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XVIII.

Der mieselsüchtigste der zwölf Monatsapostel hatte sein Weltregiment angetreten, ein fürchterlicher November, der mit Trauerfahnen einzog, mit naßwehenden Tüchern von Regen und Nebel. In den Häusern und Straßen roch es nach dem Tode. Der ging um, trat durch verschlossene Türen und suchte ein Opfer. Das Edelste steht dem Tode am nächsten. Der suchte und suchte, bis er draußen in der Kettenbrückengasse einen fand, der sich im Nervenfieber wälzte. Hin und her warf sich der Kranke im Bett, drehte sich zur Wand, an der unter Glas in einem kleinen Rähmchen ein Stückchen Tapete hing, zeigte mit dem Finger und stöhnte: »Hier ist es aus!« Der Tod hatte den gefunden, den er suchte.

Schubert gestorben!

Der Liedermund der zwanziger Jahre war für immer verstummt. Die Lerche Gottes hatte gesungen, bis ihre Brust zersprengt war. Der edle Klang, der über den seelenvollen zwanziger Jahren schwebte, war aus. Zuerst Beethoven, dann Schubert! Jeder fühlte in der eigenen Brust, daß etwas zu Ende war, ohne das das Leben matt und schwer wurde, ein totes Gewicht ohne Flügel, ohne Schwung. Es war wie ein allgemeines Sterben.

Der gefühlswarme Bauernfeld drückte die Stimmung in wenigen, schmerzlichen Worten aus: »Die ehrlichste Seele, der treueste Freund! Ich wollt', ich läge statt seiner.«

Unter den naßwehenden Fahnen von Regen und Nebel wimmerten die Glocken, dröhnte in bangen Schlägen die Trauermusik. Als Einsiedler, mit Lorbeeren an den Schläfen, wurde das Meisterlein zu Grabe getragen. Als wunderlicher Heiliger! Wie Freund Schwind es immer gefabelt und schließlich gemalt hatte. Die Legende von dem wunderlichen Heiligen. Schubert Franzl hat sie verwirklicht. Der Glückliche! Der saß nun in unerreichbarer Seligkeit, rauchte aus der g'stopften Pfeifen himmlischen Tabak mit ambrosischem Geruch, trank Nektar, der mindestens so gut war als der beste Grinzinger und sah gleichmütig auf den Erdenbettel herab, der ihm nichts mehr anhaben konnte.

»Bum! bum! bum!« ging jenes bange Pochen durch die Musik, das dem Meisterlein gefolgt war, seitdem er es zum erstenmal in der Eroicagasse hörte, besonders aber seit Beethovens Tod, als es mit tödlichen Schlägen auf sein blutendes Herz niederprasselte: Bum! bum! bum! Als immerwährende Todesmahnung ging es hinter ihm, tönte aus der Lustigkeit heraus, wenn er mit seinen Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln beisammen saß, pochte wie ein leiser Schmerz in den Wundmalen seiner Seele, die nie vernarbten ... Dieses angsteinflößende Pochen war nun nicht in Beethovens heroischem Trauermarsch zu hören, sondern in Schuberts letzter Symphonie, die von allen Bangnissen des Herzens, von den Wundmalen seiner Seele, von den Schauern seiner Todesahnungen erzählte. Immer höher, höher schwoll die Tonflut, der Tod ging mit pochendem Finger umher und rüttelte drohend an den Toren. Aber über allen Schrecken stand der Jubel der Seele, die schon im ewigen Himmelschor mitsang. Nun stand sein Leben schon ganz im Verklärungslicht. Ganz dicht neben Beethoven stand er jetzt, diesem einsamen, hochragenden Fels, zu dem er sich nun fast schon hinaufgesungen hatte. Da brach die Kraft, sie war verströmt. Rasch nahm ihm der Tod den Stift aus der Hand ... Was brauchte der Sänger sein Werk vollenden? Er war schon ein Vollendeter!

»Der göttliche Funke Schuberts, von dem Beethoven gesprochen hat, kann in Ewigkeit nicht mehr verloren gehen,« flüsterte der ergriffene Hüttenbrenner, der gleich Mayrhofer in seiner Jugend Kleriker gewesen und sich bei seinem Hang zur Mystik ein wenig undurchsichtig gab.

»Hat das Beethoven gesagt?« wollte Bauernfeld wissen. »Mein Gott, wär' das ein Trost für Schubert gewesen, wenn er das gewußt hätte. Wie sehnte er sich nach solchen Brosamen! Das wäre ja Himmelsspeise für ihn gewesen.«

»Er hat's doch gewußt! Wenn ihm's Beethoven nicht am Sterbebett g'sagt hat, nun, dann wird er's ihm jetzt gesagt haben,« gab Hüttenbrenner leise zurück.

Am Heimweg wurde der Gedanke weiter ausgesponnen. Die Freunde ereiferten sich über die Unsterblichkeit, konnten aber nicht einig werden; Streit brach aus. Hüttenbrenner und Mayrhofer waren tief religiöse Naturen, Schober dagegen huldigte wie die Weltleute überhaupt einem seichten Aufkläricht; Bauernfeld hielt so die Mitte.

»Der Tod ist kein Ende,« sagte Hüttenbrenner, »er ist eher ein Anfang. Eine so herrliche Seele wie Schubert! Was wäre denn das Leben, wenn man nicht an den Fortbestand und an die Wiedervereinigung denken könnte!«

»Daß der göttliche Funke Schuberts nicht stirbt, das behaupte ich auch,« ließ sich Schober vernehmen. »Aber ich meine es nicht so wie Ihr. Der göttliche Funke liegt in seinen Werken, die sind unsterblich und der Sang, der drinnen ist, wird über die Welt tönen und nie vergehen, solange Menschen sind, die Sinn für Schönheit und Kunst haben.«

»So, und der Geist, der durch diese Werke gesprochen hat, soll nach Ihrer Meinung verraucht sein wie blauer Dunst?« fuhr Mayrhofer gereizt auf, der mit den Jahren immer weniger umgänglich geworden war.

»Schubert hat so gedacht wie wir,« sagte wieder der sanftere Hüttenbrenner, »auch Beethoven hat so gedacht. Das Höchste wäre ihnen nicht gelungen, wenn sie nicht die Unerschütterlichkeit und Zuversicht des Glaubens gehabt hätten. Musik ist wie alle hohe Kunst Offenbarung des Göttlichen.«

Schober hatte allerlei Einwendungen. »Von Grillparzer, den ich übrigens nicht mag, habe ich ein gutes Wort aufgefangen: Musik soll menschlichen Schmerz ausdrücken, wo bleibt da der Gott?«

Bauernfeld nickte zustimmend. An die Unsterblichkeit großer, schöner Werke glaubte er selbst; im übrigen war ihm zweiflerisch zumute. Sein geliebter Schubert aber war fromm gewesen, er ehrte sein Andenken und hielt es deshalb mit den anderen, die in dem Gedanken an die Wiedervereinigung einen Trost schöpften, den auch er jetzt bedurfte.

Um so heftiger lehnte sich gegen Schobers bequeme Alltagsweisheit der sinnlich besinnliche Schwind auf, dessen kindlich reines Gemüt über alle Zweideutelei in Aufruhr entbrennen konnte. Er sah die Welt als romantischer Künstler und glaubte an die überirdische Wirklichkeit der Elfen, Genien und Engel, die er malte. Wie hätte er sie denn malen können, wenn er nicht felsenfest von ihrer Existenz überzeugt gewesen wäre? Er sah seinen lieben Leidensbruder und Freund Schubert auf weißen Wolken unter einem blauen Baldachin sitzen als wunderlichen Heiligen, wie er ihn geträumt hatte, die himmlische Friedenspfeife rauchen und ab und zu dem lieben Herrgott den Taktstock aus den Händen nehmen und zur Aushilfe nur, die himmlischen Heerscharen dirigieren, denn umsonst, ganz umsonst war ihm doch der göttliche Funke nicht verliehen, wenn er nicht dann wenigstens in Gottes Hauskapelle hätte wirken können zur Freude derjenigen, die nach ihm in die ewige Seligkeit eingehen und um jeden Preis ihren lieben Schubert wiederfinden wollen. Recht borstig und unangenehm konnte der zartsinnige Künstler werden, der ohnehin einen Zahn auf Schober hatte. Es setzte gar böse Worte ab. Die Uneinigkeit brach aus, jeder hatte einen anderen Sinn. So mußte den Jüngern zumute gewesen sein, als sie nach dem Tod ihres Heilandes einander nicht mehr verstanden, und jeder in einer anderen Sprache redete.

Grollend gingen die Freunde auseinander. Einer ging dahin, der andere dorthin; Schwind wendete sich nach München, wie es immer sein Sinn war, Schober ging nach Ungarn, der Kreis war zersprengt. Keine fröhlichen Schubertiaden mehr, kein heiter geselliger Hausgeist, keine Liebe, keine Freundschaft, die Kunst trauerte, was ist das für ein Leben! Das stärkste einigende Glied war gesprungen, und nun zerbarst die ganze Kette. Mit Schubert gingen die gemütvollen, liederreichen, sonnigen und trotz Tränen und Liebesleid glückhaft lächelnden zwanziger Jahre zu Grabe. Was nachkam war schaler Rest. Die freudlosen, innerlich verarmten, erbärmlichen dreißiger Jahre, zu deren Beginn auch das große Licht in Weimar verlöschte, meldeten sich an.

Grillparzer saß hypochondrisch daheim, weltscheu und verschlossen wie ein Austerntier. Keine Liebe, keine Freundschaft, keine Wärme in diesen sonnenarmen Tagen, so fristete der größte Dichter seines Vaterlandes das Dasein. Daß Gott erbarm! Nur klagen konnte er noch, und selbst darin war kein Trost und keine Erhebung, weil niemand war, dem er sich anvertrauen hätte können, um also sein Herz zu erleichtern. Wie anders früher! Das einzige Haus in der Welt, wo er nach Herzenslust hätte raunzen dürfen, sein Paradies auf Erden, hatte er sich selbst verschlossen.

»Ach ja, wer sich der Einsamkeit ergibt, ist bald allein!« Niemand hatte schwerer an diesem Leid getragen, von dem der Harfner in Goethes »Wilhelm Meister« sang, als er! Aber vielleicht war noch ein Wesen, das schwerer trug und in dem Verlies der vier Wände mit tränenerfüllter Stimme das schmerzliche Schubertlied sang:

»Die Liebe hat gelogen, die Sorge lastet schwer,
Betrogen, ach! betrogen hat alles mich umher!
Es fließen heiße Tropfen die Wange stets herab,
Laß ab, mein Herz, zu klopfen, du armes Herz, laß ab!«

Er mochte nicht daran denken, daß es so war, der Gram zerfraß ihm das Herz.

Mit den Freunden hatte er es vollends verdorben; die gingen ihm scheu aus dem Wege, teils weil sie ihn für menschenfeindlich hielten, teils weil sie mit ihm überworfen waren.

Der offenherzige Bauernfeld litt unter einem harten Urteil, das der anfangs wohlgeneigte Dichter über ihn gefällt hatte.

Das erklärte sich dieser wieder so: »Seit mein Ruhm im Aufsteigen ist, wird Grillparzer immer verstimmter gegen mich. Poesie ist Poesie – aber die Prosa herrscht!«

Mayrhofer, der mit einem Band Gedichte hervortrat, ist ebenfalls schlecht auf Grillparzer zu sprechen. Der war von Mißtrauen gegen den Zensor erfüllt, der Literatur kastrierte und zugleich Literatur aus eigenem machte.

»Mayrhofer hätte diese Gedichte nicht herausgeben sollen,« äußerte er gelegentlich. Darüber war der andere wieder in seiner Dichterehre gekränkt.

Nach allen Seiten gab's kleinliche Mißverständnisse und Verstimmungen. War's da nicht besser, sich ganz von den Menschen zurückzuziehen? Blieb noch die einzige und höchste Zuflucht: die Dichtung! »Hero und Leander«, die große Schöpfung seiner Liebe war noch unvollendet. Nun mußte doch endlich diese volle, süße Traube eingeheimst werden. Aber wehe, dreimal wehe! Der Frost war eingefallen, ehe die Edelreife gekommen war.

Da tapst jemand die Stiege herauf, pumpert an die Tür: »Darf ich eintreten?«

»Ja, wer kommt denn zu mir?«

Einer schiebt sich herein mit Kummerfalten im Gesicht, sonst ganz fein zusammengewichst.

»Jessas der Daffinger! Haben uns schon lang nöt g'sehen. Ein, zwei Jahr denk ich würd's, wenn ich nöt irr'?«

Während er seinen Gast begrüßt, kann er sich einer unangenehmen Empfindung nicht erwehren. Der Mensch war ihm schon entrückt, er sieht ihn jetzt wieder so an wie damals, als er ihm bei den Smollenitz' begegnet war. Auch die Worte von ihm kommen ihm plötzlich in den Sinn: »Sie, Herr Grüllpatzer, wenn ich Ihnen die Sachen, die ich erlebt hab, erzählen tät, da könnten S' Stücke schreiben!« Er fürchtet fast, daß ihm der jetzt seine vergangenen Lottergeschichten erzählen wird mit der Anmaßung, ihm einen saftigen Stoff für die Dichtung zu liefern. Trotzdem fragt er mit etwas sauersüßer Miene:

»Was bringen S' mir denn Neuch's?«

Aber der lockere Zeisig ist ein zahmer Zeisig geworden und denkt nicht daran. Er ahnt gar nicht, daß er schon längst eine Geschichte zum besten gibt, unfreiwillig, darin er die Rolle des traurigen Helden spielt. Das war keine Geschichte zum Flunkern und Protzen; er hätte auch nicht gedacht, daß es je so kommen würde. Seufzend läßt er sich in den angebotenen Stuhl nieder, preßt die Hände ineinander nach Worten suchend und bricht dann fast verzweifelt aus: »Scheiden laß ich mich!«

So, und deswegen kommt er zu mir? denkt der Dichter. Wahrhaftig, das Leben verliert seine tragische Haltung und sinkt immer tiefer zur niedrigen Posse herab. Und laut antwortet er dem traurigen Ehemann:

»Na na, gar so gach! Wird wohl nicht so ernst gemeint sein. Warum wollen S' Ihnen denn scheiden lassen?«

Dem anderen aber war nicht so gemütlich zumute, der ballte die Fäuste, rollte die Augen und sprang auf: »Weil – weil s' schon wieder einen Liebhaber hat!«

Dieses »schon wieder!« ist das Haar in der Suppe. Was will er denn damit sagen?

»Was kann denn da ich dafür?«

»Sö versteh'n mich nöt, Herr Grüllpatzer, Sie können freilich nichts dafür, aber helfen sollen Sie mir, sonst ist's aus und g'scheh'n!«

Helfen, das heißt, ihr eine Strafpredigt halten, den Liebhaber ausreden, das Ehepaar versöhnen – oh diese Komödie! Er, der selbst vor nicht allzu langer Zeit in der Lage des Liebhabers war, und dessenwegen der Daffinger vielleicht mit denselben Worten zu einem anderen gerannt ist – das Leben ist wirklich nur ein Possenspiel.

Ungern fügt er sich der Bitte, aber er tut es, er glaubt es dem Daffinger schuldig zu sein.

Daheim fährt das Ehepaar erbittert aufeinander los. Nur die Anwesenheit des Dritten verhindert das Ärgste. Jetzt redet er jedem Teil ins Gewissen. Halb und halb bringt er die Versöhnung zustande. Sie gebraucht wieder ihre Augen, lächelt den Friedensstifter ein wenig spöttisch und bedeutsam an und sagt mit leichter Wendung: »Sie haben's gut gemeint.« Nur auf den Mann hackt sie noch mit spitzigen Worten hinüber. Und er gibt's sackgrob zurück.

»Ruhe!« Und zu ihr gewendet ermahnt der Schutzgeist: »Sie müssen nicht das letzte Wort haben.«

»Hörst du's jetzt?« höhnt der Mann, »das Weib muß gehorchen.«

Aber da kriegt er's wieder ab.

»Reden Sie nicht immer vom Gehorchen, dann wird sie um so gehorsamer sein, das heißt, wenn Sie im Recht sind ...« Da besinnt er sich, daß diese Worte einen bekannten Klang haben. Hat er nicht einmal etwas Ähnliches hören müssen, als er mit Kathi in Streit war? Er hat das Gefühl vor einem Spiegel zu stehen und seine eigenen Züge verzerrt und häßlich zu schauen. Ach, ist das grauslich! Er redet nun in einem anderen Ton:

»Wißt's ihr lieben Leut'? Ihr seid's eins so viel wert wie's andere. Ihr habt's euch also gar nichts vorzuwerfen. Vertragts euch! Es geht schon, man muß nur ein bissel Willen haben, ein bissel Geduld, ein bissel Nachsicht! Eins muß dem anderen entgegenkommen, sonst kann der Frieden nicht bestehen.«

So hat er die brüchige Ehe wieder zusammengenietet. Auf wie lange? Immerhin, das Ehepaar war wieder guter Dinge, nur der Friedensstifter fühlte sich als Gerichteter, als hätte er das Urteil über sich selbst gesprochen.

»Nur ein bissel Willen, ein bissel Geduld, ein bissel Nachsicht!« Ja, das war es ja, was ihnen beiden gefehlt hat, der Kathi und ihm! Sonst waren sie zwei ausgezeichnete Menschen, eins so viel wert wie's andere. Aber an diesem kleinen Mangel ging das ganze Glück zugrunde. Hätte man das nicht früher einsehen können?«

Und jetzt die Widerwärtigkeit, sich und seine Kathi in diesem häßlichen Gleichnis zu erblicken! Er ging und behielt nichts als diese Bitterkeit zurück: »Was hat der Mensch von der Ehe? Bin froh, daß ich ihr entronnen bin!«

Das war die niederziehende Gewalt des gemeinen Beispiels. Man behält ordentlich einen häßlichen Zug davon im Gesicht und im Herzen. In einem solchen Spiegel mußte auch das Eheglück häßlich und gemein aussehen.

Nun flüchtet er wieder in die Dichtung. »Hero und Leander« muß vollendet werden um jeden Preis. Jetzt galt es zu zeigen, daß Poesie noch immer Poesie war. Wofür hat er denn gelebt und gelitten? »Darum sind ja von jeher Dichter gewesen und Helden, Sänger und Gotterleuchtete, daß an ihnen die armen zerrütteten Menschen sich aufrichten ...«

Und nun kommt das Schlimmste: die Phantasie ist da, aber das Herz ist tot. Und darum die Phantasie nur halb. Er fühlt nicht mehr die frühere Kraft, das Gedicht zu meistern und das Werk auf die letzte Höhe zu bringen. Eine fürchterliche Selbsterkenntnis dämmert jetzt auf: »Der Welt war ein Dichter geboren, und die Prosa hat ihn getötet. Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Ich fühle mich erlöschen von innen heraus.«

Und dann noch diese letzte bittere Frucht vom Baum der Erkenntnis: daß das tiefste Verhängnis seines Lebens, Kathi, auch sein tiefstes Glück war. Sie war die Verkörperung seiner Muse; in allem, was er schuf, war ihr Bild. Jetzt weiß er, warum ihm die Kraft zum Vollenden fehlte: »Ich komme mir als Verräter an allen Gefühlen vor, weil ich das ihrige mißhandelte; meine Begeisterung für ein erdachtes Gebilde scheint eine Lüge, weil ich die lebendige Wirklichkeit hinterging. Das ist es! Das zerstört mein Leben und meine Poesie!«

Aber er zwingt es doch mit einem letzten Aufgebot der Kräfte, wenn auch mit erkalteten Sinnen. Alles endet in Nacht und Grauen, auch das Gedicht. Des Meeres Wellen werfen den toten Geliebten an den Strand, nachdem beide schon in der Liebe Wellen untergegangen waren. So unauflöslich sind der Tod und die Liebe verbunden, daß auf dem Höhepunkt der Leidenschaft beide eins werden. Was hatten sie noch fürs Leben übrig? Sie hatten alles hingegeben, nichts blieb ihnen als zu sterben.

In diesem Symbol, dem Werk einer höheren Eingebung, glaubte der Dichter den Schlüssel zu dem Geheimnis seines Lebens zu finden.

Das war die Lösung: sterben! Was lebte er noch? Er hatte nichts mehr zu geben, das Herz war erlöscht wie eine leere Lampe, das heilige Öl verbrannt, die Liebe betrogen, und damit alles betrogen, er selbst, das Leben und die Kunst!

Schubert, war der beneidenswert! Mit vollem Ruhm ist er aus der Welt gegangen, beinahe friedlich, nachdem er sein Pfund reichlich angewendet hatte! Sie nannten ihn nicht umsonst einen Glücklichen. Ja, das war er, ein ganz Glücklicher, bis zuletzt und darüber hinaus in alle Ewigkeit.

Jetzt hätte Kathi vom vierten Stock in die ruhende Gasse hinuntersehen müssen, dann hätte sie einen Menschen stehen sehen in stiller Nacht, der in die Höhe starrt und mit Schmerzensgewalt die Hände ringt – – –

Dem graust es, wenn er sein Antlitz sieht – in den Fenstern zeigt ihm der Mond die eigene Gestalt.

Eine schrille Melodie singt ihm im Ohr – wieder ist's ein Schubert –:

»Du Doppelgänger, du bleicher Geselle!
Was äffst du nach mein Liebesleid,
Das mich gequält an dieser Stelle
So manche Nacht in alter Zeit?«


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