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Der einsame Dulder
(Beethoven als Erzieher)

Dreifach sind die Leiden, die das letzte Jahrzehnt seines Lebens immer mehr mit Düsterkeit erfüllen: die vollständige Ertaubung im Zusammenhang mit einem Komplex von körperlichen Leiden; die aufreibenden Kämpfe und schließlichen bitteren Enttäuschungen um den Neffen Karl, und nicht zuletzt das Wirtschafterinnenelend, das für seine häusliche Zerrüttung geradezu sinnbildlich ist. Mehr noch fast als seine Krankheit haben diese seelischen Kümmernisse seine Lebenskraft verzehrt und sein Ende beschleunigt.

Je mehr der Junge heranwächst, desto größer werden die Sorgen um ihn, desto zäher und verzweifelter der Widerstand der Mutter, die sich keineswegs mit der Lage abfindet, sondern alle Hebel in Bewegung setzt, bis der Streit zum öffentlichen Skandal wird.

Im Herbst hat der Meister den Neffen aus dem Institut genommen, weil er der Meinung ist, daß der Junge dort zu hart behandelt wird. Außerdem sollte Karl sich einer Bruchoperation unterziehen. Er will ihn bei sich zu Hause unterrichten lassen und nimmt einen Hofmeister, der sich alsbald als schlechter Mensch erweist; der einstige Schüler Karl Czerny wird als Musiklehrer für den Knaben bestellt. Doch bald darauf kommt Beethoven wieder als Bittender zu del Rio, um die Wiederaufnahme des Knaben im Institut zu erwirken. Er klagt dem Freunde die mannigfachen Schwierigkeiten, die sich der häuslichen Erziehung entgegenstellen:

»Werter Freund! Meine Haushaltung sieht einem Schiffbruche beinahe ganz ähnlich oder neigt sich dazu. Sie wissen, ich bin mit diesem Hause von einem seinwollenden Jemand angeschmiert, dabei scheint meine Gesundheit sich auch nicht in der Eile wieder herstellen zu wollen; einen Hofmeister bei diesen Verhältnissen anzunehmen, dessen Inneres und Äußeres man nicht kennt, und meines Karls Bildung Zufälligkeiten zu überlassen, das kann ich nimmermehr, so großer Aufopferung ich in mancher Hinsicht auch dadurch wieder ausgesetzt bin, also bitte ich Sie, daß Sie vom 9. an Karl wieder dieses Vierteljahr bei sich behalten. Ihren Vorschlag wegen Kultivierung der Tonkunst werde ich insoweit annehmen, daß Karl zwei – auch dreimal die Woche sich abends gegen sechs Uhr von Ihnen entfernt und bei mir bleibt bis den kommenden Morgen, wo er gegen acht Uhr sich wieder bei Ihnen einfinden kann. Täglich würde es wohl zu anstrengend für K. sein, auch selbst für mich, da es immer um dieselbe Zeit sein muß, zu ermüdend und gebunden ...«

Er hat seine Stadtwohnung auf der Seilerstätte verlassen und ist auf die Landstraße Nr. 268 übersiedelt, um dem Erziehungsinstitut, wo Karl sich befindet, näher zu sein. Infolgedessen wird auch sein Verkehr im Hause del Rio häufiger und nimmt intimere Formen an. Er verbringt viele Abende im Familienkreise des Freundes, dessen beide Töchter Nanni und Fanni eine stille Verehrung für den Meister hegen.

Am Todestag des Vaters Karls, am 14. November, bittet sich Beethoven den Jungen aus, um gemeinsam mit ihm das Grab zu besuchen. Es hat wieder Verdrießlichkeiten in der Schule gegeben, insbesondere der Fleiß des Jungen läßt zu wünschen übrig; aber der allzu nachsichtige Oheim neigt leicht zur Meinung, daß dem Jungen unrecht geschehe, und daß dieser nicht mit dem nötigen Verständnis behandelt würde. Diese übertriebene Befürchtung spricht sich in dem Brief vom 14. November aus, der von dem Gräberbesuch handelt.

»Ich wünsche zu wissen,« schreibt er an del Rio, »welche Wirkung mein Verfahren mit Karl nach Ihren neulichen Klagen hervorgebracht hat. Unterdessen hat es mich sehr gerührt, ihn so empfindlich für Ehre zu finden. Schon bei Ihnen machte ich Anspielungen auf seinen geringen Fleiß; ernster als sonst gingen wir miteinander, furchtbar drückte er mir die Hand, allein dies fand keine Erwiderung. Bei Tische aß er beinahe gar nichts und sagte, daß er sehr traurig sei; die Ursache, warum, konnte ich noch nicht von ihm erfahren. Endlich beim Spazierengehen erklärte er, daß er so traurig sei, weil er nicht habe so fleißig sein können, als sonst. Ich tat nun das Meinige hierbei und war freundlicher als zuvor. Zartgefühl zeigt sich gewiß hieraus, und eben diese Züge lassen mich alles Gute hoffen. – Komme ich morgen nicht selbst zu Ihnen, so bitte ich Sie nur schriftlich um einige Zeilen um den Erfolg meines Zusammenseins mit Karl. Ich bitte Sie noch einmal um die fällige Rechnung vom vergangenen Vierteljahre; ich dachte wohl, daß Sie meinen Brief mißverstanden, und vielleicht blieb es dabei nicht einmal. – Ich lege Ihnen meine liebe Waise ans Herz und empfehle mich Ihnen allen wie immer.«

*

Die Töchter des Hauses del Rio sind geradezu ärgerlich auf den Meister, daß sein ganzes Sinnen und Trachten sich fast ausschließlich um diesen Neffen dreht. Besonders Fanni ist ihm deshalb gram. Es ist ein wenig Eifersucht dabei, und Nanni gibt ihr den scherzhaften Rat, sich nicht in Beethoven zu verlieben. Sie ahnt allerdings nicht, daß sie damit den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Auch Beethoven merkt es nicht, daß ihm eine stille Liebe erblüht war. Fanni vertraut ihre geheimen Gedanken nur ihrem Tagebuch an, das außer dem drolligen Widerstreit der Gefühle auch ein hübsches Bild über den Verkehr Beethovens mit der Familie und über sein persönliches Gehaben liefert. Dadurch gewinnen diese Aufzeichnungen einer »Unberühmten« ein gewisses historisches Interesse.

»Es ist ein Elend mit mir,« heißt es da, »immer diese Gedanken, die umso zudringlicher werden, je mehr man sie abschütteln will.«

»Weil's auch wahr ist! Doch besser ein Leben mit Liebe verwebt, wenn es auch manche unruhige Stunde bringt, als dieses leere tote Fortvegetieren eines warmen Herzens.«

»Und doch ist es nicht wahr! Ja, er könnte mir teuer, sehr teuer werden! Das soll er ja und darf es werden.« »Warum denn gleich an eine nähere Verbindung denken?«

Sie hält es selber fast für unmöglich.

»Wie kann ich aber auch so eitel sein zu glauben, diesen Geist zu fesseln. Diesen Geist? Oder dieses Herz? Ja, dieses vortreffliche Herz.«

»Genug – ich will gar nicht daran denken, es könnte mir noch die Unbefangenheit meines Betragens rauben.«

Es will ihr nicht gefallen, daß der Meister, der sie mit dem Schlüsselkorb herumgehen sieht, ihr scherzweise den Spitznamen »die Frau Äbtissin« gibt. Sie will als heiratsfähige Tochter gelten, auch vor den Augen des Meisters. Im Frühjahr brachte er Veilchen ins Haus; das sich daran knüpfende Gespräch wird mit allem Drum und Dran wieder gewissenhaft im Tagebuch verzeichnet:

»Ich bringe Ihnen den Frühling, sagte er, und klagte gleichzeitig über seine Koliken, indem er meinte: das wird einmal mein Ende sein!

Das wollen wir noch lange hinausschieben!

Ein schlechter Mann, der nicht zu sterben weiß, ich wußte es schon als Knabe von 15 Jahren, freilich, für die Kunst habe ich noch wenig getan.

O deswegen können Sie keck sterben!

Und er so vor sich hin:

Mir schweben ganz andere Dinge vor.

Er spuckte immer in sein Schnupftuch und sah es jedesmal an, als fürchtete er sich, Blutspuren zu entdecken. Sein Arzt hat ihm Angst gemacht, er könnte Lungenkrank werden; die Mutter, der Bruder Karl waren an diesen Leiden gestorben; er hatte sich in der Jugend ja auch engbrüstig gefühlt.

Auf mein Leben, sagte er, halte ich nichts, nur wegen meines Neffen!«

Fanni hatte ihm Vorwürfe gemacht wegen dieses Neffen und erklärt, daß der Meister ihn mit seiner Liebe tyrannisiere, worauf Beethoven ganz erbost war: »was werden die Leute sagen, sie werden mich wirklich für einen Tyrannen halten!«

Fanni hatte alle Mühe, den Überempfindlichen zu beruhigen und ihm zu erklären, daß seine Art, mit dem geliebten Neffen umzugehen, nicht richtig sei, und daß er viel zu sehr dulde, daß dieser ihn tyrannisiere.

Trotz dieser Plänkeleien geht es aber an den Abenden, die der Meister in diesem Kreis verbringt, recht friedlich her, wie Fanni in ihren Tagebuchnotizen schildert:

»Meistens sitzt er recht nachdenklich da, sei es daß er sich kränklich fühlt oder daß ihn die vormundschaftlichen Schwierigkeiten verstimmen; ihn aufzuheitern singt Nanni den Liederkreis ›An die entfernte Geliebte‹, den er gebracht hat; der Vater wollte, daß ich ihn begleite; aber der Meister setzte sich selbst ans Klavier mit den Worten: gehn Sie weg!

Mit der Schwester Nanni scheint er sich besser zu verstehen als mit mir. Er hat solches Vertrauen zu ihr, daß er sie um ihre aufrichtige Meinung bittet, ob sie glaube, daß Karl, der neun Jahre unter dem traurigen Einfluß der Mutter gestanden habe, noch zurecht kommen würde. Und er ist so dankbar, weil ihm die Schwester mit einem hoffnungsvollen Ja geantwortet hat.«

Mit dieser Schwester Nanni, die mit einem gewissen Schmerling verlobt war, führt Beethoven, Fannis Aufzeichnungen zufolge, interessante Gespräche über Liebe und Ehe und äußert zum Verdruß der Tagebuchschreiberin höchst sonderbare Ansichten, die, halb Scherz, halb Ernst, darauf angelegt scheinen, den Widerspruch der Mädchen zu reizen, wie etwa, daß ihm jede Art gebundenes Verhältnis unangenehm sei, und daß er sich glücklich schätze, daß keines der Mädchen, die er sich einmal eingebildet hatte, seine Frau geworden sei; es sei ganz gut, wenn oft Wünsche nicht erfüllt werden.

»Ach, Sie werden die Kunst immer mehr lieben als Ihre Frau«, bemerkte die Schwester, und er darauf: »Das ist auch ganz in Ordnung: auch könnte ich eine Frau nicht lieben, die meine Kunst nicht zu würdigen verstände.«

Nanni, die einen Goldring an seinem Finger bemerkte, neckte ihn, ob er noch eine andere als »die ferne Geliebte« habe. Fanni vermerkt in ihren Notizen, daß er darauf die Antwort schuldig geblieben war. Sie ist ein wenig unglücklich darüber, daß der Meister es gar nicht bemerken will, als Vater Giannatasio wohlmeinend auf den Busch klopft und den Meister fragt, ob er sich von den traurigen Übelständen seiner Häuslichkeit nicht durch ein eheliches Band befreien könne, ob er niemanden kenne und dergl. Man wußte, daß er sich nach einem geordneten Hausstand und nach Familienglück sehne, und nun hätte sich eine junge Seele gefunden, die ihn verstehen mochte, aber der Einsame und Verlassene ging achtlos an ihr vorüber, denn es gehörte wohl zu seiner Tragik oder zur Notwendigkeit seines Lebens, daß, wie die kluge Nanni fein erriet, neben seiner Kunst keine Frau bestehen konnte, außer der »fernen Geliebten« ...

*

Freunde nahmen sich des armen geplagten Mannes an und brachten dem Verzweifelten immer wieder Hilfe und Trost, wenn sie auch seinem Verhängnis nicht zu steuern vermochten. Der Erdödy konnte er wenigstens hin und wieder sein Leid klagen, eine lange Krankheitsgeschichte, und das war auch eine Erleichterung. Er hatte die Ärzte immer wieder gewechselt und war nun auch mit Malfatti und seinem Assistenzarzt Bertolini entzweit; der mißtrauische Patient hatte ihnen Mangel an Redlichkeit und Einsicht vorgeworfen. Diese und ähnliche Klagen dürften indessen nicht immer ganz unberechtigt gewesen sein; es hat den Anschein, als ob in der Tat der unpraktische Mann von seiner dienenden Umgebung in arger Weise ausgebeutet worden sei. Er fühlte sich als die Beute elender Menschen und litt, seit er Vormund geworden war, unter der Furcht, daß er kaum für seine eigenen Bedürfnisse sorgen werde können und erst gar nicht für des Bruders Kind. Aus Heiligenstadt, wo er nun wieder die Bäder nimmt, schildert er der Erdödy seinen ganzen Jammer in einem Brief, datiert vom 19. Juni 1817, darin es u. a. heißt, daß er in dem Badeort nicht einmal eine ordentliche Wohnung habe:

Heiligenstadt

»Meine verehrte leidende Freundin! Werteste Gräfin! Zuviel bin ich die Zeit herumgeworfen, zu sehr mit Sorgen überhäuft und seit dem 6. Oktober 1816 schon immer kränklich, seit 15. Oktober überfiel mich ein starker Entzündungskatarrh, wobei ich lange im Bett zubringen mußte und es mehrere Monate währte, bis ich nur spärlich ausgehen durfte; die Folgen davon waren bisher noch unvertilgbar, ich wechselte mit den Ärzten, da der meinige, ein pfiffiger Italiener, so starke Nebenabsichten auf mich hatte und ihm sowohl Redlichkeit als Einsicht fehlten; dies geschah im April 1817, ich mußte nun den 15. April bis 4. Mai alle Tage sechs Pulver gebrauchen, sechs Schalen Tee, dies dauerte bis 4. Mai; von dieser Zeit erhielt ich wieder eine Art Pulver, wovon ich wieder sechs des Tages nehmen mußte und mich dreimal mit einer volatilen Salbe einreiben mußte. Dabei reiste ich hierher, wo ich die Bäder gebrauche. Seit gestern erhielt ich nun wieder eine Medizin, nämlich eine Tinktur, wovon ich des Tages wieder zwölf Löffel nehmen mußte. Alle Tage hoffe ich das Ende dieses betrübten Zustandes; obschon es sich etwas gebessert hat, so scheint es doch noch lange zu währen, bis ich gänzlich genesen werde.

Wie sehr dies alles auf mein Dasein wirken muß, können Sie sich denken! Mein Gehörszustand hat sich verschlimmert, und schon ehemals nicht fähig, für mich und meine Bedürfnisse zu sorgen, jetzt als noch ..., und meine Sorgen sind noch vergrößert durch meines Bruders Kind. Hier habe ich noch nicht einmal eine ordentliche Wohnung; da es mir schwer fallt, für mich selbst zu sorgen, so wende ich mich bald an diesen, bald jenen, und bin überall übel belassen und die Beute elender Menschen. Tausendmal habe ich an Sie, liebe, verehrte Freundin, gedacht und auch jetzt, allein der eigene Jammer hat mich niedergedrückt.«

Wohl hat sich eine Sommerwohnung in Heiligenstadt gefunden; das Haus ist lieblich gelegen, am stillen, sonnigen Pfarrplatz, in dessen Mitte sich eine Johannesstatue erhebt, umgeben von vier Akazien. Von der Hausecke schaut aus blauem Grund der heilige Florian herab, ein breites Tor führt in den Hof; wilder Wein überwuchert wie ein dichtgrüner Vorhang die offene Holztreppe an der linken Langseite, über die man in die primitiven Zimmer hinaufkommt, die mit ihren Fenstern weit hinaussehen über die Donau, ins Marchfeld hinüber, wo die Gräfin Erdödy auf ihrem Landsitz wohnt. Dorthin zieht es ihn. Er erkundigt sich, wieviel die kleine Reise kostet, so sparsam muß er jetzt sein. Die Einnahmen sind gering, die Produktion ist unter den vielen Scherereien spärlich geworden; zudem verschlingt die Krankheit und die Erziehung des Jungen sehr viel Geld. Das kleine Kapital, das er besitzt und für den Neffen Karl hütet, möchte er beileibe nicht angreifen.

Aber er bleibt nicht lange in diesem ländlichen Hause, seine Unruhe ist groß, und er fühlt sich leicht durch irgendeine kleine Unzukömmlichkeit gestört, die ihm den Aufenthalt verleiden kann, kurzum, im Juli nimmt er schon eine andere Sommerwohnung in der nahe gelegenen Kahlenberggasse Nr. 26. Wie ein kleiner Barockpalast steht das Gebäude unter den schlichten Behausungen der Weinbauern. Ein Portal mit ausladendem Gebälk von Pilasterbündeln eingefaßt führt über ein paar Stufen in das Innere; Stuckdekorationen verzieren die Plafonds; über den Fenstern an der Außenseite zeigt sich hübsches Rankenwerk, das Ganze ist ein edler Zeuge vornehmer Vergangenheit; nun nistet kleines Leben darin. Schwere Weinbauernstiefel schreiten über den Estrich, eine wehmütige, verblichene Schönheit umstrahlt das Haus, doppelt ergreifend in dieser Vereinsamung, ergreifend wie das Lied »Resignation«, das dort entsteht.

Zwar kommen Freunde, Bewunderer aus der Ferne, die ihn hier besuchen: der Engländer Potter, Direktor der Musikakademie in London, der mit ihm auf Spaziergängen in Feld und Flur herumstreicht; der Musiker Marschner; der Grazer Hüttenbrenner als Abgesandter der musikbegeisterten Frau Marie Pachler-Koschak, die alsbald mit ihrem Gatten selbst erscheint und sich als wahre Pflegerin der Geisteskinder Beethovens erweist, was der Meister dankbar anerkennt. Aber ansonsten fühlt er sich recht gottverlassen. Zmeskall, der ihm früher in Alltagsnöten so vielfach beigestanden, macht sich selten und ist häufig krank; der Bediente stiehlt, einmal hat er den Schlüssel mitgenommen und ist den halben Tag ferngeblieben; der Meister, der zufällig außer Haus war und versperrte Türen vorfand, mußte sich drei Stunden lang bei kühlem Wetter, nur leicht gekleidet, herumtreiben; eine neue Erkältung ist die Folge. Nun aber ist er der Bedientenhaushaltungen satt. Seine Gesundheit fordert Kost im Hause, mehr Gemächlichkeit; er denkt dabei an Karl, den er ganz bei sich haben möchte, und hat sich obendrein ausgerechnet, daß er mit einer Haushälterin praktischer und billiger auskommt. Da ist nun freilich guter Rat teuer. In dieser Not hat ihm die allgütige Vorsehung zwei Genien gesandt, die ihm auf seinem Dornenwege eine Stütze sind. Einer dieser freundlichen Genien ist Nanette Streicher, die Jugendbekannte aus Augsburg, die er auf der Reise zum Sterbebett seiner Mutter kennengelernt hatte. An sie schreibt er nun und erbittet Rat in den neuen Erfahrungen mit den Wirtschafterinnen:

»Ich sage Ihnen nur, daß es mir besser geht; ich habe zwar diese Nacht öfters an meinen Tod gedacht, unterdessen sind mir diese Gedanken im Tage auch nicht fremd. –

Wegen der künftigen Haushälterin wünschte ich zu wissen, ob sie ein Bett und Kommodekasten hat. Unter Bett verstehe ich zum Teil das Gestell, zum Teil das Bett, die Matratze usw. selbst. – Wegen der Wäsche sprechen Sie doch auch mit mir, damit wir über alles gewiß sind, sie wird auch Drangeld haben müssen, welches ich ihr schon noch geben werde. – Wegen allem übrigen morgen oder übermorgen, meine musikalischen und unmusikalischen Papiere sind beinahe in Ordnung; das war eine von den sieben Mühen des Herkules.«

Nanette Streicher ist sein Wirtschaftsrat bei der Neuordnung seines Lebens, sie ist wiederholt bemüht, für ihn geeignete Haushälterinnen ausfindig zu machen, obwohl es damit alsbald wieder große Schwierigkeiten hat. Ihr aber kann er wenigstens sagen, was er braucht, und worin sie dem mangelhaften Hausstand aufhelfen soll: es fehlt eine Schere, dann wieder ein Messer usw.; die Halstücher brauchen eine Flickung; sie wird zu Rate gezogen, wie oft er Heiltee einzunehmen hat; er bittet sie um einen zinnernen Löffel, dann wieder um einen Ratschlag, ob er Leinwand einkaufen soll; sie führt so eine Art Oberaufsicht, und der Gatte muß für verbesserte Schallkonstruktionen an seinem Klavier sorgen. Wegen dieser Angelegenheiten war er am 30. Juli 1817 in die Stadt gefahren, um das Ehepaar aufzusuchen, aber Frau Nanette war bereits zur Kur nach Baden abgereist, wohin er ihr sofort ein paar Zeilen schreibt:

Haus in Nußdorf, Kahlenberger Straße 26. 2. Hälfte Sommer 1817. Quintett op. 104. Lied: Resignation

»Werte Freundin! Ich konnte wegen dem schlechten Wetter nicht eher als Donnerstag hereinkommen, und Sie waren schon fort von hier! Welcher Streich von der Frau von Streicher!!! Nach Baden???!!! also in Baden – – – – Mit Ihrem Mann habe ich gesprochen, seine Teilnahme an mir hat mir wohl und wehe getan, denn beinahe hätte mir Streicher meine Resignation erschüttert, Gott weiß, was es geben wird; da ich aber immer anderen Menschen beigestanden, wo ich nur konnte, so vertraue ich auch auf seine Barmherzigkeit mit mir ... Heute ist eben Sonntag, soll ich Ihnen noch etwas aus dem Evangelium vorlesen; ›liebet Euch untereinander‹ usw. usw. usw. Ich schließe und empfehle mich Ihnen und Ihrer besten Tochter bestens, wünsche Ihnen Heilung aller Ihrer Wunden; kommen Sie an die alten Ruinen, so denken Sie, daß dort Beethoven oft verweilt, durchirren Sie die heimlichen Tannenwälder, so denken Sie, daß da Beethoven oft gedichtet, oder wie man sagt komponiert.«

Die Freundin ist in der Tat redlich bemüht, sein zerrüttetes Hauswesen wenigstens aus der Ferne zu leiten.

»Ich bin ein so armer Mensch geworden, daß ich Ihnen nichts vergelten kann«, aber sechs Flaschen echten Kölnerwassers, das in Wien nicht so leicht für Geld zu bekommen ist, muß sie doch von ihm annehmen. Nanette wird seine »Eurykleia«. Bei ihr findet er immer »etwas Tröstliches in der Koch-Wasch-Nähkunst«; er schickt ihr das Küchenbuch zur Kontrolle, denn er traut auch den Haushälterinnen nicht, und die weiblichen Dienstpersonen verstehen es am wenigsten, sich in den mißtrauischen Sonderling zu finden.

Für ihn geht jetzt erst recht eine Hölle an. Schon Neujahr darauf wirft er der Wirtschafterin ein halbes Dutzend Bücher an den Kopf; Anlaß seines Ärgers ist eine Semmel täglich morgens, die er im Wirtschaftsbuch verrechnet findet, was nach seiner Kalkulation allerdings 18 Gulden im Jahr ausmacht. Mit wütendem Humor ergeht er sich über seine Dienstbotengeschichten: Nannerl, die die Wirtschaftsbücher an den Kopf bekam, ist die »busige Betrügerin«; ihre Aushilfe Baberl ist das »schlechte Schönheitsgesicht«; eine andere Haushälterin heißt kurz: »Frau Schnaps«. Er kocht vor Ärger gegen das »niederträchtige Hausgesindel«.

Aber diese Leiden und diese Unbezähmtheit sind wieder nur ein Ausfluß seines schlechten körperlichen Befindens. Die unwissenden Köchinnen verstanden nichts von Diät, er hätte ganz anderer Pflege bedurft bei seinen Koliken und Verdauungsstörungen; kaum richtige ärztliche Behandlung ist ihm geworden. Er wußte darum und geriet in Raserei und verschlimmerte das Übel damit noch mehr. Er war hilflos wie ein Kind und dem Elend preisgegeben.

*

Das war also die neue Wirtschaftsordnung, die mit dem Regiment der Haushälterinnen begann, als er Anfang 1818 den Neffen Karl aus dem Institut heraus und zu sich nahm. Der Junge sollte von Privatlehrern unterrichtet werden. Im Institut hat er nichts getaugt, so daß man froh war, ihn fort zu wissen. Infolgedessen ist der Meister mit neuem größeren Kummer beschwert, den sein Tagebuchblatt Anfang 1818 zum Ausdruck bringt:

Beethoven im Jahr 1818

»Gott, o Gott, mein Schutz, mein Fels, mein Alles, Du siehst in mein Herz und kennst den Kummer, anderen weh zu tun, um an meinem teuren Karl recht zu handeln. Höre, Du Unaussprechlicher, höre Deinen Unglücklichen, den Unglücklichsten der Sterblichen.«

Im Sommer desselben Jahres geht Karl mit auf das Land hinaus, nach Mödling, wo eine Wohnung im Hafnerhaus bezogen wird, eines jener alten Häuser, die mit ihren luftigen Arkaden rings um das langgestreckte Hofinnere ganz italienisch anmuten.

Schon der Anfang des Sommeraufenthalts stand unter Sturmzeichen. Der Meister war dahintergekommen, daß Karl heimlichen Umgang mit seiner Mutter pflegte, und daß die Dienstboten, die bestochen worden waren, ihre Hand im Spiel hatten. Auf der Fahrt nach Mödling gestand der Junge alles auf eindringendes Befragen des Oheims. Gleich nach der Ankunft in Mödling wurde strenges Gericht gehalten, Knall und Fall flogen die beiden dienstbaren Geister hinaus, die Haushälterin und die Küchenmagd, die in seinen Klagebriefen an Nanette als »die heimtückische Alte« und »die elephantenartige Pepi« bezeichnet werden. Nun stand er wieder ohne Köchin und ohne Bedienung da, der Magen leidet, Nanette wird als rettender Engel angerufen, sie muß den umgeworfenen Wirtschaftskarren wieder aufrichten, für neue Dienstboten sorgen, Köchin und Stubenmädchen; er gibt der Freundin als Richtschnur die Weisung: »Die gute Kocherei bleibt eine Hauptsache – selbst in Ansehung der Ökonomie. Für jetzt haben wir eine Person, die uns zwar kocht, aber schlecht.«

Auch mit dem Pfarrer von Mödling kommt der Meister in Konflikt; der geistliche Herr sollte Karl Vorbereitungsunterricht für das Gymnasium erteilen, aber er ist mit dem Schüler wenig zufrieden und wäre ihn gerne bald wieder los gewesen, um so mehr, als Beethoven den Pfarrer ziemlich kategorisch vermahnt, daß er ja nicht zu streng sei, damit der Junge nicht die Lust verliere; lieber sollten kleine Fehler ungerügt bleiben. Derselbe Meister, der selbst seinen erzherzoglichen Schüler derb auf die Finger klopfte und hochrot vor Zorn wurde, wenn diesem ein kleines Versehen unterlief, war gegen das Pflegekind von geradezu unbegreiflicher Nachsicht und Schwäche beherrscht. Selbst sein alter Freund del Rio mußte sich des ungeratenen Jungen wegen den Vorwurf einer »Verziehungsanstalt« gefallen lassen.

Infolge der unaufhörlichen Reibereien ist sein Herz so schrecklich angegriffen, daß er sich in diesem Sommer kaum erholen kann. Er klagt seine Leiden wieder der guten Nanette und tröstet sie zugleich, daß man nicht nötig haben wird, ihn »in den Narrenturm zu führen«. Zugleich flüchtet er wieder in sein Tagebuch:

»Gelassen will ich mich also allen Veränderungen unterwerfen und nur auf Deine unwandelbare Güte, o Gott, mein ganzes Vertrauen setzen.

Dein, Unwandelbarer, deiner
Soll sich meine Seele freuen,
Sei mein Fels, mein Licht,
Ewig meine Zuversicht!«

Trotz aller dieser Hemmungen und Schwierigkeiten beginnt der Meister an einer neuen Messe zu arbeiten, deren erste Gedanken er auf das Innere einer Brieftasche notiert. Es ist die » Missa solemnis«, die ihn bereits beschäftigt, und die zur bevorstehenden Inthronisation des Erzherzogs Rudolf als Erzbischof von Olmütz, die im nächsten Jahr stattfindet, rechtzeitig fertig werden soll. Der Meister hätte es damals selbst nicht für möglich gehalten, daß sich die Vollendung des Werkes um viele Jahre hinauszögern werde.

Hof des Hafnerhauses in Mödling, Hauptstrasse. Sommer 1818 u. 1819, Missa Solemnis

Der Maler Klöber, der ihn in jenen Mödlinger Tagen porträtierte, beobachtete ihn auf seinen Spaziergängen mit Notenblatt und einem Bleistiftstummel in der Hand; aber ihn anreden oder auch nur von ferne grüßen, würde er sich hüten, um ihn nicht zu stören. Klöber, der gerade Naturstudien macht, sieht ihm unauffällig zu, wie er öfters lauschend stehenbleibt, auf und nieder sieht und Noten verzeichnet oder über einen Hohlweg hinaufklettert, den großkrempigen grauen Filzhut unter den Arm gedrückt, und sich unter einen Kieferbaum lang hinwirft und in den Himmel hineinschaut ... Die Muse umschwebt ihn in diesen glücklichen Augenblicken, die nun, von Karls Anwesenheit empfindlich gestört, gar selten geworden sind.

*

Einen großen Künstler oder Gelehrten wollte Beethoven aus seinem Neffen machen. Er glaubte nicht früh genug mit der Vorbereitung auf dieses Ziel beginnen zu können und schickt den Zwölfjährigen, der Hausunterricht erhält, nebenher auf die Universität. Schon ein Jahr vorher, als der Junge noch im Institut war, erging des Meisters Rat an del Rio, mehr Wert auf die Ausbildung von Gefühl und Gemüt zu legen, eine pädagogische Anweisung, die weniger im Hinblick auf den Knaben als vielmehr zur Erkenntnis der Erziehungsgrundsätze und Kunstauffassung des Meisters wertvoll ist. Diese interessanten Äußerungen lauten:

»Ich bitte Sie, mehr sein Gefühl und Gemüt in Anspruch zu nehmen, da besonders das Letztere der Hebel zu allem Tüchtigen ist; und so spöttisch und klein manchmal das Gemütliche genommen wird, so wird es doch von unseren größten Schriftstellern, wie von Goethe und anderen, als eine vorzügliche Eigenschaft betrachtet, ja ohne Gemüt, behaupten manche, daß gar kein ausgezeichneter Mensch bestehen könne und keine Tiefe schon gar nicht in demselben vorhanden sei. Die Zeit wird mir zu kurz; mündlich mehr hierüber, wie ich glaube, es hierin mit Karl zu halten.«

So vortrefflich diese pädagogischen Ansichten auch sind, so verfrüht und verkehrt war ihre Anwendung. Der verschlossene Künstler, der niemand in seine geistige Werkstatt blicken läßt, dazu er selbst die näheren Freunde für unebenbürtig und unwürdig erklärt und sich darum so vereinsamt fühlt, derselbe Künstler möchte den Jungen zum Zeugen aller seiner geheimsten Schaffensvorgänge machen. Er vertraut ihm Gedanken und Urteile an, für die Karl in seinem Alter weder reif genug ist, noch überhaupt Verständnis oder Interesse besitzt. Der Alte wird ihm immer unbegreiflicher, immer unausstehlicher, widerwärtiger; er sehnt sich nach der Mutter, die immer dahintersteht und heimlich schürt. Und eines Tages ist er dem Oheim durchgegangen und zur Mutter heimgekehrt.

Weinend kommt der Meister zur Familie del Rio gelaufen: »Er schämt sich meiner!« Die Polizei wird aufgeboten; del Rio muß sich herbeilassen, den wieder aufgegriffenen Jungen ein paar Wochen in sein Haus aufzunehmen. Aber schon ist dem Onkel wieder das Herz schwer, wegen der angeblich kalten Zimmer im Institut, er nimmt den Knaben abermals zu sich und bringt ihn dann in die Erziehungsanstalt von Joseph Kudlich.

Wegen des verfrühten Universitätsbesuchs hat die Mutter eine Klage beim Standesgericht gegen den Vormund erhoben, sie wird abermals abgewiesen. Nun versucht sie es auf einem anderen Wege, der ihr diesmal Erfolg bringt. Sie führt beim Standesgericht den Nachweis, daß das Wörtchen »van« kein Adelsprädikat ist, und daß deshalb das Standesgericht oder Landrecht nicht zuständig sei, sondern der Magistrat. Gegen die Richtigkeit dieser Beweisführung ließ sich nichts einwenden, infolgedessen wird die Sache dem Magistrat überwiesen, der den Prozeß zugunsten der Mutter entscheidet. Beethoven wehrt sich mit allem Ungestüm gegen die Übertragung der Angelegenheit an das magistratische Gericht. Der »Republikaner« und »Demokrat« behauptete, er gehöre nicht »unter diesen Plebs«. Er fühle sich als Aristokrat, als Geistesaristokrat, das könne man ihm seiner Beschäftigung gemäß nicht bestreiten. Sein Toben half indessen nichts, sondern verschlimmerte nur seine Sache vor dem neuen Gericht. Die Mutter hatte seine moralische Qualifikation als Vormund verdächtigt, sie wies auf seine Schwerhörigkeit hin und auf die auch damit begründete Unfähigkeit des Meisters als Erzieher; sie verlangte, daß die Schulzeugnisse des Knaben vorgelegt werden, zum Beweis, wie verfehlt der verfrühte Universitätsbesuch sei, usw. usw.

Es ist eine herrliche Verteidigungsschrift, die der Meister am l. Februar 1819 gegen diese Anschuldigungen überreicht; sie ist von dem Bewußtsein seiner Würde, seiner Tugend und seiner edlen Absichten diktiert und daher im hohen Grade beachtenswert. Man erkennt wenigstens daraus die tiefen und schönen Grundsätze, die den Meister leiten, wenn sie sich auch in der Anwendung nicht immer ganz so rein und unzweideutig auszuwirken vermochten. Die Schrift, die gleichsam Bekenntnis ist, hat folgenden Wortlaut:

»... Nie handelte ich wohltätiger und größer, als eben wo ich meinen Neffen zu mir genommen und selbst seine Erziehung besorgte. Hat (nach Plutarch) ein Philippus seiner nicht unwert geachtet, die Erziehung seines Sohnes Alexander selbst zu leiten und ihm den großen Aristoteles zum Lehrer zu geben, weil er die gewöhnlichen Lehrer hierzu nicht geeignet fand, hat ein Laudon selbst die Erziehung seines Sohnes geleitet, warum sollten dergleichen schöne, erhabene Erscheinung nicht auch aus andern wieder hervorgehen! Mein Neffe war schon bei seines Vaters Lebzeiten an mich von ihm angewiesen, und ich gestehe, ich fühle mich mehr als irgend jemand dazu berufen, meinen Neffen schon durch mein eigenes Beispiel zur Tugend und Tätigkeit anzufeuern. Konvikte und Institute haben für ihn nicht genug Aufsicht, und alle Gelehrte, worunter sich ein Professor Stein, ein Professor (der Pädagogik) Simerdinger befindet, stimmen mit mir überein, daß es für ihn dort durchaus nicht geeignet sei; ja, sie behaupten sogar, daß der meiste Teil der Jugend verdorben von dort herauskomme, ja sogar manche als gesittet ein- und als ungesittet wieder heraustreten. Leider muß ich diesen Erfahrungen und Ansichten dieser Männer und mancher Eltern beitreten. – Hätte die Mutter ihre Bösartigkeit unterdrücken können und meinen Anstalten ruhige Entwicklung zugelassen, so würde jetzt schon ein ganz günstiges Resultat aus meinen bisherigen Verfügungen hervorgegangen sein. Wenn aber eine Mutter von dieser Art ihr Kind sucht in die Heimlichkeiten ihrer gemeinen und selbst schlechten Umgebungen zu verwickeln, ihn zur Verstellung in diesen zarten Jahren (eine Pest für Kinder!!!), zur Bestechung meiner Dienstboten, zur Unwahrheit verführt, indem sie ihn verlacht, wenn er die Wahrheit sagt, ja ihm selbst Geld gibt, ihm Lüste und Begierden zu erwecken, welche ihm schädlich sind, ihm sagt, daß das lauter Kleinigkeiten sind, was ihm bei mir und andern als große Fehler angerechnet werden, so ist dies ohnehin schwere Geschäft noch schwerer und gefährlicher. Man glaube aber nicht, daß, als mein Neffe im Institut war, sie sich anders betragen habe. Doch auch hierfür ist ein neuer Damm angelegt worden: außer dem Hofmeister wird eine Frau vom Stande in mein Haus eintreten, welche die Haushaltung besorgt und welche sich keineswegs bestechen von ihr lassen wird, und so die Aufsicht für meinen Neffen noch vermehrt wird. Heimliche Zusammenkünfte des Sohnes mit der Mutter bringen immer nachteilige Folgen hervor; allein dies nur will sie, weil sie unter wirklich gut gesitteten und wirklich gut gearteten Menschen sich gerade am schlechtesten zu befinden scheint. – Es sind so viele mich entehrende Beschuldigungen vorgekommen und von solchen Menschen, daß ich darüber gar nicht einmal sprechen sollte, indem mein moralischer Charakter, nicht allein allgemein und öffentlich anerkannt, sondern selbst vorzügliche Schriftsteller, wie Weißenbach u. a., es der Mühe wert hielten, hierüber zu schreiben, und daß nur Parteilichkeit mir etwas mich Erniedrigendes zumuten kann.«

Diese flammende Verteidigung, die zugleich eine ebenso flammende Anklage gegen die üblen Einflüsse einer unverständigen Mutter ist und verdient, von allen Erziehern beherzigt zu werden, hat übrigens nichts geholfen; Beethoven legt in der weiteren Folge die Vormundschaft nieder. Trotzdem verfolgt der Meister den Kampf mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit und wendet sich mit Hilfe des Advokaten Bach an das Appellationsgericht. Das ganze musikalische Wien sieht mit Spannung dem Ausgang entgegen, der Prozeß ist Tagesgespräch. Diese Berufung hatte schließlich den Erfolg, daß die Mutter endgültig von der Vormundschaft ausgeschlossen und der Onkel als Vormund wieder eingesetzt wird. Der Meister hatte das Spiel gewonnen, was er aber zog, war kein Treffer, sondern eine Niete.

Nachdem der Widerstand gebrochen war, zeigte Beethoven wieder seine Seelengüte gerade dieser Frau gegenüber, die nach und nach in Not gekommen war. Er erließ ihr die Pflichtbeiträge, die sie infolge der unglücklichen Prozeßführung zahlen mußte, und wendete ihr auch sonstige Unterstützungen zu. Er übernahm ihre Schulden, ihre Prozeßkosten, und setzte sie auch in den Genuß der Pensionshälfte des Vaters, die Karl als Erziehungsbeitrag gebührte; ja, er versprach ihr zur Verbesserung ihrer Verhältnisse gelegentliche Beträge aus eigener Kasse und sandte ihr die »reinsten Glückwünsche« von seiner wie von Karls Seite zum Neujahrstag.

Wie es indessen mit der in der Verteidigungsschrift versprochenen Ordnung der Haushaltung und der Frau vom Stande, die das Hauswesen leiten sollte, ausgesehen hat, darüber gibt Beethovens Kalender vom Jahre 1819 bei aller lakonischen Kürze einen beredten Aufschluß:

»Am 31.Januar der Haushälterin aufgesagt.

Am 15. Februar die Küchenmagd eingetreten.

Am 8. März hat die Küchenmagd mit 14 Tagen aufgesagt.

Am 22. März ist die neue Haushälterin eingetreten.

Am 12. Mai in Mödling eingetroffen.

Miser et pauper sum

Daß es damit auch in der Folgezeit nicht besser wurde, besagt sein Kalender im folgenden Jahr:

»Am 17. April die Küchenmagd eingetreten.

Am 19. April schlechter Tag.

Am 16. Mai dem Küchenmädchen aufgesagt.

Am 19. Mai die Küchenmagd ausgetreten.

Am 30. Mai die Frau eingetreten.

Am 1.Juli die Küchenmagd eingetreten.

Am 28. Juli abends ist die Küchenmagd entflohen.

Am 30. Juli ist die Frau von Unter-Döbling eingetreten.

Die vier bösen Tage 10., 11., 12., 13. August in Lerchenfeld gegessen.

Am 28. der Monat von der Frau aus.

Am 6. September ist das Mädchen eingetreten.

Am 22. Oktober das Mädchen ausgetreten.

Am 12. Dezember das Küchenmädchen eingetreten.

Am 18. Dezember dem Küchenmädchen aufgesagt.

Am 27. Dezember das neue Stubenmädchen eingetreten.«

*

Der andere helfende Genius, der um diese Zeit in die Erscheinung trat und Lebensbegleiter des Meisters werden sollte bis an dessen Ende, war das Faktotum Anton Schindler, dessen Bild im Urteil der Nachwelt einigermaßen schwankt, und das mit einigen Strichen festgehalten zu werden verdient. Es ist richtig, daß er ein wunderlicher Kauz war, ein pedantischer und vertrockneter Kanzleimensch, in seinen Bewegungen gezirkelt und rissig wie eine Marionette, mit näselnder Stimme langweilig dozierend, etwas bedientenhaft, kurzum ein Mann, dessen Manieren und hochaufgeschossene Erscheinung auf unfreiwillige Komik gestellt war. Im Grunde aber war er gescheit, auch als Musiker, wenngleich ohne Musikalität, ein brauchbarer Mensch und eine treue Seele, ein richtiger Famulus, wie ihn Beethoven nur wünschen konnte.

Anton Schindler (1796)

Es war selbstlose Verehrung und Bewunderung, die diesen Mann an die Seite des Meisters rief, nachdem er ihm schon jahrelang unbemerkt gefolgt war und unauffällige Aufmerksamkeiten erwiesen hatte. Er hatte den Meister in der Wirtschaft »Zum Blumenstock« im Ballgäßchen kennengelernt, wo sich regelmäßig eine Lesegesellschaft einfand, der auch Beethoven angehörte. Zunächst durfte ihn Schindler dann und wann auf einem Spaziergang begleiten; zu einem näheren Umgang und zu der Vertrauensstellung als unbesoldeter Geheimsekretär bei Beethoven ist es allerdings erst vom Sommer 1819 an gekommen. Später ging alles durch die Hände Schindlers. Beethoven konnte nicht leben ohne eine solche Hilfe, und Schindler war, abgesehen von den kleinen Eifersüchteleien und dem Stolz auf seine bevorzugte Position, ein wirklich treuer Helfer. Alle Launen seines ungemäßigten Herrn nahm er willig in Kauf, selbst unverhohlene Abneigung, Mißtrauen und Beleidigungen, die ihm der Meister erwies, hatten ihn nicht wankend gemacht. Beethoven ließ ihm durchleuchten, daß er Furcht habe vor Schindler, als drohe ihm noch ein großes Unglück durch ihn; in Briefen an den Bruder Johann nannte er ihn einen »elenden Schuften«, einen »niederträchtigen, verachtungswürdigen Menschen«; er verdächtigte ihn nach der Aufführung der Neunten wegen der geringen Einnahme sogar des Betruges. – Schindler nahm alles hin und diente weiter, sklavisch ergeben, selbstlos. Es war ihm Befriedigung genug, einem Genius Schleppträger zu sein; mochte er auch die Eitelkeit haben, in seiner Vertrauensstellung bei dem Genius selbst eine gewisse Berühmtheit anzustreben oder einen Nutzen für seine fernere Zukunft zu suchen – auf seine Visitenkarten soll er geschrieben haben: ami de Beethoven; er wurde später Musikdirektor in Münster –, so hatte er doch ein unbestreitbares großes Verdienst um den Meister, dafür ihm auch der Dank der Nachwelt gebührt.

Um diese Zeit, da Schindler dem Meister nähertrat, begannen auch die »Konversationsbücher«. Mit den Gehörmaschinen ging es nicht mehr; Beethoven fing an, die Konversation schriftlich zu führen, zuerst nur, wenn er unliebsame Hörer in der Nähe vermutete. So entstanden die 138 Hefte in Oktav- und Quartgröße, die einen Zeitraum von beinahe zehn Jahren umfaßten, und zwar von 1819 bis an das Lebensende des Meisters, ein in der Geschichte des menschlichen Geistes einzig dastehendes Kuriosum, ein kaleidoskopartiger Spiegel der geselligen Unterhaltungen des Genius, ein kunterbuntes Sammelsurium banalster, alltäglichster Dinge, dazwischen plötzlich aufleuchtende große Gedanken und geniale Einfälle, alles in hieroglyphenartigen, ungeheuerlichen, meist nur schwer zu enträtselnden Schriftzügen.

Im Sommer 1819 war Beethoven wieder nach Mödling gegangen und hatte sich abermals in dem schönen Hafnerhaus eingemietet, um an seiner » Missa solemnis« weiterzuarbeiten, obgleich auch in diesem Jahr das Werk nicht recht gedeihen wollte wegen der widrigen Umstände in der Prozeßsache, die ihn immer wieder nach Wien rief. Es war das Jahr des bösen Streites, da er der Vormundschaft entsagen mußte.

In Mödling hatte ihn der Hausmusikus Goethes aufgesucht, Zelter, der am 19. August 1819 über die Begegnung nach Weimar berichtet:

»Beethoven ist aufs Land gezogen, und niemand weiß, wohin. An eine seiner Freundinnen hat er eben hier aus Baden geschrieben, und er ist nicht in Baden. Er soll unausstehlich maussade sein. Einige sagen, er ist ein Narr. Das ist bald gesagt. Gott vergeb' uns allen unsere Schuld! Der arme Mensch soll völlig taub sein. Weiß ich doch, wie mir zumute ist, wenn ich hier das Fingerieren ansehe und mir armem Teufel ein Finger nach dem andern unbrauchbar wird. Letzthin ist Beethoven in ein Speisehaus gegangen; so setzt er sich an den Tisch, vertieft sich, und nach einer Stunde ruft er den Kellner: ›Was bin ich schuldig?‹

– ›Euer Gnaden haben noch nichts gegessen, was soll ich denn bringen?‹ – ›Bring was du willst, und laß mich ungeschoren!‹ – –

Der Erzherzog Rudolf soll sein Gönner sein und ihm 1500 (!) Gulden Papier jährlich geben. Damit muß er sich hier denn freilich einrichten, wie hier alle Musenkinder. Diese sind hier wie Katzen gehalten; wer sich nicht aufs Mausen versteht, spart so leicht nichts. Dabei sind sie jedoch alle so rund und vergnügt wie die Wiesel.« Dazu als Nachtrag:

»14. September 1819

Vorgestern habe ich Beethoven in Mödling besuchen wollen. Er wollte nach Wien, und so begegneten wir uns auf der Landstraße, stiegen aus, umarmten uns aufs herzlichste. Der Unglückliche ist so gut als taub, und ich habe kaum die Thränen verhalten können.«

In derselben Zeit, gegen Ende August, kam auch Schindler mit dem Musiker Horzalka nach Mödling auf Besuch zu dem Meister. Die Vorgänge, die sich nun abspielen, haben den Grund gelegt zu Schindlers Vertrauensstellung, der von da ab dem Meister wie sein Schatten folgte. Geben wir Schindler selbst das Wort über die Dinge, die er bei seinem Mödlinger Besuch gesehen und erlebt hat:

»Gegend Ende August (1819) kam ich in Begleitung des in Wien noch lebenden Musikers Johann Horzalka in des Meisters Wohnhause zu Mödling an ... Es war vier Uhr nachmittags. Gleich beim Eintritt vernahmen wir, daß am selben Morgen Beethovens beide Dienerinnen davongegangen seien, und daß es nach Mitternacht einen alle Hausbewohner störenden Auftritt gegeben, weil infolge langen Wartens beide eingeschlafen und die zubereiteten Gerichte ungenießbar geworden. In einem der Wohnzimmer bei verschlossener Tür hörten wir den Meister über die Fuge zum Kredo singen, heulen, strampfen. Nachdem wir dieser nahezu schauerlichen Scene lange schon zugehorcht und uns eben entfernen wollten, öffnete sich die Tür, und Beethoven stand vor uns mit verstörten Gesichtszügen, die Beängstigung einflößen konnten. Er sah aus, als habe er soeben einen Kampf auf Tod und Leben mit der ganzen Schar der Kontrapunktisten, seinen immerwährenden Widersachern, bestanden. Seine ersten Äußerungen waren konfus, als fühle er sich von unserem Behorchen unangenehm überrascht. Alsbald kam er aber auf das Tagesergebnis zu sprechen und äußerte mit merkbarer Fassung: ›Saubere Wirtschaft, alles ist davongelaufen, und ich habe seit gestern mittag nichts gegessen.‹ Ich suchte ihn zu besänftigen und half bei der Toilette. Mein Begleiter aber eilte voraus in die Restauration des Badehauses, um einiges für den ausgehungerten Meister zubereiten zu lassen. Dort klagte er uns die Mißstände in seinem Hauswesen. Dagegen gab es jedoch aus verschiedenen Gründen keine Abhilfe. Niemals wohl dürfte ein so großes Kunstwerk unter widerwärtigeren Lebensverhältnissen entstanden sein als diese Missa solemnis

Schindler hatte keineswegs unrecht mit dem Hinweis auf die widerwärtigen Lebensverhältnisse, unter denen die Entstehung eines so großen Kunstwerkes wie diese Missa solemnis gelitten hat. Denn es bedurfte noch weiterer Jahre zu ihrer Vollendung. Aber das war der geringste Tribut, den er seiner unseligen Liebe für den undankbaren Neffen zollte. Nur weniges ist nebenher entstanden: die Ouvertüre »Zur Weihe des Hauses« für das Josephstädter Theater, die erst am Nachmittag des Aufführungstages fertig wurde. Hervorzuheben aus der Produktion jener Jahre sind neben dem kapriziösen Klavierstück »Die Wut über den verlorenen Groschen« besonders die berühmten 33 Diabelli-Variationen als letzte große Klavierschöpfung, die sich allerdings nicht mehr um das materielle Klavier kümmert, sondern ein neues noch nicht verwirklichtes Instrument voraussetzt und als Klangphantasie für ferne Zukunft höchste Bedeutung hat.

Erzherzog Rudolf war längst Kardinal geworden, aber die ihm bestimmte Messe ist immer noch nicht fertig. Neugierige Frager pflegte der Meister unwillig mit den Worten abzufertigen: »Bis der Erzherzog Papst wird.«

*

Bei der starken Legendenbildung, die schon bei Lebzeiten des Meisters einsetzte und durch sein sonderliches Gehaben genährt wird, ist es nicht zu verwundern, daß die Scharen von Kunstgenossen, Verehrern und Neugierigen, die zu dem Meister pilgern, von Jahr zu Jahr zunehmen. Die Originalität seines Wesens und seiner äußeren Erscheinung, die Unordnung im Hause und in der Kleidung sind sprichwörtlich geworden; jeder weiß ein Stückchen davon zu erzählen, es entsteht ein Anekdotenkranz um ihn, den die Nachwelt fortzusetzen bemüht ist, und der gläubig hingenommen wird, obzwar er diesen Glauben in der Regel nur wenig verdient.

Im Gegensatz zur herrschenden Meinung findet der dänische Dichter Ohlenschläger, der dem Meister ein Singspiel dichten soll, daß er recht gut aussieht, mit roten Backen, kein graues Haar, trotz der bald fünfzig Jahre; nur diese Taubheit erschüttert ihn: »Ein großes Unglück für den Musiker!«

Von Heinrich Marschner, dem Komponisten von »Hans Heiling«, der als junger Mensch zu dem Meister kam, um sich ein Urteil über die eigenen Arbeiten einzuholen, wird erzählt, er sei so enttäuscht von Beethovens lakonischer Äußerung gewesen, daß er verzweifelt seine Notenhefte zerriß und zu dem verlassenen Brotstudium zurückkehren wollte in der Meinung, kein Talent zu haben, bis man ihn aufklärte und an das stumme Wohlwollen und die Innigkeit im Blick des Meisters erinnerte, die mehr als Lob bedeutete.

Zu den namhaften auswärtigen Besuchern, die Beethoven spielen hörten, gehörte auch Sir John Russel, dessen Beobachtungen festgehalten zu werden verdienen. Er erzählt, daß, wenn der Meister leise spielte, dann das Instrument zuweilen ebenso stumm war als der Spieler taub, der nur mit den Ohren des Geistes hörte. Aber auf seinem Gesicht drückte sich die Musik aus, besonders das Kühne, Gebietende, Stürmische, das sich aus der Seele so auf das Antlitz übertrug, daß die Muskeln schwollen, die Adern hervortraten, der Mund bebte und das Auge doppelt wild rollte ... Das Ossianisch-Dämonische, Bardenhafte, das schon der Maler Klöber beobachtet hat, tritt jetzt in die Erscheinung; er sieht aus wie ein Zauberer, wie Prospero, der den Geistern gebietet. Auch Katharina Fröhlich, Grillparzers Braut, stand schon als Kind unter diesem Eindruck, wenn sie draußen am Heiligenstädter Bach aus dem väterlichen Hause in seine Sommerwohnung mußte, um ihm die »Augsburger Allgemeine« zu bringen. Sie war über den wilden Ausdruck bei seinem Spiel so erschrocken, daß sie sich zu fürchten anfing und wegeilen wollte; doch mit gebieterischem Finger winkte er ihr zu bleiben, und spielte dann gemäßigter. Dem Kinde spielte er gerne vor, nicht so immer den Großen.

Ähnliches weiß Franz Lachner zu berichten, der Freund Schuberts und spätere Generalmusikdirektor in München, der 1822 stellenlos nach Wien kam, wo er Beethoven im »Gasthaus zur Eiche« auf der Brandstatt, einem beliebten Musikerlokal, jeden Samstag sah. Es gab an diesen Samstag-Abenden Beethovens Lieblingsgericht: Blutwurst mit Kartoffeln. Beethoven saß gewöhnlich in einem Winkel an einem Tischchen im Hinterzimmer; er bevorzugte solche Gasthäuser, wo man unbemerkt aus und ein gehen konnte und in einem Zimmerchen allein saß. Es wird gesagt, daß er in späteren Jahren recht achtlos, um nicht zu sagen unmanierlich, beim Essen war. Lachner lernte ihn dann bei Nanette Streicher näher kennen. Eine seiner Verehrerinnen spielte sein großes B-Dur-Trio am Klavier. Der vierte Satz hatte begonnen, als der Meister ernst, fast feierlich, eintrat und mit den Worten: »Nichts, nichts!« ans Klavier heranging. Über die Pianistin gebeugt, spielte er dann mit glühendem und sprühendem Auge den Hauptgedanken. Das Instrument schien verwandelt, die Zuhörer fühlten sich unwiderstehlich von einer höheren, überirdischen Macht tief und gewaltig erschüttert. Lachner versichert, daß es ihn eiskalt überlief; es sei die erhabenste und ergreifendste Erinnerung seines Musikerlebens, und wenn er je wieder diese Stelle von anderen hörte, sei es auch von den besten Künstlern, so käme sie ihm vollständig profaniert vor. Man versteht, warum die Menschen so sehr im Bann seiner Kunst standen, daß sie alles, was sie an seinem etwas schwierigen Wesen stören mochte, ganz und gar vergaßen. Man darf allerdings auch nicht aus dem Auge lassen, daß alle diese und ähnliche Schilderungen von Zeitgenossen in einer späteren Zeit niedergeschrieben wurden und die gewonnenen Eindrücke im Verklärungslicht unter dem Einfluß des großen Nachruhms des Künstlers zeigen.

So wird auch von Rossini erzählt, der damals in Wien sehr gefeiert wurde, daß er einen guten Rat von Beethoven empfangen habe, der seine komische Oper, den »Barbier von Sevilla«, wohl allerersten Ranges erklärt, ihm aber die Fähigkeit, ernste, tragische Werke zu schaffen, abgesprochen und ihm empfohlen habe, bei der komischen Oper zu bleiben. Als die Unterredung zu Ende war, schien es, als ob Rossini geweint hätte. Es soll aber nicht das Urteil Beethovens gewesen sein, das ihn so betrübte, sondern der Zustand des Quartiers, in dem sich der Meister befand.

Diesen Eindruck hatte wohl auch Louis Schlösser, der Hofkapellmeister aus Darmstadt, der Freundliches vom Großherzog brachte und Beethoven in der steilen Häuserreihe der ungemütlichen Kotgasse auf der Laimgrube aufsuchte, in der Nachbarschaft von lärmenden Schmiedewerkstätten, Glockengießern und ähnlichen geräuschvollen Handwerkern, die dem tauben Meister allerdings nichts anhaben konnten. Er fand ihn in einem ziemlich chaotisch aussehenden Zimmer, in das man durch eine Küche gelangte. Aber weder Diener noch Magd ließen sich blicken, das Klopfen an der Zimmertür war vergeblich, so trat der Besucher ohne weiteres ein und fand den Meister in einem nachlässigen Hausanzug eben beschäftigt, das Holzgetäfel der tiefen Fensternischen eifrig mit Zahlen anzukritzeln. Trotz allem wirkte die Erscheinung des ruhmgekrönten Künstlers mit dem Charakterkopf, der ernsten Stirn und dem freundlichen Lächeln vornehm und hoheitsvoll auf ihn.

Bald darauf begegnet er ihm in der Kärntnerstraße auf dem Wege ins Paternostergaßl und ist ein wenig verwundert, den sonst angeblich so nachlässig gekleideten Beethoven in ungewöhnlich eleganter Toilette zu sehen: blauer Frack mit gelben Knöpfen, weiße Beinkleider, ebensolche Weste, einen neuen Kastorhut wie gewöhnlich auf dem Hinterkopf. Die auffallende Metamorphose soll darin ihre Erklärung gefunden haben, daß die Freunde in der Nacht die alten Kleider weggenommen und neue an deren Stelle gelegt hätten, was nicht das erstemal der Fall gewesen sein soll; ohne es zu bemerken, habe der Meister in aller Gemütsruhe die neuen Kleider angezogen. Schlösser will indessen an dieses Maß von Zerstreutheit, die man Beethoven andichtete, nicht glauben; er hat eine solche an Beethoven nie wahrgenommen.

Viele Zeitgenossen können sich gar nicht genug tun, die Verwahrlosung seiner Kleidung auszumalen. Ja, man spricht davon, daß er oft sehr schmutzig gewesen sein soll. Dagegen spricht schon die reichliche Wasserprozedur. Wenn es nicht immer am besten mit Toilette und Wäsche stand, so erklärt sich das ganz leicht aus seiner Dienstbotenwirtschaft und aus seiner sonstigen Unbekümmertheit für Äußerlichkeiten, besonders in den Zeiten intensiven Schaffens. Dadurch allein empfängt die Erzählung, die der Maler und Kupferstecher Blasius Höfel, der Schöpfer des gelungenen Beethovenstiches, zum besten gibt, vielleicht einige Wahrscheinlichkeit. Er will in Wiener Neustadt folgende Begebenheit erlebt haben, die der erste Beethovensammler und Biograph Thayer berichtet:

»Im Jahre 1822 oder 23 saß er (Höfel) eines Abends, als es schon dunkel war, mit mehreren seiner Kollegen und dem Polizeikommissar beim Abendessen im Gasthausgarten ›Zum Schleifer‹ außerhalb der Tore von Wiener Neustadt, als ein Polizeidiener zum Kommissar kam und ihm folgende Meldung machte:

›Herr Kommissar, wir haben jemand arretiert, der uns keine Ruh gibt und immerfort schreit, daß er Beethoven sei. Er ist aber ein Lump – hat keinen Hut – einen alten Rock usw., keinen Ausweis, wer er ist usw.‹

Der Kommissar befahl, den Mann bis auf den nächsten Tag zu behalten, dann werde man hören, wer er sei.

Am nächsten Tag war die Gesellschaft neugierig, wie der Vorfall ausgefallen, und der Kommissar erzählte, daß er ungefähr um elf Uhr nachts aufgeweckt und ihm wieder gemeldet wurde, wie der Arretierte keine Ruhe gebe, sondern verlange, daß man den Herrn Herzog, Musikdirektor in Wiener Neustadt, zu seiner Identifizierung berufe.

Dies geschah und als der Herzog den Mann sah, nahm er ihn unter dem Ausrufe: ›Das ist Beethoven‹ sofort mit nach Hause.

Tags drauf kam der Bürgermeister zu Beethoven, um wegen des Vorgefallenen um Entschuldigung zu bitten, und ließ ihn von Herzog mit ordentlichen Kleidern versehen, im Magistrats-Staatswagen nach Baden, seinem damaligen Wohnorte, fahren.

Beethoven war an jenem Tage morgens ohne Hut und in einem alten Rocke, ausgegangen, einen kleinen Spaziergang zu machen. Er gelangte an den Kanal und, in Gedanken vertieft, vergaß er umzukehren, folgte dem Kanal immerfort und befand sich abends müde, staubbedeckt und hungrig in einem ihm ganz unbekannten Orte, nämlich am Kanalbassin bei dem Ungartor von Wiener Neustadt. Hier sah man ihn in die Fenster hineinschauen, und, da er wie ein Bettler aussah, wurde er verhaftet.

Auf seine Versicherung: Ich bin Beethoven, soll er die Antwort erhalten haben: Warum net gar. A Lump sind Sie – So sieht Beethoven nit aus!«

Rochlitz, sein Leipziger Vorkämpfer, der ihn ebenfalls 1822 in Baden besuchte, fand ihn übereinstimmend mit den andern Zeugen von gutem und gesundem Aussehen, im Äußeren allerdings vernachlässigt, fast verwildert; daß er sich aber auch nett und sauber, ja elegant zeigen konnte, dafür ist auch dieser Biograph ein glaubwürdiger Gewährsmann, wenn er erzählt, daß Beethoven es sich nicht nehmen ließ, bei einem Spaziergang ins Helenenthal den feinen schwarzen Frack auszuziehen, den er zu Ehren des Besuchs angelegt hatte, und hemdärmelig, den Frack an dem Spazierstock geschultert, von 10 Uhr vormittags bis abends 6 Uhr zu bleiben, ungeachtet der noblen Gesellschaft auf den Promenaden und in den Speisesälen.

Auch Schindler will es durchaus nicht wahr haben, daß seinem Meister Verlumptheit nachgesagt werden könnte. Dem Pedanten darf man wohl vollen Glauben schenken, wenn er behauptet, daß sich Beethoven unter Umständen sehr wohl anzuziehen vermochte; übrigens bezeugt es auch das Bild Waldmüllers. Ein Frack von feinem blauen Tuch, die bevorzugte Farbe jener Zeit, mit metallenen Knöpfen, kleidete ihn vortrefflich; daneben fehlte niemals ein solcher aus dunkelgrünem Tuch; bei guter Witterung trug er stets weiße Pantalons und weiße Strümpfe nach der Mode; Weste und Halsbinde waren zu jeder Jahreszeit weiß und auch an Wochentagen musterhaft reinlich. So bestätigt Schindler.

Beethoven nach einer Zeichnung von Jos. Dan. Boehm

Beethoven nach einer Zeichnung von Jos. Dan. Boehm

Trotzdem bemächtigte sich die Karikatur des Meisters in Zeichnungen von Lyser und Böhm. Die Sache war wohl so, daß die Bekleidung, mochte sie auch gut sein, eine eigentümliche Nonchalance aufwies und etwas ungewöhnlich Auffälliges an sich hatte. Sie war weit und faltig; die ungeknöpften Rockflügel, zumal jene des blauen Fracks, schlugen nach außen wie Windflügel und ebenso die langen Zipfel des weißen Halstuches; die Rockschöße waren ungleich schwer beladen, der eine hing tiefer als der andere, je nach dem Gewicht; es steckten in den Schoßtaschen ein starkes Quart-Notenheft, ein Oktav-Konversationsheft, ein dickes Zimmermannsblei, ein Hörrohr, ein umfängliches Taschentuch, das mit einem langen Zipfel oftmals heraushing. Der übliche Filzhut, zuweilen vom Regen triefend, wurde über die oberste Spitze des Kleiderstockes geschlagen und hatte davon einen ausgewölbten Deckel. Selten oder nie gebürstet, naß und dann wieder verstaubt, bekam er ein filziges Aussehen. Beethoven trug ihn im Genick; die Haare flatterten beiderseits grau und wirr, die Hutkrempe kam bei dem zurückgeworfenen Kopf mit dem damals hoch zum Hinterhaupt ragenden Rockkragen in ständige Berührung, und die fortwährende Reibung ließ den Kragen abgeschabt erscheinen. So, mit vorhängendem, aber nicht gebeugtem Körper und mit stets zurückgeworfenem Haupt sah ihn in den letzten Lebensjahren der Freund Breuning von seinen Fenstern aus immer gegen 2 Uhr nachmittags vom Schottenring her über das Glacis seiner Wohnung zusegeln. Und ungefähr so haben ihn auch die Karikaturenzeichner festgehalten.

*

Keineswegs alle Besucher, die sich herandrängen mochten, wurden empfangen; auswärtige Ankömmlinge hatten den Vorzug; aber nicht alle waren so herzlich aufgenommen wie der Kritiker Rochlitz oder der Londoner Harfenfabrikant Johann Andreas Stumpff, ein geborener Thüringer, oder Karl Maria Weber oder der Dichter Rellstab, der das schöne Wort gesprochen hat, das für alle gilt, die gekommen sind, um dem Meister ihre Huldigung zu erweisen:

Lysers Zeichnung für die »Cäcilia«

»Wanderer, hier liegt Wien! Und was knüpft sich an diesen Ruf? Für mich in diesem ersten Augenblick nur der Klang des einen hohen Namens: Beethoven.«

Rellstab, obschon recht freundschaftlich empfangen, suchte vergebens den Meister zur Komposition seiner Gedichte zu bewegen, die dann, von Schubert vertont, Unsterblichkeit gewannen.

Beethoven etwa 1823. Karikatur von Lyser

Denkwürdig ist vor allem der Besuch von Karl Maria Weber, der lange Zeit zu den Gegnern Beethovens gehörte und über dessen Meisterschöpfungen so manche abfällige Kritik geschrieben hatte. Bei seiner wiederholten Anwesenheit in Wien hatte er den Meister geflissentlich gemieden; nur mit Schubert, der noch ganz im Hintergrund stand, war er in Berührung gekommen und übrigens auch über diesen geärgert wegen des freimütigen Urteils, das der Liederfürst über »Eurpanthe« aussprach. Über Webers »Freischütz« soll nach der Erstaufführung in Wien Beethoven sein Urteil in die lakonische, etwas zweiflerische Formel zusammengefaßt haben: »Hm, es ist eben gewebt!« Seit »Fidelio« indessen ist auch Weber das Verständnis für den seiner Art wohl überlegenen Genius Beethovens aufgegangen; ein herzlicheres Verhältnis wurde von Weber mit allen Ausdrücken der Verehrung und Liebe brieflich angebahnt, und eines Tages kam er selbst in Begleitung seines Schülers Benedikt und des Musikverlegers Steiner zu dem Meister in seine wüst aussehende Badener Sommerbehausung hinaus. Beethoven, in einem bequemen, an den Ärmeln zerrissenen Hausrock gekleidet, eine zyklopisch viereckige Gestalt, ging sofort auf den zarten, schlanken, in blauem Frack und gelbem Reisemantel mit vielen Kragen sorgfältig gekleideten Weber zu und schloß ihn unter den herzlichen Begrüßungsworten in seine Arme:

»Da bist du ja, du bist ein Teufelskerl! Grüß dich Gott!«

Küßte ihn mit wahrer Freundschaft und Liebe und wiederholte: »Du bist ein braver Kerl geworden!«

Dann warf er die Musikalien vom Sofa, um den Gästen Platz zu machen, kleidete sich ungeniert zum Ausgehen um, indessen das Gespräch unter Benützung des Konversationsheftes lebhaft hin und her ging.

Beethoven stimmte sein altes Klagelied über die schlechten Zeiten an; Weber riet ihm, sich den drückenden Verhältnissen durch eine Kunstreise nach Deutschland und England zu entreißen, doch nur ein bedauerndes Kopfschütteln war die Antwort und ein resigniertes: »Zu spät!« Dazu die Gebärde nach dem Ohr und die Bewegung des Klavierspielens als nähere Erklärung.

Im Sauerhof, wohin man zum Speisen ging, war man sehr heiter und der Meister voll rührender Aufmerksamkeit für Weber, so daß dieser an seine Frau berichten konnte:

»Wir brachten den Mittag miteinander zu, sehr fröhlich und vergnügt. Dieser rauhe, zurückstoßende Mensch machte mir ordentlich die Kur, bediente mich bei Tisch mit einer Sorgfalt wie seine Dame. – Es gewährte mir eine eigene Erhebung, mich von diesem großen Geiste mit solcher liebevollen Achtung überschüttet zu sehen.«

Karl von Beethoven (1806)

In dem Kreuzfeuer der Unterhaltung, die der Meister mit seiner gallig-humoristischen Laune würzte, erging er sich in seinen beliebten Ausfällen gegen Theater, Kunstzustände, Staat, Regierung und Persönlichkeiten mit einem Freimut, der einem andern im damaligen Polizeistaat nicht verziehen worden wäre. Die Explosionen seiner Phantasie und seines Temperaments werden als überaus ergötzlich geschildert; es fällt jedoch den Gästen auf, daß er immer wieder das Gespräch auf seinen Neffen Karl bringt und jedesmal in Trübsinn verfällt, sooft er diese Familienverhältnisse berührt. Die Besucher stehen unter dem Eindruck, daß dieser Karl in dem Leben des großen Meisters eine verhängnisvolle, ja entscheidende Rolle spiele und irgendwie ein Unglück für ihn bedeute.

*

Wer nun gar nicht das Glück hatte, bei Beethoven anzukommen und ihn dennoch sehen wollte, der brauchte nur ins Paternostergaßl zu gehen, wo Beethoven mehrmals die Woche um die Mittagszeit in dem engen Laden der Musikalienhandlung Steiner & Tobias Haslinger verweilte und seine kernigen sarkastischen Bemerkungen zum besten gab, jenen klobigen Humor und galligen Scherz, dessen Zielscheibe hier meistens diese beiden Verleger waren. Sie ließen sich die Frozzeleien gerne gefallen, um den Gewaltigen bei guter Laune zu erhalten, an dem sie reichlich verdienten. Manchmal war der kleine Laden bis auf die Straße überfüllt von schier einem halben hundert Menschen, die den ahnungslosen Meister sehen oder hören wollten; und es schien fast so, als hätten die findigen Verleger es so eingerichtet. Hier trafen ihn auch Anselm Hüttenbrenner und Franz Schubert, der sich noch nicht persönlich an ihn heranwagte und ihn nur von fern beobachtete; er sah ihn wiederholt, ohne sich ihm zu nähern, auch in den verschiedenen Wiener Beiseln oder Stammgasthäusern, die Beethoven zu besuchen pflegte, wie den »Schwan«, das »Fischtrüherl«, das »Jägerhorn«, den »Römischen Kaiser«, das »Schwarze Kameel«, das »Blumenstöckl«, die »Eiche« auf der Brandstatt, überall dort, wo gerne Musiker verkehrten.

Der Umgang Beethovens mit seinen Verlegern hatte fast durchwegs einen freundschaftlichen Ton, der es ihm aber gleichzeitig erleichterte, Grobheiten anzubringen, wenn ihm etwas nicht paßte, was nur allzuoft der Fall war. Dann entlud sich sein Unmut in einem gar grimmigen Humor. Von Diabelli sprach er dann nur als vom »Erzflegel Diabelli« oder von »Diabolus«; Schotts Söhne in Mainz waren dann »die Mainzer Gassenbuben«; das Ärgste aber mußten sich die »Paternostergäßler« Steiner & Haslinger gefallen lassen. Mit ihnen sprach er durch die militärische Blume, befehlshaberisch. Er bezeichnete sich selbst als »Generalissimus«, Steiner als »Generalleutenant«, Haslinger als »Adjutant« und das Geschäft als das »Generalleutenants-Amt«. Er hatte sich auf diese Weise den geschäftlichen Verkehr bequem eingerichtet; die Honorare waren die »geharnischten Männer«, die zu dem »Generalissimus« zu marschieren hatten. Hin und wider kommt es zu Wutausbrüchen, zumal wenn die häufigen Tagesbefehle der letzteren Art höchst subordinationswidrig verzögert wurden oder unausgeführt blieben; dann war Steiner ein »Hauptfilziger schuftiger Kerl« oder ein »Lumpenkerl«, ein Ehrentitel, mit dem der Meister nach allen Seiten hin höchst freigebig war, was aber durchaus nicht immer als Ausdruck schlechter Laune gedeutet werden mußte.

*

In dem Gedankenaustausch mit Rochlitz, der dem Meister im Auftrage seiner Leipziger Verleger die Anregung zu einer Musik für Goethes Faust geben wollte, ist ein bedeutungsvolles Wort gefallen: »Es grauet mir vom Anfang so großer Werke ...«

Die » Missa solemnis« ist endlich im Fertigwerden; die neunte Symphonie ist im Entstehen; er denkt an eine zehnte, an ein Oratorium: »Sieg des Kreuzes«, an eine neue Oper »Melusine« von Grillparzer (die später Konradin Kreutzer vertont) und vieles andere; aber er gesteht dem Fremden, daß er sich seit einiger Zeit nicht mehr leicht zum Schreiben bringe: »Ich sitze und sinne und sinne; ich hab's lange, aber es will nicht aufs Papier ... Bin ich dann drinn, dann geht's wohl.«

Nach Überwindung der großen Hemmungen, die ihm der Kampf um Karl verursacht hatte, befand sich der Meister nun auf dem Wege zu jenen äußersten Höhen, die alles bisher Erreichte noch weit hinter sich lassen. Die Missa solemnis ist ein Werk, wie es die religiöse Musik seither nicht wieder aufzuweisen hat. Der ganze Beethoven ist darin in verklärter, gesteigertster Form. Mag alles andere von ihm verlorengehen – hier hätte man ihn ganz.

Man beobachtet, daß sein Wesen während dieses Schaffens eine ganz andere Gestalt angenommen habe. Er arbeitete mit solcher Inbrunst an dem Werke, das er selbst für sein bestes erklärte, daß er sich danach ganz zerschlagen fühlte. Am schwersten hatte er mit dem Credo und dem Benediktus gerungen. Zur Fuge » et vitam venturi« soll er im Schweiße seines Angesichtes mit Händen und Füßen den Takt geschlagen haben, so daß die Hausnachbarn sich beschwerten und ihn für einen Besessenen hielten. In der völligen Erdentrücktheit während dieser Arbeit kam er oft von Feld und Flur, wo er sinnend herumstrich, ohne Hut heim, und aus solchem Anlaß dürfte ihm das Wiener Neustädter Abenteuer passiert sein.

Über dem Kyrie dieser Messe stehen die Worte »Vom Herzen kam's, zum Herzen soll es dringen«. Seine Absicht ist, »sowohl bei den Singenden als Zuhörenden religiöse Gefühle zu erwecken und dauern zu machen«. Bei der Probe des Kyrie ist er selbst ganz aufgelöst in Andacht und Rührung.

Die C-Dur-Messe von 1807 war ein Anfang; die Missa solemnis ist die Vollendung des individuellen Ausdrucks in der Kirchenmusik, das erste kirchliche Werk im modernen Geiste. Man hat es anfangs nicht ganz zu würdigen vermocht; die Schöpfung schien zu neuartig und zu umwälzend, und man hatte die törichtsten Folgerungen gezogen, damals und auch später. Die Meinung war, daß die Messe wegen ihrer Größe den liturgischen Rahmen sprenge und überhaupt mehr für den Konzertsaal gedacht sei, zumal sie ja auch tatsächlich zuerst im Konzertsaal aufgeführt worden ist. Aus diesem Umstand wollte man auf andere geistige Grundlagen schließen. Weil Beethoven in seinem Konversationsbuch den Kantischen Satz: »Das moralische Gesetz in uns und der gestirnte Himmel über uns« aufgeschrieben und mit drei Ausrufzeichen versehen hatte, wollte man hierin sein Glaubensbekenntnis erblicken. Aber aus Philosophie allein entsteht keine Messe. Überdies weist auch der Kantische Satz auf die Gottesidee in uns und über uns; und wenn der Meister kein gottesdienstliches Werk hätte schreiben wollen, dann hätte er gewiß nicht den liturgischen Text verwendet. Dadurch werden alle Kombinationen hinfällig, die die reinen Absichten des Tondichters umdeuten, wenngleich es richtig ist, daß diese Missa solemnis selbst den Konzertsaal zur Kirche zu machen scheint durch den erhabenen religiösen Schwung des Werkes. Es gehört zu den heiligsten Gütern der musica sacra.

Das schwer errungene Werk, das nach der langen Öde dieser Jahre den Meister auf Höhen neuer Erreichungen zeigte, dahin ihm niemand folgen konnte, sollte in entsprechend würdiger Form eingeführt werden. Es waren wohl nicht mehr die alten schönen Zeiten mit ihrem kunstbeflissenen Adelskreis, der dem Genius mit großen Mitteln bereitwillig zu Diensten stand; der bürgerliche Salon war an Stelle der aristokratischen Kunstpflege getreten, und das war ein dürftiger Boden, der nichts abwarf und nichts bedeutete; die künstlerische Sendung des Adels von einst war übernommen worden von Konzertgesellschaften und öffentlichen Musikvereinen im heutigen Stil, die nach und nach ins Leben traten. Also sollte die Messe zunächst im Wege der Subskription an die verschiedenen Vereine, Singakademien und Höfe verbreitet werden, im ganzen 50 Exemplare zu je 50 Dukaten. Der tatsächliche Ertrag deckte allerdings nicht viel mehr als die Kopiatur. Unter anderen übernahm der preußische Hof ein Exemplar, auch die Berliner Singakademie, nachdem Beethoven an Zelter einige eindringliche Worte geschrieben und auf seine mißliche Lage hingewiesen hatte:

»Schon mehrere Jahre immer kränklich und daher eben nicht in der glänzendsten Lage, nahm ich Zuflucht zu diesem Mittel. Zwar viel geschrieben – aber erschrieben beinah Null – mehr gerichtet meinen Blick nach Oben – aber gezwungen wird der Mensch um sich und anderer Willen, so muß er sich nach unten senken, jedoch auch dies gehört zur Bestimmung des Menschen.«

Beethoven im Jahr 1823

Auch an Goethe schrieb Beethoven, daß er sich zum gleichen Zwecke beim Großherzog von Weimar verwenden möge. Es ist geradezu ein Bittgesuch, das ob seines rührenden Inhalts mitgeteilt zu werden verdient. Der Brief ist vom 8. Februar 1823 datiert und lautet folgendermaßen:

»Ew. Exzellenz! Immer noch, wie von meinen Jünglingsjahren an, lebend in Ihren unsterblichen, nie veraltenden Werken und die glücklichen, in Ihrer Nähe verlebten Stunden nie vergessend, tritt doch der Fall ein, daß auch ich mich einmal in Ihr Gedächtnis zurückrufen muß. – Ich hoffe, Sie werden die Zueignung an E. E. von ›Meeresstille und glückliche Fahrt‹, in Töne gebracht von mir, erhalten haben. Beide schienen mir ihres Kontrastes wegen sehr geeignet, auch diesen durch Musik mitteilen zu können. Wie lieb würde es mir sein zu wissen, ob ich passend meine Harmonie mit der Ihrigen verbunden, auch Belehrung, welche gleichsam als Wahrheit zu betrachten, würde mir äußerst willkommen sein, denn letztere liebe ich über alles, und es wird nie bei mir heißen: Veritas odium parit. – Es dürften vielleicht bald mehrere Ihrer immer einzig bleibenden Gedichte, in Töne gebracht von mir, erscheinen, worunter auch ›Rastlose Liebe‹ sich befindet. Wie hoch würde ich eine allgemeine Anerkennung überhaupt über das Komponieren oder In-Musik-Setzen Ihrer Gedichte achten! – Nun eine Bitte an E. E. Ich habe eine große Messe geschrieben, welche ich aber noch nicht herausgeben will, sondern nur bestimmt ist, an die vorzüglichsten Höfe gelangen zu machen. Das Honorar beträgt nur 50 Dukaten. Ich habe mich in dieser Absicht an die Großherzoglich Weimarer Gesandtschaft gewendet, welche das Gesuch an Seine Großherzogliche Durchlaucht auch angenommen und versprochen hat, es an selbe gelangen zu lassen. Die Messe ist auch als Oratorium gleichfalls aufzuführen, und wer weiß nicht, das Heutigestags die Vereine für die Armut dergl. Subskribierten benötigt sind! Meine Bitte besteht darin, daß E. E. Seine Großherzogliche Durchlaucht hierauf aufmerksam machen möchten, damit Höchstdieselben auch hierauf subscribierten. Die Großherzoglich Weimarer Gesandtschaft eröffnet« mir, daß es sehr zuträglich sein würde, wenn der Großherzog vorher schon dafür gestimmt würde. – Ich habe so vieles geschrieben, aber erschrieben – beinahe gar nichts. Nun aber bin ich nicht mehr allein; schon über sechs Jahre bin ich Vater eines Knaben meines verstorbenen Bruders, eines hoffnungsvollen Jünglings im 16. Jahre, den Wissenschaften ganz angehörig und in den reichen Schachten der Griechheit schon ganz zuhause. Allein in diesen Ländern kostet dergl. sehr viel, und bei studierenden Jünglingen muß nicht allein an die Gegenwart, sondern selbst an die Zukunft gedacht werden, und so sehr ich sonst bloß nur nach oben gedacht, so müssen doch setzt meine Blicke auch sich nach unten erstrecken. – Mein Gehalt ist ohne Gehalt. – Meine Kränklichkeit seit mehreren Jahren ließ es nicht zu, Kunstreisen zu machen und überhaupt alles das zu ergreifen, was zum Erwerb führt. – Sollte ich meine gänzliche Gesundheit wieder erhalten, so dürfte ich wohl noch manches andere Bessere erwarten dürfen. – E. E. dürfen aber nicht denken, daß ich wegen der setzt gebetenen Verwendung für mich Ihnen Meeresstille und glückliche Fahrt' gewidmet hätte. Dies geschah schon im Mai 1822, und die Messe auf diese Weise bekannt zu machen, daran ward noch nicht gedacht, bis jetzt vor einigen Wochen. – Die Verehrung, Liebe und Hochachtung, welche ich für den einzigen, unsterblichen Goethe von meinen Jünglingsjahren schon hatte, ist immer mir geblieben. So was läßt sich nicht wohl in Worte fassen, besonders von einem solchen Stümper wie ich, der nur immer gedacht hat, die Töne sich eigen zu machen. Allein ein eigenes Gefühl treibt mich immer, Ihnen soviel zu sagen, indem ich in Ihren Schriften lebe. – Ich weiß, Sie werden nicht ermangeln, einem Künstler, der nur zu sehr gefühlt, wie weit der bloße Erwerb von ihr entfernt, einmal sich für ihn zu verwenden, wo Not ihn zwingt, auch wegen anderen für andere zu walten, zu wirken. – Das Gute ist uns allzeit deutlich, und so weiß ich, daß E. E. meine Bitte nicht abschlagen werden. –

Einige Worte von Ihnen an mich würden Glückseligkeit über mich verbreiten.

Euer Exzellenz mit der innigsten, unbegrenztesten Hochachtung verehrender Beethoven.«

Goethe hat auf dieses herzbewegliche Schreiben nicht geantwortet, und der Weimarer Hof hat nicht subskribiert.

*

Die weltliche Schwester der Missa solemnis, mit dieser fast gleichzeitig entstanden, ist die »Neunte«. Man könnte sie auch eine weltliche Messe im klassischen Sinne nennen. Diese beiden geistig eng verwandten Werke sind die letzten überragenden Gipfel einer Tonwelt, die sich mit diesen Schöpfungen zu unendlichen Sphären erhebt und in Regionen verliert, die schier jenseits menschlicher Ausdrucksfähigkeit liegen. Es wollte der Mitwelt erscheinen, als ob sich diese beiden Werke zum Teil der sinnlichen Wiedergabe durch die gegebenen orchestralen Mittel entziehen. Eine solche Höhe zu erreichen, war eine Gnade, die dem verliehen worden ist, der anscheinend soviel Ungnade erfahren und der hörbaren Welt entzogen war, in grenzenloses Schweigen versenkt. Kein Mensch vermag es zu erfassen und die Tiefe des Leids auszumessen, das in solchem Schicksal liegt. Daß gerade ein Musiker dieses Unglück haben mußte, wurde vielfach bedauert; aber man fühlte es kaum, wie furchtbar dieses Los dem Einsamen sein mußte, der mit seiner unerhört musikalischen Seele in diesen Abgrund des Schweigens gestürzt war und diese hermetische Stille nicht durchbrechen konnte, was er auch dagegen stürmte und tobte. Dann die stille, dumpfe Resignation, die Trauer einer hilflosen Verzweiflung. Und in dieser Verzweiflung ein rettungsuchender, kindlicher Aufblick. Dichter, undurchdringlicher war dieses furchtbare Schweigen geworden. Dumme Märchen wurden erfunden, wie etwa, daß er mit dem Stiefelknecht, der ihm eine groteske Stimmgabel darstellt, an die Wände klopfte, um sich eine Gehörempfindung abzuzwingen. Lächerliche Erfindungen phantasieloser Biographen, die mit nachträglich ausgekramten »Denkwürdigkeiten« und »Erinnerungen« sich aufputzen. Aber so niedrig und grotesk diese Erfindungen auch sind, ein klein wenig lassen sie die Hilflosigkeit einer solchen Lage ahnen.

Der Blick nach oben bringt plötzlich Ruhe in die Seele. Die kindliche Bitte findet Erhörung. Ein Stiefelknecht kann ihm den verlorenen Ton nicht wiederbringen. Er kommt aus höheren Sphären als Gnadengeschenk dem gläubig Vertrauenden. Das undurchdringliche Schweigen, das ihn unendlich umschließt, wird plötzlich Klang. Er hört, die Stille spricht. Er hört, was keines Menschen Ohr noch vernommen; die ewigen Sphären werden ihm Gesang. Was Fluch schien, ward Segen. Irdische Töne haben kaum ein Gleichnis dafür; sie sind stumm dagegen. Die gewöhnliche Tonsprache ist taub; er hört, er allein. In solche Transzendenz der Musik ist ihm keiner gefolgt. Zeugnis dafür ist die Missa solemnis und die Neunte.

Die Messe ist die himmlische Schwester; die Neunte ihr philosophisches Gleichnis. Seine abgeklärte Weltanschauung wird Tonsprache. Auch sie ist Lebensbeschreibung, wie all sein Dichten. Man höre es wohl! Der Genius sprach vom »Dichten«, nicht vom Komponieren. Er fühlt sich als Dichter, nicht als »Tonsetzer«. Dichtung ist ihm das wahre Leben, das wirkliche höhere Leben der Seele, die Welt, in der sein Geist und sein Werk atmet. Er ist durch und durch Romantiker. Neben dem realen Leben, das sich in einigen wesentlichen Zügen ebenfalls abbildet, geht ein anderes einher, sein Seelenleben, das sich in der Musik abschildert. Die Neunte ist eine solche Schilderung, ein Rückblick, eine Zusammenfassung seines inneren Lebens, eine Klärung.

Aus Erinnerungstiefen wird noch einmal der »Dämon« beschworen, der mit furchtbarer Majestät unter schreienden Dissonanzen erscheint wie in einer schauerlichen Walpurgisnacht. Er versinkt wieder in den Abgrund. Die gespenstig wirre Phantastik dieser Beschwörungsszene wird wiederholt, das Schicksalsmotiv klingt abermals an. Alle grausigen Schatten, die überwunden scheinen, stehen wieder auf, tausend Erinnerungen seines leidvoll tragischen Seelenlebens. Aber es gibt keinen Kampf mehr. Er ist längst ausgekämpft. Wie in goldener Rüstung steht der sieghaft überwindende Wille da, ein wohlgerüsteter Starker, ruhvoll auf sein Schwert gestützt. Weihevoller Friede ist um ihn gebreitet. Eine Sehnsuchtsmelodie löst sich los und schwebt hoch wie eine weiße Taube über den dunklen Gewässern nach der Sintflut. Es ist die menschliche Sehnsucht, die weit hinüber will über dieses Tal des Jammers in das lichte Reich der Seligkeit. Sphärenhafte Bläserklänge tönen herüber; religiöse Stimmung gewinnt vollends die Überhand über die irdische Lockung und über den Kampf mit feindlichen unterethischen Mächten. Hoch ragt der Sinn des goldenen Ritters, weltabgewandter Einsamkeit zugekehrt.

Alles, was sich verheißungsvoll anbietet, und doch längst überwunden ist, wird abgewiesen. Die Baßrezitative erheben Einspruch gegen alle Verführungen, gegen die beschworenen schlimmen Geister des Anfangs, gegen den dämonischen Gespensterzug des Scherzos, ja selbst gegen die Zauberbotschaft des Adagio, die sich gleichsam als weltliche Liebe anbietet. Der Tondichter gibt gleichsam den Kommentar zu diesen Baßrezitativen und ihren Ablehnungen in Anmerkungen wie diesen: »Nein, dieses würde uns erinnern an unseren verzweiflungsvollen Zustand«; und: »o Nein, dieses nicht, etwas anderes, Gefälligeres ist es, was ich fordere«; und somit wird der Erinnerungsinhalt des ersten Satzes zurückgewiesen. Auch das Scherzo bringt nur Possen; der Dichter fordert sich nach diesem Thema »etwas Schöneres und Besseres« ab. Selbst das Adagio ist ihm noch zu irdisch: »Es ist zu zärtlich, etwas Aufgewecktes muß man suchen« – das Himmlische, und nun verkündet er es durch die jubelnden Bässe, über die er notiert: »Ha, dieses ist es, es ist nun gefunden – Freude!«

Zarte Streicher, festliche Hörner verkünden die Ankunft der Seligkeit. Alle Stimmen sind thematisch erschöpft, nur eine nicht, die menschliche Stimme, die nun in die Symphonie eingefügt wird. Etwas ganz Neues, ganz Eigenes, das über die herkömmliche Form der Symphonie hinausweist und sie oratorienhaft verklärt. Wortdichtung mit Tondichtung vermählt. »Freude, schöner Götterfunke ...« wer kann es singen, wer muß es singen? Die Seele durch die menschliche Stimme!

Gott als Schöpfer ist der Freudespender, der Unbegreifliche, Unbegriffene, Rätselvolle, über den Sternen Thronende ist der Urquell der Liebe: »Seid umschlungen, Millionen!« Der Gott in unnahbaren Regionen über uns und doch zugleich in uns mit dem Freude- und Liebesthema tiefsinnig verschlungen; Engelschöre umringen den Heimgefundenen im Reiche der Seligen, gemeinsam steigt der jubelnde Dank zum Schöpfer empor, dem Vater der Liebe und der Freude, der Dank für das Geschenk aus Elysium. Der Gipfel des Glücks ist erreicht, umschwebt von der verklärenden Ruhe des H-Dur-Satzes im Soloquartett, und dann jauchzt der Dithyrambus trunkener Begeisterung in dieser gewaltigsten Hymne ins Ewige hinaus.

Diese Botschaft der Freude verkündet der Schmerzensreiche in seiner tönenden Einsamkeit; mit ihr erquickt er die Welt, die ihm keinen Widerhall geben kann. Sie kann ihm nichts geben, er allein ist der Geber dank seines Genius, obschon auch er ein Empfangender ist, der wissend empfängt von dem, der alles gibt.

*

Der über fünfzig Jahre alte Meister ist aus der Versenkung, in die ihn die schlechte Zeit, Krankheit, Vormundschaftssorgen und ähnliche lähmende Dinge eine Zeitlang verschwinden ließen, in neuer Glorie wieder aufgetaucht; die Mitwelt lernte nun den verklärten Beethoven kennen, die dritte Schaffensepoche des Meisters.

Voran geht die Wiedererweckung des »Fidelio«. Eine geniale Leonore hat sich gefunden, die den Stil des Werkes hat. Es ist die jugendliche Burgschauspielerin Wilhelmine Schröder, später Gattin des Schauspielers Ludwig Devrient, die sich mit einemmal als Sängerin hervortat. Eine singende Schauspielerin, eine Persönlichkeit auf der Bühne, die erste dramatische Sängerin überhaupt, das war es, was »Fidelio« brauchte und jetzt erst gefunden ward. Mit jugendlicher Unbefangenheit ging sie ans Werk; Beethoven wollte anfangs einem solchen Kinde die Rolle nicht anvertrauen; instinktiv aber erfaßte sie den wahren Charakter Leonores und schuf das Vorbild für alle Zeiten mit dem berühmten Aufschrei vor dem Duett mit Florestan.

Eine entsetzliche Angst befiel die Sängerin, und nicht nur diese, als Beethoven, dessen Ohr für alle Klänge verschlossen war, mit überirdisch begeistertem Auge und verwirrtem Antlitz bei der Hauptprobe sein Zepter über den wild durcheinanderjagenden Chor schwang. Zweimal mußte Halt geboten werden, er merkte es nicht und wußte nicht, was vorging. Kein Mensch wagte es, ihn aufzuklären. Er rief Schindler und reichte ihm sein Taschenbuch, damit er aufschreibe, was es gäbe.

Und Schindler schrieb: »Ich bitte nicht weiter fortzufahren, zu Hause das Weitere.«

»Geschwind hinaus!« sagte er und sprang im Nu in das Parterre hinüber und unaufhaltsam fort seiner Wohnung zu in der Vorstadt Laimgrube. Dort warf er sich auf das Sofa, bedeckte mit beiden Händen das Gesicht und blieb so liegen. Kein Laut. Auch bei Tisch war er dann still, ein Bild der tiefsten Schwermut und Niedergeschlagenheit. Es war ein bitterer Tropfen in den Kelch des Freudespenders.

Am folgenden Tag ließ er sich von Schindler zu seinem damaligen Arzt Dr. Smetana begleiten. Arzneimittel wurden ihm verschrieben, alle Stunden ein Teelöffel voll. Es war zu erkennen, daß der Arzt selbst nicht an die Heilbarkeit glaubte, sondern dem Leidenden nur eine seelische Beruhigung geben wollte. Sofort korrigierte der Patient: »Ein Eßlöffel voll muß es heißen.« Statt dessen aber hatte er die Flasche schon nach wenigen Stunden geleert und trieb es so einige Tage fort, ohne daß es der Arzt wußte, und ohne daß er sich bei ihm erkundigte.

Auf Wien war der Meister schlecht zu sprechen und ließ verlauten, daß Berlin die Ehre haben sollte, die Erstaufführung der großen Messe und der neunten Symphonie zu erleben. Er glaubte sich in Wien vergessen. Eine Huldigungsadresse der Wiener Verehrer bewirkte indessen die Umstimmung. Als ihm die Adresse überreicht wurde, ging er gelassen an das Fenster und folgte mit dem Blick dem Zug der Wolken, wie er es immer tat, wenn er von innerer Bewegung ergriffen war. »Es ist doch recht schön! Es freut mich!« sagte er dann und forderte Schindler hastig auf: »Gehen wir ins Freie!« Er blieb stumm, indessen Schindler neben ihm herging, der wußte, daß dieses Schweigen beredt war für das, was eben in seiner Seele vorging.

Der große Festtag rückte heran; die Aufführung der neunten Symphonie und einiger Teile der Messe war für den 7. Mai 1824 festgesetzt worden. Doch der Tondichter schien immer noch unentschieden. Schindler, Graf Moritz Lichnowsky und Schuppanzigh (der wieder nach Wien zurückgekehrt war) gebrauchten eine List, indem sie die Zustimmung des Meisters sofort zu Papier brachten und anscheinend im Scherz sich das Blatt von ihm unterzeichnen ließen. Kaum waren die Freunde fort, witterte der Meister Falschheit und Verrat und zog seinen Entschluß zurück. Ein Handbillett an den Grafen lautete: »Falschheiten verachte ich. Besuchen Sie mich nicht mehr. Akademie hat nicht statt.« Ein anderes an Schuppanzigh: »Besuche er mich nicht mehr. Ich gebe keine Akademie.« Ein drittes an Schindler: »Besuchen Sie mich nicht mehr, bis ich Sie rufen lasse. Keine Akademie.«

Schindler scherzte, daß er vergessen habe, die seidene Schnur mitzuschicken. Der launische Meister mußte sich das Gelächter der Freunde gefallen lassen, und schließlich löste sich alles in Wohlgefallen auf. Trotzdem machte Beethoven auch dann noch Schwierigkeiten. Um ihn zu überreden, rückten ihm die »beiden Hexen« an den Leib, die »reizende Nachtigall« Henriette Sontag und ihre Kollegin Karoline Unger, die die Solopartien zu singen hatten. Sie suchten ihn in seiner Behausung auf der Landstraße auf, wo er sich in der Nähe der Streicherschen Klavierfabrik eingemietet hatte. Er ließ sich die Damengesellschaft gerne gefallen und bewirtete sie mit Rostbraten und süßem Wein, so daß die Unterhaltung bald übermütig wurde und die gute Laune auch den Meister besiegte. Die Unger machte sich über den Strick lustig, der als Klingelzug diente.

»Wie kann Beethoven einen solchen Glockenzug haben? Wenn Ihre Hand ihn nicht heiligte, so müßte man behaupten, er wäre der Strick eines Gehenkten.«

Sie neckten ihn, weil er nicht heiratete: »Ein Hagestolz ist ein unnützer Staatsbürger.« So ging es scherzhaft fort mit Hilfe des Konversationsheftes.

Die Sängerinnen setzten ihm gehörig zu wegen der Akademie. Man sehne sich, ihn wieder in neuen Werken anzubeten. Er habe zu wenig Selbstvertrauen! Sie redeten ihm alle seine Bedenken aus: »Haben denn die Huldigungen der ganzen Welt Sie nicht ein wenig stolzer gemacht? ... Wer spricht denn von Anfechtungen? O Halsstarrigkeit.«

Endlich ist er gewonnen. Die Primadonnen feilschen um Erleichterungen und nennen ihn einen »Tyrannen aller Singorgane«. In diesem Punkt aber bleibt er fest, und die Sontag seufzt: »So quälen wir uns denn in Gottes Namen weiter.« Aber sie freuen sich ganz außerordentlich über seinen Entschluß: »Es wird ganz herrlich gehen, denn es wartet ja alles schon mit größter Spannung darauf.«

Bei der Verfassung des Plakattextes entsteht die Debatte, ob man zu Beethovens Namen setzen soll: Mitglied der königl. Akademie zu Stockholm und Amsterdam, oder sonstige Titel; der Künstler ist ja Ehrenmitglied vieler auswärtiger Akademien und hat Ehrungen und Auszeichnungen von allen Seiten erfahren; Ludwig XVIII hat ihm für die Missa solemnis eine goldene Medaille gesandt, Friedrich Wilhelm III. einen Brillantring für die Widmung der neunten Symphonie, der immerhin eine kleine Enttäuschung für Beethoven war, weil er sich einen Orden erhofft hatte. Schuppanzigh indessen fand, daß die Titel überflüssig wären, man würde alle näheren Bezeichnungen nur als Eitelkeit ansehen, denn jeder gescheite Mensch wisse, daß Beethoven Diktator aller Akademien der Welt sei ... Das meinte wohl auch Beethoven, und Schindler pflichtete bei, indem er in dem Konservationsheft aufschrieb: »Mylord hat nicht unrecht ...« Also prangte der Name Beethoven ohne allen Zusatz auf dem Programm, und Schindler bekräftigte diesen Entschluß mit den Worten: »Es ist ja aller Welt bekannt, was und wer Sie sind.

Das Haus ist dichtgefüllt am 7. Mai. Beethoven, ostentativ begrüßt, steht neben Umlauf am Dirigentenpult. Die Ovation war schon bei seinem Erscheinen so groß, daß sie schier kein Ende nehmen wollte und der Polizeikommissär abwinken mußte. Den Höhepunkt erreichte sie am Schluß, der durch ein ergreifendes Moment eine besondere Denkwürdigkeit erhielt.

Beethoven hörte den Jubel nicht und blieb mit dem Rücken gegen das Publikum noch versunken stehen. Da drehte ihn Karoline Unger herum, und nun sah er an dem Tücher- und Hüteschwenken den Orkan des Beifalls, der ungehört an ihm vorbeirauschte. Die Tragik des tauben Meisters stand nun so klar vor aller Augen, daß es wie eine heftige Gemütserschütterung durch die ganze Zuhörerschaft ging. Er lächelte; aber dieses Lächeln vertiefte nur noch die Ergriffenheit des Augenblicks.

Für den Meister war dieser Triumph ein letzter Becher der Freude, der einen bitteren Nachgeschmack barg. Das war der unerwartete finanzielle Mißerfolg. Der Kassenrapport sollte ihm am selben Abend noch in die Wohnung gebracht werden; Beethoven hatte, schon Karls wegen, auf eine große Einnahme gerechnet; der Überschuß, der ihm verblieb, betrug indessen nur 40 Taler, über den niederschmetternden Eindruck, den dieses Ergebnis auf den Meister machte, berichtet Joseph Hüttenbrenner:

»Ich überreichte ihm den Kassenrapport. Bei dessen Anblick brach er in sich zusammen. Wir rafften ihn auf und legten ihn auf das Sofa. Bis spät in die Nacht hinein verweilten wir an seiner Seite; kein Verlangen nach Speise oder anderes, kein lautes Wort war mehr hörbar. Endlich, nachdem wir merkten, daß Morpheus ihm sanft die Augen zugedrückt, haben wir uns entfernt. Schlafend, noch in der Konzerttoilette, fanden ihn am andern Morgen auf derselben Stelle seine Dienstleute.«

Einige Tage später sollte beim »Wilden Mann« im Prater ein Frühstück stattfinden, zu dem der Meister die helfenden Freunde, Schuppanzigh, Schindler und Umlauf, geladen hatte. Hier kam sein Mißmut zum Ausbruch, er schrieb den Freunden die Schuld an dem geringen Ertrag zu und vergaß sich in seinem Mißtrauen so weit, daß er Schindler des Betruges verdächtigte. Einer nach dem andern erhob sich, tief verletzt, und ging davon; der Meister saß allein bei seinem Frühstück und konnte überlegen, wie er die Gekränkten wieder versöhnen werde.

Die Wiederholung des Konzerts stand indessen materiell unter keinem günstigeren Stern. Es war Sonntag, den 23. Mai und infolge des herrlichen Frühlingswetters das Haus halb leer, trotzdem »das Ganserl«, die Henriette Sontag, eine italienische Bravourarie und der Tenorist David einen beliebten Reißer von Rossini als Einlage ankünden ließen, was allerdings wie die Faust aufs Auge paßte. Das Defizit traf diesmal nicht den Meister selbst, der sich eine feste Einnahme von 500 Talern gesichert hatte, aber die Verschandelung seines Konzerts durch diese Einlagen und der schlechte Besuch versetzten ihn in eine solche laute Raserei, die noch auf der Straße ihren Fortgang nahm, daß man ihn gar nicht besänftigen konnte, so sehr man sich auch auf dem Heimweg um ihn bemühte.

*

Alles für Karl! Das war ihm zur fixen Idee geworden, und daraus erklärt sich sein seelischer Zusammenbruch über den materiellen Mißerfolg und manches andere. Wegen der Messe unterhandelte er gleichzeitig mit Steiner, mit dem Leipziger Verleger Peters, mit dem Bonner Freund Simrock, mit Schlesinger in Berlin, und schließlich überläßt er sie für 1000 Gulden den »Mainzer Gassenjungen« Schott Söhne. Er sagte sich: Not kennt kein Gebot. Der Bruder Johann, der ihm Geld vorgeschossen hatte, war nicht unbeteiligt an dem Messehandel, was Beethoven nachträglich wohl als unheilvoll empfunden hat. Die Folge davon ist ein neuer Zwist mit Johann, den er kurz vorher noch launig apostrophiert hatte: »Bestes Brüderl! Besitzer aller Donauinseln um Krems! Direktor aller österreichischen Pharmazie!« Johann war, wie erwähnt, in den Kriegsjahren durch Chininlieferungen an die Armee ein reicher Mann geworden und lebte nun als Rittergutsbesitzer in Gneixendorf bei Krems an der Donau. Es wird ihm nachgesagt, daß er als Geschäftsträger seines Bruders Ludwig beim Vertrieb der Messe mit egoistischer Gewinnsucht gehandelt habe. Daraus erklären sich die zornigen Vorwürfe, mit denen Ludwig, der sich vorübergehend mit seiner Schwägerin ausgesöhnt zu haben schien, den Bruder überhäuft; die alte Abneigung bricht jäh wieder hervor:

»Friede, Friede sei mit uns! Gott gebe nicht, daß das natürlichste Band zwischen Brüdern wieder unnatürlich zerrissen werde, ohnehin dürfte mein Leben nicht mehr von langer Dauer sein. Ich sage noch einmal, daß ich nichts gegen Deine Frau habe, obschon mir ihr Betragen gegen mich jetzt ein paarmal sehr ausgefallen ist, und ohnehin bin ich auch durch meine jetzt schon dreieinhalbmonatige Kränklichkeit sehr, ja äußerst empfindlich und reizbar. Fort mit allem dem, was den Zweck nicht befördern kann, damit ich und mein guter Karl in ein mir besonders nötiges, gemäßeres Leben kommen kann!«

In seinem Ärger über die Schwägerin und deren Tochter, die er mit »Fettlümmerl« und »Bastard« bezeichnete, kann sich der gallsüchtige Meister gar nicht genug tun, wie der folgende Brief aus Baden besagt:

»Lieber Bruder! Ich freue mich über Deine bessere Gesundheit. Was mich betrifft, so sind meine Augen noch nicht ganz hergestellt, und hierher kam ich mit einem verdorbenen Magen, und einem schrecklichen Katarrh, den ersteren von dem Erzschwein der Haushälterin, den zweiten von einem Vieh als Kuchelmagd, welche ich schon einmal fortgejagt und dieselbe doch wieder angenommen hab – den Steiner (Verleger) hättest Du nicht angehen sollen. Ich werde sehen, was zu machen ist. Mit den Liedern in puris dürfte es schwer sein, da der Text deutsch, die Ouverture wohl eher.

Deinen Brief vom 10. August erhielt ich durch den elenden Schuften Schindler. Du brauchst ja nur Deine Briefe gerade auf die Post geben, wo ich sie sicher alle erhalte, denn ich vermeide diesen niederträchtigen, verachtungswürdigen Menschen möglichst. – Karl kann erst am 29. D. zu mir kommen, wo er Dir schreiben wird. Ganz unbeobachtet, was die beiden Kanaillen Fettlümmerl und Bastard mit Dir anfangen, wirst Du nicht sein, auch Briefe durch diese Gelegenheit von mir und Karl erhalten, denn sowenig Du es um mich verdienst, so werde ich nie vergessen, daß Du mein Bruder bist, und ein guter Geist wird noch über Dich kommen, der Dich von diesen beiden Kanaillen scheidet, diese vormalige und jetzige H..., wobei während Deiner Krankheit ihr Kerl nicht weniger als dreimal geschl.... hat und die noch obendrein Dein Geld gänzlich in Händen hat. O verruchte Schande, ist kein Funken Mann in Dir?!!! – Nun von was anderem. Du hast von den »Ruinen von Athen« auch meine eigene Handschrift von einigen Stücken, welche ich notwendig brauche, weil die Abschrift nach der Partitur der Josephstadt gemacht, wo mehreres ausgeblieben und sich in diesen Manuskriptpartituren von mir befindet, da ich eben etwas d. g. schreibe, so brauche ich selbe höchst notwendig. Schreibe also, wo ich diese Manuskripte erhalten kann, ich bitte Dich sehr deswegen. Wegen zu Dir kommen ein andermal. Soll ich mich so erniedrigen, in solcher schlechten Gesellschaft zu sein, vielleicht läßt sich aber diese vermeiden und wir können doch einige Tage mit Dir zubringen?! Über Dein übriges vom Brief ein andermal. Leb wohl. Unsichtbar schweb ich um Dich und wirke durch andere damit Dir die Kanaillen den Hals nicht zuschnüren.«

*

Jahr um Jahr seit 1820 ist der Meister sommers nach Baden gezogen, um dort die Linderung seiner Leiden zu suchen. Schindler hat gewöhnlich die Sommerwohnung zu besorgen und geht als Parlamentär voran, um den Vermietern das Versprechen des Wohlverhaltens und der Rücksicht auf die fremden Mitbewohner abzulegen, denn man kennt die Gewohnheiten des Meisters bereits, der nicht in jedem Hause willkommen ist. Einmal wurde von einem Schlossermeister, bei dem der Meister früher schon gewohnt hatte, die Forderung gestellt, Beethoven sollte in dem Zimmer nach der Straße neue hölzerne Fensterläden wie im Vorjahre wieder anbringen lassen, eine sonderbare Forderung, deren Grund erst später bekannt wurde. Beethoven hatte nämlich die Gewohnheit, die Fensterläden als Tagebuch zu benutzen, Rechnungen darauf zu schreiben, bunte Einfälle und musikalische Notizen. Der Schlosser hatte ein gutes Geschäft mit diesen Läden gemacht, die ihm von den Verehrern Beethovens hoch bezahlt wurden. Die Heiterkeit des Meisters soll unbändig gewesen sein, als er die Ursache dieser Bedingung erfuhr.

In diesen Sommermonaten wurde regelmäßig auch der Besuch des Neffen Karl erwartet, wie der vorhin zitierte Brief an Johann erkennen läßt. Der Junge bereitete sich auf die Universität vor und empfing nun wieder eine briefliche Einladung nebst vielen Ermahnungen seitens seines besorgten Oheims:

»Lieber Junge! Eher wollte ich Dir nichts sagen, als bis ich mich hier besser befinden würde, welches noch nicht ganz der Fall ist; mit Katarrh, Schnupfen kam ich hierher, beides arg für mich, da der Grundzustand noch immer katarrhalisch ohnehin ist, und ich fürchte, dieser zerschneidet bald den Lebensfaden, oder was noch ärger, durchnaget ihn nach und nach. – Auch mein zugrunde gerichteter Unterleib muß noch durch Medizin und Diät hergestellt werden, und dies hat man den treuen Dienstboten zu danken! Du kannst denken, wie ich herumlaufe, denn erst heute fing ich eigentlich (uneigentlich ist es ohnehin unwillkürlich) meinen Musendienst wieder an; ich muß, man soll es aber nicht merken, – denn die Bäder laden doch mehr, wenigstens mich, zum Genusse der schönen Natur ein, allein nous sommes trop pauvres et il faut écrire ou de n'avoir pas de quoi. – Treibe nun, daß alle Anstalten für Deinen Konkurs getroffen werden und sei ja bescheiden, damit Du Dich höher und besser zeigst, als man es vermutet. Deine Wäsche schicke nur gerade her, Dein graues Beinkleid ist wenigstens noch im Hause zu tragen, denn, teurer Sohn, Du bist auch wieder sehr teuer! ... Für heute wünsche ich nur noch, daß ein gewisser Karl auch ganz meiner Liebe, meiner so großen Sorge für ihn wert sei und alles dieses zu würdigen wissen werde. Obgleich ich, wie Du weißt, gewiß anspruchslos bin, so gibt es doch so manche Seiten, von welchen man den Edlen, Besseren zeigen kann, daß man dieses an ihnen erkennt und fühlt. – Ich umarme Dich von Herzen. Dein treuer, wahrhafter Vater.«

*

Das Verhältnis zu dem Neffen Karl, wie es in den letzten Lebensjahren des Meisters geworden ist und schließlich zur Katastrophe geführt hat, erhellt aus einer Reihe von Briefen, die Beethoven an den Jungen geschrieben hat, und die eine einzige Kette von Leid und Kummer bildet. Karl hatte 1823 die Universität bezogen und brachte im Herbst 1824 einen Kumpan mit aufs Land, mit dem der Onkel sehr unzufrieden war. Die beiden Studenten ließen das Rädchen laufen, sie hatten dem Wein übermäßig zugesprochen. Ihre Aufführung war keineswegs musterhaft. Es erfolgt eine schriftliche Verwarnung Beethovens an den Neffen:

»Ich bin mit der Wahl dieses Deines Freundes sehr unzufrieden. Armut verdient freilich Teilnahme, jedoch nicht ohne Ausnahme dabei. Ich möchte ihm nicht gern Unrecht tun, aber er ist mir ein lästiger Gast, dem es gänzlich an Wohlstand und Anstand fehlt, was doch einigermaßen für wohlgezogene Jünglinge und Männer gehört.

Übrigens habe ich ihn im Verdacht, daß er es eher mit der Haushälterin als mir hält.

Übrigens liebe ich die Stille; auch der Raum ist hier beschränkt für noch mehrere, da ich ja ständig beschäftigt bin und er für mich gar kein Interesse herbeiziehen kann. Du bist doch noch sehr schwachen Charakters.

Ich finde ihn roh und gemein. Das sind keine Freunde für Dich.«

Der Achtzehnjährige sieht sein Unrecht ein und bittet reumütig um Verzeihung:

»Teuerster Vater, Du kannst überzeugt sein, daß der Schmerz, den ich Dir verursacht habe, mir mehr Kummer macht als Dir. Die Angst hat mir die Vernunft wiedergegeben, und ich sehe, was ich getan habe. Müßte ich denken, daß Du glaubst, ich hätte absichtlich so gehandelt, wäre ich untröstlich. Es ist in der Trunkenheit so gekommen. Wenn Du mir verzeihen kannst, verspreche ich Dir, daß ich sicher keinen Tropfen Wein mehr trinken werde, damit ich ja nicht mehr in solchen Zustand verfalle. Aber daß Du auf solche Gedanken über mich kommen kannst, macht mir großen Kummer. Was für ein Mensch müßte ich sein, hätte ich nur die entfernteste Absicht, Dir Schmerz zu bereiten. Verzeihe mir noch dies einemal! Ich will sicher keinen Wein mehr trinken, daher allein ist's gekommen, daß ich mich nicht zurückhalten konnte und nicht wußte, wo ich war. Noch einmal bitte ich Dich, verzeihe mir!«

Die Reue des Neffen und sein Vorsatz der Besserung hat indessen nicht lange vorgehalten, er ist ein rechtes »Lümperl« geworden, und nach zweijährigem Universitätsstudium ergibt es sich, daß er nicht die richtige Laufbahn gewählt hatte, er sattelt um und tritt in das Polytechnikum ein. Zugleich erfährt der Onkel wieder zu seinem Schmerz, daß Karl den geheimen Umgang mit der Mutter fortsetzt; er glaubt aus gewissen Äußerungen zu erkennen, daß der Neffe von dem Vormund befreit sein will; Beethoven macht ihm Vorhaltungen darüber und droht, seine Hand von ihm zurückzuziehen:

»Bisher nur Mutmaßungen, obschon mir von jemand versichert wird, daß wieder geheimer Umgang zwischen Dir und Deiner Mutter! Soll ich noch einmal den abscheulichsten Undank erleben?! Nein! Soll das Band gebrochen werden, so sei es! Du wirst von allen unparteiischen Menschen, die diesen Undank hören, gehaßt werden. Die Äußerungen des Herrn Bruders, und zwar von Dr. Reißer, wie er sagt, Deine gestrige Äußerung in Ansehung des Dr. Sonnleithner (Advokat), der mir natürlich gram sein muß (als Anwalt der Mutter), da das Gegenteil bei den Landrechten geschehen von dem, was er verlangt, in diese Gemeinheiten soll ich mich noch einmal mischen? Nein, nie mehr! – Drückt Dich das Paktum, in Gottes Namen! – ich überlasse Dich der göttlichen Vorsehung. Das Meinige habe ich getan und kann deswegen vor dem allerhöchsten aller Richter erscheinen. – Fürchte Dich nicht, morgen zu mir zu kommen. Noch mutmaße ich nur; Gott gebe, das nichts wahr sei; denn wahrhaftig, Dein Unglück wäre nicht abzusehen, so leichtsinnig dieses der schurkische Bruder und vielleicht Deine – Mutter nehmen würden mit der Alten. Ich erwarte Dich sicher.«

Der Bruder Johann hatte sich in die Erziehungsangelegenheiten hineingemischt und ist dem Jungen eine Stütze in seinem Widerstand gegen den Vormund. Karl versucht wieder einzulenken, aber Beethoven will hart bleiben, wie dieser zweite Brief vom Mai 1825 erkennen läßt:

»Verwöhnt wie Du bist, würde es nicht schaden, der Einfachheit und Wahrheit Dich endlich zu befleißigen, denn mein Herz hat zuviel bei Deinem listigen Betragen gegen mich gelitten und schwer ist es, zu vergessen. Und wollte ich an allem dem wie ein Jochochse, ohne zu murren, ziehen, so kann Dein Betragen, wie es so gegen andere gerichtet ist, Dir niemals Menschen zubringen, die Dich lieben werden. Gott ist mein Zeuge, ich träume nur, von Dir und von diesem elenden Bruder und dieser mir zugeschusterten, abscheulichen Familie ganz entfernt zu sein. Gott erhöre meine Wünsche, denn trauen kann ich Dir nie mehr. Leider Dein Vater oder besser nicht Dein Vater.«

Nur zu rasch ist der Meister wieder versöhnt. Im Juli darauf erfolgt dieser Badener Brief mit freundlichen Ermahnungen:

»Lieber Sohn! Du siehst aus diesem Briefe, was zu ersehen. – Bleibe nur bei Mäßigkeit. Das Glück krönt meine Bemühungen. Laß ja nicht Dein Unglück aus falschen Ansichten vor Dir gründen. Sei wahrhaftig und ja genau in Deinen Angaben Deiner Ausgaben. Das Theater laß jetzt noch sein. – Folge Deinem Führer und Vater, folge ihm, dessen Dichten und Trachten allzeit für Dein moralisches Wohl und auch nicht ganz für das gewöhnliche Dasein ist.«

Im Herbst gibt es indessen schon wieder stürmisches Wetter, der Vormund verbietet sich den weiteren Besuch des Neffen in Baden:

»Ich wünsche nicht, daß Du den 14. September zu mir kommst. Es ist besser, daß Du diese Studien endigst. – Gott hat mich nie verlassen. Es wird sich schon noch jemand finden, der mir die Augen zudrückt – es scheint mir überhaupt ein abgekartetes Wesen in dem allem, was vorgegangen ist, wo der Herr Bruder (Pseudo) eine Rolle mitspielt. – Ich weiß, daß später Du auch nicht Lust hast, bei mir zu sein. Natürlich, es geht etwas zu rein bei mir zu. – Du hast auch verflossenen Sonntag wieder einen Gulden fünfzehn Kreuzer von der Haushälterin, diesem alten gemeinen Kuchelmensch, geborgt. – Es war schon verboten. – Aber so geht es überall. Mit dem Gehrock wär ich zwei Jahr ausgekommen: freilich habe ich die üble Gewohnheit, im Hause einen abgetragenen Rock anzuziehen. Aber Herr Karl, o pfui der Schande! und weswegen? Der Geldsack Herrn Ludwig van Beethovens ist ja bloß dafür da. Du brauchst auch diesen Sonntag nicht zu kommen; denn wahre Harmonie und Einklang wird bei Deinem Benehmen nie entstehen können. – Wozu die Heuchelei? Du wirst dann erst ein besserer Mensch; Du brauchst Dich nicht zu verstellen, nicht zu lügen, welches für Deinen moralischen Charakter endlich besser ist. – Siehst Du, so spiegelst Du Dich in mir ab; denn was hilft das liebevollste Zurechtweisen!! Erbost wirst Du noch obendrein. – Übrigens sei nicht bange: für Dich werde ich immer wie jetzt unausgesetzt sorgen. Solche Scenen bringst Du mir hervor – als ich die ein Gulden fünfzehn Kreuzer wieder auf der Rechnung fand.

Schicke keine so dünne Blätter mehr, denn die Haushälterin kann sie beim Licht lesen. Eben erhalte ich diesen Brief von Leipzig; ich glaube aber, daß hierauf noch nicht das Quartett zu senden. Sonntags kann dies besprochen werden. – Früher, vor drei Jahren, verlangte ich nur 40 Dukaten für ein Quartett. Es muß also jetzt untersucht werden, wie Du eigentlich geschrieben hast. –

Leb wohl! Derjenige, der Dir zwar nicht das Leben gegeben, aber gewiß doch erhalten hat und, was mehr als alles andere, für die Bildung Deines Geistes gesorgt hat, väterlich, ja mehr als das, bittet Dich innigst, ja auf dem einzigen wahren Weg alles Guten und Rechten zu wandeln. – Leb wohl! Dein treuer, guter Vater.

Bring den Brief Sonntags wieder mit.«

Der Neffe ist indessen der immerwährenden Vorwürfe satt und läßt nichts hören von sich. Er hatte mit Leipzig Geschäftsverhandlungen geführt, über die der Meister nicht genau unterrichtet ist, und es scheint, daß sich Karl scheut, darüber Rechenschaft abzulegen. Kurzum, er bleibt drei Wochen lang wie verschollen. Nun wird dem bekümmerten Oheim himmelangst. Alle Unbill ist vergessen, er wünscht nur das eine, daß der Neffe wiederkehre, und verspricht ihm, daß ihm keine Vorwürfe gemacht werden sollen. Mit diesen flehentlichen Zeilen vom 5. Oktober 1825 sucht er den Jungen zurückzugewinnen:

»Mein teurer Sohn! Nur nicht weiter – komm nur in meine Arme, kein hartes Wort wirst Du hören, o Gott, gehe nicht in Dein Elend. – Liebend wie immer wirst Du empfangen werden, – was zu überlegen, was zu tun für die Zukunft, dies werden wir liebevoll besprechen; – mein Ehrenwort, keine Vorwürfe, da sie jetzt ohnehin nicht mehr fruchten würden, nur die liebevollste Sorge und Hilfe darfst Du von mir erwarten. – Komm nur, – komm an das treue Herz Deines Vaters. – Beethoven. Volti sub.

Komme gleich nach Empfang dieses nach Hause.

Si vous ne viendrez pas, vous me tuerez surement. Lisez la lettre et restez à la maison chez vous, venez m'embrasser, votre père vous vraiment adonné, soyez assuré, que tout cela restera entre nous.

Komme nur um Gotteswillen heute wieder nach Hause, es könnte Dir, wer weiß was, für Gefahr bringen. Eile – eile!«

Und ein zweiter Brief vom selben Tage lautet:

»Teurer, lieber Sohn! Eben erhalte ich Deinen Brief, schon voll Angst und schon heute entschlossen, nach Wien zu eilen. – Gott sei Dank, es ist nicht nötig. Folge mir nur, und Liebe wie Glück der Seele, mit menschlichem Glück gepaart, wird uns zur Seite sein, und Du wirst ein inneres Dasein mit dem äußeren paaren; doch besser, daß ersteres über letzteres obenan stehe. – Il fait trop froid. – Also Samstags sehe ich Dich. Schreibe noch, ob Du früh oder abends kommst, wo ich Dir entgegeneile.

Tausendmal umarme ich Dich und küsse Dich, nicht meinen verlorenen, sondern neugeborenen Sohn. – An Schlemmer schrieb ich: Nimm's nicht übel, ich bin noch zu voll Angst.

Meine Angst, Lieber, und meine Sorgen für Dich Wiedergefundenen werden Dir nur Deinen liebevollen Vater zeigen.«

Diese übertriebene Weichheit und Nachgiebigkeit, so verständlich sie auch in Beethovens Temperament bei diesem steten Wechsel von Rauheit und Milde sein mag, verfehlt natürlich ganz und gar ihren Zweck. Der gefühllose Neffe sieht die Schwächen des gekränkten, liebebedürftigen, vereinsamten alten Onkels; er mißachtet sie und nützt sie weidlich aus. So erweist sich die Vormundschaft nach wie vor als eine Quelle des schwersten Kummers und schließlich eines tragischen Verhängnisses. Die Enttäuschungen der letzten Jahre und besonders die Zerwürfnisse dieses Sommers haben die Kraft des Meisters gebrochen. Als Beethoven im Spätherbst in die Stadt zurückkehrte, waren die Freunde über sein Aussehen erschrocken. Ein schwerkranker Mann trat ihnen entgegen. Der einst so kraftvolle und selbstbewußte Meister ist kaum zu erkennen, so gealtert erscheint er plötzlich; der körperliche Verfall ist nun sichtbar geworden. »Ich fürchte,« sagt Breuning bei seinem Anblick, »Beethoven steht in Gefahr, sehr krank, wenn nicht gar wassersüchtig zu werden.«


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