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In diesem Herbst 1825 hat Beethoven in dem alten ehemaligen Klostergebäude der aus Spanien eingewanderten Benediktiner, in der Schwarzspanierstraße am Alsergrund, eine Wohnung genommen, ganz in der Nähe des Freundes Steffen, wo er aus den Zimmerfenstern eine schöne, weite Aussicht über das Glacis genießt, über die innere Stadt mit ihren Basteien und Kirchtürmen, bis hinüber zu den Wienerwaldhöhen mit dem Gloriette von Schönbrunn, und nach Süden über Mödling und Baden hin bis zu den Alpen in einem großen Umkreis, wo alle Wege geweiht sind durch Erinnerungen an den Genius, der hier gewandelt ist.
Dieses Schwarzspanierhaus ist seine letzte Wohnung, der Endpunkt einer langen Irrfahrt.
Von dem Hausflur mit wuchtigen Kreuzgewölben zieht eine schöne breite Treppe mit steinerner Balustrade zu seiner Wohnung im zweiten Stock empor. Das geräumige Vorzimmer blickt auf weitläufige Höfe hinaus. Nebenan, ebenfalls nach der Hofseite, befindet sich die Küche und das Dienstbotenzimmer. Nach der Straßenseite mit der genannten Fernsicht liegen die Wohnzimmer des Meisters. Man betritt zuerst einen einfenstrigen Empfangsraum, der zugleich Speisezimmer ist; einige Sessel an den Wänden, ein Büfett, darüber das Brustbild seines väterlichen Großvaters, ein einfacher Speisetisch in der Mitte bilden das Mobilar. Das zweifenstrige Wohnzimmer daneben ist ebenfalls kärglich eingerichtet. Auf Wohnungsausstattung hält der Meister nicht viel, wenngleich es in dieser Alterswohnung besser aussieht als in seinen früheren Quartieren. Einige hübsche Gegenstände fallen auf, die zum Teil Geschenke und Andenken sein mochten, wie die Pendeluhr in Form einer umgestürzten Pyramide mit einem kleinen Frauenkopf aus Alabaster aus dem Besitz der Fürstin Lichnowsky, oder die Briefbeschwerer in figuraler Form mit Kosaken und ungarischen Husaren. Statuetten verschiedener Griechen und Römer, ein Messingleuchter in Gestalt eines sitzenden Amors, der Kerze und Lichtschirm hält, Glockenzüge aus kostbarem Seidenzeug, bestickt, andere wieder in Form eines bloßen hanfenen Strickes. Zum Teil mochten Kleingerät und ähnliche Dinge bei Trödlern erstanden worden sein; bei seinen Promenaden lorgnettierte Beethoven bald in diesem, bald in jenem Laden und erhandelte gelegentlich das eine oder andere Ding, das ihm gerade gefiel.
In dem großen Wohnzimmer befanden sich in der Mitte zwei Klaviere, eines davon jener englische Flügel, den ihm die Philharmoniker in London zum Geschenk gemacht hatten; Stöße von Noten am Boden; an der Wand ein Schubladkasten, ein Büchergestell; in der Ecke sein Bett; nächst dem Ofen ein Kleiderstock und ein Tisch. An der Wand sein Porträt, das der Hofsekretär Willibrord Joseph Mähler, ein Kunstdilettant, um 1810 von ihm gemalt hat, und das den Meister im Wertherkostüm darstellt mit der Lyra in der Hand, im Hintergrund eine Wiener Parklandschaft mit dem Galitzin-Tempel, der nach seinem fürstlichen Besitzer also genannt war.
Das letzte, einfenstrige Zimmer war sein Arbeitszimmer mit dem großen Schreibtisch, der durch die offene Tür nach dem Wohn- oder Klavierzimmer sah und mit mancherlei Gegenständen, wie ein Nippestisch, besetzt war.
Der alte herzliche Verkehr mit Breuning ist wieder aufgenommen, fast wie in der glücklichen Jugendzeit. Beethoven ißt oft bei der Familie zu Mittag, verweilt ganze Nachmittage dort oder geht mit ihr spazieren, zumal am Sonntag; er gebärdet sich selbst wie ein großes Kind und schließt enge Freundschaft mit dem kleinen Gerhard, dem Söhnchen Breunings, der sein Liebling wird und den er seinen Ariel nennt. Er fühlt sich zu Kindern hingezogen und Kinder zu ihm; der Knabe wird ihm das, was ihm Karl hätte sein sollen, über den er sich mit Stephan Breuning immer wieder leidvoll ausspricht.
Mit einiger Besorgnis beobachten die alten Freunde, besonders der etwas eifersüchtige Schindler, daß Beethoven sich mehr und mehr an einen neuen Gefährten anschließt, der nicht im allerbesten Rufe steht. Es ist Karl Holz, landständischer Beamter und nebenbei ein guter Violinspieler, eine Bohemien-Natur, gewohnt, viel in Wirtschaften herumzusitzen, und von Beethoven in seinen Briefen mit freundschaftlicher Vertraulichkeit »Span-Holz«, »Holz-Christi«, »Mahagoni-Holz« angeredet. Man sieht den Meister, der tagsüber angestrengt an seinen Galitzin-Quartetten arbeitet, mit dem inferioren Gefährten bis tief in die Nacht beim Wein sitzen, was ganz und gar gegen seine sonstige Gewohnheit ist. Das ist eine ganz unerwartete, beängstigende Erscheinung, nicht nur weil sie Beethoven vorübergehend in einen schlimmen Ruf brachte, sondern auch weil sie seinem körperlichen Leidenszustand keineswegs zuträglich schien. »Eine Nacht im Bock, zwei Nächte nicht zu Hause geschlafen«, so lautet einmal eine Aufzeichnung von ihm. Die Zechereien mit dem Freund »Trinkulos« erregten auch bei Fernstehenden einiges Kopfschütteln und üble Nachrede, man behauptete, der berühmte Meister, der eine stadtbekannte Persönlichkeit war, sei ein Trunkenbold geworden, und erinnerte sich, daß seine Großmutter und sein Vater ebenfalls dem Laster der Trunksucht ergeben waren. Für Beethoven war es indes nur eine schnell vorübergehende Phase, ein Bedürfnis nach Entspannung und Betäubung in seinen vielfachen körperlichen und seelischen Leiden, in seinen Sorgen und Arbeitsmühen, und wenn er sich auch eine Zeitlang in diesem trüben Strom treiben ließ, so besann er sich doch alsbald eines Besseren und zog sich von dem lockeren Gesellen wieder mehr und mehr zurück.
Dieser Karl Holz war es, der in einem Konversationsheft von 1825 dem Meister folgende Mitteilung über Karl machte: »Er spielt den ganzen Tag Billard mit Schlossergesellen. Zuckerbäckertochter aus der Kotgasse.«
Eine neue Katastrophe stand bevor, die zu dem völligen Zusammenbruch Beethovens führte: Karl versuchte im Herbst 1826 sich in der Umgebung von Baden zu erschießen.
Der Junge, mehr leichtsinnig als schlecht, ein Produkt falscher Erziehung, hatte Tage und Nächte in Kaffeehäusern verspielt und sich in Wirtshäusern »mit Kutschern und lauter Pöbelvolk« herumgetrieben. Eine Liebschaft mit der Zuckerbäckerstochter, die Karl Holz andeutete, hatte ihn gänzlich von den Studien abgelenkt; er stand unvorbereitet vor einer Prüfung und fürchtete sich vor dem Oheim, dem er schon soviel Geld gekostet hatte, und dessen Vorwürfe ihn »schon längst ermüdet hatten«, und die er »abgeschmackt« fand; zu allem Überfluß nun auch drückende Schulden, er sah keinen Ausweg; der Entschluß sich zu töten, kam in ihm schnell zur Reife. Er kaufte zwei Pistolen, fuhr nach Baden und bestieg den Turm der Ruine Rauhenstein, wo er beide Pistolen an die Schläfen setzte und abfeuerte. Da indessen nur die Knochenhaut von den Kugeln oberflächlich gestreift war, scheint die Annahme berechtigt, die zu dem Charakter Karls stimmen dürfte, daß der Selbstmord nur eine gut gespielte Komödie war, um den guten Onkel zu erschrecken und nachsichtig zu stimmen, den diese Schreckschüsse jedenfalls tiefer getroffen haben als den Selbstmordkandidaten selbst. Gerhard Breuning, der in seinem Buche »Aus dem Schwarzspanierhaus« dem toten Meister ein Denkmal der Pietät errichtet hatte, schreibt über den katastrophalen Eindruck, den die Kunde auf Beethoven machte, folgende Erinnerung:
»Der Schmerz, den er über dies Ereignis empfand, war unbeschreiblich; er war niedergeschlagen wie ein Vater, der seinen vielgeliebten Sohn verloren. Ganz verstört begegnete ihm meine Mutter auf dem Glacis. ›Wissen Sie, was mir geschehen ist? Mein Karl hat sich erschossen!‹ – und – ›ist er tot?‹ – ›Nein, er hat sich nur gestreift, er lebt noch, es ist Hoffnung vorhanden, ihn retten zu können; – aber die Schande, die er mir angetan; ich habe ihn doch so sehr geliebt!‹« – –
Der Verletzte wurde ins Allgemeine Krankenhaus gebracht, wo ihn der verstörte Onkel aufsuchte. Der Sekundararzt hielt ihn für einen schlichten Bürger, bis der Mann im grauen Rock sagte: »Ich bin Beethoven. Liegt bei Ihnen mein Neffe, der liederliche Mensch, der Lump usw.« Und während er ins Krankenzimmer des sogenannten Drei-Gulden-Zahlstockes geführt wird: »Ich wollte ihn eigentlich nicht besuchen, denn er verdient es nicht, er hat mir zuviel Verdruß gemacht, aber ...« Und nun das ganze Klageregister einer verkannten, allzu nachgiebigen und darum verkehrten Vaterliebe.
Von dieser Stunde an war der Meister ganz gebrochen. Alle mühsam noch bewahrte Festigkeit in seiner Haltung war dahin; Schindler fand ihn als Greis von schier siebzig Jahren, »willenlos fügsam, jedem Luftzug gehorchend«.
Beethoven empfand die Tat als eine seinem Ansehen widerfahrene persönliche Kränkung, als gesellschaftliche Ächtung, denn auf Selbstmordversuch stand Gefängnisstrafe. Die Polizei hatte sich der Sache bereits bemächtigt; alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt, um die Einstellung des Strafverfahrens zu bewirken, was auch gelang; Karl wurde jedoch aus Wien ausgewiesen. Stephan von Breuning verwendete sich dafür, daß Karl, der nun zum Militär wollte, obgleich der Onkel eigentlich nicht für den Militärstand war, im Regiment des Barons von Stuttersheim in Iglau als Kadett aufgenommen wurde. Aber schon meldete sich das allzu zärtliche Vaterherz mit dem Wunsch, daß Karl nicht zu lange Kadett bleibe und dann sogleich als Offizier ausgemustert werde. »Als Züchtling darf er doch auch nicht behandelt werden!«
Vor Antritt der militärischen Laufbahn sollte der geliebte Karl sich noch ein wenig erholen. Es waren ja noch »äußere Zeichen« (!) zu bemerken. Onkel Johann wurde nun in Anspruch genommen, und Karl wurde zu ihm auf das Gut in Gneixendorf geschickt. Dorthin folgte ihm auch der Vormund Ende September 1826 nach.
»Dir wird das Land sehr gut tun,« schreibt Johann in seiner Einladung an Ludwig, »denn Du kannst Dir keinen Begriff machen, was das für ein Unterschied. – Bei mir kannst Du leicht gehen, denn in zehn Schritt bist Du auf dem Feld und in der schönsten Gegend.«
Nur mit innerem Widerstreben folgte der Meister dieser Einladung. Es war, als ob ihn eine geheimnisvolle Macht warnte und zurückhielt. Aber diese mahnende Stimme wurde übertönt von der Sehnsucht nach Karl und von der berechtigten Erwägung, daß ihm Erholung und Landruhe selbst am dringendsten not täte.
Mit düsteren Ahnungen machte er sich auf den Weg. Gneixendorf – dieses unharmonische Wort hatte in seinem Gefühl gewisse Ähnlichkeit mit einer brechenden Achse.
*
Vor der Abreise von Wien hat Beethoven an Wegeler geschrieben. Es ist merkwürdig, wie sehr jetzt seine Gedanken in die Jugendzeit und zu seinen Jugendfreunden zurückkehren. Er erinnert sich aller Liebe, die Wegeler und die Familie Breuning ihm in Bonn erwiesen haben, und verspricht Wegeler, der ihm seinen Sohn schicken will, diesem ein Freund und Vater zu sein. Der Engel Leonore umschwebt noch immer seine Erinnerungen. Im übrigen läßt er durchblicken, daß kein Tag ohne schöpferische Arbeit vergeht, und er schließt mit der Hoffnung, noch einige große Werke zur Welt zu bringen. Der Gedanke an den Tod liegt ihm sonach ganz fern. Der Brief vom 7. Oktober 1826 hat diesen Wortlaut:
»Mein alter, geliebter Freund! Welches Vergnügen mir Dein und Deiner Lorchen Brief verursachte, vermag ich nicht auszudrücken. Freilich hätte pfeilschnell eine Antwort darauf erfolgen sollen; ich bin aber im Schreiben überhaupt etwas nachlässig, weil ich denke, daß die besseren Menschen mich ohnehin kennen. Im Kopf mache ich öfter die Antwort; doch wenn ich sie niederschreiben will, werfe ich meistens die Feder weg, weil ich nicht so zu schreiben imstande bin, wie ich fühle. Ich erinnere mich aller Liebe, die Du mir stets bewiesen hast, z. B. wie Du mein Zimmer weißen ließest und mich so angenehm überraschtest – ebenso von der Familie Breuning. Kam man voneinander, so lag dies im Kreislauf der Dinge; jeder mußte den Zweck seiner Bestimmung verfolgen und zu erreichen suchen. Allein, die ewig unerschütterlichen, festen Grundsätze des Guten hielten uns dennoch immer fest zusammen verbunden. – Leider kann ich heute Dir nicht soviel schreiben, als ich wünschte, da ich bettlägerig bin und beschränke mich darauf, einige Punkte Deines Briefes zu beantworten. Du schreibst, daß ich irgendwo als natürlicher Sohn des verstorbenen Königs von Preußen angeführt bin; man hat mir davon vor langer Zeit ebenfalls gesprochen. Ich habe mir aber zum Grundsatze gemacht, nie weder etwas über mich selbst zu schreiben noch irgend etwas zu beantworten, was über mich geschrieben worden. Ich überlasse Dir daher gerne, die Rechtschaffenheit meiner Eltern und meiner Mutier insbesondere der Welt bekannt zu machen. – Du schreibst von Deinem Sohne. Es versteht sich wohl von selbst, daß, wenn er hierher kommt, er seinen Freund und Vater in mir finden wird, und wo ich imstande bin, ihm in irgend etwas zu dienen oder zu helfen, werde ich es mit Freuden tun. –
Von Deiner Lorchen habe ich noch die Silhouette, woraus zu ersehen, wie mir alles Gute und Liebe aus meiner Jugend noch teuer ist.
... Es heißt übrigens bei mir immer: Nulla dies sine linea, und lasse ich die Muse schlafen, so geschieht es nur, damit sie desto kräftiger erwache. Ich hoffe noch einige große Werke zur Welt zu bringen und dann wie ein altes Kind irgendwo unter guten Menschen meine irdische Laufbahn zu beschließen.«
Man soll über seine Briefe nicht flüchtig hinweglesen; besonders seine Freundesbriefe sind reine tiefe Spiegel seiner edlen Seele. Die ethischen Grundsätze, an denen er unverbrüchlich festhielt, und denen er künstlerisch Form gibt in seiner Musik, treten hier klar hervor; immer wieder betont er die unerschütterlichen Prinzipien des Guten, die die Welt als sittliche Existenz fest zusammenhalten und das einigende, zielweisende Moment aller Seelenverbindung bilden. Dieser sittlichen Auffassung gemäß widerspricht er der absurden Legende, der natürliche Sohn Friedrich Wilhelms II. zu sein, die vielleicht einem schwächeren, streberischen Charakter geschmeichelt hätte. Die innere Treue im Guten und somit auch zu guten Menschen und wahrhaften Freunden erscheint wieder als der entscheidende Zug seines Charakters, die Dominante, die sein ganzes Leben bestimmt, die Verläßlichkeit und Güte seines Wesens, woran die häufigen Zerwürfnisse seiner erregbaren Konfliktnatur nichts ändern.
*
Der Aufenthalt in Gneixendorf auf dem »Wasserschlößl« des Bruders läßt sich anfangs recht gut an; das Wetter ist schön, der Meister genießt die Herbstlandschaft und schweift in der Gegend umher mit Stift und Notizbuch; ein Bauerngespann auf der stillen Landstraße soll vor ihm durchgegangen sein, als er mit wehenden Schößen taktierend daher kam. Er genießt den letzten Arbeitssegen, Quartette beschäftigen ihn, die der russische Fürst Galitzin unter wahrhaft fürstlichen Bedingungen bestellt hat: Beethoven darf schreiben nach Lust und Laune, ohne an Termine gebunden zu sein, und kann bei einem bestimmten Bankhaus Summen ziehen, sooft er wolle. Aber er hat das großmütige Anerbieten nicht mißbraucht und fordert 50 Dukaten für jedes dieser »Galitzin-Quartette«, die sein Alterswerk bilden und durchaus transzendente, absolute Musik sind. Opus 135 ist der Vollendung nahe, sein letztes; er arbeitet an dem Finale zum Quartett Opus 130, das gleichzeitig das Finale seiner Schöpfungen ist.
Im November ist schlechtes Wetter eingetreten, die Gemütsstimmung sinkt, das körperliche Befinden läßt mehr als je zu wünschen übrig. Der Appetit fehlt, der Leidende behauptet, das Essen sei schlecht und ungenügend; er friert und findet das Zimmer nicht genügend geheizt. Er beklagt sich, nicht die geringste Pflege zu haben, obschon er seinen Aufenthalt dem reichen Bruder bezahlt. Aus diesen und anderen Gründen kommt es zu Zusammenstößen, besonders mit der Schwägerin, mit der er ohnehin auf gespanntem Fuß lebt. Der Neffe gibt ihm neuerlich großes Ärgernis: er hat im benachbarten Krems die Nächte beim Billard verspielt, natürlich auf Kosten des vormundlichen Geldbeutels. Es kommt zu einer erregten Streitszene, in der Beethoven mit der Abreise droht. Karl schlägt sich zur Gegenpartei, bei der er Stütze für seine Liederlichkeiten findet, und bedeutet dem Vormund mit drohenden Worten, die er ihm schriftlich vorhält:
»Ich bitte Dich also, mich endlich einmal in Ruhe zu lassen. Willst Du abreisen, gut – willst Du nicht, auch gut – nur bitte ich Dich nochmal, mich nicht so zu quälen, wir Du es tust – Du könntest es am Ende noch bereuen, denn ich ertrage viel, aber was zuviel ist, kann ich nicht ertragen. So hast Du es auch dem Bruder heute ohne Ursache gemacht; Du mußt bedenken, daß auch andere Leute Menschen sind – diese ewigen Vorwürfe – weswegen machst Du eben heut ein solches Spektakel –.«
Beethoven hatte seinen Bruder Johann zu bewegen versucht, den Neffen Karl als Erben einzusetzen, eine Zumutung, die Johann brüsk zurückwies. Nun aber brach der Jähzorn Ludwigs mit ungehemmter Gewalt hervor. Nach dem heftigen Wortwechsel, in dem alle gegen ihn standen, entschloß er sich, das Haus des Bruders zu verlassen, und packte sofort seine Sachen. Karl sollte mit ihm reisen. Das Wetter ist naß und kalt, anfangs Dezember; ein geschlossener Wagen ist zwar vorhanden, aber Bruder Johann weigert sich, den Wagen zur Verfügung zu stellen. In einem offenen Bauernfuhrwerk fährt der Meister bis ins nächste Dorf, ohne Winterkleider, vom Regen durchnäßt, frierend. Dort wird übernachtet – in einem ungeheizten Zimmer. Es stellt sich Fieber, Husten und Seitenstechen ein, eine schwere Lungenentzündung ist im Anzug. Endlich, am 2. Dezember, trifft Beethoven mit seinem Neffen in Wien ein und muß sofort zu Bett. Karl sollte sich schleunigst nach einem Arzt umsehen.
Der liebe Neffe, der vergeblich bei zwei früheren Ärzten Beethovens angeklopft hat, verfügt sich nun in ein Kaffeehaus, wo er sich beim Billard unterhält, und gibt den Auftrag einem Zahlkellner weiter, der ohnehin am nächsten Tag im Krankenhaus zu tun hat. Endlich, am dritten Tag, erscheint der Krankenhausarzt Dr. Wawruch an dem Schmerzenslager des Meisters. Der ärztliche Bericht schildert sehr anschaulich den Zustand des Leidenden und den weiteren Verlauf der Krankheit:
»Erst am dritten Tage wurde ich gerufen. Ich traf Beethoven mit den bedenklichen Symptomen einer Lungenentzündung behaftet an; sein Gesicht glühte, er spuckte Blut, die Respiration drohte mit Erstickungsgefahr, und der schmerzliche Seitenstich gestattete nur eine quälende Rückenlage. Ein streng entzündungswidriges Heilverfahren schaffte bald die erwünschte Linderung; seine Natur siegte und befreite ihn durch eine glückliche Krise von der augenscheinlichen Todesgefahr, so daß er am fünften Tage sitzend imstande war, mir sein bisher erlittenes Ungemach mit tiefer Rührung zu schildern. Am siebten Tage fühlte er sich so erträglich wohl, daß er aufstehen, herumgehen, lesen und schreiben konnte. Doch am achten Tage erschrak ich nicht wenig. Beim Morgenbesuche fand ich ihn verstört, am ganzen Körper gelbsüchtig; ein schreckbarer Brechdurchfall drohte ihn die verflossene Nacht zu töten. Ein heftiger Zorn, ein tiefes Leiden über erlittenen Undank und unverdiente Kränkung veranlaßte die mächtige Explosion. Zitternd und bebend krümmte er sich vor Schmerzen, die in der Leber und den Gedärmen wüteten, und seine bisher nur mäßig aufgedunsenen Füße waren mächtig geschwollen. Von diesem Zeitpunkte an entwickelte sich die Wassersucht.«
Schon in der dritten Krankheitswoche macht die Wasseransammlung den ersten Bauchstich notwendig, wegen der vorhandenen Berstungsgefahr; der kunstfertige Chirurg Seibert wird zugezogen. Bald darauf ist eine zweite Operation unvermeidlich. Dem Kranken ist indessen wieder das Vertrauen zu seinem gegenwärtigen Arzt Dr. Wawruch geschwunden, sein Anblick verursacht ihm Grausen; wie früher, sucht er auch jetzt das Heil im Wechsel. Er erinnert sich an Malfatti, den ehemaligen Freund, mit dem er vor Jahren aus gleicher Ursache gebrochen hatte; jetzt ist er der Überzeugung, daß ihm nur dieser und kein anderer Heilkünstler auf Erden das Leben retten könne. Er läßt Malfatti zu sich bitten, der zunächst kalt ablehnt. Dreimal schickt Beethoven zu ihm, bis sich der berühmt gewordene Arzt erweichen läßt, dem rührenden Flehen des leidenden großen Tondichters Folge zu geben. Er erscheint mit einer Miene, als ob er an das Bett eines Fremden treten würde. Er hatte die Bedingung gestellt, nur in Gegenwart des behandelnden Hausarztes Beistand zu leisten. Durch eine Notlüge wird der Hausarzt aus dem Zimmer gebracht; Beethoven will allein sein mit dem einstigen Freund, den er nun reumütig um Verzeihung bittet. Jetzt erst ist auch für Malfatti das Vergangene vergessen. Er übernimmt die Behandlung.
Schon anfangs Februar erfolgt die dritte Operation. Es kommen wieder Tage der Erleichterung, an denen der Meister hin und wieder aufstehen, Besuche empfangen und Briefe schreiben kann. Ein solcher, vom 17. Februar 1827, ist an Freund Wegeler gerichtet, das letzte Schreiben an den Jugendgenossen:
»Mein alter, würdiger Freund! Ich erhielt wenigstens glücklicherweise Deinen zweiten Brief von Breuning. Noch bin ich zu schwach, ihn zu beantworten; Du kannst aber denken, daß mir alles darin willkommen und erwünscht ist. Mit der Genesung, wenn ich es so nennen darf, geht es noch sehr langsam. Es läßt sich vermuten, daß noch eine vierte Operation zu erwarten sei, obwohl die Ärzte noch nichts davon sagen. Ich gedulde mich und denke: alles Üble führt manchmal etwas Gutes herbei. – Nun aber bin ich erstaunt, als ich in Deinem letzten Briefe gelesen, daß Du noch nichts erhalten. – Aus dem Brief, den Du hier empfängst, siehst Du, daß ich Dir schon am 10. Dezember vorigen Jahres geschrieben. Mit dem Porträt ist es der nämliche Fall, wie Du, wenn Du es erhältst, aus dem Datum darauf wahrnehmen wirst. – Frau Steffen sprach – kurzum Steffen verlangte, Dir diese Sachen mit einer Gelegenheit zu schicken; allein, sie blieben liegen bis an heutigem Datum, und wirklich hielt es noch schwer, es bis heute zurückzuerlangen. Du erhältst nun das Porträt mit der Post durch die Herren Schott, welche Dir auch die Musikalien übermachten. – Wieviel möchte ich Dir heute noch sagen, allein ich bin zu schwach; ich kann daher nichts mehr, als Dich mit Deinem Lorchen im Geiste umarmen. Mit wahrer Freundschaft und Anhänglichkeit an Dich und an die Deinen, Dein alter, treuer Freund Beethoven.«
Geldsorgen plagen Beethoven auf dem Krankenlager. Er glaubt bald nicht mehr das Nötigste zum Leben zu haben. Die sieben Stück Bankaktien, die im Schrank liegen, das Stück zu tausend Gulden, die er hauptsächlich im Triumphjahr 1814 erworben hat, bedeuten für ihn ein unantastbares Kapital, das dem Neffen bestimmt ist; ursprünglich waren es acht, aber in der schwierigen Zeit von 1823 hat er ein Stück verkaufen müssen, was ihm geradezu als ein Raub an dem Neffen erschien und große Gewissenspein verursachte; daraus erklärt sich sein seelischer Zusammenbruch nach dem finanziellen Mißerfolg seiner großen Akademie im Jahre 1824, die seiner Erwartung nach die veräußerte Bankaktie hätte wieder hereinbringen sollen, was indessen auch später nicht mehr gelungen ist.
In seinen gegenwärtigen Sorgen wendete er sich an den Pianisten Moscheles in London mit der Bitte, die Londoner Philharmonische Gesellschaft möge zu seinen Gunsten ein Konzert veranstalten. In demselben Sinn schreibt er am 6. März 1827 auch an den befreundeten Londoner Dirigenten Smart:
»Ich zweifle nicht, daß Ew. Wohlgeboren mein Schreiben vom 22. Februar durch Herrn Moscheles schon werden erhalten haben. Jedoch da ich zufälligerweise unter meinen Papieren die Adresse an S. gefunden habe, so nehme ich auch keinen Anstand, direkt an Ew. Wohlgeboren zu schreiben und Ihnen nochmals meine Bitte recht nachdrücklich ans Herz zu legen.
Leider sehe ich bis zu dem heutigen Tage noch dem Ende meiner schrecklichen Krankheit nicht entgegen; im Gegenteil haben sich nur meine Leiden und damit auch meine Sorgen noch vermehrt. Am 27. Februar wurde ich zum vierten Male operiert, und vielleicht will es das Schicksal, daß ich dies noch zum fünften Male oder noch öfter zu erwarten habe.
Wenn dies nun so fort geht, so dauert meine Krankheit sicher bis zum halben Sommer, und was soll dann aus mir werden? Von was soll ich dann leben, bis ich meine ganz gesunkenen Kräfte zusammenraffe, um mir wieder mit der Feder meinen Unterhalt zu verdienen? – Kurz, ich will Ihnen nicht mit neuen Plagen lästig werden und mich nur hier auf mein Schreiben vom 22. Februar beziehen, um Sie zu bitten, allen Ihren Einfluß anzuwenden, die Philharmonische Gesellschaft dahin zu vermögen, ihren früheren Entschluß rücksichtlich der Akademie zu meinem Besten jetzt in Vollführung zu bringen.«
Der Harfenfabrikant Stumpff, der ihm im vergangenen Dezember die Prachtausgabe der Werke Händels zum Geschenk gemacht hatte, teilte ihm nun mit, daß die Philharmonische Gesellschaft dem Antrag zugestimmt habe. Das Reinerträgnis trifft denn auch bald ein, hundert Pfund Sterling. Beethoven hatte sie nicht berührt. Aber eine große Freude war es ihm, eine Beruhigung und ein Lichtblick in dieser düsteren Leidenszeit. Wie groß seine Dankgefühle sind, bezeugt sein letzter Brief an Moscheles, den er am 18. März 1827, eine Woche vor seinem Tode, Schindler in die Feder diktiert:
»Mit welchen Gefühlen ich Ihren Brief vom 1. März durchgelesen, kann ich gar nicht mit Worten schildern. Dieser Edelmut der Philharmonischen Gesellschaft, mit welchem man beinahe meiner Bitte zuvorkam, hat mich bis in das Innerste meiner Seele gerührt. Ich ersuche Sie daher, lieber Moscheles, das Organ zu sein, durch welches ich meinen innigsten Dank für die besondere Teilnahme und Unterstützung an die Philharmonische Gesellschaft gelangen lasse. Sagen Sie diesen würdigen Männern, daß, wenn mir Gott meine Gesundheit wieder wird geschenkt haben, ich mein Dankgefühl auch durch Werke werde zu realisieren trachten und daher der Gesellschaft die Wahl überlasse, was ich für sie schreiben soll. Eine ganze skizzierte Symphonie liegt in meinem Pulte, ebenso eine neue Ouverture oder auch etwas anderes. Rücksichtlich der Akademie, die die Philharmonische Gesellschaft für mich zu geben beschlossen hat, bitte ich die Gesellschaft, ja dies Vorhaben nicht aufzugeben. Kurz, alles, was die Gesellschaft nur wünscht, werde ich mich zu erfüllen bestreben, und noch nie bin ich mit solcher Liebe an ein Werk gegangen, als es hier der Fall sein wird. Möge mir der Himmel nur recht bald wieder meine Gesundheit schenken, und ich werde den edelmütigen Engländern zeigen, wie sehr ich ihre Teilnahme an meinem traurigen Schicksale zu würdigen weiß.
Ich fand mich genötigt, sogleich die ganze Summe von tausend Gulden C.-M. in Empfang zu nehmen, indem ich gerade in der unangenehmen Lage war, Geld aufzunehmen.
Ihr edles Benehmen wird mir unvergeßlich bleiben, soweit ich noch insbesondere Sir Smart und Herrn Stumpff meinen Dank nächstens nachtragen werde. Die metronomisierte neunte Symphonie bitte ich der Philharmonischen Gesellschaft zu übergeben. Hier liegt die Bezeichnung bei. Ihr Sie hochschätzender Freund Beethoven.«
Auch sonst hat es nicht an freundlichen Zeichen gefehlt. Baron Pasqualati, sein einstiger Hausherr, hat ihm anfangs März eine Sendung Champagner geschickt, für die sich der Meister also bedankt: »Wie sehr hat er mich erquickt und wird mich noch erquicken! ... Für heute kann ich nichts mehr schreiben, der Himmel segne Sie überhaupt und für Ihre liebevolle Teilnahme.«
Eine Sendung von Rheinweinen, die sich Beethoven von Schott in Mainz erbeten hatte, traf allerdings erst am Todestage ein. Auch Breuning und das Ehepaar Streicher versorgten ihn mit allerlei Gesundheitsgeschenken, Speisen und Erfrischungen; von allen Seiten kamen Beweise der persönlichen Teilnahme; Schindler und Breuning, die unausgesetzt Wache hielten und einander ablösten, haben viel zu tun, die übergroße Zahl der Besucher fernzuhalten und im Vorzimmer zu verabschieden; nur die Intimsten dürfen ans Krankenlager treten. Auch Bruder Johann ist erschienen, den die Nachricht von der schweren Erkrankung Ludwigs ins Gewissen schlägt; der Neffe Karl ist inzwischen zum Regiment nach Iglau abgereist und hat sich um den sterbenskranken Onkel nicht mehr gekümmert.
Schindler war darauf bedacht, dem immer regen Geist des Schwerkranken eine Zerstreuung zu bieten, die seiner Neigung entspricht, und gab ihm eine Sammlung von Schuberts Liedern und Gesängen, etwa sechzig an der Zahl, in die Hand. Groß war das Staunen des Meisters über diese Anzahl und größer noch seine Verwunderung über den Inhalt. Mehrere Tage konnte er sich gar nicht davon trennen; Iphigeniens Monolog, die Allmacht, Grenzen der Menschheit, die Müllerlieder und manches andere hatten es ihm besonders angetan. Mit freudiger Anerkennung, ja mit Begeisterung sagte er wiederholt: »Wahrlich, in dem Schubert wohnt ein göttlicher Funke!« Es ist zu verwundern, daß der Meister nicht früher schon auf den Genius Schubert aufmerksam geworden ist, dessen Schaffen bereits über 500 Lieder, eine Anzahl von Opern und nicht weniger als sieben Symphonien umfaßte, und der in Wien schon lange kein Unbekannter mehr war. Beethoven bedauerte, die Schubertschen Schöpfungen nicht schon früher kennengelernt zu haben, aber jetzt war es zu spät; er wußte nicht, das neben ihm ein neuer Genius erwacht war, der es verdiente, gleich nach und neben ihm genannt zu werden, der romantische Sänger der Müllerlieder und der Winterreise, der um diese Zeit schon ein Vollendeter war ...
Zu den ganz Bevorzugten, die an Beethovens Krankenlager weilen durften, gehörte der alte Freund Hummel, der aus Weimar zu Besuch nach Wien heimgekommen war und mit seinem Schüler Ferdinand Hiller den Meister zuerst am 8. März besuchte. Die beiden waren Zeugen der letzten Tage und Stunden des sterbenden Meisters, und was sie da gesehen und erlebt, hat Ferdinand Hiller getreulich aufgezeichnet, dem wir nun das Wort geben:
»Über sein Befinden klagte der arme Beethoven gar sehr. ›Da liege ich nun schon vier Monate,‹ rief er aus, ›man verliert zuletzt die Geduld!‹ Auch sonst schien vieles in Wien nicht nach seinem Sinne, und er äußerte sich in der schärfsten Weise über den ›jetzigen Kunstgeschmack‹ und ›über den hier alles verderbenden Dilettantismus‹. Auch die Regierung, bis in die höchsten Regionen hinauf, wurde nicht verschont. ›Schreibe ein Heft Bußlieder und dediziere es der Kaiserin!‹ sagte er unmutig lachend zu Hummel, welcher aber von dem wohlgemeinten Rate keinen Gebrauch machte ...
Am l3. März nahm mich Hummel zum zweitenmal mit zu Beethoven. Wir fanden seinen Zustand wesentlich verschlimmert. Er lag zu Bette, schien starke Schmerzen zu haben und stöhnte zuweilen tief auf, trotzdem sprach er viel und lebhaft. Nicht geheiratet zu haben, schien er sich jetzt sehr zu Herzen zu nehmen. Schon bei unserm ersten Besuch scherzte er mit Hummel hierüber, dessen Gattin er als junges, schönes Mädchen gekannt hatte. ›Du,‹ sagte er diesmal lächelnd zu ihm, ›Du bist ein glücklicher Mann; Du hast eine Frau, die pflegt Dich, die ist verliebt in Dich, aber ich Armer!‹ – und er seufzte schwer. Auch bat er Hummel, ihm doch seine Frau zu bringen, die sich nicht hatte entschließen können, den Mann, den sie auf der Höhe seiner Kraft gekannt, so wiederzusehen. Man hatte ihm kurz vorher ein Bild des Hauses geschenkt, in welchem Haydn geboren worden – er hatte es in der Nähe des Bettes und zeigte es uns. ›Es hat mir eine kindische Freude gemacht,‹ sagte er, ›die Wiege eines so großen Mannes!‹ ...
Kurz nach unserem zweiten Besuche verbreitete sich in Wien die Nachricht, daß die Philharmonische Gesellschaft in London Beethoven hundert Pfund Sterlinge gesandt habe, um ihm sein Krankenlager zu erleichtern. Man fügte hinzu, daß die Überraschung auf den großen armen Mann einen solchen Eindruck gemacht, daß er sich auch körperlich überaus erleichtert fühle. Als wir am 20. wieder an seinem Bette standen, ging zwar aus seinen Äußerungen hervor, wie sehr jene Aufmerksamkeit ihn erfreut, aber er war überaus schwach und sprach nur leise und in abgebrochenen Sätzen. ›Ich werde wohl bald nach oben machen‹, flüsterte er nach unserer Begrüßung.
Ähnliche Ausrufungen kamen öfters wieder; dazwischen aber sprach er von Entwürfen und Hoffnungen, die sich freilich leider nicht realisieren sollten. Von dem edlen Gebaren der Philharmonischen Gesellschaft redend und die Engländer preisend, meinte er, sobald es besser mit ihm stehe, die Reise nach London anzutreten. ›Ich will Ihnen eine große Ouvertüre komponieren und eine große Symphonie.‹ Und dann wollte er Frau Hummel auch besuchen (sie war mitgekommen) und sich, ich weiß nicht mehr wo überall, aufhalten. Ihm etwas aufzuschreiben, kam uns nicht in den Sinn. Sein Auge, welches das letztemal, als wir ihn gesehen, noch ziemlich lebendig gewesen, fiel heute zusammen, und es wurde ihm schwer, sich von Zeit zu Zeit aufzurichten. Man konnte sich keiner Täuschung mehr hingeben – das Schlimmste stand zu befürchten.
Trostlos aber war der Anblick des außerordentlichen Mannes, als wir ihn am 23. März wieder aufsuchten – es sollte das letztemal sein. Matt und elendig lag er da, zuweilen leise seufzend. Kein Wort mehr entfiel seinen Lippen – der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Als er zufällig sein Schnupftuch nicht gleich zur Hand hatte, nahm Hummels Gattin ihr feines Batistläppchen und trocknete ihm mehrmals das Antlitz damit. Nie werde ich den dankbaren Blick vergessen, mit welchem sein gebrochenes Auge dann zu ihr aufsah. Während wir am 26. März im kunstliebenden Hause des Herrn von Liebenberg (der früher Schüler von Hummel gewesen) in heiterer Gesellschaft weilten, wurden wir zwischen fünf und sechs Uhr durch ein starkes Gewitter überrascht. Ein dickes Schneegestöber wurde von heftigen Donnerschlägen und den Saal durchleuchtenden Blitzen begleitet.
Wenige Stunden später kamen Gäste an mit der Nachricht, Ludwig van Beethoven sei nicht mehr, er war um fünfdreiviertel Uhr verschieden.«
*
Als das Ende nahestand, trat an die Freunde die peinliche Pflicht heran, den Sterbenden an seinen letzten Willen zu erinnern und ihm einige notwendige Papiere zur Unterschrift vorzulegen: die Vormundschaftsübertragung hinsichtlich des Neffen Karl an Stephan von Breuning, die Unterzeichnung eines Briefes an Dr. Bach als Kurator der Verlassenschaft und die Testamentserklärung.
Mit zitternder Hand kritzelt Beethoven seine testamentarische Verfügung aufs Papier, die Karl zum Universalerben einsetzt, in einer Schrift, die nichts mehr von den früheren gigantischen, lapidaren Zügen aufweist und mit ihren Fehlern und Silbenwiederholungen ein Abbild des Verlöschens ist:
»Mein Neffffe Karle Soll alleine Herbe sein, das Kapital meines Nachlalasses soll jedoch Seinen Natürlichen oder testamentarischschen Erben zufallen.
Wien am 23. März 1827
ludwig van Beethoen.«
Am nächsten Tag, dem 24. März, wird Beethoven von der anwesenden Frau seines Bruders Johann und dem Grazer Musikfreund Jenger, der dem Schubertkreise nahesteht, gemahnt, sich durch den Empfang der heiligen Sakramente zu stärken. Noch am Vormittag empfängt er den Besuch des Priesters. Seine letzten Worte an den Geistlichen nach Empfang der hl. Wegzehrung waren: »Geistlicher Herr! Ich danke Ihnen! Sie haben mir Trost gebracht!«
Diese Worte sind historisch beglaubigt und dienen zur Widerlegung der später aufgetauchten und immer wiederholten Behauptung, er habe gesagt: » Plaudite, amici! Comoedia finita est!«
Unter anderen liegt das Zeugnis Hüttenbrenners vor, der diese »Beethovens biederem Charakter zuwiderlaufende Äußerung« als reine Erfindung bezeichnet. Sie erscheint schon auf den ersten Blick als vollkommen undenkbar im Munde eines Sterbenden, und noch dazu eines religiös und sittlich so starken Charakters wie Beethoven, dem ein solcher Zynismus auch sonst ganz ferngelegen war, und den man vergeblich zu einem Atheisten zu stempeln versucht hat, was von seinen Biographen oft genug, wenn auch mit wenig Glück, unternommen worden ist.
Auch Schindler, der das Bedürfnis fühlte, dem Musikverleger Schott zugleich mit dem Dank für die zu spät eingetroffene Weinsendung auch etwas aus den letzten Stunden des Meisters mitzuteilen, spricht sich ähnlich aus:
»Da wir die Sache mit seinem Testamente schon tags vorher, so gut es immer ging, beendigt hatten, so blieb uns nur noch ein sehnlicher Wunsch übrig, ihn mit dem Himmel auszusöhnen, um auch der Welt zugleich zu zeigen, daß er als wahrer Christ sein Leben beendigte. Der Professor Ordinarius schrieb ihm also auf und bat ihn im Namen aller seiner Freunde sich mit den heiligen Sterbesakramenten versehen zu lasten, worauf er ganz ruhig und gefaßt antwortete ›Ich will's!‹ ... Der Pfarrer kam gegen zwölf Uhr, und die Funktion ging mit der größten Auferbauung vorüber; – und nun erst schien er an sein letztes Ende selbst zu glauben.«
Gegen Abend verlor Beethoven das Bewußtsein. Die Agonie hatte begonnen.
Am 26. März erschienen gegen drei Uhr nachmittags Hüttenbrenner und Jenger, die in ihrer Mitte Schubert gefaßt hatten, damit er den von ihm scheu verehrten Meister noch am Leben sehe. Als vierter war der Porträtmaler Teltscher erschienen, um den Meister vor seinem Ende zu skizzieren.
Schindler empfing sie weinend im Vorzimmer und bedeutete ihnen näher zu treten, nachdem er noch einen Blick ins Sterbezimmer getan hatte, wo sich Hofrat Breuning, sein Sohn Gerhard und die Gattin des Bruders Johann befanden. Mit den Worten: »Schubert soll zuerst kommen«, winkte er diesen heran. Nur wenige Augenblicke verweilte Schubert an dem Sterbelager; der Meister war aus seiner Bewußtlosigkeit nicht mehr erwacht. Bis nach fünf Uhr dauerte das Röcheln im Todeskampfe. Da fuhr ein Blitz mit heftigem Donnerschlag nieder und erleuchtete grell das Sterbezimmer. Ein starkes Gewitter ging zugleich mit einem dichten Schneegestöber nieder, davon unter anderen Hiller erzählte.
»So pocht das Schicksal an die Pforte ...« Ein eigentümliches Naturschauspiel in der Todesstunde Beethovens, das gleichsam das Schicksalsmotiv seines Lebensliedes, seiner fünften Symphonie, wiederholte. Bei diesem unerwarteten Elementarereignis öffnete Beethoven die Augen, erhob die rechte Hand mit geballter Faust und blickte mehrere Sekunden lang starr in die Höhe mit sehr ernster, drohender Miene, als wollte er sich noch einmal Aug' in Auge mit dem »Dämon« messen, dem »Schicksal«, mit dem er den Kampf ausgenommen, und das er in seinen Symphonien immer wieder aufruft bis zum endlichen Sieg ... Die erhobene Hand sank alsdann aufs Bett nieder, die Augen schlossen sich zur Hälfte, die Seele des Genius war ins Reich der Seligen entflohen. Und wieder ist es eine seltsame Fügung, daß es gerade die verhaßte Frau seines Bruders Johann ist, mit der er sich übrigens auf dem Sterbebette ausgesöhnt hatte, die ihm die Augen zudrückt.
Am nächsten Tag erfolgt die Obduktion, die das Rätsel seiner Krankheit lüftete:
Schrumpfung und Verhärtung der Leber, eine Erkrankung, die er im Keim schon mit auf die Welt gebracht hatte, und die nicht nur der Grund seines bräunlichen Aussehens von Jugend auf war, sondern auch die Ursache so vieler anderer unerklärlicher Krankheitserscheinungen; ferner Vertrocknung und Schrumpfung der Hörnerven des inneren Ohres: › Neuritis accustica.‹ Es versteht sich von selbst, daß das Zentrum der Klangvorstellungen im Gehirn unberührt blieb, was ja sein musikalisches Schaffen bewiesen hat.
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Donnerstag, den 29. März 1827, wurde der verblichene Meister, unter ungeheurer Beteiligung der Bevölkerung, zu Grabe getragen. Man schätzte die Volksmenge auf etwa 20 000 Menschen. Ein zufällig anwesender Fremder fragte ein Obstweib, was denn der riesige Auflauf und das Aufgebot von Militär bedeute. Die Frau starrte ihn verwundert an und lachte dann spöttisch: »Sö san gwiß heut zum erstenmal in Wien, sonst müßtens wohl wissen, daß der General der Musikanten begraben wird.« So der Wiener Volksmund, der mit seinen Aussprüchen gewöhnlich den Kern der Sache trifft. Der Meister wußte im Leben wohl kaum, wie populär er in Wien gewesen ist, trotz seiner abweisenden Haltung und trotz seiner Vereinsamung.
Alle namhaften Persönlichkeiten der Stadt, Künstler, Musiker, Dichter, Grillparzer und Schubert unter ihnen, gingen mit Fackeln in der Hand hinter dem Sarge. Vor dem schlicht gefügten steinernen Giebeltor des stimmungsvollen Währingerfriedhofes, wo Beethoven begraben wurde, hielt der berühmte Burgschauspieler Anschütz die tief ergreifende Grabrede von Grillparzer, der intuitiv in die Seele des großen Leidensbruders geblickt und darin verwandte Züge des eigenen Wesens gefunden hatte:
»Weil er von der Welt sich abschloß, nannten sie ihn feindselig, und weil er der Empfindung aus dem Wege ging, gefühllos. Ach, wer sich hart weiß, der flieht nicht! Die feinsten Spitzen sind es, die am leichtesten sich abstumpfen und biegen oder brechen! Das Übermaß der Empfindung weicht der Empfindung aus! Er floh die Welt, weil er in dem ganzen Bereich seines liebenden Gemüts keine Waffe fand, sich ihr zu widersetzen. Er entzog sich den Menschen, nachdem er ihnen alles gegeben und nichts dafür empfangen hatte. Er blieb einsam, weil er kein zweites Ich fand. Aber bis an sein Grab bewahrte er ein menschliches Herz allen Menschen, ein väterliches den Seinen, Gut und Blut der ganzen Welt ...«
Das war zugleich auch Selbstbekenntnis und eine unbewußte Übereinstimmung mit Beethovens Heiligenstädter Testament.
Schubert war mit einigen Freunden nach der Trauerfeierlichkeit in einem Gasthaus eingekehrt und hob das erste Glas auf den Verewigten, das zweite auf den, der der nächste sein werde. Er ahnte es nicht, daß er sein eigenes Los prophezeit hatte und schon ein Jahr darauf in allernächster Nähe von Beethovens Grabstätte ruhen werde, im Tode mit ihm vereint, dem er im Leben so ferne und mit seiner musikalischen Seele so nahestand.
Aus dem engsten Freundeskreise Beethovens war es Stephan von Breuning, der ihm zuerst folgte. Viele schwere Kränkungen in seiner amtlichen Stellung haben sein verfrühtes Ende herbeigeführt. Schon im folgenden Juni, also wenige Monate nach des Meisters Tod, starb Breuning und wurde auf demselben Friedhof, wenige Schritte entfernt, neben dem Freund seiner Jugend und seines Alters begraben. Im Herbst 1827 erfolgte bei der Grabsteinsetzung eine zweite Rede Grillparzers, die noch tiefer schürfte und wie ein Hohelied auf den Meister in die schönen Worte ausklingt, die eine Mahnung an die ganze Menschheit enthalten:
»Selten sind sie, die Augenblicke der Begeisterung in dieser geistesarmen Zeit ... Heiliget euch! Der hier liegt, war ein Begeisterter. Nach einem trachtend, um eines sorgend, für eines duldend, alles hingebend für eines, so ging dieser Mann durchs Leben. Nicht Gattin hat er gekannt noch Kind; noch Freude, wenig Genuß. Ärgerte ihn ein Auge, so riß er es aus und ging fort, fort, fort bis ans Ziel. Wenn noch Sinn für Ganzheit in uns ist in dieser zersplitterten Zeit, so laßt uns sammeln an seinem Grab. Darum sind ja von jeher Dichter gewesen und Helden, Sänger und Gotterleuchtete, daß an ihnen die armen, zerrütteten Menschen sich aufrichten, ihres Ursprungs gedenken und ihres Ziels.«
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Was zu erzählen war, ist erzählt: sein Leben, sein Leiden, sein Hoffen und Entsagen, sein Schaffen und strenges Glück.
Das andere, das Unsagbare, das dahintersteht, redet durch die Sprache der Töne und verkündet über dem tiefen Leidensgrund der Welt die ewige himmlische Botschaft der Freude, die in dem überirdischen Hymnus der Neunten ausklingt: Diesen Kuß der ganzen Welt!