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Murrjahn

»Sonne ist das beste, was wir in der Art haben«, denkt Murrjahn und räkelt sich vor seinem Bau. Besonders die Morgensonne ist sehr wohltätig. Das fühlt Murrjahn deutlich. Erst hat er auf dem Bauche gelegen, platt wie ein Eierkuchen, und sich den Buckel schmoren lassen; nun wälzt er sich auf den Rücken und läßt sich den Bauch durchwärmen.

Wie wunderschön das ist! Murrjahn stöhnt behaglich. Auf einmal zuckt er jäh zusammen und juckt sich heftig in der linken Weiche, und dann in der rechten, und unter der einen Achsel und unter der anderen, und dann hier und dann dort; die Flöhe werden in der warmen Sonne doppelt unverschämt.

Darum scharrt er den Staub tief auf, pudert sich damit den Bauch ein, wälzt sich murrend und knurrend darin umher, bis die braunen Quälgeister ablassen, ihn zu peinigen; dann legt er sich wieder auf den Rücken, schließt die Seher fast ganz, läßt sich von Amsel, Drossel, Fink und Star etwas vorsingen, und hat so das Gefühl, daß er es jetzt bedeutend besser habe als früher.

Denn der alte Dachs hat eine Vergangenheit, eine bewegte Vergangenheit. Kein Dachs am ganzen Rodenberge und darüber hinaus hat eine derartige, wie Murrjahn, überhaupt kein lebendes Wesen in dieser Gegend. Höchstens Pockenfritze, der anscheinend sorglos, in Wirklichkeit sehr vorsichtig, den Pirschsteig entlang geschlendert kommt, um nachzusehen, ob sich nicht ein Reh in den Schlingen gefangen hat, kann auf eine ähnliche Vergangenheit zurückblicken, denn er hat schon einmal wegen Ströppens und Widerstandes gegen die Staatsgewalt sitzen müssen.

Murrjahn schreckt aus seinem süßen Druseln auf. So leise Pockenfritze auch schleicht, der Dachs hat es doch vernommen. Viel flinker, als man es ihm zutrauen möchte, hat er sich aufgerichtet. Nach allen vier Windecken wittert er, wobei der schwarzweiße Kopf blitzschnell hin und her fliegt, und dann macht er kurz kehrt und verschwindet in seinem Baue. Traue einer den Menschen! Es sind übele Geschöpfe. Murrjahn kennt sie zur Genüge. Zwei Jahre hat er unter ihnen gelebt. Und später hat er mehr als einmal die Bekanntschaft erneuern müssen, obschon ihm sehr wenig daran lag und er ihnen nach Möglichkeit aus der Kehr ging. Aber einmal erwischte er auf einer Treibjagd ein paar Schrote, mehrere Male wurde er in mondhellen Nächten mit Hunden gehetzt und hatte Mühe, sie abzuschlagen, und die fehlende Zehe an der linken Hinterbrante blieb in einem Tellereisen hängen.

Darum wartet er fast eine Stunde in der Tiefe seines Baues, bis er sich wieder hervorwagt. Noch viel vorsichtiger ist er dabei als vorhin. Aber im Baue leidet es ihn nicht; er hat Sonnendurst und

l6i Lichthunger. So rutscht er denn der entlegensten Ausfahrt des weitverzweigten Baues zu, der, die zwischen den drei mächtigen Samenbuchen mündet, über der dichter Jungwuchs stockt und unter der die Wand steil abfällt. Dort ist er sicher, das weiß er. Trotzdem windet er aber dennoch erst lange, ehe er ausschlieft, und erst, als er sich davon überzeugt hat, daß das Geräusch vor ihm von einer Amsel verursacht wird, nimmt er wieder sein Sonnenbad.

Platt und breit liegt er da, wie tot; aber er vernimmt jeden Laut. Daß, als er sich einmal wieder kratzen muß, erst der Zaunkönig, dann die Amsel und schließlich der Häher fürchterlich schimpfen, läßt ihn kühl. Auch das Schmalreh, das über ihm herumtritt, stört ihn nicht in seiner Ruhe. Aber dann öffnet er die Seher; er hat ein ganz feines, dünnes Gewisper vernommen, und das wirkt auf seinen Magen. Hurtig steht er auf und trottet dahin, von wo es kam, scharrt in dem welken Gekräut und führt sich dann laut schmatzend fünf halbnackte junge Rötelmäuse zu Gemüte. Sie sind recht saftig und zart und schmecken nach mehr. So begibt er sich weiter, sticht hier im Mulme nach Würmern und Schnecken, entrindet mit den scharfen Krallen dort einen morschen Baumstumpf und macht sich über die Käferlarven darin her, findet noch ein Mausenest, und abermals eins, und ein viertes, fünftes, sechstes und siebentes, und stößt dann sogar auf eine ausgewachsene Blindschleiche, die gerade dabei ist, ihr altes Kleid auszuziehen, aber nun nicht mehr dazu kommt.

So ganz wohl und sicher fühlt er sich aber bei seinem Pirschgange nicht, wenn er sich auch nur in dunklen Umrissen an die Zeit erinnern kann, als er immer in einem muffigen Zwinger saß, ewig dasselbe langweilige und oft ekelhafte Futter bekam und nur herausgelassen wurde, um sich von allerlei Kläffern zausen lassen zu müssen, die Angst vor einer Wiederholung seiner scheußlichen Zeit ist ihm geblieben. Gerade ist er dabei, ein Hummelnest auszugraben, da verhofft er, denn von der Trift her erschallt Hundegebell. Es ist sehr weit bis dahin, aber Murrjahn empfindet es doch als Störung. So frißt er eilig die Hummelbrut hinunter und trottet wieder dem engen Stangenorte zu. Hundegebell; pfui! Das Scheußlichste, was es gibt. Zwei Jahre lang hat er es auf dem Schliefplatze ausstehen müssen. Bis dann der Tag kam, daß der Wärter Geburtstag hatte und so viel Bier und Schnaps trank, daß er vergaß, die Zwingertüre zu schließen und Murrjahn entweichen konnte. Wie besinnungslos war er in die Freiheit hineingesaust, hatte auf der Landstraße eine Radfahrerin in Ohnmacht versetzt und war im Walde mitten zwischen sechs Sommerfrischlerinnen geraten, die mit dem Angstgequietsche: »Ein Wildschwein, ein Wildschwein!« wie wahnsinnig auseinanderstoben.

Murrjahn hatte sich aber ebensosehr verjagt und war voller Angst und Entsetzen weitergeflüchtet. Alles war ihm so neu, so fremd, so unbekannt, denn er war knapp anderthalb Jahr alt gewesen, als er gegraben und in den Zwinger gebracht wurde, in dem er zwei Jahre verbringen mußte, Wand an Wand mit mehreren Füchsen, abscheulichen Stinkern, deren Ausdünstung ihm unausstehlich war. Was wußte er noch von der Welt, von Moor und Mulm, von Würmern und Schnecken? Auf faulem Stroh hatte er liegen müssen und Kartoffeln, Brot und halbfaules Pferdefleisch fressen müssen. Ratlos saß er im wilden Walde; sein Magen knurrte; ganz schwach wurde ihm. Da hörte er im Laube etwas wispern. Eine alte Erinnerung kam ihm, daß dieses Gewisper in irgendeinem Zusammenhange mit etwas stehe, das gut zu fressen sei. Er lief hin, scharrte, fand vier junge Mäuse, prick und fett, und die schmeckten ausgezeichnet. Und er stach weiter nach Untermast, wie es seine Mutter ihn gelehrt hatte, und pfropfte sich voll mit Würmern, Maden, Larven, Schnecken, Käfern, Raupen, Mäusen und was es sonst noch gab, bis ihn ein kleiner Köter aufspürte und so lange hetzte, bis es Murrjahn zu dumm wurde, er sich stellte und den Kläffer so zurichtete, daß er jaulend forthinkte. Trotz dieses Sieges war Murrjahn aber durch dieses Erlebnis der Wald verleidet, und so trottete er weiter und immer weiter, bis er zum Rodenberg kam und den verlassenen Mutterbau fand und sich darin häuslich einrichtete.

Dort kann ihm weder Mensch noch Hund beikommen, denn es ist zur Hälfte ein Eisenbau, der nicht gegraben werden kann, und da die Röhren zum Teil über tiefe Gesteinsspalten führen, so schicken die Jäger ihre Hunde nicht mehr hinein, weil sie wissen, daß sie dann nicht wieder zutage kommen. Ein halbes Dutzend Gerippe von Hunden, die dort elend verschmachten mußten, modern in dem Lehm, den Murrjahn darüber scharrte, denn er ist sehr für Reinlichkeit. Deswegen wird er immer sehr fuchtig, ladet sich einer von den Stinkefüchsen bei ihm zu Gaste, denn das sind Schweinigel, die allerlei Fraß zu Bau schleppen und die Hälfte dort verludern lassen, so daß Murrjahn hinterher das Forträumen besorgen kann, und dann noch acht Tage vor dem strengen Füchseln um alle Lebenslust kommt. Im allgemeinen hat er aber Ruhe, denn es gibt Baue genug am Berge und der Fuchs lebt auch lieber für sich allein.

Hier am Berge hat Murrjahn es gut. An Fraß ist kein Mangel und in der Hauptsache geht es auch ruhig zu. Anfangs fuhr er nur nächtlicherweile zur Weide; allmählich gewöhnte er sich aber daran, auch tagsüber umherzubummeln, wenn auch unter aller Vorsicht und immer in der Nähe des Baues. Heute gefällt es ihm ausnehmend über Tage. Die Luft ist rein, denn in der Nacht fiel ein lauer Regen, die Sonne scheint, und so krimmelt und wimmelt es im Grase und kribbelt und krabbelt es unter dem Moose. Eben burrt ein Maikäfer Murrjahn vor die Nase, dann kommt eine halbflügge Amsel angetolpatscht, und jetzt begeht ein Maulwurf die Dummheit, gerade da aufzustoßen, wo der Dachs das Fallaub abwittert. Wupps, ist er gefaßt und verschwindet dort, wo der Maikäfer und die Jungamsel hingerieten. »Schöner Morgen heute Morgen«, denkt Murrjahn und wittert um sich, denn der strenge Geruch des Bärenlauchs sticht ihn. Die Finken schlagen, die Schwirrer trillern, die Tauben rucksen, und überall burren die Maikäfer; alle Augenblicke kann der Dachs einen zerknatschen und dabei an Bucheckern denken, die fast ebenso schmecken. So bummelt er friedlich umher und stopft in sich hinein, was er an Getier antrifft, ab und zu sich kratzend, wenn das Ungeziefer in seiner Schwarte es gar zu bunt treibt.

Ein gesegneter Tag ist es heute; nicht weniger als sechs dicke Blindschleichen findet der Dachs auf dem sonnenbeschienenen Pirschsteige. Die Mäuse haben fleißig geheckt; alle naselang stößt er auf ein Nest. Auf einmal aber erschrickt er furchtbar, schnauft geängstigt, wird ganz kurz und breit und verbreitet einen stechenden Talggeruch um sich, denn mit beträchtlichem Getöse plumpst etwas vor ihn in das Laub. Murrjahn prallte zurück und machte, daß er zwischen die wilden Stachelbeerbüsche kam. Da verhofft er. Aber dann spitzt er die Gehöre, äugt scharf und schnuppert gierig, denn das, was da im Gestrüpp herumhopst und ängstlich quarrt, das scheint ihm nichts Gefährliches zu sein. Vorsichtig schleicht er näher, und immer dichter heran; seine Seher funkeln, die Nase geht hin und her, und dann springt er vor und schnappt zu, und ob auch die halbflügge Krähe, die vom Nestrande fiel, noch so sehr quarrt und noch so hampelt und strampelt, ein Biß mit den scharfen Zähnen, und sie läßt den Kopf hängen. Das ist ein Fraß! Fett ist sie wie eine Schnecke. Das lohnt sich eher als Maikäfer und Regenwürmer; Murrjahn schmatzt, daß es weithin zu hören ist und eine alte Ricke, die an ihm vorüberzieht, ihn entrüstet anschmält.

Gesättigt und zufrieden trollt er jetzt seinem Baue zu. Vor der Hauptfahrt, die von Waldreben und wilden Stachelbeeren gänzlich umwuchert ist, macht er es sich in der Sonne wieder bequem und geht den Flöhen ernstlich zu Leibe. Dann rollt er sich zusammen und druselt, bis es Abend wird und die Sonne zur Rüste geht. Es gibt Mondschein, und den Dachs gelüstet es, einen Gang in die Feldmark zu unternehmen. Drei Male ist es ihm dabei eklig ergangen, denn die Jäger waren mit den Hunden zugange und die stöberten Murrjahn auf und hetzten ihn. Das eine Mal schlug er den Teckel glatt ab und flüchtete zu Baue. Als er aber schon dicht dabei war, vernahm er ein verdächtiges Geräusch, machte kehrt und flüchtete in die verwachsene Dickung, wo er in einen Notbau einfuhr, der den Jägern unbekannt war. Das andere Mal stellten ihn zwei Hunde; aber Murrjahn hatte es auf dem Schliefplatze gelernt, seine Schwarte zu wahren. Er steckte die Nase unter sich, öffnete seine Talgdrüse, bot den Hunden den Specknacken und schlug mit den scharfen Fängen giftig keckernd bald unter der linken, bald unter der rechten Vorderbrante so geschickt nach den Hunden, daß sie jaulend den Platz räumten und ihn fahren ließen.

Beim dritten Male aber hetzte ihn ein großer Köter bis vor den Bau, und als er einfuhr, fühlte er sich von einem Gewirre von Ranken oder was es sonst war, behindert. Das Fangnetz war aber schlecht angepflockt und morsch, und so riß er es mit in die Tiefe. Viele Stunden plagte er sich damit ab, sich davon zu befreien, und seitdem war er doppelt vorsichtig, besonders bei Mondlicht. Und ehe er zu Baue fährt, prüft er erst sorgfältig, ob die Fahrt nicht wieder mit einem Netze verstellt oder gar mit einem Eisen verlegt ist, denn als er einmal zu Bau rutschen wollte, klappte es hinter ihm und das Eisen schnappte ihn an einer Zehe. Trotz des großen Schmerzes ruckte er aber so heftig an, daß die zerschmetterte Zehe abriß und er frei wurde. Alles das hat ihm Vorsicht beigebracht, und so gern er nun, wo der Mond alles so schön blank macht, zu Felde trollte, so zieht er es doch vor, unter Deckung zu bleiben und im Vorholze nach Untermast zu stechen, die es dort überall reichlich gibt, Würmer, Käfer, Larven, Mäusebrut und allerlei süße Knollen und Zwiebeln.

Gegen den Vormorgen aber erhebt sich ein Wind und da trottet er zu Baue, und kaum ist er dort angelangt, da versteckt sich der Mond, die Wolken platzen und es regnet in Strömen. Murrjahn ist das gleich; er hat sich bis oben vollgestopft und wird so lange schlafen, bis der Regen aufhört. Er kann es aushalten.

Der einsame Wisent

Das war nun schon der dritte Tag, daß die weißen Wetterköpfe rund um das Bruch sich reihten. Jedweden Mittag kamen sie hinter der Wohld und der Geest und dem Moor heraufgestiegen, bis zum Platzen mit Blitz und Donner geladen; jeden Abend brachte der Vollmond sie grinsend wieder dahin, von wo sie gekommen waren, ohne daß sie ihr Gift und ihre Galle los wurden.

Die Luft lag dick auf dem Bruche. Alle Blumen ließen die Köpfe hängen, und sogar die Buttervögel und Schillebolde wurden faul. Einzig und allein die Bremsen, die Mücken und die Gnitten fanden Freude an der Schwüle und verekelten Mensch und Getier das Leben.

Der Kolkrabe, der mit offenem Schnabel auf dem Runensteine vor der Wohld blockte und jappte, schwang sich mit einem Rucke davon, korrte ärgerlich und schraubte sich aufwärts, denn in der Dickung tappte es laut und brach es gewaltig.

Ein mächtiges Haupt, zottig und breit behörnt, schob den Wirrwarr von Porst, Ellern und Fichten fort, äugte mit bösen Lichtern vor sich hin und zog schnaufend den Wind ein.

Ein alter Wisentbulle war es. Ihn, den Häuptling des Rudels, ihn, den Herrn über zwanzig Muttertiere und Jungkühe, ihn, den Bärenzerreißer und Wolfindieluftschmeißer, hatte ein jüngerer Bulle abgekämpft und von dem Rudel weggetrieben, mit Schmach und Schande ihn bedeckt und einsam und allein gemacht.

Das war das eine. Aber noch mehr Weh kam über ihn, das ihn mit Wut erfüllte, wohin er zu einem anderen Rudel trat, wurde er von dannen gejagt und so behandelt, als hätte er die schwere Seuche im Leibe. Schließlich traf er einen Leidgenossen an, einen ungehörnten Bullen, das Gespött und die Verachtung aller Wisentrudel. Mit dem war er seit der Brunft in der Heide hin und her gezogen. Mehr als einmal hatte er an ihm seine üble Laune ausgelassen, ihm, wenn ihm das Blut in das Haupt schoß, die Spitze des Horns zu schmecken gegeben, ein anderes Mal aber wieder ihn da gescheuert, wo die Holzböcke saßen und fraßen.

Aber nun war er allein, ganz allein, so allein, wie der Stein, auf dem der Rabe eben geblockt hatte. Sein Freund, der hornlose Bulle, war in ein Fangloch gestürzt und elend drin verendet. Das alles und die Schwüle und das stechende Geschmeiß machten ihn wild vor Ingrimm. Der alte Bulle schnaufte wütend, denn eine Witterung, die er mehr haßte als die vom Bär und Wolf, zog ihm in die Muffel, Witterung von Mensch. Er hob das furchtbare Haupt, peitschte seine Weichen mit der Schweifquaste, daß es knallte, und zog der feindlichen Witterung entgegen. Früher war er ihr immer ausgewichen, einst, als er noch in den Sumpfwäldern leben durfte. Nun, da er von seinesgleichen dahin gejagt war, wo das Tier, das auf zwei Beinen ging, lebte, ging es ihm nicht mehr aus dem Wege.

Er sog die Luft ein, und zugleich Hunderte von Mücken und Gnitten, hustete sie aus, brummte wütend und zog dahin, von wo der greuliche Geruch kam. Er hatte eine Wut auf dem Leibe, eine furchtbare Wut, die er loswerden mußte. Er hatte vorhin eine tote Fichte, die ihm im Wege stand, aus dem Boden gehoben und zerfetzt, hatte einen Ameisenhaufen, der ihn ärgerte, als Spreu in die Luft geschmissen, und schließlich erst einem Jungbären, der ihm entgegentappelte, den Garaus gemacht, und dann dessen Mutter, die vor Angst und Wut brüllend auf ihn losfuhr, zu Brei getrampelt. Und jetzt wollte er die zweibeinigen Biester umbringen.

So zog er dahin, wo ihrer drei das Vieh an dem grünen Saume des Baches hüteten. Der älteste von den drei Jungen bekam mit einem Male ganz blanke Augen, befahl mit einer festen Handbewegung seinen Brüdern, bei der Herde zu bleiben, schlich sich zu einem Ellernbusche, von dem zu einem zweiten und dritten, legte seinen besten Pfeil auf die Sehne des Bogens, riß die Sehne vom Bogen und jagte, während er vor Jagdgier seine langen Zähne in sein Kinn grub, dem Wisentbullen, den seine Falkenaugen erspäht hatten, einen Pfeil in das Blatt, und als der Bulle mit einem starken Ruck zeichnete, lachte er fröhlich in sich hinein.

Es war sein letztes Lachen im Leben. Ehe er sich versah, war der Bulle vor ihm, stieß ihm ein Horn zwischen die Rippen, warf ihn empor, nahm ihn wieder auf, schleuderte ihn abermals weiter, trampelte ihn zu Brei, daß sein Blut das Gras befleckte, hob dann sein gewaltiges Haupt hoch, schnaufte laut, schüttelte sich, senkte die Hörner, brach in die Herde ein, schlitzte dem Bullen, der ihm entgegentrat, den Leib auf, stieß dem nächsten Jungen, der vor Todesangst zitternd stehenblieb, ein Horn in den Leib, schmiß Stück um Stück von der Herde beiseite, kehrte zu dem Leitbullen zurück, gab ihm den Rest, machte einen formlosen Haufen aus ihm und trollte sich, zufrieden, daß er sein Gift und seine Galle los war, nach der Beeke zurück, in deren Schlammflut er sich kühlte.

Unterdessen war der dritte Junge nach dem Dorfe auf der Geest gerannt, hatte mit den Händen gefuchtelt, drei, vier Worte geschrien, war umgeklappt und hatte, als er sich verholt hatte, erzählt, was sich im Bruche begeben habe. Sofort hatten alle wehrhaften Männer die Speere genommen und waren im Laufschritt dem Bruche zugeeilt, hatten abgespürt, die Wohld umstellt, und die leichtfüßigsten Jungkerle über dem Winde in das Holz hineingeschickt. Sie drückten nun langsam die Dickung durch.

Sie fanden den Bullen lange nicht. Er dagegen hatte sie schon geraume Weile vernommen. Aber es war keine Angst in ihm, und auch keine Wut, nur Gleichgültigkeit und Verachtung. Ab und zu, wenn die Mücken zu unverschämt wurden, zog er sein Haupt unter das Wasser, schüttelte es dann, äste das Schilf ab, das ihm entgegenwuchs, grunzte wohlig, scheuerte die Keulen an einem vermorschten Stumpfe, der in der Flut lag, und hatte so das Gefühl, daß er in der Nacht ein Rudel suchen und sich ihm wieder als Oberhaupt aufdrängen wolle. Denn er fühlte sich wieder, seitdem er zwei der zweibeinigen Tiere samt ihrem Anhang von Vieh beiseite geschmissen hatte.

Da brach es bei ihm in den Ellernloden, brach anders, als wenn ein Elch zieht, ein Hirsch, ein Reh oder sonst etwas. Neugierig hob er das Haupt aus dem Schlamme, zog Wind ein und trat, als er wieder die ihm bis zum Zerplatzen ekelhafte Witterung aufnahm, auf das Ufer. Da standen drei von den Geschöpfen, die er nicht leiden konnte, von den nackthäutigen, schlimm duftenden, lauten, denen der Wolf auswich und sogar der Bär. Er aber ging ihnen nicht aus dem Wege. Er dachte nicht daran. Er wollte ihnen zeigen, wer hier im Bruche Herr und Häuptling wäre. Was die wohl wollen? Keine Haare! Keine Hörner! Keine Hufe! Und so dünn und so leicht! Und als Waffe nichts als Geschrei, und den Gestank, den er nicht vertragen konnte.

Merkwürdige Tiere! dachte er, als der eine mit dem Arm durch die Luft fuhr. Aber dann tat es ihm mit einmal auf dem linken Blatte erst ein wenig, und dann sehr weh. Er warf das Haupt zur Erde und stürmte auf die drei Feinde los. Wieder traf ihn ein Schmerz, im Nacken, und dann fühlte er ein Weh in der Hüfte, und eins, das irgendwo mitten in seinen Eingeweiden saß. Und dann war ihm alles einerlei; er war mitten zwischen den Menschen, fühlte nichts mehr als eine Freude, genau so, wie damals, als er den alten Platzbullen zu Tode stieß, und der ihm dabei die Dünnung schrammte, als er erst einen, dann den anderen und zuletzt den dritten seiner Feinde bald zwischen den Hörnern, bald zwischen den Hufen hatte, obwohl er an mehr als einer Stelle seines Leibes feurige Schmerzen empfand und eine seltsame Schwäche über ihn kam.

Angewidert und doch angenehm berührt, beschnupperte er die Reste seiner Gegner und trat in die Wohld zurück. Die Speere, die ihm im Leibe staken und belästigten, streifte er ab, indem er wütend durch das unraume Holz brach. Aber sehr weh tat ihm das, und ganz matt wurde er darauf. Und merkwürdig ängstlich und schwach wurde ihm, so daß er die enge Wohld verließ und nach der freien Heide hinzog. Als er so weit gewechselt war, verhoffte er, sog wohlgefällig den kühlen Luftstrom ein, der über die Geest herunterwirbelte, und fiel unter einer alten Eiche zusammen, während die Wetterwolken und der Mond sich darum zankten, wer das letzte Wort haben solle.

Da aber der Mond schon etwas an Kraft verloren hatte, behielt die eine Wolke, die über das Moor kam, zuletzt doch recht und spie so viel Gift und Galle aus sich heraus, daß einer ihrer Blitze die alte Eiche traf und sie zersplitterte und versengte samt dem alten einsamen abgekämpften und weidewund geschossenen Wisentbullen.

Nichts blieb von ihm als sein schwarzgebranntes Haupt mit den gewaltigen Hörnern, und das hängte der Gaupriester als Gottesmal über Tors Heiligstatt auf, wo es hing, bis Wind und Wetter es zermürbten und unter die Erde brachten.


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