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5. Kapitel.

Said macht eine große Reise und erlebt viel neues. In Deutschland würde es ihm viel besser gefallen, wenn Frau Rebling nicht wäre.

 

Nicht ohne Bedauern hatte Hans der leuchtenden Sonne und der weitgestreckten ernsten Wüstenlandschaft Oberegyptens Lebewohl gesagt und oftmals schweifte sein Blick gen Süden, während ihn das Schiff auf den Fluten des Nils weiter und weiter gen Norden führte. Said unterhielt sich prachtvoll und konnte den ganzen Tag zwischen der Bootsmannschaft hocken und ihren Arbeiten zusehen, während Werner bald etwas ungeduldig zu werden begann. Ihm behagte das thatenlose Leben wenig und er sehnte sich danach unter Menschen zu kommen. Endlich langte man in Kairo an und ein bunter Trubel empfing die Reisenden.

Said, der nie etwas ähnliches gesehen, sperrte Mund und Augen auf beim Anblick der großen Stadt mit ihren weiten Straßen und Plätzen, ihrem Häusermeer und ihren zahllosen Moscheen. Zwar die Kamelkarawane, die eben über die große Brücke zog, und die Eseljungen, die an der Landungsstelle des Schiffes ihre Tiere anpriesen, erinnerten ihn an die Heimat, aber die schönen Equipagen mit geputzten Menschen darin, verblüfften ihn geradezu. Als er nun gar selbst in einem Hotelomnibus neben Hans Platz nehmen sollte, war er sprachlos vor Erstaunen. Noch nie in seinem Leben war er von zwei richtigen Pferdchen in einem richtigen Gefährt gezogen worden, sondern auf Schusters Rappen war er bis dahin einzig und allein durch die Welt gekommen. Im Hotel angelangt, gab es erst recht viel zu staunen. Zwar hatte der kleine Gasthof in seinem Heimatsort Said bereits Bewunderung abgenötigt, da sich in jedem Raum Betten befanden und Stühle, während er nur Strohlager und Matten zum Draufhocken als Wohnungseinrichtungen kannte, aber hier gab es nun gar Divane mit bunten Decken, Ampeln mit farbigem Licht und herrliche Teppiche, die den ganzen Boden bedeckten. Dazu hatte Hans Said gleich am ersten Tag ein paar neue Gewänder gekauft von weißer, schöner Leinwand mit breiter, roter Schärpe dazu und Ledersandalen an die nackten Füße, daß sich der Kleine vorkam wie ein König. Den ganzen Tag durfte er sich in seinen neuen Kleidern vor dem Hotel herumtreiben und konnte sich garnicht satt sehen an alledem was es zu schauen gab. Da kamen Gaukler und Zauberer, die lebendige Schlangen Kunststücke machen ließen, da kamen Leute mit abgerichteten Affen und Verkäufer mit Blumen und Schmuck. Wozu die fremden Reisenden wohl solche Sachen kauften? In Saids Heimatstadt gab es nur Eßwaren und nützliche Sachen zu verkaufen, und dem Kleinen war es auch völlig unverständlich, wie man für etwas anderes Geld ausgeben konnte. Und nicht nur von den Händlern kaufte man, nein, da gab es auch große Läden, in deren Schaufenstern hinter Glas die herrlichsten Sachen auslagen, und da gingen alle die Herren und Damen hinein und kamen mit Paketen beladen wieder heraus. Said hätte sein Lebtag in Kairo bleiben mögen und nur immer staunen und sich wundern, er war deshalb ganz traurig, als ihm Hans am andern Tage ankündigte, daß nun die Reise weiter gehen sollte nach Deutschland.

Hans und Werner hatten noch einige Besorgungen zu machen und Said durfte mitgehen, um die Sachen zu tragen. Said liebte nichts mehr als solche Gänge, aber heute sagte er sich doch voll Betrübnis, daß es mit diesem Vergnügen nun bald ein Ende nehmen würde, und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß es irgendwo auf der Welt so schön sein könnte als in Kairo. Trotzdem folgte er dienstwillig seinem Herrn, der in den bewunderten Läden kleine, nötige Besorgungen für die Reise machte, und der Gang endete am Reisebureau, wo die Billets sorgfältig geprüft wurden und dann in die Brieftaschen der Freunde wanderten.

»Na, so weit wären wir also, nun geht es heimwärts, mir kann der Orient mit seinem Schmutz und Staub, seiner sengenden Sonne und seinen räuberischen Beduinen gestohlen bleiben«, sagte Werner mit einem Seufzer der Erleichterung. Er war in bester Laune, warf einigen bettelnden Kindern mit vollen Händen Kleingeld zu und drückte schließlich Said ein letztes egyptisches Silberstück aus seiner Börse in die Hand: »Hier, mein Junge, dafür sollst Du Dir ein Andenken an Egypten kaufen.«

Hocherfreut ließ Said das Geldstück in seinen Gürtel verschwinden und erwog bereits, was alles dafür zu kaufen sei. Es war ein Schilling, dafür mußte halb Kairo feil fein.

Als die beiden Freunde am folgenden Morgen zur Abfahrt bereit standen, waren sie nicht wenig erstaunt, Said mit einem ganzen Arm voll Zuckerrohr angeschleppt kommen zu sehen.

»Junge, wo willst Du denn damit hin?« fragten Werner und Hans wie aus einem Munde.

Said aber erklärte stolz: »Ich gekauft ich, gut schmecken, so gut.« Er leckte sich die Lippen und um die Sache noch anschaulicher zu machen, riß er mit den weißen, blitzenden Zähnen an einer Zuckerrohrstaude die holzige Rinde ab und begann mit Behagen das süßliche Innere auszusaugen.

»So, so«, lächelte Hans, »das ist Dein Andenken an Kairo.«

»Ja, Herr«, bestätigte Said, immer noch kauend, »alles für Schilling gekauft.«

»Aber wir können das ganze Zeug doch nicht mitnehmen«, meinte Werner.

Doch Hans entschied gutmütig: »Ein Andenken aus seiner Heimat mitzunehmen, soll man keinem Menschen verwehren.«

Auch Werner mußte jetzt unwillkürlich lachen, wie er sah, mit welcher Liebe Said sein schweres Bündel umfaßt hielt. »Hätte ich ihm wenigstens nur einen halben Schilling gegeben, dann wäre es nur die Hälfte«, brummte er vor sich hin, wies dann aber selbst den Hotelportier an, das Zuckerrohr mit einem festen Strick zu umschnüren, damit Said sein Besitztum besser regieren könne.

Auf dem Dampfer sollte Said erst recht den Wert seines Andenkens zu schützen lernen. Denn hier, wo deutsche Küche geführt wurde, kam der kleine Schwarze nicht ganz auf seine Kosten. Er brauchte zwar so wenig, aber gerade das, was er so gern aß und was er selbst bei Achmed Malik immer bekommen hatte: Datteln, die gab es nur für die Gäste der ersten Kajüte, und begehrlich folgten Saids Augen der Obstschale, die der Koch zum Nachessen beim Mittagsmahl herrichtete. Wenn er dann die Datteln entschwinden sah, tröstete er sich bei seinem Zuckerrohr, das schmeckte beinah ebenso gut, nur machte es nicht so satt. Aber, wie gesagt, viel brauchte der kleine Said nicht, eine Hand voll Reis oder ein paar Datteln hatten in seiner Heimat für ihn genügt, hier auf dem deutschen Dampfer that es eine Tasse Kaffee oder ein Teller Mehlsuppe mit einem Stück Brot dazu, was schon als große Delikatesse angesehen wurde. Wenn sich irgendwie die Gelegenheit dazu bot, schlich sich Said nach der Mittagsmahlzeit in den Speisesaal ein und alle die Brotreste, die auf dem Tisch lagen, verschwanden dann im Nu in den Falten seiner roten Schärpe, sodaß er ganz geschwollen aussah.

Eines Tages erwischte ihn Hans, als er eben seinen Raub in Sicherheit bringen wollte. Die Nachlese auf dem Mittagstisch war besonders reich gewesen und die Brötchen und Brotscheiben machten! den Gürtel in scharfen Zacken und Kanten abstehen.

»Was hast Du denn da unter Deiner Schärpe versteckt?« fragte Hans und griff nach der eroberten Beute.

Said kam sich vor wie ein ertappter Dieb, Hans aber war nicht wenig erstaunt, nur Brotreste aus den Falten der Schärpe hervorzubefördern.

»Kriegst Du denn nicht satt zu essen, Junge?« fragte er ganz betroffen und erkundigte sich selbst bei dem Kapitän, wie es mit dem Essen für die Dienerschaft bestellt sei. Der Kapitän stellte den Koch zur Rede und der Koch berichtete wahrheitsgetreu, daß Said jeden Tag seinen Teller Fleisch mit Gemüse zum Mittagbrot erhielte, der aber jedesmal unberührt stehen bliebe. Den Kaffee Morgens und die Suppe Abends ließe er sich wohl schmecken, aber zu Mittag müsse er wohl keinen Hunger haben. Er sähe voll Verwunderung den anderen Leuten beim Essen zu und zöge sich hernach mit leerem Magen zurück, um, wie ein Affe in der Ecke hockend, an einer seiner Zuckerrohrstauden zu kauen.

»Er ist eben ein Wilder«, meinte der dicke Koch achselzuckend und Hans mußte sich mit diesem Bescheid zufrieden geben. »Man könnte aber doch dem Kleinen statt der gewöhnlichen Mahlzeit ein Stück Brot zu Mittag geben«, erklärte er und das geschah denn auch. Said bekam Brot soviel er wollte und sobald Hans heraus hatte, wie sehr sein kleines Herz auf Datteln stand, brachte er ihm täglich ein paar dieser seiner heimatlichen Lieblingsfrüchte vom Tisch mit heraus, auch erhielt er gelegentlich eine Apfelsine und lebte so herrlich und in Freuden.

Doch kein Glück ist ungetrübt, wie Said eines Tages zu seinem Mißfallen bemerken mußte. Das Meer war unruhig geworden, so daß das Schiff bedenklich schwankte und unsern kleinen Said nebst zahlreichen anderen Passagieren bekam die Seekrankheit zu fassen. O weh, war das eine Qual! Said wußte erst garnicht was mit ihm vorging und noch weniger begriff er, daß es alle den anderen Leuten ebenso übel zu Mute war wie ihm.

Kreideblaß und ganz zusammengekrümmt fand ihn Hans eines Nachmittags in der Spitze des Schiffs hinter einem aufgerollten Tau. Hans war selbst wind- und wetterfest, hatte aber zu oft an andern die Schrecken der Seekrankheit gewahrt, um nicht Bedauern für den Kleinen zu empfinden.

»Dir geht es wohl schlimm, Said«, sagte er mitleidig und klopfte ihm ermutigend auf die Schulter.

Said zog ein sauersüßes Gesicht. »O Herr, Schiff schankel – schunkel, alles Essen heraus«, und er machte eine nicht mißzuverstehende Bewegung, in welcher Weise es ihm die böse Seekrankheit angethan.

»Es wird bald besser, sobald wir an Land sind«, tröstete Hans.

Und Said war sofort bereit die Tröstung anzunehmen: »Ja Herr, Land gehen«, erklärte er aufspringend, als könnte er seinem Platz auf dem schwankenden Schiff sogleich mit dem auf festen Grund und Boden vertauschen.

Nun mußte Hans wieder abwehren: »Bis morgen mußt Du schon noch warten, Said, hier ist kein Land.«

»Kein Land«, wiederholte Said traurig, »böses Wasser« und er ballte die Faust.

»Nun, nun, nur nicht gleich so zornig«, mahnte Hans, »wenn Du mitkommst, will ich Dir einen Platz zeigen, wo Du das böse Meer nicht so fühlst«, und er führte ihn in die Mitte des Schiffes und hieß ihn sich an den Schornstein des Dampfers anlehnen. Da war es zugleich behaglich warm und die Bewegung des Schiffes etwas abgeschwächt, da naturgemäß das Schiff an den beiden Enden stärker schwankte als hier. Said fühlte sich sogleich etwas besser und ein dankbarer Blick belohnte Hans. Der kleine Schwarze mochte in diesem Augenblick wohl die Empfindung haben, daß sein Herr, der alles vermochte, den Wogen geboten habe, etwas milder mit dem armen, so seekranken Said umzugehen. Er schloß zufrieden die Augen und war bald fest eingeschlafen, während sich Hans wieder auf das Passagierdeck begab und behaglich vom Liegestuhl aus dem aufgeregten Spiel der Wellen zusah.

Am Vormittag des nächsten Tages war das Festland erreicht und für Said gab es von neuem soviel Dinge zu bewundern und anzustaunen, daß es ganz wirr wurde in dem kleinen Knabenkopf. Daheim hatte ein Tag dem andern auf das Haar geglichen, jetzt verdrängte immer ein Bild das andere.

Besonders befremdete es ihn, daß er gar keine dunklen Gesichter mehr sah, hier in Europa hatten alle Leute, auch die Bettler, die sich in Lumpen auf der Straße herumtrieben, helle Haut, während man in Afrika den vornehmen Fremden an der weißen Gesichtsfarbe erkannte. Und die Kinder auf der Straße guckten ihn neugierig an und keines verstand ihn, wenn er es in den Lauten seiner Heimatssprache anredete. Außerdem war es kalt, bitterlich kalt oder wenigstens schien es dem kleinen Said so. Zwar schien die klare Frühlingssonne leuchtend vom blauen Himmel, aber sie wärmte nicht und Said, der an die sengenden Sonnenstrahlen Afrikas gewöhnt war, fröstelte. Sein loses, hemdartiges, arabisches Gewand paßte nicht für Europa. Der Wind blies es hoch auf und machte ihn erschauern. Hans gab ihm mitleidig sein Reiseplaid, darin hüllte er sich ein, machte aber ein so unglückliches Gesicht, daß sogar Werner erklärte: »Du mußt dem Jungen einen vernünftigen Anzug kaufen, er kann nicht länger halb nackend umherlaufen.«

»Ich dachte, wir könnten damit warten bis wir zu Hause sind, aber vielleicht ist es besser wir kleiden ihn gleich europäisch ein«, meinte Hans, und die beiden schritten nun durch die Straßen der deutschen Hafenstadt und suchten etwas passendes für ihren kleinen Schützling. Unschwer fanden die Freunde was sie suchten, und schon wenige Stunden später konnte Said nach einigen kleinen Abänderungen die neue Kleidung anlegen. Es war eine Art blauer Livreerock mit blanken Knöpfen, dazu Pumphosen und Strümpfe und Schnallenschuhe. Auch die nötige Wäsche war nicht vergessen und scharf zeichnete sich der weiße Hemdkragen von der dunklen Gesichtsfarbe des kleinen Schwarzen ab. Said stand ganz verschämt in diesem ihm so fremden Aufzug da, obwohl stolz auf die neuen Kleider, kam er sich doch zunächst ziemlich unbehaglich darin vor. Mit liebevoller Achtsamkeit schnürte er seine arabischen Gewänder zusammen, damit ihm ja kein Stück davon entgehe, im Grunde gefielen sie ihm doch weit besser, die losen herabhängenden Kleider seiner Heimat, als diese festzugeknöpften, engen und steifen neuen Sachen. Aber vor Hans Bieneggs Augen schien die neue Kleidung ungeteilten Beifall zu haben, so fand sich Said darein. Nur zu einem war er nicht zu bewegen, nämlich, daß er seinen roten Fez mit einer blauen Dienermütze vertauschte. Das ging ihm über den Spaß! Mit beiden Händen hielt er die geliebte heimatliche Kopfbedeckung mit der schwarzen Quaste fest und seine Augen funkelten förmlich, als er mit einem Fußtritt die blaue Mütze fortschleuderte. Der Angestellte des Geschäfts, der vor Hans und Werners Augen den kleinen Schwarzen die neugekauften Sachen angelegt hatte, hielt es indessen für seine Pflicht, auch die Mütze, die dazu gehörte, anzupassen. Er nahm diese ruhig wieder vom Boden auf und wollte sie Said mit Gewalt aufzwingen. Da aber biß ihn Said so wütend in die Hand, daß er erschrocken zurückwich.

»Schwarze Bestie«, murmelte er und wischte sich das Blut mit dem Taschentuch von der gebissenen Hand, während Said nochmals mit einer affenartigen Grimasse ihm die scharfen, blitzenden Zähne zeigte.

Der Mann machte indessen garnicht Mine von neuem mit dem Kleinen anzubinden und war froh, mit einem guten Trinkgeld entlassen zu werden. Said aber durfte seinen roten Fez aufbehalten und die blaue Mütze blieb als herrenloses Eigentum zurück.

Während der kurzen Eisenbahnfahrt, die nun noch vor unsern Reisenden lag, bis sie die Hauptstadt erreichten, hatten sie beschlossen, Said lieber zu sich ins Koupee zu nehmen, um ihn unter Augen zu behalten. So saß denn der kleine dunkle Wüstensohn in den weichen Polstern eines Koupees erster Klasse und konnte die vorübereilenden Telegraphenstangen zählen. Aber die Fahrt machte ihm gar keinen Spaß, er kam sich wie in einem Käfig vor und mußte immer von neuem angewiesen werden, nicht mit den Füßen auf dem Sitzpolster zu hocken.

Die beiden Freunde hatten sich jeder in seine Zeitung vertieft und erst als die ersten Häuser der Hauptstadt in Sicht kamen, ward diese bei Seite gelegt. Mit stiller Genugthuung glitten Werners Blicke über die Mauern und Steinkolosse der Großstadt, die er so lange nicht gesehen und die doch seine Heimat bedeuteten.

Plötzlich aber wandte er sich ganz unvermittelt zu seinem Gefährten um. »Hans, was wird bloß Frau Rebling sagen, wenn Du mit dem da ankommst?« und er wies auf Said.

Frau Minna Rebling war die alte Haushälterin von Hans Bienegg, die ihm seine Junggesellenwirtschaft in musterhafter Ordnung hielt, mit rührender Aufmerksamkeit seine beiden Papageien pflegte und fütterte, aber die auch das unbestrittene Regiment im Hause führte, wie die Freunde von Hans behaupteten. Hans hatte der guten alten Seele, die bereits in seinem Elternhause lange Jahre in Dienst gewesen, naturgemäß eine Sonderstellung bei sich eingeräumt. Ihre Treue und ihr Fleiß waren so exemplarisch, daß er sie ruhig schalten und walten lassen konnte, ohne ihr Vorschriften zu machen und deshalb neckten ihn öfter die Freunde und meinten, er müsse sich geduldig unter Frau Reblings Scepter beugen. An Frau Reblings Ansicht über Said hatte Hans nun wirklich noch nicht gedacht, er hatte ihr einfach seine Ankunft mitgeteilt und nicht mal Said erwähnt und doch war der Kleine ja vor allem ihrer Fürsorge überlassen, wenn Hans jetzt wieder täglich in sein Geschäft ging und Abends oft genug auch nicht zu Hause war.

»Frau Rebling ist eine so vernünftige Frau, die wird sich schon des Jungen annehmen«, meinte er, aber etwas unbehaglich war es ihm doch zu Mute, als er schließlich in einer Droschke mit dem kleinen Said neben sich vor seiner Wohnung vorfuhr und Frau Reblings feierliches altes Gesicht unter der schneeweißen, zierlich gebügelten Haube in der Hausthür auftauchte.

»Wie schön, nein, wie schön, daß der junge Herr endlich wieder da sind«, rief sie Hans entgegen, aber ein wahrhaft entsetzter Blick streifte bereits den kleinen Said.

»Guten Tag, meine gute Frau Rebling«, sagte Hans herzlich und schüttelte ihr beide Hände, »wie geht es und wie steht es und was sagen Sie zu dem kleinen Schwarzen hier, den ich mir aus der Wüste mitgebracht habe?«

Frau Rebling betrachtete sich Said, der schüchtern in der Wagenecke kauern geblieben war, von oben bis unten.

»Ist das ein Affe oder ein Mensch?« fragte sie dann.

»Es ist ein ganz braver, kleiner Junge, meine gute Frau Rebling, der Ihnen fortan im Hause zur Hand gehen wird und Ihnen Gänge und dergleichen abnehmen soll, Sie quälen sich ja ohnehin schon genug«, scherzte Hans.

Doch Frau Reblings Augen ruhten mit sichtlichem Mißfallen auf Said.

»Ich werde allein fertig, bin immer allein fertig geworden«, äußerte sie brummig und am liebsten hätte sie die Droschkenthür gleich wieder zugeworfen und Said nach seiner Wüste zurückgeschickt, wenn Hans ihn nicht geheißen hätte auszusteigen und zu folgen.

Frau Rebling warf ihm von Zeit zu Zeit einen mißfälligen Blick über die Schulter zu, während sie Hans über den kleinen Haushalt Bericht erstattete, und in der Wohnung angelangt, meinte sie, auf Said deutend: »Der Schwarze soll doch nicht etwa hier schlafen, der bringt ja nur Schmutz und Ungeziefer in die Zimmer.«

Da aber wurde Hans wirklich ärgerlich. »Hören Sie mal, meine gute Frau Rebling, Sie sähen mich vielleicht hier nicht lebendig vor sich, wenn der Kleine nicht wäre; durch seinen Mut und seine Umsicht hat er mich dort unten in Afrika aus einer großen Gefahr gerettet. Ich werde Ihnen das ein andermal genauer erzählen, aber ich denke, es ist genügend Grund dafür, daß das Kind bei uns bleibt.«

Frau Reblings krausegezogene Stirn hatte sich bei diesen Worten geglättet.

»Hm, hm, wo bringen wir ihn nur unter«, meinte sie kopfschüttelnd, während sie mit Hans durch die wenigen, aber wie ein Schmuckkästchen ausschauenden Zimmer schritt.

»Er kann zum Beispiel im Badezimmer schlafen«, schlug Hans vor.

Doch jetzt ließ sich Said selbst vernehmen: »O Herr, ich hier schlafen, hier!« und er wies auf den Bettteppich vor dem Lager von Hans.

»Du bist ein guter Kerl, anhänglich wie ein kleiner Hund, aber hier sollst Du wie ein Mensch und nicht wie ein Tier leben«, wehrte Haus lächelnd ab und er besprach mit Frau Rebling, wo sich am besten eine Schlafstatt für den Kleinen aufschlagen ließe. Frau Rebling schien es das vernünftigste, die Schränke aus der kleinen Kammer neben Hans' Schlafstube auf den Korridor zu schaffen, um das Kämmerchen für Said herzurichten. Und praktisch wie sie war, ging sie sogleich daran, ihren Rat auszuführen, während Hans sich nach der staubigen Bahnfahrt etwas zurecht machte. Von Said hatte keiner der beiden mehr etwas gesehen, aber eine Stunde später fand ihn Hans in stummes Anschauen der beiden Papageien im Eßzimmer versunken.

Über den hübschen Vögeln hatte Said alles übrige vergessen, seine Augen hingen in kindlichem Entzücken an den beiden großen, vergoldeten Käfigen, die nebeneinander am Fenster standen und in denen Joko und Lorchen sich jeder auf ihre Art ergötzten.

Joko pfiff in seiner lustigen Weise die Melodie eines Studentenliedes, während Lorchen, die gefräßigere, emsig an ihrem Futternäpfchen beschäftigt war.

Vergnügt trat Hans zu seinen beiden Lieblingen.

»Na, Joko, mein Tierchen, was machst Du denn?«

Der grüne Papagei legte den Kopf auf die Seite: »A–dieu, a–dieu«, sagte er langsam und betont.

»Was, adieu sagst Du mir schon wieder, ich bin ja eben erst zurückgekommen«, verwies ihn Hans: »Komm, gieb mir mal die Hand und sage guten Tag.«

Hans öffnete die Thür des Vogelbauers und hielt Joko einen Finger hin, den der gehorsam mit seiner kleinen Kralle umschloß und wie ein alter, guter Kamerad schüttelte, dann aber benutzte er die Gelegenheit, hüpfte seinem Herrn auf den Arm und kletterte daran zur Schulter empor, wobei er sich vergnügt unzählige Male um sich selbst drehte und immer lauter und übermütiger rief: »Hur–rah, Herrchen, Hur–rah!«

Hans freute sich ersichtlich an dem freundlichen Empfang des lustigen Bürschchens, aber er ging jetzt auch zu Lorchens Käfig, um die kleine graue Papageidame zu begrüßen.

»Komm, Lora, Köpfchen kraulen«, und Lorchen schob den Kopf an die Gitterstäbe und sträubte die Federn vor Behagen, als Hans ihr die altgewohnte Liebkosung wieder zukommen ließ.

»Ra, ra«, machte sie dabei und es klang halb wie ein schnurrendes Kätzchen, halb wie eine Rabe, Lorchen sprach nicht so leicht und lernte nicht so gut wie Joko, und es war stets eine besondere Gnade, wenn sie überhaupt einen Ton von sich gab. »Lora, Lora«, sagte sie jetzt lang und gedehnt und schmiegte sich noch fester an das Gitterwerk.

Joko hatte auf seines Herrn Schulter einen Augenblick aufhorchend gestutzt, dann blinzelte er wichtig mit den Augen und: »Was hast Du gesagt, mein Lorchen?« kam es – das S etwas gelispelt – in schulmeisterlichem Tone heraus.

Hans lachte hell auf: »Das ist ja prachtvoll, Joko, das ist ja höchst komisch«, und Joko lachte mit und wiederholte nun: »Was hast Du gesagt, mein Lorchen? Was hast Du gesagt?«

»Sie haben ja Joko in meiner Abwesenheit was ganz neues beigebracht«, wandte sich Hans an die eben eintretende Frau Rebling, während Joko noch immer über die Massen lachte und jetzt, so laut er konnte, nochmals in seiner lispelnden Art herausschrie: »Was hast Du gesagt, mein Lorchen?«

Auch Frau Rebling lachte. »Ja, will es der Herr glauben, das hat der Schlingel ganz allein gelernt!« sagte sie. »Ich wollte Lorchen einige Worte beibringen, und da sie so undeutlich spricht, wiederholte ich wohl sehr oft: Was hast Du gesagt, mein Lorchen?, Das hat sich dann Joko abgehört und nun fragt er selbst alle Augenblicke: Was hast Du gesagt, mein Lorchen?«

»Joko, Du bist das klügste, kleine Papageientier, das mir jemals vorgekommen ist«, sagte Haus, indem er dem Vogel anerkennend die bunten Federn streichelte, und Joko, als ob er das Lob verstünde, beugte den Körper auf und nieder und rief: »Ja, ja, ja, ja!«

Dann aber wurde er in den Käfig gesetzt, damit Hans zu Mittag essen könnte. Der sauber gedeckte Eßtisch stand einladend bereit, und Hans that es nur leid, daß er sich allein zur Mahlzeit niedersetzen sollte. Er hatte sich so an das Zusammensein mit Werner gewöhnt, daß der Freund ihm jetzt richtig fehlte. Ja, er überlegte sich bei Tisch, ob er nicht jenem vorschlagen wollte, daß sie ein Quartier zusammen bezögen und gemeinsame Wirtschaft machten, es war doch eigentlich recht schade gewesen, daß sie sich am Bahnhof hatten trennen müssen und jeder allein in seiner einsamen Behausung anlangte. Das Essen schmeckte aber trotzdem prachtvoll, es war Hans' Lieblingsgericht: Huhn mit Suppe und Reis. Das war recht häuslich und gut zubereitet und mundete zehnmal so gut als die Gasthofsküche. Dann gab es noch Stachelbeertörtchen mit Schlagsahne hinterher und Hans war eben dabei, sich nach vollendeter Mahlzeit eine Zigarre anzustecken, als ein lautes Schelten hinten aus der Küche bis zu ihm drang, – darauf ein klatschender Laut und dann tiefe Stille.

Hans erhob sich, um zu sehen, was es gegeben haben mochte. Als er aber heraustrat, kam ihm Frau Rebling bereits mit hochrotem Gesicht entgegen.

»O, dieser Bengel, dieser Bengel«, stieß sie empört hervor: »Wollen es der Herr wohl glauben, was er thut? Ich stelle ihm einen vollen Teller der schönen Kraftbrühe mit Reis auf den Küchentisch, darin ein ganzes Hühnerbein, und gehe eben einen Moment in mein Zimmer. Als ich zurückkomme, hat sich der Junge den Teller auf die Erde gesetzt, das gute Stück Fleisch in den Kohlenkasten geworfen und die ganze schöne Brühe auf die Erde gegossen, so daß ein Bach auf der gerade frischgestrichenen Diele entlang läuft, er aber hockt mitten in dem Bach und stopft mit beiden Händen abwechselnd den auf dem Teller zurückgebliebenen Reis in die Kinnbacken.«

»Und da haben Sie ihm eine Ohrfeige gegeben?« ergänzte Hans.

»Ja, eine wohlverdiente, gehörige«, bestätigte Frau Rebling selbstzufrieden. Aber Hans mußte diesmal nicht ihrer Meinung sein, er schritt an ihr vorbei zur Küche. Said hatte sich unter einer Küchenbank verkrochen und der Teller, auf dem ein Nest Suppenreis zurückgeblieben, stand noch immer in der Mitte der Küche auf dem Boden. Der kleine Said, völlig verschüchtert, hatte nicht gewagt, seine Mahlzeit fortzusetzen, und selbst auf das gute Zureden von Hans kroch er nur zögernd aus seiner sicheren Zufluchtsstätte hervor. Sein schöner blauer Livreerock war arg befleckt, aber Hans beachtete dies garnicht.

»Komm, mein Junge, iß«, sagte er freundlich und schob ihm selbst den Teller wieder hin, dann drückte er ihm einen Löffel in die Hand und zeigte ihm, wie er es machen müsse, um den Reis auf den Löffel und in den Mund zu schaffen. Zwar erschien Said die Zuhilfenahme der Finger durchaus erforderlich und er benutzte die eine Hand wenigstens dazu, den Reis auf den Löffel zu schieben, den er dann aber, wie Hans es ihm zeigte, ganz manierlich zum Munde führte.

Als Frau Rebling wieder erschien, zuckte der Kleine zusammen und wollte sich abermals verkriechen. Doch Hans hielt ihn fest und forderte Frau Rebling auf, Said noch eine Portion Reis aufzufüllen. Dann mußte Said seinen blauen Livreerock ausziehen, und Frau Rebling wurde gebeten, die Flecke mit Fleckwasser daraus zu entfernen. Ehe aber die beiden, die alte Wirtschafterin und der neue Hausgenosse wieder zusammentrafen, hatte Hans eine lange Unterredung unter vier Augen mit Frau Rebling, deren Erfolg war, daß die gute Frau ein paar Thränen der Rührung vergoß und dann feierlich gelobte, sie wolle die Erziehung des kleinen Said in aller Milde und Güte unternehmen.



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