Jack London
Der Seewolf
Jack London

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Fluchen und Jammern ertönten, als die Männer am Fuße der Treppe wieder auf die Füße zu kommen versuchten.

»Kann nicht jemand ein Streichholz anzünden, mein Daumen ist ausgerenkt«, rief einer der Leute, namens Parsons, ein dunkelhäutiger, melancholischer Mann, Standishs Steuerer – in demselben Boot, dessen Puller Harrison war.

»Die liegen irgendwo am Mastfuß herum«, sagte Leach und setzte sich auf den Rand seiner Koje, in der ich mich verkrochen hatte.

Man suchte nach Streichhölzern, dann wurde eines angezündet, und die Lampe flackerte auf, trübe und rauchig. In ihrem geisterhaften Schein bewegten sich barfüßige Männer und sahen nach ihren Wunden. Oofty-Oofty packte Parsons Daumen, zog daran und ließ ihn wieder ins Gelenk schnappen. Dabei bemerkte ich, daß der Knöchel des Kanaken aufgeschlitzt und der Knochen bloßgelegt war. Er zeigte die Wunde und erklärte mit einem Grinsen, das seine prachtvollen Zähne zeigte, er hätte sie bekommen, als er Larsen auf den Mund schlug.

»Also du warst es, du schwarzer Schurke?« fragte Kelly kriegerisch. Er war ein geborener Irländer, ein Leichtmatrose, der seine erste größere Reise machte und Kerfoots Puller war.

Bei dieser Frage spuckte er eine Handvoll Blut und Zähne aus und drängte sich mit streitsüchtiger Miene an Oofty-Oofty heran. Der Kanake sprang in seine Koje, war mit einem zweiten Satz wieder da und schwang ein langes Messer.

»Ach, leg' dich nieder, sonst setzt es was«, mischte Leach sich hinein. Trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit gab er offenbar in der Back den Ton an. »Geh, Kelly, laß Oofty in Ruhe. Wie sollte er denn im Dunkeln erkennen, daß du es warst?«

Kelly murmelte noch etwas und beruhigte sich dann, während der Kanake dankbar lächelnd die weißen Zähne fletschte. Er war ein schönes Geschöpf und wirkte beinahe weiblich durch die angenehmen Linien seiner Gestalt, Sanftmut und Verträumtheit lagen in seinen großen Augen, die seinen wohlverdienten Ruf für Streit- und Rauflust Lügen zu strafen schienen.

»Wie ist er entwischt?« fragte Johnson.

Er saß auf dem Rande seiner Koje, seine ganze Stellung drückte äußerste Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit aus. Er atmete noch schwer von der Anstrengung. Das Hemd war ihm im Kampfe völlig vom Leibe gerissen, und das Blut troff ihm aus einer klaffenden Wunde in der Backe auf die nackte Brust herab, zeichnete eine rote Bahn auf seinem weißen Schenkel und tropfte auf den Boden.

»Weil er der Teufel selber ist, wie ich immer gesagt habe«, meinte Leach, dann sprang er, wütend über die Enttäuschung und mit Tränen in den Augen, auf.

»Und nicht einer von euch konnte ein Messer bringen!« klagte er immer wieder.

Aber die andern hatten große Furcht vor den zu erwartenden Folgen und achteten nicht auf ihn.

»Wie kann er wissen, wer's war?« fragte Kelly und sah sich mit einem blutgierigen Blick um, »es sei denn, daß einer von euch aus der Schule schwatzte.«

»Er braucht euch ja nur anzusehen«, entgegnete Parsons, »ein Blick genügt ihm.«

»Erzähl' ihm, daß das Deck hochprellte und dir die Zähne aus dem Maule schlug'«, grinste Louis. Er war der einzige, der nicht aus seiner Koje herausgekommen war, und er freute sich, weil er keine Wunden hatte, die verraten konnten, daß er bei dieser Nachtarbeit beteiligt gewesen. »Wartet nur, bis er eure Fratzen morgen gesehn hat«, gluckste er.

»Wir sagen, daß wir ihn für den Steuermann hielten«, meinte einer. Und ein andrer: »Ich weiß, was ich sagen werde: daß ich Lärm hörte, aus der Koje sprang, zum Dank für meine Mühe eins aufs Maul kriegte und so in die Geschichte hineingezerrt wurde. Ich konnte nicht sehen, was und wer es war, und schlug um mich.« »Und da hast du mich natürlich getroffen«, fiel Kelly ein, und sein Gesicht hellte sich einen Augenblick auf. Leach und Johnson beteiligten sich nicht an der Unterhaltung, es war klar, daß ihre Kameraden sie als Leute ansahen, für die das Schlimmste unvermeidlich, ja, deren Lage ganz hoffnungslos war, und die bereits als tot zu betrachten waren. Eine Weile hörte Leach ihre Befürchtungen und Vorwürfe mit an. Dann aber brach er los:

»Ihr langweilt mich! Schöne Genossen seid ihr! Wenn ihr etwas weniger geschwatzt und etwas mehr getan hättet, dann wäre es jetzt geschafft. Warum konnte mir nicht einer, nur ein einziger, ein Messer geben, als ich danach rief? Jetzt jammert und klagt ihr, als ob er euch totschlagen würde, wenn er euch erwischte! Ihr wißt verdammt gut, daß er das nicht tun wird. Er kann es gar nicht. Hier gibt es keinen Heuerbas, und er braucht euch bei seinem Geschäft, ihr seid ihm unentbehrlich. Wer sollte pullen und steuern und Segel setzen, wenn er euch verlöre? Ich und Johnson werden die Suppe auszulöffeln haben. Jetzt geht in eure Kojen und haltet den Mund, ich möchte ein bißchen schlafen.«

»Das ist schon richtig, ganz richtig«, meinte Parsons. »Mag sein, daß er uns nichts tut, aber denkt an meine Worte: Von heute an wird dieses Schiff ein Zuchthaus sein.«

Die ganze Zeit war ich mir über meine eigene schwierige Lage klar gewesen. Was geschah, wenn die Leute meine Gegenwart entdeckten? Ich konnte mich nicht durchschlagen wie Wolf Larsen. Und in diesem Augenblick rief Latimer durch die Luke herab:

»Hump! Der Alte braucht dich!«

»Hier ist er nicht!« rief Parsons zurück.

»Doch, er ist hier!« sagte ich und bemühte mich, meine Stimme fest erklingen zu lassen.

Die Matrosen blickten mich bestürzt an. Starke Furcht prägte sich auf ihren Zügen aus, und daneben die Folge der Furcht: Teufelei.

»Ich komme!« rief ich Latimer zu.

»Nein, das wirst du nicht!« rief Kelly und trat zwischen mich und die Treppe, während seine Rechte sich in eine Klaue verwandelte, die bereit war, mich zu erwürgen. »Du verdammter kleiner Duckmäuser! Ich werde dir das Maul stopfen.«

»Laß ihn gehen!« befahl Leach.

»Nein, und wenn es das Leben gälte«, lautete die zornige Erwiderung.

Leach blieb unverändert auf dem Rande seiner Koje sitzen. »Laß ihn gehen, sage ich!« wiederholte er; aber diesmal war seine Stimme kernig und metallisch.

Der Ire schwankte. Ich machte Miene, vorbeizuschreiten, und er trat beiseite. Als ich die Treppe erreicht hatte, wandte ich mich gegen diesen Kreis brutaler und bösartiger Gesichter, die mich im Halbdunkel anstarrten. Ein plötzliches tiefes Mitgefühl wallte in mir auf. Ich erinnerte mich der Anschauung des Cockney: Wie mußte Gott sie hassen, daß sie so gepeinigt wurden!

»Ich habe nichts gesehen oder gehört, glaubt mir!« sagte ich ruhig.

»Ich sage euch, es ist in Ordnung«, hörte ich Leachs Stimme, als ich die Treppe hinaufstieg. »Er liebt den Alten nicht mehr als ihr und ich.«

Ich fand Wolf Larsen in der Kajüte, entkleidet und blutig. Er wartete auf mich und begrüßte mich mit seinem seltsamen Lächeln.

»Kommen Sie und machen Sie sich an die Arbeit, Doktor. Sie scheinen die besten Aussichten für eine ausgedehnte Praxis auf dieser Reise zu haben. Ich weiß nicht, was ohne Sie aus der ›Ghost‹ geworden wäre, und wenn ich sogenannter edler Gefühle fähig wäre, würde ich Ihnen versichern, daß Ihr Kapitän Ihnen außerordentlich dankbar sei.«

Ich kannte den einfachen Arzneikasten der ›Ghost‹ und während ich Wasser auf dem Kajütofen wärmte und alles für die Behandlung der Wunden Nötige bereitmachte, ging er lachend und plaudernd auf und ab und betrachtete prüfend seine Verletzungen. Ich hatte ihn noch nie entblößt gesehen, und der Anblick seines Körpers benahm mir fast den Atem. Es war nie meine Schwäche gewesen, das Fleisch zu sehr zu preisen – weit entfernt. Aber es steckte genug von einem Künstler in mir, um seine Wunderwerke anzuerkennen.

Ich muß gestehen, daß die vollkommenen Linien von Wolf Larsens Gestalt und das, was ich ihre furchtbare Schönheit nennen möchte, mich faszinierten. Ich hatte die Männer im Vorderkastell beobachtet. So kräftige Muskeln auch einige von ihnen hatten, irgend etwas stimmte nie: eine ungenügende Entwicklung hier, eine zu starke dort, eine Biegung oder Krümmung, die die Symmetrie störte, zu kurze oder zu lange Beine, zuviel oder zuwenig hervortretende Knochen. Oofty-Oofty war der einzige, dessen Linien wirklich ansprechend waren, aber er wirkte zu weiblich.

Wolf Larsen hingegen war der Mann in seiner Vollkommenheit, beinahe ein Gott. Wenn er sich bewegte oder die Arme hob, sprangen und regten sich die starken Muskeln unter der feinen glatten Haut, ich vergaß zu bemerken, daß das Braun sich auf sein Gesicht und seinen Hals beschränkte. Sein Körper war, dank seiner skandinavischen Herkunft, so weiß wie der einer zarten Frau. Ich weiß noch, wie er die Hand hob, um seine Kopfwunde zu befühlen, und wie der Bizeps sich wie ein lebendiges Wesen unter einer weißen Hülle bewegte. Dieser Bizeps war es, der mir kürzlich beinahe das Leben herausgepreßt, den ich so viele tödliche Schläge hatte austeilen sehen. Ich konnte die Augen nicht von ihm lassen. Reglos stand ich da und ließ ein Päckchen Watte, das ich in der Hand hielt, sich aufrollen und zu Boden fallen.

Er sah sich nach mir um, und ich wurde mir bewußt, daß ich dastand und ihn anstarrte.

»Gott hat Sie schön geschaffen«, sagte ich.

»Wirklich?« antwortete er. »Ich habe oft dasselbe gedacht und mir den Kopf zerbrochen, warum?«

»Absicht –«, begann ich.

»Zweckmäßigkeit«, unterbrach er mich. »Dieser Körper ist zum Gebrauch geschaffen. Diese Muskeln sind gemacht, um zuzupacken, um zu zerreißen und zu vernichten, was sich zwischen mich und das Leben stellt. Aber haben Sie an andre Lebewesen gedacht? Auch sie haben Muskeln irgendwelcher Art, um zu packen, zu zerreißen und zu vernichten. Wenn sie aber zwischen mich und das Leben treten, so übertreffe ich sie im Packen, Zerreißen und Vernichten. Eine Absicht erklärt dies nicht, wohl aber die Zweckmäßigkeit.«

»Das ist nicht schön«, wandte ich ein.

»Das Leben ist nicht schön, meinen Sie«, lächelte er. »Und doch sagen Sie, ich sei schön geschaffen. Sehen Sie her!«

Er spreizte die Beine und preßte die Zehen gegen den Kajütsboden, als wolle er ihn damit packen. Knoten, Klüfte und Berge von Muskeln spielten unter seiner Haut. »Fühlen Sie!« befahl er.

Sie waren hart wie Stahl. Sein ganzer Körper hatte sich, straff und geschmeidig, unbewußt zusammengezogen, die Muskeln streckten sich sanft über Lenden, Rücken und Schultern, die Arme waren leicht erhoben, ihre Muskeln zogen sich zusammen, die Finger krümmten sich, daß die Hände Klauen glichen, und selbst die Augen hatten ihren Ausdruck gewechselt, und die Schärfe und Wachsamkeit eines Raubtieres leuchtete aus ihnen.

»Festigkeit und Gleichgewicht«, sagte er und entspannte seinen Körper wieder. »Füße, um sich am Boden zu halten, Beine, um festzustehen und Widerstand zu leisten, wenn ich mit Armen, Händen, Zähnen und Nägeln zu töten versuche, um nicht selbst getötet zu werden. Absicht? Zweckmäßigkeit ist ein besseres Wort.«

Ich widersprach ihm nicht. Ich hatte den Mechanismus einer primitiven kämpfenden Bestie gesehen, und er machte einen Eindruck auf mich wie die Maschinen eines großen Kriegsschiffes oder eines Ozeandampfers. Wenn ich an den heißen Kampf im Vorderkastell dachte, war ich überrascht von der Oberflächlichkeit seiner Verletzungen, und ich glaube sagen zu dürfen, daß ich sie gut pflegte. Mit Ausnahme einiger häßlicher Wunden waren es nur tüchtige Beulen und Schrammen. Den Schlag, den er auf den Kopf erhalten hatte, ehe er über Bord flog, hatte seine Schädeldecke mehrere Zoll breit bloßgelegt. Ich reinigte die Wunde und nähte sie nach seiner Anweisung zusammen, nachdem ich die Wundränder rasiert hatte. Dann hatte er einen schlimmen Riß in der Wade, der aussah, als hätte sich eine Bulldogge hinein verbissen. Zu Beginn des Kampfes hatte, wie er mir erzählte, ein Matrose mit den Zähnen zugepackt und festgehangen, bis er ihn die Treppe mit hinaufzerrte, wo er sich freigetreten hatte.

»Ja, wie gesagt, Hump, Sie sind ein brauchbarer Mensch«, begann Wolf Larsen, als ich mit meiner Arbeit fertig war. »Wie Sie wissen, fehlt uns ein Steuermann. Von jetzt an übernehmen Sie die Wache, erhalten fünfundsiebzig Dollar monatlich und werden vorn und achtern Herr van Weyden angeredet.«

»Ich – verstehe nichts von Navigation, das wissen Sie doch«, keuchte ich.

»Gar nicht nötig.«

»Ich mache mir wirklich nichts aus einer solchen Beförderung«, wandte ich ein. »Ich finde das Leben schwer genug in meiner jetzigen bescheidenen Stellung. Ich habe keine Erfahrung. Alle Mittelmäßigkeit hat ihre Grenzen.«

Er lächelte, als wäre die Sache abgemacht.

»Ich will nicht Steuermann auf diesem Höllenschiff sein!« rief ich trotzig.

Ich sah sein Gesicht hart werden und den unbarmherzigen Schimmer in seine Augen treten. Er ging in seinen Schlafraum, indem er sagte:

»Und jetzt, Herr van Weyden, gute Nacht.«

»Gute Nacht, Herr Larsen«, unterbrach ich schwach.


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