlich,« eiferte Bauernfeld. »Man quält, man ärgert, man martert einander, man macht sich unglücklich, man wird am Ende gleichgültig – aus lauter Liebe! Zu guter Letzt vergißt sie ihre große Liebe, sobald sich der richtige Epouseur meldet.«
»Pfui, das war garstig,« rief die Klementine Ruß dazwischen, »Sie sind ein boshafter Mensch, Herr von Bauernfeld! So ist die Kathi Fröhlich nicht! Sie tun ihr unrecht!«
»Aber ich bitte, ich sag' doch nichts!« tat der Ironiker unschuldig, »ich hab nur gehört, daß ein Gutsverwalter aus Achau, ein Herr Kirstein, ernste Absichten auf Kathi Fröhlich hat. Ich kann mich natürlich irren.«
»Richtig ist, daß die Kathi mit der Rosenkart, die in Triest verheiratet ist und jetzt zu Besuch da war, eine Schwester der Gosmar, vorigen Sommer in Achau war. Man kann ja die Gosmar fragen, die wird's wissen.«
»Aber ich bitt Euch, wer denkt denn gleich was Ernstes, wenn man einmal mit einem Menschen ein freundliches Wort redet? Verleumdung, alles Verleumdung! Die Kathi ist gewiß ganz ahnungslos; ich möcht' doch wissen, wer sie so ins Gerede bringt?« empörte sich die Ruß. »Überdies, Grillparzer war doch auch zur selben Zeit in Achau.«
»Ja, aber er ist nicht ins Schloß gegangen, wo Kathi und die Rosenkart gewohnt haben,« ließ sich jemand im Gesellschaftskreis vernehmen; »er hat niemand besucht und ist bald wieder fort. Er war nur auf einem Jagdausflug dort.«
»Jagdausflug?« sagte die Chezy. »Das kenn ich schon! Spioniert hat er; es hat ihm halt keine Ruhe lassen – ich sag's, die zwei kommen wieder zusammen! Grad das gefällt mir so vom Grillparzer; es ist doch ein Beweis, daß er sie doch noch immer gern hat.«
»Mit Verlaub, die Schachpartie steht jetzt anders. Herr Kirstein in Achau ist am Zug und nimmt die Königin. Grillparzer hat zu wenig für Deckung gesorgt, er opfert seine beste Figur und wird matt gesetzt; das Spiel ist aus!« So der Bauernfeld.
»Nichts ist aus!« behauptet die Chezy. »Ich habe aus ganz sicherer Quelle, daß Grillparzer seine Besuche bei den Fröhlichs wieder aufgenommen hat; er kann ohne Musik nicht leben, heißt es; in der Tat aber ist es so zu verstehen, daß er und die Kathi nun endlich doch ein Paar werden.«
»Stimmt nicht,« versicherte ein anderes, das genauer unterrichtet schien; »die Besuche, wenn sie überhaupt neuerdings stattgefunden haben, sind wieder eingestellt, gerade wegen der Sache in Achau! Jetzt ist es erst recht aus!«
So ging das Gerede.
Einer, den's nichts mehr anging, fühlte sich durch die Heiratsgerüchte ins Innerste getroffen. Dieser eine war Grillparzer selbst. Was ging ihn jetzt noch die Kathi an? Die Liebe war tot, gestorben, begraben; aus! Warum aber jetzt diese Unruhe? Eifersucht?! Man ist doch nicht mehr eifersüchtig, wenn die Liebe erkaltet ist. Oder sollte vielleicht noch ein Funken glimmen, den der Wirbelwind der Eifersucht von neuem zur Flamme entfacht? Nein, nein, das ist es nicht, man ist ganz gleichgültig, das redet man sich ein, und trotzdem kann man's nicht lassen, hinüberzuspähen zu den drei Schwestern und gelegentlich zu erfahren, was sie treiben, wer bei ihnen verkehrt, und ob nicht etwa einer vermessen genug ist, Absicht zu hegen ... So ganz entsagungsfroh, wie er sich und die anderen glauben machen will, ist er nicht.
»Es gibt doch nur eine Kathi auf der Welt!«
Gut, daß er es einsieht. Er meint zwar die Liebe zu ihr entbehren zu können, aber ohne ihre Freundschaft leben, das ist schwer. Er sehnt sich. Doch heiraten, nein! Aber Mädchen wollen eben geheiratet sein! Da sitzt der Haken. Also doch lieber entsagen!
»Ich hätte müssen allein sein können in einer Ehe, indem ich vergessen hätt', daß meine Frau ein anderes sei; meinen Anteil an dem wechselseitigen Aufgeben des Störenden hätte ich herzlich gern beigetragen!« So lamentiert er jetzt, der eifersüchtige Gefühlsegoist, der im Kreuzverhör jeden Gedanken Kathis umgewendet hat, um sich zu überzeugen, daß sie ja an nichts anderes denkt als an ihn, oder an das, was ihm genehm ist. Er muß jetzt öfter als je an die Mutter denken: wie die war, so find't er halt keine mehr, denn die hatte für das Zusammenleben die rechte Art: »Sie hatte keinen Willen als den meinigen, mir fiel aber auch nicht ein, einen Willen zu haben, der nicht der ihrige gewesen wäre. Alles Äußere überließ ich ihr blindlings, wogegen sie sich aber auch alles Einmengens in meine Gedanken, Empfindungen, Arbeiten und Überzeugungen glücklicherweise enthielt.«
Wie kann er sich jetzt schön machen, der verflixte Griesgram!
Da kam nun die Geschichte mit Achau, die hat ihn völlig durcheinander gebracht. Daß er nachgereist ist, wie bei der Chezy erzählt wurde, ist richtig; nicht aber um zu spionieren. Die Sehnsucht trieb ihn. Erst unterwegs auf seinem »Jagdausflug« erfuhr er von der Sache. Blieb über Nacht im Ort und kehrte am frühen Morgen wieder um, kam heim, unglücklicher als je. Litt Seelenqualen, gegen die alle Vernunft ohnmächtig ist. Was wollte er denn? Nun war doch alles so, wie er es gewünscht hatte. Ja, ja, es war so, und es war doch nicht so! Der schreckliche Sommer wird endlos, die Fröhlichs kommen noch immer nicht vom Lande zurück.
»Vielleicht ist sie schon Braut – die Braut eines anderen! Fürchterlich!« Er rannte hin und her, ganz sinnlos vor Aufregung.
»Was tun, was tun?«
Die Not bricht Eisen. Er hat einen guten Gedanken.
»Schreiben!«
Er setzt sich hin und will schreiben. Er muß Klarheit haben. Er hält diesen Zustand der inneren Qual nicht mehr aus. Ein paar Zeilen fliegen übers Papier, dann schmeißt er den Gänsekiel wieder hin.
»Es geht doch nicht!« Er bringt's nicht über sich. Diese Schamhaftigkeit der Seele, die sich immer zur Unzeit regt!
So läßt er wieder eine Zeit verstreichen. Aber die Eifersucht peitscht ihn wieder auf. Er, der schließlich nicht mehr der Erwählte sein wollte, will jetzt auch nicht der Verlassene sein.
Also setzt er sich wieder hin und schreibt. Doch nicht an die Kathi, sondern an die Pepi. Ob was Wahres an dem Gerücht sei, »daß der Verwalter in – wie heißt der Ort? in Achau dafür gelte, ernsthafte rechtliche Absichten auf Ihre Schwester Kathi zu hegen usw. usw.«
Sein Brief kommt indessen ein wenig spät ans Ziel, die Antwort läßt auf sich warten; das Schicksal liebt die Neckerei, und spannt seine Ungeduld auf die Folter; es spielt Katz und Maus mit ihm, und er ist die Maus.
Endlich bringt die Hausmeisterin ein Brieflein. Es ist nicht von der Pepi, sondern von der Netty, abgegeben hat's die Kathi. Die hätte es einem Burschen gegen einen kleinen Botenlohn übergeben sollen, es begegnete ihr keiner, sie lief und lief, war in der Nähe der Ballgasse und gab es rasch entschlossen selbst ins Haus. Aber das hat sie zu bereuen gehabt.
Als sie herzklopfend und scheu wie auf der Flucht aus dem Tor eilen will, trifft sie mit Kirsteins Schwester zusammen, der Frau Maly, die in Wien verheiratet ist, und mit ihrem Mann bei den Hausherrenleuten in der Ballgasse Besuch machen will. Verwünschter Zufall! Das Schicksal spielt wieder Katz und Maus, jetzt ist Kathi die Maus. Gerade mit Grillparzers Hausherrenleuten mußte Maly befreundet sein! Gerade in diesem Augenblick mußte Kathi sie treffen! Das Unglück hat's gewollt, daß sich kein Bote findet! Und daß sie den törichten Einfall hat, den Brief selbst zu bestellen! Sie fühlt sich schuldbewußt, obgleich sie nichts angestellt hat. Die Röte steigt ihr ins Gesicht, sie hastet ein paar Worte der Verlegenheit herunter, irgendeine Ausrede, wird dadurch noch unsichtbarer und macht sich mit verdächtiger Eile von den Leuten los. Die Maly hat ein süß-saueres Gesicht aufgesetzt, sie tut zuckerfreundlich, aber hinter ihren Worten lauert der Argwohn. Auf der Stiege stößt sie ihren Mann an: »Die hat's noch immer mit dem da oben, trotzdem die Verlobung zurückgegangen ist! So eine leichtfertige Person. Ein Glück, daß wir ihr draufgekommen sind! Der Karl wird sich's überlegen, die zu heiraten. Schön dumm wär er! Heut noch schreib ich's ihm! Er wird es uns danken, daß wir ihn gewarnt haben!«
Der Brief an Grillparzer enthielt vor allem die Mitteilung, »daß Kathi wiederum vom Land herin ist«, das übrige würde lieber mündlich besprochen werden; ob er ganz vergessen habe, daß ihm das Haus Fröhlich »freistünde«? Pepi habe selbst nicht schreiben können, sie rüste zur Abreise nach Mailand, wo sie in der Scala singen werde; Kathi begleite sie wieder als »Theatermama«. Beide lassen grüßen und würden einen großen Trost mit auf die Reise nehmen, wenn er doch früher kommen, oder sonst ein Lebenszeichen geben würde. Das Klavier würde sich nicht minder freuen, ihn wieder zu einer Singübung begleiten zu dürfen; ob er die Stimme wieder einrosten lassen wolle? Es wäre ewig schade, und so weiter. Kurz eine bündige Einladung, ohne auf seine Frage näher einzugehen.
Er erkennt, daß er doch noch einen Stein im Brett hat, und schon beginnt er sich wieder zu spreizen. Das Spiel von Katz und Maus erneut sich, aber jetzt ist er die Katz. Er kommt nicht. Warum sind sie seiner Frage ausgewichen? Wieder geht die Schreiberei hin und her.
Pepi und Kathi sind inzwischen abgereist, in Triest verbringen sie bei der Rosenkart lustige Tage, Kathis Namenstag wird gefeiert, Gratulationen regnet es in Masse aus der Heimat, Kirstein schreibt zärtlich, allzu zärtlich, Kathi erwidert herzlich. Trotz vielen Lachens ist sie eigentlich nicht froh. Sie ist so gern von Wien weggefahren, nur um Entschlüssen auszuweichen, zu denen sie sich gedrängt fühlte, obschon sie nicht Kraft und Willen genug hatte, ja oder nein zu sagen; nun war sie entronnen und hat dennoch ein schweres Herz. Täglich träumt sie von Grillparzer und weint heimliche Tränen. Oh, cara memoria! Vergessen ist schwer, jetzt schwerer als je! Ob er nicht mehr geschrieben hat? Netty möchte ihm doch alles über Kirstein erzählen, daß er ihr auch geschrieben habe, kurz alles, alles! Sie will durchaus kein Geheimnis vor Grillparzer haben.
Das Gastspiel in Mailand läßt sich für Pepi recht übel an. Sie bekommt nur kleine Rollen zugewiesen, fühlt ihren künstlerischen Ruf dadurch bedroht, es gibt Ärger und Tränen. Kathi hält tapfer die Fahnen der Hoffnung hoch, sie scherzt, lacht, reizt die anderen zum Lachen, obgleich sie lieber weinen möchte. Aus der Heimat kommen sehr unangenehme Briefe. Netty schreibt, daß Maly eine sehr böse Zunge habe und bemüht ist, Kathi in ein »abscheuliches Licht« zu stellen. Kirstein habe alles ruhig angehört; er habe kaum widersprochen. Man solle sich in Zukunft vor den Sommerfrischen-Bekanntschaften mehr in acht nehmen; zuerst wollen einen die Leute vor Liebe und Freundschaft schier »fressen«, und hinterher käme Bosheit, Tratsch, Feindschaft. Maly weiß, daß ihr Bruder Kirstein Heiratsabsichten in bezug auf Kathi habe, und möchte die Sache, die sie früher gefördert hatte, jetzt hintertreiben. Ob Kathi recht getan habe, dem Kirstein soviel Freundlichkeit zu zeigen? Netty befürchtet, daß Kathi in ihrer Überschwenglichkeit doch zu weit gegangen sei und dem Manne wenn auch unabsichtlich mehr Hoffnungen gemacht habe, als sich erfüllen könnten.
»Maly, die falsche Kreatur!« Kathi gerät in hellen Aufruhr über diese Tücken. Setzt sich hin, schreibt flugs an Netty und redet sich den ganzen Zorn frisch von der Leber weg. »Ich muß gestehen, hat Kirstein diese Reden ruhig angehört, so hat er viel bei mir verloren ... Nicht als ob mir so viel an diesen Leuten gelegen wäre, aber ich glaube, daß ein Frauenzimmer sich, sobald es ihren Ruf gilt, auch vor den Unbedeutendsten rechtfertigen muß.« Netty soll diese Mission übernehmen. Maly soll wissen, daß ihr Bruder Kirstein ebensowenig wie irgendein anderer Mann auf sie je Eindruck gemacht hat noch machen wird. Den Vorwurf der zu großen Freundlichkeit weist Kathi zurück. Wenn ihr jemand gleichgültig ist, so scheut sie sich nicht, mit ihm zu tanzen, zu springen, zu singen, kurz zu tun, was ihr in den Sinn kommt, während sie im Gegenteil furchtsam und schüchtern wird, sobald sie jemand interessiert. »Nun, bei Gott, das war ich gewiß nicht in Achau!« beteuert sie. Die Leute haben sie halt ganz verkehrt beurteilt – wie es so oft schon geschehen ist. Aber sie will sich durch diese Plauschereien in ihrer Handlungsweise nicht irre machen lassen. Möge Netty doch Grillparzer alles lesen lassen! Er soll's nur wissen. Warum er gar nichts hören läßt? Daß sie jede Nacht von ihm träumt, ist ein Zeichen, wie innig sie zu ihrem Unglück an ihn denkt. Sie hätte gern an ihn selbst geschrieben, aber sie unterließ es aus Furcht, ihm zu mißfallen; sie wagt nicht zu hoffen, daß ein Brief von ihr ihm Freude machen könnte. Wie groß aber wäre ihre Freude, wenn er ihr ein paar Zeilen schreiben würde!
Grillparzer ließ sich wohl noch ein wenig darum bitten, dann schrieb er. Ein bißchen spröde zwar, aber immerhin. Das Eis war gebrochen. Nun ward leichten Herzens die Heimreise angetreten. Die Mailänder Oper ward fürchterlich ausgepfiffen, Pepi hatte den Riesenmißerfolg miterlitten. Das war das Ende ihrer Bühnenlaufbahn. Aber es war auch Glück im Unglück, und alles Mißgeschick wog gering gegen die Klärung der Verhältnisse, die der Gewinn der Reise war. Pepi hatte eingesehen, daß sie für die Bühne zu wenig Schwielen, Seelenschwielen besaß, um die Stöße und Püffe auszuhalten und weiterzugeben, die oft genug meuchlings geführt werden und den Charakter verbeulen; sie zog das stillere, harmonischere Wirken im Konzertgesang und im Lehramt für Musik vor und wollte sich darin zum Besten der heimischen Kunstpflege mit Netty vereinigen, zumal sie ohnehin im Mittelpunkt der musikbeflissenen Wiener Gesellschaftskreise standen. Kathi aber ging aus den Wirren und Prüfungen mit geläuterter Festigkeit hervor und trug das immerblühende Hoffnungsreis ihres an Stürmen, an Gluten und Frösten, an Hagel und Tränenschauern überreichen Brautfrühlings im Herzen.
Das war in der bösen Zeit, da Grillparzer allen Angriffen ausgesetzt war und niemand zu ihm stand, kein Freund, kein Helfer, kein Tröster. Doch halt, eine war es, die wieder viel hübscher und vor allem ruhiger, besonnener, gütiger geworden war und die es noch viel mehr mit ihrem Murrkopf werden möchte, an dem sie mit so viel Innigkeit hängt. Die eine war es, die immer sehnsüchtig aus der Ferne nach ihm geforscht hatte und jeden Streich, der gegen ihn geführt wurde, wie einen Stich ins eigene Herz empfunden hatte. Nein, nicht eine war es, sondern gleich zwei, drei! Und eines Tages, als am schlimmsten gegen ihn gewütet wurde, umringten ihn die drei, und trösteten ihn liebreich: »Mach dir nichts draus, Grüllpatzer, wir wissen, wer du bist, und die kommende Zeit wird's auch wissen!« Die drei Parzen waren es, die seinem Lebensweg gefolgt waren, auch in der Ferne, ob er nun wollte oder nicht, und die nimmer gedachten, ihn aus den Augen zu verlieren. »Was tut man nicht alles, wenn einem ein Mensch nicht gleichgültig ist!«
Die Tränen flossen nach diesem Geständnis, und von neuem hielt der Dichter seine Kathi umschlossen, mit dem schmerzerlösten Gefühl, daß seine Muse zurückgekehrt war. Eigentlich aber umarmte er alle drei Schwestern und sie ihn, drei Parzen, die sich zu jener einzigen verdichteten, die das Schicksal des Auserwählten mit Blumen aus dem Garten der irdischen Leiden und Freuden bekränzt.
Wieder saß Grillparzer Tag für Tag oben bei den Fröhlichs, spielte mit Netty Klavier, sang und fühlte sich durch seine Fortschritte in der Singkunst über alles andere getröstet, obschon er bei jedem zweiten Takt stecken blieb, weder über die Noten noch über ihre Geltung im reinen war, meistens auch den Text nicht lesen konnte und an Lieblichkeit der Stimme nicht zugenommen hatte, trotzdem eine gewisse Hübsche unter den Schwestern ihm unbedingt den Vorzug vor allen Sängern der Welt gab. Dann scherzte und zankte er wohl auch hin und wieder ein klein wenig mit dieser Gewissen, der nun einmal schon das Glück in Tränen beschieden war wie ihr einst geträumt hatte, scherzte und zankte, aber ohne daß es zu weit ging. Und wenn ihn eine beim Kommen fragte: »Nun, warum denn heut so z'wider, Grüllpatzer, immer raunzen?« dann hatte er die alte Antwort bei der Hand: »Ich bitt euch, laßt's mich raunzen, ist doch das einzige Haus auf der Welt, wo ich mich ausraunzen därf!« Raunzte sich aus und war dann immer wieder mit dem Schicksal ausgesöhnt.
Die tugendstarke Kathi hatte wohl ihre Bestimmung erkannt; danach zu leben war schon ein gewisses Glück. Jetzt durfte niemand mehr sagen: » Die war schon verheuratet«, denn nun war sie ja wieder die Braut, die sie zu sein niemals aufgehört hatte. Zwar machte sie keinen Anspruch mehr darauf, daß man sagte: » Die wird erst heuraten«, denn sie hatte im stillen längst darauf verzichtet. Beide waren füreinander bestimmt, Kathi und Grillparzer, und dennoch wäre es eine unglückliche Ehe geworden. Das wußten sie. Darum war es besser so. Nun hatte sich keines mehr vom anderen weggeschaut. Um sich zu meiden, hätten sie sich überhaupt nie kennen lernen dürfen. Ob glücklich oder unglücklich, sie hatten das Los gefunden, das ihnen beschieden war. Sie blieb der standhafte Schutzgeist der beiden Schwestern und ihrer Häuslichkeit, und er gesellte sich dazu, der Dichter, der der freundschaftlichen Liebe der drei nicht entraten konnte und später sogar bei ihnen in der Spiegelgasse wohnte, bis an sein Lebensende. Zuweilen kam über Kathi der Rückschlag eines gänzlich unnötigen Ehrgeizes, indem sie klagte, daß sie selbst nichts verdiente und keinen Beruf ausübe; aber das ging vorüber.
Wie, keinen Beruf? Hatte sie doch den schönsten unter den Schwestern als des Dichters ewige Braut.
»Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie,
So hell, daß er Unsterblichkeit ihr lieh!«
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