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Es ist ein Heidmoor, eins der vielen Norddeutschlands, unberührt, urwüchsig, wild und weit. Heidkraut, Torfmoos, Wollblumen und Riedgras bilden den Untergrund der Pflanzenwelt; einzelne Birken, Kiefern und Wacholder überschneiden die braune Fläche. Ganz fern bollwerkt ein Wald wie ein schwarzer Strich.
So sah es vor hundert Jahren hier aus, und vor tausend und vor zehntausend. Alle dreißig Jahre ändert hier und da der Torfstich ein wenig das Bild, bis das alles gleichmachende Torfmoos und nach ihm Ried, Wollblume und Heide die Spuren menschlicher Arbeit hier verwischten. Selbst große Moorbrände änderten wenig an dem alten Bilde. Auch die Tierwelt blieb wie sie war, nachdem Mammut und Riesenhirsch, Moschusochs und Renntier und noch viel später Wiesel und Elch und wieder einige Zeit nachher Bär und Luchs und noch später Biber und Wolf verschwunden waren. Das Rotwild und die Sauen wechseln nach wie vor über das Moor, wenig Rehe, noch weniger Hasen leben in ihm und Fuchs und Otter, Dachs und Iltis. Heute noch, wie zu Urzeiten, jagen dort Schwarzstorch und Schreiadler die Kreuzotter, trompetet der Kranich bei Sonnenaufgang, klagt die Mooreule in der Dämmerung, ruft der Regenpfeifer, spinnt die Nachtschwalbe, meckert die Heerschnepfe. Sausendenmertag Fluges streicht der Birkhahn dahin, über die Sinke schwebt die Wiesenweihe, aus den Wolken dudelt die Heidlerche, Pieper und Rohrammer trillern und zwitschern.
Ein Menschenpaar zieht in das Moor, ein Knecht und eine Magd, sie haben lange genug gedient; nun wollen sie frei sein auf eigener Scholle im weiten Moore. Ein Haus entsteht, ein Gärtchen wächst, ein Wiese grünt auf, Ackerland drängt die Heide fort. Zaunwerk ragt auf, Obstbäume kämpfen sich hoch, Stauwerke und Stege bringen neue Farben in die Wildnis. Ein Jahr geht hin. Es ist ein Sommertag, warm und still, Mann und Frau sitzen auf der Knüppelbank vor der Türe und sehen in das Abendrot. Aus dem Hause schallt das frohe Gekrähe des Erben, den die Großmutter hütet. Da zickzackt ein schwarzes Ding um den halbkranken Pflaumbaum. Der Mann zeigt mit der Pfeifenspitze danach: »Eine Fledermaus!« sagt er und lächelt.
Herbst wird es. Die Ernte ist geborgen. Sie fiel mager aus, aber es langt für drei Menschen. Der Bauer pflügt die Stoppel um. Da kommt zwitschernd ein Flug kleiner Vögel heran und fällt auf der Stoppel ein. Der Mann lächelt wieder. Die ersten Spatzen sind es, die sich hier sehen lassen. Vorläufig sind es erst Feldspatzen.
Der Wind stößt den Schnee gegen die Scheiben. Bei der Tranlampe flickt die Frau des Mannes Zeug, er flickt Bienenkörbe. Im Ofen glühen Heidschollen und verbreiten einen strengen Geruch. Hinter der Schranke raschelt es. Mann und Frau sehen sich an. Es piept, ein schwarzes Ding huscht scheu durch die Stube. »Wahrhaftig eine Maus! Wo kommt die wohl her?«
Die Jahre vergehen. Die Bäume halten schon ihre Zweige über das Haus, die Stachelbeerbüsche hängen über den Gartenzaun. Im Garten blühen bunte Blumen. Rund um die Anbauernstube mußte jedes Jahr ein Stück Heide vor Wiese und Acker zurückgehen. Und jedes Jahr brachte neue Gäste. Zuerst brütete ein Paar Feldspatzen unter dem Dache. Dann siedelte sich die weiße Bachstelze an. Als sechs Kühe auf der Weide waren, kam die gelbe Bachstelze hinzu, und nach ihm ein Paar Elstern. Auch die Wanderratte stellte sich ein, wurde aber vertilgt. Den Hausmäusen folgte das kleine Wiesel. Zwischen den Heidlerchen singen Feldlerchen. Hausspatzen kamen vom fernen Dorf zu Besuch; schließlich baute ein Paar. In einem alten Kasten, den der Bauer an den Stall hing, brütet der Star. Die Hasen werden häufiger; um die jungen Kohlpflanzen müssen schon Scheuchen gestellt werden. Auf einmal war auch ein Rebhuhnpaar da und brachte die Brut hoch; der Hahn lockt jeden Abend und alle Morgen in den Kartoffeln. Am Backhause hat der Fliegenschnäpper sein Nest, im Stall die Rauchschwalbe.
Weiter oben im Moore steht noch ein Haus, ein neues, es trägt ein Ziegeldach. Von dessen First singt der Hausrotschwanz. Im Schafstall brütet das Steinkäuzchen. Holunder und Flieder blühen dort; in ihm klettert singend der Gartenspottvogel umher. Jeder der sechs Starkästen ist besetzt. Das Rad auf dem Dache stand drei Jahre leer; jetzt klappert der Storch darauf. Eine neue, dem Moor fremde Tierwelt ergriff Besitz von den beiden Flecken Baulandes, zu dem die Ansiedler das Urland umwandelten. In der Fährte des Menschen rückte seine Gefolgschaft an.
Dieser Vorgang, der sich heute überall wiederholt, wo der Mensch das Urland zur Kulturschicht macht, ist so alt wie alle menschliche Kultur. Schon der Wanderhirt griff in die Zusammensetzung der Tierwelt ein. Der Jäger und Fischer der Urzeit tat das noch nicht. Er stand nicht über der Tierwelt, er lebte in ihr; er war nicht ihr Herr, er war nur der verschlagenste, gefährlichste Räuber. Mit seiner geringen, durch ewige Stammeskriege, Hunger und Seuchen zurückgehaltenen Vermehrung brachte er es zu keinem festen Gesellschaftsgefüge, so daß sein Einfluß auf die Tierwelt gering war. Er hatte keinen festen Wohnsitz; seine Horden zogen den Beutetieren nach, wanderten ihnen entgegen. Er wehrte die Raubtiere ab, so gut er es konnte, und tötete von den Nutztieren so viele, als er frisch aufbrauchen oder durch Eis, Rauch und Sonne aufbewahren konnte. Er jagte nie zum Vergnügen, immer nur zum Bedarf, und so vertrieb er kein Tier, rottete er keine Art aus und lockte auch keine fremden Arten an.
Das wurde anders, als der Wanderhirte auftrat. Der mußte sein Vieh gegen die Raubtiere schützen; er war auch gezwungen, die Wildpferde und Wildrinder zu vertreiben oder auszurotten. Er befehdete sie, so gut wie er konnte, schreckte sie mit Klappern und Feuer fort, holzte ihre Verstecke ab, brannte ihre Schlupfwinkel aus, rottete manche Art ganz aus, rieb andere bis auf kleine Bestände, die in unwirtlichen Gegenden übrig blieben, auf. Aber so wie er mit Axt und Feuerbrand das Land kahl machte, schuf er solchen Tieren, die die Steppe lieben, Daseinsbedingungen, und manche Art, die vor jener Zeit selten gewesen sein mag, wie Reh, Hase, Feldhuhn und Wachtel, wird seitdem zugenommen haben.
Andere Tiere dagegen, die in dem Lande bisher wenig Nahrung und Brutgelegenheit fanden, wie die Schwalben, merkten, daß sich ihre Nester an seiner Rindenhütte, an seiner Fellkibitke ebenso gut bauen ließen wie an den Klippen des Mittelmeeres, und die Fliegenschwärme, die sein Vieh umsummten, ihnen reichliche Nahrung boten, so siedelten sie sich bei ihm an, wie sie heute noch bei den Wanderhirten Nordasiens leben.
Als der Mensch aus dem Wanderhirten Weidebauer wurde, sich ein festes Haus baute, sich umzäunte Viehweiden schuf, auch ein wenig Acker- und Wildwiesenbau trieb, da bot er wieder einer ganzen Anzahl von Tieren südlicher und östlicher Herkunft bequeme Daseinsbedingungen. Südliche Fledermäuse, die im Norden bisher keine warmen Schlafräume fanden, stellten sich in seinen Gebäuden ein; die Hausmaus folgte dem Getreidebau, das kleine Wiesel und der Steinmarder der Hausmaus, und eine Vogelart nach der anderen rückte von Süden und Osten vor und nahm von dem Lande Besitz. Damals werden sich der Storch und der Kiebitz, die weiße und die gelbe Bachstelze, die Elster und die Dohle, die vier Würgerarten, der Wiedehopf, die Blauracke und das Steinkäuzchen bei uns niedergelassen haben, alles Vögel, die freies, steppenähnliches Gelände, Wiesen oder die Nähe von Weidevieh brauchen, um bei uns bequem leben zu können.
Je mehr der Mensch zum Ackerbau überging, je mehr fremde Getreidearten er anbaute, je enger sich die Weiler zu dörflichen Verbänden aneinander drängten, sich mit Straßen verbanden, je mehr Urland zu Weide Acker und Wiese umgewandelt wurde, um so mehr nahm dort die ursprüngliche Tierwelt ab, und so stärker war die Einwanderung und Vermehrung fremder Arten.
Immer mehr breitet sich die Kultur aus, immer mehr schrumpfte das Urland zusammen. Aus Dörfern wurden Flecken, aus Flecken Städte. Um jede Niederlassung bildete sich ein neues Stück der Kulturschicht, das durch Wege und Straßen mit den älteren Kulturflächen verbunden war; immer mehr wurde die alte Tierwelt zurückgedrängt, immer mehr breiteten sich die neuen Tierarten aus und erhielten neuen Zuzug.
Die großen Umwälzungen, die die Völkerwanderungen und die Feldzüge der Römer in politischer Beziehung brachten, hatten auch in naturgeschichtlicher Hinsicht bedeutenden Einfluß. Die wandernden Volksmassen schleppten neue Fruchtarten mit, mit denen neue Schädlinge folgten, wie die alte Hausratte, die dann am Ausgange des Mittelalters wieder von der Wanderratte verdrängt wurde. Auch die Eroberung Nordwestdeutschlands durch die Franken wird neben vielen Nutz- und Zierpflanzen manche wilde Tierart des Südens zu uns gebracht haben, und da die Kreuzfahrer eine ganze Anzahl südlicher Nutz- und Ziergewächse, so auch den spanischen Flieder einführten, ist anzunehmen, daß um diese Zeit die spanische Fliege, die an Syringen frißt, und einer unserer besten Singvögel, der Gartenlaubvogel, bei uns eingewandert sind, den er findet sich fast nur in solchen Gärten und Anlagen, in denen viele Syringen stehen.
Diese Zuwanderung südlicher und östlicher Formen findet fortwährend statt. Je mehr Deutschland durch die Zunahme der Bebauung zu einer Kultursteppe wird, je mehr sein Straßen- und Schienennetz es mit dem Süden und Osten verbindet, um so mehr dräng die Tierwelt des Südens und Ostens nach uns hin.
Vögel, nach ihrer ganzen Lebensweise, nach Färbung und Stimme ausgesprochene Steppentiere, mit Haubenlerche und Grauammer, sind erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit bei uns heimisch. Der Hausrotschwanz, ursprünglich ein Klippenvogel deren Mittelmeerländer, findet, daß es sich auf unseren künstliche Klippen, den Dächern, ebensogut leben läßt wie im Süden, und so bürgerte er sich vor hundert Jahren bei uns ein, der Girlitz, ein hübscher kleiner Fink Südeuropas, Vorderasiens und Nordafrikas, ist seit ungefähr fünfzig Jahren bei uns heimisch geworden und nimmt mit der Zunahme des Obstbaues ständig zu und es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich auch die Zwergtrappe, ja vielleicht sogar das Steppenhuhn auf die Dauer bei uns seßhaft machen.
Bei vielen Tieren, von denen man annehmen kann, daß sie zu der eingewanderten Tierwelt Deutschlands gehören, läßt sich der Nachweis nicht führen, daß sie einst zugereist sind. Wenn aber ein Vogel, wie unsere Turmschwalbe, jetzt einer unserer gemeinste Stadtvögel, seine ganze nächste Verwandtschaft im Süden hat, außerdem nach Färbung und Stimme uns sehr fremd anmutet, so kann man ruhig annehmen daß er aus dem Süden stammt und erst bei uns einwanderte, als höhere Steinbauten, zuerst wahrscheinlich die Kirchen und Burgen, ihm das boten, was es bei uns früher nicht überall fand, die Klippen.
Wenn andererseits ein Vogel, wie die Gartenammer, in Norddeutschland verhältnismäßig selten ist und nur an Landstraßen auf bebautem Sandlande vorkommt, während er im Süden häufiger und nicht so wählerisch in seinem Aufenthalte ist, oder wenn die hübsche Brandmaus auf Sandboden und Urland niemals bei uns vorkommt, sondern nur auf schwerem bebautem Boden lebt, so ist auch von diesen anzunehmen, daß es Einwanderer sind, wenn auch ihr Einwanderung schon sehr lange zurückliegt.
Die Fledermäuse, die nur in Ortschaften bei uns leben, wie die kleine Hufeisennase, die langohrige, die Mops-, die rauhhäutige, die Zwerg-, die spätfliegend und die gemeine Fledermaus, und die Spitzmäuse, die wie die Haus- und die Feldspitzmaus, nur in und bei Gebäuden, in Gärten und dicht bei den Ortschaften liegenden Feldern bei uns vorkommen, Mauswiesel und Steinmarder, die immer in der Nähe der Menschen leben, ein Vogel, dessen Stimme, wie die der Nachtigall, gar nicht in die deutsche Landschaft hineinpaßt oder die, wie Haus- und Feldsperling, Feldlerche, weiße und gelbe Bachstelze, Elster, Storch und Kiebitz, ohne die Nähe menschlicher Gebäude oder von Ackerland und Wiese nicht zu denken sind, können mit gutem Gewissen als Einwanderer betrachtet werden, denen der Mensch erst Vorarbeiten leisten mußte, ehe sie sich hier heimisch machen konnten.
So haben wir zwei getrennte Tierwelten bei uns, eine ursprüngliche, an urwüchsiges Land, und eine hinzugekommene, an die jüngste Erdschicht, nämlich an die Kulturschicht gebunden. Der ursprüngliche Wald, die Heide, das Moor, das unbewohnte Gebirge haben eine ganz andere Tierwelt als die auf ihnen zerstreuten menschlichen Siedlungen mit ihren künstlichen Steppen, den Äckern, Wiesen und Weiden, ihren künstlichen Gebüschen und Wäldchen, den Gärten, Friedhöfen und Anlagen, mit ihren künstlichen Felsklippen, den Häusern, ihren künstlichen Dolomiten, den Dörfern, ihren künstlichen Gebirgszügen, den Städten. Jedes Stück Bauland und Urland ist ein abgesondertes Gebiet, dessen Tierwelt größere Verschiedenheiten aufweist als die von Ebene und Bergland, Wald und Heide.
Erdkräfte schufen früher allein an dem Aufbau der Tierwelt, dann half der Mensch dabei mit. Der jüngsten geologischen Schicht, dem Quartär, zwang er eine noch jüngere auf, das Quintär; er schuf ihr ein eigenes Pflanzenbild, die Kultur- und Advenaflora, und eine eigene Tierwelt, die Quintärfauna, zu der sowohl die weite Ferne wie die Nähe beisteuern mußte; er drückt der Natur seinen Stempel auf, schuf sie um.
Der echten Quintärfauna, seiner alten Gefolgschaft, schuf der Mensch von Tag zu Tag bessere Lebensbedingungen; je mehr Häuser, je mehr Gärten, Felder und Wiesen es gibt, um so besser geht es Maus und Ratte, Spatz und Lerche. Die übrige Tierwelt stellt er aber fortwährend vor eine neue Form des Kampfes um das Dasein. Jahrhundertelang behielt die Kulturschicht Deutschlands im großen und ganzen die alte Form; da änderte der Mensch sie völlig durch die Verkoppelung, die die Einzelbäume und Wäldchen, Hecken und Feldbüsche beseitigte. Nun hieß es für viele Tierarten : »Biegen oder brechen; paß dich an oder stirb'!«
Und so wie bei uns, ist es auch in anderen Ländern, anderen Erdteilen; hinter dem Kulturmenschen her zog von alters her eine Gefolgschaft von Säugetieren, Vögeln, Kerbtieren und Schnecken, gar nicht zu gedenken der Schmarotzer an Mensch und Vieh, und wo heute die neue, europäische Kultur die alte Kulturformel umformt oder ausbaut, da bringt sie, soweit es das Klima zuläßt, der alten Gefolgschaft der Menschen eine neue, führt den Spatz in Amerika ein, schleppt die Wanderratte über alle Erdteile, die Kellerschnecke durch alle Breiten, und international wie er selber, wird auch die Gefolgschaft des Menschen.