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7. Kapitel.

Said fährt mit seinem Herrn spazieren, was ihn mit hohem Stolz erfüllt, doch die Ausfahrt mit dem Braunen gereicht ihm nicht zum Glück.

 

Als Said am nächsten Nachmittag seinem Herrn folgend das leichte Gefährt bestieg, das ein Kutscher aus dem Reitinstitut vorgefahren hatte, war er freudig überrascht, Gustes Blondkopf an der Fensterscheibe der Portierswohnung zu erblicken. Sie hatte das Gesicht neugierig ganz fest an die Scheibe gepreßt, so daß sich die Stumpfnase an dem Glas platt drückte, was sehr drollig aussah. Wie ihr Blick Saids Blick begegnete, lachte sie und winkte ihm zu, und als der Braune anzog, winkte sie ihm mit beiden Händen einen Abschiedsgruß. Said, der von seinem Herrn die Weisung erhalten hatte, die Hände grad ausgestreckt auf den Knieen zu halten, wagte nicht, den Gruß zu erwidern, stramm und feierlich saß er da, nur seine Lippen bewegten sich leise und formten ein Wort: »Gu-uste.«

Bald aber ward seine Aufmerksamkeit ganz von der Fahrt in Anspruch genommen. Das Wägelchen war ein sogenannter dogcar, ein zweiräderiger Korbwagen, auf dessen Vordersitz Hans kutschierte, während Said Rücken an Rücken mit seinem Herrn hinten saß. Ein paarmal wandelte ihn die Lust an, sich umzudrehen und auf dem Sitz hinzuknieen, um das Pferd sehen zu können, aber er wagte es nicht, da ihm sein Herr befohlen hatte, ganz still zu sitzen und sich nicht zu rühren.

Erst als sie aus dein Weichbilde der Großstadt heraus waren, einen langen, langen Damm mit vielen Wagen und Menschen, Häusern und Trambahnen entlang gefahren waren und in eine Seitenchaussee des Waldes einbogen, wandte sich Hans zu seinem kleinen Diener um.

»Nun, Said, wie behagt es Dir?« und er schmunzelte vergnügt.

Said antwortete wahrheitsgetreu: »So schön wie nie, – nur,« fügte er hinzu, »nix Pferd sehen ist traurig.«

»Du hast ja unterwegs soviel andere Pferde zu sehen,« begütigte Hans, »den Braunen kannst Du Dir im Stalle ansehen.«

»Aber Said auch kutschieren möchte, auch Pferdeleine halten,« meinte eifrig der Kleine, dem sein gestriges Spiel mit Guste noch im Sinn lag.

»Na, später vielleicht, Junge, es ist ja noch nicht aller Tage Abend,« tröstete Hans und trieb den Braunen, der allgemach in Schritt gefallen war, durch Zungenschnalzen wieder zu einer schnelleren Gangart an.

Von der Chaussee bog jetzt zur rechten ein schmalerer Waldweg ab und in den lenkte Hans ein. Die glatten Kiefernnadeln, die den Weg bedeckten, machten ihn fest wie eine gepflasterte Straße, und leicht federnd glitt das Gefährt über die hie und da hervortretenden Baumwurzeln hinweg. Hans hatte das Pferd weniger fest im Zügel als es auf der Straße zwischen denn vielen anderen Fuhrwerken nötig war, und ließ es in munterem Trabe weit ausgreifen.

Es war eine lauge Allee ohne jedes Hindernis, aber plötzlich stutzte der Braune und spitzte die Ohren. Hinter den Bäumen des Gehölzes war ein zischendes, puffendes Geräusch zu vernehmen, das schnell lauter und lauter wurde. Nicht allzufern kreuzte den Waldweg ein Bahngeleise, auf dem augenscheinlich eben ein Bahnzug daherkam. Jetzt sah man auch durch die Bäume das Wärterhäuschen schimmern, aus dem gerade der Bahnbeamte heraustrat, um den Weg durch eine Kette abzuschließen. Deutlich hörte man die Lokomotive daherbrausen, der Wallach aber, der in der Straße bei dem mannigfachen Lärm von allen Seiten sich ganz ruhig verhalten hatte, erschrak hier in der Waldesstille ob des unerwarteten Geräuschs, er scheute und sprang zur Seite, und plötzlich nahm er das Gebiß zwischen die Zähne und raste in unsinnigem Carriere vorwärts, gerade auf den Eisenbahnzug zu. Hans sah und erkannte die Gefahr und versuchte mit aller Kraft das Pferd zurückzureißen, während Said ahnungslos auf seinem Hintersitz die Bäume an sich vorbeitanzen sah. Da – ein Stoß und Ruck, das Pferd war gegen die Kette gerast und scheute zurück. Beide Insassen des Wagens aber wurden bei dem plötzlichen Anhalten mit ungeheurer Wucht von ihren Sitzen geschleudert. Ja, über das Pferd fort flog Hans in großem Bogen auf den Bahnkörper, während eben nur einige Spannen breit von seinem Kopf entfernt der Zug vorübersauste.

Said war auf dem mit Kiefernnadeln bedeckten Waldweg etwas weicher zu Falle gekommen als sein Herr, doch währte es immerhin einige Sekunden, ehe er sich mit brummendem Schädel wieder aufrichtete. Er wußte zunächst gar nicht, was vorgegangen und sah sich unwirsch um, als er aber wenige Schritte vor sich seinen Herrn bleich und mit geschlossenen Augen daliegen sah, da war er schnell auf den Beinen. Der alte Bahnwärter war bereits um Hans bemüht, aber dieser sah und hörte nichts. Leise stöhnend ging sein Atem und die Hände krampften sich ab und zu schmerzhaft zusammen, das waren die einzigen Lebensäußerungen. Es machte Mühe, die schwere, kräftige Männergestalt zunächst mal vom Bahnkörper fortzuschaffen und doch konnte man den Verletzten unmöglich in seiner gefährdeten Lage auf den Schienen liegen lassen. Der Beamte und Said schleppten ihn also mühsam einige Schritte zur Seite, um ihn auf weichem Moosboden zu betten. Hier schlug Hans einen Moment mit verwirrtem Ausdruck die Augen auf, um sie indessen gleich wieder zu schließen. Der Bahnwärter schaffte etwas kalten Kaffee aus seinem Häuschen herbei, aber auch das half nicht, den Bewußtlosen wieder zu sich zu bringen, und es galt jetzt ernstlich Hilfe herbeizuholen. So mußte sich denn Said aufmachen, so schwer es ihm wurde, seinen Herrn zurückzulassen, aber der Bahnwärter durfte sich von seinem Posten nicht entfernen. Mit angstbeflügelten Schritten flog der kleine Schwarze schnell wie ein Pfeil den Weg, den er eben noch so fröhlich hinaufgefahren, zurück nach der belebten Landstraße, während der alte Beamte den Wallach, der stark an der Brust blutete, an einem der nächsten Bäume sorglich festband. Der Braune war zum Glück bei dem Unfall ohne schwere Beschädigung davongekommen. Mit geblähten Nüstern stand er da, als erwartete er nichts gutes, ließ sich indessen ganz ruhig von der pferdeunkundigen Hand ankommen, während er sich verwundert nach seinem Herrn umsah.

Der lag noch immer regungslos da, Said aber hatte bereits die breite Chaussee erreicht und das erste beste Fuhrwerk, welches des Weges kam, rief er laut um Hilfe an. Daß ein Leibjäger mit Federbusch auf dem Bock saß, darauf hatte der kleine Said gar nicht geachtet, und es wäre ihm auch ganz gleichgültig gewesen, wenn ihm einer bedeutet hätte, daß es eine königliche Equipage war, auf die er atemlos zujagte, bestrebt, sie anzuhalten. In dem Wagen saßen die beiden ältesten kaiserlichen Prinzen, die eben von einer Ausfahrt zurückkamen mit ihrem Gouverneur, und der Kutscher wollte, ohne den Schwarzen weiter zu beachten, schnell vorüberfahren, da aber war der Kleine schon auf das Trittbrett gesprungen und klammerte sich am Kutschschlag fest. Einer wahren Begebenheit nacherzählt.

»O, lieber Herr, o gute Knaben,« stieß er flehentlich hervor, »helft, helft, nix fortfahren, helfen, bitte, bitte. Mein armes Herr ist vom Wagen gestürzt, gleich hier, nix weit.«

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Jetzt hielt das königliche Fuhrwerk, aber nur, damit der Bediente, der eben vom Bock sprang, Zeit hätte, den lästigen Bittsteller zu beseitigen. Er erwartete den Wink des Gouverneurs, um Said beim Kragen zu fassen, und mit festem Griff fortzuziehen, aber die jungen Prinzen legten sich ins Mittel. Nein, nein, dem armen Jungen, der da so herzbewegend für seinen Herrn bat, sollte nichts geschehen, im Gegenteil, er sollte berichten, was eigentlich passiert sei.

Ein zusammenhängender Bericht war nun zwar von Said nicht zu erlangen, aber es ging doch klar aus seinen Worten hervor, daß seinem Herrn ein Unfall zugestoßen war und er der Hülfe bedürfe. Da baten denn die Prinzen selbst, ob nicht umgekehrt werden dürfte, um einem Hilfsbedürftigen beizustehen. Der Gouverneur schlug vor, lieber einen Arzt zu benachrichtigen und gleich zurückzusenden, aber Said rollten bei dem bloßen Gedanken, der Wagen möchte fortfahren, die dicken Thränen herab, und die kleinen Prinzen hatten zu großes Mitleid mit dem armen Burschen, um ihn in seiner Herzensangst zurückzulassen und drängten beide auf Umkehren. Da mochte der junge Gouverneur nicht länger widerstreben, war es doch eine rein menschenfreundliche Regung seiner Zöglinge, der er folgte, und die königliche Equipage setzte sich auf Saids Angabe nach dem Platz, wo der Unfall geschehen war, in Bewegung. Nach wenigen Minuten war man angelangt, und Said war mit einem raschen Satz über den Kutschschlag fort wieder an der Seite seines Herrn, ehe noch die andern des langausgestreckten wie leblos daliegenden Körpers ansichtig wurden. Aber den jungen Prinzchen wurden die Augen feucht, wie sie jetzt hinzutraten und den tiefen Kummer in Saids großen schwarzen Augen lasen, die Seelenangst, ob sein lieber, geliebter Herr noch so schwer litte oder ob die Folgen des Unfalls nicht bald überwunden sein möchten.

»Er wird gewiß wieder gesund,« flüsterte der kleinere der beiden Prinzen Said mitleidfühlend ins Ohr und sein älterer Bruder fügte hinzu: »Wir bringen den armen Herrn sogleich selbst heim, daß er Pflege und Ruhe findet, nicht wahr, Herr Kandidat, wir nehmen ihn mit.«

Der Gouverneur, ein junger Kandidat der Theologie, der gleich seinen Zöglingen ein warmes Herz für den leidenden Mitmenschen hatte, zauderte keinen Moment selbst Hand anzulegen, und unter Beihilfe des alten Bahnwärters richtete er sorglich den Schwerverletzten auf.

Hans empfand noch immer nichts, von dem, was um ihn herum vorging und öffnete nur ab und zu wie geistesabwesend die Augen, während man ihn forttrug, um ihn auf dem weichen Wagenpolster vorsichtig zu betten. Wenn er gewußt hätte, daß er in des Kaisers eigener Equipage heimführe, hätte ihm wohl sein deutsches Herz höher geschlagen, so aber lag er still und regungslos in die Ecke zurückgelehnt da, und auch das fröhliche Geplauder der jungen Prinzen war verstummt beim Anblick des bleichen, leidenden Gesichts. Für Said war eigentlich kein Platz mehr gewesen in dem Wagen, aber im letzten Moment war auch er, als verstehe sich das von selbst, hineingesprungen und kauerte auf der Erde an die Knie seines Herrn angelehnt, wo er in der That wenig genug Raum beanspruchte. Der junge Gouverneur, hatte das Wagenverdeck hochschlagen lassen, um weniger Aufsehen zu erregen, und da es bereits zum Abend ging und die Dunkelheit herabsank, blieben der Wagen und seine Insassen ziemlich unbemerkt.

Es war eine tüchtige Strecke, die man bis nach der Stadt zurückzulegen hatte, und trotzdem die kaiserlichen Rapphengste gut ausgriffen, ging es dem kleinen Said doch viel zu langsam. Leise streichelte er die schlaff herabhängenden Hände seines Herrn und drückte manch inbrünstigen Kuß darauf, während die mitleidigen Blicke der Prinzen ohne Unterlaß auf dem kranken Herrn und seinem schwarzen Diener ruhten.

»Wie heißt Du eigentlich?« fragte schließlich der jüngere der Prinzen, zu Said gewandt. Mitgefühl und Neugier gesellten sich bei ihm zu einander, und er hätte gern etwas von dem kleinen Schwarzen erfahren.

Dieser begnügte sich indessen mit einer recht kurzen und dem Prinzen sichtlich nicht genügenden Antwort: »Said.«

»Said,« wiederholte der kleine Prinz nachdenklich, »ich glaube, der Name kommt in den Märchen von Tausend und eine Nacht vor.«

»Nein, nein, in Hauffs Märchen vor allem,« fiel ihm der ältere Bruder ins Wort, »da heißt eine ganze Geschichte: Saids Schicksale.«

»Und wo bist Du denn geboren, Said?« forschte der jüngere weiter, ohne jedoch diesmal eine Antwort von dem Schwarzen zu erhalten. Dieser seufzte ein paarmal tief auf und that, als ob ihn die übrigen Insassen des Wagens nichts angingen.

»Du wirst gefragt, wo Du geboren bist Said, hörst Du nicht?« mischte sich jetzt der Gouverneur der Prinzen ins Gespräch und legte Said mahnend die Hand auf die Schulter. »Wo ist also Deine Heimat? Man antwortet doch, wenn man gefragt wird. Wo bist Du zu Hause?«

»Egypten«, lautete die abermals höchst einsilbige Erwiderung.

Doch die Prinzen ließen sich nicht abschrecken.

»Ach, in Egypten«, riefen sie wie aus einem Munde, und nun wußten beide etwas von dem fernen Pharaonenlande zu berichten: »da liegt Kairo,« und »da liegt der Nil,« und »da reitet man auf Kameelen!«

»Ja, Kameels,« bestätigte Said ernsthaft, »Nil, ja, jawohl.« Es machte ihm Spaß, daß die deutschen Knaben in seiner Heimat Bescheid wußten.

»Da bist Du wohl ein Nubier?« forschten jene jetzt weiter.

»Nix Nubier, Sudanese,« erwiderte Said und fuhr dann etwas lebendiger fort: »Nubier schlechtes Mensch, Sudanese gut.«

Die Prinzen mußten lachen, aber der Gouverneur meinte freundlich: »Er hat ganz recht, er ist ein guter kleiner Junge, sonst hätte er seinen Herrn nicht so lieb.«

»O, so lieb,« beteuerte Said, »liebes, liebes Herr,« und er schmiegte sich fester an die Knie von Hans und zog zärtlich dessen Hand an seine Wange.

»Jetzt wacht er auf,« sagte der kleine Prinz auf Hans deutend. Dieser hatte mit dem Kopf eine Bewegung gemacht, aber seine Augen blieben geschlossen.

»Allah wird helfen,« meinte Said ruhig, »Allah ist gut.«

»Ja, mit Gottes Hilfe wird der arme Herr bald wieder gesund werden,« ergänzte der Gouverneur, während der kleine Prinz schon wieder etwas zu fragen hatte.

»Wie lange bist Du eigentlich schon hier, Said, und wo wohnst Du?«

»Ich wohne bei mein Herr, seit wir von große Reise heim sind. – Wo wohnt das Herr?« setzte er dann auf den Gouverneur deutend hinzu.

»Der Herr Kandidat wohnt bei uns im Schloß,« lachte der junge Prinz, »er ist unser Lehrer.« Und er erzählte Said, wie er jeden Morgen bei dem Kandidaten Unterricht hätte und was er alles schon lernte. Said verstand zwar vieles nicht, aber er hörte doch, aufmerksam geworden, zu, und hie und da unterbrach er jetzt seinerseits sogar den Prinzen mit Fragen.

»Was sein Schloß?« wollte er vor allem wissen, als sich diese Bezeichnung öfter wiederholte.

»Das weißt Du nicht?« rief der ältere Prinz, »das weiß doch jedes Kind. Das Schloß ist das große Gebäude, in dem mein Vater wohnt, der Kaiser. Habt Ihr in Egypten keinen Kaiser?«

Said schüttelte mit dem Kopf, aber der Gouverneur erklärte: »In Egypten heißt der Herrscher Khedive. Wer der Khedive ist, wird Said vielleicht eher wissen.«

Aber Said schüttelte wieder energisch mit dem Kopf. Sein Wissen war nicht groß, Khedive und Kaiser waren ihm gleich unbekannte Begriffe, und wenn er von der Größe und Macht des Kaisers eine Ahnung gehabt hätte, so hätte er sicher gemeint, Hans müsse der Kaiser sein, nicht nur von Deutschland, sondern von Europa und von der ganzen Welt.

Die Prinzen erstaunte es, daß der kleine Schwarze die meisten ihrer Fragen mit stummem Kopfschütteln erwiderte, und der Gouverneur fürchtete schon, daß jener nicht mal im Stande sein möchte, seines Herrn Wohnort anzugeben. Diese Befürchtung war indessen unnütz, denn Said wußte sehr wohl den Platz zu nennen, an dem er wohnte und auch die Nummer des großen Mietshauses konnte er genau und richtig angeben. Man näherte sich jetzt der Stadt, und da Hans Bieneggs Wohnung in der westlichen Vorstadt lag, so war sie bald erreicht.

Die Prinzen hätten sich gar zu gern den kleinen Schwarzen mitgenommen, aber sie wagten nicht, dem Gouverneur eine derartige Bitte vorzutragen und beschlossen nur, sich das Haus zu merken, in dem Said wohnte, vielleicht durften sie ihn einmal wieder abholen oder konnten wenigstens gelegentlich vorüberfahren.

»Darf ich dem schwarzen Diener etwas von meinem Taschengeld geben, daß er uns nicht vergißt?« flüsterte der ältere Prinz seinem Gouverneur zu als der Wagen hielt. Ehe aber der junge Kandidat noch antworten konnte, fühlte Said schon das Geldstück in seine Hand gedrückt.

Said sah einen Moment ganz erstaunt das Geld an. Seitdem er in Deutschland war, hatte er kein bares Geld in die Hand bekommen und hatte die unbestimmte Idee, daß man in diesem schönen Lande kein Geld nötig habe. Kleidung und Nahrung, alles fand sich von allein.

»Nix Geld brauchen,« murmelte er unwirsch und wollte das Goldstück schon zurückreichen, dann aber mußte ihm doch ein andrer Gedanke kommen; als echtes Kind des Orients vermochte er sich nicht von der empfangenen Gabe zu trennen, lächelnd betrachtete er das blitzende Gold und ließ es in alter, lieber Gewohnheit im Munde verschwinden. Das war bei den kleinen Eseltreibern in Egypten der beliebteste Aufbewahrungsort für Geld, und sie wußten dasselbe so geschickt mit der Zunge zu bedecken, daß sie es niemals herunter schluckten, bis sich anderweitig Gelegenheit zum Verwahren fand. Den Prinzen war diese Methode Geld zu verwahren allerdings ganz neu, und sie meinten nicht anders, als daß Said das Geld gegessen habe, was sie höchlichst in Verwunderung setzte und für den Rest der Heimfahrt noch reichlichen Gesprächsstoff abgab.

Als die Equipage mit dem Leibjäger darauf vor einem gewöhnlichen Stadthaus hielt, entstand sogleich ein Menschenauflauf, und neugierig drängte sich Kopf an Kopf, wie nun aus dem kaiserlichen Gefährt die Gestalt eines bleichen, jungen Mannes herausgehoben wurde.

Frau Rebling erstarrte das Herz fast vor Schreck, als sie ihren guten, lieben, jungen Herrn so heimbrachten, aber ohne viel zu fragen war die gute, alte Seele vor allem bemüht, ihm Erleichterung zu schaffen. Sie zog ihm die Sachen ab und brachte ihn zu Bett wie ein Kind, auch mit kalten Kompressen war gleich bei der Hand und rieb dem Leidenden mit Rum Hände und Füße, während Said jetzt zu Werner davongeschickt wurde, um mit diesem einen tüchtigen Arzt zur Stelle zu schaffen.

Die ganze Nacht hindurch phantasierte Hans, und der Arzt wich nicht von seinem Bett. Am nächsten Morgen ging ein Telegramm nach Groß-Tarnow ab, das die Angehörigen des Schwerkranken herbeirief, und als diese voll Sorge herbeigeeilt kamen, mußten sie zu ihrem Kummer erfahren, daß eine schwere Gehirnentzündung die Folge des Sturzes zu werden schien.

Das war ein schlimmer Bescheid, und der armen Mutter von Hans erschien es kaum faßlich, daß ihr großer kräftiger gesunder Sohn zu langem Schmerzenslager verurteilt sein sollte; ja, dass der Kranke vielleicht zwischen Tod und Leben schwebte, das Bewußtsein lähmte ihr schier die Sinne. Trotz ihres Knieleidens, das ihr Treppensteigen und jede anhaltende Bewegung fast unmöglich machte, war die alte Dame auf die Schreckenskunde hin doch nicht zurückzuhalten gewesen, zu ihrem Sohne zu eilen; gleich mit dem Frühzug war die Fahrt zurückgelegt, jetzt aber brach sie vor Sorge, Anstrengung und Aufregung ganz zusammen. Vom Krankenlager fort, mußte man die arme Mutter auf ein Ruhebett bringen, da sie der Ohnmacht nahe war. Die junge Tochter bemühte sich, durch liebevollen Zuspruch und leise Fürsorge, die Mutter etwas aufzurichten, aber auch ihr waren Sorgen und der Ernst des Lebens so neu, daß sie sich kaum aufrecht zu halten vermochte, und die weiche Mädchenstimme, die Trost spenden wollte, in Thränen ganz erstickte.

So war der Onkel der einzige, der den Kopf oben behielt. Vom Krankenbett fort hatte er den Arzt in das Eßzimmer geführt, um mit ihm ruhig zu beraten, was nun geschehen sollte; aber der junge Arzt schien selber ziemlich erregt, er mochte schlimmes befürchten, redete und redete, ohne doch wirklich Verhaltungsmaßregeln zu geben.

»Ich möchte meinen Neffen gern nach Groß-Tarnow mitnehmen,« meinte der alte Herr Bienegg, als er mit dem Arzt allein war, auf eine schon zuvor geäußerte Bemerkung zurückkommend: »Erstens kann ich der bevorstehenden Ernte wegen nicht lange in der Stadt bleiben. Zweitens aber denke ich, daß für meinen Neffen Ruhe höchst wohlthätig ist, und Ruhe und Pflege hat er ja in Groß-Tarnow am allerbesten.«

»Ja, ja, Ruhe, viel Ruhe,« fiel der junge Arzt dem alten Herrn eifrig ins Wort, »Ruhe vor allem und sorgliche Pflege, und wenn Sie für den Transport in der Eisenbahn sich ein Coupé reservieren lassen und dem Verletzten Kissen und Betten mitnehmen, so sollte ich meinen, könnte die kurze Fahrt nichts schaden.«

»Das meine ich auch; halten Sie sich also für heut Nachmittag bereit, um uns zu begleiten, Herr Doktor.«

»Gewiß werde ich bereit sein,« beeilte sich der junge Arzt zu erwidern, »ich hoffe von ganzem Herzen, Ihren Herrn Neffen bald wieder herzustellen, aber so lange meine Anwesenheit erforderlich ist, bin ich natürlich zur Hand. Ein Kollege übernimmt einstweilen meine Vertretung hier, das ist leicht zu machen, zudem ist jetzt Sommer, wo ich leichter entbehrlich bin, da viele Familien, deren Hausarzt ich bin, verreist sind.«

Der junge Doktor hatte vielleicht vor, die Rede noch länger fortzusetzen; obgleich er eben schon eine Verbeugung machte, um sich zu empfehlen, schien er doch bereits von neuem anheben zu wollen, als sich plötzlich ein deutlich vernehmbares »Adieu« hören ließ.

Eilig griff der junge Mann zum Hut. Er meinte nicht anders, als daß ihn der alte Herr habe verabschieden wollen, da seine Anwesenheit momentan nicht länger erforderlich sei.

Eine Verbeugung und noch eine: »Ich empfehle mich, empfehle mich, empfehle mich ganz ergebenst.« Damit war er zur Thür hinaus, ehe Herr Bienegg ein weiteres Wort hervorbringen konnte, und doch hatte der alte Herr keineswegs das deutliche »Adieu« gesagt, sondern das war aus einer andern Ecke des Zimmers gekommen. Da saß Joko, der grüne Papagei, zufrieden und vergnügt auf seiner Stange und wiederholte jetzt behaglich für sich: »Adieu, adieu.«

»So, so, Du redest hier mit,« brummte der alte Herr und trat einen Moment an das Bauer, schon aber erschien Said auf der Schwelle und rief ihn wieder ins Krankenzimmer. Hans schien einen freien Moment zu haben nach all den verworrenen Fieberphantasien und lang anhaltenden Ohnmachten, er erkannte die Umstehenden und fragte matt nach diesem und jenem.

Als er den Onkel sah, erhellte sich sein Gesicht: »Onkelchen, Du hattest mir solch' große Freude bereitet und nun passiert dies Unglück«, brachte er mühsam hervor, dann umflorten sich seine Sinne, und er setzte hinzu: »Sieh doch den großen Wagen, groß wie die Wolken, wie die Wolken so groß, ach, und so dunkel.« stöhnte schmerzlich und fuhr sich mit der Hand nach dem Kopf, von dem eben Frau Rebling leise den kalten Umschlag fortzog, um ihn durch eine frisch gefüllte Eisblase nach Vorschrift des Arztes zu ersetzen. Die Kälteempfindung auf der Stirn that Hans wohl, er streckte sich wie erleichtert in den Kissen aus, seufzte ein paarmal und schien dann ermüdet allgemach in einen leichten Schlummer zu verfallen. Frau Rebling winkte Werner und dem alten Herrn Bienegg herauszugehen, und auch Said erhielt leise einen Auftrag, so daß er ebenfalls das Krankenzimmer verließ. Die gute Frau Rebling wollte ihrem lieben Patienten so viel wie möglich behülflich sein einzuschlafen, sorgsam zog sie deshalb die Vorhänge vor die Fenster und bewegte sich so lautlos auf den Zehenspitzen, daß das Ticken der Uhr das einzige war, was die Ruhe unterbrach.

Lebhafter ging es inzwischen im Wohnzimmer her. Herr Bienegg hatte seine Schwägerin aufgesucht und schien ungehalten, daß sie nicht sofort zu dem Vorschlag der Übersiedlung des Verletzten nach Groß-Tarnow zustimmte. Die alte Dame machte so viele Bedenken geltend, und Emma wollte nicht aufhören zu weinen und schluchzte leise vor sich hin, was dem Onkel im Grund seiner Seele verhaßt war.

»Mit Euch Frauenzimmern ist eben nicht zu reden und Entschlüsse zu fassen,« meinte er, ärgerlich auf- und abgehend, und wandte sich an Werner:

»Sie müssen mir doch recht geben, Herr Dorn, daß es das gescheidteste ist, meinen Neffen nach Groß-Tarnow mitzunehmen.«

Werner war zwar nicht ganz davon überzeugt, er befürchtete eine mögliche Verschlimmerung für seinen Freund durch die Eisenbahnfahrt, andrerseits wußte er als besseren Vorschlag nur geltend zu machen, daß Mutter und Schwester bei dem Kranken zurückblieben, den man natürlich nicht allein in seiner Junggesellenwohnung lassen konnte. Von dieser Möglichkeit aber wollte der alte Herr nichts wissen. Er mochte die Anwesenheit der Frauen in seinem Hause nicht missen, da von ihnen alles Behagen in der Häuslichkeit ausging, und gewohnt daran, daß alles nach seiner Bequemlichkeit sich richtete, sah er nicht ein, warum seine Schwägerin und Emma in der Stadt zurückbleiben sollten, damit er während einer vielleicht langen Krankheitszeit seines Neffen allein in dem großen Gutshaus sich ungemütlich fühlte. Er war eben die Hauptsache, alles andere nebensächlich, die eilige Fahrt nach der Hauptstadt war ihm schon als ein großes Opfer erschienen, jetzt hatte er genug gethan und wollte wieder seine Ruhe haben. Daß sein Neffe in guter Pflege sich bald wieder erholte, war natürlich auch sein lebhafter Wunsch, aber diese Pflege sollte ihm nicht sein Behagen kosten. Es stand daher auch gleich bei ihm fest, daß ein Arzt, sowie die alle Wirtschafterin, Frau Rebling, zur persönlichen Pflege des Neffen mitmüßten, damit daheim nicht das ganze Haus auf den Kopf gestellt würde um den Patienten.

Der vorgefaßten Meinung des alten Herrn gegenüber fiel Werners Stimme und sein Rat wenig ins Gewicht, und er zog sich bald zurück, da der Wortwechsel mit dem gereizten alten Herrn doch zu nichts führte. An der Thür des Krankenzimmers lauschte er nochmals, als aber kein Laut sich vernehmen ließ, schritt er vorüber. Er hatte ohnehin vor, sich noch persönlich nach dem braunen Wallach umzusehen, den er bei Nacht und Nebel durch einen der Kutscher aus dem Reitinstitut von dem Bahnwärterhaus nach der Stadt hatte hereinholen lassen und dessen verletzte Kniee, wie er hörte, stark angeschwollen waren. Auf der Treppe traf er Said, der mit Binden und Arzneien beladen aus der Apotheke heimkehrte.

»Pflege ihn gut, Junge, den da drinnen, hörst Du wohl?« sagte Werner weicher als es sonst seine Art war und legte Said freundlich die Hand auf die Schulter.

»O, Herr,« Said schlug die großen Augen treuherzig zu ihm auf, »bald alles wieder gut, Said wird pflegen, nix lange krank,« damit sprang der kleine Schwarze eilends die letzten Stufen bis zur Wohnung herauf, während Werner gedankenvoll herabstieg.

Doch so froh und zuversichtlich Said noch eben gewesen, hätte ihn Werner wenige Minuten drauf tief bedrückt und niedergeschmettert finden können, wenn er in das Eßzimmer der Wohnung getreten wäre und in den Winkel hinter dem Papageienkäfig geschaut hätte. Aber Werner kam nicht so bald wieder, und keine mitleidige Seele schaute in die dunkle Ecke, wo Said schier in Verzweiflung sich verkrochen hatte.

Das war so gekommen:

Als Said die Wohnung wieder betrat, war er, wie kurz zuvor Werner, zunächst leise an die Thür seines kranken Herrn getreten, lautlos hatte er die Klinke niedergedrückt und auf cm Zeichen Frau Reblings die mitgebrachten Sachen nur hereingelegt, um die Thür eben so leise dann wieder zuzuziehen. Hans schlief, da wollte er ihn nicht stören und hatte zunächst ja auch nichts im Krankenzimmer zu thun. Er begab sich also zu seinem Freunde Joko ins Eßzimmer in der Absicht, den Papagei aus den Käfig zu nehmen, um ihm ein bischen die Zeit zu vertreiben. Joko saß auch wirklich ziemlich unglücklich da, den ganzen Tag hatte sich noch kein Mensch um ihn gekümmert, und während aus dem Nebenzimmer verschiedene Stimmen durcheinander klangen, kam doch Niemand zu ihm, keiner sprach mit ihm oder kraute ihm den Kopf, und er hatte schon ein paarmal laut und lauter gerufen: »Köpfchen kraulen! Köpfchen kraulen!« Aber als Erwiderung darauf, hatte der alte Herr Bienegg bloß die Portiere, die das Eßzimmer von dem anstoßenden Raum trennte, zugezogen und vernehmlich gebrummt: »Der alte Schreihals; muß man ihn überall hören!«

Die Stimmen aus dem Nebenzimmer klangen nun nur noch gedämpft herüber, aber Said hatte gleich beim Eintreten gehört, wie barsch und verdrießlich der alte Herr nebenan zu den Damen sprach. So hatte er Hans noch nie sprechen hören. »Die Alte soll ja doch mit,« erörterte Herr Bienegg lebhaft, »Ihr sollt Eure Perle von einer Pflegerin ja doch nicht entbehren.«

»Kommt denn Said, der kleine schwarze Diener, auch mit?« fragte eine weiche Mädchenstimme, und die Erwähnung seines Namens ließ Said aufhorchen.

»Das schwarze Untier? – Das fehlte noch!« war die kurze Antwort.

»Aber wo soll er denn bleiben, Onkel?« fragte dieselbe Mädchenstimme zaghaft.

»Was geht es mich an,« lautete die Erwiderung. »Ich nehme mir einen solchen Affen nicht ins Haus, am besten, wir schicken ihn in seine Wüste zurück.«

Said stand das Herz still vor Schreck. In der Angst, daß man ihn im nächsten Moment am Kragen fassen und fortschleppen könnte, duckte er sich nieder und drückte sich in die Fensterecke, die schweren Stoffgardinen als Schutz um sich hüllend. So hörte und sah er nichts mehr. Wie ein Häuflein Unglück saß er da, aber vor seinem geistigen Auge tauchte das Schreckgespenst Achmed Maliks in greifbarer Deutlichkeit auf. Nur nicht zu Achmed Malik zurück in die Wüste! Nur das nicht, nur das nicht!

Eine geraume Zeit war vergangen, ehe sich Said aus seinem Versteck hervorwagte.

Es war jetzt still nebenan, und der Kleine nahm in seinen Herzenskummer Zuflucht zu Joko.

»Joko,« sagte er leise, »Said nix fort will, nix Achmed Malik, nix, Wüste. Said bei liebem Herrn bleiben, bei gutem Joko!«

»Said, wo bist Du?« rief der Papagei vergnügt zurück und hüpfte dem Kleinen, als dieser den Käfig öffnete, sofort auf die Hand, um, mit dem Schnabel sich festhaltend, an dem Arm seines Spielkameraden zu dessen Schulter emporzuklimmen.

Der Junge legte die dunkle Wange an das bunte Gefieder und sprach vertrauensvoll auf das hübsche zahme Tier ein, aber feste Schritte, die sich vom Flur her dem Eßzimmer näherten, machten ihn zusammenschrecken.

»Hier herein,« klang die scharfe kräftige Stimme des alten Herrn Bienegg, und Said fuhr es durch den Kopf, die Worte müßten den Leuten gelten, die ihn fortbringen sollten, die ihn ergreifen und wegholen würden von seinem guten Herrn, um ihn nach Egypten zurückzuexpedieren. Er wartete nicht, bis die Thür sich aufthat, im Nu war er auf der andern Seite hinaus, und wie ein gescheuchtes Wild floh er, Joko innig an sich gedrückt, die Hintertreppe hinab ins Freie.

Von dem Arzt gefolgt, der wieder erschienen war, um den Transport des Verletzten zu überwachen, betrat der alte Herr Bienegg in demselben Moment, in dem Said auf der andern Seite die Thür hinter sich ins Schloß zog, das Eßzimmer. Zwischen den beiden Männern fand nochmals eine längere Unterredung statt. Jetzt war kein Papagei mehr da, um dem Gespräch durch sein vernehmliches »Adieu« ein Ende zu machen, und erst der Eintritt Frau Reblings, welche ankündigte, daß der Krankenwagen unten sei, unterbrach die beiden Herren in ihren Beratungen. Während ober Hans in einem Zustand, der zwischen Halbschlaf, Ohnmachten und Fieberphantasien schwankte, dem Gute seines Onkels zufuhr, umgeben von seiner Familie, irrte sein kleiner treuer Diener einsam und verlassen durch die fremden Straßen der großen Stadt. Keiner hatte mehr an ihn gedacht oder nach ihm gefragt, selbst Frau Rebling war es nur einen kurzen Moment aufgefallen, daß Said nicht da war, und sie hatte sich deshalb an das junge Fräulein Emma um Auskunft gewandt. Doch die hatte ihn nicht gesehen, und aller Gedanken waren mit der Sorge für den jungen kranken Herrn erfüllt, da blieb kein Raum zur Fürsorge für den armen kleinen Diener.



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