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Triumph und Tragik

Wie erklärt sich der plötzliche Abbruch mitten im sieghaften Anstieg, das jähe unbegreifliche Verschwinden aus dem blendenden Gesellschaftsleben und aus dem Kreis feinsinniger Bewunderer? Im Sommer 1822 ist der Gefeierte aus der Stadt entwichen und im Herbst nicht zurückgekehrt. In ländlichen Einsamkeiten verbirgt er sein Haupt, draußen am Fuß des Kahlenbergs, wo ihn niemand kennt. Seine Wohnung am Tiefen Graben steht leer. Lange hört man nichts von dem Entschwundenen. Etwas Furchtbares muß geschehen sein; man fängt bereits zu munkeln an. Ein Dämon hat sich an seine Fersen geheftet und sucht den kühn Aufwärtsschreitenden in den Abgrund zu reißen. Der Dämon einer unheimlichen, rätselvollen Krankheit, deren Vorzeichen sich schon früh gemeldet haben. Der Dämon sitzt im Ohr, ein Poltergeist, der ihm die Ruhe der Nacht raubt und zur Verzweiflung treibt. Ein Ohrensausen macht sich schon seit einem Jahr bemerkbar. Er mißt der Sache anfänglich keine Bedeutung bei und denkt, es werde vorübergehen; nur einmal im Theater scheint es dem jungen Meister, als ob die Schauspieler unverständlich redeten. Er muß sich ganz zu dem Orchesterraum vordrängen. Dann will es ihm wieder vorkommen, als ob die hohen Stimmen aussetzten, er hört sie wie von fern, als ob sie verschwinden würden. Zuweilen ist es ihm, als ob er seine eigene Stimme nicht vernähme. Er kann nicht unterscheiden, ob er laut oder leise spricht. Eine entsetzliche Gewißheit ist da, beginnende Ertaubung!

Die Jagd von einem Arzt zum andern beginnt. Der eine verschreibt ein kaltes Bad, der andere ein lauwarmes. Pillen gegen die Koliken, Tee für die Ohren, aber das Sausen und Brausen geht fort, Tag und Nacht. Ruhe wird ihm verschrieben, Landaufenthalt. Verzweifelt flieht er die Nähe der Menschen. Noch haben es die Freunde nicht gemerkt, man hält es für Zerstreutheit, wenn er zuweilen eine verkehrte Antwort gegeben hat. Er kann doch den Menschen nicht sagen, daß er taub wird!

Nur einem schüttet er sein Herz aus, einem, der ferne ist, und von dem er Indiskretion nicht fürchten braucht. Es ist der junge kurländische Theologe Karl Amenda. Vor zwei Jahren hat er ihn im Hause der Fürstin Lobkowitz kennengelernt, wo der junge Amenda, eben nach Wien gekommen, als Vorleser fungierte; er war dann vorübergehend auch Lehrer bei Mozarts Kindern. Rasch entstand eine rege Freundschaft, die auf Charakterähnlichkeit beruhte und fast sprichwörtlich wurde, so daß man rief, wenn man den einen sah: »Wo ist denn der andere!?« Im Herbst 1799 ist der Freund nach seiner Heimat zurückgekehrt. An ihn ist der lange Brief gerichtet, der das erste Bekenntnis seines Leidenszustandes enthält:

»Mein Lieber, mein guter Amenda, mein herzlicher Freund! Mit inniger Rührung, mit gemischtem Schmerz und Vergnügen habe ich Deinen letzten Brief erhalten und gelesen. Womit soll ich Deine Treue, Deine Anhänglichkeit an mich vergleichen? Oh, das ist recht schön, daß Du mir immer so gut geblieben: ja, ich weiß Dich auch mir von allen bewährt und herauszuheben. Du bist kein Wiener Freund, nein, Du bist einer von denen, wie sie mein vaterländischer Boden hervorzubringen pflegt. Wie oft wünsche ich Dich bei mir, denn Dein Beethoven lebt sehr unglücklich, im Streit mit Natur und Schöpfer. Schon mehrmals fluchte ich letzterem, daß er seine Geschöpfe dem kleinsten Zufall ausgesetzt, so daß oft die schönste Blüte dadurch vernichtet und zerknickt wird. Wisse, daß mir der edelste Teil, mein Gehör, sehr abgenommen hat. Schon damals, als Du noch bei mir warst, fühlte ich davon Spuren, und ich verschwieg's; nun ist es immer ärger geworden. Ob es wird wieder können geheilt werden, das steht noch zu erwarten. Es soll von den Umständen meines Unterleibs herrühren. Was nun den betrifft, so bin ich auch fast ganz hergestellt. Ob nun auch das Gehör besser werden wird, das hoffe ich zwar, aber schwerlich; solche Krankheiten sind die unheilbarsten. Wie traurig ich nun leben muß, alles, was mir lieb und teuer ist, meiden, und dann unter so elenden, egoistischen Menschen wie ... ... usw. Ich kann sagen, unter allen ist mir Lichnowsky der erprobteste; er hat mir seit vorigem Jahre 600 fl. ausgeworfen. Das und der gute Abgang meiner Werke setzt mich instand, ohne Nahrungssorgen zu leben. Alles, was ich jetzt schreibe, kann ich gleich fünfmal verkaufen und auch gut bezahlt haben.

Jetzt ist zu meinem Trost wieder ein Mensch hergekommen, mit dem ich das Vergnügen des Umgangs und der uneigennützigen Freundschaft teilen kann. Er ist einer meiner Jugendfreunde (Stephan von Breuning). Ich habe ihm schon oft von Dir gesprochen und ihm gesagt, daß, seit ich mein Vaterland verlassen, Du einer derjenigen bist, die mein Herz ausgewählt hat. – Auch ihm kann der ... nicht gefallen, er ist und bleibt zu schwach zur Freundschaft. Ich betrachte ihn und ... als bloße Instrumente, worauf ich, wenn's mir gefällt, spiele; aber nie können sie volle Zeugen meiner inneren und äußeren Tätigkeit, ebensowenig als wahre Teilnehmer von mir werden; ich taxiere sie nur nach dem, was sie mir leisten. Oh, wie glücklich wäre ich jetzt, wenn ich mein vollkommenes Gehör hätte! Dann eilte ich zu Dir, aber so, von allem muß ich zurückbleiben, meine schönsten Jahre werden dahinfliegen, ohne alles das zu wirken, was mir mein Talent und meine Kraft geheißen hätten. Traurige Resignation, zu der ich meine Zuflucht nehmen muß! Ich habe mir freilich vorgenommen, mich über alles das hinauszusetzen, aber wie wird es möglich sein? Ja, Amenda, wenn nach einem halben Jahre mein Übel unheilbar wird, dann mache ich Anspruch auf Dich, dann mußt Du alles verlassen und zu mir kommen. Ich reise dann (bei meinem Spiel und Komposition macht mir mein Übel noch am wenigsten, nur am meisten im Umgang), und Du mußt mein Begleiter sein. Ich bin überzeugt, mein Glück wird nicht fehlen; womit könnte ich mich jetzt messen? Ich habe, seit der Zeit Du fort bist, alles geschrieben bis auf Opern und Kirchensachen. Ja, Du schlägst mir's nicht ab, Du hilfst Deinem Freund seine Sorgen, sein Übel tragen. Auch mein Klavierspielen habe ich sehr vervollkommnet, und ich hoffe, diese Reise soll auch Dein Glück vielleicht noch machen; Du bleibst hernach ewig bei mir. – Ich habe alle Deine Briefe richtig erhalten; so wenig ich Dir auch antworte, so warst Du doch immer mir gegenwärtig, und mein Herz schlägt so zärtlich wie immer für Dich. – Die Sache meines Gehörs bitte ich Dich als ein großes Geheimnis aufzubewahren und niemand, wer es auch sei, anzuvertrauen. – Schreibe mir recht oft. Deine Briefe, wenn sie auch noch so kurz sind, trösten mich, tun mir wohl, und ich erwarte bald wieder von Dir, mein Lieber, einen Brief.«

Die Verzweiflung über sein trauriges Los drückt ihm noch einmal die Feder in die Hand, es drängt ihn, auch Wegeler, im Vertrauen auf dessen ärztliches Verständnis, einen Brief über seine Krankheit zu schreiben, der eine Abwandlung seines Geständnisses an Amenda ist, und in dem es heißt:

»Ich habe schon oft den Schöpfer und mein Dasein verflucht. Plutarch hat mich zur Resignation geführt. Ich will, wenn's anders möglich ist, meinem Schicksal trotzen, obschon es Augenblicke meines Lebens geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde. – Ich bitte Dich, von diesem meinen Zustand niemand, auch nicht einmal der Lorchen etwas zu sagen; nur als Geheimnis vertrau ich Dir's an; lieb wär' mir's, wenn Du einmal mit Vering (ein Feldstabsarzt, der Beethoven behandelte) darüber Briefe wechseltest. Sollte mein Zustand fortdauern, so komme ich künftiges Frühjahr zu Dir: Du mietest mir irgendwo in einer schönen Gegend ein Haus auf dem Lande, und dann will ich ein halbes Jahr ein Bauer werden; vielleicht wird's dadurch geändert, Resignation! welches elende Zufluchtsmittel, und mir bleibt es doch das einzig übrige ...«

Martervolles Schicksal! Wie Prometheus fühlt er sich an den Felsen der Einsamkeit geschmiedet und leidet Qual, die wie ein Geier an seiner Leber frißt. Seelenqual! Das Gehör, das kostbarste Organ des Musikers, von dem sein Schaffen abhängt, nun verlieren zu müssen, die Tonfluten seiner Seele verkapselt, versenkt wie ein Strom, der unterirdisch unter Geröll verschwindet, er kann es nicht fassen. Niemand ahnt, was in den dunkelsten Stunden der Trostlosigkeit in ihm vorgeht. Das Klavier, die Muse seiner vertrautesten Zwiesprache, bleibt stumm. Mit ihr allein war er niemals einsam, und jetzt schweigt auch sie. Er, der so gerne seine Kunst vor Menschen zeigte und das Labsal des Beifalls liebte, sieht seinen Siegeslauf jäh gehemmt, abgebrochen; mit der Virtuosenlaufbahn ist es zu Ende, das ist vor allem Gewißheit.

Es war für ihn noch nicht die Stunde, zu erkennen, daß über dieser anscheinenden Sinnlosigkeit des Schicksals ein höherer Sinn waltete und ihn in eine Richtung zwingen wollte, die ihn zu seinen eigentlichen erhabensten, noch unbekannten Zielen führen sollte. So gesehen, empfängt die Tragik ein anderes Gesicht. Was Fluch schien, ward Segen, um so größer, je teurer und schmerzlicher er erkauft war. Vorerst fühlte er nur den Schmerz, Seelenaufruhr. Er empfand sich als ein unverdient Ausgestoßener und ging freiwillig in seine Verbannung. Sein Temperament brachte es mit sich, daß er sich auflehnte und zu toben anfing. Zum ersten und einzigen Male haderte er mit dem Schöpfer, er, der in den Tiefen seines Gemüts fromm und ehrfürchtig war. Er verfluchte sein Dasein und wollte dem Schicksal trotzen. Seine Seele war ganz verfinstert. Das war der Zustand, in dem er sich vor den Nächsten verbarg.

In die trostlose Einsamkeit hat er Bücher mitgenommen. Der Autodidakt arbeitet immer an der Vollendung seiner geistigen Bildung und gelangt dadurch zu einer souveränen Überlegenheit, die ihn nach eigenem Ausspruch befähigt, sich in den schwierigsten Philosophien mühelos zurechtzufinden. Die Selbständigkeit und Klarheit, ja Originalität seines Urteils ist immer aufgefallen. Homer, Klopstock, Shakespeare sind die Leitsterne auf seinem Bildungsgange. Er ist der erste, der Goethes Lyrik musikalisch wertet. Jetzt in diesen traurigen Tagen ist es Plutarch, der ihn begleitet und tröstet.

Dank der Bäder und der Kräuterkuren, die ihm der Oberstabsarzt Vering verschreibt, und die er eine Zeitlang gewissenhaft anwendet, geht es mit der Gesundheit alsbald besser; ableitende Mittel haben das Sausen im linken Ohr, wo es angefangen, gemildert: die Hoffnung auf Heilung glimmt auf, und an diesem Fünkchen entflammt neuer Lebensmut. Neue Pläne werden geschmiedet, er wagt sich wieder unter die Menschen; die Resignation ist überwunden, er gelobt sich: »Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen.« Aus dieser Stimmung geht der Brief hervor, den er am 16. November 1801 an Wegeler schreibt:

»Etwas angenehmer lebe ich jetzt wieder, indem ich mich mehr unter Menschen gemacht. Du kannst es kaum glauben, wie öde, wie traurig ich mein Leben seit zwei Jahren zugebracht: wie ein Gespenst ist mir mein schwaches Gehör überall erschienen, ich floh die Menschen, mußte misanthrop scheinen, und bin's doch so wenig. Diese Veränderung hat ein liebes, zauberisches Mädchen hervorgebracht, das mich liebt und das ich liebe. Es sind seit zwei Jahren wieder einige selige Augenblicke, und es ist das erstemal, daß ich fühle, daß – Heiraten glücklich machen könnte. Leider ist sie nicht von meinem Stande – und jetzt – könnte ich nun freilich nicht heiraten – ich muß mich nun noch wacker herumtummeln. Wäre mein Gehör nicht, ich wäre nun schon lange die halbe Welt durchgereist, und das muß ich. – Für mich gibt's kein größeres Vergnügen, als meine Kunst zu treiben und zu zeigen. – Glaub' nicht, daß ich bei Euch glücklich sein würde: was sollte mich auch glücklicher machen? Selbst Eure Sorgfalt würde mir wehe tun, ich würde jeden Augenblick das Mitleid auf Euren Gesichtern lesen und würde mich nur noch unglücklicher finden. – Jene schönen vaterländischen Gegenden, was war mir in ihnen beschieden? Nichts als die Hoffnung in einem besseren Zustand; er wäre mir nun geworden – ohne dieses Übel! Oh, die Welt wollte ich umspannen vor diesem frei! Meine Jugend – ja, ich fühle es, sie fängt erst jetzt an. War ich nicht immer ein siecher Mensch? Meine körperliche Kraft – sie nimmt seit einiger Zeit mehr als jemals zu und so meine Geisteskräfte. Jeden Tag gelange ich mehr zu dem Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann. Nur hierin kann Dein Beethoven leben. Nichts von Ruhe – ich weiß von keiner anderen als im Schlaf, und wehe genug tut mir's, daß ich ihm jetzt mehr schenken muß als sonst. Nur halbe Befreiung von einem Übel, und dann – als vollendeter, reifer Mann komme ich zu Euch, erneuere die alten Freundschaftsgefühle. So glücklich, als es mir hienieden beschieden ist, sollt Ihr mich sehen, nicht unglücklich – nein, das könnte ich nicht ertragen. – Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht. Oh, es ist so schön, das Leben tausendmal leben! Für ein stilles Leben, nein, ich fühle, ich bin nicht mehr dafür gemacht. Du schreibst mir doch so bald als möglich?«

Gräfin Guilietta Guicciardi (1784)

Aus dem tiefen Wellental der Verzweiflung stieg er um so höher auf den Wellenberg eines neuen Lebensmutes. Diese Veränderung war durch seine etwas gebesserte Gesundheit hervorgebracht und mehr noch durch ein »liebes, zauberisches Mädchen, das mich liebt und das ich liebe«, durch Giulietta. Aber schon ein Jahr später endete die Liebe Giuliettas, wie solche Liebe enden muß. Breuning hat das Richtige geahnt. Wahrhaftig nur eine Frau von ganz besonderer Herzens- und Geistesbefähigung, wie sie nur selten zu finden ist, hätte einen Beethoven glücklich machen können. Eine Frau hätte es sein müssen, welche seinen genialen Flug verstanden und, ohne seine oft sinkenden Schwingen mit Alltagsballast mehr noch zu gewichtigen, ihn weiblich leitend – in des Wortes weiblich anziehendster Bedeutung – gegen die ihn störende, rücksichtslose Außenwelt zu schützen verstanden hätte, etwa: »ein Engel Leonore«.

Aber der Engel Leonore wird nun die Gattin Wegelers. Giulietta ist kein Engel. Beethoven entsagt der »Zauberin«, die sich vielleicht auch, als sie seine beginnende Taubheit bemerkt, von ihm ernüchtert abwendet. Im nächsten Jahre, 1803, heiratete sie den ungeliebten Freier Graf Gallenberg, der Ballettdirektor am Hofe in Neapel wird, wo die lockere Gattin ein Liebesverhältnis zu Pückler-Muskau unterhält. Später, nach Wien zurückgekehrt, sucht sie weinend Beethoven auf, den sie nach dessen Ausspruch mehr geliebt haben soll als jemals ihren Gatten. Beethoven hatte für die Zurückgekehrte wenig Teilnahme, er empfand stille Verachtung gegen sie. Sein Vertrauter, dem er in späteren Jahren Andeutung darüber machte, tat den Einwurf: »Herkules am Scheidewege!« Der Meister gab darauf die bezeichnende Antwort: »Und wenn ich hätte meine Lebenskraft mit dem Leben so hingeben wollen, was wäre für das Edle, Bessere geblieben?«

Das Edle, Bessere ist ihm Lebensinhalt, Aufgabe und Pflicht im Dienste der Muse; alles andere muß weichen. Es ist die sittliche Freiheit, die sinngemäß entscheidet. Darin war er vorbildlich. Diese sittliche Freiheit des Willens als ethische Forderung und göttliche Bestimmung hat er klar erkannt. Und weil er dies erkannt hatte, fühlte er eine Sendung, die in seiner Kunst liegt, in der Würde des Menschen und der Persönlichkeit, in dem unsterblichen Einzelwert der Seele. Und darum kann er dem Schicksal in den Rachen greifen. Er ist, wie alle Großen, ein Kreuzträger, sein Kampf heißt Überwindung. Gerade sein persönliches Leiden hat ihm klare und vertiefte Erkenntnisse gegeben. Er sitzt im Sommer 1801 in Schönbrunn unter alten edlen Bäumen und vollendet sein Oratorium »Christus am Ölberg«. Seine religiöse Grundstimmung ist zum lebendigen Durchbruch gekommen, auch in seinem Schaffen. Er bekennt, daß er niemals einen »Don Juan« in die Hände genommen hätte, ohne daß er damit den Stab über den verehrten Genius Mozart brechen will. Der heilige Stoff ist ihm Bedürfnis, er ist hoch und ernst gestimmt. Auch sein Bruder Karl war von Krankheit heimgesucht; sein fürstlicher Gönner Maximilian Franz aus Bonn, den er nun zum letztenmal sah, lag im benachbarten Hetzendorfer Schloß am Sterben. Er selbst hatte den Tod geschmeckt und Ölbergstunden überwunden. Und wenn noch Zweifel bleibt an der sittlich-religiösen Kraft als entscheidende Triebfeder seines Genius, so erweist sein weiteres Schicksal und seine Haltung diesem gegenüber, daß solche Zweifel nicht berechtigt sind. Der bittere Kelch ist indessen noch nicht geleert.

*

Das Schaffen jener Zeit trägt keine Spuren der verzweifelten Stimmung, die er durchgekämpft hat. Seine erste Symphonie strahlt glückselige Heiterkeit; sie steht noch im Banne Haydns und Mozarts, ebenso wie die zweite Symphonie, die im Sommer 1822 in der ländlichen Stille von Heiligenstadt entsteht. Beide Tonwerke mit ihren konservativen Elementen gleichen einer Abrechnung mit der vergangenen Lehrzeit, in der er alles aufgenommen hat, was aufnehmbar war, um es weiter zu bilden und sein Eigenes daran zu entfalten. Er sichtet noch einmal die durchmessenen Gebiete, die von den großen Meistern vor ihm schon gepflegt waren, er umkreist sie in heiterem Bogen, aber er sieht sie mit Beethovenschen Augen und richtet schon die Blicke nach fernen unentdeckten Gestaden, auf die er mit einer raschen Wendung, die mehr noch eine entschiedene Abwendung von allem Bisherigen ist, zusteuert. Das ist das Neue, trotz der Reminiszenzen an Haydn und Mozart, das an den beiden ersten Symphonien auffällt; Bekanntes und Vertrautes zugleich mit genialen Verheißungen, die den künftigen Beethoven andeuten. Gleichsam ein Rückblick und ein Abschied, ein Scheidegruß und zugleich ein Gruß an ferne unbekannte Lande, ehe er mit vollen Segeln in die Weite zieht. Solcherart ist auch seine zweite Symphonie. Sie atmet den frischen Lebensmut, den er nach seiner ersten Resignation wiedergefunden, und atmet die neue Lebenshoffnung, die er in der Liebe Giuliettas gewonnen, ehe auch dieser Traum in nichts zerrinnt.

Zwischen Weinhügeln zieht die ehemalige Herrengasse, jetzt Probusgasse, mit lieblich bescheidenen Häusern der Weinbauern hin. Ein weites Gehöft, Haus Nr. 6, mit offenen Stiegen unter dem weit vorspringenden Dach, Fässer und Karren auf dem gepflasterten Hof, ein Gartentrakt ohne Obergeschoß, mit Fenstern und Veranda, die über Blumen hinweg auf Rasengrün und Obstbäume blicken. In dieser Verborgenheit zeugt der Meister seine Zweite. Die Schaffenskraft war jäh wieder aufgebrochen, zur Ekstase gesteigert, aber es war nur die Atempause, die ihm der »Dämon« gewährt. Grimmiger als je fällt er ihn wieder an; tiefer als vordem ist der Sturz von der gewonnenen neuen Höhe der Zuversicht. So viele Ärzte auch zu Rate gezogen werden, dem Übel konnten sie nicht dauernd steuern. Der junge Ries begleitet ihn stundenlang auf einsamen Spaziergängen, er macht ihn auf einen Hirten aufmerksam, der seine Flöte aus Holunderholz am Waldrand recht artig bläst. Beethoven vermochte ihn nicht zu hören. Nach einer halben Stunde fragt er, was mit dem Hirten ist, der verstummt sei. Ries erklärt, er höre auch nichts mehr, indessen der Hirte noch recht kräftig bläst. Still und finster wandert Beethoven weiter. Diese finstere Maske hat er sich zurechtgelegt, um die Menschen seinen Zustand nicht merken zu lassen. Er muß Misanthrop scheinen, auch wenn er es nicht ist. Nach der anscheinenden Besserung ist jetzt Verschlimmerung eingetreten; die Unheilbarkeit ist traurige Gewißheit geworden. Es ist zugleich auch die Zeit, in der der Bruch mit Giulietta erfolgt.

Und jetzt ist die Katastrophe vollkommen. Es scheint, als ob es keinen Halt mehr gäbe. Todesgedanken, Selbstmordgedanken suchen den Einsamen von Heiligenstadt heim. Was ihn in diesen furchtbaren Stunden bewegt, legt er in seinem berühmten Heiligenstädter Testament nieder: »Für meine Brüder Karl und (Johann) van Beethoven.« Das Eigentümliche ist, daß er den Namen Johann ausläßt.

Dieses Vermächtnis ist eines der erschütterndsten Dokumente der Menschheit.

*

Heiligenstädter Testament

»Oh, ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet oder erkläret, wie Unrecht tut ihr mir! Ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet. Mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens; selbst große Handlungen zu verrichten, dazu war ich immer aufgelegt, aber bedenket nur, daß seit sechs (?) Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert. Von Jahr zu Jahr in der Hoffnung, gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem Überblick eines dauernden Übels (dessen Heilung vielleicht Jahre dauern wird oder gar unmöglich ist) gezwungen, mit einem feurigen, lebhaften Temperamente geboren, selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, mußte ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen. Wollte ich auch zuweilen mich einmal über alles das hinaussetzen, o wie hart wurde ich durch die verdoppelte traurige Erfahrung meines schlechten Gehörs dann zurückgestoßen, und doch war's mir noch nicht möglich, den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub. Ach, wie wäre es möglich, daß ich die Schwäche eines Sinnes angeben sollte, der bei mir in einem vollkommeneren Grade als bei andern sein sollte, eines Sinnes, den ich einst in der größten Vollkommenheit besaß, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige von meinem Fache gewiß haben, noch gehabt haben – oh, ich kann es nicht. Drum verzeiht, wenn Ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter Euch mischte. Doppelt wehe tut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt werden muß. Für mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft, feinere Unterredungen, wechselseitige Ergießungen nicht statthaben. Ganz allein, fast nur so viel, als es die höchste Notwendigkeit fordert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen. Wie ein Verbannter muß ich leben; nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Ängstlichkeit, indem ich befürchte, in Gefahr gesetzt zu werden, meinen Zustand merken zu lassen. – So war es denn auch dieses halbe Jahr, was ich auf dem Lande zubrachte. Von meinem vernünftigen Arzte aufgefordert, soviel als möglich mein Gehör zu schonen, kam er fast meiner jetzigen natürlichen Disposition entgegen, obschon, vom Triebe zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten ließ. Aber welche Demütigung, wenn jemand neben mir stand und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte, oder jemand den Hirten singen hörte und ich auch nichts hörte. Solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben. – Nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück. Ach, es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich dieses elende Leben – wahrhaft elend, einen so reizbaren Körper, daß eine etwas schnelle Veränderung mich aus dem besten Zustande in den schlechtesten versetzen kann. – Geduld – so heißt es. Sie muß ich nun zur Führerin wählen, ich habe es. – Dauernd, hoffe ich, soll mein Entschluß sein, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen. Vielleicht geht's besser, vielleicht nicht, ich bin gefaßt. – Schon in meinem achtundzwanzigsten (!) Jahre gezwungen, Philosoph zu werden; es ist nicht leicht, für den Künstler schwerer als für irgend jemand. – Gottheit, Du siehst herab auf mein Inneres, Du kennst es, Du weißt, daß Menschenliebe und Neigung zum Wohltun darin hausen. O Menschen, wenn Ihr einst dies leset, so denkt, daß Ihr mir unrecht getan, und der Unglückliche, er tröste sich, einen seinesgleichen zu finden, der trotz allen Hindernissen der Natur doch noch alles getan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden. – Ihr, meine Brüder Karl und Johann, sobald ich tot bin, und Professor Schmidt lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit beschreibe, und dieses hier geschriebene Blatt fügt Ihr dieser meiner Krankengeschichte bei, damit wenigstens soviel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde. – Zugleich erkläre ich Euch beide hier für die Erben des kleinen Vermögens (wenn man es so nennen kann) von mir. Teilt es redlich und vertragt und helft Euch einander. Was Ihr mir zuwider getan, das wißt Ihr, war Euch schon längst verziehen. Dir, Bruder Karl, danke ich noch insbesondere für Deine in dieser letzteren, spätern Zeit mir bewiesene Anhänglichkeit. Mein Wunsch ist, daß Euch ein besseres, sorgenloseres Leben als mir werde. Empfehlt Euren Kindern Tugend: sie nur allein kann glücklich machen, nicht Geld; ich spreche aus Erfahrung; sie war es, die mich selbst im Elend gehoben, ihr danke ich nebst meiner Kunst, daß ich durch keinen Selbstmord mein Leben endigte. – Lebt wohl und liebt Euch! – Allen Freunden danke ich, besonders Fürst Lichnowsky und Professor Schmidt. – Die Instrumente von Fürst Lichnowsky wünsche ich, daß sie doch mögen aufbewahrt werden bei einem von Euch; doch entstehe deswegen kein Streit unter Euch. Sobald sie Euch aber zu was Nützlicherem dienen können, so verkauft sie nur. Wie froh bin ich, wenn ich auch noch unter meinem Grabe Euch nützen kann! –

So wär's geschehen. – Mit Freuden eil' ich dem Tode entgegen. – Kommt er früher, als ich Gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunstfähigkeiten zu entfalten, so wird er mir trotz meinem harten Schicksal doch noch zu früh kommen, und ich würde ihn wohl noch später wünschen. – Doch auch dann bin ich zufrieden: befreit er mich nicht von einem endlosen leidenden Zustande? – Komm, wenn Du willst: ich gehe Dir mutig entgegen. – Lebt wohl und vergeßt mich nicht ganz im Tode. Ich habe es um Euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an Euch gedacht, Euch glücklich zu machen; seid es!

Heiligenstadt, 6. Oktober 1802
Ludwig van Beethoven.

   

Heiligenstadt, 10. Oktober 1802

So nehme ich denn Abschied von Dir – und zwar traurig. – Ja, die geliebte Hoffnung, die ich mit hierher nahm – wenigstens bis zu einem gewissen Punkte geheilt zu sein – sie muß mich nun gänzlich verlassen. Wie die Blätter des Herbstes herabfallen, gewelkt sind, so ist – auch sie dürr geworden. Fast wie ich hierher kam – gehe ich fort – selbst der hohe Mut – der mich oft in den schönen Sommertagen beseelte – er ist verschwunden. – O Vorsehung – laß einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen! – Solange schon ist der wahren Freude inniger Widerhall mir fremd. – O wann – o wann, o Gottheit – kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wieder fühlen! – Nie? – nein – oh, es wäre zu hart!« –

*

Ein wahrhaft Tröstliches, das immer nur der Leidensmensch geben kann, liegt in dem Beispiel, wie er sein Leid trägt. Er gibt das Vorbild einer Tugend, auf die er ausdrücklich hinweist; wie ein Manifest an die Menschheit lauten die kindlichen Worte der Demut: in die Reihe würdiger Menschen und Künstler ausgenommen zu werden. Es ist der Geist der echten Tragödie, der ihn umschwebt, und der fortan in seinem Schaffen zum Ausdruck kommt. Der Held, der immer nur aus sittlicher Kraft lebt, führt keineswegs einen aussichtslosen Kampf gegen das Schicksal, wenn er auch scheinbar unterliegt; er siegt in einem höheren Sinn durch die Kraft der Tugend, durch Demut und Gottvertrauen, im Aufblick nach oben, durch seinen Genius. Die äußere Welt sollte mehr und mehr für den Meister verstummen, damit er desto stärker horche auf die unendlichen Harmonien, die er in seiner inneren Welt vernimmt. Und dieser innere geistige Hörsinn verstärkt sich, je mehr der äußere Hörsinn abnimmt. Das ist nicht Zufall, sondern Berufung. Nicht Verstoßung, sondern Auserwählung. Nicht Grausamkeit, sondern strenge Gnade. Das befreiende, erlösende Moment der Tragödie, die den sittlichen Willen hinanhebt und weg vom Irdischen hin zur Gottheit wendet. Seine Kunst, die Muse ist es, die dem Sinkenden ein Halt zuruft. Und diese Muse enthält einen Fingerzeig auf die irdische Entsprechung, die ihm alsbald menschlich nähertritt, auf die »Unsterbliche« ...

*

Der Sehnsuchtsvolle ist den Menschen wiedergegeben. Er kehrt in die Stadt zurück und wohnt hoch oben in einem Hause am Petersplatz, die Glocken von St. Peter auf der einen Seite, die vom nahen St. Stephansdom auf der anderen. Es ist ihm eine Wohltat, ihre Bronzeflut zu hören, die tiefen Töne vernimmt er noch ungeschwächt.

Ansonsten freilich war er ein anderer geworden. Er spielte den Misanthropen aus Notwehr, was ihm nicht schwerfiel, um seine Schwerhörigkeit zu verbergen, mit der es bald besser, bald schlechter stand. Seine Miene und Haltung nahm jenen gespannten, lauernden, lauschenden Ausdruck an, der den Schwerhörigen verrät. Er glaubte, man merke es nicht, aber da und dort flüsterte man bereits von dem Verhängnis, das streng gehütete Geheimnis ward dem Freundeskreise offenbar und bekam bald flinke Beine, die es in die Weite trugen. Die Teilnahme war stumm, tief und schmerzlich, die Rücksicht doppelt groß. Damit wuchs zugleich das Mißtrauen, das Schwerhörigkeit sooft begleitet und wohl auch mit zu seinen Anlagen gehörte; das Menschenfeindliche, anfänglich nur zur Schau getragen, vertiefte sich und ward Seelenhaltung im schärferen Widerspruch zu seiner eigentlichen inneren Güte und Weichheit.

Auch äußerlich hat sich etwas verändert. Die gelegentliche Kavaliermäßigkeit in der Kleidung, ohnehin nicht tief wurzelnd, verschwindet nach und nach. Eine sichtliche Vernachlässigung der äußeren Erscheinung greift Platz und nimmt zu. Um so mehr verinnerlicht er sich; es kommt seinem Schaffen zugute, das trotz der niederschmetternden Erfahrungen keine Einbuße erleidet. Vielmehr drängt es kraftvoll immer größeren Würfen zu. Steile Höhen, die niemand vor ihm ging und kaum einer nach ihm, werden mit unbegreiflicher genialer Kraft erstiegen. Und das Merkwürdige: Aufträge, große würdige Aufgaben, werden ihm nun zuteil, als ob er für so manche Entbehrung und Prüfung entschädigt werden sollte.

Der findige Schikaneder, Leiter des Theaters an der Wien und berühmter Verfasser von Mozarts »Zauberflöte«, denkt an ihn. Cherubinis »Wasserträger« hatte Welterfolg; das Hoftheater verpflichtete Cherubini auf eine neue Oper; Schikaneder will die Konkurrenz bestehen und sucht Berühmtheiten. Beethoven ist der neue Stern, der über seinem Hause aufgehen soll. Er räumt ihm eine Wohnung im Theater an der Wien ein, wo Beethoven seinen Bruder Karl zu sich nimmt. In der schauerlichen Wüste dieser Zimmer beginnt er mit der Komposition zur Oper »Alexander«, die noch von Barocküberlieferungen zehrt; das Heroisch-Persönliche an dem Stoff sagt seiner Art zu. Das Theater war immer seine Sehnsucht und blieb seine schmerzliche Liebe; aber er findet alsbald, daß dieser Weg mehr mit Dornen als mit Rosen besät ist.

Aus der Sache wird zunächst nichts; einige Versuche, dann Aufschub. Er flieht im Sommer 1803 wieder in die geliebte Landeinsamkeit am Kahlenberg, um dort Ideen auszureifen, mit denen er sich schon lange trägt. Dort bewohnt er ein Haus mit einem stimmungsvollen Hof in Oberdöbling Nr. 4, »wo man den Berg hinunter nach Heiligenstadt geht«, wie er an Ries schreibt. Hier entsteht seine dritte Symphonie, die »Eroika«, jener Hochgipfel seiner Symphonienwelt, der alles Bisherige weit überragt und seine neue Schaffensperiode kennzeichnet. Sie soll Napoleon gewidmet sein. Schon 1798, als Bernadotte in Wien weilte, kam Beethoven mit dem musikliebenden französischen General in Berührung, der den Wunsch nach einer Komposition zur Verherrlichung des Konsuls Bonaparte durchleuchten ließ. Der Gedanke schlug Wurzeln in dem für persönliches Heldentum stets begeisterten Künstler. Er empfing neue Anregungen durch den heroischen Tod des englischen Generals Abercromby in der Schlacht bei Alexandria am 1. März 1801, worauf der Entwurf des Trauermarsches entstand.

In ländlicher Stille reifte das Werk der Vollendung entgegen. Es eröffnet die Reihe jener symphonischen Werke Beethovens, die seine persönlichste Sprache tragen, nicht nur als Gleichnis auf ein allgemeines Heldenthema, sondern auf sein innerstes tragisches Erleben. Der erste Hornruf kündet das Erscheinen des Heroen an, und dann geht es in stürmischen Rhythmen vorwärts, die unbeugsame Entschlossenheit verkündend; ein Seitenthema entwickelt sich und tritt auf den Kampfplatz, ein dramatisches Ringen in dem gewaltigen Zusammenprall herber Dissonanzen, der zu zweimaliger Katastrophe führt, mit einer Wucht, wie sie niemals übertroffen worden ist. Ermattend versinkt der Kämpfer in Träumerei, aus der ihn der Geisterruf des Hornmotivs zurückruft zu neuen Taten. So wiederholt sich das Spiel bis zur zweiten Katastrophe. In den Trauerrhythmen der Marcia funebre enthüllt sich das grandiose Gemälde des ins Ewige emporschreitenden Helden. Ein feierliches Marschthema mit majestätisch schleppenden Rhythmen, schaurige Trommelwirbel, hallende Fanfaren und als Gegenbewegung schluchzende, schneidende Klagen, die leise verklingen mit den Marschtempi in der Ferne. Nur noch abgebrochene, stockende Klänge, schmerzliche Seufzer, dann finsteres Schweigen. Einsam ist die Erde, leer. Die große Seele – heimgegangen.

Das steht im innigsten seelischen Zusammenhang mit des Künstlers eigener Schmerzerfahrung, die ihn zu dieser Schöpfung gereift und emporgeläutert hat. Was Unglück war, zeigt hierin seinen Segen.

Die Partitur liegt sauber abgeschrieben auf dem Tisch; auf dem Titelblatt ganz oben hat der Tondichter das Wort »Buonaparte« hingeschrieben und ganz unten »Luigi van Beethoven«. Kein Wort mehr.

Und nun ereignet sich eine drastische, vielerörterte Szene.

Sein Schüler Ries betritt das Zimmer und bringt ihm als erster die Nachricht, daß Buonaparte sich zum Kaiser habe ausrufen lassen. Und ist ganz verschreckt, als er den elementaren Wutausbruch seines Meisters sieht, den die Tagesneuigkeit derart in Harnisch gebracht hat, als wäre ihm persönliche Schmach geschehen. Ganz außer sich ruft Beethoven aus: »Ist der auch nichts anderes wie ein gewöhnlicher Mensch? Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeiz frönen; er wird sich nun höher wie alle anderen stellen, ein Tyrann werden!« Und indem er schnaubend hin und her stampft, machte er in einem plötzlichen Impuls eine Wendung hin zu dem Tisch, wo die Partitur liegt, faßt das Titelblatt obenan und reißt es quer durch. Die erste Seite wird neugeschrieben, und jetzt erst erhält die Symphonie den Titel: » Sinfonia eroica

Es mochte verwunderlich scheinen, daß der Künstler je daran dachte, Napoleon in einem Werk zu verherrlichen und ihm eine so grandiose Dichtung zu widmen. Das haben ihm einige Zeitgenossen, die von dieser Absicht hörten, sehr verargt; auch der Wiener Hof blieb gegen ihn fortan kühl, was doppelt auffällt bei der warmen Freundschaft, deren sich der Künstler seitens des Hochadels erfreute, und besonders seitens des Erzherzogs Rudolf, der sein Schüler war.

So fragwürdig die Idee einer Widmung an Buonaparte, dessen Heere Deutschland zertraten und sich in Siegesmärschen auf die Reichs-, Haupt- und Residenzstadt Wien herbewegten, damals scheinen mochte, so verständlich war sie zugleich. Beethoven erlag, wie übrigens auch Goethe, dem Zauber der großen Persönlichkeit. Er sah in ihm nicht den Feind, sondern den Gewaltigen, der den Krater der Revolution geschlossen hatte. Und überdies hatte sich der Tondichter rasch korrigiert: der Name fiel, das Werk blieb. Keineswegs galt es ausschließlich Napoleon, ebensowenig wie dem englischen Admiral, obzwar, wenn man will, mehr navale Anklänge in der Symphonie zu erkennen sind als landmilitaristische; und nun gar der Tod des Heroen, der unmöglich Napoleon angehen konnte. Nicht um die Idee Napoleon oder eines anderen bestimmten Helden konnte es sich handeln, wenn auch der eine und der andere Name ursprünglich die Anregung und den Anlaß bildete; vielmehr handelte es sich um die Idee des Heldentums überhaupt und vor allem um die eigenen Wesenszüge, denen die Heldenidee kongenial war. Darum ist auch die Deutung falsch, die in dem Werk das politische Glaubensbekenntnis des »Republikaners und Demokraten Beethoven« erkennen will. Über keinen Musiker und keine Musik wurde zu allen Zeiten soviel Politik und Weltanschauung konstruiert wie über Beethoven.

Der Tonschöpfer dachte weder an das eine noch an das andere. Er theoretisierte nicht. Für ihn waren »Gott und der Generalbaß Dinge, über die man nicht schwätzt«. Sie waren ihm heilig.

Auch sein Freiheitsbegriff war nichts Politisches, sondern vor allem ein Sittliches. Die natürliche Freiheit des gottgewollten Menschen ist es, die er meinte. Auch sie war ihm heilig. Und Persönlichkeit war ihm nicht so sehr ein bloßer Machtbegriff, sondern ein Wertbegriff, also wieder ein Ethisches. Ein Tyrann war ihm kein solcher Begriff. Sein Wort über Napoleon war allerdings Bekenntnis, sogar ein prophetisches. Der Tyrann stürzt auch die sittliche Freiheit, Seelenfreiheit und Gewissen, und damit auch die sittliche Freiheit der Kunst, um sie an seinen Triumphwagen zu spannen. Insofern war Beethoven »Republikaner« und »Demokrat«. Seiner innersten Natur nach aber ist er Aristokrat mit dem ausgeprägtesten Autoritäts- und Hoheitsgefühl, das er schon für seine eigene Person ganz entschieden in Anspruch nimmt. Er ist der Freund der Fürsten, von denen er erwartet, daß sie die natürliche Freiheit des gottgewollten, sittlichen Menschen schützen, auch in der Kunst. Darum verehrte er den Konsul Buonaparte, weil er der Pöbeltyrannei und ihren falschen Freiheitsphrasen ein Ende gemacht hatte, und er verabscheute aus gleichen Gründen den Tyrannen Napoleon, weil er sich nun höher wie alle andern stellte.

*

Der erste, der die »Eroika« hörte, war Prinz Louis Ferdinand, der »ritterliche und poetisch schwärmerische« Prinz, der »menschlichste Mensch«, zugleich auch vielgespielter Komponist, in dessen Werken sich, wie Beethoven anerkennend äußert: »hie und da hübsche Brocken finden«. Dem Prinzen zu Ehren wird die »Eroika« beim Fürsten Lobkowitz, dem sie nunmehr gewidmet ist, aufgeführt. Der begeisterte Louis Ferdinand läßt sich die Symphonie kurz hintereinander noch zweimal vorspielen, er kann sich gar nicht satt hören.

Eine musikalische Abendunterhaltung folgt auf die andere, die Gräfin Thun läßt sich's nicht nehmen, den Prinzen auch bei sich zu sehen; unvermeidlicherweise wird auch Beethoven eingeladen, als man aber zum Abendessen ging, waren nur für die hohen Adeligen Gedecke vorhanden, für Beethoven aber keines. Sie hat es ihm nicht vergessen, daß er sie einmal kniefällig vergebens bitten ließ, vorzuspielen oder gar vorzuphantasieren, was er nur tat, wenn er sich selbst dazu angeregt fühlte, aus innerer Notwendigkeit, nicht aber aus äußerem Zwang. Obendrein dachte sie nun, er sei für die prinzliche Tafel nicht fein genug. Beethoven ist aufgebracht, sagt einige Derbheiten, nimmt seinen Hut und geht weg, ein peinlicher Vorfall für die Zurückgebliebenen.

Einige Tage später gibt der Prinz ein Essen, ein Teil derselben Gesellschaft ist dazu geladen, darunter die alte Gräfin. Bei Tisch erhält sie einen Platz auf der einen Seite des Prinzen, Beethoven auf der anderen; auf diese Weise verschafft ihm der Prinz volle Genugtuung, der »menschlichste Mensch«. Man sieht es klar, Beethoven will sein Autoritäts- und Hoheitsrecht gewahrt wissen als der Geistesaristokrat neben dem Geburtsadel. Genie machte ihn nach seiner Überzeugung legitim, und er wußte diese Ebenbürtigkeit wohl zu behaupten.

Blick von Beethovens Wohnung auf der Mölkerbastei

Im folgenden Winter bezog Beethoven wieder seine Dienstwohnung im Theater an der Wien, wo er an dem Opernstoff arbeitete. Vollendet wurde die Oper in Hetzendorf unter der gabelförmigen Linde des Schönbrunner Parks, wo einst sein »Christus am Ölberg« entstanden ist. Er hat jetzt drei Wohnungen zugleich inne, da er sein Stadtquartier auf der Mölkerbastei beibehalten hatte, jene Wohnung im dritten Stock des Baron Pasqualatischen Hauses, die ihm endlich das zu bieten schien, was er trotz häufigen Quartierwechsels bisher vergeblich gesucht hatte. Aus den Fenstern seiner Zimmer genießt er eine herrliche Aussicht über das Glacis, über die Vorstädte bis zu den Kahlenberghöhen, über die Donau, die Praterauen und das Marchfeld. Außerdem ist der Hausherr ein leidenschaftlicher Verehrer der Beethovenschen Musik und betrachtet es als eine Ehre, den Künstler in seinem Hause zu wissen. Als später Beethoven aus nichtigen Ursachen in seiner Unrast dennoch wieder diese Wohnung gegen andere vertauscht, hält ihm Baron Pasqualati das Quartier frei in der Voraussicht, daß er wiederkehren werde, was denn auch wirklich geschah.

Schikaneder hatte inzwischen abgewirtschaftet; das Theater an der Wien kam unter die Hofdirektion des Barons von Braun, der durch seinen Sekretär Sonnleithner dem Tondichter einen neuen Stoff zur Komposition vorlegen läßt. Unter zwei Textbüchern wird eines gewählt, das den Namen »Leonore« erhält und nachmals »Fidelio« getauft wird. Der romantische Stoff behandelt die eheliche Liebe, eine Rettungsgeschichte voll Edelmut und Heroismus, darin die Schreckenserinnerungen an die Revolution nachklingen, die Leiden unschuldig Verfolgter, die Befreiung aus Kerker und Todesgefahr, ähnlich wie im »Wasserträger«, dessen Textdichter ja auch der Verfasser des neuen Operntextes ist. Das starke sittliche Pathos und die heroische Tragik der Dichtung war etwas, was der persönlichen Gefühlsrichtung Beethovens überaus zusagte.

Die Aufführung im November 1805 war indessen ein schlecht verhüllter Mißerfolg; Beethoven lernte die Leiden des dramatischen Autors bis zum Übermaß kennen. Einer der Sänger, Sebastian Mayer, der auf seine Verwandtschaft mit Mozart pochte, traf die Einsätze nicht und erklärte: »Solchen verfluchten Blödsinn hätte mein Schwager nicht geschrieben.« So ging alles nur mit Ach und Krach.

W. J. Mählers erstes Beethovenbildnis

Überdies waren die Franzosen in Wien eingezogen, Napoleon hatte sein Hauptquartier im Schlosse Schönbrunn aufgeschlagen; der Hof, der Großteil der vornehmen Gesellschaft und wer irgend konnte hatte sich in Sicherheit gebracht. Das Theater blieb auch an den beiden Wiederholungsabenden fast leer; das anwesende, spärliche Publikum bestand meist aus französischen Offizieren.

Kein Zweifel, die schöne Oper, übrigens weniger Drama als Oratorium, hatte in ihrer ersten Fassung Längen und viele andere Mängel. Sie bedurfte einer Neubearbeitung, die Stephan Breuning textlich vornahm, und es war kein Leichtes, Beethoven, der jede Note löwenartig verteidigte, von dieser Notwendigkeit zu überzeugen. Nur dem dringenden Zureden der Fürstin Christiane gelang es, ihn zu den nötigen Änderungen zu bewegen. Er wurde, wie gewöhnlich, mit der Partitur so spät fertig, daß kaum genügend Zeit für die Proben war; und als die Oper in veränderter Gestalt endlich im März 1806 und dann noch ein zweites Mal am 10. April wieder in Szene ging, war der Erfolg kaum größer als vordem. Die geringe Einnahme machte Beethoven argwöhnisch, er erhob in der Theaterkanzlei heftige Vorwürfe gegen den Intendanten Baron Braun, der ihn mit den Worten zu beschwichtigen vermeinte, es würde sich mit der Zeit, bei zunehmender Popularität des Werkes, auch die Galerie füllen. Damit hatte es der Intendant erst vollends mit dem aufgeregten Meister vertan, der im gereizten Ton zur Antwort gab: »Ich schreibe nicht für die Galerie!« und wütend seine Partitur zurückverlangte. Es dauerte nun acht Jahre, bis das Werk wieder aus der Vergessenheit hervorgeholt wurde.

*

Die furchtbaren Heiligenstädter Erlebnisse zittern nach und werden Musik. Das Pochen in den Ohren – so pocht das Schicksal an die Pforte – wird zu dem unheimlich düsteren Klopfmotiv in der »Appassionata«, das sich in tiefem Baßklang wiederholt, dieser dämonische Anfang, der einen Sturm der Leidenschaft entfesselt, als ob die See heulen würde, von Prospero erregt. Dann die traumhafte Erscheinung des guten Genius und ein gebetartiges Thema, ganz wie im Heiligenstädter Testament: »Im Kreise würdiger Menschen, würdig dazustehen ...« Schließlich wieder Ungewißheit, Zweifel mit furchtbarem Aufschrei der Leidenschaft, eine Steigerung zur grausigen Wildheit, wahre Seelenstürme.

Schon im Sommer 1804, mit Ries auf einem Spaziergang, hat er das Thema für sich gebrummt und geheult, ohne bestimmte Noten, und abends acht Uhr nach der Heimkehr, noch den Hut auf dem Kopf, eine Stunde lang auf dem Klavier phantasiert. Als er aufstand, war er erstaunt, noch Ries da zu sehen, den er schließlich verabschiedete: »Heute kann ich Ihnen keine Lektion geben, ich muß noch arbeiten.« Es war die Appassionata, die 1806 vollendet wurde. Man wird bemerken, daß er die Motive seiner Schöpfungen lange mit sich herumtrug und langsam ausreifte. Oft liegen Jahre zwischen Idee, flüchtigen Notizen und Ausführung seiner Werke. Zuweilen gibt er Fingerzeige über den geistigen Grund des Entstehens der einen oder anderen Schöpfung. Einmal um die Deutung seiner Pathetischen befragt, erklärte er kurz: »Ach was! Lesen Sie den ›Sturm‹!« Mit Deutungen seiner Musik gab er sich nicht gerne ab. Shakespeares »Sturm« hatte es ihm angetan. Er wies deutlich darauf hin. Das gleiche gilt für die Sonate »Appassionata« F-Moll. Sie ist Franz von Brunszvik gewidmet und legt eine Gedankenverbindung mit der Gräfin Theresa nahe.

Gräfin Therese Brunsvik (1775)

Über dem zerrissenen Gewölk zu seinen Häupten strahlt ein neues, freundliches Gestirn. Der Engel Leonore ist sanft hinabgeglitten, er erscheint in anderer Gestalt als der Engel Theresa. Selbst die liebliche, träumerische Schwester Josephine mit den schwermütigen, großen Augen, die ebenfalls schwärmte für den »lieben, unsterblichen Louis«, muß verblassen neben der römisch-klassischen Erscheinung Theresas, einer Vestalin ähnlich, mit dem Band um die reine Stirn, antik-romantisch im Ausdruck, Haltung und Kleidung, wie es der klassizistischen Zeit entspricht, Milde und Hoheit, ganz so, wie sich der hochstrebende heroische Sinn des Dichters sein Frauenideal denkt: Verkörperung seiner Muse – Unsterbliche Geliebte!

Die herzlich innige Freundschaft besteht schon lange, eine Freundschaft ähnlich jener in der Jugendzeit zu Bonn mit Leonore. Es muß Gesetz in seinem Wesen sein, daß diese Erfahrung wiederkehrt, ernster und tiefer, am stärksten mit Theresa.

Er hatte kurz vorher Streit gehabt mit seinem Bruder Karl, der auf dem Punkte stand, sich mit Johanna Reiß zu verehelichen, einem Frauenwesen, gegen das Ludwig die stärksten Einwände hat. Karl hatte sie auf einem Maskenball kennengelernt, aber sie wollte Ludwig gar nicht gefallen; er fand die Person leichtfertig, falsch und lügenhaft, und es gab kaum eine schlimme Eigenschaft, die er an ihr nicht entdeckt haben würde. Seine energischen Abmahnungen stärkten indessen den Bruder Karl in seinem Entschluß, Johanna zu heiraten, um so mehr, als bereits ein Kind unterwegs war.

Einen ähnlichen Zwist hatte der Meister sechs Jahre später mit seinem Bruder Johann auszufechten, der sich in Linz an der Donau eine Apotheke gekauft hatte und, ebenfalls gegen Ludwigs Willen, im Begriffe stand, seine Wirtschafterin Therese Obermeyer zu ehelichen, die eine halberwachsene Tochter mit in die Ehe brachte. Auch diese Heirat dünkte Ludwig ein Unglück, von dem er sich schier persönlich betroffen fühlte, weil er es ganz wie der Großvater mit dem Familienstolz nicht vereinbarlich hielt, daß ein Beethoven eine Frau aus dem »dienenden Stande« heiratete. Beiden Brüdern gegenüber beging Ludwig den Fehler, daß er sie nach seiner eigenen Wesensart beurteilte, die vor allem Seelenharmonie suchte und Liebe nur zu edlen, hochgesinnten Frauen zu empfinden vermochte. Es war ihm ganz unbegreiflich, daß seine Brüder ihre Wahl nicht unter Frauen von höherem Stande zu treffen suchten.

Trotz der Zerwürfnis mit Karl ist der Sommer 1806 eine selige Zeit für ihn, ein Traum, der nicht verweht, und der auch später wie ein unnennbar tiefer Himmel über seinem Gemüt schwebt.

Die Geschwister Brunszvik haben ihn in diesem Sommer nach Marton-Vásár entführt. Ein runder Platz, mit hohen, edlen Linden bepflanzt, ist Schauplatz eines neuen Seelenglücks. Jeder Baum trägt den Namen eines Mitglieds in dieser »Republik erlesener Menschen« und ist Sinnbild für die Guten. Wenn Louis abwesend ist, wandelt Theresa über den Lindenplatz und fragt den geliebten Baum, der seinen Namen trägt, um dies und das, was sie so gerne wissen möchte, und sie meint, daß das träumende Schattenhaupt im Säuseln und Rauschen des Windes ihr nie die Antwort schuldig geblieben sei.

Der Lindenbaum ist Zeuge der geheimen Verlobung zwischen Theresa und Ludwig; nur die Geschwister Brunszvik wissen um diesen Bund. Die Auffassungen über »standesgemäß« haben sich besonders in dieser aristokratischen Jugend gegen die überlebten strengeren Begriffe der älteren Generation verschoben. Die französische Revolution, die den dritten Stand in die Höhe brachte, die Tendenzen des Volkskaisers Josephs II. wirkten fühlbar nach und haben wenigstens ideell größere Freiheiten und vorurteilslosere Gesinnungen geschaffen. Ein Künstler von Gottes Gnaden und von solch starkem Pathos der Persönlichkeit wie Beethoven erscheint den jungen Brunszviks standesgemäß. Seine Freundschaft mit Fürsten bestätigt diese Auffassung. Und nun bestätigt es auch die Liebe, die an sich keine äußeren Schranken und keine Standesunterschiede anerkennt.

Theresa ist sein höchstes Glück – aber dieses Glück ist, wie immer, zugleich auch seine Tragik.

Dieses Glück und diese Tragik atmet der dreiteilige Liebesbrief, den er am 6. Juli, gleich nach seiner Rückkehr, in Wien niederschreibt. Der Brief scheint nicht abgesendet worden zu sein, wahrscheinlich hat ihn Theresa nie gelesen. Ein tiefes Geheimnis umschwebt ihn, und die Frage bleibt offen, wie es kommt, daß der Brief im Besitz des Schreibers verblieb und in seinem Nachlaß vorgefunden wurde. Vielleicht war er nur als ein Monolog gemeint, als Zwiesprache mit der eigenen Seele oder mit der Seele der Geliebten, eine Entladung des allzu stürmischen Herzens, und blieb dann vergessen liegen. Soviel ist klar, der Meister brauchte Distanz, um sich und seine Muse zu finden und durch die Muse wieder das Seelenbild Theresas. Es fällt auf, daß er mitten im Sommer aus Marton-Vásár heimkehrt, um so mehr, als er im Sommer nichts zu tun hat daheim und zur schönen Jahreszeit das Landleben vorzieht, das ihn oft bis in den Spätherbst der Stadt ferne hält. Allerdings hat er nach seiner verfrühten Heimkehr aus Ungarn sofort die Badekur in Heiligenstadt aufgenommen; es ist möglich, daß ihn eine gesundheitliche Störung zwang, so früh Abschied von den Lieben zu nehmen, was durch seine Scheu und Ängstlichkeit, seinen Leidenszustand zu verbergen, einigermaßen begreiflich wird. Eine weitere Erklärung ließe sich auch darin finden, daß er im geselligen Kreis und im Zwang der Konvention oder der Gesellschaftspflichten, den nun einmal das Leben in vornehmen Verhältnissen auferlegt, nicht eigentlich schaffen konnte. Wir haben es ja schon in der Zeit gesehen, da er im Palais Lichnowsky wohnte. Er muß frei sein, allein, verborgen, damit sich seine Muse ihm ungehindert nähern kann. Sie lockt ihn hinweg, in die Ferne, heimwärts, fast in die Flucht; und wenn man in den Liebesbrief genau hineinhorcht, so vernimmt man darin den leisen Grundton einer geheimen Angst vor einer ehelichen Verbindung und vor den damit verbundenen Lebenssorgen, die er wie eine Fessel fürchtet, trotzdem die Ehe ihm als eine ideale Forderung erscheint. Jedenfalls spricht sich in dem Brief ein solcher Zwiespalt der Gefühle aus. Er steht hier gleichsam zwischen zwei Frauen, der Muse einerseits, der Geliebten oder Braut anderseits. Nur fern von dieser fließen diese beiden Gestalten in eins zusammen, obschon im Grunde der unruhige Zweifel lebt, daß er die eine oder die andere verlieren müßte, sobald er sich durch eine Tat entscheiden soll. So betrachtet, werden wir den rätselhaften Brief an die »unsterbliche Geliebte« psychologisch verstehen und begreifen, warum der Briefschreiber schließlich doch gezögert hat, den Brief abzuschicken, der so viele geheime Fragezeichen enthält und Theresa mehr Unruhe als Beruhigung gegeben hätte.

Es war eine schreckliche Heimfahrt mit dem Postwagen auf grundlosen Landwegen und Umwegen. Der Graf Esterházy ist sein Reisegefährte, der sich unterwegs von ihm trennt und die gewöhnliche Route nimmt. Er hat dasselbe Schicksal mit acht Pferden wie Beethoven mit vier. Aber die Schrecken der Fahrt, der gefürchtete Wald, vor dem er gewarnt wird, und der ihn nun um so mehr reizt, so daß er ihn durchquert, das alles gewährt ihm ein grausiges Vergnügen. Elementarereignisse rütteln Elementares in ihm auf, der Sturm ist ihm Wohltat und Gegengewicht zum inneren Sturm. Er muß es niederschreiben, was er in dieser Reisenacht erlebte, und wirft alles in abgerissenen Sätzen gleich nach der Ankunft aufs Papier, wie es ihm aus der Überfülle des Herzensdranges in den Sinn kommt und in die Feder fließt.

Ein Dokument seiner Seele ist dieser Brief, der einen tiefen Einblick in seine eigentümliche innere Wesensart gibt, bedeutsam wie das Heiligenstädter Testament; ein Nachklang von schwierigen Lebensfragen und Problemen, die in Marton-Vásár ihm zum Bewußtsein gekommen sind, wenn sie auch dort nicht zur Sprache gebracht wurden, und die ihm schier unlösbar scheinen. Er schiebt sie gleichsam in Gottes Hand und überläßt sie einer dunklen Zukunft. Jedenfalls umgeht er damit eine praktische Entscheidung und befindet sich innerlich auf der Flucht vor einem Glück, nach dem er sich gleichzeitig aufs heftigste sehnt, obschon er es zu fürchten scheint. Die Tragik dieses seltsamen Glücks klingt auf.

An die unsterbliche Geliebte.

Am 6ten juli Morgends

Mein Engel, mein alles, mein Ich. – nur einige Worte heute, und zwar mit Blejstift – (mit deinem) erst bis morgen ist meine Wohnung sicher bestimmt, welcher Nichtswürdiger Zeitverderb in d. g. – warum dieser tiefe Gram, wo die Nothwendigkeit spricht. – Kann unsre Liebe anders bestehn als durch Aufopferungen, durch nicht alles verlangen, Kannst Du es ändern, daß Du nicht gantz mein, ich nicht gantz Dein bin – Ach Gott blick in die schöne Natur und beruhige Dein Gemüt über das müssende – die Lieb fordert alles und gantz mit recht, so ist es mir mit Dir, Dir mit mir – nur vergißt Du so leicht, daß ich für mich und für Dich leben muß, wären wir gantz vereinigt, Du würdest dieses schmerzliche eben so wenig wie ich empfinden – meine Reise war schrecklich ich kam erst Morgens 4 Uhr gestern hier an, da es an pferde mangelte, wählte die Post eine andere Reiseroute, aber welch schrecklicher Weg, auf der vorlezten Station warnte man mich bej nacht zu fahren, machte mich einen Wald fürchten, aber das reizte mich nur – und ich hatte Unrecht, der Wagen muste bej dem schrecklichen Wege brechen, grundloß, bloßer Landweg, ohne solche Postillione, wie ich hatte, wäre ich liegen geblieben Unterwegs – Esterhazi hatte auf dem andern gewöhnlichen Wege hierhin dasselbe schicksal mit 8 Pferden, was ich mit vier – jedoch hatte ich zum theil wieder Vergnügen, wie immer, wenn ich was glücklich überstehe. – nun geschwind zum innern vom äußern, wir werden uns wohl bald sehn, auch heute kann ich Dir meine Bemerkungen nicht mittheilen, welche ich während dieser einigen Tage über mein Leben machte – wären unsre Herzen immer dicht aneinander, ich machte wohl keine d. g. die Brust ist voll Dir viel zu sagen – ach – Es gibt Momente, wo ich finde, daß die sprache noch gar nichts ist – erheitre Dich, bleibe mein treuer eintziger schatz, mein alles, wie ich Dir das übrige müssen die Götter schicken, was für unß sejn muß und sejn soll. –

Dein treuer

ludwig. –

   

Brief an die »unsterbliche Geliebte«

Abends Montags am 6ten Juli

Du leidest Du mein theuerstes Wesen – eben jetzt nehme ich wahr, daß die Briefe in aller Frühe aufgegeben werden müßen. Montags – Donnerstags – die eintzigen Täge wo die Post von hier nach K. geht – Du leidest – ach, wo ich bin, bist Du mit mir, mit mir und Dir rede ich mache daß ich mit Dir leben kann, welches Leben!!!! so!!!! ohne Dich – verfolgt von der Güte der Menschen hier und da, die ich mejne – eben so wenig verdienen zu wollen, als sie zu verdienen – Demuth des Menschen gegen den Menschen – sie schmerzt mich – und wenn ich mich im Zusammenhang des Universums betrachte, was bin ich und was ist der – den man den Größten nennt – und doch – ist wieder hierin das Göttliche des Menschen – ich weine wenn ich denke daß Du erst wahrscheinlich Sonnabends die erste Nachricht von mir erhältst – wie du mich auch liebst – stärker liebe ich dich doch – doch nie verberge Dich vor mir – gute Nacht – als Badender muß ich schlafen gehen (hier zwei ausgestrichene Worte). ach Gott – so nah! so weit! ist es nicht ein wahres Himmelsgebäude, unsre Liebe – aber auch so fest, wie die Veste des Himmels.

   

guten Morgen am 7. Juli –

schon im Bette drängen sich die Ideen zu Dir meine Unsterbliche Geliebte, hier und da freudig, dann wieder traurig, vom Schicksaale abwartend, ob es unß erhört – leben kann ich entweder nur gantz mir Dir oder gar nicht, ja ich habe beschlossen in der Ferne so lange herum zu irren, bis ich in Deine Arme fliegen kann, und mich ganz heimathlich bej dir nennen kann, meine Seele von dir umgeben ins Reich der Geister schicken kann – ja leider muß es sejn – du wirst dich fassen, um so mehr da du meine Treue gegen dich kennst, nie eine andere kann mein Herz besitzen nie – nie – o Gott warum sich entfernen müßen, was man so liebt, und doch ist mein Leben in V. so wie jetzt ein kümmerliches Leben – Deine Liebe macht mich zum glücklichsten und zum unglücklichsten zugleich – in meinen Jahren jetzt bedürfte ich einiger Einförmigkeit Gleichheit des Lebens – kann diese bej unserm Verhältnisse bestehn? – Engel, eben erfahre ich, daß die Post alle Tage abgeht – und ich muß daher schließen, damit Du den B. gleich erhälst – sej ruhig, nur durch Ruhiges beschauen unsres Dasejns können wir unsern Zweck zusammen zu leben erreichen – sej ruhig – liebe mich – heute – gestern – welche Sehnsucht mit Thränen nach dir – dir – dir – mein Leben – mein alles – leb wohl – o liebe mich fort – verken(ne) nie das treuste Hertz Deines Geliebten

ewig dein
ewig mein
ewig unß.«

L.

*

Bei aller Liebe, ihm bangt um eines, das Kostbarste, für das er alles hingibt um dieses einen Höheren willen, das seine Kunst ist, und die nur in Freiheit gedeihen kann; darum geht ihm Freiheit über alles. Darin liegt die unübersteigliche Schwierigkeit, die sich der realen Verbindung entgegensetzt. Auch Theresa erkennt es alsbald, ihre große Seele versteht dies ohne Klage, so gut wie es der herzensbrave Freund Brunszvik versteht, dem die Appassionata gewidmet ist, jene Sonate, die so düster ausklingt, leidenschaftlich, ohne Antwort, ohne Lösung, und somit alles vorwegnimmt. Liebe muß Freundschaft bleiben, seelische Vereinigung, nicht irdische, und darum eben, bei aller Entsagung: »Unsterbliche Geliebte.« Und so bleibt es: holdselige irdische Verkörperung seiner göttlichen Muse. Das Leben in all seiner scheinbaren Verworrenheit und harten Verknotung gehorcht einem höheren Plan.

Theresa befragt den Lindenbaum, der seinen Namen trägt, wie ein Orakel. Und der Baum gibt ihr die Antwort, die dem Zug beider Herzen und ihrer idealen Liebe entspricht. Auch sie hat nie geheiratet und ist später Stiftsdame geworden. Die Freundschaft bleibt, die Seelenliebe, ein Unverlierbares.

So schön es auch zu denken ist, immerhin steckt in dieser platonischen Wendung ein gutes Stück Resignation, die seit seiner beginnenden Ertaubung die typische Haltung des Meisters dem Leben gegenüber ist, wie sehr auch andererseits seine leidenschaftliche Natur ihn zum Gegenteil disponiert. Das ist die tragische Spannung im seelisch Menschlichen, die zugleich das eigentümlich ergreifende, tragische Moment in seiner Musik ist und hier den verwandten geistigen Ausdruck sucht. Er hat viele solcher Verzichte in seinen menschlichen Beziehungen aufzuweisen, wenn sie auch oft andere, weniger ideale Gründe haben und in seinem brüsken, eigenwilligen Wesen zu suchen sind. Es ist ein wahres Verhängnis, daß um diese Zeit die wertvolle Freundschaft mit dem Fürsten Lichnowsky in die Brüche geht, aus einem Anlaß, der geradezu nichtig erscheint. Der Fürst hat ihn im Herbst 1806 eingeladen, ihn auf seinem Schlosse Grätz bei Troppau zu besuchen, wo es von französischen Truppen wimmelt. Um die einquartierten fremden Offiziere bei guter Laune zu erhalten, verspricht ihnen der Fürst, daß sie nach dem Diner Beethoven spielen hören sollen, und droht dem Künstler, der über diese Zumutung entrüstet ist, halb im Scherz, halb im Ernst – mit Hausarrest. In Beethovens Eigenliebe ist ein empfindlicher Punkt berührt. Er verläßt das Schloß abends zu Fuß im strömenden Regen und fährt von Troppau aus mit dem Eilwagen nach Wien. Der nächtliche Marsch hat eine Erkältung zur Folge, die seine Schwerhörigkeit verschlimmert. Ein Brief, den er in seinem Zimmer auf dem Schlosse zurückgelassen, enthält eine derbe Zurechtweisung: »Fürst! Was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt. Was ich bin, bin ich durch mich. Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben. Beethoven gibt es nur einen!« Auch wenn der Brief nur erfunden ist, so beweist der ganze Vorfall wieder nur das eine, daß es die Freunde nicht leicht mit ihm haben, und daß sein Selbstgefühl und seine Empfindlichkeit zuweilen an Überreiztheit grenzt. Das haben auch alle anderen Freunde irgendwie erfahren müssen, so zum Beispiel der treue Stephan von Breuning, mit dem er eine Zeitlang ein gemeinsames Quartier innehatte, bevor er die Wohnung auf der Mölkerbastei im Pasqualitischen Haus bezog. Das enge Zusammenwohnen brachte Reibungen mit sich, und daraus entstand ein ernstes Zerwürfnis, das ihm auch diese treue Seele auf viele Jahre entfremdete. Was nützte es, wenn Ludwig seine Heftigkeit wieder gutzumachen suchte, indem er alsbald seinem »Steffen« ein schönes, auf Elfenbein gemaltes Miniaturbild schickt und mit leidenschaftlicher Rührung Abbitte leistet:

»Hinter diesem Gemälde, mein lieber, guter Steffen, sei auf ewig verborgen, was eine Zeitlang zwischen uns vorgegangen. Ich weiß es, ich habe Dein Herz zerrissen. Die Bewegung in mir, die Du gewiß bemerken mußtest, hatte mich genug dafür bestraft. Bosheit war's nicht – was in mir gegen Dich vorging. Nein, ich wäre Deiner Freundschaft nie mehr würdig; Leidenschaft bei Dir und bei mir – aber Mißtrauen gegen Dich ward in mir rege. – Es stellten sich Menschen zwischen uns, die Deiner und meiner nie würdig sind. – Mein Porträt war Dir schon lange bestimmt, Du weißt es ja, daß ich es immer jemand bestimmt hatte. Wem könnte ich es wohl mit dem wärmsten Herzen geben als Dir, treuer, guter, edler Steffen! – Verzeihe mir, wenn ich Dir wehe tat; ich litt selbst nicht weniger. Als ich Dich solange nicht um mich sah, empfand ich es erst recht lebhaft, wie teuer Du meinem Herzen bist und ewig sein wirst.

Dein.....

Du wirst wohl auch wieder in meine Arme fliehen wie sonst.«

So stehen Licht und Schatten dicht beieinander. In dem Bilde Beethovens dürfen diese Schatten nicht fehlen, denn sie zeichnen und vertiefen diese Charaktererscheinung und heben um so strahlender hervor, was an menschlicher Güte und Schönheit in ihm lebt. Es ist wieder derselbe Fall, der in seinem Leben geradezu leitmotivische Bedeutung hat: auflehnende, rücksichtslose, geradezu hochmütige Selbstüberhebung und unmittelbar darauf demütiges Einbekennen der Schuld, reumütige Abbitte, Selbstkorrektur, der strenge sittliche Sieg über sein allzu widerspenstiges Naturell. Darin liegt unzweifelhaft Seelengröße und etwas, das geradezu vorbildlichen, erzieherischen Wert hat. Auf alle Fälle ist es ein interessantes, spannendes und menschlich ergreifendes Schauspiel, wie er sich freiwillig der Buße für seine Schwächen unterwirft. Es ist daneben wohl auch der Ausdruck eines tiefen Freundschaftsbedürfnisses, dem er nicht entraten kann. Er mutet wohl seiner Umgebung mehr als billig zu, aber er leidet selbst unter den Folgen der Bescherung; es ist die eigene Hilflosigkeit und Verlassenheit, die ihn sodann zwingt, das Geschehene soweit als möglich, ja oft in einem übertriebenen Maße gutzumachen. Aber es ist immer schön und versöhnlich, daß er es selbst einsieht und sich schonungslos anklagt.

Vielfach ist es das Mißtrauen, das ihm oft einen argen Streich spielt und sich zu einem hervorstechenden Charakterzug entwickelt, je mehr seine Taubheit zunimmt. Er mißtraut allen, seinen Dienern, später seinen Wirtschafterinnen, seinen Brüdern, seinen Freunden und oft am meisten denen, die am ehrlichsten sein Bestes wollen. Das führt oft zu teils peinlichen, teils komischen Szenen.

Er hat seinen Bruder Karl nach dessen Verehelichung wieder in Gnaden aufgenommen und ihn mit geschäftlichen Agenden betraut. Dabei bewegt er sich in den Extremen grenzenloser Vertrauensseligkeit und ebenso grenzenlosem, plötzlich ausbrechendem Mißtrauen. So stürzt er eines Tages in Karls Wohnung herein, als eben die Familie bei Tisch sitzt, und schreit den Bruder an: »Du Dieb, wo sind meine Noten?« Die Frau hat alle Mühe, die hart aneinander geratenen Brüder auseinander zu bringen, endlich werden die Noten aus einer Schublade entnommen und dem Künstler vor die Füße geworfen. Das beruhigt den argwöhnischen Ludwig, der nach den verletzendsten Vorwürfen unmittelbar zur reumütigen Versöhnlichkeit einlenkt und den verdächtigten Bruder um Verzeihung bittet. Der will zunächst nichts wissen von Versöhnung und schimpft weidlich fort, worauf Ludwig wieder zur Tür hinauseilt, ohne die Noten mitzunehmen.

Ähnliche Vorkommnisse den Freunden und Helfern gegenüber sind an der Tagesordnung. Dem Kapellmeister Hummel, den er nach einer musikalischen Debatte der sträflichen Anhängerschaft an die Mozart-Nachbeter, seine Gegner, verdächtigt, zumal Hummel selber Mozartschüler war, schreibt er in rasch entflammtem Zorn einen Brief wie diesen: »Komme er nicht mehr zu mir! Er ist ein falscher Hund, und falsche Hunde hole der Schinder.« Ebenso rasch stellt sich die Reue ein, denn der folgende Tag bringt einen Brief von entgegengesetzter Tonart: »Herzens-Nazerl! Du bist ein ehrlicher Kerl und hattest recht, das sehe ich ein. Komm also diesen Nachmittag zu mir. Du findest auch den Schuppanzigh, und wir beide wollen Dich rüffeln, knüffeln und schütteln, daß Du Deine Freude daran haben sollst.

Dich küßt Dein Beethoven, auch Mehlschöberl genannt.«

Auch dieser Entschuldigungsbrief gibt den Schlüssel zu seinem wahren Wesen wie jene anderen Sühnebriefe, die er an Leonore, an Wegeler, an Stephan Breuning und gelegentlich auch an seine Brüder schrieb. Es ist aber bei dieser schwierigen Gemütsanlage nicht zu verwundern, daß er sich zuzeiten seelisch verwaist und vereinsamt fühlte und bei zunehmender Schwerhörigkeit sein Inneres immer eigenwilliger vor der Mitwelt verschloß.

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Immer wenn der Mensch mit seiner eigenen Weisheit zu Ende ist, steht er vor Gott. An einem solchen krisenhaften Punkt befindet sich der Meister wieder. Er sieht die ganze Bedingtheit und Abhängigkeit seiner Kraft; alles versagt, die Mitmenschen, die Freundschaft, die Liebe, nicht zuletzt er selber – es bleibt keine andere Zuflucht. Nur in dem Aufblick zum Schöpfer findet er Trost und Errettung, wie schon das Heiligenstädler Testament beweist, nachdem alle äußeren und inneren Quellen versiegt sind und von nirgendsher Hilfe zu erwarten ist, außer von oben.

Er hat den Sommer 1807 in Baden bei Wien verbracht, zwischen den lieben, bescheidenen ockergelben Häusern mit grünen Läden in den ländlichen Gassen, und hat in dem einfachen Johannisbad Linderung seiner mannigfachen körperlichen Beschwerden gesucht. Die Ruhe in dem reizenden, biedermeierlichen Städtchen hat ihm wohlgetan, die Spaziergänge zwischen Weinbergen und in dem malerischen Helenenthal am Rande der waldigen Wienerwaldhöhen, wo der Blick über das fruchtbare Becken in die ungarische Ebene hineinschweift, haben ihn auch seelisch einigermaßen ausgeglichen; ungeachtet der Krisen ist der fast ununterbrochene Strom, seines Schaffens ergiebig wie nie. Die Rasumoffsky-Quartette sind entstanden, die Ouvertüre zu Collins »Coriolan« ist vollendet, ein heroisches Motiv, das in ihm seit der Josephs-Kantate vorgebildet ist. Auf dieser Linie liegt auch die Pathetische, die Eroika und der Fidelio.

Graf (Fürst) Andreas Kyrillowitsch Razumoffsky (1752)

Aber trotz der Schaffensfülle fühlt er sich irgendwie unbefriedigt. Was er erlebt und erlitten, will Klang werden, in die reine Welt der Kunst erhoben sein. Das tiefste Ereignis, im Heiligenstädter Testament angedeutet, ist musikalisch noch nicht restlos gesagt; es will sich zum Dankopfer gestalten, aber es scheint, als wollten ihm dafür noch die Kräfte und Mittel fehlen. Das ist jetzt die Krise, in der er sich befindet, und zwar eine künstlerische. Und wieder steht er vor Gott, der einzigen Zuflucht, die in solcher Lage bleibt. Er sucht und findet die Rettung in der Liturgie, aus der er schöpft, was ihm noch fehlt. Es ist wie ein Trank aus der Unendlichkeit, der ihm die metaphysische Kraft gibt, deren er zum Weiterbau bedarf, und die grundlegend ist für seine späteren Werke; sie wären nicht denkbar ohne diesen tiefen Trunk aus himmlischen Quellen. Die C-Dur-Messe entsteht.

Freilich, wie er sich mit dem Göttlichen auseinandersetzt, das ist wieder ganz persönlich und so neu und unerhört, daß der Fürst Esterházy, dem er die Anregung und den Auftrag zur Messe verdankt, ganz fassungslos ist und bei der Erstaufführung am 13. September 1807 im Schlosse zu Eisenstadt über diese Kirchenmusik ganz verblüfft ausruft: »Aber lieber Beethoven, was haben Sie denn da wieder gemacht?!« Die Hörerschaft war eben in ganz anderen Gewohnheiten erzogen und hatte gar nicht mehr empfunden, wie verweltlicht und opernhaft der musikalisch religiöse Ausdruck schon geworden war, der auf das Miserere, diesem Ruf nach göttlicher Erbarmung, eine spielerische, jauchzende Koloratur zu setzen gewohnt war, wie bei Mozart, wobei Musik und heiliger Text bedenklich auseinanderklafften. Es war die Tat Beethovens, einen neuen Kirchenstil geschaffen zu haben, der der Symbolik der Handlung innerlich entspricht und zugleich eine persönliche Auseinandersetzung des Ich mit dem Göttlichen ist.

Aber man empfand diese neue Ausdrucksform zunächst als zu »menschlich«, zu sehr von den Ideen des persönlichen Heldentums durchtränkt und die Ich-Betonung, die streitbare Auseinandersetzung mit dem unnahbar Ewigen geradezu als eine Blasphemie. Das persönliche Element als die bedeutsame Eigenschaft der Beethovenschen Musik wurde gerade hier mißverstanden und falsch gedeutet. Man wollte nicht einsehen, daß die göttlichen Wahrheiten persönlich erlebt werden müssen, und daß darin eben die tätige Bejahung und das innere Erleben der Glaubenselemente beruht, die ewige Forderung des wirklich religiösen Gemüts, die ansonst so viele Vorbilder hat. Beethoven hatte den seelischen Kern der Sache erfaßt und durfte mit Recht seinem Verleger Breitkopf und Härtl schreiben: daß er den Text behandelt habe, wie er noch wenig behandelt worden ist. Überraschend wirkte unter anderem die dialogartige Gegenüberstellung der Chor- und Solostimmen im Kyrie als Gegensatz der Engelschöre und der menschlichen Einzelstimme. Das war wohl auch früher der Fall, nur nicht in diesem Maße individualisiert.

Auch das Gloria ist noch groß und objektiv geschautes Gemälde der ewig thronenden Majestät, ein Bild himmlischer Zeitläufte und Herrlichkeit, unverrückbarer Mittelpunkt alles Seins. In diesem Anschaulichen tritt das Persönliche ganz zurück; doch anders im Credo. Hier spricht der Mensch, die Einzelseele, die nicht mehr schauend verharrt, sondern handelt und ihr Bekenntnis ablegt. Der Text ermöglicht mannigfache Gliederung für eine plastisch musikalische Ausdruckskunst wie das mystische » et incarnatus«, dann das zage, hoffnungweckende » homo factus est«, das klagende » crucifixus« und im schneidenden Weh das » passus«, immer tiefer zur bedrückenden Dämmerung des » sepultus« der Grablegung. Und nun der Triumph des Himmelfahrtbildes in emporrollenden Tonfiguren. Drohende Posaunenklänge des nahenden Gerichtes. Der Siegesgesang der Verkündigung nie endender Herrlichkeit des Reiches Gottes. Dann die Weihe und Ergriffenheit des Sanktus. Nur Instrumentalklänge, weltentrückte Stimmung, flüsternde Stimmen, die sich allmählich zur jubelnden Pracht des Hosianna erheben. Das Erbarmen Christi, dir Hoffnung der Welt in diesem innigen Emporklingen der Stimmen: » Dona nobis pacem«. »Bitte um inneren und äußeren Frieden«, schreibt Beethoven über diesen Teil. Selig schweben die Stimmen im Wechselspiel mit den Instrumenten empor wie unter feierlichen Glockenklängen. Und jetzt Paukenschläge, Trompetenrufe, aufschreiende Chöre: » Miserere nobis«. Ein wahrer Gewissenssturm, aufgeschreckte böse Mächte des Innern, Vorahnung des Gerichts. Aber die Macht des Erlösers verscheucht die Schreckgestalten, jubelnder Dank in majestätischer Fuge, beglückende Ruhe in heiter frommer Weise. Dazu die bezeichnende Notiz des Künstlers: »Stärke der Gesinnungen des innern Friedens über alles – Sieg!«

Ein neuer großer Wendepunkt ist eingetreten, die Seele hat neue Nahrung empfangen, deren sie bedurfte, der Künstler ist zu weiterer Wanderung gestärkt, er hat sich metaphysische Welten erschlossen.

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»So klopft das Schicksal an die Pforte – – –« Das Erlebnis von 1802 in seinen Heiligenstädter Ölbergstunden hat den Meister nicht mehr losgelassen. Er stand damals vor dem Tor des Todes, als er sein Testament schrieb, und war seither ein Auferstandener, der sein Leben und Schaffen als Gnade empfing. Jenes Pochen, jene Geistergewalt und Seelenerschütterung, jene Zerknirschung und Gnadenrettung beschäftigen ihn unablässig. Das Heiligenstädter Testament will sich in Tönen gestalten, es ist die Fünfte in C-Moll, sein Lebenslied, das er nun vollendet, und dem zuliebe er die begonnene vierte Symphonie zurückstellt. Die »Eroika« war ein Anlauf dazu. Schärfer faßte er dieses Seelenproblem in der Appassionata an. Das geisterhafte Klopfen ist da, die Erschütterung, der Aufruhr, die Angst. Das Eigentliche fehlt. Außer dem Gebetsthema keine Erlösung, keine Befreiung, kein Erstandensein. Er mußte Tore durchbrechen in eine neue Empfindungs- und Klangwelt, in eine überirdische Welt von Ahnungen und Erkenntnissen, in die ihn seine musica sacra, die C-Dur-Messe hineingeführt hatte. Nun erst konnte die Schicksalssymphonie entstehen.

Ein Pochen mit vier dröhnenden Schlägen, zweimal, ein ängstlich zitterndes Echo der Streicher, und nun zum drittenmal, ungestümer, drohender, unaufhaltsamer dieses unheimliche Schicksalspochen. Eine Fanfare, die ankündigt, daß eine Seele sich anschickt, dem unheimlichen Gast entgegenzutreten. Nochmals diese Schläge des fürchterlichen Fatums. Ein erregtes Durcheinander, ein Aufbäumen und ein ermattetes Hinsinken, schmerzliche Klage und neubelebter Mut, aber über alles die triumphierenden Schicksalsschläge des Dämons, der vernichtend einbricht und die ersterbenden Seufzer mit einem unerbittlichen Ruf abschneidet. Dem Schein nach hat er gesiegt. – Doch aus unüberwindlichen Seelenhöhen, der Welt innerer Gesichte und höherer Kräfte kommt Tröstung, ein Triumphlied aus den Gefilden reiner Geister. Aber das Reich der Dämonen und Spukerscheinungen ist noch nicht besiegt. Wieder dieses hämmernde Schicksalsmotiv, ein barocker Koboldtanz, atemberaubende Schwüle, düstere Bilder von gespenstiger Schauerlichkeit, eine Dämonie, die furchtbar beängstigt. Doch sie kann die vertrauende Seele nicht endgültig niederringen. Durch dieses gläubige Vertrauen im Bewußtsein höherer Ziele und Bestimmung wie von Engelskraft gestärkt, setzt sich die Siegeszuversicht durch, aus Verzweiflung – innere Errettung. Ein Triumphlied hebt an, in ungehemmter Begeisterung braust das unwiderstehliche Siegeslied empor. Es ist die sittliche Kraft im Menschen, die über das »Fatum« siegt. Was sein Testament besagt, verkündet in Tönen diese Fünfte. »So klopft das Schicksal an die Pforte« – und so wird es überwunden!

Diese Schicksalssymphonie ist obendrein ein Meisterstück motivischer Arbeit und wegweisend für alle Zukunft. Auf einem Motiv von nur vier Noten, dem Schicksalsruf, baut sich das ganze leidenschaftsvolle Werk thematisch auf und redet eine eindringliche, deutliche Sprache, die sofort von allen verstanden wird als der Gegensatz von Leid und Freude, von Kampf und Überwindung, von Schicksal und siegreichem Ringen nach Erlösung. Das Werk hat sofort den größten Erfolg gehabt, wenn auch nicht bei der Erstaufführung im Dezember 1808. Der Beethovenkult beginnt nun auch in weiteren Kreisen. Das erste begeisterte Dokument dafür gibt der romantische Dichter E. Th. A. Hoffmann, der die niemals übertroffene Würdigung über diese Symphonie wie überhaupt über Beethovens Musik schreibt:

»So eröffnet uns auch Beethovens Instrumentalmusik das Reich des Ungeheuren und Unermeßlichen. Glühende Strahlen schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht, und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf und ab wogen, enger und enger uns einschließen und uns vernichten, aber nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht, in welcher jede Lust, die schnell in jauchzenden Tönen emporgestiegen, hinsinkt und untergeht, und nur in diesem Schmerz, der, Liebe, Hoffnung, Freude in sich verzehrend, aber nicht zerstörend, unsere Brust mit einem vollstimmigen Zusammenklange aller Leidenschaften zersprengen würde, leben wir fort und sind entzückte Geisterseher! – Der romantische Geschmack ist selten, noch seltener das romantische Talent, daher gibt es wohl so wenige, die jene Lyra, deren Ton das Wundervolle des Romantischen aufschließt, anzuschlagen vermögen. Beethovens Musik bewegt die Hebel der Furcht, des Schauers, des Entsetzens, des Schmerzes und erweckt eben jene unendliche Sehnsucht, welche das Wesen der Romantik ist. Er ist daher ein rein romantischer Komponist ...«

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Auch seine Vorliebe für das Landleben findet musikalisches Gleichnis, und zwar in seiner Sechsten, der sogenannten »Pastoralsymphonie«. Dieses Idyll, das ein Zurückgreifen auf ältere realistische Motive scheint, ist ein Hymnus an die Natur als seelisches Erlebnis. Am raschen, sanft murmelnden Heiligenstädter Bach, das berühmt gewordene »Beethoven-Gangl«, grüßen ihn liebe, vertraute Bekannte, das hurtige Gewässer, die hohen Ulmen, der schwellende Wein, die Goldammern, die Nachtigallen, die Wachteln, die Kuckucke; sie haben alle nach seinem eigenen Zeugnis mitkomponiert. Die Goldammer hat eine größere Rolle auszuführen als die andern; sie hat das C-Dur-Motiv im zweiten Satz der Pastorale gleichsam mitkomponiert, und zwar in der »Szene am Bach«. Das Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande als Inhalt des ersten Satzes ist ganz Seelenmalerei und Bekenntnis seiner Sehnsucht nach dem Landleben, die also beglückende Erfüllung findet.

Sobald die ersten Rosawölkchen auf dem fast noch dunklen Frühhimmel erscheinen, ist der Meister schon auf und draußen. Vorher erfolgen die geräuschvollen Abgießungen, gelinde Überschwemmungen unter Stampfen und Heulen, wie man sein Singen nennt, daß die Hausleute unmutig über das Poltern erwachen, und dann geht es auch schon hinaus, nie ohne seine Fahne, d.h. Notizbuch und dickes Blei, talauf und talab, emsig wie die Biene, summend und brummend, in Weinbergshohlwegen und über schwellende Hügel, wo sein ossianisch wildes Haupt den Landleuten eine gewohnte, wenn auch wenig verständliche Erscheinung ist. Was er auf solchen einsamen Spaziergängen an Eingebungen einheimst, wird Bild und Gestalt in der Pastorale.

Die urwüchsige Derbheit seines Humors zeigt das »lustige Beisammensein der Landleute« im dritten Satz. Die ehrsame Dorfkapelle naht, die Violinen voran; die Oboe kann nicht Schritt halten und gleitet öfters aus; drollig gebärdet sich das Fagott; nun sind endlich die Stimmen beisammen, Klarinetten und Hörner erscheinen, die Zunft kann beginnen; die Tanzlustigen wollen einen Walzer hören, ein Schwenken, Stampfen und Jauchzen setzt ein. Aber o Schreck: das Tremolo der Bässe kündet ein anziehendes Gewitter mit fernhinrollendem Donner an. Sturm bricht ein, grell zucken Blitze herab, Angstrufe ertönen, ein wirres Durcheinander der geängstigten, schutzsuchenden Menschen, ein Dissonanzenchaos unter dem dumpfen Gewitterwogen der Baßgeigen; ein Abflauen und dann desto stärkeres Hervorbrechen des wiederkehrenden Gewitters, das sich erst allmählich verzieht: ein Gemälde von packender realistischer Kraft. Das Gewitter ist verrauscht, die angstvolle Herde der Menschen sammelt sich wieder, choralartig steigt das Dankgebet der aus ihrer Not befreit Aufatmenden empor. Ein Flötensolo leitet über zum schalmeiartigen »Hirtengesang« des vierten Satzes. »Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm« beschließen das Werk mit religiös gehobener Stimmung und dem Schöpfer zugewendeten Gedanken und Betrachtungen.

Programm-Musik? Ein unzutreffendes Wort, das irreführt. Keine äußerliche Schallnachahmung oder bloße Lautmalerei, sondern Seelenmalerei, Ausdruckskunst der Empfindungen im Erleben der heiteren und ernsten Stimmungen des Natur- und Landlebens. Ein köstliches Idyll, das die heitere Anmut der Wiener Landschaft atmet mit ihrem Wellengeflüster und ihren Vogelstimmen, mit dem Treiben naiv fröhlicher Menschen – die Naturliebe des Meisters und das Seelenglück, das er ihr dankt, hat in dem Werk Verklärung gefunden.

Immer neue reine Freuden schöpft er aus diesem Heilquell: »Wie froh bin ich, einmal in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können. Kein Mensch kann das Land so lieben wie ich. Geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht.« Seine Naturbetrachtung hat religiöse Züge: »Allmächtiger – im Walde – ich bin selig – glücklich im – Wald jeder Baum spricht – durch Dich.« So bekennt er in seinem Tagebuch. Und immer in dieser Gottverbundenheit: »O Gott, welche – Herrlichkeit – in einer – solchen Waldgegend – in den Höhen – ist Ruhe – Ruhe Ihm zu – dienen.«

Es ist eine Eigentümlichkeit seiner Diktion, daß er die Sätze durch so viele Gedankenstriche zerlegt, gleichsam als wollte er die Worte zu besonderer Bedeutung erheben, zu einer Art psalmodierenden Halbgesang. Es ist zugleich ein Zeichen der seelischen Erregbarkeit, in diesem Fall gewiß auch Geniemarke, die in ihren plötzlichen Eingebungen die Worte stammelnd, wie in seelischer Trunkenheit als Gedankenblitze hinsetzt, unbekümmert um Orthographie oder Syntax.

Aus Beethovens Studienheften

Die »Eroika«, die »C-Dur-Messe«, die Schicksalssymphonie und die »Pastorale« bezeichnen die Höhepunkte der zweiten Schaffensepoche, in der die tragische Persönlichkeit des Meisters musikalisch vollkommen in die Erscheinung tritt. Eine Pause tritt nach diesen seinen fruchtbaren dreißiger Jahren naturnotwendig ein. Anklänge finden sich bereits, die auf sein späteres Schaffen, auf seine dritte Epoche hinweisen, besonders seit der Messe, die ein Fingerzeig auf die Spätwerke der dritten Epoche ist, wo er, von der realen Welt losgelöst, sich der reinen Geisteswelt zuwendet und einen neuen Stil pflegt: absolute Musik. Was dazwischen liegt, sind teils Gelegenheitsschöpfungen von sekundärer Bedeutung oder Übergangswerke, wie die heiter strahlende siebente und achte Symphonie, die den hohen Brückenbogen von seiner nun abgeschlossenen zweiten Schaffensepoche in die spätere rein abgeklärte dritte bilden.

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Derselbe Mensch, der in so hohen Geisteswelten lebt, wandert zur selben Zeit mühsam genug durch den Alltag und stößt hart an. Seit seinem Bruch mit Lichnowsky, mit dem später eine notdürftige Aussöhnung erfolgt, steht der Meister im regen Verkehr mit der ungarischen Gräfin Marie von Erdödy, die nunmehr an Stelle der Fürstin Christiane seine mütterliche Freundin wird, sein »Beichtvater«. In der Zeit, da die letztgenannten großen Werke entstanden und deren Aufführung vorbereitet wird, ist er fast täglich in ihrem Salon zu sehen, wo gemeinsam musiziert wird oder in vertraulicher Zwiesprache von dem die Rede ist, was ihn bedrückt. Die Gräfin scheint Mitwisserin seines Liebesgeheimnisses von Marton-Vásár gewesen zu sein und die Sorgen gekannt zu haben, die ihn im Hinblick auf dieses Verlöbnis bedrückten. Der Gedanke an Theresa sprach jedenfalls dabei mit, als er sich zur Sicherung seiner Existenz im Frühjahr 1807 dem Hoftheater als Hauskomponist angetragen und unter Forderung eines festen Jahreseinkommens von 2400 Gulden Leistungen versprochen hatte, die er, der jedem Zwang abhold war und nur in Freiheit schaffen konnte, schwerlich zu erfüllen imstande gewesen wäre. Denn er sagte es ja bei anderer Gelegenheit selbst, daß er nicht schreiben konnte bloß dem Ruf, der Ehre und dem Gelde zuliebe. »Was ich auf dem Herzen habe, muß heraus, und darum schreibe ich.« Sein Gesuch bleibt indessen jahrelang unbeantwortet, d.h. es wurde stillschweigend abgelehnt. Das sind die Dinge, die er der Gräfin »beichtet«.

Ein hübsches Interieurbild von dem Salon der Erdödy und ihrem Verkehr mit Beethoven entwirft der preußische Kapellmeister Reichardt, der zur Aufführung der Pastoral-Symphonie im Dezember 1808 in Wien ist und den »cyklopenartigen« Komponisten in dessen »großer, wüster, einsamer« Behausung aufgesucht hat. Er berichtet in seinen »vertrauten Briefen«:

»Den 5. Dezember 1808

Zu einem andern recht angenehmen Diner ward ich durch ein sehr freundliches, herzliches Billett von Beethoven, der mich persönlich verfehlt hatte, zu seiner Hausdame, der Gräfin Erdödy, eingeladen. Fast hätte mir da zu große Rührung die Freude verdorben. Denkt Euch eine sehr hübsche, kleine, feine, 25jährige Frau, die im 15ten Jahre verheiratet wurde, gleich vom ersten Wochenbett ein unheilbares Übel behielt, seit den zehn Jahren nicht zwei – drei Monate außer dem Bette hatte sein können, dabei doch drei gesunde, liebe Kinder geboren hat, die wie die Kletten an ihr hängen; der allein der Genuß der Musik blieb, die selbst Beethovensche Sachen recht brav spielt und mit noch immer dick geschwollenen Füßen von einem Fortepiano zum andern humpelt, dabei doch so heiter, so freundlich und gut, – das alles machte mich schon oft so wehmütig während des übrigen recht frohen Mahles unter sechs, acht guten musikalischen Seelen. Und nun bringen wir den humoristischen Beethoven noch ans Fortepiano, und er phantasiert uns wohl eine Stunde lang aus der innersten Tiefe seines Kunstgefühls, in den höchsten Höhen und tiefsten Tiefen der himmlischen Kunst, mit Meisterkraft und Gewandtheit herum, daß mir wohl zehnmal die heißesten Thränen entquollen und ich zuletzt gar keine Worte finden konnte, ihm mein innigstes Entzücken auszudrücken.«

Eine Zeitlang hat Beethoven im Jahre 1808 im Palais der Gräfin Erdödy gewohnt, »gerade unter dem Fürsten Lichnowsky«, der Mitbesitzer des Hauses ist. Freilich gab es auch in diesem Verhältnis eine vorübergehende Verstimmung durch eine Bedientenangelegenheit, aber schon ist Beethovens reumütiges Bekenntnis da, das also lautet:

»Meine liebe Gräfin, ich habe gefehlt, das ist wahr; verzeihen Sie mir, es ist gewiß nicht vorsätzliche Bosheit von mir, wenn ich Ihnen weh getan habe. – Erst seit gestern abend weiß ich recht, wie alles ist, und es tut mir sehr leid, daß ich so handelte; – lesen Sie ihr Billett kaltblütig und urteilen Sie selbst, ob ich das verdient habe und ob Sie damit nicht alles sechsfach mir wiedergegeben haben, indem ich Sie beleidigte, ohne es zu wollen. Schicken Sie noch heute mir mein Billett zurück und schreiben Sie mir nur mit einem Worte, daß Sie wieder gut sind, ich leide unendlich dadurch, wenn Sie dieses nicht tun; ich kann nichts tun, wenn das so fortdauern soll. – Ich erwarte Ihre Vergebung.«

Die freundschaftliche Gesinnung der Gräfin, zu der sich Beethoven so seltsam hingezogen fühlte aus Mitleid mit ihrer Kränklichkeit, hat nie gewankt. Sie hat ihrem Lehrer und Freund in dem Park eines ihrer ungarischen Schlösser einen Tempel gebaut und mit einer sinnigen Inschrift versehen als Denkmal dieser Freundschaft und Huldigung für den Genius.

Ein ganzer Kranz neuer Freunde umwirbt ihn und ist bemüht, Blumen auf den Pfad des einsamen Pilgers zu streuen und sein Leben irgendwie zu verschönern. Es sind bürgerliche Kreise, die den Meister, der anfänglich ausschließlich mit dem Hochadel verkehrte, mehr und mehr in ihren Bann ziehen. Bei den Hauskonzerten des Baron Zmeskall, der sowohl in den aristokratischen Salons wie in dem musikliebenden vornehmen Bürgertum zu Hause ist, findet sich Beethoven gerne ein und ist gefeierter Gast. Hier begegnet er seiner Dorothea-Cäcilie, der Baronin Ertmann, die als Interpretin seiner Werke eine gewisse Berühmtheit genießt; ferner der Frau Marie von Bigot, mit der ihn bald engere persönliche Freundschaft verbindet, und die als Pianistin ebenfalls viel dazu beiträgt, die klavieristischen Schöpfungen hausmusikalisch populär zu machen; hier begrüßt er Nanette Stein aus Augsburg, nunmehr verehelichte Streicher als Gattin des bekannten Wiener Klaviermachers; hier endlich lernt er den Freiherrn von Gleichenstein kennen, dessen liebenswürdiger, lauterer Charakter ihn anzieht und freundschaftlich verbindet. Durch Gleichenstein kommt er in Beziehung zur Familie des Dr. Malfatti, der ihn als Arzt eine Zeitlang behandelt; von den beiden Töchtern, den schönsten Mädchen Wiens, ist es Therese Malfatti, die neues Liebeshoffen in seinem vereinsamten Herzen erweckt, nachdem der Engel Theresa, die Unsterbliche, aus dem Bereich der irdischen Wünsche so gut wie entrückt schien.

Es sind freundliche Stunden, die dem sensiblen Meister im Hause Malfatti erblühen. Die blonde, sinnige Anna als ältere Tochter ist dem Baron Gleichenstein zugetan, der aus Breisgau stammt und als Hofkonzipist in Amt und Stellung ist. Er gilt als einer der ausgeglichensten und feinsinnigsten Menschen dieses kunstfreundlichen Kreises. Die nicht viel mehr als vierzehnjährige, »schwarze, feurige Therese« ist Beethovens Schülerin und hat mit ihrer Anmut und Jugend die Freundschaft des sechsunddreißigjährigen Meisters gewonnen. Die ganze Familie lebt und webt in Musik; es sind beschwingte Abende, an denen Therese am Klavier sitzt, der Meister dicht hinter ihr, Anna stehend mit der Gitarre, ein sehr beliebtes Instrument jener Zeit; im Hintergrund Vater Malfatti mit dem Notenblatt in der Hand; dann Kopf an Kopf die anderen Hausfreunde.

Das Frühjahr führt die liebenden Freunde auseinander, dahin, dorthin, aufs Land hinaus; aber auch diese Zeit der Entfernung wird überbrückt durch Briefe, zu denen sich Beethoven aufschwingt, und die ihn als väterlichen Berater zeigen, der um die Seelenbildung des Mädchens sehr bemüht ist. Neckischer Tadel fließt ein, der leise Vorwurf, daß die flüchtige Therese nachdenkliche und ernste Dinge allzu leicht nimmt. Er mutet der allzu Jugendlichen eine gar schwere Geisteskost zu. Besonders ein Brief ist es, der das eigentümliche Verhältnis zu Therese Malfatti in ein helles Licht setzt:

»Sie erhalten hier, verehrte Therese, das Versprochene, und wären nicht die triftigsten Hindernisse gewesen, so erhielten Sie noch mehr, um Ihnen zu zeigen, daß ich immer mehr meinen Freunden leiste als ich verspreche. – Ich hoffe und zweifle nicht daran, daß Sie sich ebenso schön beschäftigen als angenehm unterhalten – letzteres doch nicht zu sehr, damit man auch noch unser gedenke. – Es wäre wohl zuviel gebaut auf Sie oder meinen Wert zu hoch angesetzt, wenn ich Ihnen zuschriebe: ›Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns!‹ (aus Goethes ›Egmont‹). Wer wollte der flüchtigen, alles im Leben leicht behandelten Therese so etwas zuschreiben? –

Vergessen Sie doch ja nicht in Ansehung Ihrer Beschäftigung das Klavier oder überhaupt die Musik im ganzen genommen. Sie haben so schönes Talent dazu; warum es nicht ganz kultivieren? Sie, die für alles Schöne und Gute so viel Gefühl haben, warum wollen Sie dieses nicht anwenden, um in einer so schönen Kunst auch das Vollkommenere zu erkennen, das selbst auf uns immer wieder zurückstrahlt? – Ich lebe sehr einsam und still; obschon hier oder da mich Lichter aufwecken möchten, so ist doch eine unausfüllbare Lücke, seit Sie alle fort von hier sind, in mir entstanden, worüber selbst meine Kunst, die mir sonst so getreu ist, noch keinen Triumph hat erhalten können. – Ihr Klavier ist bestellt, und Sie werden es bald haben. – Welchen Unterschied werden Sie gefunden haben in den Behandlungen des an jenem Abend erfundenen Themas, und so, wie ich es Ihnen letztlich niedergeschrieben habe! Erklären Sie sich das selbst, doch nehmen Sie ja den Punsch nicht zuhilfe. – Wie glücklich sind Sie, daß Sie schon so früh aufs Land konnten! Erst am 8ten kann ich diese Glückseligkeit genießen, kindlich freue ich mich darauf. Wie froh bin ich, einmal in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können! Kein Mensch kann das Land so lieben wie ich – geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht. –

Bald erhalten Sie einige andere Kompositionen von mir, wobei Sie nicht zu sehr über Schwierigkeiten klagen sollen. – Haben Sie Goethes ›Wilhelm Meister‹ gelesen, den von Schlegel übersetzten Shakespeare? Auf dem Lande hat man viel Muße; es wird Ihnen vielleicht angenehm sein, wenn ich Ihnen diese Werke schicke. – Der Zufall fügt es, daß ich einen Bekannten in Ihrer Gegend habe. Vielleicht sehen Sie mich an einem frühen Morgen auf eine halbe Stunde bei Ihnen und wieder fort; Sie sehen, daß ich Ihnen die kürzeste Langeweile bereiten will. –

Empfehlen Sie mich dem Wohlwollen Ihres Vaters, Ihrer Mutter, obschon ich mit Recht noch keinen Anspruch darauf machen kann – ebenfalls dem der Base Ma. Leben Sie nun wohl, verehrte Therese! Ich wünsche Ihnen alles, was im Leben gut und schön ist. Erinnern Sie sich meiner und gern – vergessen Sie das Tolle – Seien Sie überzeugt, niemand kann Ihr Leben froher, glücklicher wissen wollen als ich, und selbst dann, wenn Sie gar keinen Anteil nehmen

an Ihrem ergebensten
Diener und Freund
Beethoven.

N.B. Es wäre wohl sehr hübsch von Ihnen, in einigen Zeilen mir zu sagen, worin ich Ihnen hier dienen kann.«

Im Frühjahr 1808 verlobt sich Anna Malfatti mit Gleichenstein. Beethoven beneidet ihn. Er empfindet, daß ihm der Freund etwas verhehlen will, und macht ihm brieflich Vorwürfe:

»Du lebst auf stiller, ruhiger See, oder schon im sicheren Hafen. – Des Freundes Not, der sich im Sturm befindet, fühlst Du nicht – oder darfst Du nicht fühlen. – Was wird man im Stern der Venus Urania von mir denken, wie wird man mich beurteilen, ohne mich zu sehen? – Mein Stolz ist so gebeugt, auch unaufgefordert würde ich mit Dir reisen dahin. – Laß mich Dich sehen morgen früh bei mir, ich erwarte Dich gegen neun Uhr zum Frühstücken – Dorner (Leibarzt des Grafen Kobenzl, einer aus dem Freundeskreis) kann auch ein andermal mit Dir kommen. – Wenn Du nur aufrichtiger sein wolltest! Du verhehlst mir gewiß etwas, Du willst mich schonen und erregst mir mehr Wehe in dieser Ungewißheit als in der noch so fatalen Gewißheit. – Leb wohl! Kannst Du nicht kommen, so laß mich es vorher wissen. – Denk und handle für mich! – Dem Papier läßt sich nichts weiter von dem, was in mir vorgeht, anvertrauen.«

Der Freund hat Ausflüchte gemacht und den Meister auf ein andermal vertröstet, der nun ganz verstört sein Inneres in diesen weiteren Zeilen enthüllt:

»Deine Nachricht stürzt mich aus den Regionen des höchsten Entzückens wieder tief herab. Wozu denn der Zusatz, Du wolltest mir es sagen lassen, wenn wieder Musik sei? Bin ich denn gar nichts als Dein Musikus oder der anderen? – So ist es wenigstens auszulegen. Ich kann also nur wieder in meinem eigenen Busen einen Anlehnungspunkt suchen, von außen gibt es also gar keinen für mich. – Nein, nichts als Wunden hat die Freundschaft und ihr ähnliche Gefühle für mich. – So sei es denn! Für Dich, armer Beethoven, gibt es kein Glück von außen; Du mußt Dir alles in Dir selbst erschaffen, nur in der idealen Welt findest Du Freunde. – Ich bitte Dich – mich zu beruhigen, ob ich selbst den gestrigen Tag verschuldet, oder wenn Du das nicht kannst, so sage mir die Wahrheit: ich höre sie ebenso gerne, als ich sie sage. – Jetzt ist es noch Zeit, noch können mir Wahrheiten nützen. – Leb wohl! – Laß Deinen einzigen Freund Dorner nichts von alledem wissen.«

Diese rührenden Briefe sind Dokumente seines empfindlichen, allzu leicht verletzbaren Gemüts. Die Wiener Freunde sind ihm doch mehr als »bloße Instrumente, auf denen er spielt, wenn es ihm gefällt«, wenn sie auch nicht volle Zeugen und wahre Teilnehmer seines Inneren sein können, das er scheu vor den Nächsten verbirgt. Eine Spannung ist eingetreten, deren Anlaß seine Freundschaft zur Schülerin Therese Malfatti ist. Die Eltern sehen nicht gern das warme Interesse des Meisters für die Tochter. Es wird vermutet, daß er sich mit einem Heiratsantrag an Therese beschäftigt. Vater Malfatti, der ihn ärztlich behandelt, betrachtet ihn bloß als Patienten; man weiß auch, daß sich der Künstler oft in Geldverlegenheit befindet, denn er hat es Gleichenstein anvertraut, daß ihm die Brüder nichts mehr borgen, und daß er Geld aufnehmen mußte und dergl. Freilich klagte Beethoven mehr als nötig war; daß er ein kleines Vermögen in Bankaktien angelegt hatte, verriet er niemandem; es zählte für ihn nicht, nachdem er es laut Testament zuerst den Brüdern zugesprochen und dann dem Neffen Karl, seines Bruders Sohn, als Erbe zugewendet wissen wollte.

Die unerwiesene Annahme, daß er an eine Ehe mit Therese Malfatti dachte, stützt sich auf die Tatsache, daß er sich an Wegeler wandte mit der Bitte, er möge ihm seinen Taufschein besorgen, was allerdings nur ein schwaches Argument ist. Daß ihm die Trennung von Therese naheging, bestätigt allerdings sein Tagebuch aus den Jahren 1812 bis 1818, wo es heißt: »Wegen T. ist nichts anderes als Gott es anheimstellen, nie dorthin zu gehen, wo man Unrecht aus Schwachheit begehen könnte, nur ihm allein, dem allwissenden Gott sei dies überlassen.« Ungeachtet seiner Enttäuschung hat er der Therese nie gezürnt, sondern vielmehr gelobt: »Jedoch gegen T. so gut als möglich, ihre Anhänglichkeit verdient immer, nie vergessen zu werden – wenn auch leider nie deren vorteilhafte Folgen für dich entstehen könnten.« Im Jahre 1817 hatte Therese den ungarischen Baron Droßdick geheiratet; als solche ist sie ihm später begegnet, doch hatte er nicht den Eindruck, als ob sie eine sehr zufriedene Frau wäre.

Ebenso freundschaftlich wie mit dem Kreis Malfatti ist sein gleichzeitiger Verkehr mit dem Ehepaar Bigot. Frau Marie Bigot stammte aus Kolmar im Elsaß und ist mit ihrem Mann, einem Berliner Bibliothekar, 1804 nach Wien übersiedelt. Als ausgezeichnete Klavierspielerin ist Frau Marie in persönlichen Kontakt mit Beethoven gekommen und galt neben der Baronin Ertmann als dessen beste Interpretin. Auch diese Freundschaft blieb nicht ohne Trübung, wenngleich es diesmal nicht seine Schuld war. Seine kindlich unbefangene Art, mit Freunden und Freundinnen umzugehen, hat einen bösen Klatsch erregt und eine Situation geschaffen, der der arglose Charakter des Meisters nicht gewachsen war. In seiner naiven Art hatte er im Frühjahr 1808 Frau Marie Bigot zu einer gemeinsamen Spazierfahrt eingeladen:

»Meine liebe, verehrte Marie! Das Wetter ist so schön – und wer weiß – ob's morgen so ist? Ich schlage Ihnen daher vor, Sie gegen 12 Uhr heute mittags zu einer Spazierfahrt abzuholen. Da Bigot vermutlich schon aus ist, so können wir ihn freilich nicht mitnehmen – aber deswegen es ganz zu unterlassen, das fordert Bigot selbst gewiß nicht. – Nur die Vormittage sind jetzt am schönsten. Warum den Augenblick nicht ergreifen, da er so schnell verfliegt! – Es wäre der so aufgeklärten und gebildeten Marie ganz entgegen, wenn sie bloßen Skrupeln zu Gefallen mir das größte Vergnügen rauben wollte. Oh, was für Ursachen Sie auch anführen werden, wenn Sie meinen Vorschlag nicht annehmen, so werde ich es nichts anderes als dem wenigen Zutrauen, was Sie in meinen Charakter setzen, zuschreiben – und werde nie glauben, daß Sie wahre Freundschaft für mich hegen. – Karoline (das Töchterchen) wickeln Sie ein in Windeln von Kopf bis zu Füßen, damit ihr nichts geschehe. – Antworten Sie mir, meine liebe M., ob Sie können – ich frage nicht, ob Sie wollen –, weil das letztere nur von mir zu meinem Nachteile wird erklärt werden –; schreiben Sie also nur in zwei Worten, ja oder nein. Leben Sie wohl und machen Sie, daß mir das eigennützige Vergnügen gewährt wird, mit Personen, an denen ich so viel teilnehme, den frohen Genuß der heiteren, schönen Natur teilen zu können.«

Die Einladung wird mißverstanden, vielleicht aus Furcht vor bösen Zungen, vielleicht auch aus einer etwas engherzigen kleinbürgerlichen Auffassung des Ehepaares, daß eine solche Ausfahrt nicht schicklich sei; Beethoven, der sich deswegen eine unverdiente Zurechtweisung zuzieht und sich in seinen reinsten, unschuldigsten Gefühlen verkannt fühlt, richtet nun an das Ehepaar ein Rechtfertigungsschreiben, das wieder ein Spiegel seines lauteren, edlen Charakters ist.

»Liebe Marie, lieber Bigot! Nicht anders als mit dem innigsten Bedauern muß ich wahrnehmen, daß die reinsten, unschuldigsten Gefühle oft verkannt werden können. – Wie Sie mir auch liebevoll begegnet sind, so habe ich nie daran gedacht, es anders auszulegen, als daß Sie mir Ihre Freundschaft schenken. Sie müssen mich sehr eitel und kleinlich glauben, wenn Sie voraussetzen, daß das Zuvorkommen selbst einer so vortrefflichen Person, wie Sie sind, mich glauben machen sollte, daß ich gleich Ihre Neigung gewonnen. – Ohnedem ist es einer meiner ersten Grundsätze, nie in einem anderen als freundschaftlichen Verhältnis mit der Gattin eines anderen zu stehen; nicht möchte ich durch so ein Verhältnis meine Brust mit Mißtrauen gegen diejenige, welche vielleicht mein Geschick einst mit mir teilen wird, anfüllen – und so das schönste reinste Leben mir selbst verderben. – Es ist vielleicht möglich, daß ich einigemal nicht fein genug mit Bigot gescherzt habe, ich habe Ihnen ja selbst gesagt, daß ich zuweilen sehr ungezogen bin – ich bin mit allen meinen Freunden äußerlich natürlich und hasse allen Zwang; Bigot zähle ich nun auch darunter, wenn ihn etwas verdrießt von mir, so fordert es die Freundschaft von ihm und von Ihnen, daß Sie mir solches sagen –, und ich werde mich gewiß hüten, ihm wieder wehe zu tun –; aber wie kann die gute Marie meinen Handlungen so eine böse Deutung geben?

Was meine Einladung zum Spazierenfahren mit Ihnen und Karoline angeht, so war es natürlich, daß ich, da tags zuvor Bigot sich dagegen auflehnte, daß Sie allein mit mir fahren sollten, glauben mußte, Sie beide fänden es vielleicht nicht schicklich oder anstößig. – Und als ich Ihnen schrieb, wollte ich Ihnen nichts anderes als begreiflich machen, daß ich nichts dabei fände; wenn ich nun noch erklärte, daß ich großen Wert darauf legte, daß Sie es mir nicht abschlagen sollten, so geschah dies nur, damit ich Sie bewegen möchte, des herrlichen schönen Tages zu genießen; ich hatte Ihr und Karolinens Vergnügen immer mehr im Sinn als das meinige, und ich glaubte Sie auf diese Art, wenn ich Mißtrauen von Ihrer Seite oder eine abschlägige Antwort als wahre Beleidigung für mich erklärte, fast zu zwingen, meinen Bitten nachzugeben. – Es verdient wohl, daß Sie darüber nachdenken, wie Sie mir es wieder gutmachen werden, daß Sie mir diesen heiteren Tag sowohl meiner Gemütsstimmung wegen als auch des heiteren Wetters wegen – verdorben haben. – Wenn ich sagte, daß Sie mich verkennen, so zeigt Ihre jetzige Beurteilung von mir, daß ich wohl recht hatte, auch ohne an das zu denken, was Sie sich dabei dachten –, wenn ich sagte, daß was Übles daraus entstünde, indem ich zu Ihnen käme, so war das doch mehr Scherz, der nur darauf hinzielte, Ihnen zu zeigen, wie sehr mich immer alles bei Ihnen anzieht, daß ich keinen größeren Wunsch habe, als immer bei Ihnen leben zu können; auch das ist Wahrheit. Ich setze selbst den Fall, es läge noch ein geheimer Sinn darin, selbst die heiligste Freundschaft kann oft noch Geheimnisse haben, aber – deswegen das Geheimnis des Freundes – weil man es nicht gleich erraten kann, mißdeuten – das sollten Sie nicht – lieber Bigot, liebe Marie; nie, nie werden Sie mich unedel finden, von Kindheit an lernte ich die Tugend lieben – und alles, was schön und gut ist. – Sie haben meinem Herzen sehr wehe getan. – Es soll nur dazu dienen, um unsere Freundschaft mehr und mehr zu befestigen. – Mir ist wirklich nicht wohl heute, und ich kann Sie schwerlich sehen; meine Empfindlichkeit und meine Einbildungskraft malten mir seit gestern nach den Quartetten immer vor, daß ich Sie leiden gemacht. Ich ging diese Nacht auf die Redoute, um mich zu zerstreuen; aber vergebens, überall verfolgte mich ihr Aller Bild, immer sagte es mir: sie sind so gut und leiden vielleicht durch dich. – Unmutsvoll eilte ich fort – schreiben Sie mir einige Zeilen. –

Ihr wahrer Freund Beethoven umarmt Sie alle.«

Das Ehepaar Bigot ging schon im nächsten Jahr, dem Kriegsjahr 1809, nach Paris und verstummte auch schon vorher, nachdem die Freundschaft diesen bedenklichen Riß erhalten hatte.

*

Es ist übrigens eine bemerkenswerte Erscheinung, die nicht übersehen werden kann, daß sich der Meister in den anspruchsloseren kunstsinnigen Bürgerkreisen freier und ungezwungener gibt als in dem Verkehr mit dem Hochadel, wo er allzu ängstlich darüber wacht, als ebenbürtige Persönlichkeit behandelt zu werden. Das gibt seiner Haltung den Vornehmen gegenüber oft eine gewisse Überspannung, die dann leicht in eine brüske und fast ungebührliche Schroffheit ausartet und oft die Grenzen des guten Anstandes überschreitet. Das bürgerliche Milieu war sein eigenes, und hier ist er viel nachsichtiger, duldsamer als der Hocharistokratie gegenüber, obgleich ihn diese vor allen anderen am meisten gewürdigt und geehrt hat. Er nahm das als eine Selbstverständlichkeit hin und fand, daß es trotzdem nicht genug sei, und daß gerade die Hocharistokratie dem Genius die größere Hälfte der schuldigen Pflicht nicht erfüllt habe. Der biedere Kapellmeister Reichardt, bei dem er sich darüber beklagt, kann indessen die Berechtigung solcher Unzufriedenheit nicht finden. Er ist Zeuge davon, daß in jenen Tagen der Genius Beethoven von der Hocharistokratie durchaus nicht verkannt oder vernachlässigt, sondern vielmehr ganz außerordentlich gefeiert ward. Er hat dies nicht nur im Salon der Gräfin Erdödy mit neidloser Freude wahrgenommen, sondern auch im Palais Lobkowitz und beim Fürsten Rasumoffsky, dem Besteller der nach ihm benannten Quartette, der obendrein in Gelddingen kein Knauser war.

Als Gast des Fürsten Lobkowitz nimmt Reichardt die Einladung an, bei dem großen Konzert Beethovens im Theater an der Wien am 22. Dezember in die Loge des Fürsten zu kommen. Die zwei neuen Symphonien, die C-Moll und die Pastorale, Stücke aus der C-Dur-Messe, das Klavierkonzert in G-Dur und eine Chorphantasie stehen auf dem Programm. Glücklicher Beethoven! Glückliches Wien!

Aber das Haus ist fast leer, das Theater ungeheizt. Der Fürst und sein Gast halten in der bitteren Kälte von halb sieben bis halb elf nachts aus; die Sache war wirklich kein Genuß mehr, weil Sänger und Orchester die schwierige Aufgabe nicht beherrschten und infolgedessen alles drunter und drüber geht.

Es kommt hinzu, daß Beethovens Dirigentenart zumindest etwas sonderbar war. Als erschwerender Umstand machte sich auch die schon bedenklich vorgeschrittene Taubheit geltend. Beim Piano bückte er sich nieder, ganz unter das Pult, beim Crescendo richtete er sich nach und nach auf, und beim Einbruch des Forte sprang er hoch empor. Bei jedem Sforzando riß er beide Arme, die er vorher auf der Brust gekreuzt hatte, mit Heftigkeit auseinander, und dabei ist es ihm in dem unseligen Konzert vom 22. Dezember passiert, daß er beide Leuchter vom Klavierpult hinausschleuderte. Er hatte vergessen, daß er im Klavierkonzert Solospieler war, und sprang beim ersten Tutti auf, ließ sein Klavier und dirigierte. Seyfried, ein Musiktheoretiker seiner Zeit, der sich der persönlichen Freundschaft Beethovens rühmte, stellte sofort zwei Chorknaben mit Leuchtern in der Hand neben Beethoven, aber beim nächsten Sforzando bekam der eine von der ausfahrenden Rechten eine so derbe Maulschelle, daß er den Leuchter fallen ließ, während der andere Junge, der mit ängstlichen Blicken die Bewegungen verfolgte, nur durch rasches Niederducken der Maulschelle entging. Das Publikum tobte vor Lachen. Das Klavier mußte es entgelten. Ein halbes Dutzend zerschlagener Klaviersaiten war der Gradmesser der Wut des Meisters. Infolge seiner Schwerhörigkeit war er dem Orchester oft zehn bis zwölf Takte voraus und, beim Pianissimo angelangt, ganz unter dem Pult verkrochen. Dann sprang er hoch auf, weil er schon beim nächsten Forte war, und starrte das Orchester verwundert an, das noch beim Pianissimo stand und ihm das hörbare Forte einstweilen schuldig blieb. Glücklicherweise fand er sich dann wieder zurecht, wenn endlich das Forte kam, so daß man die Verwirrung nicht immer bemerkte.

In der Chorphantasie jedoch geriet der tönende Himmelswagen ins Rutschen und drohte sich zu überschlagen; eine Katastrophe war unvermeidlich. Unbekümmert um Publikum und Orchester schreit der dirigierende Meister in das verwirrte Orchester hinein, er gebietet aufzuhören und wieder von vorne anzufangen, wobei ihm in der Hitze des Gefechtes einige saftige Grobheiten entschlüpfen. Mit genauer Not wird der halb verunglückte Wagen ans Ziel gelenkt, aber es gibt ein Nachspiel, als sich zu gutem Ende die Musiker an die Beleidigungen erinnern, die ihnen an den Kopf geflogen waren. In seiner Herzensgüte gibt der Meister, dessen Zorn schon wieder verraucht ist, den Gekränkten volle Genugtuung und schreibt die ganze Schuld an dem Umsturz des Orchesters seiner Zerstreuung zu.

Die Erstaufführung der Schicksals-Symphonie und der Pastorale, an der man Längen bemerken wollte, stand also unter keinem guten Stern; begreiflicherweise, zwei Tage vor Weihnachten! Der Mißmut des Meisters hat einen bedenklichen Grad angenommen und droht düstere Entschlüsse auszureifen. Er trägt sich mit dem Gedanken, auszuwandern. Nicht nur die fatale Geschichte mit dem Fürsten Lichnowsky wurmt ihn und wirkt nach; die Ungewißheit in seinem Verhältnis zu Theresa von Brunszvik hat ihn lange Zeit bedrückt; dann kam der Mißmut gegen Gleichenstein und die fragwürdige Haltung der Familie Malfatti, schließlich der Ärger mit der Bigot und nun gar der Mißerfolg mit der Erstaufführung seiner schönsten neuen Werke, darauf so viele Hoffnungen gesetzt waren; Enttäuschung über Enttäuschung! Was ihn aber aufs tiefste kränkte, war die Nichtbeantwortung seines Gesuchs um die Hofkapellmeisterstelle, obzwar ein Konsortium aus dem Hofadel die Theaterleitung übernommen hatte und sich viele persönliche Freunde von ihm an der Spitze befanden. Er wähnte sich vergessen, verachtet, verfolgt und klagt dem guten Reichardt, daß man ihn aus Wien forttreiben wolle, aus dem einzigen deutschen Vaterlande, das noch geblieben war.

In dieser Lage war ihm ein Antrag hochwillkommen, der ihm durch den Grafen Truchseß Waldburg, den Gönner und Verehrer seiner Musik, überbracht worden war, nämlich eine Berufung nach Kassel an den Hof des Königs Jérome. Der Meister läßt durch seine Freunde verlauten, daß er gesonnen sei, diesem Ruf Folge zu leisten, weil man sich in Wien der Pflicht gegen den Genius nicht bewußt sei. Der Groll wegen des unerledigten Gesuches um die Hoftheaterstelle klingt dabei durch.

Die Drohung des Meisters machte einiges Aufsehen; in den Kreisen seiner Gönner wurde erkannt, daß etwas geschehen müsse, den unzufriedenen Künstler auszuzeichnen und dauernd an Wien zu fesseln. Erzherzog Rudolf, der jüngste Sohn Kaiser Leopolds II. und Halbbruder des Kaisers Franz, geistlicher Würdenträger und, wie erwähnt, Schüler Beethovens etwa seit dessen Trennung von Lichnowsky, ergriff die entscheidende Initiative und warf gemeinsam mit dem Fürsten Lobkowitz und dem Fürsten Kinsky aus eigenen Mitteln dem Tondichter eine jährliche Rente von 4000 Gulden aus, wogegen sich der Meister nur zu verpflichten hatte, Wien oder eine andere Stadt Österreichs zum ständigen Aufenthalt zu wählen und den Kaiserstaat ohne die Zustimmung seiner Protektoren nicht zu verlassen. Das war eine reichliche Entschädigung des Künstlers für den Entgang der Hoftheaterstelle, die ihm nicht zugesprochen werden konnte aus der reiflichen Erwägung, daß der Genius, der Freiheit und Unabhängigkeit brauchte, sich als Pegasus im Joche fühlen müsse und für solche Bindungen zu gut sei. Der ablehnende Bescheid war nur unterblieben, um dem Künstler eine Kränkung zu ersparen, bis ein besserer Ausweg gefunden sei, und das war die Rente auf Lebenszeit.

Das war schließlich ganz im Sinne des Meisters, der nun beruhigt den Ruf nach Kassel ablehnte. Der Vertrag machte ihn stolz, er schrieb sofort an Gleichenstein, »wie ehrenvoll nun sein Hierbleiben für ihn geworden – der Titel als kaiserlicher Kapellmeister kommt auch nach usw.« – es scheint, als ob er gegen solche Titelbezeichnungen nicht ganz unempfindlich gewesen wäre; der Freund möge ihm helfen, nun eine Frau zu suchen, was als Wink an die Adresse Malfattis gedeutet wird. Bald aber schlagen wieder unzufriedene Launen durch, wie in dem Brief an den lieben Freund und Bruder Grafen Brunszvik: »O unseliges Dekret, verführerisch wie eine Sirene, wofür ich mir hätte die Ohren mit Wachs verstopfen sollen und mich festbinden, um nicht zu unterschreiben, wie Ulysses.«

Die äußeren Zeitverhältnisse lassen diese Sinnesänderung einigermaßen begreiflich erscheinen; die Wogen des Krieges wälzen sich näher, die Lage wird kritisch, man möchte lieber fort, eine allgemeine Nervosität macht sich geltend; das Glück, das so nahe ist, scheint wieder in der Ferne zu liegen, eine Stimmungssache, die recht bezeichnend ist für die Gemütsart des großen Künstlers.

*

Es ist in der Tat eine sehr schlimme Zeit, die das Kriegsjahr 1809 über Wien bringt. Am 10. März rückt ein französisches Armeekorps frühmorgens an der Maria-Hilfer-Linie vor, wo sich unweit in ländlicher Verträumtheit das Altershaus Joseph Haydns befindet. Während der Besetzung Wiens durch die Franzosen entschlummert der Altmeister am 31. Mai; französische Offiziere geben dem Verblichenen, dessen irdische Überreste später nach Eisenstadt, dem Schloß Esterhazys, überführt worden, das letzte Geleit. Mit ihm hat die alte Zeit endgültig Abschied genommen, unter Kartätschenschüssen wird eine neue Ära eingeleitet. Die Barockzeit ist nun auch in Wien, wo sie am längsten Bestand hatte, offiziell zu Ende; die Palastpforten schließen sich, der musikalische Himmel verstummt. Kriegsnot und alle folgenden Übel verscheuchen die Musen. Nur ein einsamer Stern leuchtet durch das wild zerrissene Gewölk, das den Himmel verfinstert: der Stern Beethoven.

Des Meisters Stimmung ist wirklich nicht rosig. Er hält sich durch die kriegerischen Umwälzungen in seiner Existenz gefährdet, und in der Tat ziehen die neuen Ereignisse einen gewaltsamen Schlußstrich unter die Epoche, deren schönen Ausklang er miterlebt hat, obschon er selbst musikalisch der Verkünder der kommenden neuen Zeit ist. Sie ist bürgerlich bestimmt und läßt sich wenig hoffnungsvoll an, am wenigsten für den Genius. Die großen Freunde sind fern; die kleinen machen ihm wenig Freude, und mit den Brüdern hat er den größten Arger. An die verlegerischen Freunde Breitkopf und Härtel geht sein Klagen: »Meine kaum kurz geschaffene Existenz hier ruht auf einem lockeren Grund ... Welch zerstörendes, wüstes Leben um mich her, nichts als Trommeln, Kanonen, Menschenelend aller Art.« Auch der »Dämon« im Ohr verbittert sein Leben. Wie ihm zumute ist, besagt der Brief, den er am 2. Mai 1810 an Freund Wegeler nach Bonn schreibt, darin er, wie schon angedeutet, seinen Taufschein erbittet, und einleitend also Klage führt:

»Guter, alter Freund! – Beinahe, kann ich es denken, erwecken meine Zeilen Staunen bei Dir – und doch, obschon Du keine schriftlichen Beweise hast, bist Du doch noch immer bei mir im lebhaftesten Andenken. – Unter meinen Manuskripten ist selbst schon lange eins, was Dir zugedacht ist und was Du gewiß noch diesen Sommer erhältst. Seit ein, zwei Jahren hörte ein stilleres, ruhiges Leben bei mir auf und ich ward mit Gewalt in das Weltleben gezogen; noch habe ich kein Resultat dafür gefaßt und vielleicht eher dawider. – Doch auf wen mußten nicht auch die Stürme von außen wirken? Doch ich wäre glücklich, vielleicht einer der glücklichsten Menschen, wenn nicht der ›Dämon‹ in meinen Ohren seinen Aufenthalt aufgeschlagen. – Hätte ich nicht irgendwo gelesen, der Mensch dürfte nicht freiwillig scheiden von seinem Leben, solange er noch eine gute Tat verrichten kann, längst wär' ich nicht mehr – und zwar durch mich selbst. – Oh, so schön ist das Leben, aber bei mir ist es für immer vergiftet.«

Triumph und Tragik werden ihm in gleichen Schalen zugewogen. Je höher der Triumph, desto größer die Tragik, die das Gleichmaß hält. Trotz der äußeren Misere und der tiefen Depression seines Gemüts ist sein Weltruhm wenigstens im Bruchstück des zeitlichen Erfolges im Ansteigen, und zugleich wird ihm die Erfüllung eines edlen Wunsches, die Begegnung mit dem von ihm so sehr verehrten Dichterfürsten Goethe.


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