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Einmal gerieten Freda und Frau Eppingwell aneinander. Freda war Griechin und Tänzerin, oder vielmehr sie galt als Griechin, viele glaubten aber nicht recht daran, denn der Ausdruck ihres klassisch geformten Gesichtes deutete auf große Kraft, und die flammende Leidenschaft, die bei seltenen Gelegenheiten aus ihren Augen leuchten konnte, machten ihren Ursprung nur noch zweifelhafter. Es gab ganz wenige Männer, denen es vergönnt war, diesen Ausdruck zu sehen, und wenn auch viele Jahre seit der Zeit verstrichen sein können, so haben sie es nie vergessen und werden es auch nie tun. Sie sprach nie von sich, und es bleibt wohl am besten dabei, daß, wenn sie in Ruhe, ihr Gesicht ganz entschieden griechisch war. Ihr Pelzwerk war das prachtvollste, das sich im ganzen Lande von Chilcoot bis nach St. Michael fand, und ihr Name klang gewöhnlich von aller Männer Lippen. Frau Eppingwell aber war Hauptmannsgattin, ein sozialer Stern erster Größe, und ihr Verkehr umfaßte die vornehmste Koterie von Dawson – eine Koterie, die von profanen Seelen herabsetzend »offizielle Clique« genannt wurde. Sitka Charley hatte einmal mit ihr, als Hungersnot war und das Leben eines Mannes kaum eine Tasse Mehl wert war, eine Schlittenfahrt gemacht und stellte sie über alle andern Frauen. Sitka Charley war Indianer, seine Urteilskraft war die des primitiven Menschen, aber sein Wort war ein Machtspruch, und sein Urteil hatte in allen Lagern unter dem Polarkreis Gültigkeit.
Diese beiden Frauen waren, jede auf ihre Art, Männereroberinnen und Männerbezwingerinnen, und ihre Art war verschieden. Frau Eppingwell herrschte in ihrem Hause und in der Kaserne, wo sie ein Segen für jüngere Söhne, und erst recht für die höheren Polizeibeamten, sowohl für die ausübenden wie gerichtlichen, war. Freda herrschte in der Stadt, aber die Männer, über die sie herrschte, waren dieselben, die bei gesellschaftlichen Anlässen in der Kaserne auftraten und mit Tee und Eingemachtem von Frau Eppingwell in ihrer aus roh zugehauenen Stämmen erbauten Hütte oben auf dem Hange bewirtet wurden. Jede kannte die Existenz der andern, aber ihre Lebensbahnen waren so verschieden und lagen so weit auseinander wie die Pole, und wenn sie auch zufällig hin und wieder voneinander hörten und neugierig waren, so hatte doch niemand sie je eine Frage stellen hören. Und es hätte keine Schwierigkeiten gegeben, wäre nicht eine Dritte in die Stadt gekommen, und zwar ein Modell. Sie kam auf dem ersten Herbsteis mit einem flotten Hundegespann und einer Art kosmopolitischer Berühmtheit. Loraine Lisznayi – alliterativ, dramatisch, von ungarischer Herkunft – gab den Anlaß zum Streit, und es war ihre Schuld, daß Frau Eppingwell von ihrem Haus auf dem Hange herab- und Freda aus der Stadt hinaufkam, um Verwirrung und Verlegenheit auf dem Ball des Gouverneurs zu verbreiten.
Alles dies ist vielleicht eine altbekannte Geschichte in Klondike, aber selbst in Dawson gibt es nur sehr wenige, die wissen, wie es sich in Wirklichkeit verhielt, und auch hier gibt es bis auf ganz wenige Ausnahmen keinen, der der Hauptmannsgattin und der griechischen Tänzerin Gerechtigkeit angedeihen läßt. Und die Ehre dafür, daß jetzt alle Gelegenheit erhalten, zu verstehen und zu urteilen, gebührt Sitka Charley. Er war es, der die meisten Einzelheiten in dem hier folgenden Bericht offenbart hat. Es stimmt nicht, daß Freda ihr Herz einem einfachen Zeitungsschmierer geöffnet, oder daß Frau Eppingwell über das Geschehene gesprochen hätte. Es ist möglich, daß sie sich ausgesprochen haben, aber nicht wahrscheinlich.
Floyd Vanderlip war ein starker Mann – scheinbar. Schwere Arbeit und wenig Essen schreckten ihn nicht, wenigstens ging das aus den Berichten über sein Leben in den ersten Jahren, nachdem er ins Land gekommen war, hervor. In der Gefahr war er ein Löwe, und als er einmal fünfhundert ausgehungerte Männer im Schach gehalten hatte, hieß es, daß niemand je mit größerer Kaltblütigkeit das Sonnenlicht auf einem Büchsenlauf hatte spielen sehen. Er hatte nur eine Schwäche, und seihst die war eine Folge seiner Stärke und eigentlich eine negative Schwäche. Er hatte einen starken Charakter, aber er konnte sich nicht einordnen. Er war ausgesprochen erotisch, aber dieser Instinkt hatte in ihm geschlummert und war in den Jahren, als er von Elchfleisch und Lachs lebte und über vereiste Wasserscheiden auf die Jagd nach schimmernden Eldorados ging, nicht zur Entfaltung gelangt. Als er aber endlich einen der reichsten Claims in Klondike entdeckt hatte, begann sich die Erotik in ihm zu regen, und als er seinen Platz als ausgewachsener Bonanza-König in der guten Gesellschaft einnahm, erwachte sie ganz und machte sich zu seinem Herrn. Er erinnerte sich plötzlich eines jungen Mädchens in den Vereinigten Staaten, und ihn überkam nicht nur das Gefühl, daß sie auf ihn warten mochte, sondern auch, daß eine Frau etwas sehr Angenehmes für einen Mann sei, der mehrere Breitengrade nördlich vom dreiundfünfzigsten lebte. Folglich schrieb er einen entsprechenden Brief, legte ein Akkreditiv ein, das genügte, um alle Ausgaben einschließlich Aussteuer und Anstandsdame zu decken, und adressierte ihn an eine gewisse Flossie. Flossie! Den Rest konnte man sich denken. Hierauf erbaute er sich eine sehr geräumige Hütte auf seinem Claim, kaufte sich eine andere in Dawson und erzählte die Neuigkeiten seinen Freunden.
Aber gerade hier begann sein Mangel an Anpassungsfähigkeit sich geltend zu machen. Die Wartezeit war lang, und das erotische Element in ihm, das er so lange zurückgedrängt hatte, wollte sich keinen weiteren Aufschub gefallen lassen. Flossie war unterwegs, aber Loraine Lisznayi war am Orte. Und nicht nur, daß Loraine Lisznayi am Orte war, ihre kosmopolitische Berühmtheit war ein wenig abgegriffen, und sie war nicht mehr so jung wie zu der Zeit, da sie künstlerisch begabten Königinnen Modell stand und den Besuch von Kardinälen und Fürsten empfing. Dazu befanden sich ihre pekuniären Verhältnisse in einer traurigen Verfassung. Sie, die seinerzeit ein wildes Leben geführt hatte, hatte jetzt nichts dagegen, sich mit einem Bonanza-König einzulassen, dessen Reichtum sich auf mindestens eine sechsstellige Zahl belief. Wie ein kluger Soldat, der sich nach viel jährigem Dienst nach einer Lebensstellung umsieht, war sie nach dem Nordlande gekommen, um sich zu verheiraten. Und so kam es, daß ihre Augen eines Tages denen Floyd Vanderlips mit einem strahlenden Lächeln begegneten, als er im Laden der P. C. Company war, um Tischzeug für Flossie zu kaufen, und damit war alles entschieden.
Solange ein Mann frei ist, sieht man ihm viel durch die Finger, sobald er aber dumm genug ist, sich an eine Frau zu binden, wird die Gesellschaft augenblicklich von denselben Dingen Aufhebens machen. Und so ging es auch Floyd Vanderlip. Flossie war unterwegs, und als Loraine Lisznayi die Hauptstraße entlang hinter seinen Wolfshunden gefahren kam, erklang ein leises Murmeln. Sie begleitete die Journalistin vom Kansas City Star, als seine Bonanza-Besitzungen photographiert wurden, und verfolgte mit Interesse das Werden eines sechsspaltigen Artikels. Bei dieser Gelegenheit wurden sie in Flossies Hütte königlich bewirtet, und der Tisch war mit Flossies Tischzeug gedeckt. Ferner gab es andauernd Ausflüge und Festlichkeiten, die, in Parenthese bemerkt, alle äußerst ungehörig waren und die Männer zu scharfen Bemerkungen und die Frauen zu Bosheiten veranlaßten. Nur Frau Eppingwell hörte nichts. Das ferne Summen der bösen Zungen erreichte sie nur wie ein schwaches Echo; sie war geneigt, nur Gutes von den Leuten zu glauben und ihre Ohren für alles, was schlecht war, zu verschließen, und deshalb nahm sie keine Notiz davon.
Aber so war es mit Freda nicht. Sie hatte keinen Grund, die Männer zu lieben, und so merkwürdig waren ihre Gefühle, daß ihr die Frauen leid taten – die Frauen, die zu lieben sie noch weniger Grund hatte. Und jetzt tat ihr Flossie leid, die zu dieser Zeit gerade ihre weite Reise angetreten hatte und nach dem ungastlichen Nordland steuerte, um einen Mann aufzusuchen, der möglicherweise gar nicht auf sie wartete. Freda stellte sich Flossie als ein etwas furchtsames junges Mädchen vor von der Art, die schwer auf eigenen Füßen stehen kann, ein junges Mädchen mit einem schwächlichen Mund und einem sehr kleidsamen Schmollen, wirrem sonnenlichten Haar und heiteren Augen, die ohne Tiefe waren und aus Freude über die Kleinigkeiten des Lebens strahlten. Aber sie stellte sich Flossie auch vor, wie sie, die Frostmaske über dem Gesicht und von Reif bedeckt, müde hinter den Hunden daherwankte. Und deshalb lächelte sie denn auch Floyd Vanderlip eines Abends beim Tanz zu.
Wenige Männer nur können dem Lächeln Fredas widerstehen, und zu ihnen kann man Floyd Vanderlip nicht rechnen. Die Gunst, in der er bei dem früheren Modell stand, ließ ihn sich mit neuen Augen betrachten, und als nun auch die griechische Tänzerin ihm Augen zu machen begann, fühlte er sich doppelt männlich. Er besaß offenbar unbekannte Eigenschaften und Tiefen, für die nur sie den rechten Blick hatten. Er wußte nicht recht, was für Eigenschaften und Tiefen das waren, hatte aber eine unklare Vorstellung, daß sie sich irgendwo bei ihm befanden, und die Folge war, daß er ungeheuer eingebildet wurde. Ein Mann, für den solche Frauen sich interessierten, mußte wirklich etwas ganz Besonderes sein. Wenn er eines Tages Zeit bekam, wollte er darüber nachdenken, und versuchen herauszubekommen, was es war, das ihn so verlockend machte, jetzt aber, eben jetzt, wollte er alles nehmen, was die Götter ihm geschenkt hatten. Und eine zarte Stimme begann sich in seinem Innern zu erheben, und er dachte darüber nach, was er eigentlich in Flossie gesehen haben mochte, und begann bitter zu bereuen, daß er nach ihr geschickt hatte. Selbstverständlich konnte keine Rede von Freda sein. Seine Claims waren die reichsten am Bonanza-Creek, und er hatte viele von ihnen. Ja, und er war ein Mann mit großer Verantwortung und einer Stellung, auf die er Rücksicht nehmen mußte. Aber Loraine Lisznayi – die war gerade eine Frau für ihn. Sie hatte in großen Verhältnissen gelebt, und sie würde eine vorzügliche Gattin abgeben und ihm helfen, sein Geld mit Anstand zu verbrauchen.
Aber Freda lächelte und lächelte, bis er einen Teil seiner Zeit in ihrer Gesellschaft zu verbringen begann. Als auch sie hinter seinen Wolfshunden die Straße entlang gefahren kam, begann das frühere Modell über die Dinge nachzudenken, und bei ihrem nächsten Zusammensein blendete sie ihn völlig mit ihren Fürsten und Kardinälen und mit kleinen persönlichen Anekdoten von Höfen und Königen. Sie zeigte ihm sogar kleine elegante Billetts mit der Überschrift »Meiner lieben Loraine« und der Unterschrift eines Pseudonyms, das eine wirklich lebende regierende Königin benutzte. Er wunderte sich im geheimen, daß diese große Frau auch nur eine Minute ihrer Zeit auf ihn verschwendete. Aber sie spielte ihr Spiel mit großer Gewandtheit und stellte schmeichelhafte Kontraste und Vergleiche auf zwischen ihm und den stolzen Gestalten, die zum größten Teil nur in ihrer Phantasie existierten, bis er, schwindelnd vor Stolz und tief betrübt über die Welt, die ihm so lange vorenthalten gewesen, seines Weges ging. Freda war ihrer selbst sicherer. Wenn sie schmeichelte, wußte es keiner. Wenn sie sich entwürdigte, bemerkte keiner, daß sie es tat. Wenn ein Mann das Gefühl hatte, daß sie gut von ihm dachte, so wurde ihm dieses Gefühl auf eine so feine Art beigebracht, daß er nicht hätte sagen können, warum und wieso, und wenn es sein Leben gekostet hätte. Und dadurch befestigte sich ihre Macht über Floyd Vanderlip, und sie fuhr täglich hinter seinen Hunden.
Und dann kam es, daß der Irrtum geschah. Das Gerücht, das ihn in Verbindung mit der Tänzerin brachte, wurde immer lauter und bestimmter, und Frau Eppingwell hörte es. Auch sie dachte an Flossie, die mit ihren mokassinbekleideten Füßen Stunde auf Stunde durch die Unendlichkeit wanderte, und Floyd Vanderlip wurde zum Tee auf den Hügel eingeladen, und zwar oft. Das überwältigte ihn völlig, und er wurde ganz trunken vor Stolz. Nie war ein Mann so mißhandelt worden. Seine Seele wurde ein Apfel der Zwietracht zwischen drei Frauen, während eine vierte unterwegs war, um ihre Forderung an sie geltend zu machen. Und drei solche Frauen!
Doch um von dem Irrtum zu reden, dessen Frau Eppingwell sich schuldig machte: Sie hatte die Angelegenheit oberflächlich vor Sitka Charley erwähnt, der der Griechin einige Hunde verkauft hatte. Im übrigen wurden keine Namen genannt. Das einzige, was Frau Eppingwell sagte, war: »Dieses schreckliche Frauenzimmer«, und Sitka Charley, der den Kopf voll von dem früheren Modell hatte, wiederholte: »Dieses – schreckliche Frauenzimmer.« Und er war völlig mit ihr einig, daß es niederträchtig von einer Frau war, sich zwischen einen Mann und das junge Mädchen, das er heiraten sollte, zu stellen. »Und ich bin sicher, daß sie ein ganz junges Mädchen ist, Charley«, sagte sie. »Und wenn sie herkommt, hat sie keinen einzigen Menschen. Wir müssen etwas tun.« Sitka Charley versprach ihr zu helfen und ging, und er dachte darüber nach, eine wie schlechte Frau Loraine Lisznayi sein mußte und welch edle Frauen Frau Eppingwell und Freda waren –, daß sie sich für das Wohl und Wehe der unbekannten Flossie so interessierten.
Frau Eppingwell war so offenherzig wie der Tag. Sitka Charley, der sie einmal am Berg des Schweigens vorbeigeleitete, kommt die Ehre zu, ein Bild von ihrem klaren, untersuchenden Blick, ihrer klaren, klingenden Stimme und ihrem unendlichen Freimut gezeichnet zu haben. Sie war gewohnt, gerade auf eine Sache loszugehen. Sie hatte Floyd Vanderlip eingeschätzt und wagte es nicht bei ihm, aber sie fürchtete sich nicht, in die Stadt zu gehen und mit Freda zu sprechen. Und in der Stadt ging sie bei vollem Tageslicht in das Haus der Tänzerin. Sie war über dummes Volksgerede erhaben, und dasselbe galt von ihrem Gatten, dem Hauptmann. Sie wünschte diese Frau zu sehen und mit ihr zu reden, und sie konnte nicht einsehen, warum sie das nicht tun sollte. So stand sie denn im Schnee vor der Tür der Griechin, bei dreißig Grad Fahrenheit unter Null, und parlamentierte ganze fünf Minuten mit einem Dienstmädchen. Sie hatte auch das Vergnügen, von der Tür fortgewiesen zu werden und, empört über die ihr angetane Schmach, wieder ihren Hügel zu ersteigen. Wer ist diese Frau, daß sie mich nicht empfangen will, fragte sie sich. Man sollte glauben, es sei umgekehrt, ich sei eine Tänzerin, die von der Tür einer Hauptmannsgattin fortgewiesen wäre. Sie wußte, daß sie Freda, wenn sie zu ihr heraufgekommen wäre – einerlei in welcher Angelegenheit– an ihren Kamin geladen haben würde, und daß sie dort als zwei Frauen miteinander gesessen und geredet hätten. Sie hatte etwas getan, das für unpassend galt, und sich herabgewürdigt, aber sie hatte gedacht, daß es mit den Frauen in der Stadt anders stände. Und sie schämte sich, daß sie sich einem solchen Hohn ausgesetzt hatte, und war sehr unfreundlich gegen Freda gestimmt.
Nicht, daß Freda das verdient hätte. Frau Eppingwell war von ihrer Höhe herabgestiegen, um ihr zu begegnen, die außerhalb der Kasten stand, und das hatte Freda mit ihrer Kenntnis der Traditionen, in denen sie einmal erzogen war, nicht zugeben wollen. Sie konnte eine solche Frau anbeten und hätte sich keine größere Freude denken können, als sie in ihre Hütte zu bitten und mit ihr zusammenzusitzen –, nur eine Stunde zusammenzusitzen. Aber ihre Achtung vor Frau Eppingwell und ihre Achtung vor sich selber, die kein anderer achtete, hatte sie verhindert zu tun, was ihr höchster Wunsch war.
Obwohl sie sich noch nicht ganz von dem Besuch erholt hatte, den ihr kürzlich die Frau des Pastors, Frau McFee abgestattet hatte, die wie ein Wirbelwind von Ermahnungen und Höllenqualen in ihr Dasein eingebrochen war, konnte sie sich doch nicht denken, was der Anlaß zu Frau Eppingwells Besuch war. Sie war sich nicht bewußt, etwas besonders Schlimmes getan zu haben, und diese Frau, die vor ihrer Tür wartete, konnte sich doch unmöglich um das Heil ihrer Seele bekümmern. Was wollte sie? Aber trotz der Neugier, die sie nicht bezwingen konnte, verhärtete sie ihr Herz mit dem Stolz, der der Stolz der Demütigen ist, und sie lag zitternd wie ein junges Mädchen unter dem ersten Kuß des Geliebten in ihrem innersten Zimmer. Wie Frau Eppingwell, als sie den Hügel hinanschritt, so litt auch sie, wie sie im Bette lag, das Gesicht in die Kissen gepresst, stumm, mit trockenen Augen und trockenen Lippen.
Frau Eppingwell war Menschenkennerin und bemühte sich, alles und alle zu verstehen. Es war ihr leicht geworden, den Schritt von der Zivilisation weg zu tun, und die Dinge von einem historischen Standpunkt aus zu sehen. Sie konnte gewisse primitive Eigenschaften an einem hungrigen Wolfshund und an einem Mann in derselben Situation verstehen und gewisse Linien vorausbestimmen, denen beide unter gleichen Bedingungen folgen würden. Für sie war Weib Weib, ob sie nun in Purpur oder in die Lumpen des Rinnsteins gekleidet war, und Freda war ein Weib. Es hätte sie nicht überrascht, wenn sie in die Hütte der Tänzerin geführt und von ihr wie ihresgleichen empfangen worden wäre, es hätte sie auch nicht überrascht, wenn sie mit einem Hochmut empfangen worden wäre, der keinen Stolz enthielt. Aber so behandelt zu werden, das war ihr sowohl unerwartet wie enttäuschend. Also hatte sie den Standpunkt Fredas nicht verstanden. Ja, es gibt gewisse Standpunkte, die man sich nicht ohne viel Schmerz und persönliche Kreuzigung aneignen kann, und es ist nur gut, daß Frauen von Frau Eppingwells Typ in gewissen Punkten nicht alles und alle verstehen. Man weiß nichts von Besudlung, wenn man nicht Pech angerührt hat, der schwer wieder abzuwaschen ist, und es gibt Menschen genug, die bereit sind, das Experiment zu machen. Alles das hat nur insofern Bedeutung, als es Frau Eppingwell Kummer bereitete und die Ursache wurde, daß die Griechin sie noch mehr liebte.
Und so ging es denn einen ganzen Monat lang. Frau Eppingwell bemühte sich, den Mann von der verführerischen griechischen Tänzerin fernzuhalten, bis Flossie käme; Flossie legte jeden Tag soundso viele Meilen der traurigen Strecke zurück; Freda kämpfte aus aller Macht mit dem früheren Modell, das seinerseits wieder jeden Nerv anspannte, um den Preis zu gewinnen, und der Mann kam sich dabei wie eine Spinne im Netz vor und war sehr stolz, weil er sich für einen zweiten Don Juan hielt.
Kein anderer als der Mann selbst war schuld daran, daß Loraine Lisznayi ihn schließlich fing. Es ist möglich, daß die Wege des Mannes einer Frau gegenüber unerforschlich sind, aber die Wege einer Frau einem Manne gegenüber sind jenseits aller Weisheit, und deshalb wäre wahrlich der ein schlechter Prophet, der vorauszusagen wagte, was Floyd Vanderlip nur vierundzwanzig Stunden später tun würde. Vielleicht bestanden die Verlockungen des früheren Modells darin, daß sie wie ein herrliches Tier anzuschauen war, vielleicht bezauberte sie ihn mit dem Gerede von Fürsten und Palästen der alten Welt; jedenfalls aber verblendete sie ihn, der sein ganzes Leben in unzivilisierten Verhältnissen verbracht hatte, und er ging schließlich auf ihren Vorschlag ein, eine schnelle Reise flußabwärts zu unternehmen und in Forty Mile Hochzeit zu halten. Und damit alle Welt wußte, was er im Sinne hatte, kaufte er sich Hunde von Sitka Charley – es gehört mehr als ein Schlitten dazu, wenn eine Frau wie Loraine Lisznayi sich auf die Reise begibt – und zog dann nach seinen Bonanza-Minen, um für die Dauer seiner Abwesenheit einen Aufseher zu bestellen.
Er hatte eine recht undeutliche Erklärung gegeben, daß er die Tiere brauche, um Holz von der Sägemühle nach den Schleusen zu fahren. Und nun zeigte Sitka Charley, wozu er taugte. Er versprach, ihm die Hunde zu einem bestimmten Tage zu verschaffen, sobald aber Floyd Vanderlip seine Schritte flußaufwärts gewandt hatte, stellte Charley sich in hoher Erregung bei Loraine Lisznayi ein. Ob sie wisse, wo Herr Vanderlip hingegangen wäre? Er selbst hätte zugesagt, besagtem Herrn eine ganze Menge Hunde zu einer bestimmten Zeit zu liefern, aber dieser schamlose Mensch, der deutsche Kaufmann Meyer, habe die Viecher aufgekauft und schraube jetzt die Preise hoch. Er müsse Herrn Vanderlip auf jeden Fall sprechen, weil der schamlose Mensch erreichte, daß er seinen Verpflichtungen erst eine Woche nach der Verabredungszeit nachkommen könne. Wisse sie, wo er hingegangen sei? Flußaufwärts? Schön, er wolle ihm sofort nachsetzen und ihn von der unangenehmen Verspätung benachrichtigen. Habe er recht verstanden, daß sie sagte, Herr Vanderlip brauche die Hunde zu Freitag abend? Daß er sie zu der Zeit haben müsse? Es sei wirklich höchst unangenehm, aber der schamlose Mensch habe schuld daran, er habe die Preise hochgeschraubt. – Sie seien um fünfzig Dollar pro Kopf gestiegen, und wenn er zu den höheren Preisen kaufen solle, würde er bei dem Handel verlieren. Er möchte gern wissen, ob Herr Vanderlip bereit sei, die Differenz zu bezahlen. Wüßte sie, ob er das tun würde? Da sie mit Herrn Vanderlip so befreundet sei, würde sie vielleicht selbst die Differenz bezahlen? Und er solle nichts davon sagen? Es sei sehr freundlich von ihr, Rücksicht auf seine Interessen zu nehmen. Hätte sie Freitag abend gesagt? Schön! Die Hunde sollten zur Stelle sein. Eine Stunde später wußte Freda, daß die Entführung am Freitag abend stattfinden sollte; ferner wußte sie, daß Floyd Vanderlip flußaufwärts gezogen war, und daß ihr die Hände gebunden waren. Am Freitag morgen kam Devereaux, der offizielle Kurier, mit Depeschen des Gouverneurs über das Eis. Außer den Depeschen brachte er auch Nachrichten von Flossie. Er hatte ihr Lager bei Sixty Mile passiert; Menschen und Tiere befanden sich in ausgezeichneter Verfassung und würden ganz sicher im Laufe des folgenden Tages eintreffen. Frau Eppingwell fühlte sich sehr erleichtert, als sie das hörte; Floyd Vanderlip war gut geborgen oben am Flusse, und ehe die Griechin ihn wieder zu fassen bekam, würde seine Braut sich auf dem Schauplatz zeigen. Am Nachmittag aber wurde ihr großer Bernhardiner, als er tapfer die Treppe zu ihrem Hause verteidigte, von einer Räuberbande ausgehungerter Malemuten umgeworfen, die von einer weiten Schlittenreise kamen. Dreißig Sekunden lang lag er unter der behaarten Masse begraben, dann wurde er mit Hilfe von einigen Beilen durch ein paar tüchtige Männer befreit. Wäre er nur zwei Minuten dort liegengeblieben, so hätte er alle Chance gehabt, zerrissen und in den Magen der Angreifer forttransportiert zu werden, so aber wurde es ein Beispiel properer und schneller Verstümmelung. Es wurde Sitka Charleys Sache, den Schaden zu reparieren – namentlich eine rechte Vorderpfote, die sich unversehens den Bruchteil einer Sekunde zu lange zwischen den Zähnen eines anderen Hundes aufgehalten hatte. Als er sich die Fäustlinge anzog, um zu gehen, kam die Rede auf Flossie und dann, durch eine natürliche Gedankenverbindung, auf das – »schreckliche Frauenzimmer«. Sitka Charley bemerkte wie zufällig, daß es ihre Absicht sei, am Abend mit Floyd Vanderlip den Fluß hinabzufahren, und erklärte weiter, daß zu dieser Jahreszeit die Möglichkeit eines Unfalls sehr groß wäre. Die Folge war, daß Frau Eppingwell noch unfreundlicher als je von Freda dachte. Sie schrieb einen an den umstrittenen Mann adressierten Brief und übergab ihn einem Boten, der ihn bei der Einfahrt zum Bonanza-Creek abpassen sollte. An demselben strategischen Punkt wartete ein anderer Mann mit einem Brief von Freda. Und so kam es, daß Floyd Vanderlip, als er heiter auf seinem Schlitten in dem schwindenden Tageslicht angefahren kam, die beiden Briefe auf einmal erhielt. Den Fredas zerriß er. Nein, er wollte sie nicht besuchen. Es standen heute größere Dinge bevor. Und im übrigen kam sie gar nicht in Frage. Aber Frau Eppingwell! Er wollte ihrem letzten Wunsche – oder vielmehr dem letzten Wunsch, den sie an ihn richten konnte – sich mit ihr auf dem Ball des Gouverneurs zu treffen, nachkommen und hören, was sie ihm zu sagen hatte. Nach dem Ton des Briefes zu urteilen, schien es wichtig zu sein – vielleicht – –. Er lächelte eingebildet, konnte aber den Gedanken nicht recht in Worten ausdrücken! Teufel auch, welch ein Glück er bei Frauen hatte! Dann verstreute er die Fetzen ihres Briefes in die kalte Luft, trieb die Hunde an, daß sie in schnellem Trab davonjagten und steuerte nach seiner Hütte. Es sollte Maskenball sein, und er mußte das Kostüm haben, das er vor einigen Monaten im Opernhaus gebraucht hatte. Dann mußte er sich rasieren und etwas essen. Und so kam es, daß er als einziger von allen, die sich für Flossie interessierten, nicht wußte, daß sie so nahe war.
»Also hör'! Bring' sie an das Wasserloch beim Hospital – Punkt zwölf Uhr Mitternacht. Aber laß mich nicht im Stich«, sagte er zu Sitka Charley, der mit der Nachricht kam, daß noch einer von den Hunden fehlte, aber im Laufe einer Stunde kommen sollte. »Hier ist der Goldbeutel, dort die Wage. Wieg dir deinen Goldstaub ab und laß mich in Ruhe. Ich muß mich zum Ball fertigmachen.«
Sitka Charley wog sich seine Bezahlung ab und ging mit einem Brief an Loraine Lisznayi. Er dachte sich sehr richtig, daß dieser Brief von einem Stelldichein beim Wasserloch vor dem Hospital um Punkt zwölf Uhr Mitternacht handelte.
Zweimal schickte Freda nach der Kaserne, wo der Tanz in vollem Gange war, und jedesmal kam der Bote ohne Antwort wieder. Da tat sie etwas, was nur Freda tun konnte – zog ihren Pelzmantel an, nahm eine Maske vor und ging selbst in das Haus des Gouverneurs. Nun hatte sich die offizielle Clique längst an einen bestimmten Brauch gewöhnt, wobei sie durchaus nicht allein dastand. Es war ein sehr vernünftiger Brauch, denn er half die Damen der Beamten zu schützen und ihre heiteren Feste exklusiver zu machen. Bei jedem Maskenball wurde ein Komitee ernannt, dessen einzige Aufgabe es war, am Eingang zu stehen und unter jede Maske zu gucken. Die meisten Männer waren alles eher als darauf versessen, diesem Komitee anzugehören, andererseits waren gerade die, welche diese Ehre am wenigsten erstrebten, am gesuchtesten. Der Kapellan kannte Aussehen und Ansehen der Leute nicht genügend, um zu wissen, wem er Zutritt gewähren, und wen er abweisen sollte. Und dasselbe galt von den verschiedenen anderen braven Männern, die Wert auf den Posten gelegt hätten. Frau McFee würde ihre Seligkeit aufs Spiel gesetzt haben, um ihn bekleiden zu dürfen – und das tat sie auch eines Abends, als ein gewisses Kleeblatt an ihr vorbeischlüpfte und große Verwirrung anrichtete, ehe man entdeckte, wer es war. Seitdem wählte man nur Leute, die ihre Sache wirklich verstanden, und die nahmen diesen Vertrauensposten nur sehr widerwillig an.
Diesmal war es Prince, der den Türhüter machte. Es wurde ein gewisser Druck auf ihn ausgeübt, und er hatte sich noch nicht von seinem Erstaunen darüber erholt, daß er eine Aufgabe übernommen hatte, die ihn aller Wahrscheinlichkeit nach die Hälfte seiner Freunde kosten würde – nur um der anderen Hälfte zu gefallen. Drei oder vier von den Leuten, die er abgewiesen hatte, waren Männer, die er aus Goldgräberlagern und von Schlittenreisen kannte – gute Kameraden, aber nicht gerade von der Art, wie sie für eine exklusive Gesellschaft paßte. Er grübelte gerade, wie er den Posten gleich wieder loswerden könnte, als eine Frau mit leichten Schritten in das Licht trat. Freda! Nach dem Pelzwerk zu schließen, hätte er darauf wetten können, daß sie es war – selbst wenn ihm ihre Kopfhaltung nicht so vertraut gewesen wäre. Sie war die letzte, die er zu sehen erwartet hatte. Er hatte sie für zu klug gehalten, als daß sie sich der Schande, abgewiesen zu werden, oder selbst wenn sie durchschlüpfte, der Verachtung der andern Frauen ausgesetzt hätte. Er schüttelte den Kopf, ohne eine nähere Untersuchung anzustellen, denn er kannte sie zu gut, um sich zu irren. Aber sie trat näher auf ihn zu. Sie hob die schwarze Seidenmaske und ließ sie gleich wieder fallen. In einer einzigen Sekunde, die wie eine Ewigkeit war, sah er ihr Gesicht. Nicht umsonst hieß es im Lande, daß Freda mit Männern spielte wie ein Kind mit Seifenblasen. Es wurde nicht ein einziges Wort gesprochen. Prince trat beiseite, und ein paar Minuten später konnte man ihn sehen, wie er rot und stotternd um Entlassung von dem Posten bat, den er verraten hatte.
Eine anmutige Frauengestalt, schlank und mit einer gewissen rhythmischen Kraft in jeder Bewegung ging rastlos und suchend unter den heiteren Gästen umher. Bald blieb sie bei einer Gruppe stehen, bald sah sie forschend eine andere an, und die Männer erkannten ihr Pelzwerk und wunderten sich – Männer, die dem Türhüterkomitee hätten angehören sollen, aber nichts sagen wollten. Anders stand es mit den Frauen. Sie hatten einen schärferen Blick für die Linien der Gestalt und die Eigentümlichkeiten der Haltung, und sie wußten, daß dies eine Gestalt war, die sie nicht kannten, so wenig wie sie das Pelzwerk kannten. Frau McFee, die aus dem Zimmer kam, wo das Souper eingenommen werden sollte – sie hatte dort alles in Ordnung gefunden –, sah die flammenden, suchenden Augen hinter den Öffnungen der seidenen Maske und erschrak. Sie versuchte sich zu erinnern, wo sie solche Augen gesehen hatte, und in ihrer Erinnerung tauchte das deutliche Bild einer stolzen, aufrührerischen Sünderin auf, die sie einmal bei einem fruchtlosen Versuch, im Dienste des Herrn zu arbeiten, getroffen hatte.
So kam es, daß die brave Frau sich in flammendem, gerechtem Zorn auf die Suche begab und schließlich denn auch Frau Eppingwell und Floyd Vanderlip fand. Frau Eppingwell hatte soeben die gesuchte Gelegenheit gefunden, mit dem Manne zu reden. Sie hatte beschlossen, jetzt, da Flossie so nahe war, direkt auf die Sache loszugehen, und wollte ihm gerade eine scharfe kleine Vorlesung über Ethik halten, als sie aus zweien drei wurden. Sie fühlte sich angenehm berührt von dem leicht ausländischen Klang des Wortes »Verzeihung«, womit die pelzgekleidete Dame sofort Beschlag auf Floyd Vanderlip legte, und mit einem höflichen Neigen des Kopfes gab sie zu verstehen, daß sie ein wenig beiseitetreten könnten.
Aber da geschah es, daß Frau McFee in gerechtem Zorn eingriff, und im nächsten Augenblick wurde einer erschrockenen Frau die Maske vom Gesicht gerissen. Ein herrliches Gesicht und ein Paar strahlende Augen offenbarten sich den ruhigen, neugierigen Blicken, die sich aus dem ganzen Saale auf sie richteten. Floyd Vanderlip war recht verdutzt. Die Situation erforderte ein entschlossenes Auftreten von einem Manne, der Herr der Situation war, während er kaum wußte, ob er auf dem Kopf oder auf den Beinen stand. Er sah sich völlig hilflos um. Frau Eppingwell war ganz verwirrt. Sie konnte nichts verstehen. Eine Erklärung war erforderlich, und die gab Frau McFee.
»Frau Eppingwell,« sagte sie mit schriller Stimme, »es ist mir ein großes Vergnügen, Sie mit Freda Moloof bekanntzumachen, Fräulein Freda Moloof, wenn ich recht verstanden habe.«
Freda wandte sich unwillkürlich um. Wie sie mit entblößtem Gesicht dastand, fühlte sie sich wie in einem Traum, nackt, mitten in dem maskierten Kreis, dessen bedeckte Gesichter und funkelnde Augen ihr zugekehrt waren. Es schien ihr fast, als sei sie von einem hungrigen Wolfsrudel umgeben, das sich auf sie stürzen wollte. Sie dachte, daß sie einem oder dem rändern vielleicht leid täte, und der Gedanke machte sie hart. Sie zog bei weitem ihre Verachtung vor. Mutig war sie, diese Frau, und obwohl sie die Beute gejagt hatte, bis sie mitten im Rudel stand, wollte sie sie nicht lassen – trotz Frau Eppingwell.
Aber da tat Frau Eppingwell etwas Ungewöhnliches. Da ist also endlich Freda, dachte sie – Freda, die Tänzerin, die Männer ruiniert, die Frau, von deren Tür ich weggewiesen wurde. Sie fühlte die Nacktheit dieses stolzen Geschöpfes, als wäre es ihre eigene gewesen. Vielleicht war es ihre angelsächsische Abneigung, einem widerstandslosen Feinde zu begegnen, vielleicht – ja, wahrhaftig, vielleicht war es die Hoffnung, daß es ihr größere Kraft im Kampfe um den Mann verleihen könnte, und vielleicht war es beides, aber wie dem auch sei, sie tat etwas Merkwürdiges. Als Frau McFee ihre dünne Stimme, von Bosheit zitternd, erhoben und Freda sich unwillkürlich umgewandt hatte, wandte auch Frau Eppingwell sich um, nahm ihre Maske ab und beugte den Kopf zu einem Gruß. Wieder betrachteten sich die beiden Frauen in einer Sekunde, die wie eine Ewigkeit war. Die eine mit flammenden Augen, ein Meteor in dieser Umgebung; bereit, Trotz zu bieten und auszubrechen; eine Frau, die im voraus den Hohn und die Kränkung litt, denen sie sich bloßgestellt hatte, ein schöner, flammender, kochender Lavakegel von Fleisch und Geist. Und die andere, gleichmütig, mit ruhigen Augen und kaltem Urteil; stark in ihrer eigenen Unverletzlichkeit und dem Glauben an sich, Herrin der Situation, leidenschaftslos, nicht aus der Ruhe zu bringen; eine Gestalt, wie in kaltem Marmor ausgehauen. Welche Kluft auch zwischen ihnen sein mochte, so anerkannte sie sie nicht. Für sie gab es keine Brücke zu schlagen oder hinabzusteigen, ihre Haltung war die gegenüber ihresgleichen. Sie stand ruhig auf dem gemeinsamen Boden –dem, daß sie beide Frauen waren. Und das machte Freda rasend. Das würde nicht geschehen sein, wenn sie aus geringerem Stoff gemacht gewesen, aber ihre Seele kannte nicht das Bodenlose, sie konnte der andern in die tiefste Tiefe folgen, sie verstand vollauf, was sich in ihr regte.
»Warum ziehen Sie nicht den Saum Ihres Kleides von mir zurück?« hätte sie am liebsten in dieser kurzen, blendenden Sekunde gerufen. »Speien Sie mich an, verleumden Sie mich, und es wäre barmherziger gegen mich als dieses.« Ihre Nasenflügel zitterten. Aber sie hielt an sich, grüßte wieder und wandte sich zu dem Manne.
»Komm mit, Floyd«, sagte sie geradezu. »Ich will mit dir reden.«
»Was zum–« sprudelte er, hielt aber ebenso plötzlich mitten im Ausbruch inne, denn er war doch wenigstens klug genug, nicht weiter zu gehen. Wo, zum Teufel, war übrigens sein Verstand geblieben? Hatte je ein Mann sich in einer blöderen Lage befunden? Er stieß einen gurgelnden Laut aus, wie tief aus der Kehle, hob in seiner Unentschlossenheit die Schultern und sah beide Frauen flehend an.
»Verzeihen Sie einen Augenblick – aber vielleicht darf ich zuerst ein paar Worte mit Herrn Vanderlip sprechen?« Frau Eppingwells Stimme, die gedämpft und glockenrein war, verriet in jedem Tonfall ihre Willenskraft.
Der Mann machte ein dankbares Gesicht. Er fügte sich ihr jedenfalls gern.
»Es tut mir sehr leid«, sagte Freda. »Dazu ist keine Zeit. Er muß gleich mitkommen.« Sie drückte sich ohne Anstrengung in diesen konventionellen Wendungen aus, belustigte sich aber innerlich über ihre Unzulänglichkeit und Leere. Lieber hätte sie laut geschrien.
»Aber Fräulein Moloof, wer sind Sie, daß Sie derart über Herrn Vanderlip verfügen können?«
Worauf das Gesicht des Mannes sich erleichtert aufklärte und er beifällig lächelte.
Ja, Frau Eppingwell zog ihn schon aus der Patsche. Diesmal hatte Freda ihren Meister gefunden.
»Ich – ich –« Freda zögerte, dann aber rüstete sie sich auf echte Frauenart – »und wer sind Sie, daß Sie mir diese Frage stellen?«
»Ich? Ich hin Frau Eppingwell und–«
»Da sehen Sie!« fiel ihr die andere scharf ins Wort. »Sie sind mit einem Hauptmann verheiratet, der folglich Ihr Mann ist. Ich bin nur eine Tänzerin. Was wollen Sie von diesem Mann?«
»Welch ein Benehmen – unerhört!« Frau McFee blähte sich und schickte sich an, ins Feld zu rücken, aber Frau Eppingwell schloß ihr den Mund mit einem Blick und machte einen neuen Angriff.
»Da Fräulein Moloof Forderungen an Sie zu haben scheint, Herr Vanderlip, und keine Zeit hat, mir ein paar Sekunden zu schenken, bin ich gezwungen, mich direkt an Sie zu wenden. Kann ich Sie sprechen, allein – und zwar gleich.«
Frau McFee schloß hörbar den Mund. Jetzt war die unpassende Situation doch aus der Welt gebracht.
»Ja – gewiß –« stöhnte der Mann. »Selbstverständlich, selbstverständlich«, und die Aussicht auf Befreiung machte ihn gleich mitteilsamer.
Die Männer sind nur gesellige, gezähmte und entwickelte Wirbeltiere, und aller Wahrscheinlichkeit nach wäre die Griechin seinerzeit mit wilderen Männchen des Menschengeschlechts fertig geworden, denn sie wandte sich mit aller Höllenglut in ihren leuchtenden Augen gegen den Mann, ungefähr wie eine Tierbändigerin sich zu einem Löwen wenden kann, der plötzlich von der höchst schädlichen Idee besessen ist, daß er einen freien Willen hat. Das Tier in ihm kroch vor der Peitsche. »Ja, gern, aber morgen. Morgen, Frau Eppingwell, ja, morgen. Das war es eben, was ich meinte.« Er tröstete sich damit, daß ihm, wenn er bliebe, noch weitere Unannehmlichkeiten blühten. Und im übrigen hatte er ja auch bald eine Verabredung, die er halten mußte – beim Wasserloch vor dem Hospital – ihr Götter – nie hatte er Freda nach Verdienst geschätzt. War sie nicht prachtvoll?
»Darf ich Sie um meine Maske bitten, Frau McFee?« Und diese Dame überreichte ihr, zum erstenmal in ihrem Leben sprachlos, den genannten Gegenstand. »Gute Nacht, Fräulein Moloof!« Frau Eppingwell war großartig, selbst in ihrer Niederlage.
Freda erwiderte den Gruß, obwohl sie den Drang bekämpfen mußte, sich der andern zu Füßen zu werfen und sie um Verzeihung zu flehen – nein nicht um Verzeihung, sondern um etwas, sie wußte selbst nicht, was, obwohl sie es aus ganzer Seele verlangte.
Der Mann wollte ihr seinen Arm reichen, aber sie hatte ihre Beute mitten im Rudel gefangen, und derselbe Instinkt, der Könige Kriegsgefangene hinter ihrem Triumphwagen schleppen ließ, hieß sie allein zur Tür gehen, während Floyd Vanderlip ihr auf den Fersen folgte und sich bemühte, sein geistiges Gleichgewicht wiederzugewinnen.
Es war bitter kalt. Als sie den kurzen Weg zur Hütte der Tänzerin zurückgelegt hatten, war Fredas Gesicht mit Frostkristallen bedeckt, während Floyd Vanderlips Schnurrbart sich in einen Eisklumpen verwandelt hatte, so daß ihm jedes Wort Qualen bereitete. Beim grünlichen Schein des Nordlichts konnte sie sehen, daß das Quecksilber in der Kugel des Thermometers, das vor der Tür hing, gefroren war. Tausend Hunde erhoben einen wahren Klagechor, über das Unrecht jammernd, das in der Vorzeit gegen sie begangen war, und das Mitleid der gleichgültigen Sterne anrufend. Nicht ein Hauch regte sich. Für sie gab es keinem Schutz gegen die Kälte, keinen warmen Winkel, wo sie sich verkriechen konnten. Die Kälte war überall, und sie lagen unter freiem Himmel, reckten hin und wieder ihre müden Glieder und stießen das langgezogene Wolfsgeheul aus Anfangs sprachen sie nicht miteinander, der Mann und die Frau. Während das Mädchen Freda aus ihrem Pelz half, warf Floyd Vanderlip Holz auf das Feuer, und als das Mädchen im Hinterzimmer verschwand, stand er da, den Kopf über den Ofen gebeugt, eifrig beschäftigt, das Eis auf seiner beschwerten Oberlippe aufzutauen. Dann drehte er sich eine Zigarette und betrachtete sie träge durch die duftenden Rauchwirbel. Sie sah verstohlen auf die Uhr. Es war jetzt halb zwölf. Wie sollte sie ihn bis Mitternacht festhalten? War er zornig auf sie? In welcher Stimmung befand er sich? Welchen Ton sollte sie anschlagen, um sich ihm am besten anzupassen? Nicht, daß sie an sich gezweifelt hätte. Nein! Nein! Und wenn sie eine Pistole gebrauchen sollte. Sie wollte ihn schon halten, bis Sitka Charley und Devereaux ihre Schuldigkeit getan hatten.
Es gab viele Möglichkeiten, und weil sie das wußte, stieg ihre Verachtung für den Mann. Während sie, den Kopf in die Hand gestützt, dasaß, tauchte eine flüchtige Erinnerung an ihre eigenen Jungmädchentage in ihr auf, eine Erinnerung an die traurige Liebe und die tragischen Rückschläge, und einen Augenblick fühlte sie sich verlockt, ihm eine Predigt zu halten, indem sie dies als Text benutzte! Du lieber Gott! Du lieber Gott! Jeder Mensch, selbst der tierischste, mußte von einer solchen Geschichte ergriffen werden, wie sie sie erzählen konnte, aber – wozu! Er war es nicht wert, war auch nicht den Schmerz wert, den es ihr bereiten mußte, das zu erzählen. Der Leuchter stand genau am richtigen Platz, und während sie über diese Dinge – ihre geheime Schande – nachdachte, freute er sich über ihr durchsichtiges rosiges Ohr. Sie fing einen Blick, ergriff das Stichwort und wandte den Kopf, bis das reine Profil voll zu seinem Recht kam. Dieses Profil war nicht der geringste ihrer Vorzüge. Sie konnte selbst nichts für die Linien ihrer Gestalt, die sehr schön waren, aber sie hatte ihren Wert längst kennengelernt und war nicht darüber erhaben, sie, wenn nötig, in vollstem Maße auszunutzen. Das Licht begann zu flackern. In allem, was sie tat, offenbarte sich Anmut, aber das hinderte sie nicht, der Natur ein wenig nachzuhelfen, als sie sich vorbeugte und gewandt den roten Docht in der gelben Flamme abschnitt. Hierauf stützte sie wieder den Kopf in die Hand, diesmal mit einem sinnenden Blick, und jeder Mann fühlt sich geschmeichelt, wenn eine schöne Frau ihn auf diese Weise betrachtet.
Sie ließ sich Zeit. Wenn er keine Eile hatte, so war es ihr recht. Ihm war es sehr angenehm, hier zu sitzen, seine Lunge mit Nikotin zu beruhigen und sie anzustarren. Hier war es warm, während es beim Wasserloch eine Schlittenspur gab, der er bald in der kalten Nacht folgen sollte. Er hatte das Gefühl, daß er eigentlich auf Freda böse sein müßte wegen der Szene, die sie gemacht hatte, aber wie dem auch sein mochte, er fühlte keinen Zorn. Es wäre ja vermutlich gar nicht zu einer Szene gekommen, ohne das dumme Frauenzimmer – die McFee –, wenn er Gouverneur wäre, so würde er sie und ihresgleichen mit einer Kopfsteuer von hundert Unzen vierteljährlich belegen. Und eines war sicher: Freda hatte sich ganz als Dame benommen – und sie war auch glänzend mit Frau Eppingwell fertig geworden. Er hätte nie geglaubt, daß ein Mädel soviel Haare auf den Zähnen haben könnte. Sein zögernder Blick glitt an ihrer Gestalt entlang, kehrte aber immer wieder zu den Augen zurück, und er ahnte nicht, daß hinter ihrem tiefen Ernst ein noch tieferer Spott lauerte. Und, Teufel auch – sie war ein stolzes Frauenzimmer! Er hätte gern gewußt, warum sie ihn so anschaute. Wollte sie ihn auch heiraten? Das war ja sehr möglich – aber sie war nicht die einzige. Sie sah prachtvoll aus –das mußte man ihr lassen. Und sie war jung, jünger als Loraine Lisznayi. Sie war vielleicht drei- oder vierundzwanzig Jahre alt, höchstens fünfundzwanzig. Und sie würde nie dick werden. Das konnte man bei Loraine nicht wissen. Sie hatte seit den Tagen, da sie Modell stand, ganz sicher zugenommen. Oha! Sobald er sie auf dem Schlitten hatte, wollte er ihr das Fett schon abtrainieren. Er wollte ihr Schneeschuhe anschnallen und sie mit den Hunden vorausgehen lassen. Das war ein Mittel, das noch nie fehlgeschlagen hatte. Dann aber sprangen seine Gedanken in die Zukunft, zu dem Schloß unter dem trägen Mittelmeerhimmel –, und wie es dann mit Loraine gehen würde? Kein Frost, keine Schlittenreise, keine Hungerperiode hin und wieder, um die Eintönigkeit zu unterbrechen, und sie wurde älter und mit jedem Tage stärker. Während das Mädel hier – Freda – er seufzte in unbewußtem Bedauern, daß er nicht unter türkischer Flagge geboren war, und kehrte dann nach Alaska zurück.
»Nun, und wenn schon?« Die Zeiger beider Uhren gaben jetzt genau die Mitternachtsstunde an, und es war höchste Zeit, nach dem Wasserloch zu kommen.
»Ach!« Freda fuhr leicht zusammen. Sie tat es so hübsch und entzückte ihn, wie die Frauen ihn und seine Brüder stets entzücken. Wenn eine Frau, die einen Mann sinnend betrachtet, ihm einreden kann, daß sie über ihn nachdenkt, so muß er furchtbar kaltblütig sein, wenn er sein Boot richtig steuern will.
»Ich möchte nur gern wissen, worüber du mit mir reden wolltest«, erklärte er, indem er seinen Stuhl an ihren Tisch zog.
»Floyd«, sie sah ihm ruhig in die Augen. »Ich habe die ganze Geschichte satt. Ich will weg von hier. Ich halte es hier nicht aus, bis der Fluß aufbricht. Ich würde darüber sterben. Dessen bin ich sicher. – Ich will allem Lebewohl sagen und weg von hier – und ich möchte es gern gleich tun.«
Sie legte ihre Hand in stummer Bitte auf den Rücken der seinen, die er umwandte, und ihre Hand war gefangen. Noch eine, dachte er, die mich durchaus haben will. Es würde eigentlich Loraine nichts schaden, wenn sie ein bißchen länger am Wasserloch fröre.
»Nun und –?« Diesmal war es Freda, die es sagte, aber sanft und traurig.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, beeilte er sich zu antworten und fügte für sich hinzu, daß es schneller gekommen war, als er erwartet hatte. »Ich wüßte nicht, was ich lieber wollte. Das weißt du auch gut.« Er drückte ihr die Hand, Handfläche gegen Handfläche.
Sie nickte. War es zu verwundern, daß sie die Männer verachtete?
»Aber siehst du, ich – ich bin verlobt. Das weißt du natürlich. Und das Mädchen ist unterwegs hierher, um mich zu heiraten. Ich weiß auch nicht, was mit mir los war, als ich um sie freite, aber das ist so lange her, und ich war so verflucht jung.«
»Ich will weg von hier, weg aus dem Lande – einerlei wohin«, fuhr sie fort, ohne das Hindernis, das er beschworen und als Entschuldigung angebracht hatte, zu beachten. »Ich habe an alle Männer gedacht, die ich kenne, und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß – daß –«
»Ich der netteste von der ganzen Gesellschaft bin.«
Sie lächelte ihm dankbar zu, weil er sie von der Demütigung befreit hatte, ein Geständnis abzulegen. Mit ihrer freien Hand zog sie seinen Kopf an ihre Schulter, und der Duft ihres Haares berauschte ihn. Da bemerkte er, daß dieselbe Ader pochte – dort, wo ihre Handflächen sich berührten. Dies Phänomen ist sehr verständlich vom physiologischen Standpunkt aus, aber für den Mann, der es zum erstenmal entdeckt, ist es etwas höchst Wunderbares. Floyd Vanderlip hatte mehr Spatenschäfte als Frauenhände geliebkost, so daß es ihm etwas gänzlich Neues und wundersam Fremdartiges war. Und als Freda den Kopf drehte, der an seiner Schulter lag, während ihr Haar seine Wange berührte, und er ihr so dicht in die Augen, in die strahlend sanften, ja, und zärtlichen Augen blickte – ja, wessen Fehler war es, daß er ganz die Gewalt über sich verlor? Untreu gegen Flossie – warum dann nicht gegen Loraine? Wenn die Frauen ihn auch noch so plagten, so war das doch kein Grund für ihn, seine Entschlüsse zu überstürzen. Er hatte ja Ozeane von Geld, und Freda war eben eine von denen, die es mit Anstand ausgeben konnten. Sie war eine Frau, um die die Männer ihn beneiden würden. Aber langsam – er mußte vorsichtig sein.
»Du machst dir wohl nicht zufällig etwas aus Schlössern, nicht wahr?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nun ja, ich war selbst ganz versessen darauf, bis ich nachdachte, und jetzt bin ich ungefähr zu dem Resultat gekommen, daß das Leben in Schlössern einen fett, weichlich und faul macht.«
»Es kann ja sehr hübsch sein, aber ich glaube, daß man es bald satt bekommt«, sagte sie schnell, um ihn zu beruhigen. »Die Welt ist herrlich, aber das Leben muß so vielseitig wie möglich sein. Man sollte umherstreifen und schwere Zeiten haben, um sich dann irgendwo so recht auszuruhen. In einer Jacht nach der Südsee; dann ein kleinen Abstecher nach Paris, ein Winter in Südamerika, ein Sommer in Norwegen, ein paar Monate in England – –«
»Gute Gesellschaft?«
»Selbstverständlich – die allerbeste; und dann, hei, fort zu Hunden und Schlitten und dem Lande an der Hudson-Bucht, Veränderung, verstehst du? Ein starker Mann wie du, voll von Lebenskraft und Energie, könnte es nicht ein Jahr in einem Palast aushalten. Das mag alles gut sein für weibische Männer, aber du bist nicht für ein solches Leben geschaffen. Du bist so männlich – so ausgesprochen männlich.«
»Findest du?«
»Da gibt es nichts zu finden. Ich weiß es. Hast du nie bemerkt, wie sehr du den Frauen gefällst?«
Seine zweifelnde unschuldige Miene war großartig.
»Das ist sehr einfach. Und warum? Weil du so männlich bist. Du schlägst die tiefsten Saiten im Herzen einer Frau an. Du bist ein Mann, an den man sich klammern kann – kräftig, stark und tapfer. Kurz, weil du ein Mann bist.«
Sie sah auf die Uhr. Es war jetzt halb eins. Sie hatte Sitka Charley eine halbe Stunde Zeit gelassen, und jetzt war es gleichgültig, wann Devereaux kam. Sie hatte ihre Aufgabe verrichtet. Sie hob den Kopf und lachte, ein überlegenes Lachen, das aus dem Herzen kam, zog die Hand zurück, erhob sich und rief das Mädchen.
»Alice, wollen Sie Herrn Vanderlip in seine Parka keifen. Seine Fäustlinge liegen auf dem Bord neben dem Ofen.«
Der Mann starrte sie an, ohne zu begreifen.
»Darf ich dir für deine Freundlichkeit danken, Floyd? Deine Zeit war unschätzbar für mich. Und es war wirklich nett von dir. Der erste Wag links, wenn du aus der Hütte kommst, führt am schnellsten zum Wasserloch. Gute Nacht! Jetzt gehe ich zu Bett.«
Floyd Vanderlip wollte einen starken Ausdruck gebrauchen, um seine Verblüffung und Enttäuschung auszudrücken. Alice mochte keine Männer fluchen hören, sie warf seine Parka auf den Fußboden und seine Fäustlinge obendrauf. Als er dann Freda nachlief, verdarb sie sich den Rückzug in die Hinterstube, indem sie über die Parka stolperte. Durch einen brutalen Griff ums Handgelenk zwang er sie stillzustehen. Aber sie lachte nur. Sie fürchtete sich nicht vor Männern. Waren sie nicht so schlecht zu ihr gewesen, wie sie nur sein konnten, und lebte sie nicht immer noch?
»Werde nicht brutal«, sagte sie schließlich. »Wenn ich es recht bedenke,« hier besah sie seine Hand, die sie immer noch festhielt, »so will ich doch nicht gleich zu Bett gehen. Setz' dich hin und sei lieber gemütlich, statt lächerlich zu sein. Willst du etwas wissen?«
»Ja, meine Gnädige, wir haben miteinander abzurechnen.« Er ließ sie nicht los. »Was weißt du vom Wasserloch? Was meintest du mit – nein, einerlei – nur eine Frage auf einmal.«
»Ach, nichts weiter. Sitka Charley sollte dort ein Stelldichein mit einer gewissen Person haben, die du möglicherweise kennst, und da er sich nichts daraus macht, einen so bekannten Herzensbrecher wie dich dabeizuhaben, so wandte er sich in seiner Not an mich und bat mich, ihm zu helfen. Das ist alles. Jetzt sind sie über alle Berge, und zwar seit einer halben Stunde.
»Wo? Flußabwärts ohne mich? Und obendrein ist er Indianer!«
»Über den Geschmack läßt sich nicht streiten, wie du weißt, namentlich nicht, wenn es Frauen gilt.«
»Und wie stehe ich jetzt da? Ich habe Hunde im Werte von viertausend Dollar verloren, ja, und ein sehr hübsches Mädel dazu – und was habe ich dafür gekriegt. Nichts außer dir,« fügte er nach kurzem Bedenken hinzu, »und das ist wirklich nicht billig für dich.«
Freda zuckte die Achseln.
»Mach' dich übrigens gleich fertig. Ich leihe mir ein Paar Hundegespanne, und in ein paar Stunden sind wir unterwegs.«
»Es tut mir sehr leid, aber jetzt gehe ich zu Bett.«
»Wenn du klug bist, packst du deine Sachen. Ob du jetzt ins Bett gehst oder nicht, auf den Schlitten mußt du, wenn ich mit den Hunden hier halte – so wahr mir Gott helfe! Vielleicht hast du mich angeführt, aber ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen, und jetzt nehme ich dich beim Wort.«
Er preßte ihr Handgelenk mit den Fingern, daß es weh tat, aber ein Lächeln umspielte ihren Mund, und es war, als lauschte sie angestrengt auf ein Geräusch draußen. Man hörte Hundeschellen und eine antreibende Männerstimme, und ein Schlitten fuhr bei der Hütte vor.
»Willst du mich jetzt zu Bett gehen lassen?«
Bei diesen Worten riß Freda die Tür auf. Die kalte Luft strömte in die warme Stube, und auf der Schwelle stand eine in einen mitgenommenen Pelz gekleidete Frau, im wogenden Dampf, der ihr bis zu den Knien reichte, und vor einem Hintergrund von flammendem Nordlicht. Sie zögerte, nahm die Frostmaske ab und blinzelte, von dem weißen Licht geblendet. Floyd Vanderlip taumelte auf sie zu. »Floyd!« rief sie erleichtert und froh und warf sich ihm müde in die Arme.
Was konnte er tun, als die pelzbekleidete Person, die er in den Armen hielt, zu küssen? Und es war eine sehr hübsche Person, die sich müde und glücklich an ihn schmiegte.
»Das war hübsch von dir,« sagte die Pelzbekleidete, »mir Herrn Devereaux mit frischen Hunden zu schicken – sonst hätte ich erst morgen hier sein können.«
Der Mann sah Freda verständnislos an, dann ging ihm plötzlich ein Licht auf.
»Und war es nicht nett von Devereaux, dir entgegenzufahren?«
»Du konntest wohl keinen Augenblick länger warten, Lieb, nicht wahr?« Flossie schmiegte sich noch enger an ihn an.
»Nun ja, ich wollte schon ungeduldig werden«, log er mit großer Gewandtheit, indem er sie auf seine Arme hob und zur Tür hinausschritt.
In derselben Nacht geschah etwas, das Seiner Hochwürden James Brown, dem Missionar, der einige Meilen weiter flußabwärts unter den Eingeborenen wohnte, und der dafür sorgte, daß die Wege, die sie betraten, direkt in das Paradies des weißen Mannes führten, noch nie vorgekommen war. Er wurde von einem fremden Indianer aus dem Schlaf geweckt, der nicht nur die Seele einer Frau, sondern auch ihren Körper seinen Händen überantwortete und, als das besorgt war, schleunigst wieder fortfuhr. Die Frau war üppig, schön und zornig, und in ihrem Zorn gebrauchte sie viele häßliche Worte. Der heilige Mann war ganz erschrocken, aber er war jung, und ihre Anwesenheit würde ihm – jedenfalls in den Augen seiner einfältigen Gemeinde – sehr geschadet haben, wenn sie sich nicht in der frühen Morgendämmerung auf den Weg nach Dawson gemacht hätte, und zwar zu Fuß.
Aber viele Tage später bekam Dawson erst richtig etwas zu reden. Das war, als der Sommer zu Ende ging und die Bevölkerung eine gewisse Dame königlicher Herkunft, die auf Windsor-Schloß wohnte, feierte, indem sie sich am Ufer des Yukon aufstellte und Sitka Charley zusah, wie er seine schimmernde Paddel schwang und das erste Kanu durch das Ziel steuerte. An dem Tage, als diese Regatta stattfand, sah Frau Eppingwell, die seither über vieles anders denken gelernt hatte, zum erstenmal seit jenem Ballabend Freda. »Öffentlich, ich bitte Sie,« wie Frau McFee sich ausdrückte, »ohne die geringste Rücksicht auf die Moral der Gemeinde zu nehmen«, trat sie mit ausgestreckter Hand auf die Tänzerin zu. Im ersten Augenblick – Leute, die gesehen haben, wie es zuging, erinnerten sich dessen – zog sich das junge Mädchen erschrocken zurück, dann aber wurden einige Worte zwischen den beiden gewechselt, und Freda, die große Freda, sank ganz zusammen und weinte, den Kopf an die Schulter der Hauptmannsgattin gelehnt. Dawson sollte nicht erfahren, warum Frau Eppingwell eine griechische Tänzerin um Verzeihung gebeten hatte, doch sie tat es öffentlich, und das war unschicklich.
Aber wir dürfen Frau McFee nicht vergessen. Sie nahm ein Billett erster Klasse für den ersten auslaufenden Dampfer. Außerdem nahm sie eine Theorie mit, die sie sich in wachen Stunden in den langen dunklen Nächten zurechtgelegt hatte, nämlich, daß die Menschen im Nordland so unchristlich sind, weil es so kalt ist. In einem Eisschrank kann man nicht die Furcht vor dem Höllenfeuer erwecken. Das klingt vielleicht etwas merkwürdig, aber so ist nun einmal Frau McFees Theorie.