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Ein Vers singt in mir den ganzen Tag, ein Vers von einem Lied, das ich vor mehr als Jahresfrist las.
Es steht die Welt in Blüte,
in Blüte steht dein Herz.
Die Sonne scheint heiß und das Grün kommt hell und die Vögel singen laut und die Falter fliegen froh und das schöne Lied ist in meiner Seele, wie Sonnenschein und Knospenbrechen und Vogelsang und Falterflug. Und es scheint und sprießt und singt und flattert in mir den ganzen Tag: Es steht die Welt in Blüte.
Als ich ein Junge war mit blondem Zottelkopf und Armen und Beinen, die aus der stets zu kurzen Jacke und den ewig zerrissenen Hosen herauswuchsen, da kannte ich das schöne Lied nicht, und doch sang es in mir, wenn die Traubenkirsche am Waldbach ihr grünes Kleid anzog, wenn alle Vögel sangen und die gelben Schmetterlinge flogen und aus dem braunen Fallaube die Frühlingsblumen kamen weiß und gelb und grün und rot und blau, wie heute: Es steht die Welt in Blüte.
Und dann mußte ich hinaus, ganz allein, in den Buchwald am See, wo der Frühling einzog mit flatternden Fahnen und klingendem Spiel. Und wenn dann die Sonne die kalten Buchenstämme warm tönte und alles blitzen und leuchten ließ in meinem Walde, das Alte und das Neue, das Lebendige und das Tote, das junge Grün und das alte Laub, das dürre Gras und das frische Moos, die trockenen Reiser und die saftigen Blätter, dann zog Frühlingstrunkenheit in mein Jungensherz, und mit lachenden Augen sah ich in den lachenden Tag.
Ist sie noch da, die Kinderfreude? Lebt sie noch in dir, die alte Frühlingstrunkenheit? Kannst du noch lachend dem Frühling in die Blauaugen sehn? Der Winter war lang, und die Kälte war hart, und der Wind war rauh und böse. Vielleicht ist zuviel verfroren, ausgewintert ist die Hoffnungssaat, und die Knospen sind tot gemacht von Frostnebel und Rauhreif.
Aber die Sonne ist so herrlich heiß, und in jedem Garten sind bunte Blumen, und ein Schmetterling tanzt über die Straße vor mir her. Gelb sind seine Flügel, goldgelb, und jeder hat einen kleinen roter Punkt.
Grün ist die Saat und hell ist der Weg und blau ist die Luft, alle Lerchen singen auf mich hinab, vom Klosterpark lockt des Grünspechtes Jubelruf, in blauem Duft liegt der Berg, silbern blitzen die Flügel der Windmühle, goldrot sind alle Häuser, jeder Baum rührt seine Knospen, braune Hasen spielen in der grünen Saat, Haubenlerchen jagen sich: Es steht die Welt in Blüte.
Im Klosterpark ist der Frühling Alleinherrscher. Alle Knospen hat er geöffnet, jeden Bodenfleck hat er bunt gestickt, alle Vögel hat er Lieder gelehrt. Das trillert in jedem Strauch, das flötet von jedem Wipfel, das pfeift aus allen Kronen, das schmettert in jedem Baum immer dasselbe Lied in hundert verschiedenen Weisen, laut und leise, keck und schüchtern, zart und voll.
Am Teich auf dem Hügel wird mir der Tisch gedeckt. Frühlingsfarben hat mein Mittagbrot. Gelb und weiß wie Hahnenfuß und Windrosen ist das Spiegelei, wie Traubenkirschblüte die Milch, wie Lärchenspornblumen der Schinken so rot. Fink und Meise, Drossel und Star, Rotschwanz und Trauerfliegenschnäpper machen mir die Tafelmusik, und der Grünspecht hämmert den Takt. Die Hühner räumen dann ab.
Ich dämmere in den Frühlingsnachmittag hinein. Wie das alles lebt und webt, das zarte Birkengrün drüben hinter dem Teich, das weiße Entenvolk im grünen Rasen, das Schwanzmeisenpaar im Eichengeäst, die dicken, aufbrechenden Kastanienknospen, die blitzblanken Starmätze hoch oben in den Wipfeln. Ein Zittern, ein geheimes Beben liegt in allen Knospen, in jedem neuen Blättchen, in jeder hellen Blüte, und aus jedem Vogelliede bebt und zittert die Liebeslust und die Lebensfreude. Aber aus dem Silberglöckchenliede des Rotkehlchens bebt und zittert es am innigsten von glücklicher Sehnsucht und sehnsüchtigem Glück.
Des Hahnes Krähen klingt anders, als wintertags. Jubelnd wiehert es aus den Ställen, und der Kühe Gebrüll ist weich und voll. Ein lockendes Flöten schwebt in der Luft; ein dunkler, silberfleckiger Uferläufer taumelt über die Wiesen; jetzt hat er das Weibchen gefunden und jagt es neckend hin und her. Dort unten am Teichbord fallen sie ein, die zierlichen Vögel. Alles hier ist jung und frisch, neu und schön. Wie Silber blitzt die Pflugschar, wie Gold das aufgestapelte Brennholz, die jungen Nesseln strotzen von Frische, und üppiges Grün schmückt das giftige Schöllkraut am Zaun. Lustig keckert der Laubfrosch sein Liebeslied, jubelnd schmettert der Fink von Liebe, zärtlich gurrend umknickst der schwarze Täuber auf dem silbern schimmernden Dache sein weißes Holdchen, immer wieder jauchzt der Grünspecht, überall brummen stillvergnügt die Hummeln, und wohin die Augen fallen, ist ein Frühlingswunder, ein gelbgrün blühender Ahornbusch, ein Veilchen im Gras, ein goldener Stern, eine weiße, nickende Blume, ein Schmetterling, tiefschwarz und elfenbeingelb, eine bunte, schimmernde Fliege.
Und ein Duft liegt im Walde, liegt über den Wiesen, verbindet Himmel und Erde, Rasen und Wasser, Boden und Tiere, schmilzt die weißen, rotfüßigen Enten und die schwarzen Krähen und bunten Hühner in das Gras hinein, webt die Frauen, die den Weg aufharken, in das Bild, löst aller Bäume Umrisse auf und läßt aller grünenden Kronen Grenzen verschwimmen in der großen, weichen, warmen Frühlingsstimmung, die über das Ganze fließt.
Und was der Frühling alle Wesen für neue Künste lehrt! Der Grünfink taumelt wie eine Fledermaus vor seinem Weibchen her, der Star klappt mit den Flügeln und tanzt und hopst und singt seiner Liebsten alle Lieder vor, die andere kleine Dichter erfanden, und der bunte Eichelhäher, der selbst kein Lied dichten kann, nur schwatzen und plappern, auch er sucht Eindruck zu machen mit anderer Sänger Lieder. Aber der Zaunkönig, der Knirps, singt das perlende Lied, das er selbst ersann, laut und lustig durch den Park, daß der rotschimmernde Turmfalk ganz erstaunt über der Eiche rüttelt, in der der Knirps herumhüpft.
In der knospenden Kastanie lockt sehnsüchtig eine Finkenhenne. Bunt flattert es heran, piept, girrt, und dann geht die Jagd los durch das Astwerk der kahlen Eiche. Die Eiche und die Kastanie, das sind Gegensätze. Die eine voll von mächtigen glänzenden klebrigen Knospen, aus denen die jungen Blattfächer kommen, die andere ohne jede schwellende Knospe, schwarz, hart, kühl der werbenden Sonne gegenüber. Die Kastanie ist ein Südländer, die Eiche ein Niedersachse. Die fangen nicht so leicht Feuer, aber wenn sie brennen, dann geben ihre Flammen viel Glut.
Über staubige Straßen gehe ich zum Walde. Da liege ich im Moos und starre durch die Föhrenkronen in den hellblauen Himmel. Über mir kreist ein Turmfalkenpaar, ein Kolkrabenpaar schwebt mit großem Schwunge dahin, der Täuber gurrt, wirft sich in die Luft und stiebt flügelklatschend zu seiner Frau herab, ein Schwarzspecht jagt lustig lachend seine Braut, zwei Zitronenfalter, ein tiefgelber und ein hellgelber, flattern an mir vorbei. Ich starre in den blauen, von schwarzen Föhrenkronen eingerahmten Fleck Himmel. Einsam steht darin die Mondsichel, silbern und kalt. Die teilt das Blühen der Welt nicht, die einsame.
Die Ulenflucht kommt. Das Schummern fällt in den Wald. Rot werden die Föhrenstämme, goldrot, goldrot auch die schwarzen Kronen. Ein Waldkauzpaar schwebt vorüber, ein Nachtschwalbenpaar auch, rufend und pfeifend. Irgendwo flötet die Nachtigall.
Es steht die Welt in Blüte.