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Mäuschen im Busch

Im Graben steht ein Schlehenbusch; auf dem sitzt die Goldammer und singt in einem fort: »Wie hab ich dich lieb!«

Nun bricht sie ihr Lied in der Mitte ab, sträubt das gelbe Schöpfchen, wippt aufgeregt mit dem Schwanze, hält den Kopf schräg und sieht unter sich.

Da schwanken die langen Halme hin und her, da rispelt und krispelt es im Grase, raschelt und rappelt es unter den Brombeerranken. Noch ein Weilchen ist der gelbe Vogel im unklaren darüber, ob es vielleicht nicht das Wiesel ist, das da herumstöbert: dann aber singt er beruhigt weiter, denn harmlos und ungefährlich ist das Mäuschen, das jetzt unter den Ranken erscheint.

Ein Zwergmäuschen ist es, ein allerliebstes Kerlchen, halb so groß wie eine andere Maus. Es sitzt da, sieht sich um, macht einen Sprung, faßt eine Fliege, die von dem Tau noch flügellahm ist, springt mit ihr im Mäulchen wieder unter das dornige Rankengehege zurück und macht sich daran, sie zu verspeisen. Niedlich sieht das Mäuschen aus, wie es da auf den Keulen sitzt, die Fliege zwischen den weißen Pfötchen hält, ihr mit den scharfen Zähnen Flügel und Beine abknipst und sie hastig aufknabbert. Dann leckt es sich die weißen Lippen, streicht sich die seidenen Schnurrhaare zurecht und sieht sich mit den funkelnden schwarzen Augen nach neuer Beute um.

Schon macht es einen Satz nach der Gegend hin, wo ein blanker Käfer über die Scholle krabbelt, doch da zuckt es zusammen, das Mausemännchen, denn es bekam einen großen Schreck; ein großer Schatten strich über den Boden hin, und schnell verschwindet es unter dem Schlehdornbusche. Es war zwar nur eine Wildtaube, die zu Felde fallen wollte; aber es konnte ebensogut der böse Sperber sein oder die schlimme Krähe, und weil Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit ist, machte das Mäuschen einen flinken Hops und sitzt geborgen wieder unter den dornigen Brombeerranken, wo so leicht kein Feind es fassen kann.

Bald aber hat es seinen Schreck vergessen und huscht wieder geschäftig zwischen dem welken Laube und dem jungen Grase umher, zerraspelt hier ein Samenkörnchen, knabbert dort eine Knospe auf, macht dann einer Motte und darauf einer Raupe den Garaus, zupft und leckt sich sorgfältig sein braunrotes Fell zurecht, überrumpelt eine fette Graseule, die just aus der Puppe gekrochen war und gerade dabei ist, ihre Flügel zu entfalten, reinigt sich abermals umständlich das Mäulchen und sitzt eine ganze Zeit still da, sich der Sonne und der lauen Luft freuend.

Auf einmal erwacht es aus seinem Halbschlaf, dreht sich schnell herum und hüpft mit langen Sprüngen unter den Brombeeren her nach dem Grabenufer, denn dort klettert ein Mauseweibchen in dem Gestrüpp umher. Sofort ist das Männchen bei ihm und es gibt ein Gekletter hin und ein Gerenne her zwischen Stengeln und Halmen und ein Gepiepse hier und ein Gezwitscher dort, bis das Mauseweibchen einsieht, daß es keinen Zweck hat, länger spröde zu sein, und es mit dem Mäuserich fröhlich herumspielt, bis beide von dem Springen, Rennen und Klettern hungrig geworden sind und zwischen den roten und weißen Taubnesseln nach Nahrung suchen.

Ein vergnügtes Leben führen die beiden Mäuse hier am Rain. Wenn bei Nacht das eine auch beinahe einmal von dem Käuzchen erwischt wäre und bei Tage das andere sich nur mit knapper Not vor dem Turmfalken in ein Maulwurfsloch retten konnte, ihr Gedächtnis ist kurz, sie vergessen schnell Angst und Not, leben fröhlich in den Tag hinein, bis das Mauseweibchen immer unliebenswürdiger gegen das Männchen wird, so daß dieses es schließlich allein läßt.

Das Weibchen hat nämlich Wichtigeres zu tun, als herumzuspielen und sich mit dem Männchen zu jagen. Es hat sich in dem Schlehenbusch eine Stelle ausgesucht, wo die Brombeerranken kreuz und quer die dornigen Zweige durchflechten und hohes Schilfgras emporgeschossen ist. Da schlüpft es hin und her, ein langes blondes Grasblatt vom vorigen Jahr zwischen den Zähnen haltend. Das wickelt es um einen Zweig, schlingt es um einen andern, knotet es an einem dritten fest, holt ein neues Blatt, knüpft es neben dem andern an, und arbeitet so lange, bis ein rundes Nestchen, so groß wie eine Männerfaust, mit einem engen Eingang an der Seite im Rohbau hergerichtet ist. Dann sucht es sich die zartesten der alten Grasblätter, zerschrotet sie mit den Zähnen, polstert damit das Nestchen aus und verbessert es noch hier und da, bis nichts mehr daran zu tun ist.

Ein paar Tage später liegen schon sechs rosenrote blinde Junge in dem Nest, nicht größer als Kaffeebohnen. Doch sie wachsen schnell. Es dauert nicht lange, so bekommen sie Augen und Haare, die unförmigen Köpfe werden spitzer, die Öhrchen und Schwänzchen wachsen, und bald schon sehen die Kleinen fast so wie die Mutter aus, blinzeln ab und zu aus dem Nest heraus und beginnen mit den ersten Turnversuchen an den Zweigen und Halmen, sorgfältig behütet von der Mutter, die sie in das Nest zurückjagt, sobald die Dorngrasmücke, die ebenfalls in dem Schlehenbusch baut, ihren heiseren Warnruf ertönen läßt, den Turmfalken oder den Neuntöter anmeldend.

Aber von Tag zu Tag werden die jungen Zwergmäuse sicherer und kecker. Sie klettern hinter der Alten her, wagen sich in das Rainfarngestrüpp, turnen bis auf den Boden herunter und gehen allmählich schon selbst ihrer Nahrung nach, wenn sie nicht unter den schützenden Ranken des Brombeerstrauches lustig miteinander spielen. Dabei faßte das eine der Maulwurf, der plötzlich aus seinem Loche hervortauchte, und zog es trotz seines Piepsens und Zappelns in die Erde hinunter, ein anderes greift das Wiesel und trägt es seinen Jungen hin, mit denen es unter der Brücke lebt, und ein drittes fängt der Neuntöter und spießt es neben Mistkäfern und kleinen Fröschen auf einen Dorn. Die anderen aber sind in sechs Wochen ausgewachsen und suchen sich jedes für sich im Haferfeld oder im Gebüsch eine Stätte, wo sie hausen können.

Ihre Mutter kümmert sich nicht mehr um sie. Sie baut ein neues Nest nicht allzu weit von dem alten; darüber hat eine andere Zwergmaus gebaut, unten am Boden zwischen den Brombeeren eine dritte, eine vierte zwischen den Haferhalmen, die sich dicht an den Dornbusch herandrängen, in dem Weißdorn stehen ebenfalls einige, und so ist der ganze Feldrand mit gutversteckten Mausenestern besetzt. Wenn es dämmerig wird, ruschelt es überall zwischen den Halmen und raschelt es im Laub; hier klettert ein Mäuschen, da turnt eins, und dort hüpft ein anderes. Am Boden huschen sie umher und fangen Käfer und Raupen, sitzen auf den Spitzen der Halme und packen die schlafenden Fliegen, hülsen die halbreifen Körner aus und freuen sich ihres Lebens, bis auf einmal das Käuzchen lautlos herangeschwebt kommt und mit einer unvorsichtigen Maus in den Krallen davonfliegt, um sie seinen Jungen zu bringen, die auf dem hohlen Wildapfelbaum sitzen und der Alten gierig die Beute entreißen.

Aber ob das Käuzchen auch Nacht für Nacht hier jagt, der Mäuse werden eher mehr als weniger, denn der Winter war mild, der Frühling trocken, und der Sommer ist warm, und so vermehren sie sich, daß es den ganzen Graben entlang von ihnen wimmelt und krimmelt und überall im Feld, wo die Klüngelwicken die Halme zusammengesponnen haben, ein Nest steht, in dem ein halbes Dutzend oder mehr Junge heranwachsen.

Doch da kommt ein Gewitter nach dem andern und bringt schwere Regengüsse, Hagelschlag und Kälte. Der Sturm entblößt die Nester, der Regen prasselt hinein und wäscht die Mäusebrut heraus. Hunderte von jungen Mäusen erstarren, und von den heranwachsenden kommt eine Unmenge um, die das Regenwasser in den Graben hineinspült oder die eine Krankheit ergriffen hat. Die übrigen führen ein trauriges Leben in den Büschen, bis endlich die Sonne wieder scheint, das Feld trocken wird und die Mäuse Leid und Not vergessen, abermals Nester bauen und Junge aufziehen, und ein paar Wochen später kribbelt und krimmelt es überall wieder das ganze Feld entlang, und nachts schlüpft und hüpft es zwischen den Halmen und turnt auf den reifenden Haferrispen herum, so daß das Käuzchen mit seinen flüggen Jungen nicht lange zu suchen braucht, um satt zu werden.

Dann aber rückt der Bauer heran, und großes Elend kommt über das fröhliche Völkchen. Die Sense fällt die Halme samt den Nestern darin, und nun heißt es flüchten. Zu Hunderten rennen die Mäuse vor den Binderinnen dahin, schlüpfen unter die Büsche, verstecken sich in den Gräben, kriechen in die Gänge der Feldmäuse und in die Maulwurfslöcher hinein, denn über der Erde ist es bei Tage nicht sicher. Da rennen die Hunde hin und her und beißen die Mäuschen tot oder scharren die aus, die sich in den Erdlöchern bargen, und die Turmfalken rütteln über den Stoppeln, stoßen bald hier, bald da hinunter und greifen fast nie fehl.

Kahl ist das Feld geworden. Herbstseide zittert auf der Stoppel, und die reisenden Kraniche trompeten vom hohen Himmel herunter. Die Feldmäuse rutschen in ihren Gängen entlang; die Zwergmäuse haben fast alle das Feld verlassen. Die einen sind nach der Dieme verzogen, andere nach den Scheunen der Bauern, einige suchten im Randgebüsch des Waldes Unterkunft. Das alte Weibchen aber, das im Schlehenbusch gebaut hatte, ist ihm treu geblieben. Er hat ihm in der guten Zeit Unterschlupf und Nahrung geboten, hat es geschirmt, als der Regen rauschte und der Wind pfiff, und wird es auch wintertags hüten. So bleibt es wohnen, nährt sich von Grassamen, Käfern und Puppen und alten Schlehen und Brombeeren, die im welken Laub am Boden liegen, wo es sich zwischen den dornigen Zweigen ein warmes Winternest gebaut hat.

Wenn aber der Winter vorüber ist, die Sonne wärmer scheint und der Goldammerhahn von der Spitze des Strauches den Frühling lobt, dann wird das Mäuschen im Busch wieder ein Nest aus weichen Grashalmen zwischen den Zweigen zusammenflechten und dafür sorgen, daß seine Art nicht aussterbe.


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