Otto Ludwig
Die Heiterethei und ihr Widerspiel
Otto Ludwig

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Ja, die Sannel. Aber wer weiß, ob sie sich gefreut hätte. Sie war ja gar nicht mehr, wie sonst. Hätte sie sich nicht mehr über die Sache gefreut, als sie sich über die Erzählung davon freute; da war sie besser daheim.

Der Hannes wollte heute gar keine Ständchen halten. Er stürmte die Bodentreppe hinan, um nur gleich den Schein zu schreiben, den die Schwarze verlangt.

»Ja, sonst zieht sie nicht zur Mutter,« sagte er zu der Sannel, die ihm riet, sich vorzusehen, oder sich doch nur erst zu besinnen. »Und nimmt den Schackigter Müller, und hernach sitz' ich da und das viert' Gebot ruht nicht, bis ich in die Erdäpfel gangen bin. Aber du bist auch nicht mehr, wie du bist gewesen; dir wär's recht, wenn's nur recht bald all' wär' mit mir.«

»Wär' ich nicht mehr so, wie ich gewest bin,« sagte die Sannel, »hernachen ließ' ich dich gehn.« Sie streichelte ihn und sagte: »Gelt, Hannes, du setzst dich erst her zu mir auf die Treppen? Wer weiß, ist's nicht mehr oft, daß wir beisammen dasitzen?«

»Möcht' ich wissen, warum?« entgegnete der Hannes und ließ sich von ihren weichen Händen neben ihr niederziehen. Sie nahm die Lampe, die sie derweilen wieder hingestellt hatte, wieder auf ihren Schoß.

»Guck',« sagte sie, »wenn man das Licht da sieht brennen, meint man auch, es könnt' nicht ausgehn. Ich hab' die Tag' her allerlei solche Gedanken gehabt. Und einmal geht's doch aus. Und es ist gut, wenn man das vorher weiß. Ich hab' dir nichts davon wollen sagen, aber einmal muß es doch sein.«

»Ich wollt, du sagst's gleich, was doch muß sein,« sagte der Hannes. »Wenn eins so erbärmlich anfängt zu reden, da kann's einem ordentlich angst werden. Sag's doch heraus, was sein muß; du weißt, Sannel, ich erschreck' nicht so leicht. Ich erschreck' nicht, wenn's Rathaus einfällt; frag' nur die Sannel! Ja so, du bist ja selbsten die Sannel. Aber Sannel, du könntst mir's vielleicht morgen sagen. Und ist's denn so was gar Schrecklich's? Du willst doch nicht gar fort, Sannel?«

»Ich will nicht fort,« sagte die Sannel traurig. »Ich bin in dem Häusle gewest und bei dir, so lang' ich mich kann besinnen, und von selber geh' ich gewiß nicht; da brauchst du nicht zu fragen; das weißt du allein. Aber wenn eine junge Frau 'reinkommt, hernach bin ich übrig. Was zu machen ist, das kann eine machen. Und wo ich wüßt' ich verdien's nicht, da könnt' ich auch nicht wohnen und essen. Zumal jetzund, wo das lieb' Brot so teuer ist; und das Geld so späng. Aber deswegen ist's nicht, daß ich sag', du sollst dir die Sach' mit der überlegen. Sie sagen, wenn man einmal was unterschrieben hat, hernachen ist man sein eigener Herr nicht mehr; da ist einem die eigene Seel' wie versiegelt. Das mit dem Schackigter Müller wird nicht solche Eile haben, sonst wär' ihr's früher eingefallen. Guck', wenn die Heiterethei hereingekommen wär', da wär' ich ruhiger gangen. Denn die Heiterethei kenn' ich, und es ist keine Bravere im ganzen Ort; aber von der weiß man nichts. Man weiß nicht, wer ihre Küh' und ihre Ziegen sind. Und wenn sie noch solche Augen hätt', wie die Heiterethei, wo die helle Guttat heraus leucht't. Guck', du mußt's nicht ungut nehmen, wenn ich's sag'; aber das sind falsche Augen, die die hat. Die hat zweierlei Gesichter, eins für sich und eins für die andern Leut'. Hannesie, tu', was du willst, nur verschreib' dich der nicht. Und wenn sie den Schackigter Müller heirat't, du kriegst noch immer eine andere, und es ist um so besser für dich. Und du weißt, ich tu' alles, was die Leut' wollen, und tu's gern, aber wenn du auch schreibst, der trag' ich's nicht hin. Sie hat mir nichts getan, und ich weiß nicht, warum; aber ich weiß so gewiß, als ich die Lampen da in der Hand hab', mit der rennst du in den Geisgraben, Hannesie.«

Der Hannes besann sich nicht gerne. »Wenn man sich über alles noch lang' wollt' besinnen,« sagte er, »da könnt' man vor lauter Besinnen nichts tun. Und das ist schlecht von dir, daß du mir da eine Unruh' machst, daß ich immer denk', ich muß mich besinnen; und wenn ich mich besinn', so nehm ich sie am End' nicht, und hernach nimmt sie der Schackigter Müller. Da ist eins so schlimm wie das ander. Und hernachen – was du von ihren Augen sagst, das bild'st du dir nur ein. Und das von wegen, daß du denkst, du bist übrig und sollst fort, das ist dummes Zeug. Das ist, als wenn du sagst, die Deck' da oben, die soll fort, oder der Ofen unten in der Stuben. Und wenn's ihr einfiel, das wär' ein Wort von mir; und was ich sag', die tut's. Denn Respekt muß sein im Haus. Und da ist's viert' Gebot nicht dabei. Du kennst mich nicht, wie ich bin. Wenn ich einmal anfang' – nu, frag' nur die Sannel. Und nu sag' nichts weiter; ich halt' mir die Ohren zu.«

Das tat er auch wirklich. Sie stand noch lange vergeblich vor seiner Kammertür und pochte leise und gab ihm durch das Schlüsselloch die besten Worte. Aber das Heiratsversprechen trug sie nicht hin; der Hannes mußte es durch einen Nachbarsjungen schicken. Dabei schmollte sie nicht und war in allen andern Dingen so willig, ja noch williger, als je.

Die Frau Bügel redete mit der Gerbersfrau. Die war froh, die Schwarze los zu werden, und sagte, diese könne gehen, wann sie wolle, und wenn es gleich jetzo wäre. Solche Gefälligkeit hatte die Frau Bügel von der Gerbersfrau nicht erwartet, und sie hatte ihre Gedanken darüber auf dem Rückweg nach Hause.

»Wenn man eine hat, die was taugt, dann hält man sie fester. Oder man sagt, sie kann morgen gehn oder übermorgen, ich will mich erst nach einer andern umtun; oder auch: sie soll erst noch das und das im voraus machen, damit man sich eine Zeit allein behelfen kann. Nu, es wird sich alles zeigen. Und wenn sie die best' ist, so ist's kein Schaden, daß ich sie erst eine Zeit auf die Prob' nehm.«

Und nicht lange nach der Frau Bügel kam denn auch die Schwarze in das Haus. Sie brachte einen schweren Koffer mit sich; es war aber nicht alles drinnen, was sie hatte. Das Meiste, sagte sie, und das Beste sei noch zu Haus in Schackigt bei ihrer Schwester, der Bäckersfrau.

Die Schwarze hatte ein Bett bekommen in dem Schlafkämmerlein der Frau Bügel, aber noch war keine Rede davon, daß die Sannel fort sollte. Der Schneider war überglücklich; es kostete ihm Mühe genug, es nicht merken zu lassen. Nur das gefiel ihm nicht, daß er nicht öfter und länger mit ihr allein sein konnte. Die Frau Bügel schien ihn auch für einen »Schlimmen zu halten«, wie die Schwarze tat. Es schickte sich jederzeit wie zufällig, daß sie die dritte war. Aber das kam ihm noch zugut, daß das Ding an der Fensterwand aus Rücksicht auf die neue Ankömmlingin in Untätigkeit verfiel. Er wurde ganz übermütig davon. Die Sannel hatte wenig oder nichts mehr zu tun, die Schwarze machte alles, was zu machen war; und es schien, sie hatte daran nicht genug. Die Sannel warf es sich bei jedem Bissen Brot vor, daß sie ihn nicht verdient habe, und aß immer weniger und wurde vor Hunger und Gram ganz blaß. Dennoch tat sie alles mögliche, sich zu freuen, was der Hannes wohl mehr als zwanzigmal den Tag von ihr verlangte. Zeit genug hatte sie dazu.

Die Frau Bügel war in den ersten Wochen fast jeden Tag daran, der Probe ein Ende zu machen, und die Schwarze erwartete das jeden Tag. Sie zwang ihre wachsende Ungeduld und ließ ihren Ärger über die Verzögerung mit Zins auf Zins stehen. Wenn sie einmal fest saß, dann wollte sie sich bezahlt machen für all den Zwang, den sie sich angetan; damit vertröstete sie sich zwei ganze Wochen lang. Länger aber ging es nicht. Die Galle trat ihr in das Blut und machte ihr die Hände zittern. Wenn sie allein war, dann ließ sie ihren Zorn an ihrer Arbeit aus. Das Geschirre und das Vieh, Kannen und Gelten, Kuh und Ziege mußten ihr entgelten. Das arme Vieh, das an weichere, freundlichere Hände gewöhnt war, grämte sich und wurde nicht glatter davon.

Die Frau Bügel, die nichts zu bemerken schien, bemerkte alles. Sie fing an, die Sache zu durchschauen, wenn auch nicht die ganze. Das eine wurde ihr klar, daß die Schwarze sich bei dem Kaffeebesuche verstellt hatte, wenn sie auch nicht begriff, warum.

»Aber was hast du nur, Mädle?« sagte Frau Bügel. »Du siehst die Tag' her aus, als hätt'st du immer alle die Zähn' zusammen gebissen, und red'st kaum, und wenn du red'st, so ist's, als wenn dir der Ärger die Gurgel verschnüren tät'. Hast du denn Ärger?«

»Nu freilich,« entgegnete die Schwarze. »Meine Leut' daheim, wo ich hingehör, da ist so ein alt Fegfeuer, die find't kein End' und kein Trumm. Aber zum besten lass' ich mich nicht haben, das soll sie nur wissen. Ich hab' Geduld, wie sie die hundertst' nicht hat. Aber wenn mir's zu arg wird, ich will das Trumm schon finden.«

»Ja, sie schicken dir deine Sachen nicht,« sagte Frau Bügel, »und haben sie schon vor acht Tagen wollen schicken.«

»Ja, ich will doch sehen,« sagte die Schwarze, »ob ich krieg', was mir gehört. Nu wart' ich nicht mehr lang'. Das alt' Fegfeuer weiß nicht, mit wem sie's zu tun kriegt.«

»Nu, ich sollt' deiner Schwester ihr Schwieger sein,« dachte die Frau Bügel, und es kam ihr in die Hände wie der Schwarzen. »Ich wollt' dir das alt' Fegfeuer anstreichen.« Die Frau Bügel hatte das eigene, daß sie niemand zornig sehen konnte ohne angesteckt zu werden. Wenn sie jemand auf der Gasse oder sonst zanken hörte, da kostete ihr es Mühe, nicht mit dem Zanker zu zanken. Und sie hätte sich gern über die Schwarze hergemacht, aber es war ihr um die Leute. Das Mädchen war ihr schnell zuwider geworden, vielleicht, weil sie im Anfang zu sehr von ihr eingenommen gewesen war. Vor der Sannel, die sie kannte, von der sie wußte, die war wie eine verschlossene Truhe, zu der sie den Schlüssel hatte, versteckte sie ihre Meinung. Sie hatte auch die falschen Augen der Schwarzen bemerkt. Die Sannel meinte bei sich: »Wenn die Bas die nur früher hätt' weggekriegt! Nu ist's zu spät. Nu hat der Hannesie sich der verschrieben, und ist sein eigener Herr gewest, und seine Seel' ist wie versiegelt, und ich wollt', ich stürb', denn nu ist doch keine Freud' mehr für mich auf der Welt.«

Das Unerquickliche des Zustandes nahm nicht ab, mit jedem Tag wurde er verbissener. In der Frau Bügel so gut, wie in der Schwarzen Herzen hatte sich der Zunder gesammelt; es bedurfte nur eines Funkens, so standen sie beide bald in vollem Brand. Und wo das Schicksal einmal Zunder gesammelt, da weiß es auch einen Funken hineinzuschlagen.

Die Frau Bügel begann daran herumzureden, es sei zu wenig zu tun, und es wären zu viele Leute im Haus. Die Schwarze verstand nur zu gut, was sie meinte. Daß der Schneider nichts vermochte im Haus und durch ihn nichts durchzusetzen war, das wußte sie lange; das hatte sie ihm gleich zum erstenmal angesehen. Und sie war gar nicht die Person, die einen Vollzieher ihrer Taten brauchte. Sie wollte nicht warten, bis man sie gehen hieße.

Und so stand sie eines Morgens in ihrer ganzen Breite vor der Frau Bügel. Und diese schien ihr noch nicht breit genug; sie nahm die gewaltigen Arme zu Hilfe, die sie in ihre Seiten stemmte. Dann sagte sie kurz, als sei sie nicht gesonnen, große Umstände zu machen: »Und wie ist's nu'? Wird nu' einmal ein End'? Nu' bin ich beinah' drei Wochen in dem armseligen Häusle. Und ich bin nicht h'reingezogen, um einem alten Fegfeuer ihre Magd zu sein. Ich will nu' wissen, wie ich dran bin.«

Die Frau Bügel stand sprachlos. Dem Schneider auf seiner Brücke kam ein Schauder an vor seinem Schatz. Er hielt die Nadel wie versteint in die Luft.

»Ich will nu' wissen,« fuhr die Schwarze fort, »ob ich werd' zu meinem Recht kommen. Länger zum besten halten lass' ich mich nicht.«

Die Frau Bügel wurde endlich »ihrer Hörner mächtig«. Sie war nicht die Frau, die sich lange daran herum machen ließ. Das sagte sie der Schwarzen. Die aber versicherte, sie fürchte sich nicht. Sie wüßte eine Tolle bei den Hörnern zu packen. Und sie sei in ihrem Recht.

»Das da ist meine Stuben,« sagte die Frau Bügel, »und da ist kein Recht drin, als meines. Und ich will dir zeigen, was da für ein Recht drin ist. Da ist ein Recht drin, daß ich 'nauswerf', was nicht 'reingehört. Ich hab' mir dein Gesicht lang genug lassen gefallen. Du bist meine Magd, und ich kann dich fortschicken, wenn mir's gefällt.«

»In der Stuben da hab' ich soviel Recht als Ihr,« sagte die Schwarze ruhig, weil sie ihres Vorteiles bewußt war. »Und ich frag' nu', wann das erst' Aufgebot gehalten wird.«

Die Frau Bügel verbiß ihre Wut. So tapfer sie war, vor tollen Menschen fürchtete sie sich. Und die so redete, mußte toll sein. Sie wollte das Fenster öffnen und um Hilfe schreien.

Aber die Schwarze nahm sie bei den Armen und hielt sie fest. Die Frau Bügel war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen. Die Schwarze drückte ihr Fleisch und Knochen zusammen. Solche Kraft hat nur ein toller Mensch. Die Frau Bügel war eine starke Frau und wußte, wie man drücken kann, wenn man nicht toll ist. Das, was sie empfand, ging weit darüber hinaus.

»Nu' bin ich die Gesichter satt,« sagte die Schwarze und freute sich über ihren Triumph. Die Frau Bügel sah nun, daß sie ihr Mann nicht war. »So leid' ich's nicht länger. Es gibt nur ein Gered' unter den Leuten, wenn Brautleut' so lang' vor der Hochzeit in einem Häusle beisammen sind. Den nächsten Sonntag muß das erst' Aufgebot sein, und den Sonntag über drei Wochen ist die Hochtzig. Und wenn niemand anders zum Pfarrer geht, so geh' ich. Ein End' muß sein.«

Die Frau Bügel war nahe daran, selbst konfus zu werden. Die Schwarze sprach wie eine Tolle, und sprach doch auch, als wäre sie bei Verstand. Ein zufälliger Blick auf den Schneider brachte sie dem Verständnisse näher. »Der Jung' hat kein gut' Gewissen. So ist alles Betrug gewest. Aber ich will dich, du Nichtsnutz! Da bin ich erst noch dabei.«

»Was hast du gemacht, Jung'?« fragte sie ihn drohend.

»Ja, was hab' ich gemacht?« sagte der Schneider voll Angst. »Ich bin doch nu' ein Bursch' – der von Nachbars ist sechs Jahr jünger und hat gefreit.« Der Schneider war ein geteilter Mensch. Daß er sah, die Schwarze ließ die Mutter nicht über ihn, das beruhigte ihn; und das hatte er ja gewollt. Deshalb hatte er ja die Schwarze hereingeschwärzt in das Haus. Aber zugleich dauerte ihn die Mutter. Daran hatte er vorher nicht gedacht.

»Und da tut der Nichtsnutz noch, als müßt' er dabei sein, wenn er soll frein? Das ist meine Sach'. Da hat so ein Jung' sich nicht dreinzumischen. Das geht dich nix an, wen du sollst frein. Und so schlecht du bist, Jung', für so ein'n Hackstock bist du noch zu gut. Da wird nix. Und die da macht nu' ein End' und packt sich. In meinem Häusle ist niemand Herr, als ich. Sonst will ich den Polizei lassen kommen.«

»Gut,« sagte die Schwarze, ohne sich zu rühren. »Und wenn das alt' Fegfeuer da den Polizei nicht läßt kommen, so lass' ich den Polizei kommen. Da ist's, wenn das alt' Fegfeuer kann lesen.«

»Tu' ihr ihre Brillen her,« wandte sie sich zu dem Schneider. Der gehorchte, vergaß aber nicht, sich in gehöriger Entfernung zu halten. Und das war klug von ihm. Die Schwarze aber zog ein vielmal gefaltet Papier unter ihrem Halstuch hervor, machte es an ihrer Schürze glatt und hielt es der Frau Bügel vor die Augen.

Die Sannel hatte es dem Hannes wohl gesagt: »Wer so was unterschreibt, ist sein eigener Herr nicht mehr, und hernachen ist seine Seele wie versiegelt.« Der Schneider fühlte einen Druck auf seiner Seele, als stecke sie unter einer Siegelpresse. Aber er tröstete sich: »Wenn sie nur einmal sieht, es ist nicht anders, hernach wird sie sich schon beruhigen.«

Das ging aber nicht so schnell. Erst war die Frau Bügel erschrocken, daß ihre Nase all ihre Farbe verlor; dann erholte sie sich und sagte: »Was so ein Jung' schreibt, das ist nix geschrieben. Was so ein Jung' ohne seine Mutter macht, das ist nix und gilt nix. Ich kann einer die Eh' versprechen, denn ich bin eine Frau; aber so ein Jung' kann nix. Und da hat der Zimmermann das Loch gelassen.«

»Ei, ich weiß so eins,« sagte die Schwarze höhnisch, »wo die Leut' wissen, wenn sie nein kommen, aber nicht, wenn sie wieder 'raus kommen. Und das ist im Turm, und da hat der Büttel den Schlüssel dazu. Und wenn einer mündig ist, da gilt's, was er hat geschrieben. Der dort braucht keinen Vormund in den Gerichten, aber Sie braucht einen. Und wenn Sie was schreibt, da muß ein Kurator dabei sein. Und nu' will ich ein End' und geh auf der Stell' zum Pastor.«

Aber noch ergab die Frau Bügel sich nicht, so wenig mehr sie gegen die Gültigkeit der Verschreibung aufbringen konnte. Sie sagte: »Recht so. Und der Jung' kann mitgehn. Aber in mein Häusle soll er mir nicht wieder kommen. Und wenn ich einmal sterb', so vermach' ich's der Sannel. Hat er's ohne mich geschrieben, so kann er auch ohne mich sein, der Nichtsnutz, der!«

Die Schwarze lachte. »Ja, so dumm, wie man selber ist, darf man die Leut' nicht meinen,« sagte sie. »Das Häusle kommt von seinem Vater, und das bißle andere Hab und Gut ist auch von ihm. Und nu' ist's alles dem Hannes, und nu' fragt sich's nicht, ob Sie mich will 'rein lassen. Nu' ist's die Frag', ob ich Sie 'rein lass'. Denn in meinem eignen Häusle lass' ich mir nicht auf der Nasen tanzen.«

Die Schwarze zog sich zum Ausgehen an. Und das tat sie so, daß man auch sehen sollte, sie sei nun der Herr im Haus.

Die Frau Bügel war ganz in sich zusammengebrochen. Sie klagte es Gott und der Welt, wie unerhört ihr mitgespielt würde. Und wie schlecht es sei, sich durch Lug und Trug in ein fremdes Haus hineinzustehlen.

»Ja,« sagte die Schwarze und lachte dazu. »Und so ein Schiebkarrn von Häusle war's auch der Müh' wert. Ich hätt' eine Wirtschaft können bekommen, die hundertmal so viel wär' wert gewest. Um solch' Armutei trägt's auch aus, so viel zu reden. Mich hat's sechsmal gereut gehabt. Aber ich hab' einmal meinen Kopf aufgesetzt gehabt. Es ist den Ärger nicht wert, den hab' ich einfressen müssen. Aber ich will ihn schon wettmachen; da hab' ich mir die Hand darauf geben.«

Der Schneider hörte von alledem nichts. Er dachte nur an den Augenblick, wo die Schwarze hinausgegangen und er hilflos in der Gewalt seiner Mutter sein würde. In der Angst, nur fortzukommen, sagte er: »ich geh' mit.« Und da die Schwarze nicht wartete, so lief er, Jacke und Weste, die er noch nicht hatte anziehen können, in den Händen, der Gehenden auf dem Fuße nach.

Ein junger Fürst, der einen Thron besteigt, oder ein neuer Minister pflegt, wie man sagt, alles auf den Kopf zu stellen, was sein Vorgänger auf die Füße gestellt hatte, und was auf der rechten Seite lag, auf die linke zu legen, und umgekehrt. Und vielleicht hat das sein Gutes, wenn der große, ewig schlafende Leib des Alltags, den man Schlendrian nennt, gezwungen wird, seine gläsernen Augen einmal aufzutun. Schaden wenigstens wird es ihm nichts, denn er macht sie doch gleich wieder zu. Und einem Volke, das oft Dreimännerwein trinken muß, ist's sogar nötig, daß es manchmal auf die andere Seite gewendet wird.

Das Schicksal widerfährt aber auch dem kleinsten Häuschen, wenn eine junge Frau ans Ruder kommt. Da darf nichts das alte Gesicht behalten. Ein Beleg war das kleine Häuschen fast am Ende von Luckenbach. Eine Türe oder ein Fenster aufzulassen, war unter der vorigen Regierung ein Hauptverbrechen gewesen, jetzt versah's eins bei der Regierung, wenn es ein Fenster oder eine Türe schloß. Die vorige war eben eine Kabinettsregierung, die eine große Scheu vor der Öffentlichkeit trug; die nunmehrige scheute sich weder vor der Öffentlichkeit, noch sonst vor etwas auf der Welt.

Zwei Tage lang war ein Rücken von Schränken, Tischen und Stühlen, ein Hin- und Herlaufen, Herüber- und Hinübertragen, daß Kuh und Ziege unter dem Lärmen nicht wußten, was sie denken sollten. Und ein lautes Schelten und Pantoffelklappen, wovon der Lehm in den Wänden in Angst geriet. Hatte die Schwarze damit beabsichtigt, die Frau Bügel mürbe zu machen, so war die Absicht gelungen. Die Schwarze fuhr in dem Häuschen umher, wie die wilde Jagd und die andern Bewohner hatten an nichts zu denken, als ihr auszuweichen. Der Frau Bügel war jeder andersgerückte Stuhl oder Tisch, wie ein Stück von ihrem Herzen losgerissen. Aber wagte sie, ihr Haupt zu erheben, dann redete die Schwarze davon, daß zu viele Leut' im Häusle wären, und die Frau Bügel tauchte wieder unter. Das alte Häuschen war ihr an die Seele gewachsen, wie der Schnecke ihr Haus, und wo es angewachsen war, da saß ihr Leben. Wer da durchgeschnitten, hätt' es auch zerschnitten.

Ein Glück für die andern war's, daß die Schwarze meinte, sie habe sich genug geplagt auf der Welt; besonders sich Gewalt genug angetan, in das Häusle hereinzukommen; sie wollte es nun auch genießen. Zunächst begann sie, was sie früher am Schlafen versäumt, nachzuholen. Die Sonne hatte ihr Tagewerk halb vollendet, wenn die Schwarze ihr's anfing. Die Stunden, die sie länger im Bett verbrachte, als eine Hausfrau soll, waren für die Frau Bügel das am Tage, was der Pfaffenschnitt an einem Gänsebraten ist. In diesen Stunden, wo die Sonne des Hauses noch nicht aufgegangen war, stand die Frau Bügel als Mond an des Hauses Himmel. Da schien das Alte wieder hergestellt und die Frau Bügel regierte wie früher; nur daß diese Regierung sozusagen auf den Strümpfen ging, um die Schwarze nicht zu wecken. Da war auch die Sannel heiterer, als sonst. Diese hatte wieder die ganze Arbeit auf dem Halse, und das war ihr eben recht. Die Schwarze behandelte sie, als wär' die Sannel ihre Magd, und plagte sie, wie sie nur konnte. Aber die Sannel übersah das. Sie war ja nun nicht mehr übrig im Hause. Sie mußte nun wenigstens nicht mehr hungern; sie hatte wieder den Mut zu essen, weil sie ihr Essen wieder verdiente.

Der Hannes hatte sich eine andere Lust dabei gedacht, wenn er mit dem großen Mädchen über die Gasse zum Pastor gehen würde, das Aufgebot zu bestellen. Es war ihm dazu nicht leicht, mit der Schwarzen Schritt zu halten. Wer die beiden daherkommen sah, lachte. Einer fragte: »Nu, Mädle, wo willst du mit deinem Schneider hin?« Andere riefen: »Mach, Hannes! Häng' dich an ihre Schürze, sonst reißt sie dir aus.« Der Schneider ärgerte sich nicht darüber. Er war solche Reden gewohnt. Er sah sich um und fragte mit den Augen: »Nu', ist das eine?« Er sah, wie sie in ihrem Herzen meinten: hätt' man das dem »Jung'« zugetraut, daß er sich an so eine macht! Die Eitelkeit kam wieder über ihn und er vergaß für den Augenblick, daß ihn seine Mutter dauerte und daß er an seinem Schatze und seinem Glückstraume irr geworden war.

»Seht nur, wie klein der Schneider ist,« lachte ein Gassenjunge dem Paare nach. Der Hannes sah zurück und sagte stolz: »Und nimmt doch so eine große Frau!«

Zu Hause war es anders mit ihm. Nicht, daß er sich nicht über die Größe seiner Braut gefreut hätte. »Aber,« sagte er zur Sannel, »das viert' Gebot, das hat's auf mich abgesehn. Ich möcht' nur wissen, was ich dem vierten Gebot hätt' getan. Nu' ist die Mutter noch schlimmer, wie sie sonst ist gewest und meine liegt in ihrem Bett. Wenn ich's meiner sagen tät', die litt's gewiß nicht. Aber nu' dauert mich wieder die Mutter, und da bin ich wie zwischen Tür und Angel. Wer weiß, was meine der Mutter tät', wenn sie's wüßt'!«

»Und das ist auch recht von dir,« sagte die Sannel, »deine Mutter hat schon genug von deiner zu leiden. Ach, Hannesie, wenn du nur nicht aus dem Regen bist unter die Traufen kommen, wie die Leut' sagen! Was einmal ist geschehn, davon soll man das best' reden; aber ich wollt' doch, Hannesie! Ich weiß doch, was ich wollt', wenn ich's auch nicht sag'.«

Eines Tags, die Schwarze genoß noch der wohlverdienten Ruhe oder war wenigstens noch nicht aufgegangen am Himmel der Wohnstube und die Frau Bügel glänzte noch bläulich über dem Horizont, pochte es an die Türe und auf der Frau Bügel Herein! folgte eine fremde Gestalt dieser Weisung. Das war nicht leicht; denn der die Tür gebaut, hatte offenbar dabei nicht an solche Gestalt gedacht. Es war ein junger Mensch, der das vielleicht dreimal darüber hatte, was dem Hannes am Soldatenmaß fehlte. Dabei war er hübsch gewachsen. Etwas phlegmatisch schien er zu sein; er sah sich erst in der Stube um, und dann sagte er sehr langsam: »Ihr Diener, Frau Meestern.«

Die Frau Bügel erwiderte den Gruß und fragte, was er wolle.

Ebenso langsam, wie vorhin, sagte der Mensch: »Da unten bin ich einem recht chemütlichen Mädel bechechnet; die chehört wohl ins Haus?«

Es wird die Sannel gewest sein, dachte die Frau Bügel und sagte: »'s kann wohl sein. Wenn er weiter nix will, hätt' er sie selber können fragen.«

Unterdes hatte der Blick des Menschen auf dem Schneider geruht, der, sobald er das gemerkt hatte, sich ein rechtes Ansehn gab. »Was das für ein Eulenspiegel ist?« dachte der Schneider.

Der junge Mensch hatte wirklich etwas vom Eulenspiegel in seinem Gesicht. Die Hauptsache darin war ein gewisses phlegmatisches Behagen, darauf ein Schalk zu sitzen schien, aber ein sehr gutmütiger. Aber vielleicht sahen die blauen Augen nur so schalkhaft aus, weil sie wie aus einem Versteck hervorlugten. Den Versteck bildeten die vollen, nur leise geröteten Backen, die sich beim behaglichen Lächeln in die Höhe schoben. Und dies behagliche Lächeln stand so versprechend und ausdauernd da, wie ein freundlicher Gastwirt in der weißen Schürze vor seiner Gasthoftüre.

»Eechentlich komm' ich,« sagte der Mensch, »als ein Schneidergeselle, der bei den Meestern herumfracht, ob nicht irchendwo Arbeit für ihn ist?«

»Donner!« sagte der Schneider in seinen Gedanken und hüpfte unwillkürlich auf seiner Brücke. »Eine große Frau hab' ich; wenn ich noch so einen Gesellen dazu hätt'! das wär' noch anders, wie ein großer Hund!«

Die Frau Bügel hatte eine Ahnung, ein loser Vogel müsse den Gesellen dahergeschickt haben. Sie sagte barsch. »Wir brauchen keinen. Er kann wieder zu dem gehn, wo ihn hergeschickt hat.«

Der Geselle schien nicht gern zu gehn. Der kleine Meister schien ihm Spaß zu machen; vielleicht war auch das »chemütliche Mädchen« im Spiel. Oder es erlaubte ihm nur sein natürliches Phlegma nicht, sich schneller nach der Tür umzuwenden, als er tat. Er ergriff eben die Klinke der Stubentür, als die Schwarze im Osten der Kammertür aufging und ihre ersten Strahlen sie beleuchteten.

Der Gesell dachte: »sollte das das chemütliche Mädchen sein?« und wandte sich wieder um, und dasmal etwas rascher. Er sah, er hatte sich getäuscht. Die abermalige Wendung bedurfte eines Vorwandes und er sagte: »Also es ist keine Arbeit für einen Chesellen?« Der Schwarzen gefiel der Bursche und sie mußte ihm zeigen, daß sie hier Herrin war.

»Wo ist denn der Gesell' daheim?« fragte sie.

»Eechentlich,« entgegnete der Gesell', »in Delitzsch und uneechentlich in Magdeburg. Ich war meiner Mutter nicht lebendig chenug, da sollt' ich in der Fremde lebendig werden. Aber der eechentliche Grund: ich soll mir eine junge Meesterin holen. Sie ist selber aus der hiesigen Chegend und meint, hier wachsen die besten.«

Die Frau Bügel bereute es, daß sie ihn so barsch abgewiesen, und gab durch ein Nicken kund, seine Mutter habe recht und sei eine, die's versteht. Freilich dachte sie nicht an den jungen Wuchs, nur an sich selbst, und da hatte des Gesellen Mutter recht.

In dem unternehmenden Gemüt der Schwarzen aber ging ein Gedanke auf. Nach dem guten Anzug des Gesellen mußten sich seine Leute wohlbefinden. Sie lud ihn ein, sich zu setzen, »damit er die Ruh' nicht 'nausträgt,« und da er guter Leute Kind zu sein scheint.

»Es cheht noch,« sagte der Gesell'. »Meine Mutter hat zwei Häuser in Delitzsch und eins in Magdeburg, und das Cheschäft cheht auch nicht schlecht. Vater habe ich keinen nicht mehr. Und das Cheschäft führt mein Onkel.«

»Das ist wohl auch ein Reicher?« fragte die Schwarze.

»Das nich',« erwiderte der Gesell'. »Er ist arm, aber tuchendhaft, da haben wir ihn chewissermaßen als Vater anchenommen.«

»Nu',« meinte die Schwarze, »es ist just nicht so notwendig, daß wir einen Gesellen einstellen; aber weil der Mensch so anständig ist, so kann man's schon machen.«

»Also kann ich kommen,« sagte der Gesell' und empfahl sich höflich. Draußen auf der Treppe schnippte er mit den Fingern. Er besaß die Beobachtungsgabe, die so häufig die Mitgift und die Entschädigung des Phlegmas ist. Diese hatte die Lücken der Erzählungen, die ihm von diesem Hauswesen gemacht worden waren, ziemlich vollständig ergänzt. Ein paar Wochen lang, meinte er, könnte er sich wohl den Spaß machen, da Geselle zu sein. Auf den Lohn brauchte er nicht zu sehn; denn, was er von seinen Umständen erzählt hatte, war nicht erlogen. Er wäre gern dem »chemütlichen« Mädchen noch einmal begegnet und ging deshalb noch langsamer, als seine natürliche Art war. »Nu',« sagte er in der Haustüre, »was heute nicht ist, das ist morgen. Und pressiert bin ich nicht.«

Die Schwarze aber meinte: »Das wär' ein andrer für mich, wie der dort. Bin ich da hereingekommen, kann ich auch wohl dort hinein. Der Gescheit'st scheint er nicht. Ich probier's. Der dort und das armselige Häusle da bleibt mir immer noch gewiß. Aber bin ich nur erst dort drin, dem Unkel will ich weisen, wo er hingehört.«

Der Gesell war eingetreten und hatte besser Wetter mitgebracht. Die Schwarze hatte ihn neckend ausgefragt, was für eine er am liebsten frein würde. Sie müsse wohl tüchtig auftreten können, da sein Hauswesen so groß sei.

»Ja,« sagte der Gesell', »unser Hauswesen ist chroß chenug, und eine chroße Frau wär' nicht übel. Aber nach der Chröße allein frag' ich nich. Chemütlichkeit und Sanftmut hat den chrösten Reiz für mich.«

Von dem Augenblick an war die Schwarze die »Chemütlichkeit« und Sanftmut selbst. Aber auch den alten Fleiß suchte sie wieder hervor. Das Zwischenreich der Frau Bügel nahm ein Ende, die Schwarze stand wieder mit der Sonne auf. Das Haus befand sich dabei nicht schlechter. Ging das Zwischenreich auf Strümpfen, so wandelte die neue Regierung der Schwarzen gar wie auf Handschuh'n.

»Siehst du, Sannel,« sagte der Schneider, als sie zufällig allein beisammen waren, »das hab' ich gewußt. Sie hat's nur übel genommen gehabt, daß die Mutter sie erst hat wollen probieren. Sie hat mir's gesagt. Aber ich hätt's auch nicht länger mehr so mit angesehn. Denn Respekt muß sein im Haus. Und sie ist mir jetzt noch nicht so recht, wie ich sie will haben. Du sollst dich wundern, Sannele, wie ich die noch zieh'.«

Und wirklich tat er das. Je nachgiebiger sich die Schwarze zeigte, desto höher schwoll sein Übermut. Zuletzt mußte sie ihm die Schuhe bringen und die Stiefeln ausziehn. Mit jedem Tag nahm er sich mehr heraus. Und das schien ihr eben recht zu sein. Je mehr er verlangte und je trotziger er auftrat, desto williger schien sie zu werden, desto sanfter und »chemütlicher« zeigte sie sich.

Der Schneider war glücklich. »Da siehst du, Sannel, was beim Besinnen 'raus wär' kommen. Nu' wär' sie in Schackigt und das viert' Gebot tät' noch immer mit mir machen, was es wollt'! Sannel, wenn dir einmal was einfällt, besinn' dich nur nicht drüber.«

Die Sannel sagte nichts, aber sie schüttelte bedenklich den Kopf. Der Schneider sah es nicht vor dem großen Hund, an den er dachte. »Eine große Frau, ein großer Gesell', ein großer Hund! denn aller guten Ding' müssen drei sein,« sagte der Schneider.

Eins gefiel dem Schneider nicht. Die Schwarze, so sanft, dienstwillig und geduldig sie sich zeigte, wich seinen Liebkosungen aus. Besonders vor dem Gesellen. »Es ist eine Schand',« sagte sie, »wenn ein fremder Mensch dabei ist.« Waren sie allein, dann setzte sie ihn wohl auf ihre Knie und schaukelte ihn, wie man mit einem Kinde tut. Dabei hielt sie ihn so weit von sich ab, daß alle seine Versuche, sie zu umfassen, mißlingen mußten; wollte er sie küssen, dann hielt sie ihm lachend das Ohr hin; wollte er sich damit nicht abspeisen lassen, dann wurde sie wohl ärgerlich und sagte: »Nu' lass' mich ungeschoren! Spiel du mit deiner Nadel oder mit deinen Läpplen; ich hab' mehr zu tun. Und daß du vor dem fremden Menschen nicht tust, als wenn wir Brautleut' wären! Ich schäme mich sonst.«

»In acht Tagen ist unsre Hochtzig,« sagte der Schneider, »und da erfährt's die ganze Stadt, wer's noch nicht weiß.«

»Damit hat's Zeit,« meinte dann die Schwarze. »Damit dann die Leut' denken, man kann's nicht erwarten? Und wenn's erst im Winter wird, das ist immer noch Zeit genug.«

Mit dem Gesellen war die Schwarze anders. War sie einmal mit ihm allein, dann klagte sie, was sie im Hause dulden müßte. »Meine Leut' wollen einmal, ich soll den nehmen. Und ich bin so ein dumm' Ding, das alles tut, was die Leut' wollen. Hundert Mädle an meiner Stell' täten's nicht.«

»Chewiß,« sagte der Gesell', »chewiß. Ich hab's manchmal für mich chedacht.«

»Nu', ich kann's immer noch machen, wie ich will. Ich bin immer so ein sanft Mädle gewest. Mein Fräle hat oft gesagt: du mußt's einmal gut kriegen, du verdienst's. Aber Wort' sind Wort', und es geht doch, wie's will.« Sie seufzte tief.

Der Gesell' mußte etwas von der Natur der Sannel haben. Er seufzte mit. »Was noch wird,« sagte er, »das kann man so chenau nicht wissen. So was kommt manchmal wie vom Himmel chefallen.«

»Ja, wenn ich hübsch wär'. Nach der Sanftmut, da fragen die Männer heutzutag' nicht.«

Der Gesell' zuckte dann die Achseln; aber nicht zu der Schwarzen Mangel an Schönheit, sondern zu der Torheit der Männer heutzutag'.

»Nu', wenn Sie nicht hübsch sind! Da weiß ich nich'. Aber so 'ne Großmutter ist nich' auf den Kopf chefallen. Und – und – mir hat so was cheträumt. Ich chlaube, ich bin nich' umsonst in das Haus da chewiesen worden. Es cheht manchmal wunderlich in der Welt.«

Mehr war mit allen Künsten nicht aus dem Gesellen herauszubringen. Und es gab keine Kunst, die die Schwarze nicht anwandte. Sie äugelte, strich sich an ihm herum, hatte immer etwas an ihm zurechtzurücken, seufzte und wurde so »chemütlich«, daß dem Gesellen hätte Angst werden können. Er mußte ihr von daheim erzählen. Dann ließ sie in Gedanken ihre Ungeduld an dem armen »Unkel« in Delitzsch aus. Und die Ungeduld wurde manchmal zum Zorn, daß ihr die Hände zitterten und sie sich in ihrem Herzen an dem Gesellen selber vergriff. Hatte sie ihn nur erst, dann wollte sie ihn schon aus seiner Ruhe herausjagen, die sie jetzt so sehr ärgerte. Die Schwarze ließ sich nicht zum besten halten. Und doch schien er es darauf anzufangen.


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