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War das ein Erstaunen in dem guten Luckenbach, als bekannt wurde, der Holders-Fritz wolle die Heiterethei heimführen. Ein Fragen und ein Erstaunen und wieder ein Fragen und Erstaunen. Wie früher die Heiterethei, so hatten nun der Holders-Fritz und das Fräle von gutem Rat, Warnungen und Unglücksprophezeiungen zu leiden. »Es wundert mich,« pflegte der Fritz zu sagen, »wenn ich hinauskomm, daß nicht die Bäum', die Zäun' und die Grenzstein' gelaufen kommen mit gutem Rat. Aber so weit, wie sie das Annedorle damit haben gebracht, so weit sollen sie's bei mir nicht bringen.«
Und das Wort hielt er. Nicht, daß er zornig die Warner abgewiesen hätte, denn es war ja jetzt sein Wahlspruch: nicht mehr Wildtun, sondern Überlegung und ruhige Festigkeit mache den Mann.
Er hatte sich eine eigene Methode erfunden, auf die er sich bei sich selbst nicht wenig wußte. Sagte ihm einer, er solle sich wohl bedenken, eh' er den Schritt tue, dann entgegnete er: »Ja, bedenken muß man freilich alles. Mancher machte keinen dummen Streich, wenn er sich erst bedacht hätt'. Das mein' ich auch.«
»Ihr könntet jede kriegen im Städtle,« fuhr dann jener fort, »und da sind reiche Mädle genung. Die Valtinessin hat's nah genung gegeben: wenn er käm', ein Nein tät' nicht fallen. Und ich wüßt hundert reiche Bursch', die sich die Hand' lecken täten nach der Gringelwirts-Ev'. Die hat Geld und Sachen; da kann's heißen: ›Goldmädle, ich mag dich‹.«
Dann sagte der Fritz: »Ja, Reichtum ist eine Hauptsach', und die Valtinessin, das ist eine ganze Frau.« Und in dieser Art ging es weiter, so daß der andere am Ende nichts mehr zu sagen wußte und ging.
Das Holders-Fräle hatte sich eine andere Art, die Leute mit guter Manier loszuwerden, beigelegt. Sie war immer etwas schwerhörig gewesen.
Sagte ihr eine: »So ein arm Mädle wird doch Ihr Fritz nicht nehmen,« dann entgegnete sie wohl: »Grämen, meint ihr? Ja, ich hab' mich schon genung gegrämt darum, und gedoktert hab ich, aber es hat mir alles nichts wollen helfen.«
»Ihr versteht mich falsch,« sprach dann wohl die Warnerin, mit lauterer Stimme; »ich mein von wegen der Heiterethei –«
»Ja,« nickte das Fräle. »Einerlei; 's ist alleweil einerlei gewest, was ich auch hab' angewend't. Ja, die letzt' Zeit ist's immerfort noch schlimmer gewest.«
Dann sagte die andere schreiend, mit Armen und Beinen hantierend, um den Augen verständlich zu werden, wenn nicht den Ohren: »Ihr habt mich nicht verstanden, ich mein, von wegen Eurem Fritz –«
Das Fräle hatte Mund und Augen aufgerissen dabei, dennoch kam zum Vorschein: »Hitz'? Ja; das ist's eben. Hitz' hab' ich die ganz' Nacht in den Ohren gehabt; und ich wunder mich nur, daß ich heut einmal wieder so gut hör. Ja, manchmal ist das so, aber hernachen wird's wieder so schlimm wie zuvor.«
»Wenn das gut gehört heißt!« meinte dann die andere bei sich und gab ihren Vorsatz auf.
Das Reden der Leute hätte das Fräle nicht irr gemacht, der Heiterethei wunderliches Benehmen tat mehr dazu.
»Guck, Fritzle, guck wohl, was du da machst,« sagte sie zuweilen zu ihrem Enkel. »Mir ist das Annedorle immerfort im Kopfe gelegen, und ich hab' gemeint, sie paßt just zu dir. Aber wie sie jetzt ist, da wird mir's manchmal angst: das wird immer schlimmer, je mehr's auf die Hochtzig losgeht; was soll da hernachen erst werden!«
»Laßt's nur gut sein, Fräle,« sagte dann der Fritz. »Manchmal möcht' ich auch mit den Fäusten dreinhaun, aber hernachen würd's erst recht schlimm und nicht wieder gut zu machen. Und das ist nix, sondern Verstand macht den Mann. Paßt auf, es ist weiter nix, als die alt' Heiterethei, die sich noch geschwind in ihr will austoben. So einem alten Fritz oder Christlieb oder meinetwegen so einen alten Adam hat jeder Mensch in sich stecken; der muß einmal heraus. Und das weiß ich aus Erfahrung; der alt Fritz hat auch am ärgsten in mir gewirtschaft't, wie er gesehn, nun wird's Ernst, daß er 'raus muß. Bleibt ihr nur immer wie bisher. Der alten Heiterethei wär's selber lieber, man braucht Gewalt; da könnt' sie sich erst recht verstecken.«
Aber nicht allein von der Heiterethei kam ihm Anreizung, seiner Philosophie zu vergessen und wieder vom »alten Fritz« besessen zu werden, welchen bösen Geist er mit so viel Kraft seither hatte von sich abzuhalten gewußt.
Hat man einen Popanz in die Kirschen gesetzt, damit er die Sperlinge abhalten soll, dann lähmt das graue Diebesvolk erst ein allgemeiner Schrecken. Sein bloßer Anblick scheucht sie schon davon. Nur hier und da findet sich ein kecker oder durchtriebener Kopf, der sich nahe genug wagt, das Schreckbild genauer anzuschauen. So grimmig dem Popanz der verbogene Hut sitzt, bald kommt der Wagling auf den Gedanken, es möge wohl kein Kopf darunter stecken. Einmal, zweimal flieht er wohl unwillkürlich, wenn der Popanz sich zornig schüttelt. Aber er sieht, der schüttelt sich nur, wenn der Wind weht; wie nahe liegt der Schluß, Wind bewegt ihn, er nicht sich selbst! Und warum kommt der Popanz nicht und verfolgt den Wagling, der nun schon in kleiner Entfernung vor seinen Augen, wenn er welche hat, Kirschen nascht? Aber nur ein wenig näher, und der Wagling sieht, er hat keine, er hat gar keinen Kopf, er hat wirklich keinen Kopf. Der Wagling macht durch sein Beispiel anderen Mut, dieser wieder anderen. Nicht lange und das ganze graue Volk verhöhnt den Popanz, den es im Kreise umzirpt, und bald sitzt der Furchtsamste darunter dem armen Popanz auf der schlagenden Hand und läßt sich triumphierend mit ihr vom Winde schaukeln.
Ähnlich wie dem Popanz mit den Sperlingen ging es dem Fritz mit den Burschen seiner ehemaligen Kameradschaft; der Unterschied lag nur darin, daß der Fritz kein Popanz war.
Daß er von einem Mädchen sich in den Morast rennen lasse, das hatte den Burschen die Augen geöffnet über das Wahnbild seiner vermeintlichen Kraft. Sie hatten sich's so lange und so laut in allen Wirtshäusern vorgeschrien, bis sie es selber glaubten: nicht die Kraft des Fritz, sondern die Macht der Meinung von derselben hatte die Wundertaten vollbracht, die man jener sonst zugemessen. Es hatte sich keiner ihm ernstlich gegenübergestellt, weil man gemeint, es sei doch vergeblich. Und wo man nicht in dieser Täuschung befangen war, da hatte man es mit dem besten Erfolg getan. Der und der hatte den Fritz bezwungen, aber niemand hatte es ihnen geglaubt. Und diese waren bei weitem nicht einmal die Stärksten gewesen.
Das alles war dem Fritz nicht fremd geblieben. Es ist leicht, bescheiden auf einen Vorzug zu sein, der allgemein anerkannt ist. Als seine Stärke bezweifelt wurde, stieg sie ihm wieder im Preise, und seine neue Philosophie hatte schwere Proben zu bestehen, um so schwerere, je mehr er seine Gesundheit wiederkehren fühlte. Es gab Augenblicke, wo er das Wort bereute, das er sich selbst gegeben, nie wieder an einem Schenkorte handgemein zu werden. Die schwerste Probe stand ihm heute bevor.
Zum erstenmal wieder seit dem Gründer Markt besuchte er einen öffentlichen Ort. Die Heiterethei begleitete ihn, und es war ein schöner Anblick, als die beiden hohen, blühenden Gestalten geputzt nebeneinander nach dem Schützenhofe gingen. Die Musik tönte ihnen schon von weitem entgegen.
In der Heiterethei war ein wunderlicher Kampf. Von dem schönsten Burschen zum Tanze geführt zu werden, schien ein Vorzug, der einem Mädchen schmeicheln konnte. Aber die Leute mußten sagen: »Seht, da kommt die, die immer die Männer verhöhnt hat und die Mädle, die Männer genommen, und nun nimmt sie selber einen. So lange hat sie stolz getan, als sie keinen hat gehabt; da sieht man, es war nur Neid und Ärger.« Unwillkürlich ging sie immer so entfernt vom Fritz, als nur möglich war, und tat, als ob sie gar nicht zu ihm gehöre.
Im oberen Stübchen neben dem Tanzsaale war nur noch ein Tisch frei. Daran setzte sich der Fritz und ließ etwas zu trinken bringen. Die Heiterethei nahm an dem andern Ende Platz. Sie trank keinen Tropfen und kehrte sich wenig an den Fritz,
An den übrigen Tischen trank man, um sich Mut zu machen, desto mehr, und nicht lange, so begann das Mittel zu wirken. Von allen Seiten wurden Spottreden laut. Der schlimmste unter all den Sprechern war der Adams-Lieb. Jeder Rede folgte erst ein halbunterdrücktes, und da der Fritz ruhig blieb, als hörte er nichts, ein immer lauteres Lachen.
»Ich möcht' wissen, wie sich's im Zehntbach lag,« lachte der Adams-Lieb.
»Ich sollt' doch meinen, es müßt' sich weich drin liegen,« sagte einer von einem anderen Tische.
»Und kühl,« meinte einer aus einer Ecke heraus.
»Sonst würd' sich einer nicht hineinlegen lassen,« lachte der Adams-Lieb wieder.
Der Fritz stand auf. Wie die hohe, kräftige Gestalt dastand, war es doch, als hätte sich der alte Respekt wiedergefunden. Einen Augenblick hielt ängstliche Erwartung aller Atem an. Der Heiterethei braune Augen lachten einmal wieder von Stolz und Freude. Aber draußen hatte eben ein neuer Tanz begonnen. Der Fritz war nur aufgestanden, die Heiterethei in den Saal zu führen und sich mit ihr unter die Tanzenden zu mischen. Die Spottredner faßten neuen Mut, aber auf der Heiterethei Wangen zeigten sich im bunten Wechsel die weißen Druckflecken mit dunklem Rot. Hinter dem Paare her tönte wiederum das Gelächter über des Adams-Lieb und seiner Genossen Spaße.
In der Tür riß sich das Mädchen von seinem Arm los und sagte leise, aber heftig: »Ich geh' nach Haus. Du kannst dableiben. Du hörst wohl solche Reden gern.«
Es war, als schüttelte eine unsichtbare Hand die Gestalt des Holders-Fritz zusammen. Es war ein Ruck, vor dem seine Brust den ganzen Atem ausstieß in einem hörbaren Hauche. Dann sagte er mühsam leise, indem er die Hand gegen die Brust stemmte, wie um keinen zu lauten Ton herauszulassen: »Wenn du auch noch hilfst, du soll'st mich lieber helfen halten.«
Die Heiterethei lachte halb zornig, halb geringschätzig: »Sieht nicht aus, als braucht'st du einen, der dich hielt. Du bist ja der stark' Fritz, mein ich, der wird sich doch allein können halten. Ich geh' aber nu, und mich hält niemand, das sag' ich dir!«
Der Holders-Fritz hielt sich wirklich mit beiden Händen an den Rockklappen vor seiner Brust fest. »Das ist die Prob',« redete er in Gedanken auf sich ein, »ob du ein anderer Kerl worden bist wie vordem. Und wenn du die nicht hältst, hernachen ist deine ganze Änderung nix, als ein dummer Jungenstreich gewest, wie die vorher, nur wieder ein anderer. Dein Wort mußt du halten. Das sag ich dir; du bleibst ruhig, und wenn der Teufel selber in die Heiterethei führ. Sie soll sehn, und alle sollen's sehn, daß der Mann nicht im Wildtun steckt.« Dann wandte er sich so ruhig zur Heiterethei, daß die sich darüber ärgerte: »Wenn du willst gehn, ich bezahl nur, und hernachen geh ich mit.«
»Ich kann auch allein gehn; ich fürcht' mich nicht,« entgegnete sie.
»Brauchst nicht zu spotten,« sagte der Fritz. »Ich sag dir nur, ich hab' den Saal da wohl zwanzigmal geräumt und schäm' mich jetzt deshalb, und du selber hast mir's verdacht, und wenn du mir's jetzt verdenkst, daß ich's nicht tu, so sag ich dir doch: so stark bin ich in dem Saal noch nicht gewest, als jetzund.«
Draußen trug der Fritz dem Schützenwirt auf: »Ihr könnt den Burschen drinn'n sagen, sie sollen morgen abend in meinen Garten in den Stadeln kommen. Es ist der Vorabend vor meiner Hochtzig, und Ihr könnt ein paar Eimer Bier hinbringen.«
Der Wirt ging in den Saal, und der Fritz und die Heiterethei konnten noch einen Flintenschuß weit davon das Jubelgeschrei der Burschen hören über die Einladung. Diese legten die Burschen natürlich so aus: Der Fritz wolle sich wieder beimachen. Sie stolzierten um einen ganzen Kopf gestreckter, als zuvor, vor ihren Mädchen einher. Er hatte die Herausforderung, den Ruf seiner Kraft wiederherzustellen, mit der Flucht beantwortet. Morgen aber sollte er Stich halten müssen. Da wollten sie ihm zeigen, daß es noch andere Leute gäbe, die's eher verdienten, der Starke zu heißen, als der Holders-Fritz.
Die Heiterethei erlebte das alles in ihren Gedanken mit. Sie ließ sich nicht vom Fritz führen und war so übermütig, aber auch so bitter als noch nie. Wenn sie ihn wie ein Kind behandelte, und ihm über kleine Gräben weghelfen wollte oder ihn fragte, ob er auch noch heil und ganz sei, und ob sie ihn nicht halten solle, damit er dem Stein, über den er gestrauchelt, nichts tue, da faßte der Fritz noch mehr als einmal nach seinen Rockaufschlägen.
Das Fräle daheim wußte heute noch weniger als die Tage her, wie sie mit der Heiterethei daran war.
Die Nacht war vorüber, der Vorabend der Hochzeit war gekommen. Die Heiterethei erschien den ganzen Tag in derselben Laune, wie gestern; bei sich hielt sie immer den Gedanken fest, wenn's ihr einfiele, heute noch in ihr Häuschen zu gehen und nicht wieder zu kommen. Morgen war sie dann vor Sonnenaufgang mit dem Liesle auf dem Weg.
Die eingeladenen Burschen fanden sich alle ein und waren erstaunt, auch die älteren Kampfhähne der Gegend, die früher mit dem Fritz um den Preis der Stärke gewetteifert hatten, da zu finden. Der Fritz und seine Gesellen hatten den Tag über mit in den Grasboden eingeschlagenen Stecken und darauf genagelten Brettern Tische und Stühle aus dem Stegreif hergestellt. Es war lustig beim Biere – denn auch der Schützenwirt und das bestellte Getränk blieben nicht aus – in dem großen Gras- und Baumgarten zu sitzen.
Es dauerte auch gar nicht lange und ein herausforderndes Wort um das andere ließ sich vernehmen. Der Fritz konnte sich kaum all derer erwehren, die ihn zu einem Ringkampfe im Spaße auf dem weichen Rasen einluden. Vergebens gab er sein neues Glaubensbekenntnis zum besten: wer stark sei, solle Gott danken und seine Stärke zur Arbeit anwenden, und wenn etwa ein Unglück oder ein Unrecht an ihm oder an andern Abwehr fordere. Sein Widerstreben machte sie nur dringender. Die Heiterethei war am schlimmsten. Und da man ihn sonst dazu gezwungen hätte, seine Kraft mit den Angreifern zu messen, so machte er den Vorschlag, damit wenigstens bis vorm Nachhausegehn zu warten. Und dieser wurde endlich, doch nicht ohne Widerstand, angenommen.
Wie man im besten Schreien und Trinken war, trat der älteste Geselle des Fritz, in der Heiterethei alten Kleidern, die er zu erhaschen gewußt, wunderlich verkleidet, unter die Gäste. Er sagte, er sei das Annedorle und habe vom Zainhammer heim seinen Schiebkarren in dem weichen Boden unten am Bache festgefahren. Ob ihm nicht einer der Anwesenden, der stärker sei, den Karren herausholen wolle?
Da entstand ein allgemeiner Aufbruch. Man sah, es sollte eine Kraftprobe gelten, da war jeder dabei. Nur der Fritz schien ungehalten, daß des Gesellen alberner Einfall das Fest störe. Er redete seinen Gästen zu, hierzubleiben und ihn allein wieder gehen zu lassen. Aber sein Zureden half nichts, und halb willenlos wurde er den Abhang mithinuntergezogen, wo der Schiebkarren, schwer bepackt, wirklich im weichen Rasen festgefahren erschien.
Jeder wollte nun der erste sein, den Karren wieder herauszuholen. Darüber kam keiner dazu, und ein Älterer machte den Vorschlag, die Reihe des Zutritts durch Lose zu bestimmen. Das geschah; nur der Fritz schloß sich aus.
Und nun begann ein ähnliches Schauspiel, als am Abende des Gründer Marktes das Reicker Wirtshaus gesehen. Eine wahre Musterkarte aller beim Aufheben eines Schiebkarrens möglichen Stellungen entfaltete sich. Da sah man die Siegesgewißheit lachend zu dem Karren eilen und den Ärger der getäuschten Hoffnung, fluchend und die Gelenke zurechtrückend, wieder davonhinken und endlich mit lautem Gelächter über das gleiche Schicksal anderer sich trösten.
Dem Fritz mochte der Anblick nicht behagen: er ging wieder hinauf, wo man erst gesessen hatte, und man verlor ihn aus den Augen.
Nun hatten sich die sämtlichen Gäste ohne Erfolg an dem Karren versucht, und einstimmig war man der Meinung, es sei ein Vexierspiel. Den Karren vermöge kein einzelner herauszuheben und sei er der Stärkste.
»Vielleicht,« lachte die Heiterethei, die den vergeblichen Bemühungen mit Jubel zugesehen, »ist der Karren so verhext, daß ihn nur ein Weibsbild kann herausbringen.«
Alle redeten ihr zu, es zu versuchen. Man hätte gern noch eine Weile auf fremde Kosten gelacht, um sich für den Hohn, den man soeben erlitten, zu entschädigen.
Die Heiterethei tanzte in den Karren. Sie dachte an ihren Triumph über Schneider, Weber und Schmied. Aber der Karren war doch schwerer, als der ihre damals gewesen. Gelang ihr schon mehr als den anderen, hob sie ihn auch, von der Stelle rückte sie ihn doch nicht.
Indem brachten der Adams-Lieb und noch einige den Fritz den Abhang heruntergeführt.
»Was einem recht ist, das ist dem andern billig,« schrie der Adams-Lieb. »Wir sind alle ausgelacht worden, das muß sich der Fritz auch lassen gefallen.«
»Ja,« schrie ein anderer, »er soll hernachen nicht können sagen: Wenn ich nur gewollt hätt', ich hätt' ihn 'rausgebracht.«
Der Fritz wehrte sich vergebens, die Kinderpossen mitzumachen, wie er sagte. »Und was wär's denn nun? Ob ich ihn 'rausbrächt oder nicht, deshalb wär' ich um nichts besser und um nichts schlimmer, als ich bin und ihr alle miteinander nicht.«
»Ja,« sagte der Adams-Lieb, »dann hieß es: Das sind alles Jungen gewest, der Holders-Fritz ist allein einer.«
Ein anderer meinte: »Und hernachen glaub' ich auch, der Fritz hat's selber angestellt, damit die Leut' über uns könnten lachen.«
»Soll ich?« fragte der Holders-Fritz die Heiterethei, die neben ihm stand.
»Nein!« entgegnete die zornig.
»Was Schlimmer's kann nicht werden,« sagte der Fritz, »als daß sie mich auslachen. Und da kann keiner mir was vorwerfen, sie sind alle ausgelacht worden.«
»Aber ich kann's nicht leiden,« erwiderte die Heiterethei noch zorniger. »Dich sollen sie nicht auslachen.«
»Ja, er hat's selber angestellt! er hat's selber angestellt!« schrie alles durcheinander. »Da kriegt's einer wohlfeil, daß es heißt, er ist allein der Starke. Er soll sich auch auslachen lassen, oder er ist kein ehrlicher Kerl.«
»Ja, wenn ihr mir so kommt!« sagte der Fritz; »laß mich nur, Dorle, vielleicht lachen sie nicht.«
Er stand schon im Karren und bückte sich.
Die Mäuler, die schon zum Lachen aufgerissen waren, blieben vor Verwunderung offen, wie man den Karren gehoben sah, und als ihn Fritz nun vollends noch quer den Abhang hinauffuhr, da öffneten sie sich noch weiter. Aber es war kein Gelächter, was herauskam, sondern ein Ausruf des Staunens.
Dem Fritz aber schien es so wenig um ihre Bewunderung zu tun, als er sich vor ihrem Lachen gefürchtet. Oben ließ er den Schiebkarren aus den Händen und sagte: »Ich hab' euch euren Willen getan, nun laßt das Bier nicht noch matter werden.«
Alles setzte sich schweigend vor Ärger, Scham und Bewunderung. Von einer ferneren Einladung zum Ringkampfe war den Abend nichts zu vernehmen. Vielmehr erhob sich, da man dem Biere wiederum zugesprochen, der alte Preis des starken Fritz so laut, als je zuvor. Aber dem Fritz gewann er nicht das leiseste Lächeln ab. »Laßt das dumme Zeug,« sagte er; »wie ich gestern eure Reden ruhig angehört hab und gangen bin, das war hundertmal mehr, als das mit dem Karren.«
Die Braut aber saß schweigend dort, und die Druckflecken zeigten sich wie gestern mit dunkler Röte auf ihren Wangen.
Als alles aufgebrochen war und der Fritz sie nach Hause führen wollte riß sie sich los. »Daß du's schon anfängst?« sagte sie, mühsam das Weinen vor Zorn unterdrückend. »Ich bin nicht, wie meine Mutter war, das sag' ich dir, und gefallen lass' ich mir nix. Jetzt hol' ich das Liesle; die Nacht schlaf ich in meinem Häusle; mach' du, was du willst; ich mach's auch. Und so ist's und nu ist's fertig.«
»In deinem Häusle kannst du nicht schlafen,« sagte der Erstaunte, indem er sich an seinen Rockaufschlägen faßte. »Und das. Liesle schläft nunmehr. Das wirst du nicht aus dem Schlaf aufwecken. Ich halt' dich nicht, das hab' ich dir tausendmal gesagt; daß mir's wehtut, wenn du gehst, .das weißt du selber. Und deshalb kannst du immer die Nacht noch bei meinem Fräle bleiben. Da bist du doch so gut aufgehoben, wie du's in deinem Häusle wär'st. Wenn du's willst, gehen wir an deinem Häusle vorbei; ich hab' so im Sinn gehabt, daß ich dich morgen hin wollt' führen vor der Trauung.«
Das Mädchen erwiderte nichts, sie ging aber voran nach ihrem Häuschen zu, sie sehnte sich danach; vierzehn Tage lang hatte sie es nicht gesehen. Der Fritz, in dem eine neue Hoffnung aufgegangen war, drang ihr seinen Arm nicht auf, sondern folgte der Eilenden schweigend.
Es war eine jener lauen Sommernächte, wo man meint das Gras wachsen zu hören. Die Halme, von der Hitze des Tages auf die Erde niedergebeugt, tranken sich im Tau wieder frisch und richteten sich leise knisternd in die Höhe. Was unter dem weichen Mantel der Nacht Lebendiges sein Wesen treibt, das raschelte am Boden hin oder durchschnitt im zackigen Fluge die Luft. Da trommelte der Otternbrutfänger Igel, der stachelgeharnischte, sich selber zu seinem Marsche den Takt, die Nachtfalter rannten mit ungeschickter Galanterie die Blumen an, denen das Ständchen galt, das sie mit schweren Flügeln absummten. Die Grillen durchstachen der Nacht die schwarzen Ohren mit ihrem spitzigen Gesänge. Der geizige Hamster zankte seine eigene Frau von seiner Haustür hinweg. Hie und da stieg ein Kater im Grase umher und schüttelte vornehm nach jedem Tritte den Tau von den hochgehobenen Pfoten.
Von all diesem Leben und Treiben an seinem Wege bemerkte unser eilendes Paar, in seine Gedanken versunken, nichts. Eine Weile schritten sie zwischen grünen Hecken hindurch, dann an der alten grauen Stadtmauer hin. Jetzt kamen sie unter die Weiden. Die Heiterethei blieb plötzlich stehen. Dort, wo sie ihr Häuschen wußte, schimmerte etwas hell durch die Nacht. Das alte graue Häuschen konnte das nicht sein. Was aber war es sonst? Hätte der Mond hoch am Himmel gestanden, sie hätte gemeint, er vergolde mit einem Streiflichte das alte Dach; aber er kam erst hinter dem Felsen an dem Häuschen in die Höhe. Der Fritz teilte ihr Erstaunen nicht; er lächelte, wie einer, der eingeweiht ist in das Geheimnis, dessen Eröffnung einen anderen überraschen soll. Wenn er noch schneller eilte, als die Heiterethei, so geschah's, um, was in ihr vorgehen möchte, in ihrem Gesichte zu lesen.
Und es war doch ihr Häuschen! Und war es doch auch nicht. Seine äußeren Umrisse waren es aber auch nicht, die es seit seiner traurigen Veränderung durch den letzten Regen gezeigt. Es hing nicht mehr im Innersten zerknickt an dem Fels, es stand mit wagrecht abschneidendem First gerad empor, so gerad, als sich die Heiterethei' nicht erinnern konnte, daß es gestanden hätte. Je näher sie kam, desto mehr Neues fiel ihr daran auf. Nicht allein die Lücke in der Lehmwand, die ganze alte Wand war fort. Dafür zeigte sich ein Netz aus schlanken Balken gewebt und die Maschen mit Feldern von rotschimmernden Ziegelsteinen ausgefüllt, oben darauf ein lustiges Ziegeldach.
Sie stand wie selbst versteinert davor, bis der alte Holunder aufrauschte wie vor Freude oder Schmerz des Wiedersehens. Da brach ihr ein Strom von Tränen aus den Augen, und sie rang die Hände und rief nur immer wieder aus dem tiefsten Schmerz heraus: »Ach, mein gut, alt Häusle! Ach, mein gut, alt Häusle!«
Erst meinte der Fritz bei sich: »Nu adje, alte Heiterethei! Nu muß sie heraus!« Als aber das Mädchen nicht aufhörte, über ihr altes Häuschen zu jammern, da ging's ihm selber nahe und er bereute fast, was er so gut gemeint.
»Aber Dorle,« sagte er begütigend, »es ist ja dein alt Häusle noch, wenn's auch einen neuen Rock an hat gekriegt. Inwendig ist es noch grad so, wie es gewesen ist. Und der alt Holunderbusch, der hat nicht ein Ästle eingebüßt. Den hab' ich bewacht, wie wenn er mein Bruder wär'. Auch nicht das Rotschwänzchennest darauf ist weg.«
»Nein,« sagte das Mädchen, »mein Häusle ist das nicht mehr. Das geht mich nix an. Ich hab' gedacht, wenn's nicht mehr geht, zieh ich wieder in mein alt Häusle, und nu hab' ich keines mehr. Nun hab' ich nix mehr auf der Welt. Nun kann ich fort in die Fremd'. Da hab' ich nu nix mehr zu suchen.«
Der Fritz bewegt die eine Hand schon halbwegs nach den Rockklappen, indem er erwiderte: »Ich hab' freilich nicht gedacht, daß du die Sach' so wirst ansehn. Aber das ist's auch nicht. Du weißt's recht gut, daß ich's nur hab' aus Lieb' getan.«
»Ja,« sagte die Heiterethei, »damit du mich recht könnt'st plagen, und ich wüßt' nicht wohin! Deshalb hast du's getan. Du hast's fortgetan, damit ich nix mehr hätt' und dich müßt' nehmen.«
Der Fritz redete in sich hinein: »Das ist die alt' Heiterethei, und du willst ein Mann sein!« Mit Gewalt an sich haltend, fuhr er gegen das Mädchen gewandt fort: »Das wirst du doch einsehen, daß das Häusle so nicht hat können bleiben. Der nächst Regen hätt's vollends weggeschwemmt,«
»Ja,« sagte die Heiterethei immer zorniger. »Du hast dich geschämt, daß das Häusle ein arm Häusle ist gewest. Da hast du müssen zeigen, daß du ein Reicher bist. Ich hab's allein nicht gewußt, daß ich arm bin, und da hast du mir noch mein Häusle müssen nehmen, damit ich's nur recht soll fühlen, daß du ein Reicher bist und ich bin arm.«
Der Fritz hatte Mühe, sich zu halten. Er sagte sich: »Wenn das Eis geht, da gibt's auch ein Geprassel; hernachen wird's von selber still. Guck, Dorle, hätt' ich mich geschämt des Häusles wegen, so hätt' ich's lassen gehn. Und dich zwingen, wie du vorhin hast gemeint, das ist mir auch nicht eingefallen. Eben darum, weil du immer mit deinem Häusle hast gedroht, und du hast sollen sehn, daß ich dir keine Gewalt hab wollen antun.«
»Ja,« sagte die Heiterethei noch zorniger, »sag', was du willst; was ich seh', das seh' ich. Du hast mich wollen los werden. Ich bin einmal nicht wie andere Leut', drum bin ich auch überall zu viel. Du hätt'st mich's nicht so merken zu lassen gebraucht. Ich wart von selber nicht, bis die Leut' sagen: nu kannst du gehn. Und ich geh auch, wenn schon du mir mein Häusle hast genommen. Du denkst Wunder, was du bist. Ich hab nicht auf dich gewart't, bis du kommen bist. Ich brauch keinen, und dich gar nicht. Mach, was du willst, ich mach's auch. Und so ist's, und nu ist's fertig!«
Der Fritz hatte sich wiederum erst mit beiden Fäusten fest gepackt. Aber er sah, die alte Heiterethei spottete aller milden Mittel. »Nun muß es biegen oder brechen. Nun mög daraus werden, was da will. Das ist kein Fieberhund jetzund; das ist die wahre Mannesehr', und die muß aufrecht erhalten werden. Aber ruhig, Bursch, und ohne Wildtun!« So dachte der Fritz bei sich, spuckte in Gedanken in die Hände und brach los:
»Ich denk Wunder, wer ich bin? Und was denkst du denn, was du bist? Ich will dir sagen, was du bist. Ein albern's Mädle bist du, das selber nicht weiß, was es will. Das da meint, nu ist's was Recht's, wenn du nur immer was anders willst, als andere Leut'. Armut ist keine Schand', wenn man sie nicht selber hat verschuld't; aber sie ist auch nix, womit man groß kann tun, wie du's machst. Aber ein Arm's kann sonst Tugenden haben. Und die sind's hernachen wohl, worauf du so stolz bist? Nein, du meinst, der Stolz selber ist eine Tugend; und da bist du stolz, daß du stolz bist. Oder ist's, weil du meinst, du bist stark und kannst ärbeten? So stark du bist, ein Pferd ist doch sechsmal so stark und ärbet dich sechsmal weg. Da kann's auch noch sechsmal so stolz sein, als du. Das macht den Menschen aus, daß er Vernunft hat; aber Vernunft hast du nicht viel mehr wie ein Pferd, sonst wärst du nicht stolz. Ja, du meinst, das ist Vernunft, daß du schnippisch kannst tun und machen, daß Leut', die auch nicht mehr denken als du, über Ding' lachen, wo du und die Lacher erst euch die Müh« geben solltet, sie zu begreifen. Das ist Vernunft, daß einer sucht, die Welt zu verstehn, und was er darin soll sein und soll ärbeten, daß er das auch wirklich wird. Aber nicht, daß einer wider den Strom will schwimmen und sich einbilden, er ist allein gescheit, und die ganze Welt ist konfus, und er ist noch groß im Recht, wenn nicht der ganze Strom umwend't und schwimmt mit ihm bergauf. Das ist Vernunft, wenn man den Leuten erweis't, was man ihnen schuldig ist, und ist nicht unbillig gegen sie in seinen Gedanken. Die Leut' aber, gegen die du's hast, das sind Fieberleut', und die sind nirgend als in deinem Kopf. Und auch daran ist dein Hochmut schuld. Die wirklichen Leut' haben mehr zu tun, als daß sie Tag und Nacht nur an dich dächten und was sie dir zum Trotz wollten tun. Die wirklichen Leut' sind freilich auch nicht alle vernünftig, und man wär's selber nicht, wollt' man sich nach allen richten. Die Unvernünftigen läßt man gehen. Denen tut man zu viel Ehr, man mag ihnen zu Gefallen oder zum Trotz wollen leben. Und wer ihnen alles zum Trotz will tun, der richtet sich eben auch nach ihnen, wie der zu Gefallen, und ist recht mit Wissen und Willen ihr Knecht. Das, was die Vernünftigen von uns meinen, das sollen wir nicht verachten. Aber wir sollen's auch nicht zu sehr achten, denn die Vernünftigen sind noch nicht die Vernunft selber. Man muß nix darauf geben, was sie überhaupt sagen, sondern darauf, was sie sagen täten, wenn sie unsere Sach' so kännten, wie wir selber. Darum müssen wir eben selbst vernünftige Leut' werden und dürfen keinen Fieberhund für einen wirklichen oder gar für was noch Besseres ansehn, er mög' sich gebärden, und sagen, was er will. Du meinst's, das ist was Recht's, wenn du ein Erdäpfelfeld umhackst, aber an dir selber hackst du nicht, und wenn du in deinem Unkraut tät'st ersticken. Über das Unkraut auf einem Feld schimpfst du, und auf das Unkraut in deinem Kopf, da bist du stolz. Du willst die Männer verachten und die Weiber; wenn du doch verständet, was das ist: ein Mann und ein Weib! Hernachen würd's du nicht darüber spotten, sondern gäb'st dir Müh', daß du eins wirst. Deine Fieberhünd' hab ich mir seither lassen gefallen, weil ich gemeint hab, du wirst sie selber abschaffen. Aber nu seh ich, es werden ihrer nur immer mehr, je geduldiger ich bin. Du sollst Respekt haben können vor mir, und ich will Respekt haben vor dir; sonst müßt' ich dich nicht lieb haben, wenn mir's gleichgültig wär', wie du bist. Ich zwing mich dir nicht auf, aber ich bettel mich dir auch nicht auf. Das Häusle da ist dein; ich hab' nix dran zu suchen. Du kannst wieder hineinziehn. Du kannst machen, was du willst. Dir wehtun wollen hab' ich nicht und würd's nicht, und wenn wir hundert Jahr lang wären getraut; aber wenn ich heirat, will ich der Mann sein. Nu weißt du, was ich von der Sach' denk' und von dir. Danach kannst du dich entschließen. Und so ist's, und nu ist's fertig!«
Noch im Sprechen hatte er jeden Augenblick gemeint, jetzt werde die Heiterethei aufbegehren und ihr Verhältnis vollends zerreißen. Er fühlte, er habe sie so lieb, als ein Mann ein Weib nur haben könnte. Er fühlte das um so stärker, je gewisser er meinte, er spreche ihrem Zusammensein jetzt das Todesurteil. Um so überraschter war er, als sie auch nun noch schwieg, da er seine Rede geendet hatte. In ihrem Gesichte konnte er, da der Mond sich in dicke Wolken gehüllt hatte, nicht lesen. Er horchte auf ihren Atem; sie atmete nicht rascher als sonst. Erwartete sie, daß er doch noch sich aufbetteln würde? Dann hatte sie sich geirrt. Er war sich bewußt, so viel Geduld gezeigt zu haben, als ein Mann nach seiner Meinung zeigen durfte. Und die Strafrede war er sich und ihr schuldig gewesen. Deshalb schwieg er auch. Sie wandte sich endlich langsam, zu gehen, und er folgte ihr. Auf dem ganzen Heimwege sprachen beide kein Wort. Das Fräle hatte mit dem zu Bette gehen auf die Heiterethei gewartet. Der Fritz sagte gute Nacht und ging stolz und doch herzensbedrängt nach seiner Werkstatt in den Stadeln. Er fühlte, daß seiner Erklärung heute kein anderweitig Gespräch mehr folgen dürfe, sollte sich ihr Eindruck nicht verwischen.
Draußen aber hoben sich immer noch tauerfrischte Halme, trommelte der Igel, trieben die Nachtfalter ihre ungeschickte Galanterie fort, die Grillen zirpten, die Hamster zankten, die Kater schüttelten noch immer den Tau von den gehobenen Pfoten. Jedes hatte mit sich zu tun. Das Häuschen schimmerte unbekümmert; nur der Holunderbusch schien zu ahnen, was diese Nacht in zwei liebenden Menschenherzen vorging. Er rauschte leiser, wie um sie nicht zu stören.
Der folgende Morgen fand das ganze Haus des Holders-Fritz schon wach. Es war ja der Trauungstag seines Hauptes. Er selber kam mit der Sonne von seiner Werkstatt herein. Nur die Braut ließ sich nicht sehen. Die Trauung sollte früh vollzogen werden. Das Holders-Fräle fand die Heiterethei noch schlafend, als sie ihr den gestrigen Anzug von dem Stuhl an ihrem Bett hinwegnahm und das Brautkleid dafür hinlegte. Auch für das Liesle war ein festlicheres Gewand besorgt worden. Das schlief in einem besonderen Bette.
Der Holders-Fritz konnte seine Unruhe kaum verbergen, als Viertelstunde um Viertelstunde verging und das Mädchen nicht zum Vorschein kam. Das Holders-Fräle merkte ihm seinen Zustand an und ging, nach ihr zu sehen. Gleich darauf kam sie erschrocken wieder. Sie schlug die Hände zusammen und sagte: »Die Schand'! die Schand'!«
Der Fritz fragte nicht. Er begriff, das Fräle hatte sie nicht gefunden.
»Wenn sie nicht unten am Brunnen ist,« unterbrach er sie.
»Ich hab' mir's seit jenem Tag vorgestellt,« sagte das Fräle, »wo sie so wunderlich ist worden. Und die ganze Nacht hab' ich sie hören lachen. Daß das meinem Tichterle muß geschehn!«
Der Fritz wurde fast zornig. »Aber sie ist da,« behauptete er, »und sollt sie in jenem Schrank dort stecken.« Er wollte die Gewißheit so lange von sich abhalten, als ihm möglich wäre. »Und macht kein Lärmens davon. Das wär' manchen Leuten just recht, wenn's herumkäm'. Und es wär' doch nicht wahr! Macht eure Sach' ruhig fort, Fräle. Es ist noch eine Viertelstund' Zeit. Bis dahin ist sie wieder da.«
Und so war es wirklich.
Aber die Klinke ging lange vorher, ehe die Tür sich auftat, und die Tür stand lange auf, ehe jemand darin erschien. Und die Heiterethei, denn sie war der Jemand, wäre, wer weiß noch länger auf der Schwelle stehengeblieben, hätte das Fräle sie nicht hereingeholt.
Dem Fritz war es schwerer, als es zu sagen ist, seinen inneren Jubel zu verbergen. Er gab ihr schweigend die Hand und fühlte die ihre in der seinen zittern.
Das Fräle begriff nicht, wie ihr das Kleid zu geworden sei.
Die Heiterethei entgegnete, die alte Annemarie habe sie aufgesucht und ihr diesen Dienst geleistet.
»Und wo ist sie denn?« fragte der Fritz. »Ist sie draußen? Fräle, hol sie doch herein.«
»Wie ich 'runter an den Brunnen bin gangen,« sagte die Braut scheu, »da ist sie wieder heim.«
»Und da sagst du,« warf ihr der Fritz vor, der begriff, was die Heiterethei dachte, »wir schämen uns deiner, und du bist's, die sich unser schämt. Und wenn wir so wären, wie du meinst, dann hätt'st du auch Ursach' dazu. – –«
So klein der Fritz, seinen Grundsätzen getreu, seine Hochzeit hielt, mehr Aufsehen konnte die »größte« nicht machen. Die Straßenecken, wo das Brautpaar vorbeikam, hatten das Ansehen eines Bienenstockes, der eben schwärmen will. Die Kirche war so voll, wie nur selten während des Gottesdienstes. Da die Warnungen nicht gefruchtet hatten, ging nun das Prophezeien los und das prophezeite Unglück wär' für zehn Paare zu viel gewesen, geschweige für eins.
Wir schweigen von alledem und versichern nur, daß vielleicht nie ein schöneres Paar in Luckenbach zusammen in die Kirche gegangen ist.
Die Braut hatte schon oft den Bräutigam angesehen, ja schon die Lippen geöffnet gehabt, dem Bräutigam etwas zu sagen, und doch geschwiegen und, wenn der Fritz fragte: »Du willst mir was sagen, Dorle?« die Augen wieder weggewandt und leise geantwortet: »Wart' nur. Jetzt noch nicht.«
Als sie nach beendigter Trauung wieder aus der Kirche heraustraten, fiel ein leichter Wolkenduft wie ein zarter Schleier in kleinen, leisen Tröpfchen auf sie herab und regnete Gold in den Kranz der Braut, wie der Volksmund sagt.
Jetzt flüsterte sie: »Ich weiß nicht, ob sich's schickt und ob du's auch magst; ich möcht' gern an meinem Häusle vorbei zu dir.«
»Warum zu mir?« fragte der Fritz, indem er zur Antwort den Weg nach dem Häuschen einschlug. »Du kannst nun ebensogut sagen: zu dir oder auch zu uns. Wenn du nur allemal denkst, daß du zu mir willst, wenn du heimgehst in unser Haus, da will ich zufrieden sein.«
Es war kein unnützer Einfall, der dem Fritz jetzt kam, nach dem Häuschen zu einen Umweg zu machen. So verloren sie die Gaffer endlich und kamen allein und unbeachtet bei dem Häuschen an.
Ein schönerer Vormittag ist nicht leicht gewesen. Kein Wölkchen am Himmel, und der alte Holunderbusch hat von dem leisen Sprühregen her ein Hochzeitskleid an, weit prächtiger, als der rote Kirchenfrack des Meisters Schramm; das blinkt und funkelt durcheinander wie tausend Diamanten, wenn er nach seiner Art in sich hineinlacht; und so herzlich und selig in sich hineingelacht, wie heute, hat er noch nie. Das erneute Häuslein unter seinen Flügeln glänzt, als wär es selber eine Braut. Der Fels an seiner linken Flanke hatte über sein graues Hemd einen Rock angetan, aus den schönsten rotesten Pechnelken gewebt, auf seinem Haupte einen grünen Hut wie ein Tiroler. »Siehst du,« redete er mit hundert rauschenden Stimmen auf das Häuschen hinein, »all den Glanz dankst du mir, und hast mir's übelgenommen, wie ich dir das alte Gewand auszog, wie ein ungebärdig Kind auf dem Knie der Mutter, die es putzen will. Es wird nichts Neues und Gutes, wenn das alte nicht ausgetrieben wird, frag nur den Holders-Fritz und seine Braut; denen ist's gegangen, wie dir.« – Und auch an Musik fehlte es nicht. Der alte Holunderbusch stellte in seiner wunderbaren Vielseitigkeit den Brautführer und das Musikorchester zugleich vor. Ein Grasmückchen darauf sang die Melodie zu dem ewigen Lied von der glücklichen Liebe, und zwei selige Herzen schlugen den Takt dazu. Denn drüben im Gärtchen über dem Schloßweg, da lehnt die Braut leise ihr Angesicht an des Bräutigams Brust und sagt: »Ich muß dir's doch sagen, Fritz; ich wollt', ich müßt's nicht sagen und du wüßtest es schon.«
»Und wenn ich's weiß, ich hör's noch tausendmal gern,« erwiderte der Fritz nur mit seinen Augen. Es ist der Blick, der ihr im Traume so wehgetan hat. Und da standen sie ja auch hier im Schatten von dem alten Apfelbaum.
Sie wollte weitersprechen, aber sie sieht sich erst noch einmal scheu um, ob niemand in der Nähe ist, und seine Augen weichen ihr aus.
»Ich war ein dumms Mädle und bin nur immer dummer worden, statt gescheiter, und gestern war ich am allerdummsten. Die ganz' Zeit her, seit wir zum letztenmal haben hier gestanden – aber guck, es ist auch nix Gerings, daß alles auf einmal anders soll werden, und man soll sein eigener Herr nicht mehr sein, zumal für ein arms Mädle, das nix hat, als daß es sich nix braucht sagen zu lassen.«
Sie schweigt wieder. Die dunkle Rose gleich neben ihr findet Zeit, den Schmetterling zu fragen: »Nun sag', ob sie röter ist als ich!« Der würdigt sie keiner Antwort und setzt sich auf die Bohnenblüte, wo er dem Mädchen ins Gesicht sehen kann. Aus dem ist die alte Heiterethei völlig verschwunden; über Nacht ist die Blume der Innigkeit völlig aufgebrochen, die in der Traumnacht die Knospe gesprengt hat.
Unten in den Weiden rauscht es so heimlich, daß man seine Gedanken darüber vergessen kann.
»Ich hab' dir nicht gesagt,« fuhr die Braut fort, »wie mir's war, ich hab's nicht gekonnt und kann's auch jetzt nicht, obschon ich will. Ich hab' damals, wie du an das Gärtle bist kommen, getan, als wär' mir nix an dir gelegen; aber wenn du wärst gangen, wie dir das Liesle gerufen hat, guck, ich wär' gestorben. Daß ich den Männern bin feind gewesen, das ist von meinem Vater seliger gekommen. Als ein klein Kind hab ich müssen sehn, wie er meine Mutter hat geschlagen, daß sie manchmal beinah ist liegen blieben. Da hab ich meine Arm' um die Mutter geschlungen, daß er mich mit hat müssen treffen, weil ich's auch nicht hab besser haben wollen, als die Mutter 's hat gehabt. Ich hab ihn auch nie lieb gehabt, verzeih mir's Gott. Ich hab's nicht gekonnt, es mag recht sein oder nicht. Und da hab ich's eingesogen, daß das Heiraten ein Unglück für ein Mädchen wär', und daß ich den Männern hab zum Hohn getan, was ich hab gekonnt. Drum hat mich's gleich gereut, wie ich mich dir hab zugesagt. Wie ich hernachen in dein Haus bin kommen, da hab ich erst begriffen, daß du reich warst und ich war arm. Daran hab ich vorher nicht gedacht gehabt, und das hat mich noch mehr gedrückt; und meine Angst ist immer größer worden, weil ich in meinen Gedanken immer weniger bin geworden gegen dich. Wenn du mein Bruder wärst gewest, ich wär' nicht darauf gekommen, daß ich wieder in mein Häusle wollt. Und wenn ich gangen wär', ich hätt's nicht einmal können erleiden; ich wär' gewiß bald gestorben. Ich hab nun freilich eingesehn, daß du viel besser und vernünftiger bist, als ich; aber da bin ich mir nur immer kleiner geworden in meinen Gedanken, und ich hab mir nicht können denken, du hätt'st mich lieb. Und auch das war dumm, daß ich mir immer noch so viel aus den Leuten gemacht hab, und hab doch gewußt, wie sie sind. Du darfst nicht ungeduldig werden, wenn ich dir alles durcheinander erzähl; grad so sind immer meine Gedanken untereinander herumgefahren. Die ganzen Nacht' hab ich mich im Schlaf gewehrt gegen dich; da hab ich mich endlich getröstet und hab mir eingebild't, ich bin stärker als du, wie du den Burschen ihre Reden so ruhig hast angehört. Aber hernachen war mir das wieder nicht recht, daß ich einen Mann haben sollt, der schwächer wär' denn ich, daß ich keinen Respekt haben könnt', und ich hätt wieder so gern Respekt müssen haben vor dir. Da hab ich vollends dumm getan, und wie sie gespottet haben, noch immer dummer, und wie du den Schiebkarren heraus hast gehoben, noch dummer, weil ich hab geglaubt, du willst mich damit verspotten. Und weil ich gesehn hab, daß du doch stärker bist, als ich, da ist meine erste Angst wieder gekommen. Am allerdummsten bin ich gewest wegen dem Häusle, wo du's hast so gut gemeint. Nein, das ist nicht dumm gewest; schlecht ist das gewest von mir. Ich hab das gleich gewußt, ich hätt' dir's mögen sagen, und hab doch nicht gekonnt; ich hab auch gedacht, du hast mich nicht mehr lieb; bis du bös bist geworden und hast mich heruntergemacht, da hat mir das Herz dabei gelacht im Leibe, denn an deiner Zornigkeit hab ich erst recht gesehn, wie lieb du mich hast. Und nun hab ich's erst recht gewußt, daß alles dummes Zeug war, was ich hab gedacht, und du bist besser als ich, und du hast mich lieber, als ich's verdien, und ich sollt' lieber denken, wie ich gegen dich müßt' sein, als wie's sein könnt', daß du einmal gegen mich wärst.«
Sie schwieg an seiner Brust, und der Fritz jubelte: »Sie ist 'raus, sie ist 'raus, die alt' Heiterethei.«
»Aber ich muß dir noch was sagen,« fuhr sie nach einer Weile zögernd fort.
»Sag's nur, sag's!« lachte der Fritz. »Kein Stückl' alte Heiterethei soll drin bleiben!«
»Ja,« sagte sie, »guck, Fritz, und wer aufgeräumt hat bei dir, das bin ich doch gewest.«
Und so sprachen sie weiter. Wir übergehen, was sie noch sagte und er noch antwortete. Die Besserung, zu dem eines den andern verholfen, hat sich bleibend bewährt. Ihr Wort, bei dem er sie genommen, hat sie gehalten; sie hat es wahr und ihn zum Manne gemacht und ihm keine Ursache mehr gegeben, den Grundsätzen untreu zu werden, die er ihr verdankt.
Die öffentliche Meinung hat sich abermals überschlagen und steht nun wieder richtig auf den Füßen. Denn von Spott und gutem Rat ist keine Rede mehr; das Holders-Fräle hört wieder so gut als vorher. Den guten Rat trägt man nicht mehr hin, sondern holt ihn beim Meister Holder und seiner Meisterin. Ja, er ist nun förmlich zum Ratsherrn gewählt und kann's bis zum Bürgermeister bringen. Die Frau Valtinessin und die übrigen großen Weiber haben Freundschaft mit der Heiterethei geschlossen, denn sie ist nun auch eine große Frau, und wenn sie, seit sie dieses geworden ist, noch von allen großen Weibern so denkt wie früher, so tut sie wenigstens einer unrecht. Die ist sie selbst. Sie ist schlicht und bescheiden, ihre Wahrhaftigkeit und ihr braves Gemüt hat sie sich erhalten. Die alte Annemarie, die nun im Holders-Hause den eigenen Kindern der Heiterethei das ist, was sie früher dem Liesle gewesen, tut sich auf den neuen Glanz der Heiterethei, über den sich niemand aufrichtiger freut, als sie, mehr zugute, als die Heiterethei selbst. Sie hat die Redensart: »Und so ist's und nu ist's fertig!« an sich genommen, seit die Heiterethei ihr Eigentumsrecht daran aufgegeben hat, und die kontrastiert wunderlich genug mit dem bescheidenen Tone, in dem sie jetzt vorgetragen wird.
Die Dotin in Reick ist gestorben und hat die Heiterethei in ihrem Testament ansehnlich bedacht. Die Schwester der Heiterethei ist verheiratet, und man hört nichts Übels mehr von ihr.
Die Jungen des Paares jagen zwar nicht, wie der Weber prophetisch gehustet, den Kirchturm von der Kirche und aus der Stadt, aber sie machen den Eltern keine Schande. Oft spielen sie um das verjüngte Häuschen, und der alte Holunder hat seine Freude, wenn die älteren auf ihm herumklettern, eine Freude, welche die ängstliche Annemarie nicht teilt.
Die Heiterethei sagt, so oft sie das wohlhabige Hauswesen und ihren zufriedenen Mann anschaut, immer noch: »Ich bin nur froh, daß du mich hast.« Und das ist nicht ruhmredig gemeint und er versteht es auch nicht so.
Wir aber schließen unsere Erzählung mit den Wunsche, daß der Leser jetzt nicht etwa, gelangweilt, die nun der Annemarie angehörige Redensart auf unsere Bemühung anwende, indem er sie umkehrt und verändert: »Und nun endlich ist's fertig, und das ist gut.«