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Die Brachvögel

Noch liegt der Nebel auf dem Moore. Doch der leichte Wind, der vor der Sonne hergeht, und der voll von dem Kiengeruche der sprossenden Kiefern und dem Juchtendufte des jungen Birkenlaubes ist, rollt ihn langsam auf und wirbelt ihn von dannen.

Die Heerschnepfen melden sich eifriger, sparsamer ruft die Mooreule, die Birkhähne machen eine Pause und balzen dann um so munterer weiter. Die Drosseln beginnen zu pfeifen, und all das andere kleine Vogelvolk zwitschert und trillert durcheinander.

Da ertönt ein seltsamer, klagender Ruf, schwillt zu einem jauchzenden Flöten an und endet in einem wimmernden Triller. Aus dem Nebel taucht ein großer Vogel auf, schwingt sich hoch und höher, bald silbern, bald goldig im Frühsonnenscheine leuchtend, kreist über den weiß und gelb blühenden Wiesen und fällt bei dem Staugraben ein.

Dort stelzt er unter würdevollem Kopfnicken hin, der Brachvogel, stochert mit dem langen, schön gebogenen Schnabel im Moose nach den Larven von Schnaken und Bremsen, nimmt hier einen Käfer auf, da eine Raupe, dort eine Schnecke, macht aber alle Augenblicke einen langen Hals und äugt umher, ob keine Gefahr drohe.

Um den Wiesenbauer, der mit der blinkenden Axt auf der Schulter den Damm heraufkommt, kümmert er sich nicht, denn er kennt ihn als ungefährlich, und so watet er in den Bach hinein, aus dessen Gekräute er Müschelchen und Flohkrebse herausfischt. Aber wie im Moore eine menschliche Gestalt auftaucht, da erhebt er sich und flötet laut seinen Warnruf, denn er hat den Jäger erkannt.

Von der Sandschelle her, die sich zwischen dem Bruche und dem Moore hinzieht, kommt derselbe Ruf heran. Das Weibchen ist es. Es hat zwischen den struppigen, fahlen Sandrohrbüschen eine Nestmulde gescharrt, sie mit bunten Kieseln eingefaßt und mit Grasblättern und dürrem Moose ausgepolstert. In aller Frühe hat es an dem Neste gearbeitet und sich dann heimlich abgestohlen, damit die Krähen, die Eierdiebe, es nicht erspähen.

Nun tritt es aus den niedrigen Birkenbüschen heraus, antwortet dem Männchen, schwingt sich empor, fliegt ihm entgegen und kreist mit ihm eine Weile, sich immer höher schraubend und mit ihm vereint seinen langgezogenen, halb jauchzenden, halb klagenden Triller flötend, um sich schließlich mit ihm auf dem Moore wieder niederzulassen. Während das Männchen Wache hält, sucht das Weibchen im Torfmoose nach Gewürm, bis es gesättigt ist und Wache hält, derweilen der Hahn weitersucht. Gegen Mittag aber, als die Sonne hoch am Himmel steht und heiß brennt, bergen sich beide auf der höchsten Stelle des Moores, von wo sie weiten Ausblick haben, in den langen Heidebüschen und ruhen, bis der Abend herannaht und die Sonne sich senkt.

Da verlassen sie ihr Versteck, erheben sich wieder flötend und trillernd über die grünen Birkenbüsche hin, kreisen über den schwarzen Kieferngerippen des Brandmoores und lassen sich auf der bunten Wiese nieder, bedächtig nach Nahrung suchend, bis vor der Dickung ein roter Fleck auftaucht und der Fuchs dem Staudamme zuschnürt. Sofort nehmen sie sich auf, rufen gellend und begleiten den roten Räuber, fortwährend warnend, bis er verärgert wieder in der Dickung verschwindet. Da kehren die Brachvögel um, schweben laut flötend wieder über die Wiesen und das Moor hin und gehen dann wieder auf die Suche, bis Nacht und Nebel das Land einhüllen.

So leben sie Tag für Tag, bis das erste Ei in dem gut versteckten Neste auf der Sandschelle liegt. Von da ab läßt sich das Weibchen weniger blicken, und das Männchen hält in der Nähe der Brutstelle aufmerksam Wache, laut warnend, wenn ein Mensch oder der Fuchs sich zeigt, und beide unter anhaltendem Rufen von weitem begleitend, bis sie weit genug sind. Von dem Augenblick, daß das Gelege voll ist und vier große, bunte Eier zwischen den zusammengeknickten alten und den steil emporgeschossenen, frischen Sandrohrstengeln liegen, wird das Weibchen noch heimlicher, bis es sich schließlich kaum noch sehen läßt, weil es die junge Brut zu führen hat.

In dem Erlenbruche, wo die Büsche sich dicht verschränken, das Riedgras in hohen Bülten wuchert und allerlei Gekräut den Boden bedeckt, auch Geknick in Menge herumliegt, so daß weder Mensch noch Fuchs ohne Geräusch herannahen können, lebt es mit den vier wolligen Jungen in voller Heimlichkeit. Nahrung ist in Überfülle vorhanden. Überall auf dem Kraute kriechen die Bernsteinschnecken, unter dem dichten Gewirr, mit dem die Kalla das üppige Torfmoor überzieht, wimmelt es von Larven und Würmern, krimmelt es von winzigen Fröschchen. So wachsen die jungen Brachvögel schnell heran, und es dauert nicht lange, so sind sie fast so groß wie die Alten. Aber immer noch halten sie sich versteckt, bis sich ihre Schwingen völlig entwickelt haben und sie eines Morgens in aller Frühe den ersten Flug wagen.

Eine Woche geht vorüber und noch eine; dann können sie es den Alten im Fliegen fast gleichtun. Da kommt eine seltsame Unruhe über alle miteinander. Eines Abends streichen sie über den Fluß nach der hohen Heide, wandern am Morgen nach der Flußmarsch zurück, streichen in der folgenden Nacht weiter, und als sie im Moore zum Schlafe einfallen und laut locken, läßt sich noch ein Trupp ihresgleichen zu ihnen herunter, mit dem vereint sie in der Frühe weiterwandern. Jeder Tag bringt dem Fluge neuen Zuzug, und als Schar von sechzig Köpfen wandern sie von Marsch zu Moor, von Heide zu Ackerfeldern, und bringen die Menschen in Verwunderung, wenn sie unter lautem Flöten nächtlicherweile über die Dörfer und Städte dahinziehen.

So wandern sie hin und her, bis die ersten Fröste ihnen die Nahrung dünner machen. Da lassen sie die Heimat hinter sich, wandern weiter und weiter, überfliegen die Alpen, treiben sich am Rande des Mittelmeers umher, bis auch da die Lüfte schärfer wehen und sie sich nach Afrika hinretten, um an den Lagunen und Flußmündungen, Kanälen und Gräben den Winter zu verbringen, stets fern sich haltend von den Ibissen, Sattelstörchen und dem andern ansässigen Geflügel.

Aber wenn im Norden die Weidenkätzchen schwellen und das Wollgras Blüten treibt, wandern sie zurück über das Meer und die Alpen den Mooren und Marschen zu, erfüllen die stillen Weiten mit ihren halb jauchzenden, halb klagenden Trillern und erfreuen den Menschen, der ein Herz in der Brust hat, durch ihren edlen Flug und ihr stolzes Wesen.


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