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»Ohne Autorität kann der Mensch nicht existieren, und doch bringt sie ebensoviel Irrtum als Wahrheit mit sich. Sie verewigt im einzelnen, was einzeln vorübergehen sollte, lehnt ab und läßt vorübergehen, was festgehalten werden sollte, und ist hauptsächlich Ursache, daß die Menschheit nicht vom Flecke kommt.«
Goethe
Hindenburg wurde Monarch. Als Cromwell einst vom Landwirt niedrigen Adels und Feldherrn hohen Schwunges zum Lord-Protector aufgestiegen war, umgab er sich mit monarchischen Formen und war einen Augenblick nicht weit davon, die Krone anzunehmen, die man ihm antrug. Damals hatte er, höchst loyaler Diener seines Königs, in jahrelangen Kämpfen und nach vollkommenem Siege seinen König dennoch erst nach schweren Erschütterungen der Seele aufgegeben und köpfen lassen; als dann der Alternde im Schlosse des Königs umherging, war er umrauscht vom Pathos seiner großen Vergangenheit.
Obwohl Hindenburgs Leben ein soviel kleineres Feld umkreist hatte, war sein Auftreten an der Stelle des Kaisers viel paradoxer, denn er hatte ihn nie verlassen, viel weniger verurteilt. Als Hindenburg auf seinen Platz trat, lebte der Kaiser ein paar Meilen von der Grenze, immer in Hoffnung, zurückzukehren, um ein Jahrzehnt jünger, um ein Dutzend berühmter Ahnen reicher als sein Feldmarschall, und doch hatte sich dieser ersichtlich nicht als Posten vor seines Königs Burg gestellt, um ihm am Tor die Heimkehr frei zu halten; mit behaglicher Wucht hatte er sich vielmehr auf einem großen Sessel niedergelassen, der zwar nicht in der Königsburg, aber nur wenige Minuten davon entfernt mitten in der Hauptstadt stand. So hatte er die Regierung nach kurzer Pause in derselben Form aufgenommen, zu der sie sein König in seinen letzten Wochen hatte fortbilden müssen. Das einzige, was Hindenburg und Cromwell von ihren königlichen Vorgängern unterschied, war der Titel.
Zum Monarchen brachte er alles mit, was dem Volke Ehrfurcht einflößt; als Junker und als Offizier besaß er die in Deutschland hochgeschätzten Formen. Dazu traten die drei Elemente, an die sich die Legende geknüpft hatte: der Riese, das Alter und das Schweigen. Wo er auftrat, war er der Längste: unschätzbares Symbol für einen Mann, der an Rang über alle andern hervorragt. Daß er es auch durch Verstand und Erfahrung tat, schien er durch sein weißes Haar und seine seltenen Worte dem Volke zu beweisen. Da die Legende schon ein Jahrzehnt alt war, die das Tempo der Zeit als ein Jahrhundert empfinden ließ, war ihre Quelle selbst schon übergrünt; da er selber um ein Jahrzehnt gealtert war und ein Achtziger von vornherein Verehrung einflößt, denn im Zweikampfe mit dem Tode ist er erstaunlich lange Sieger geblieben, so wahrten alle Menschen den gehörigen Abstand.
Auch war er nicht mehr in der humorvollen Stimmung, wie damals in seinem frisch-fröhlichen Kriege; die allabendlichen Gäste im Kasino, die Attitüde Blüchers, der frische Zug fehlte, den eine wandelbare äußere Lage hereinbrachte; die Frau war tot, in einen Hof hatte sich das gemütliche Heim verwandelt, und sein Sohn, den er vorher zu Ferien empfing, um sich mit ihm über die Garnison auszuplaudern, stand ihm nun als täglicher Adjutant gegenüber und verführte ihn in einen Irrgarten von Interessen, Kämpfen und Intrigen.
Alle die Männer, die er täglich empfing, waren Hindenburg neu. In dieser Hauptstadt, wo Wilhelm der Zweite Hunderten begegnete, mit denen ihn irgendetwas verband und sei es nur eine Stellung, eine Stiftung oder eine alte Zuträgerei, wo Hof und Offiziere, Gelehrte und Fabrikanten vor ihm stramm standen, die sein beweglicher Geist mit irgendeiner Wirksamkeit verband; in diesem großen Reiche, das er die Kreuz und Quer durchfahren und durchredet, das er mit allen seinen Bürgermeistern, Präsidenten, Rektoren wie der Lehrer seine Klasse kannte und auch als solche betrachtete, stand nun der alte Riese als ein Fremder, kannte weder Persönlichkeiten noch Funktionen, hatte weder den deutschen Staat noch seine Wirtschaft studiert und war nur dann im Bilde, wenn eine Uniform vor ihm stand.
Nun aber war er da, das Reich nach Außen zu vertreten. Was konnten ihm die Namen der fremden Gesandten bedeuten, wenn sie der Lakai in den Saal rief? Freilich wußte er, wo Venezuela liegt, aber, da er weder Sprachen zu Hause noch Länder auf Reisen studiert hatte, noch Zusammenhänge der Weltwirtschaft noch Statistik noch Krisen der Staatsformen, so konnte ein Gespräch nur nach vorheriger Instruktion durch seinen Gehilfen stattfinden und mußte trotzdem unter dem Niveau bleiben, das Wilhelm der Erste oder Franz Josef erreichten, die in gleich hohem Alter sich auf eine lange Welterfahrung wie auf einen elfenbeinernen Stock gestützt hatten. War in so beklommener Lage ein legitimer Mann Monarch, so führte eben das Erbgesetz zu so merkwürdigen Bindungen; daß dies ein frei gewählter Präsident war, den sich die Deutschen ausgesucht, konnten die besten Köpfe nicht verstehen. Ihn selber trug nur seine Nervenlosigkeit darüber hin, die die stoische Unbeweglichkeit des Alters noch erhöhte; sonst hätte er sich mit Schrecken in dieser fremden Welt gefangen gefühlt. So aber nahm er es offenbar wie die Versetzung in eine neue Garnison, in die er sich erst finden mußte; nur war die Garnison diesmal erschreckend groß.
Herzhaft griff er zu, und da er nach Monarchenart die Gespräche selber beginnen und meist auch weiter führen mußte, fand er den Ausweg, jedermann zuerst zu fragen: »Wo haben Sie gedient?« Das gab dann Anknüpfungen an Provinz und Menschen, und der sonderbare Drang der Menschen nach gemeinsamen Bekannten führte in dieser offiziellen Luft zu den wunderlichsten Gesprächen. Denn da der Normalmensch selbst in Preußen nur nebenbei Soldat ist, sah sich jeder vom Haupte des Staates auf einen Punkt seines Lebens gewiesen, in dem er nur anormaler Bürger gewesen; während jeder sich über die Stumpfheit dieses Examens wunderte, schien vor ihm der Alte bei sich selber festzustellen, daß alle Deutschen gleich wären, denn beinah alle hatten gedient.
Nur nicht die Damen, denen er bis ins höchste Alter mit Artigkeit entgegenkam. Das jüngste Mädchen, das in einen Hofknicks versinken wollte, erhielt einen Handkuß, auch die sozialistische Abgeordnete, und so viel sich Männer von Geist über ihn mokierten, nie hat sich eine Frau über Hindenburg beklagt.
Bei den großen Empfängen in dem schönen Rokoko-Palais ging es zu wie bei Hofe. Nachdem Ebert alles Zeremoniell unterdrückt, das Bürgerliche zur Etikette erhoben, sich in allem sparsam gehalten, niemals Champagner hatte servieren lassen, wurden jetzt die Diener wieder in Escarpins und Schnallenschuhe gesteckt, ein Edelmann machte den Chef du Protocol, die Diplomaten-Uniformen, von der Republik abgeschafft, kamen als »Adlerfracks« wieder, man wartete in halblautem Halbkreise, wie bei den Königen, wo immer einer gestorben zu sein scheint, bis der Haushofmeister mit seinem vergoldeten Stabe auf den Boden klopfte, um den Eintritt des Herrn Reichspräsidenten anzukündigen. Da machte er denn buchstäblich große Figur, wenn er in seinem Frack eintrat, aber nur der Blücher-Stern erinnerte noch an die schönen Zeiten des Dienstes und an seinen Kaiser. So sehr war er noch mit Achtzig auf seine Erscheinung bedacht, daß er ein Ölbild als »zu alt« zurückwies, obwohl es von einem leibhaftigen Freiherrn und überdies sehr gut gemalt war.
Ja, es war großer Dienst, den er hier weiter tat, und nur mit diesem ihm eingeprägten Gedanken konnte sich Hindenburg in so merkwürdiger Lage im Gleichgewichte halten. Sein hohes Standesgefühl gab ihm Sicherheit, sein Offizierstil Haltung, und so fehlte ihm zum Monarchen nichts als –, nein, es fehlte ihm nichts.
Nun aber trat eine merkwürdige Wendung ein, die weder er noch seine nationalen Wähler vorausgesehen: Hindenburgs Auftreten ließ alle monarchischen Wünsche rasch vergessen. Als noch der Sattler in diesem Schlosse residierte, der kleine, gedrungene Proletarier mit dem quadratischen Schädel und den simplen Formen, mußte jeder alte Diener des Königs – und das war ja die Mehrheit der Deutschen – den Unterschied empfinden, und jeder pflegte seine teuren Erinnerungen an einstigen Glanz. Jetzt stand hier an des Kaisers Stelle ein Mann von viel mehr Würde als der Kaiser, und wer gern Ahnen zählte, der konnte ihm ebenso tief ins Dämmerlicht des Mittelalters folgen wie den Hohenzollern, er mußte nur achtgeben, von der Junkerseite der Beneckendorffs nicht unversehens auf die Seite der Mutter mit ihren Grenadieren und Tischlern hinüber zugleiten. Hinter dem kleinen Ebert hatte sich vor deutschen Augen des Kaisers Schatten erhoben; der Riese Hindenburg deckte den Schatten des Kaisers zu. Niemand hat die Abnahme des monarchischen Gedankens in Deutschland stärker gefördert als der treue Feldmarschall des Königs.
In seinem Anblick schlugen die deutschen Herzen höher, weil ihnen der würdevolle alte Herr mit dem Stern auf der Brust wieder erlaubte, sich ergeben zu fühlen. Ein Beispiel komödienhafter Art hat hierfür der Untersuchungs-Ausschuß geliefert, der sich damals so heldenhaft vor ihm gehalten hatte. Jetzt, im Jahre 25, hatte dieser Ausschuß nach sechsjähriger Arbeit die endgültige Formulierung über die Schuld am Zusammenbruche zu treffen, – und grade jetzt war einer der zwei Kandidaten Präsident der Republik geworden! Fatale Lage! Durfte der Ausschuß, der für den Reichstag, also für das deutsche Volk entschied, den Chef der Heeresleitung aus den Jahren 17 und 18 als Mitschuldigen bezeichnen, nachdem er im Jahre 25 Chef des Staates geworden? Ein Mitglied, Dr. Bredt stabilierte die erlösende Formel: »Bisher waren im Ausschuß zwei Meinungen: Ludendorff war allein entscheidend oder Hindenburg war mitentscheidend. Jetzt, nach der Wahl von Hindenburg zum Reichspräsidenten, ist die Sache genau in die Mitte gebracht … Ich meine, wir sollten ruhig den ganzen Passus streichen!« Und so geschah's! Nach sechs Jahre währendem Studium sprachen Männer, vom deutschen Volke zur Erforschung der historischen Wahrheit eingesetzt, Hindenburg von jeder Verantwortung im Kriege frei, weil sie ihn inzwischen zum Präsidenten erwählt hatten.
Den ersten Präsidenten hatten sie damals in einen Ehrenprozeß verwickelt. Blieb Hindenburg jetzt einmal vor der Büste seines Vorgängers im Sitzungssaale stehen, was mußte er denken? Nicht ohne Ehrgeiz hatte Ebert das gleiche Amt übernommen, mit Geschick und Anständigkeit hatte er es verwaltet. Aber mit steigender Bitterkeit hatte er erkannt, wie grausam seine alten Feinde, wie eifersüchtig seine alten Freunde, wie nihilistisch beinahe alle gesinnt waren, und wie sich rings um ihn keine drei Männer fanden, denen wirklich nur salus rei publicae am Herzen lag. In eine erzwungene Überparteilichkeit gehüllt, hatte sich Ebert, mit der Ängstlichkeit der neuen Männer, nur zu sehr zurückgehalten und freute sich, bei der Neuwahl des Präsidenten, wenn möglich, Reichskanzler zu werden, um endlich wieder so offen reden zu dürfen, wie er's aus 30 jährigem Parteileben gewohnt war. Das höchste Amt hat ihm kein Glück gebracht.
Hindenburg schlug alles zum Guten aus. Arm geboren, – seines Vaters, des Hauptmanns Gage war wohl nicht viel größer als das Einkommen von Eberts Vater –, war er mit 80 Jahren in einem Schlosse gelandet, dergleichen er als schlanker Garde-Leutnant und angehender Lebenskünstler doch wohl mit einigem Neide wie etwas angesehen haben mochte, das eigentlich auch ihm gebührte. Als er es dann am Ende als Herr bezog, wunderten sich seine Augen nicht, denn solche Schlösser hatten sich seinen Vätern seit Jahrhunderten immer gastlich aufgetan. Ebert paßte schlechter in dies Palais, weil er an ihm früher mit Mißtrauen oder Trotz vorüber gestrichen war, weil ein glänzendes Parkett ihm keinen Lackschuh, keine Tanzstiefel, sondern einen quadratischen Arbeiterschuh widerspiegelte.
Geisterhaft hatten sich über diesem Parkett von heut auf morgen die Bilder an den Wänden verwandelt. Dort wo Ebert in seinem Arbeitszimmer Bebels Bild vor sich hatte, eine gewöhnliche Photographie, hing jetzt in Öl und lebensgroß der alte Blücher. Aus dem Museum hatte sich der neue Herr außerdem in sein Zimmer hängen lassen: Schwerins Heldentod, eine Marketenderin beim Regimente Dessau und die Reiter-Attacke bei Mars la Tour. Aus seinem eigenen Kriege hatte er kein Bild aufgehängt, sich Heber in die romantischen Formen zurückgeträumt, obwohl die Attacken jetzt mit Tanks ausgeführt wurden, besonders wenn man welche hatte, der Heldentod ganz anders aussah als auf dem musealen Ölbilde und nur die Marketenderin, wenn auch unter anderem Namen, ihre uralten Gefälligkeiten verteilte.
Die allgemeine Arbeit war nicht schwerer als damals im Krieg: statt für eine Armee war die Unterschrift jetzt für ein Volk zu leisten; in beiden Fällen hatte ein verwaltender Stab alles vorbereitet, und in normalen Zeiten lief alles dienstlich in ein paar Stunden am Schreibtisch ab. Dazwischen gab es Empfänge, die mit ein paar Worten, Vorträge, die mehr passiv überstanden wurden. Hinter dem Palais lag der schöne Park, in dem er ungesehen mit dem Schäferhunde sich ergehen konnte, und das einzige, was dabei ärgerlich war, blieb diese scheußliche Fahne mit ihren Schwarz-Rot-Goldnen Farben, die immer vom Dache wehen mußte und die man auf dem Rückweg im Garten beständig vor sich sah. Dann gab es Truppenbesichtigungen, eine wahre Erholung, und jedesmal trat der Feldmarschall an den Flügelmann heran und kontrollierte mit Kennerblicken, ob auch beide Reihen gut ausgerichtet wären; sogar bei Festen, wo die Ehrenkompanie stramm stand, streifte der alte Blick des Kommiß-Offiziers die Reihe entlang, um die näheren Umstände von Kragen, Schnallen und Knöpfen zu mustern, was dann der unerbittliche Film wiederholte.
Allerdings, die Zeitungen! Anfangs hatte Hindenburg alle Stellen angestrichen, die er nicht verstand, und sie sich dann von seinem Referenten erklären lassen. Später nötigte ihn dieser, auch ein Blatt der Republik zu lesen: so ergriff der 78 jährige Junker zum ersten Mal im Leben eines jener fatalen Weltblätter, sagte aber in trotzigem Tone zu seinem Presse-Chef: »Außerdem werde ich aber weiter die Kreuz-Zeitung lesen.« Dazwischen las er auch noch ein Dorfblatt aus der Lüneburger Heide, wo er Verwandte hatte, und stellte plötzlich Fragen, was wohl der Redakteur dort mit seinem Artikel über Amerika gemeint habe. Von all dem gab es Erholung genug. Im Sommer ging er nach Ober-Bayern, wo er bis ins 80. Jahr den Gemsen nachkletterte, aber auch in der Schorfheide bei Berlin, wohin sich Ebert zuweilen zum Wochenende zurückgezogen, gab es Hirsche und Rehe für den Präsidenten.
So wäre alles recht gut gegangen, wenn nur das neue Armeekorps, die Deutschen, nicht gegen alle Disziplin wieder uneinig gewesen wäre. Sie konnten sich durchaus nicht klar werden, ob rechts oder ob links regiert werden sollte, und in solchen Krisenzeiten wurde das ruhige Leben tagelang durch immer erneute Vorträge unterbrochen, durch widerstrebende Einflüsse die Ruhe der Seele gestört, ja, das Gewissen aufgeregt. Da saß dann dieser alte Mann des Dienstes vor großen Entscheidungen wie im Kriege, nur ohne einen Ludendorff, denn in den neun Jahren seiner Präsidentschaft fand er niemand, dem er sich ganz vertrauen konnte. Damals, als General, war er Kenner genug, um zu verstehen, daß Ludendorff es richtig und sicher besser machte als er selber; jetzt, in der Politik stand er ratlos zwischen verschiedenen Einflüssen, weil ihm die Grundlage zur Entscheidung fehlte. Und wie in diesem Leben alles spät begann, der Ruhm und die Macht, so sollte nun Hindenburg erst mit Achtzig vor sich und vor der Welt beweisen, ob er im Stande war, aus Dienst Herrschaft zu machen, ob der Junker und Feldmarschall wirklich zu einem guten Monarchen gewachsen war.
Er fand eine günstige Lage vor. War er 1916 an die Spitze einer entscheidend geschlagenen Armee getreten, so trat im Jahre 25 Hindenburg sein zweites Amt in aufsteigender Epoche an. Die schwierigsten Jahre und Folgen des Friedens, durch Hindenburgs Waffenstillstand vorbereitet, hatte er in der Stille verbracht; jetzt, da er hervortrat, hatten die Andern mit übermenschlicher Anstrengung den Wagen wieder in Fahrt gebracht, den er kutschieren sollte. Soviel Glück ist schon beinahe Verdienst.
Aus voller Verlassenheit hatten Geist und Geduld zweier Männer, Rathenau und Stresemann, das Land wieder in die Gesellschaft der Nationen zurückzuführen verstanden; nachdem Deutschland fünf Jahre lang Paria gewesen, von allen Verbindungen, selbst von Kongressen ausgeschlossen, stand es jetzt auf der Schwelle des Völkerbundes, der es in voller Verkennung Europas zuerst ausgesperrt hatte. Die Jahre der Armut und der Inflation waren vorüber oder schienen es doch, und die Deutschen, die ja auch unter Wilhelm glücklich gewesen waren, weil die Geschäfte gingen, begannen, sich wieder wohl zu fühlen, seit Geld ins Land kam, das ihnen zwar nicht gehörte, aber doch schön verbaut und in neue Unternehmungen gesteckt werden konnte. Als sie wieder verdienten, störte sie jetzt die Republik so wenig wie damals das Kaiserreich. »Über die großen Fehlbeträge,« schreibt Major von Hindenburg, der Neffe in seinem vordem viel zitierten Buche, »in den öffentlichen Haushaltungen machten sie sich freilich keine besonderen Sorgen … Die große Zeit der Sportplatz- und Stadien-Bauten begann. Die meisten vergaßen, daß Deutschland den Krieg verloren hatte, daß ein großer Teil der Substanz aufgebraucht war, daß wir trotz allem ein verarmtes Land waren und uns Luxus nicht leisten konnten.«
Aber da war ja der englische Kohlenstreik vom Jahre 26 mit seinen glücklichen Folgen für andere Kohlenländer! Übrigens kann man nach so langen Jahren der Not nicht ewig sparen und trauern!
Hindenburg griff sofort in die Regierung ein. Obwohl er Minister auf Vorschlag des allein verantwortlichen Reichskanzlers ernennen mußte, weigerte er sich sogleich, den Abgeordneten Gräfe als Minister zu bestätigen, übrigens einen Mann seiner eignen Partei; zugleich griff er in Wehrfragen ein, hütete eifersüchtig seine Rechte der Ernennung von Botschaftern, die von nun an aus dem Kreise seiner Freunde und Standesgenossen hervorgingen, und da sich die Nation, jetzt wie früher, im ganzen um nichts kümmerte, ging zunächst alles sachte seinen Weg; wenn er dazwischen zu einem Minister ruhig sagte: »Ich verstehe ja nichts von Politik,« so fragte sich niemand, warum er dann eigentlich gewählt worden war, denn mit den täglichen Verwaltungsstunden in seinem Bureau war es auf die Länge doch nicht getan.
Den Ministern gegenüber bezog er durchaus eine Monarchenstellung, sagte auch stets »mein Reichskanzler«, wie er's als Kommandeur von seinem Chef gesagt. In populären Dingen aber betonte er seine Unparteilichkeit und zeigte dem Förster in der Heide bei Berlin seinen Jagdausweis, »der Ordnung wegen und damit ich mich vorkommendenfalls legitimieren kann,« lehnte auch – wie der gute König in den Schulbüchern – entschieden ab, einen Hirsch zu schießen, der ein Stückchen über seiner Grenze stand und fügte hinzu: »Ich darf als Reichspräsident kein Gesetz im geringsten übertreten.« Jetzt opferte er sich sogar dem Meister Liebermann, den er im Kriege abgelehnt hatte, unterhielt sich bei den Sitzungen recht gut mit ihm und gab in diesen Gesprächen nun auch sein endgültiges Urteil über Goethe mit den Worten ab:
»Lassen Sie mich mit Goethe. Kosmopolit – und dann die ewigen Weiber-Geschichten!«
So hatte er dem Förster aus dem Volke und dem jüdischen Maler, der nicht einmal Knopf und Orden richtig zu zeichnen verstand, und damit auch der Menge der Deutschen bewiesen, daß er jetzt über den Parteien stände, also streng nach der Verfassung regierte. Noch nie in der Geschichte hat ein Staatsoberhaupt so oft von seiner Treue zur Verfassung gesprochen wie Hindenburg. War hier ein Volksstaat zu kommandieren, so mußte man auch dem Volke seine Rechte geben. Zwar sah er es in diesen 9 Jahren so wenig, wie er's in den 4 Kriegsjahren gesehen; aber er hatte doch seine sozialen Gefühle geäußert: »In einer Gesandtschaft sollten auch Leute sitzen, die in engster Fühlung mit dem Volke leben und seine Regungen genau kennen: Großgrundbesitzer, Großindustrielle und Großkaufleute.« So groß erschien ihm die Volksverbundenheit dieser drei Großklassen oder Berufe, und der patriarchalische Sinn eines gutgesinnten Junkers, wie er ihm in der Knabenzeit anerzogen und wie er ihn ein Leben lang bewahrte, wollten nun die sozialen Kämpfe des steigenden 20. Jahrhunderts schlichten wie damals, als er wünschte, jeder Arbeiter möchte Kindersegen haben und ein nettes Gärtchen dazu.
Nein, es war gar nicht so viel gegen diese Staatsform zu sagen: lauter anständige Leute, diese Minister, keine Streiks und in der Reichswehr Zucht und Gehorsam! Auch ein neues Hoch ward jetzt eingeführt: um nicht die Republik zu verherrlichen, hieß es amtlich: »Das in der deutschen Republik geeinigte Deutsche Volk lebe hoch!« Alles ließ sich leicht umgehen, – nur daß diese verteufelte Fahne ihm immer vor den Augen wehte, wenn er in seinem Park spazieren ging oder zur Eröffnung der Geflügel-Ausstellung fuhr! So griff er schon ein Jahr nach seinem Antritt die Sache auf, die ihn ärgerte, und schrieb seinem Kanzler:
»Nichts liegt mir ferner, als die durch die Verfassung bestimmten Nationalfarben zu beseitigen … Hier aber in absehbarer Zeit auf verfassungsmäßigem Wege einen versöhnenden Ausgleich zu schaffen, der dem gegenwärtigen Deutschland und seinen Zielen entspricht und zugleich dem Hergang der Geschichte des Reiches gerecht wird, ist mein innigster Wunsch.« Die Deutschen, besonders in Amerika hatten nämlich nach ihrer alten Fahne gedrängt; da sie selber draußen alle Freiheiten einer alten Republik genießen, wünschen sie für den romantischen Winkel ihres Herzens weit draußen über dem Meere in der lieben alten Heimat ihre alten Farben und ihren alten König. Nun fand man auf Hindenburgs Wunsch den Ausweg, die Gesandtschaften und Konsulate außerhalb Europas und die Seehandels-Plätze in Europa sollten beide Fahnen hissen, die alte und die neue. So sucht eine Frau niederer Herkunft, die durchaus in die große Gesellschaft strebt, ihren ersten Empfang in den Kolonien durchzusetzen, von wo sie sich dann sacht bis in die Hauptstadt hinauf diniert, und plötzlich weht ihr Kleid auch beim Herrn Minister.
In denselben Tagen hatte der Präsident aus einer anderen Rücksicht auf die alte Fahne die Verfassung umgangen. Sein König forderte Geld. Hatte Wilhelm der Zweite dazu 25 Jahre lang gespart und das beim Antritt der Regierung auf seinen Wunsch verdoppelte Gehalt sorgfältig für die Enkel auf die Seite gelegt, daß jetzt, nachdem er sich vor Kriegsanleihen und anderen bürgerlichen Ausgaben wohl gehütet, diese fluchwürdige Republik ihm auch noch sein Vermögen wegnahm? Zwar, alles was die Hohenzollern besaßen, hatten sie von ihrem Volke, und Völker pflegen Königen im Exil das wegzunehmen, was jene samt ihren Vätern ihnen genommen haben. Ja, es soll Volksgenossen geben, die nicht einmal desertiert sind und doch, nur wegen anderer Weltanschauung, von Staatswegen ihres Vermögens verlustig gehen. Lange vor Hindenburgs Auftreten hatte dieser Schacher um die Millionen den Königs-Gedanken schwer geschädigt; dies, der Verkauf seiner Memoiren an den früheren Feind und die zweite Heirat schienen damals eine Rückkehr, wie sie heute wieder möglich wird, für immer auszuschließen. Endlich war man zu einer Einigung gelangt. Zur Feststellung der Königlichen Schuld hatte man genau dieselben sechs Jahre gebraucht wie zur Feststellung der Schulden an den König; es war auch diesmal so, daß am Ende beider Prozesse die Demokratie nur ein moralisches, das Königtum dagegen ein Resultat in bar buchen konnte.
Als jetzt 12 Millionen Deutsche in einem Volksbegehren Enteignung forderten, fragte sich der Präsident, ob er als Kaiserlicher Feldmarschall dies ruhig ansehen dürfte, denn einzugreifen verbot ihm die Verfassung. So verabredete er mit einem alten junkerlichen Freunde, der seine Wahl geleitet hatte und auch jetzt für den König weiter kämpfte, einen Privatbrief: er wolle ihm seine »persönliche Auffassung dahin mitteilen, daß ich die von Ihnen geäußerten Besorgnisse in vollem Umfange teile … Daß ich, der ich mein Leben im Dienste der Könige von Preußen und der deutschen Kaiser verbracht habe, dieses Volksbegehren zunächst als ein großes Unrecht, dann aber als einen bedauerlichen Mangel an Traditions-Gefühl und als großen Undank empfinde, brauche ich Ihnen nicht näher auszuführen … Ich sehe in ihm einen bedenklichen Verstoß gegen das Gefüge des Rechtsstaates, dessen tiefstes Bedürfnis die Achtung vor dem Gesetz und dem gesetzlich anerkannten Eigentum ist. Es würde bald weiter bergab gehen, wenn es der Zufälligkeit einer, vielleicht noch dazu leidenschaftlich erregten Volksabstimmung gestattet sein solle, verfassungsmäßig gewährleistetes Eigentum zu entziehen oder zu verneinen … Ich hoffe daher, daß unsere Mitbürger in der Entscheidung dieser Erwägung Rechnung tragen und den Schaden abwenden werden.«
Diese private Apologie des Königtums aus der Feder des Präsidenten las die Republik anderen Tags an allen Anschlagstellen. Was konnte Hindenburg gegen solchen Verrat seiner Freunde tun? Er ließ ihn kleben. Die Deutschen erfuhren, wie die höchste Autorität über ihre undankbaren und aufgeregten Absichten dachte. Und fühlten sie sich nicht recht gern zurückgepfiffen, wenn sie sich ein paar Schritte zu weit ins Land der Freiheit gewagt hatten? Wie? Unseren guten König, der sich an jenem Novembertag doch nur für einen besseren Frieden geopfert hatte, ihn, dessen Vorfahren uns so groß gemacht, sollten wir in Not und Elend lassen? Und obwohl 14 Millionen für die Enteignung stimmten, wurde sie von der Mehrheit nun doch abgelehnt, und bei der endgültigen Abstimmung erhielten die Hohenzollern, nach allem, was sie schon im Jahre 19 bar erhalten, jetzt noch eine Viertelmillion Morgen Land, zahlreiche Schlösser, und 15 Millionen Goldmark in bar. Die Sozialisten aber, als Träger der Republik, genierten sich ein bißchen, im offenen Reichstag zu stimmen und enthielten sich der Abstimmung. Über die Frage, ob der Kaiser und König alles verdiene, was er nicht verdient hatte, darüber hatten sie kein Urteil, auch in dieser Frage blieben sie geschlechtslos.
Hindenburg schützte, wie jeder alte Mann, mehr die Vergangenheit als die Zukunft, zumal es eine glänzende gewesen war. Wo es um Fahnen und Fürsten-Vermögen ging, griff er ein; die künftige Stellung des Reiches ließ er von seinen Ministern bestimmen. Sollte er im Ernste die Revanche vorbereiten? Konnte man von einem Temperamente, das den Zusammenbruch so leicht überwunden und ein Leben lang den beständigen Wunsch nach Ruhe hatte, im Ernst annehmen, er werde mit Achtzig nochmals ins Feld ziehen? So nahm er lieber die Friedenspolitik seiner Minister hin und mischte sich nie in die äußeren Fragen, während er in die innern während dieser 9 Jahre beständig eingriff. Wenn nur Personen und Symbolen seiner großen Zeit nichts Böses geschah, so mochte man seinetwegen sogar europäisch regieren.
Stresemann scheint in seinem inneren Kampfe dem alten Herrn Eindruck gemacht zu haben. Hier hörte der alte Herr einen nationalen Mann, der aus dem Zusammenbruche gelernt hatte, ihm nun beweisen, man müßte schrittweise vorgehen, bis der unmögliche Vertrag sich selbst auflösen werde. Daß er in Stresemann das Sinnbild jener wenigen Deutschen vor sich hatte, die sich aus schneidigen Preußen in denkende Weltbürger zu verwandeln strebten, wird Hindenburg kaum begriffen haben; zu einem Amerikaner sagte er: »Kein Volk mit einem Tropfen Mannesblut und Ehre in den Adern wird je sein Dasein und seine nationale Ehre in schiedsrichterlichem Verfahren anderen Völkern unterwerfen.« Diese Ansichten, auf der Höhe der Wilhelminischen Thesen bei der Haager Friedenskonferenz von 1907, herrschten im Palais Hindenburg, während zwei Häuser entfernt Stresemann gegen sein ganzes Amt, gegen seine Partei und gegen die Hälfte der Deutschen um Eintritt in den Völkerbund viel schwerer kämpfen mußte als gegen Briand.
Was Stresemann wenige Monate nach Hindenburgs Wahl in Locarno erreichte, war so überraschend, daß es nur als Frucht früherer Taten und zwar solcher von Rathenau erklärbar wird, dessen Politik Stresemann jahrelang bekämpft hatte und jetzt fortsetzte. Hier war die erste Beruhigung des nervösen Frankreichs, Festigung des Rechtsgedankens, es war die erste große Entspannung in Europa. Und als ein Jahr später beim Eintritt Deutschlands in den Völkerbund von den Lippen eines deutschen Staatsmannes in der Versammlung von 50 Völkern zum ersten Male wieder weltbürgerliche Worte fielen, als dann in Thoiry Briand und Stresemann wie zwei Europäer miteinander sprachen, glaubten die besten Geister in aller Welt für einen Augenblick an die Heraufkunft einer neuen Epoche. Der Fehler Frankreichs, der Vertrag, der Fehler Deutschlands, Groll und Rache, schien auf beiden Seiten zu verblassen. Sieben Jahre später erkannte die Welt, daß in Thoiry nur zwei Dichter einander verstanden hatten, von denen der eine seine Gesundung vom Machtwahn nach inneren Kämpfen als Symbol der ganzen Nation empfunden und diese Autosuggestion seinem französischen Partner, dem anderen Träumer weitergegeben hatte, bis auch dieser glaubte, der verwandelte Stresemann sei Deutschland.
Hindenburg unterschrieb die Verträge. Seine Freunde aber, alle, die ihn gewählt hatten, damit er die Revanche vorbereite, standen mit Schrecken vor ihrem Auserwählten. In den Völkerbund! Auf Elsaß-Lothringen verzichten! Am Ende hatte dieser von Frankreich bestochene Minister sogar vor versammelten Völkern Goethe zitiert: das ging zu weit! Sofort traten sie aus der bis dahin gemischten Regierung aus, die Provinzen der Junker an Elbe und Oder stimmten gegen die Gesetze, und der General Litzmann, vor 60 Jahren Hindenburgs Kamerad auf der Kriegsschule, schrieb jetzt: »Unser Traum war, daß Hindenburg seine ungeheure Volkstümlichkeit verwerten, den Reichstag auflösen und sich mit einem Aufruf an die Nation wenden würde. Das wäre noch ein schöneres Tannenberg geworden!«
Schwere Schläge gegen einen Mann, der sein Leben nur mit diesen Menschen verbracht hatte, nie mit einem Mitglied anderer Klassen! Selbst Bismarck, der doch ganz andere innere Ressourcen besaß, hatte sich in ähnlicher Lage verdunkelt. Hindenburg konnte sich, als ihn seine Wähler, als Freunde und Verwandte ihn wenige Monate nach seiner Ernennung verließen, nicht wie Bismarck zu einem König flüchten, der ihn hielt. Hier beginnt die große Charakter-Probe: ob er Stand halten wird? Kann er, bei seinen Jahren und Vorurteilen, noch eine Wendung vollziehen, wie der 50 jährige Schankwirts-Sohn Stresemann, der im Kriege auch alles erobern wollte, was Hindenburg versprach?
Er wird ein Mittel finden sich durchzutrotzen: er wird mit den Gegnern derer gehen, die ihn gewählt haben! Das ist die dumpfe Rache des alten Mannes. Er hat sie zweimal nach zwei Richtungen geübt.
Entscheidend war in dieser Frage, wer ihn umgab und beriet; in dieser Hofluft mußte die Kamarilla gedeihen. Der Mann, der ihm täglich mit der Bewegung eines Lakaien die Mappe zur Unterschrift reichte und sich in dieser Stellung sogar photographieren ließ, Meißner, ein Beamter mittleren Grades aus dem Elsaß, hatte schon bei Ebert in gleicher Stellung den Höfling gespielt, der sagt, was der Herr hören will. Seine Laufbahn, aus der er später entscheidend eingreifen sollte, verdankte er der Schlaflosigkeit seines Vorgängers, der immer erst gegen 11 mit der bewußten Mappe erschien, was dem an Arbeit gewöhnten Ebert zu spät war; wenn er klingelte, kam deshalb meistens der zweite Sekretär, dieser Meißner, ein Mann mit Spitzbauch, der stets die Farbe seiner Umgebung annahm. Außer einem guten Glase Bier war Meißner die einzige Gewohnheit, die Hindenburg von seinem Vorgänger übernahm, und zwar mit der Begründung: »Als General habe ich auch immer bei Versetzungen die alten Adjutanten übernommen.«
Neben ihm besaß Hindenburgs einziger Sohn Oscar, bald Oberst, einen Einfluß, der bei eigener Urteilsschwäche wieder von seinen Hintermännern kam. Im Laufe der Jahre stieg ihm seine Wichtigkeit zu Kopfe, und er sagte einmal: »Man soll in der Geschichte nicht sagen, daß ich nichts war als der Sohn meines Vaters.« Dieses komische Aperçu vom Sohn eines Mannes, der selber seinen Ruhm der Leistung eines andern verdankte, zeigt, wie rasch eine Legende petrifiziert. Der jüngere Hindenburg, der nicht einmal die Länge und den holzgeschnittenen Kopf vom Vater geerbt hatte, glaubte schon, dessen Genie ein eigenes schuldig zu sein, begnügte sich aber inzwischen mit der Übermittelung der Einfälle eines Dritten.
Auch dieser Dritte hatte kein erstaunliches Gehirn, ragte aber mit dem seinigen an diesem Hofe weit hervor. Es war jener interessante General von Schleicher, der zwischen 1920 und 32 die deutschen Angelegenheiten bedeutsam zu lenken, besser zu biegen, zuletzt zu verbiegen verstand. Der erstaunliche Grundsatz, die Reichswehr sei nicht politisch, wird seit 15 Jahren beständig auf Soldaten und Unteroffiziere angewendet, unter denen sich viele nachdenkliche junge Leute befinden; die Tradition des Königlichen Leutnants ließ eine zerebrale Entwickelung dieses Typus auch in der neuen Reichswehr als unmöglich erscheinen, während jetzt grade dort mehr gedacht und debattiert wird, als den Generalen lieb ist. Diese wiederum sind überhaupt nichts anderes mehr als politisch und haben deshalb frühzeitig eine politische Abteilung gegründet, der der damalige Major von Schleicher vorstand.
Von hier suchte ihn der gleichfalls politische Chef der Reichswehr, der General von Seeckt, aus Gefühlen der Eifersucht zu vertreiben, die sich von den Einflüssen auf die männliche Reichswehr bis in die weibliche Sphäre hinein erstreckte. Als Seeckt in dieser zweiten, zweifellos interessanteren, Sieger blieb, stieg Schleichers Feindschaft gegen ihn und hat dann auch zu seinem Sturz geführt. Der Betrachter ist froh, hier einmal von ganz normalen männlichen Trieben berichten zu können. Hindenburg, der dem General Seeckt seinen Sieg über die Russen bei Gorlice im Mai 1915 nicht verzieh, – denn damals hatte der General Falkenhayn ihm selber verboten zu siegen –, Hindenburg war zufrieden, dieses Gesicht endlich loszuwerden, als Schleicher ihn zu stürzen unternahm. Als Vorwand diente der Lärm, den der Reichstag über die Zulassung eines Hohenzollern-Prinzen zu den Manövern der Reichswehr erhoben hatte; Hindenburg, der dies vorher dem General Seeckt erlaubt hatte, ließ ihn jetzt dafür fallen.
Denn Schleicher war ein Freund des Hauses. Regiments-Kamerad und Duzfreund von Oscar, war er schon lange vor dem Kriege Gast im Hause Hindenburg gewesen, als dieser noch als Kommandeur in Magdeburg stand. So ging er jetzt im Palais formlos ein und aus und machte seinen Jugendfreund zum Überbringer von Wünschen und Gedanken. Umso höher stieg seine Bedeutung als Zwischenträger, und da seinem Wesen jenes Zwielicht entsprach, das man früher für Diplomatie hielt, fühlte er sich, von anderen Offiziers-Pflichten befreit, in einer Zwischenwelt wohl, die alle probierten und die er doch allein beherrschte. Während die andern vorn die großen Rollen spielten, machte er hinten den Regisseur.
Dabei gefährdete er sich durch zwei Eigenschaften, die der Mann in der Kulisse niemals pflegen darf: er war empfindlich und schwatzhaft. Hielt einer draußen eine Rede gegen ihn, so schrieb er ihm sogleich einen Brief, er möge widerrufen. Zugleich vertraute er allen möglichen Leuten in leichtem Tone Projekte an, die jene für feste Pläne hielten und weitergaben. Zynisch und zugleich verschwommen, treulos und zugleich unentschlossen, bestätigte er mit seinen Verhandlungen die weiche Sinnlichkeit seiner Züge. Als er 50 jährig, im Jahre 32 seine Jugendliebe heiratete, eine Kusine, die sich erst nach langen Jahren seiner Werbung von seinem Vetter für ihn scheiden ließ, hat ihn der mäßigende Einfluß dieser zarteren Gefährtin von kühnen Handlungen abgehalten, die er nach seinen jahrelangen Intrigen jetzt nicht mehr aufgeben konnte. Aus seinen ewigen Spielen konnte er nicht mehr zurück und spielte sich zuletzt um seinen Kopf.
Unter diesen drei Paladinen des alten Riesen suchten je zwei immer den Dritten wegzubringen, wobei der Sohn am meisten Chancen hatte zu bleiben. Da gibt es Gartensäle, wie im Don Carlos, wo Meißner Besucher warten läßt, damit sie Oscar vom Garten her ungesehen aufsuchen können; Briefe, die von Freunden übergeben werden, damit sie nicht durch Dienerhände gehen, und natürlich Frühstücke, das Hauptmittel moderner Politiker. Ein Beispiel: Schleicher möchte wissen, was Meißner von ihm denkt, gibt Moldenhauer, einem Bekannten aus Köln, auf, Meißner nach Tisch unter vier Augen um seine Meinung über Schleicher, der das Frühstück gibt, zu befragen. Meißner erklärt, Schleicher habe keine grade Linie. »In Ihrem Auftrage habe ich also Meißner befragt,« schreibt Moldenhauer abends an Schleicher. Dieser, in seiner Eitelkeit verletzt, nimmt den Brief und schickt ihn im Original an Meißner, indem er ihm vorwirft, solche Urteile über ihn an Dritte abzugeben.
Auf gleicher Höhe steht die Staatspolitik, die alle machen, indem sie Politik mit Intrige gleichsetzen. Jahrelang betrog Schleicher seinen Wehrminister Geßler über die sogenannte Schwarze Reichswehr: es gäbe keine. Als schließlich Geßler guten Gewissens vor dem Reichstag erklärte, es gäbe keine Schwarze Reichswehr, wird er lächerlich und rechtfertigt sich durch Hinweis auf den betrogenen Gatten, der von den Abenteuern seiner Frau immer zuletzt erfährt.
Im Kreise von Damen spielte Schleicher in der Art der Komödie um 1860 den dämonischen General und erklärte: »Mein roter Generalsmantel, sehen Sie, meine Damen, das wird einst ein Henkersmantel sein, wenn wir auf offnem Platze mit unseren Feinden abrechnen werden!« Dabei könnte er nicht sagen, wen er meint, denn er sucht keinen Feind zu haben, vielmehr es mit allen zu treiben, besonders mit der Linken. Er nennt sich den Sozialen General.
Neun Jahre lang blieben diese drei Männer die permanenten Haustiere, die in den Räumen des Palais nach eigener Lust ihr Wesen trieben. Zu ihnen trat aber immer ein viertes, weniger gebändigtes in Gestalt des jeweiligen Kanzlers, eine Spezies, von der stets nur ein Exemplar herumlief, das allerdings beständig wechselte. Hindenburg verbrauchte in 9 Jahren 7 Kanzler.
Als er zur Macht kam, waren noch gute Zeiten für Bürgermeister. Wer im Kriege tüchtig verteilt und gespart hatte, war in den Ministerien aufgefallen, deren Glanz zu Friedenszeiten auf keinen solchen armen Stadtbeamten fiel. Da wurden Bürgermeister Ernährungs-Minister, schließlich durch Zufall auch Nachfolger Bismarcks, wie Luther. Mit Hindenburg, der ihn als Kanzler vorfand, hatte Luther gemein, daß auch er nichts von Politik verstand, freilich, ohne es einzugestehen, und daß auch er über den Parteien schweben wollte, besonders denen, die ihn gewählt hatten, denn er sagte jedem Abgeordneten vertraulich: »Sie glauben garnicht, wie nahe ich Ihrer Partei stehe!« Wenn sie es dann wirklich nicht glaubten, war er gekränkt. Auch wenn man seine Bonmots nicht gleich verstand, verschob er in komischem Schmollen so lange die Mundwinkel, bis man merkte, daß man lachen sollte. Als er über die Fahne gestolpert war, die Hindenburg zu seinen Füßen ausgebreitet, folgte ihm Marx, Hindenburgs geschlagener Gegner.
Auch der katholische Marx gehörte zur Gruppe jener deutschen Diplomaten, die treuherzig erklärten, sie wären gar keine. So hatte Michaelis sich am ersten Tage als bloßen Mitläufer der großen Politik bezeichnet; der Freiherr von Schön, Botschafter in Paris, hatte seine Memoiren mit dem bedeutenden Satz eingeleitet, eigentlich wäre er von seinen Eltern zur Landwirtschaft bestimmt gewesen, und nun sagte Marx, als er eintrat: »Ich wollte ja eigentlich nur Oberlandesgerichtsrat in Limburg werden!« Als ihn nach zwei Jahren eine Wahl zum Abgang zwang, sagte er zum Führer der siegreichen Sozialisten: »Ich habe doch recht behalten: ohne meine Politik hätten Sie diesen Sieg nicht erfochten!«
Und doch hat dieser kleine, ironische Rheinländer das persönliche Vertrauen des Auslandes mit Recht errungen, weil er unzweideutig war, ein bekannt strenger und peinlicher Richter, der auch als Reichspräsident die Linie der Verfassung nie verlassen, nie jahrelang ohne Reichstag regiert und so auch nicht im Chaos geendet hätte. Aber er hatte keine Schlacht gewonnen, er war nicht 1,86 hoch, und so war nicht er Herr des Palais geworden, sondern der andere.
Unter allen, die dorthin kamen, war nur einer, der nichts holen wollte, der etwas geben konnte und deshalb gefürchtet wurde: er war im Grunde so mächtig wie Hindenburg, denn ihm unterstand das Land Preußen, das zwei Drittel der Republik umfaßt. In dem schweigenden Kampfe, den von nun an das junkerliche Reich gegen das demokratische Preußen begann, und der erst nach sieben Jahren entschieden werden sollte, hatte Otto Braun eine feste Position, aber er war ein gewöhnlicher Buchdrucker gewesen und keineswegs ein königstreuer, also von Grund aus verdächtig. Daß er dem alten Herrn imponierte, hatte drei wichtige Gründe: er war ein Ostpreuße, er war ein Jäger und er war 1,86 m. Zwei von diesen Eigenschaften hatte er gleich beim ersten Eintritt, die dritte durch eine eingeflochtene Jagdgeschichte nach zehn Minuten dem großen Rivalen vorgesetzt, und als er ihm schließlich erzählte, sein Vater sei in der Kaserne geboren und er selbst gegenüber der Kaserne, da verzieh ihm jener sogar, daß er nicht gedient hatte und daß er ein Roter war. Er merkte bald, daß Braun etwas anderes war als ein Parteimann, nämlich eine regierende Natur, den man den Zaren aller Preußen nannte.
Auf Braun als den einzigen war Hindenburg eifersüchtig. »Sie haben ja alles,« sagte er ihm wiederholt, »und ich habe nichts. Sie haben die Polizei, die Verwaltung. Wenn ich was haben will, muß ich mich an Sie wenden. Sogar die Begnadigungen muß ich Ihnen schicken.« Dafür räumte Braun ihm ein, in einem der preußischen Forste zu jagen, worauf dann Hindenburg Braun niemals einlud, ihn zu begleiten. Oder Hindenburg sagte ihm bei Erörterung seiner zweiten Kandidatur ärgerlich, das Parteigezänk paßte ihm nicht recht: »Ich bin Soldat. Ich bin gewohnt zu kommandieren.«
»Ich möchte auch lieber kommandieren,« sagte Braun und verschwieg, daß er es meistens tat.
Der ironische Hintergrund dieser zuweilen etwas vertraulicheren Gespräche zwischen den beiden regierenden Antipoden lag in den Kämpfen, die der Junker Bismarck für die Vorherrschaft Preußens in Deutschland, die Sozialisten gegen diese Vorherrschaft früher geführt hatten, so lange diese noch nicht selber Herr des Landes Preußen waren. Jetzt wollte Hindenburg, dessen Herzen als preußischem Junker alten Schlages Preußen immer näher gewesen als das Reich, am liebsten Preußen haben, während Braun gewiß lieber beides beherrscht hätte. Diese kuriose Rivalität und die volle politische Unabhängigkeit Brauns, der heimatliche Tonfall und sicher auch der Wuchs ließen Hindenburg, dessen Mißtrauen mit den Jahren gestiegen war, gelegentlich über die Grenzen des Dienstes hinausgehen, und er sagte:
»Sie liegen mir aber in den Ohren, es käme der Bolschewismus. Da der Admiral S., oder der General C.! Könnten Sie nicht mal mit ihnen sprechen?«
Schließlich erschien einer dieser preußischen Helden bei dem großen Feinde, fing an von Revolution und Dolchstoß zu sprechen und fand sich bald verärgert wieder im Herrenklub.
Als eines Tages ein »Frontkämpfer-Tag der Kommunisten« in Berlin angekündigt war, bat Hindenburg den preußischen Minister-Präsidenten zu sich:
»Man sagt mir, sie haben schon Kreuze gemacht an die Tore aller, die ermordet werden sollen!«
Braun beruhigt.
»Dann verbieten Sie doch das Ganze!«
»Nur zugleich mit dem Stahlhelmtag!«
»Aber die sind doch national. Die anderen sind eine staatsfeindliche Partei.«
Braun bewies das Gleiche vom Stahlhelm und man ließ beide tagen.
Eines Tages rettete der Buchdrucker den Feldmarschall aus schwerster Herzensnot. Es galt das »Gesetz zum Schutze der Republik« zu erneuern, das die Rückkehr des Kaisers verbot. Das konnte der Monarchist nicht über sich bringen! Er dachte an Abschied. Den er zu Rate kommen ließ, das war aber nicht sein Kanzler, sondern Braun, der Sozialist. Diesem schien ein Präsidenten-Wechsel jetzt fatal, er ließ sich das Papier reichen und las darauf, das alte Gesetz würde einfach verlängert. Er sagte:
»Sie verbieten hier dem Kaiser die Rückkehr nicht; davon steht nichts darin. Sie unterschreiben nur die Erneuerung eines Gesetzes, das Ihr Vorgänger unterschrieben hat.«
Erleichtert blickte der alte Herr seinen roten Retter an und unterschrieb mit freiem Gemüte.
Während man sich in den Ministerien um Rang und Gehalt und namentlich um Einfluß stritt, stiegen draußen die Zahlen der Arbeitslosen. Der anonyme Chor, zu dessen Wohle angeblich all diese Bewegung diente, wurde vom Jahre 29 ab von der großen Krise des Geldes ergriffen; denn die Männer, die die Herstellung aller Dinge zu verbilligen verstanden, wußten sie nicht zu verteilen. Nicht die deutsche Reparation an Frankreich, die doch immer nur durch neue Anleihen gezahlt wurde, sondern die Erschütterung des Systems in der ganzen Welt machte die Industrieländer arbeitslos und das stärkste in Europa am schlimmsten. Freizeit, Hunger und daraus aufsteigender Nihilismus trieb diese Menschen in die Wehrverbände, mit denen sich ehrgeizige Volkstribunen zugleich sicherten und schmückten.
Konnte die Regierung eines Volkes, dem man inmitten bewaffneter Staaten die Waffen verboten, konnte sie sich gegen Gruppen junger Leute wenden, die sich auf der Grenze zwischen Sport und Wehrdienst übten, um das verbotne Heer zu ersetzen? Daß ein Teil von ihnen sich bezahlen ließ, entsprach nur dem Brauch des Soldaten mit seinem Solde, und daß sie hintaumelten, wo grade einer rief, war unreifen Jungen nicht zu verübeln. Da die Nationale Rechte die ersten Verbände geschaffen, die Republik die ihrigen erst zum Schutze gegen diese Verbände, standen sie sich sofort feindlich gegenüber, und die Waffenfreude wirkte sich in Roheiten aus, in Attentaten und Überfällen. Als Hindenburg zur Macht kam, fand er vier Privatheere in seinem Lande vor, deren jedes zahlreicher war oder bald wurde, als seine Reichswehr. Als Ehrenmitglied des »Stahlhelm«, unter dessen Klängen und Fahnen er gewählt wurde, mußten ihm die linken Verbände, Reichsbanner und Rotfront fremd bleiben, und die erneute Frage an sein Gewissen war nun, wie unparteiisch er sich zwischen seinen fünf Heeren bewegen würde.
Diese Wehrverbände – die kommunistischen ausgenommen – hatten alle ein gemeinsames Ideal: nicht etwa Deutschland oder Revanche oder Sieg bei Sportfesten; nur ein Wort. Es war ein Wort, das die Deutschen so magisch anstrahlt wie andere Völker das Wort Freiheit, es war das Wort Legalität. Jeder dieser Verbände, und sie umfaßten zusammen mehrere Millionen kräftiger junger Leute, strebte nach diesem Ideal der alten Leute, jeder wollte legaler sein als der andere. Zwar, sie mordeten einander auf Straßen und Plätzen, in Umzügen und Kellern und hätten dabei die Rollen vertauschen können, ohne es zu bemerken. Ihre Programme aber, das, was sie unter ihren Fahnen vor den Führern beschworen, war alles auf Legalität gebaut, alle lehnten die Gewalt, die sie im kleinen täglich übten, fürs große, für die Eroberung der Macht ab, und während sich jeder Unterführer heimlich mit Mussolini verglich, beschlossen doch alle gleichmäßig: nur keinen Marsch auf Berlin, nur keine Maschinengewehre zur Ergreifung der Macht! So übernahm die Rechte das Mittel der verhaßten Demokratie, den Stimmzettel. Zunächst genügte ihnen das Selbstgefühl, das jede Uniform dem Deutschen verleiht, und Briand hatte recht, als er zu Stresemann sagte: »Natürlich muß es ein stolzes Gefühl sein, wenn einer sich einen Stahlhelm auf den Kopf setzt und glaubt, er ist ein Held.«
Da sie nun alle so wunderbar legal gestimmt waren, glaubte der Feldmarschall von diesen Truppen nichts für das Land befürchten zu müssen. Schlug man ihm vor, sie alle aufzulösen, denn eigentlich waren ja alle illegal, so zögerte er, und niemand hätte von ihm ein Gefühl gegen diese wehrfähige Jugend fordern können, die ihn an seine Ideale erinnerte. Unter allen Fehlern seiner Regierung ist dieser der verständlichste gewesen, freilich auch der gefährlichste. Es geht damit wie mit der Ursache des Ganzen, dem Verbot der deutschen Waffen durch den Sieger: verständlich, aber falsch. All die 9 Jahre lang durchhallte das ganze Land, das Hindenburg regierte, der Lärm der Wehrverbände; die Menge der Wahlen in diesen Jahren, auch Hindenburgs eigne Wahl war nur unter dem Saalschutz möglich, den die jeweilige Privattruppe des Kandidaten stellte. Nur die Reichswehr blieb beinah unsichtbar; sie war als fünftes Heer gewissermaßen die Privattruppe Hindenburgs, und er verschloß sie mit der Eifersucht eines alten Kalifen. Mit dem Blick auf sie mochten ihm die andern Armeen doch nur etwa so erscheinen, wie dem Papste die Friedensgesellschaften oder der Völkerbund, die zwar auch die vatikanischen Ideen, die sie aber auf andere Weise und vor allem ohne den Papst durchzuführen suchten.
Der Konflikt steigerte sich, weil diese Sport- und Wehrverbände sich weniger darin übten, nur so wie andere junge Leute zu schwimmen und zu marschieren, sondern mit Weltanschauung zu schwimmen und zu marschieren. Da es den langen Zügen mit ihren Fahnen und Musiken weniger darauf ankam, die Sonne, den Frühling, die Mädchen in ihren Liedern zu preisen, sondern die Roten, die Juden, die Marxisten mit ihren Liedern zu verhöhnen, da von einem Jahr zum andern die Zusammenstöße blutiger wurden, stand Hindenburg aufs neue vor der Frage, ob er die Reichswehr einsetzen, ob er einige Verbände zeitweise oder alle für immer verbieten sollte. Vom Dache seines Palais, vom Kühler seines Autos wehte noch immer Schwarz-Rot-Gold, aber der Stahlhelm, dessen Ehrenmitglied er war, sang Spottverse auf die Fahne der Republik und trug die alten Farben. In einem ausdrücklich als »Haßbotschaft« bezeichneten Programm – ähnlich dem »rücksichtslosen« U-Bootkrieg – rief der Stahlhelm aus: »Wir hassen mit ganzer Seele den augenblicklichen Staatsaufbau, seine Formen und seinen Inhalt, sein Werden und sein Wesen!«
Nach solchen Ausbrüchen befahl Hindenburg die Vertreter seiner jungen Kameraden zu sich, diese versicherten ihm, »der Diensteid der jetzigen Beamten sollte damit in keiner Weise in Frage gestellt werden,« der Präsident »nahm dies freudig zur Kenntnis«, und alles war wieder in Ordnung, alles war wieder legal. Aus solchen Schnörkeln des Gewissens, solchen Deutungen des Herzens hat Hindenburg wahrscheinlich selber neue Stärkung geschöpft, wenn er mit sich im Zweifel war. Die Hauptsache war, so hatte ihn seine Mutter nach den Erfahrungen der Achtundvierziger Revolution gelehrt, daß man sich bei einer erzwungenen Fahne oder Festbeleuchtung etwas anderes denken konnte. So wußte er sich alles stets ins Rechte zu setzen und empfand wohl nicht, wie schwül die Atmosphäre seines Landes, wie falsch die Töne aller jener Revolutionäre waren, die klirrend und singend das Land durchzogen, auf dessen Staatsform sie spieen, und das sie doch in der gesitteten Art etwa eines Engländers mit dem Stimmzettel zu bessern gelobten. Die junge Republik, an der sich niemand vergreifen zu wollen vorgab, stand da, vom Gejohle Tausender umgeben, die jahrelang laut die Formen debattierten, in denen man sie mit standesamtlichen Papieren in die Liebe einführen wollte.
Auch Hitler hatte seine Putschpläne aufgegeben, nachdem sie ihn im Jahre 24 noch kurz auf eine Festung gebracht hatten. Die Welt schuldet dem Richter Dank, denn in jener düsteren Zelle, gleichsam in einem Stall, wurde auch hier das Licht geboren, die Glaubensschrift »Mein Kampf«. Die Kreise, die er sammelte, waren bedeutend, weil seine Versprechungen allseitig und weil sie doppeldeutig waren. Hätte er später sein soziales Programm verwirklicht, er wäre ein echter Rivale der Kommunisten geworden; so wurde er nur ihr Wegbereiter. Deshalb sagten sich auch die ernstesten Männer seiner Bewegung von ihm los.
Einmal aber stieß die eine heilige Legalität mit der andern zusammen. Drei Offiziere der Ulmer Reichswehr hatten sich als National-Sozialisten betätigt, und zum Prozesse vor dem Reichsgericht ließ man Hitler als vereidigten Zeugen erscheinen. Was sollten die armen Richter tun? Sie zeigten, daß Salomon trotz nichtarischer Herkunft offenbar selber Reichsgerichtsrat gewesen ist, denn sie ließen Hitler schwören, daß er immer legal bleiben werde und verurteilten zwar die Offiziere, doch sehr milde mit der Begründung, sie hätten aus »edlen Motiven« gehandelt. Anders urteilte über politisierende Offiziere der Wehrminister: »Soldaten, die vor Ausführung von Befehlen prüfen, ob diese ihren Anschauungen entsprechen, sind keinen Schuß Pulver wert. Solche Gedanken bedeuten die Vorstufe zur Meuterei, zur Auflösung der Reichswehr. Für die junge Wehrmacht war es einer der schwersten Tage, an dem Offiziere vor dem Reichsgericht ähnlichen Gedankengängen Ausdruck gegeben haben.«
So widersprachen die höchsten Autoritäten des Reiches einander, und der Mann an der Spitze, der sie leiten, der entscheiden sollte, hielt sich schwankend bald an Interpretationen rechts, bald an Beschlüssen links fest, um den Bürgerkrieg hinauszuschieben. Jetzt rächte sich der Trugschluß, mit dem er als Monarchist mit alten Gefühlen die neue Fahne schützen zu können glaubte, jetzt begann er zwischen den Fahnen zu wanken, zwischen den Weltanschauungen, den Kreisen der Gesellschaft und blickte, aufs linke Ufer gedrängt, sehnsüchtig zum rechten zurück, von dem er abgestoßen war.
Eine rasche Entwickelung drängte ihn noch weiter. Die Sozialisten, die man, wie in den Krisenjahren 18 und 23, auch jetzt in der Krisis von 28 wieder ans Ruder gelassen hatte, von den Gläubiger-Staaten zu neuen Zahlungsplänen gedrängt, suchten in Europa zu retten, was ihnen die Republik im Innern versagte. Hindenburg behandelte sie loyal, sagte ihnen privatim, sie hätten sich im Kriege gut gehalten und hatte doch öffentlich einem Teil von ihnen den Dolchstoß in den Rücken des Heeres vorgeworfen; sein sozialistischer Kanzler Müller schwärmte von ihm. Auch dieser war sehr groß gewachsen, ruhigen Blutes und hatte nichts vom Proletarier, war also dem Junker nicht unangenehm. Wenn der alte Kavalier beim Empfang der Frau Loebe die Hand küßte, mokierte sich die Presse der Rechten über diese unerhörte Konzession. Er hatte bei solchen Gelegenheiten eine Redensart, mit der er vor dem Cercle der Damen seinem Staatssekretär jedesmal sagte: »Jetzt flattere ich als Schmetterling von Blume zu Blume!« Hatte dies der Riese mit leisem Basse angekündigt, so machte er seine Runde.
Als sich diese Judenregierung – so nannte man die Politik der Verständigung, obwohl nur Arier regierten – bis zur Annahme des neuen Zahlungs-, des Young-Planes vor dem Feinde demütigte, brach der Lärm unter Hindenburgs Freunden erst recht los; sie veranstalteten ein Volksbegehren gegen Annahme des Sklaven-Vertrages, nannten jeden Unterzeichner Verräter, die Hitzigsten forderten, Hindenburg unter Anklage zu stellen, wenn er unterschriebe, der Stahlhelm leitete den Sturm gegen ein Ehrenmitglied. Da bedurfte es des ernsten Blickes und der bewegten Darlegung von Stresemann, der, todkrank wie er war, persönlich stärker wirkte als zuvor. Der Rhein würde frei werden, das war das Versprechen, wenn jetzt die Deutschen sich auf 122 Milliarden, zahlbar in 59 Jahren verpflichteten. Wenn wir erst den Rhein wieder haben, dachte dabei jeder im Stillen, so werden wir ja nicht grade 59 Jahre lang zahlen. Auch diesmal war der Schuldner stärker als alle Gläubiger zusammen, denn zwei Jahre nach der Befreiung des Rheinlandes wurden aus 122 nur noch drei, und auch diese drei sind niemals bezahlt worden.
Hindenburgs einfaches Denken ging diese Logik ein, er wagte es gegen den Lärm seiner Klasse zu unterschreiben und antwortete öffentlich: »Ich habe mein Leben in der großen Schule der Pflichterfüllung, in der alten Armee verbracht und hier gelernt, stets ohne Rücksicht auf die eigne Person meine Pflicht gegenüber dem Vaterlande zu tun … So konnte auch der Gedanke, durch einen Volksentscheid oder durch Rücktritt die Verantwortung von mir abzuwenden, bei mir nicht Boden fassen.« Obwohl der Satz nichts enthielt, wirkte er auf die kleinen Leute, die dahinter schwere Seelenkämpfe und die überhaupt in der Bewohnung des Palais durch Hindenburg ein Opfer des alten Mannes zu sehen wünschten.
Wieder einmal konnte Hindenburg die Früchte der Arbeit und des Opfers anderer Männer ernten, denn Stresemann hatte sich in diesem Kampfe wahrhaft aufgerieben. Neun Monate nach seinem Tode senkte sich die Tricolore in Mainz, an allen Masten am Rheine gingen die deutschen Fahnen hoch, große Feiern begleiteten den Präsidenten wie einen Sieger am Rhein, die Glocken des Kölner Domes läuteten, Bankette und Empfänge folgten einander; aber kein Aufruf rief ein versöhnliches Wort über den Rhein hinüber, obwohl die Franzosen nach dem Versailler Vertrage noch fünf weitere Jahre am Rheine hätten verbleiben dürfen.
»Die Männer,« sagte damals eine demokratische Flugschrift, »denen wir an diesem Tage danken, sind Walther Rathenau, der Wegbereiter, und Gustav Stresemann, der Vollender der Befreiung. Ihrer Klugheit, Unbeirrbarkeit und Vaterlandsliebe sei ewig Dank!« Auf Dank von Völkern zu bauen, hatte Bismarck geraten, sei niemals klug. Trotzdem pflegen die Völker nach dem Tode, vollends nach einem Opfertode ihrer Führer gelassen von ihnen zu reden. Am Rhein aber wurde, drei Jahre nach dieser Feier, der Gedenkstein für Stresemann von der Regierung Hitlers entfernt und das Grab der Mörder Rathenaus von derselben Regierung mit Blumen geschmückt.
Neudeck war seit Jahrzehnten nur noch ein Traum des Feldmarschalls gewesen. Wie er dort als Knabe zuerst auf einem Pferde gesessen, wie ihm der Großvater auf dem langen Sofa im Saale vom großen, doch so bösen Napoleon erzählt, wie er als Kadett hier die Lieblingsspeisen von der Großmutter empfangen; wie er später mit der Frau die schönsten Sommerwochen dort verbracht, mit seinen Kindern Felddienstübung gespielt hatte: das mochte dem Greis umso glückhafter vor die alten Augen treten, je ferner es rückte. Kadettenzeit und junge Ehe, alles gemütlich und zugleich standesgemäß, herrschaftlich ohne galonierte Diener, junkerlich ohne Hofmarschall, wie fern es war, wie nah es blieb, wie sagenhaft!
Dergleichen Gefühle im Herzen des alten Riesen waren leicht vorzustellen. Es scheint sie sich auch ein sonst recht prosaischer Junker aus Ostpreußen vorphantasiert zu haben, Gutsnachbar von Neudeck, fast ebenso alt und sicher ebenso königlich wie Hindenburg: der alte Standesherr von Oldenburg-Januschau, denn er kam auf einen verteufelt gescheiten Gedanken. Da hatten sie nun den alten Hindenburg gewählt, die alten Junker, damit er sie schütze, wie seine Vorgänger, die Könige, durch die Jahrhunderte getan, – und jetzt zog dieser Mann, den sie als ihr Geschöpf betrachteten, mit langsamen und schweren Tritten immer weiter auf der Bahn alles dessen, was sie und ihren Besitz gefährdete: es drohte eine sogenannte »Reform« der ostelbischen Güter, die als »überaltert« verspottet wurden von diesen Bolschewisten, die hier bloß ihre Leute festsetzen und auf dem Lande ihre Wühlarbeit fortsetzen wollten! Siedelungspläne! Zerschlagung der großen Güter! So weit kam man, wenn man einen Sklavenplan vom Feindbund annahm! Wenn die Frau eines roten Präsidenten ihre Dienstboten-Hand dem Herrn des Reiches zum Kusse bieten durfte!
Arm waren sie immer gewesen, diese Beneckendorffs, dachte der alte Januschauer, und aus dem schönen Palais mußten sie gleich wieder heraus, wenn der Alte von seinen Wählern, vielleicht sogar vom Tode verdrängt wurde. Jeden Sommer sitzt er bei ein paar alten Frauen in Oberbayern, hört einen fremden Dialekt und fremde Gedanken. Man muß ihn zurückbringen, dorthin, von wo er ausgegangen! An die Jugend muß man anknüpfen bei alten Leuten! Wie, wenn man ihm die alte Klitsche schenkte, die die kinderlose Kusine eben wertlos hinterlassen hat und die nun für ein Butterbrot versteigert werden und an ein Dutzend Erben fallen soll! So hätte man ihn wieder unter Augen, weckte die ältesten Instinkte der Scholle, wie sie seine landbesitzenden Ahnen gepflegt, ließe ihn die Not des Landjunkers am eigenen Leibe fühlen und putschte zugleich den Sohn auf, daß er und daß alle mehr Geld aus den Fonds der Osthilfe brauchten! Kapitale Idee. Fehlt nur noch einer, der das Ganze bezahlt.
Und der alte Januschauer machte sich auf nach Berlin und an den Rhein, war um seines Humors und seiner Kennerschaft in Bordeaux jedermann willkommen und brachte dann im Klubstuhl bei einer Upman sein Anliegen vor: unserm teuren Hindenburg zum 80. Geburtstag das Gut seiner Väter zu schenken. In drei Wochen war das Geld zusammen. Der »Mann ohne Aar und Halm«, wie sich der arme Junker Caprivi einst bezeichnet hatte, sollte am Ende zum Gutsherrn werden, um die Freuden und hoffentlich recht ausgiebig die Leiden dieser Klasse zu verspüren. Die Könige der Kohle und des Eisens haben für dergleichen eine schnelle Formel bereit: jeder zahlt pro Tonne seiner Produktion einen bestimmten Satz, eine Viertel- oder halbe Mark, und da dies Mehr am Ende doch der Verbraucher zahlt, so wird das Geschenk des Stammgutes eine Art von National-Spende für den Volkshelden, ohne daß die Nation es eigentlich bemerkt.
Da er aber an alles dachte, der schlaue Alte, so fiel ihm ein, wie schwer es Hindenburgs Sohne werden würde, in wahrscheinlich kurzer Zeit die hohen Erbschafts-Steuern zu bezahlen; dann käme er, da er ja nichts besaß, gleich in Schwierigkeiten; als Nachbar und Inspirator des Geschenkes müßte man ihm dann auch noch aushelfen: das mußte vermieden werden. So beschloß man kurzer Hand, zum 80. Geburtstag des alten Herrn, seinem einzigen Sohne, gewissermaßen zu dessen 44. Geburtstage das Geschenk zu machen, um gleichsam die Ahnen und die Kindeskinder durch ihn, den größten seines Namens, auf eine symbolische Art zu verbinden. Der Sohn, einfach erzogen, aber Gatte einer Baronin aus stolzem Hause, konnte mit diesem Geschenk zufrieden sein.
Ein Jahr später saß Hindenburg als Herr oder doch als Vater des Herrn auf Neudeck, Alles trug sich zu, wie der Nachbar von Januschau es vorberechnet hatte. Zwar hatte die Industrie noch ein zweites Mal sammeln müssen, und der Seismograph der Wirtschaft hätte die leise Schwankung in Kohle- und Eisenpreisen pro Tonne vielleicht mit diesem neuen Erdbeben-Zentrum in Ostpreußen erklären können. Der Eindruck auf den alten Herrn war tief. Achtzig Jahre in Ehren, aber ohne so viel Geld, sich auch nur eine schöne Jagd zu pachten, immer bequem in der Lebenshaltung, doch nie im Stile jener reichen Vettern, mit seinem ganzen Ruhme doch immer nur ein Bettler, wenn er als Gast auf die großen Güter und Schlösser der Herren in Preußen kam. Und nun stand da ein neues festes Schloß mit 25 Fenstern Front, einem großen Tor und rechts und links wahrhaftig die beiden Kanonen, die er sich als Kadett geträumt; vielleicht waren es gar jene, die er bei Königgrätz vor 65 Jahren selber erbeutet hatte!
Das alte, heimliche Gutshaus freilich war's nicht mehr, aber er war ja auch nicht mehr der unbekannte Major, er war der weltberühmte Feldherr geworden, der die Schlacht bei Tannenberg gewonnen und hunderttausend Russen zur Übergabe gezwungen hatte.
Und nun erneuten sich die heiteren Abende des Weltkrieges, wo so oft seine Standesgenossen als Gäste um ihn versammelt saßen. Viele Monate brachte Hindenburg von nun an auf Schloß Neudeck zu, und die Dohnas, Fürst und Graf, die Eulenburgs, die Mirbachs, die Cramons und noch ein Dutzend edler alter Herren saß beim Chambertin in dem schönen neuen Saale, und alle brachen in laute Klagen aus, wie schlecht es in diesen Läuften der Landwirtschaft ginge. Kam dann zum Monatsersten der Verwalter und zeigte einem der beiden Schloßherrn die Abrechnung, die immer so negativ war wie in der Politik, denn sie verstanden keines von beiden, so waffnete sich der alte Herr mit einem edlen Zorn und beschloß, sein Kanzler müßte dem Bauern wieder aufhelfen, besonders wenn er ein sehr großer Bauer wäre.
Tannenberg lag nur zwei Tagemärsche von Neudeck entfernt. Auch dort war ein Neubau entstanden, das war mehr eine Burg, ein riesenhaftes, schroffes Ehrenmal zum Gedenken an den Sieg und die Toten. Dort sprach zur Einweihung der alte Feldmarschall Worte des Gedenkens und stabilierte vor aller Welt die Unschuld Deutschlands am Kriege: »Reinen Herzens sind wir zur Verteidigung des Vaterlandes ausgezogen, und mit reinen Händen hat das deutsche Heer das Schwert geführt.« Er glaubte, was er sagte.
Doch auch als Zeichen der Einigung sollte das Denkmal dienen, darum fuhr er fort: »Möge an diesem Erinnerungs-Denkmal stets innerer Hader zerschellen! Es ist eine Stätte, an der sich alle die Hand reichen, welche die Liebe zum Vaterlande beseelt.« Ein paar Schritte hin stand Ludendorff, aber die Hände reichten sie sich nicht. Ein militärischer Gruß trennte die beiden Feldherren mehr, als er sie verband. Nichts lebte mehr in Hindenburg, das ihn heut als Chef des Staates und der Reichswehr vor aller Augen auf seinen grollenden Gehilfen zugehen, das ihn die Rechte des Mannes ergreifen ließ, dem er alles verdankte. Als Ludendorff später von der Tribüne aus sprach, war der Feldmarschall nicht mehr zu sehen.
Von der Straße brach die Leidenschaft der deutschen Parteien in den Reichstag ein. An die Stelle des Partei-Kampfes trat der Wille zur Zerstörung. Hier war wirklich ein herostratisches Beginnen: mit mächtigen Fäusten traten die Radikalen von rechts und links in die Halle des Parlamentes, um sie niederzureißen. Hugenberg, jetzt Führer der Deutschnationalen, wollte vom Frühjahr 30 ab keine Mehrheit mehr zulassen, er wollte den Sturz des Parlamentes. Und doch war die Krise zu überwinden: mit Staatsweisheit und Geduld, vor allem mit dem Willen zur Volksherrschaft war in Berlin wie in andern Hauptstädten die Lösung möglich, wenn nur der Staat sich den Extremen mit ihren Privatarmeen kraftvoll widersetzte.
Hindenburg fehlten zwei dieser Eigenschaften, aber auch die dritte, die Geduld, war jetzt im Schwinden begriffen. Er hatte einen neuen Kanzler, wieder einen Katholiken. Vier solche hat er ernannt und nur zwei Protestanten, obwohl er jenen irgendwo mißtraute und vertraulich mit einem Neckwort zu fragen pflegte: »Ist das auch ein Kathole?«
Brüning, klüger als die sechs anderen Kanzler vor und nach ihm, kenntnisreich, großer Finanz-Experte, gründlich, unermüdlich, war ein Mann der Hingabe. Gefühle der Mission schwebten in seiner Seele, er glaubte an Deutschland und an die Kirche und hatte den Ehrgeiz, ein Katholik sollte der Retter sein; deshalb zog er aus, Deutschland zu retten. Als Sekretär der Christlichen Gewerkschaften gebildet, hatte er das Volk kennen, aber nicht lieben gelernt; vielleicht liebte er gar nichts, sicher nicht die Frauen. Dabei war er durchaus nicht der Asket, den manche aus ihm machten, vielmehr ein Mann, der schon bei kleinem Beamten-Gehalte jeden Mittag in einem Berliner Weinlokal aß und die Güter des Lebens schätzte, ohne sie unbedingt zu brauchen.
Das einzige, was ihn aus dem Gleichgewicht warf, war die Uniform. Als Leutnant im Kriege hatte er nach seinen Schreibtisch-Jahren eine andere Welt zum ersten Male gesehen, sich voller Ehrgeiz hineingeworfen und war seither befangen, wenn ein breitschulteriger Offizier ins Zimmer trat; Frische, Kraft und Jugend, gebräunte Haut und fester Schritt, das alles ging seinem Priester-Typus ab, und so suchte er's bei den andern. So hat er einen eleganten Seeoffizier und einen Junker, der ihn in Reitstiefeln auf seinem Gut empfangen, zu Ministern gemacht, einen dritten, der immer noch in Uniform ins Auswärtige Amt ging, zum Staatssekretär. (Unter diesen war einer, der Junker von Schlange-Schöningen, ein ganzer Mann, den die Geschichte noch einmal ins Licht heben wird).
Was mußte Brüning empfinden, als er, zuletzt ein kleiner Hauptmann, sich plötzlich von seinem höchsten Vorgesetzten, vom Feldmarschall selber ins Vertrauen gezogen sah! Da vergaß er, daß er als ein mächtiger Führer des Zentrums berufen wurde, und daß ihm hier der Präsident des Reiches nach den Grundsätzen der Verfassung die Bildung der Regierung übergab; er fühlte nur, wie der Hauptmann vor dem Chef der Obersten Heeresleitung stand, der Kompanieführer vor dem Sieger von Tannenberg. An der Zivilhose sah er die magischen roten Streifen glühen und stand im Geiste stramm.
Hindenburg schien zuerst dies Vertrauen zu erwidern, der militärische Enthusiasmus seines neuen Kanzlers schmeichelte ihm, und da er ihn zugleich klug und ohne Falsch, da er ihn freier von Parteiurteilen fand als seine Vorgänger, ging er einen Schritt weiter: er suchte und wußte den ihm ganz ergebenen Mann zu beeinflussen. So begann ein Verhältnis zwischen Monarch und Vasallen, das sich von einer Seite auf Treue, von der andern mehr auf Beobachtung aufbaute. Der Herr riskierte nichts dabei, der Vasall, dem etwas wie Wilhelm und Bismarck vorschweben mochte, vergaß allmählich alle Hintergründe und Ressourcen, vertraute auf eine Treue, wie er sie gab, und stellte alles auf die beiden alten Augen, zu denen er mit so viel Glauben emporblickte. In Wahrheit hatten beide Männer nichts gemein als Frömmigkeit, und diese war verschieden.
Das große Vertrauen, in das ihn seine Neigung bald verstrickte, nahm Brüning die kluge Sicherheit unter Seinesgleichen, die sonst einem Parteiführer und Katholiken eigen sind. Dazu kam eine Arbeit im Detail, wie sie seit Jahrzehnten kein deutscher Kanzler geleistet hatte. Wußte Hindenburg von den Dingen zu wenig, so wußte Brüning eher zu viel: Akten, gestapelt wie Säcke am Kai eines Hafens, nahm er geduldig auf und wälzte sie, Stück für Stück, die halben Nächte lang, weil er sie besser zu entscheiden wußte als seine Geheimräte. Dies alles schien seiner mystischen Vorstellung vom Opfer, von der Mission zu entsprechen, und das Gewissen, das er ständig befragte, wäre bei einer Weitergabe dieser Arbeit ihm zu schwer geworden. In dieser um ihn aufsteigenden Einsamkeit wurde er, von Natur menschenscheu, durch seine Empfindung unsicher gemacht, nun rasch mißtrauisch: was wohl die andern untereinander und was sie von ihm dachten, und oft zog er aus der Tasche kleine Zettel, von denen er ganz naiv ablas: der und der hätte das von ihm gesagt; ob das wahr oder ob es eine Verleumdung wäre.
Einem solchen entschiedenen, doch nicht starken Charakter, der Verantwortung mit Anbetung der Macht verband, entsprach eine Politik, die dem Volke das Beste gönnte, die es ihm aber von oben her geben wollte. Brüning, wie heut viele geübte Parlamentarier, war der Fraktionen, Additionen, Kommissionen offenbar müde; jetzt, am Steuer wollte er selber lenken und blickte dabei nur zu dem Polarstern seiner Träume auf, zum Feldmarschall. Da ihn sein Gewissen von jedem Eigennutz, und sei er nur für die Partei bestimmt, vollkommen freisprach, wollte er, wenn nötig, ohne Reichstag regieren. Er war der erste Kanzler, der draußen auf der Straße die permanente Revolution gehört und als solche verstanden hatte. Zugleich wollte er dem Auslande beweisen, daß Deutschland die Milliarden nicht zahlen könne, und fing dies auf eine mönchisch-fanatische Weise an, indem er, genauer Kenner des Budgets, alles strich, was nicht nötig war. Indem er Allen, auch den Ministern und Abgeordneten, so viel wie möglich wegnahm, indem er den ganzen Leichtsinn der letzten Jahre samt ihrer Scheinblüte quittierte, konnte er den Etat von 12 auf 7 Milliarden heruntersetzen und achtete nicht auf den Aufschrei der tausend Geschädigten.
Die Eingriffe, die er einfach verordnen wollte, wurden durch die Zersetzung des Reichstages erleichtert, durch die wirtschaftliche Not mit ihren Millionen von Arbeitslosen erklärt; möglich aber wurden sie nur durch Zustimmung des Präsidenten, der ihm als erstem nach fünfjähriger Amtszeit befohlen hatte, seine Minister ohne Bindung an die Parteien zu wählen. Als deshalb zwei von ihren Fraktionen zurückgenommen werden sollten, hielt sie Brüning fest und sagte: »Sie sind ohne Rücksicht auf Ihre Fraktion von mir zu Ihren Ämtern berufen worden.«
Als Hindenburg sah, daß man auch ohne Reichstag regieren konnte, fand er Gefallen an dieser Methode, die dem Junker und dem Feldmarschall besser entsprach, als das Verhandeln um Koalition und Kompromisse; ja, jetzt hatte er einen Artikel dieser Schwarz-Rot-Goldnen Verfassung gefunden, in den er sich gradezu verliebte. Es war jener Artikel 48, der dem Präsidenten in Zeiten eines Notstandes das Recht gab, vorläufig durch Notverordnung zu regieren, die freilich nachher der Reichstag wieder außer Kraft setzen durfte. Dieser Artikel, eine schärfere Waffe, als sie das Kaiserreich je für nötig erachtet, geschaffen, um in höchster Krisis den Belagerungs-Zustand zu vermeiden, von Ebert während der Inflation nur benutzt, um mit der von Tag zu Tag herabstürzenden Währung Schritt zu halten, sollte seit Bestehen der Verfassung durch ein Ausführungs-Gesetz vor möglichem Mißbrauch geschützt werden; aber die Sozialisten, die solchen Mißbrauch besonders fürchten mußten, hatten sich zehn Jahre lang zur Vorlage eines solchen Gesetzes nicht ermannt; unter Eberts Regierung wäre das ein Leichtes gewesen. Als sie endlich im Jahre 28 dieses Gesetz zur Beschränkung des Artikels 48 vorlegen wollten, erkannten Hindenburgs Berater die Gefahr, und er erklärte, in diesem Falle träte er zurück. Ohne diese Schale, unter die er sich zurückziehen konnte, wollte der Riese nicht weiter regieren. Jetzt konnte sie ihm niemand mehr weginterpretieren; jetzt war er sicher.
Hindenburg und Brüning waren entschlossen, den Artikel gründlich zu brauchen. Als der Reichstag ihre Notverordnungen ablehnte, lösten sie ihn auf und schrieben Neuwahlen aus. Ob dies so einfach möglich war, ist staatsrechtlich bestritten. Die Wahlen vom September 30 brachten Hitler, der zwei Jahre vorher nur 12 Mann im Reichstage hatte, eine Mehrheit von 107 Mann durch 6 Millionen Wähler. Obwohl diese durch freiwilligen Exodus den Reichstag erleichterten, war Brüning entschlossen, ihn nicht für arbeitsfähig zu halten. Dieser wieder, in seiner inneren Dekadenz, ließ sich lieber von einem »aparlamentarischen« Brüning als von einem anti-parlamentarischen Hitler regieren, dessen Schatten er fürchtete. Brüning entließ jetzt auf Hindenburgs Wunsch die letzten demokratischen Minister, darunter den früheren Kanzler Wirth, der einst mit Rathenau das beste Paar der deutschen Republik gebildet hatte. Dann begannen die beiden, mit ein paar Fachministern allein zu regieren.
Natürlich gab es sogenannte Kronjuristen, die zur Beruhigung der beiden Gewissen zu beweisen wußten, dies alles wäre nach der Verfassung möglich. In Wahrheit wurde jetzt eine Regierung für Jahre angelegt gegen die Grundlage der Verfassung: das Vertrauen des Reichstages zum Kanzler, sein jeweiliges Verschwinden am Ende dieses Vertrauens, – diese große, einzige Errungenschaft der Republik. Stützte man sich dabei auf einen Artikel, der für den äußersten, vorübergehenden Notstand und auch dann nur bei nachträglicher Kontrolle des Reichstages geschaffen war, so konnte man auch mit dem Hinweis auf eine Feuersnot an einem Hause durch Jahr und Tag die hohen Leitern stehen lassen, auf denen jedermann in jedes Fenster steigen mochte. Hatte Bismarck in den Sechziger Jahren ähnlich regiert, so hatte er sich doch nicht auf jesuitische Auslegung eines Paragraphen gestützt und schließlich die Indemnität nur nach zwei siegreichen Kriegen erlangt, die, ähnlich wie Revolutionen, neues Recht zu schaffen schienen.
Hindenburg, durch seinen Eid auf die Verfassung vom Jahre 25 verpflichtet, auch gegen seine Überzeugung Personen und Programme so zu akzeptieren, wie sie die Mehrheit, also die Volksmeinung forderte, nahm sich im Jahre 30 das unbeschränkte Recht, Regierungen nach seinem Gefallen zu bilden, die er »Präsidial-« oder »Autoritäre« Regierungen nannte und ließ sich von den neuen Ministern feierlich in die Hand versprechen, jede Abhängigkeit von ihren Parteien aufzugeben. Als in den ersten Wochen das Zentrum Brüning sein Vertrauen aussprach, nahm ihn der Präsident bei Seite und sagte: »Ich habe's gelesen. Das brauchen Sie nicht. Sie haben mein Vertrauen.« Mit diesem Worte war der Wilhelminische Staat wieder hergestellt. Hindenburg war froh, daß endlich wieder kommandiert wurde; diese neue Technik, dieser Rhythmus des Handelns entsprach seiner Natur und Gewohnheit. Er war also doch nicht umsonst Soldat gewesen, dieser leise Kathole! Und es war doch kein Zufall, daß seine drei Vorgänger im Kanzler-Amt keine Soldaten waren. Von jetzt ab nannte er Brüning »den besten Kanzler seit Bismarck«; besonders gefiel es ihm, wenn sein Kanzler nicht bloß den Reichstag, auch oft das Kabinett ausschaltete, indem er sich mit den Referenten als Fachleuten besprach und dann handelte. Auf diese Art war der Kreis so eng geworden wie beim Armeekorps, wo auch die Beratung von vier Männern zu jedem Entschluß genügt hatte. Von jetzt, vom Jahre 30 ab meldete man seine Wünsche beim Staatssekretär Meißner an, dieser sichtete sie nach Gutdünken zwischen Mappe und Papierkorb, und dann wurde bewilligt oder abgeschlagen. In diesem Punkte näherte sich Hindenburg Friedrich dem Großen: der Monarch hatte sich zum Autokraten gesteigert.
All dies war nur möglich, weil Brüning sich auf zwei Mächte stützen konnte, auf die Reichswehr und auf die Kirche. Was er in dieser Lage nach außen leistete, war entschieden durchdacht: um die Reparationen loszuwerden, zahlte er im Jahre 30 zum ersten Male Reparation. Während er zugleich 5 Milliarden im Haushalt einsparte, obwohl die Weltkrise zunahm, sahen die Gläubiger, daß Deutschland endlich zahlen wollte, aber nicht konnte. Überhaupt wurde die Weltkrise diesem Kanzler zum Geschenk, denn jetzt fingen die andern Staaten an, auch ihrerseits nicht mehr Schulden zu zahlen, und dies Verfahren gefiel allen so gut, daß sie es schließlich sogar ihrem peinlichsten Schuldner gönnten. Die Streichung der Reparationen war beinahe erreicht, Brüning stand, wie er später sagte, nur noch hundert Meter weit vom Ziele.
Auch aus der gefährlichsten Lage, aus Hitlers drohender Attitüde mit seiner neuen Riesenpartei und seiner Privatarmee, wußte Brüning Vorteil zu ziehen. Er drohte immer mit der Diktatur dieses bösen Mannes und erlangte dadurch »Tolerierung« durch das preußische Kabinett, das allen Grund hatte, den sichtlich bewaffneten Hitler mehr zu fürchten als Brüning, der den Mantel der Reichswehr nur unsichtbar um die Schultern trug. In solchen Umständen, bei steigenden Millionen Arbeitsloser, mitten in der bittersten Krise durchzuhalten, war eine Leistung. Blieb der Monarch ihm treu, so konnte der Vasall noch manches Gute wirken.
Mit all seinen Bankbrüchen war das Jahr 1931 vorüber gerollt, ohne den Diktator zu streifen. Gestützt auf das Vertrauen, dem allein er alles verdanken wollte, stand Brüning noch fest, als das Jahr 32 begann, das Hindenburgs Präsidentschaft nach 7 Jahren beenden sollte. In dieser Lage glaubte der Kanzler sich endlich dem unruhigsten Gestirne nähern zu müssen, um seine Bahn zu regeln. Hitler hatte mit Schleicher wiederholt verhandelt, jetzt wurde er vom Kanzler Brüning eingeladen.
Mit welchem Gefühle betrat Hitler den Raum, in dem er sich selber seit Jahren als Herren träumte! Auf dämonische Art muß ihn die Reichskanzlei angezogen haben, denn er bewohnte seit Jahren bei Berliner Besuchen das Hotel, dessen Fenster hinüberblickten. Der allzu tiefe Eindruck, den seiner im Grunde legitimistischen Natur die Legalen immer machten, ließ ihn in den Verhandlungen mit den alten Mächten unsicher erscheinen, seine Verbeugungen waren zu tief oder sein Zurücklehnen zu hoch, wie die Bilder zeigen. Jetzt saß er einem gleichaltrigen Manne gegenüber, der zu viel Feingefühl besaß, um die klirrende Geste des Volksführers für kriegerisch zu halten. Er machte ihm einen Vorschlag: da er der einzige Rivale Hindenburgs bei den kommenden Wahlen, jedoch mit weniger Aussichten sei, möge er die Wahl durch Zustimmung zu einem Reichsgesetz zur Verlängerung der Präsidentschaft unnötig machen; dafür würde er selber Kanzler.
Wie sieht bei diesem schlauen Antrag das berühmte Gewissen des frommen Brüning aus? Und wieviel Pulse hat Hitler jetzt in der Minute?
Allerdings, fährt Brüning fort: nicht morgen, erst etwa in einem Jahre. Dann, nach Beendigung seiner außenpolitischen Verhandlungen, würde er ihm diesen Platz einräumen. Wird Hitler nicht aufstehen und sich nach einem solchen Angebot empfehlen? Er ist unsicher, will's überdenken, geht und kommt andern Tages wieder mit seinem Freunde Röhm. Jetzt erst, den Beschwörungen seiner Freunde folgend, hat er erkannt, daß nur ein Mann ohne Hoffnung solch einen Pakt abschließen dürfte, der doch an einem Dutzend Bedingungen und Schwankungen hing. Erst jetzt erklärt er, er nähme diese Ernennung zum Kanzler nur gleich an oder garnicht.
Wie aber konnte Brüning dies Angebot wagen? War dieser Mensch vor ihm nicht eigentlich Kommunist? Gleich nach dem großen Einzug in den Reichstag, im Oktober 30, hatten die Nationalsozialisten beantragt, das Gesamtvermögen der Bank- und Börsen-Fürsten, nicht bloß der jüdischen, alle Kriegs- und Inflations-Vermögen ohne Entschädigung zu enteignen, alle großen Banken zu verstaatlichen, Minister- und Präsidentengehälter, auch die Diäten der Abgeordneten auf die Hälfte herabzusetzen: lauter furchtbare Anträge, denen Sozialisten und Kommunisten beizustimmen drohten. Wie war dies Schreckgespenst verschwunden? Unbekannte Hände hatten den aufgeregten Idealisten sacht ihre Straße geführt, und als er wiederkam, war jener Antrag ohne Aufsehen zurückgenommen worden. Er ist nie wieder aufgetaucht. In der Gruft, wo er ruht, liegen die verlorenen Siege der sich selber untreuen Partei.
Nun aber, da der Wahlkampf um Hindenburg nötig wurde, warf Brüning alles andere hinter sich und stürzte sich hinein, wie nur je ein Vasall in die Menge der starrenden Lanzen. Warum winkte der müde König ihn nicht heran und sagte: Sohn, hier hast Du meinen Speer! Warum wollte Hindenburg im 85. Jahre weiter regieren?
Er war um sieben Jahre älter, das heißt in diesen Altershöhen um sieben Jahre eigensinniger, stabiler, jeder Veränderung noch abgeneigter geworden. Ein Mann, der sich mit 78 angewöhnt, den Spaziergang nachmittags statt morgens zu unternehmen, wird sich mit 85 schwerlich zurückgewöhnen. Gewiß, Schloß- und Gutsherr war er inzwischen geworden. Was aber war dies Leben draußen, wenn es das ganze Jahr durch währte? Sollte der Sohn zurück in den Dienst oder würde er bei ihm bleiben? Und grade jetzt, wo endlich wieder ein Kommando in seinen Händen lag und all diese Demütigungen mit Reichstag und Ministern vorüber waren! Ja, sieben Jahre des Regierens hatten ihn nicht ermüdet, sie hatten ihn erfrischt. Wenn ihn diesmal die Andern wählten, umso besser! Dann konnte er nun auch einmal die linken Wähler enttäuschen! Sie sollten nur nicht glauben, daß sie unentbehrlich sind! Und sollte er diesem »böhmischen Gefreiten«, dem er die Macht verweigert, durch seinen Verzicht die Macht erst recht einräumen? Noch weniger als vor sieben Jahren dem Admiral Tirpitz! Was aber die nächste Wahl betraf, – nein, über Neunzig hat Gott keinen seiner Vorfahren leben lassen. Dies wird der letzte Akt sein: also muß man ihn spielen.
Natürlich konstruierte Hindenburg auch diesmal sich und anderen »das Opfer«. Als der Minister Braun ihn ersuchte, im Amte zu bleiben, »denn sonst kommt Hitler«, ließ Hindenburg sich mit einigem Brummen leise zureden und zeigte deutlich, daß er sich aus Standesgefühl zu einem zweiten Opfer drängen lassen wollte. »Die ganze Verantwortung mit diesen Notverordnungen!« sagte er seufzend. Als es dann losging, spielte er auch nicht den abgeklärten Olympier, sondern hielt im Rundfunk eine kämpferische Rede. Daß man ihm Diktatur vorwarf, wußte er recht gut:
»Da der eigentliche Gesetzgeber,« erwiderte er nun, »der Reichstag versagte, … mußte ich einspringen. Ich habe dabei an den guten alten militärischen Grundsatz gedacht, daß ein Fehlgreifen in der Wahl der Mittel nicht so schlimm ist wie das Unterlassen jeglichen Handelns … Keiner der Kritiker kann mir zumindest das Motiv heißester Vaterlandsliebe und stärksten Willen für Deutschlands Freiheit als Grundlage des Wollens absprechen … Wer mich nicht wählen will, der unterlasse es!« Erstaunlich für einen Mann im 85. Jahre, wie er der metallenen Platte vor sich die simpelsten Antriebe gleich im doppelten Superlativ anpreist, um schließlich von oben Alle abzuschütteln, die unbelehrbar sind.
Wollte er Präsident bleiben, so mußte er sich diesmal auf die Linke stützen, so peinlich sie ihm war; durchsetzen konnte es nur dieser begeisterte Zentrums-Kanzler. Und doch hatte Hindenburg ihn schon aufgegeben, bevor der Knappe für ihn in den Kampf ging! Brüning hatte Verstimmungen bemerkt, ihre Quellen erkannt und war umso feuriger entschlossen, die Gunst des Idoles durch Kampf und Sieg wieder zu gewinnen.
Woher das kam? Meißner und der Sohn hatten, durch soziale Versuche Brünings erschreckt, für einen Vorstoß des alten Januschauers und der übrigen Junker-Runde auf Neudeck vorgesorgt. Warum, so fragten die Freunde den alten Herrn, regierte denn dieser Kanzler nicht endlich wieder mit der Rechten? Und sie verrieten ihm ein Komplott: Brüning stehe im Begriffe, die schönsten Güter Ostpreußens zu zerschlagen, alte Familien auf die Straße zu werfen, um hier im Sinne der Bolschewisten stellenlose Arbeiter anzusiedeln und katholische dazu! Der ihn anstifte, das sei der abtrünnige Junker von Schlange. Diesen Erzählungen lag zu Grunde, daß Brüning einen Siedlungsplan Schlanges für preußische Bauern vor sich liegen hatte, der einige unfruchtbare Güter gegen Zahlung des Wertes aufteilen wollte; die Junker aber, und das konnten sie nicht verzeihen, hatten schon im letzten Jahre einige Millionen weniger aus der sogenannten »Osthilfe« bekommen als im vergangenen, fühlten sich also vom Kanzler betrogen. Jetzt mußte er fort, – er brauchte vorher nur noch mit der verachteten Linken Hindenburgs Wahl durchzudrücken!
War das kein Spuk? Draußen trommelten Millionen junger Leute, beschimpften und beschossen sich in Fabriken, auf den Straßen, kämpften um neue Formen, warfen sich Ideen und Handgranaten, Bierkrüge und Probleme an den Kopf, um aus dem Wirbel eine neue Welt emporzuziehn. Und dort, in einem Winkel des Geschehens, auf öder Heide saß in einem neuen Schlosse, das die alten bloß kopierte, ein Dutzend Greise, die spannen Intrigen, malten Gespenster, schwatzten in längst verrosteten Wendungen über Dinge von morgen, und in der Mitte saß ein Greis von großer Macht, der die Regierung ein- und absetzt nach Gefallen, eigenwillig und schlau, und ließ sich von ein paar intriganten Offizieren aus der Hauptstadt in Netze wickeln, in Gespinste von Torheit und Lüge, und glaubte, was sie sagten. War es wirklich das Volk der Denker und der Dichter, die, zum zweiten Mal seit tausend Jahren ausgezogen, um ihr Haupt zu wählen, auf keinen andern deutschen Mann verfielen als den, der von dem neuen Schlosse nur mit der alten Hand hinüberweisen konnte und sagte: Dort liegt mein Schlachtfeld, dort liegt Tannenberg!?
Alles lief kreuz und quer bei dieser Wahl: die nationalen Parteien, die ihn vor 7 Jahren gewählt, standen heut gegen ihn, die Sozialisten, seine Gegner von damals, für ihn. Die meisten Katholiken waren für den Protestanten, Millionen norddeutscher Protestanten für den katholischen Hitler. Dieselbe »Deutsche Zeitung«, die im Jahre 25 geschrieben hatte: »Hindenburg wird dem deutschen Volke wieder ein Staatswesen geben, das ihm die Achtung des Auslandes erwirbt,« schrieb im Jahre 32: »Es geht heute darum, ob die internationalen Landesverräter und Pazifisten-Schweine mit ausdrücklicher Genehmigung Hindenburgs Deutschland endgültig zu Grunde richten dürfen,« und die Nationalsozialisten nannten Hindenburg den »Kandidaten der Meuterer und Deserteure.« Der Wahlkampf, schärfer als das erste Mal, hing an Brünings leidenschaftlichem Eifer, da ja der alte Herr nicht sprach noch reiste, während Hitler sturmartig über Deutschland hin und wieder flog. Wieder brauchte es zwei Wahlgänge, und selbst im zweiten erreichte Hindenburg nur 53 % aller Stimmen. Hitler stieg im zweiten Wahlgang auf 36 %. Der Mann, der am letzten Tage erschöpft zwischen den beiden Rivalen lag, war Brüning.
Doch rasch sprang er aufs neue empor! Jetzt, neu sich stärkend im Vertrauen auf den, dem er persönlich den Sieg errungen, fing Brüning an, Hitler, da er ein Bündnis nicht wollte, mit raschen Händen anzugreifen: 4 Tage nach der Wahl verbot Brüning mit General Groeners Hilfe Hitlers SA. Furchtbarer Schlag, noch nie erlebt, denn niemand hatte ähnliches gewagt! Entschlossene Begründung vor dem Volke, daß die Privatarmeen aufhören müssen. Die ganze Rechte auf Seite des Kanzlers, aus Schadenfreude über das Unheil des Konkurrenten. Gleich darauf Neuwahl im Lande Preußen, aus der die Nationalsozialisten als stärkste Partei hervorgehen, die sozialistische Regierung stürzen, aber nicht stark genug sind, selber zu regieren, deshalb den Überstimmten die Fortführung überlassen müssen. Weitere Wahlen in deutschen Ländern, wo Hitler sogar auf 26 % heruntergeht. Zugleich entschlossener Auftrieb des bis dahin schläfrigen Reichsbanners, neuer Name »Eiserne Front«, neue Zeichen, Angriffsgeist, Kampflust. Jetzt konnte Brüning siegen!
Aber er hatte in diesem Kampfe nur immer auf den Feind geblickt und trotz humanistischer Erziehung vergessen, nach dem Rate des Aischylos dem Freunde zu mißtrauen. Dem General Schleicher war Brüning in diesen ersten Monaten des Jahres 32 zu stark geworden. Das Verbot der SA war gegen dessen Willen erfolgt, zum ersten Male war im Kabinett ein Wehrminister unterlegen; das war er nicht gewohnt: er soll sich erhoben und krachend die Tür ins Schloß geworfen haben. Seine Rache nahm er, wie gewohnt, auf Umwegen: jetzt leitete er die Epoche der Treulosigkeiten ein, die ein Jahr währen und ihn am Ende selbst verschlingen sollte.
Zunächst läßt Schleicher im Reichstage das Verbot auch des Reichsbanners fordern, um Groener zu reizen, und als dieser es in großer Reichstagsrede ablehnt, denn das Reichsbanner sei der einzige Bürgerschutz der Republik, tritt Schleicher auf offener Tribüne gegen ihn auf, worauf Hindenburg seinen alten Mitarbeiter Groener von heut auf morgen entläßt. Großer Verrat, denn Groener hatte Schleichers Stellung aufgebaut, ihn, wie er sagte, wie einen Sohn geliebt, was sich kein adliger Gardeoffizier von einem Bürger gefallen läßt. Doch dies war nur der Auftakt. Nun hatte Schleicher den Kanzler vereinsamt und grub behutsam unter ihm die Erde auf. Vom Reichsgerichte ließ er sich zunächst bescheinigen, das Verbot der SA wäre ungesetzlich; vom selben Reichsgerichte, die Dokumente, die die preußische Regierung gegen Hitler eingereicht, würden nicht für belastend angesehn.
Als Hindenburg nach Wochen aus Neudeck zurückkehrte, war Brünings Entlassung längst beschlossen. »Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonathan,« hatte er von ihm gesagt, denn mit einem Bibelzitate läßt sich auch die Treue interpretieren. Agrar-Bolschewismus, das war's! Das hatten die alten Freunde dem Kanzler vorgeworfen, als man ihnen nahelegte, ihre Schulden zu bezahlen. Ein Kathole, das war's! Am Ende kam es doch immer heraus. Mit ungewohnter Kälte empfing der alte Herr seinen Kanzler, der Dank erwarten durfte. Nach fünf Minuten hatte er die Veränderung erkannt, er kombinierte die Einflüsse. Der alte Herr zieht aus der Tasche, ganz wie Brüning, einige Zettel und liest mit Anstrengung daraus vor:
»Man hat mir gesagt, der Adel wird von Ihnen zurückgesetzt. Das geht ja nicht. – Man hat mir gesagt. Sie haben Minister mit bolschewistischen Plänen im Kabinett. – Sie wollen katholische Arbeiter in Ostpreußen ansiedeln. Das geht ja nicht. – Hat mich die Linke gewählt, so bin ich eben falsch gewählt. Sie müssen mit der Rechten regieren. Das geht ja nicht!«
Mit Schrecken hört und sieht ihn Brüning an. Dies also ist der Sieger von Tannenberg? Dies ist der Mann, für den er zwei Monate lang sich durchs ganze Land geredet hat? Er, dem nur seine Redner-Leistung den knappen Sieg gebracht hat, ohne den er heute nicht mehr in diesem Palais säße? Dies also ist Hindenburg, der alles glaubt, was ihm ein paar schlaue Gutsherrn zuflüstern? Hindenburg, der auf seine Bilder schreibt: Die Treue ist das Mark der Ehre? Er, der die Mühsal der Verhandlungen kennen muß, in denen sein Kanzler mit Frankreich und England steckt, dicht vor dem Ziele?
Andern Tags stellt Brüning die Vertrauensfrage. An den Reichstag, wo sie hingehört, kann er sie nicht mehr stellen. Der Alte hört ihn an, dann sagt er: »Sie können ja Minister des Äußeren bleiben.«
Da bricht aus Brüning ein Gefühl hervor, das er zwei Jahre lang aus Anbetung der Uniform unterdrückt hatte. Nicht zufällig hatte grade er mit seiner Person für Deutschland Vertrauen erworben, und wenn der alte Mann vor ihm nicht Feldmarschall wäre, was bleibt dann sonst an ihm! Und er erhebt sich und erwidert leise, ehe er geht:
»Ich habe auch einen Namen und auch eine Ehre.«
Als er Hindenburgs Wahl erkämpfte, war es April; heut ist der 30. Mai. Vielleicht erinnert er sich jetzt, da ihn die Wache am Fuße der Treppe das letzte Mal grüßt, eines berühmten Wortes vom General Groener, an das Brünings Vasallentreue nie hatte glauben wollen.
Den Alten drinnen rührt das alles nicht. Gleichmütig läßt er seinen Sohn kommen, sagt ihm, er möge einen neuen Kanzler suchen; der alte ginge.