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Diesmal blieben sie zehn Tage hintereinander im dicken Nebel, ohne etwas zu sehen. Der Fischfang blieb ergiebig, und bei so viel Arbeit langweilte man sich nicht. Von Zeit zu Zeit, in regelmäßigen Zwischenräumen, blies Einer in das beinerne Nebelhorn, was einen Ton gab wie das Brüllen eines wilden Thieres. Manchmal antwortete aus den weißen Nebelgründen ein anderes fernes Brüllen auf ihren Zuruf. Dann wachte man aufmerksamer. Wenn der Ruf sich näherte, spannten sich alle Ohren nach dem unbekannten Nachbar hin, den man wahrscheinlich nicht erblicken würde und dessen Gegenwart doch eine Gefahr war. Man hegte Vermuthungen über ihn; er wurde zu einer Beschäftigung, zu einer Gesellschaft, und in dem Verlangen, ihn zu sehen, strengten sie die Augen an, die ungreifbaren, weißen Tücher zu durchdringen, die überall in der Luft ausgespannt blieben.
Dann entfernte er sich, das Brüllen seines Horns erstarb in dumpfer Weite, und man war wieder in dem Schweigen allein, inmitten der Unendlichkeit unbeweglicher Dünste. Alles war mit Wasser gesättigt; Alles triefte von Salz und Fischlake. Die Kälte wurde durchdringender; die Sonne schleppte sich länger unter dem Horizonte dahin; es gab bereits wirkliche Nächte von einer oder zwei Stunden, deren graues Hereinbrechen drohend und eisig war.
Jeden Morgen maß man mit Blei die Wasserhöhe, aus Furcht, daß die Marie sich zu sehr Island genähert. Aber alle Leinen an Bord konnten aneinandergeknüpft den Meeresgrund nicht erreichen. Also war man noch auf hoher See, in schönem, tiefem Wasser.
Das Leben war rauh und gesund; die beißendere Kälte vermehrte das Wohlbehagen am Abend, den Eindruck eines rechten warmen Obdachs, den man in der Cajüte von massivem Eichenholz empfand, wenn man zum Nachtessen oder zum Schlafen hinabstieg.
Am Tage sprachen diese Männer, die in strengerer Clausur lebten als Mönche, wenig miteinander. Jeder blieb mit seiner Leine Stunden und Stunden lang unwandelbar an dem nämlichen Posten, die Arme allein rührend in der unaufhörlichen Arbeit des Fischens. Sie waren nur durch zwei oder drei Meter von einander getrennt, aber zuletzt sahen sie sich gar nicht mehr.
Diese Ruhe des Nebels, diese weiße Dunkelheit schläferte den Geist ein. Bei der Arbeit sang man sich – mit halber Stimme, um die Fische nicht zu verscheuchen, – eine heimische Melodie. Die Gedanken wurden langsamer und seltener; sie schienen sich auszudehnen, in ihrer Dauer zu verlängern, wie um die Zeit zu füllen, um keine Lücken des Nichtseins – Nichtdenkens entstehen zu lassen. Man hatte keinen Sinn mehr für Frauen, dazu war es zu kalt; träumte aber unzusammenhängende, wunderbare Dinge, wie im Schlaf, und das Gewebe dieser Träume war ebenso lose wie der Nebel ...
Der trübe Augustmonat schloß in jedem Jahre auf diese stille und traurige Weise die Zeit in Island ab. Uebrigens schwellte dasselbe Vollgefühl physischen Lebens die Brust der Seeleute und stählte ihre Muskeln.
Yann hatte wirklich gleich seine gewöhnliche Art und Weise wiedergefunden, als hätte sein großer Kummer nicht angedauert: wachsam und beweglich, rasch beim Manövriren und beim Fischfang, mit zwanglosem, sorglosem Gang; mittheilsam übrigens nur zu seinen Stunden – und die waren selten – den Kopf immer hoch tragend, mit dem gleichgültigen und herrischen Anstrich.
Am Abend, beim Essen, wenn man, das Messer in der Hand, in der verwitterten Wohnung, die die Mutter Gottes aus Thon beschützte, um den Tisch saß, vor dem guten, warmen, vollen Teller, dann kam es vor, daß er wie früher über die komischen Dinge lachte, die die Anderen sagten. Vielleicht dachte er in seinem Innern ein klein wenig an diese Gaud, die Sylvester ihm sicher in den letzten Todesgedanken zur Frau bestimmt, – und die jetzt ein armes Mädchen geworden, ohne eine Seele auf der weiten Welt. – Vielleicht auch dauerte doch vor Allem die Trauer um den Bruder im Herzensgrunde ...
Aber dies Herz Yann's war eine jungfräuliche Region, schwer zu regieren, wenig gekannt, und in der Dinge vorgingen, die sich nach außen nicht enthüllten.