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Ein Sonntag ist es und ein Sonnentag. Sengende Mittagsglut zittert auf den Dächern von Osterholz-Scharmbeck. Alle Fenster sind geschlossen, daß die Hitze nicht hineindringt in die kleinen Stuben, denen die Bäume vor den Türen Schatten geben und Kühlung.
Ein paar Kinder spielen vor der Tür des Hauses, sonst ist es still und leer in der Straße. Und verstärkt wird die Stille durch das stille, braune Gesicht des alten, baumlangen, weißbärtigen Fischers, der, ein Knie auf dem roten Binsenstuhl, die Arme auf den Zaun gestützt, rauchend ins Leere sieht. Er wird uns nach Worpswede fahren. Langsam und bedächtig macht der Weißbart das schwarze Torfschiff los, setzt den Mast ein und stakt mit dem langen, eisenbeschlagenen Ruder den Kanal entlang, von dessen Ufern purpurner Weiderich nickt.
Ein weißer Falter begleitet ihn ein Weilchen. Dann tanzt er über die niedrigen Weidenbüsche auf die grüne Wiese, weiter, immer weiter, bis er den Augen entschwindet, die hängen bleiben an der weiten grünen von dunklen Wäldern umrahmten Fläche, auf denen buntes Vieh weidet, und über die die Schwalben schießen. Der Wind frischt auf. Unser Fischer wischt mit der groben, braunen Hand den Schweiß von dem braunen Gesicht und atmet tief auf. Auch ihm bringt die Brise Erholung. Das Staken, das schweißerpressende, ist zu Ende. Das Segel wird losgemacht, und hinaus geht es aus dem engen Kanal in die breite Hamme.
Von uns spricht niemand. Wir wollen nicht sprechen, sehen wollen wir, die Augen baden in dem satten Grün unendlicher Wiesen, die Augen laben an der braunen, blau schimmernden Flut, in der sich die weißen Wetterköpfe so seltsam spiegeln, in die die Fische, von Wähligkeit sich werfend, silberne Kreise ziehen, und in der die starren, dunklen, merkwürdigen Binsen ihrem Spiegelbilde zunicken. Der Mummel hellgrüne, breite Blätter liegen faul am Uferrande, die goldgelbe Blume schwankt träumend hin und her in des Kahnes Wellenschlag, trotzig reckt das Pfeilkraut seine Spieße, schläfrig rauschen die Schilfrispen, die der Wind aus der Unterstunde jagte, und unwillig schüttelt die Blumenbinse, die stolze, ihr rosiges Blütenhaupt.
Sprecht nicht, seht lieber! Seht dem Storch zu, der bedächtig über das Grün wandelt, den Enten, die am Ufer schnabbeln, dem Silberflügelgeflimmer der Wasserjungfern am Schilf, dem Tanz weißer Falter an roten Blumenkerzen, dem Blitzen und Leuchten der Wellen am Bug.
Wie groß und anders alles aussieht gegen die ewige Ruhe des grünen Plans; am Himmelsrande die Bäume, so schwarz und schwer, jede Blume so leuchtend, jeder taumelnde Kiebitz riesig, jede Krähe, die japsend auf dem Pfahl sitzt, ein auffallender Fleck. Und dort unten, das Segel, riesenhaft hoch und breit und düster macht es sich hier, wo alles so flach und so hell ist. Wie ein Rätsel mutet es an, wie ein schwarzes Gespenst das drohend und unheilvoll uns näher rückt. Der Angler am Ufer, halb vergraben im Grün, er unterbricht die Landschaft, alles beherrschend, ein fester Punkt in dem fließenden Grün weit und breit.
Ein kalter Schatten fällt auf die warme Landschaft. Im Nu hat die schwarze Wolke alles in andere Töne getaucht. Das warme Hellgrün der Wiesen hat sie kalt verdunkelt, das leuchtende Wasser getrübt. Aber da, wo ihre kalte Macht aufhört, blitzt und gleißt die Flut in strahlendem Silberweiß, leuchtet grell und heiß das Grün der Wiesen.
Grobe Stimmen weht der Wind heran. Stöhnend, jappend arbeitet sich ein Schleppdampfer hinter uns her, einen Torfbock im Seil. Dann klatscht es gegen unsern Kahn, lange Männer handhaben die langen Ruder, braune Gesichter nicken uns zu.
Vor uns kräuselt sich die Flut. Dort zappelt auch das Schilf reger. Und jetzt faßt auch uns der Wind fester in das schwarze Laken. Still war es um uns, als wir losfuhren, laut wird es jetzt. Aber ein anderes Lied wie im Walde singt hier der Wind. Dieses Geraschel, dieses Gekuschel der Binsen, das Flüstern des Schiffes, das Rauschen des Röhrichtes, das Kluckern des Wassers, ganz anders klingt es wie Kieferngesumm, Buchengeflüster und Eichengemurr. Zu jedem Landschaftstext spielt der Wind eine andere Weise.
Torfschiffe segeln an uns vorüber. Ernste, glattbackige Männer sitzen am Steuer, wortkarg und stumm. Ein Nicken, ein tiefer Zuruf ist ihr einziger Gruß. Ein einziger von den vielen flötete vor sich hin. Aber er schämte sich, als er sich uns näherte, und lang hinter uns fängt er erst wieder an zu pfeifen. Es ist ein Junge von sechzehn Jahren. Die Männer vom Teufelsmoor pfeifen nicht.
Die Segel, die so todesschwarz und so nachtdunkel sind, wenn sie uns begegnen, sie glühen hinter uns auf wie rotes Gold, hinter uns, von der Sonne durchschienen. Als ich es entdeckt hatte, sah ich ihnen nach. Es war mir ganz so, als wenn sie ein Lächeln überflog, die ernsten Segel, ganz dasselbe stille Lächeln, das die ernsten Gesichter der Schiffer erhellte, wenn sie uns nachsahen.
Immer mehr Segel rauschen an uns vorbei, eines im Kielwasser des anderen. Vor uns lauter schwarze, hinter uns lauter rotdurchleuchtete, und jedem muß ich entgegensehen, wenn es schwarz heraufkommt, wenn goldrot leuchtend es hinunterfährt.
Eine Stunde fahren wir schon. Näher kommt uns schon der Weyerberg mit seinem dunklen Baumgrün und seinem hellen Dünengelb, mit seiner Mühle und seiner Kirche. Aber in der Nähe, da blitzen silbern die Binsenstiele über der Flut, schwenkt der Kalmus seine gekräuselten Blätter, schaukeln sich Mummelblätter und nicken rosige Dolden über weißen Blumenrispen, zucken des Rohres Fahnen, auf den Altwässern schnattern die Enten zwischen den weißen Nixenblumen, über die Wiesen gaukeln die Kiebitze, schweben die Stare, und eine silbergraue Seeschwalbe begleitet uns ein Stück Weges, bis sie umkehrt und weiterjagt, immer auf und ab den Fluß. Und immer Segel auf Segel, Grün auf Grün, noch eine Stunde lang, und dann ein Marsch durch Staub und Sand, und Rast unter den Linden, Worpswedes, wo es lebt und webt wie in der Stadt von Wagen und Stadtmenschen.
Noch ein Stündchen Schlendern über dürre Dünen, Ausschau auf das unendliche Moor, ausgestreckt im rosigen Heidekraut, umschwirrt von Libellen, umgeigt von Heuschrecken, und dann den staubigen Weg hinunter, daß es hinter uns mülmt wie hinter Schäfer und Herde, zu unserem Torfschiff.
Und nun sprecht wieder nicht, bis wir an Land sind! Laßt den Kiebitz rufen und die Möwe kreischen, bis sie alle übertönt des Reihers heiserer Schrei, der breitflüglig in das Abendrot rudert. In andere Töne kleiden sich jetzt Wasser und Wiesen, Weite und Nähe. Gespenstiger noch sehen die schwarzen Segel vor uns aus, verlassener noch klingt des Viehes Gebrüll.
So schwer, so satt, so fett ist die Landschaft, die so lustig war und so hell und so leicht in der Mittagsglut. So verstohlen klingt das Geplätscher der Wasser, so heimlich das Flüstern des Schilfes. Unzerstörbare Ruhe, mächtiger Frieden erfüllt das Land. Des Reihers Ruf, der Enten Schrei, auftauchend und verhallend, verschärfen die Stille nur, und die hellen, nickenden Blumen am Ufer, viel märchenhafter scheinen sie uns jetzt.
Nicht sprechen! Das paßt nicht zu dem Blaugrau des Himmels, zu den sanften Gluten am Himmelsrande, zu der leisen Flut der lauen Luft, zu dem einsamen Abendstern vor uns, zu den goldüberschienene Fluttümpeln, in denen schwarz und starr die Binse stehen, zu den Fledermäusen, die im Zickzack uns umgreifen, zu den fernen, stillen Segeln, die immer mehr in die schwarze Nacht hineinschwimmen, die uns immer näher rückt. Schon hat sie am Himmelsrand die letzten Sonnenrosen gepflückt, schon die dunklen Bäume verhüllend die Wiesen verschleiert; sie wirft ihre Schatten hinter uns auf die Flut, verdunkelt die Ufer und die Blumen und Büsche und rückt dicht an unser Schiff heran.
Und so treiben wir dahin. Ein schwarzes Segel führt unser schwarzes Boot auf schwarzer Flut zwischen schwarzen Wiesen. Und stumm und schweigend schauen wir hinauf nach dem einen goldenen Stern da hinten über der Marsch.