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Die Epopöe von Wischnewskij und seiner Sippe

Erstes Kapitel

Im Perejaslawer Kreise des Poltawaschen Gouvernements lebte der Gutsbesitzer Iwan Gawrilowitsch Wischnewskij. Durch die Freigebigkeit der Kaiserin Jelisaweta Petrowna hatte er ein großes Gut an beiden Ufern des Flusses Ssupoi erhalten. (Die Flüsse Udai und Ssupoi werden in einem Lehrbuch der Geographie als wegen ihrer vielen Mängel zur Schiffahrt ungeeignet bezeichnet.) Das Gut bestand aus zwei großen Dörfern, von denen das eine Farbowanaja hieß, das andere Ssosnowka.

Der alte Pan Iwan Wischnewskij lebte und starb auf diesem Gut. Nach seinem Tod gingen Farbowanaja und Ssosnowka auf seinen Sohn, Stepan Iwanowitsch Wischnewskij, über, der eine heroische Berühmtheit erlangte. Es ist freilich möglich, daß die Phantasie sie durch Legenden ergänzt und ausgeschmückt hat.

Stepan Iwanowitsch war athletisch gebaut, ein Recke, dabei gastfreundlich, starrköpfig und ein schrecklicher Wüstling, aber er besaß Bildung. Er war einer der jungen Leute gewesen, die die Kaiserin Jekaterina nach England geschickt hatte, zur Ausbildung des Verstands und des Herzens. Nach seiner Rückkehr aus England trat er ins Garderegiment zu Pferd ein, aber als er den Rang eines Leutnants erhalten hatte, nahm er seinen Abschied, heiratete eine Adelige aus dem Twerschen Gouvernement, Stepanida Wassiljewna aus dem Geschlechte der Schubinskijs, und ließ sich in seinem eigenen Hause zu Moskau nieder. Zu tun hatte Wischnewskij hier nichts, und er begann wunderlich zu werden.

Vor allem gedachte er, den Moskowitern durch seine kosakische Nationalität zu imponieren. Er wollte mit niemand verkehren, kleidete sich kleinrussisch, trank viel Gebrannten und aß angeblich nur Bärenfleisch.

Der Kaiserin wurde berichtet, daß Wischnewskij die gesellschaftlichen Sitten außer acht lasse, und dem Starrkopf wurde eine Rüge zuteil. Er beschloß, sich zu bessern, und ließ sich zu diesem Zweck aus Kleinrußland einen Kosakenwagen mit einem Ochsengespann nach Moskau bringen und dazu einen Burschen, der mit den Ochsen umzugehen verstand. Am Tage der üblichen und für alle angesehenen Personen der Residenz obligatorischen Visiten schickte sich Stepan Iwanowitsch an, bei allen Respektspersonen Visite zu machen. Aber er fuhr nicht etwa leichthin in einer Equipage aus, sondern mit einem ganzen Zuge. Voraus galoppierte ein Jockei auf einer stutzschwänzigen englischen Stute, ihm folgte eine prächtige mit sechsen bespannte Kutsche, in der der Kammerdiener saß, und hinter ihr kam der Wagen oder die kleinrussische Fuhre, auf der Pan Wischnewskij thronte. Der Wagen war bespannt mit einem Paar schwarzgrauer krummhörniger Ochsen. Der Pan saß, wie die kleinrussischen Bauern zu sitzen pflegen – das heißt in der Mitte des Wagens auf einem Haufen Roggenstroh und rauchte phlegmatisch eine Weichselpfeife kleinrussischer Fasson. Der Kleinrusse, der die Ochsen lenkte, trug Pluderhosen so weit wie Wolken, ein geteertes Hemd, schwere Stiefel und eine hohe, zottige Mütze. Er ging mit einer Peitsche neben den Ochsen her, hielt sie mit einem Riemen am Nasenring, damit sie in der lärmenden Stadt nicht scheuen, und schrie ihnen bald »Zo-be« und bald »Zob« zu.

Der Jockei hatte die Liste der Personen, die dieser verwilderte Europäer besuchen sollte. Er sprengte voran, ritt in den Hof der hochmögenden Persönlichkeit und meldete laut: »Mein Pan kommt!« Wenn dann der Zug in Sicht kam, wendete sich ihm der Jockei mit dem Gesicht zu und rief wieder: »Da ist der Pan Wischnewskij selbst gekommen!«

Dann hielt die Kutsche vor der Freitreppe, ihr entstieg der Kammerdiener Stepan Iwanowitschs und trat ins Haus, um zu fragen, ob es den Herrschaften genehm sei, seinen Herrn zu empfangen.

Empfing man Wischnewskij, so fuhr die Kutsche weiter, und an der Freitreppe hielt die Fuhre mit dem Ochsengespann; Stepan Iwanowitsch stieg aus, begab sich in die Gemächer und beschenkte freigiebig die ihm unter die Augen kommende Dienerschaft. In den Appartements benahm er sich als vornehmer Herr und Europäer, prunkte mit prächtigen Manieren, vorzüglichen Sprachkenntnissen und der schlagfertigen Bissigkeit seines kleinrussischen Verstandes.

»Denn er war ein zu Scherzen aufgelegter Herr, sprach Französisch und Italienisch und vermochte in diesen Sprachen Gott zu preisen. Nur war er zu faul dazu.«

Zweites Kapitel

Wischnewskij aß, wie oben erwähnt, angeblich nur Bärenfleisch und hielt deshalb auf einem der Twerschen Güter seiner Frau einen Bärenzwinger. Man mästete dort die Bären und brachte sie nach Moskau zum Tisch Stepan Iwanowitschs. Gegen die Polizei hegte Wischnewskij einen eingeborenen und unbesiegbaren Haß, und kein Polizist durfte es wagen, seinen Hof zu betreten, ohne zu riskieren, allen möglichen Beleidigungen ausgesetzt zu sein, wenn ihn Stepan Iwanowitsch erblickte. Wischnewskijs Haus zu Moskau war für die Polizei unzugänglich, und aus diesem oder einem anderen Grunde stand es bald in einem sehr geheimnisvollen, aber wenig schmeichelhaften Rufe. Obendrein wurde auch noch durch die sittenlosen Instinkte Wischnewskijs in Bezug auf die Frauen, oder um es genauer zu bezeichnen, auf die Kinder weiblichen Geschlechts gefördert. Die Polizei haßte ihrerseits Stepan Iwanowitsch und suchte einen Anlaß, um ihm seine Flegelhaftigkeit heimzuzahlen, fand aber lange keinen geeigneten Grund dafür. Schließlich stellte sich einer ein. Ein Hofhund hatte einen noch nicht ganz des Fleisches beraubten Knochen auf die Straße geschleppt und dort fallen lassen, und in diesem Knochen erkannte man das Gelenk eines kleinen menschlichen Fußes. Einige Tage später wiederholte sich dasselbe. Man beobachtete den Hund und sah, daß er diese Knochen aus der Abfallgrube holte. Die Dienerschaft der Nachbarhäuser begann davon zu reden, daß Wischnewskij mit seinen leibeigenen Mädchen Schändliches treibe und sie dann töte. Bald zählte man auch schon die spurlos verschwundenen Mädchen auf und nannte sogar ihre Namen.

Die Polizei erblickte hierin nicht nur einen hinreichenden Grund einzuschreiten, sondern hielt es geradezu für ihre Pflicht – was es in der Tat auch war. Zu diesem Zweck erschienen der Polizeikommissar und der Revieraufseher auf dem Hof Stepan Iwanowitschs und schritten zur Besichtigung der Grube, aus der der Hund die verdächtigen Knochen geholt hatte. Die treuen Diener Stepan Iwanowitschs ließen die Polizei nicht zur Besichtigung zu, ehe sie ihren Pan davon in Kenntnis gesetzt hatten. Stepan Iwanowitsch zog seinen Rock an, ging selbst zu den Polizisten hinaus und befahl ihnen, die Grube zu öffnen. Zur Freude der Polizisten fand sich dort eine ganze Menge dergleichen Knochen, die den Anlaß zu dem Verdacht gegeben hatten. Aber zugleich stellte sich freilich heraus, daß sie keineswegs Überreste menschlicher Füße waren, sondern die Tatzen der jungen, für den Tisch Wischnewskijs getöteten Bären.

Die Polizisten gerieten in Verlegenheit und begannen sich bei Wischnewskij zu entschuldigen und erklärten, sie seien durch Verdächtigungen und verleumderische Gerüchte zu diesem Mißgriff verleitet worden.

Wischnewskij verzieh ihnen und ... prügelte sie mit der Knute.

Dieser krasse Vorfall hatte zur Folge, daß ihm befohlen wurde, Moskau zu verlassen und auf seinen kleinrussischen Dörfern zu leben, die sein Vater durch die Freigebigkeit der Kaiserin Jelisaweta Petrowna erhalten hatte.

Wischnewskij mußte sich dem Befehl unterwerfen und fuhr nach Farbowanaja im Perejaslawschen Kreis, um dort sein Treiben in noch größerer Freiheit fortzusetzen.

Der Vorfall mit den Bärentatzen wird nach Moskauer Darstellungen verschiedenen Personen zugeschrieben; Stepan Iwanowitsch Wischnewskij wird er nur in einigen kleinrussischen Überlieferungen zugeeignet, die vor allem in den vom Udai und Ssupoi befruchteten Tälern verbreitet sind. Bezüglich der Visiten mit dem Ochsengespann suchte ich in Moskauer Überlieferungen vergeblich nach einer Erinnerung an diese originelle Ausfahrt. Diese Erzählung muß man daher als zweifelhaft ansehen. Aber unter den Bewohnern der Täler von Udai und Ssupoi bestehen viele Liebhaber solcher Überlieferungen nachdrücklich auf die Wahrheit dieser Geschichte und weisen alle Einwände, daß sie in Moskau nicht bestätigt werde, mit Selbstvertrauen und voll Verachtung zurück, indem sie ihre dicken Kosakenlippen aufwerfen und sagen: »Ja, dort – wenn ihr die Wahrheit in Moskau suchen wollt!«

Drittes Kapitel

Als Stepan Iwanowitsch Wischnewskij auf seine kleinrussischen Dörfer übersiedelte, baute er sich in den beiden Orten, an den beiden Ufern des ruhmwürdigen Ssupoi, in Farbowanaja und in Ssosnowka je ein Haus. In beiden in großherrschaftlichem Stil errichteten Häusern hielt er zahlreiche Dienerschaft, Jagdgefolge, Gestüte und Harems. Mit den letzteren begnügte sich Stepan Iwanowitsch übrigens nicht, sondern machte überdies bei allen Frauen seiner Herrschaft ausgedehnten Gebrauch von den Rechten eines Padischah. Er lebte abwechselnd bald auf dem einen, bald auf dem anderen Gut und hielt überall die von ihm eingeführten willkürlichen Sitten aufrecht. Er hielt es für sein vollstes Recht, jeden, wie er sich ausdrückte, zu seinem Christenglauben zu bekehren, und erreichte frei und schrankenlos alles, was er zu erreichen wünschte.

Unter allen Launen seines Eigensinns nahm Wischnewskijs unbezähmbarer Haß gegen die Polizei die erste Stelle ein. Kaum war er angekommen, als er die Anordnung traf, daß weder der Kreischef noch der Polizeikommissar, noch überhaupt irgendein Beamter es wagen dürften, mit Schellen durch seine Herrschaft zu fahren. Den Bauern war befohlen, jeden, der mit Geläute durchs Dorf fuhr, anzuhalten und sich zu erkundigen, wer er sei. Wenn der Durchreisende ein Adeliger oder überhaupt eine Privatperson war, so mußten sie ihn weiterfahren lassen und ihm sagen, daß das Land, durch das er fahre, dem Pan Wischnewskij gehöre, und daß dieser Pan ehrliche Gäste liebe und schätze. Sie luden die Durchreisenden ein, zum Herrn zu kommen, um sich dort von den Reisemühen zu erholen und die Gastfreundschaft des Pan zu genießen. Wenn der Durchreisende Eile hatte und nicht zu Gast fahren wollte, sondern sich höflich bedankte, hielt man ihn nicht mit Gewalt zurück, sondern gestattete ihm ebenso höflich, weiterzufahren und ungehindert seine Schellen läuten zu lassen. Hatte dagegen der Reisende Zeit und erklärte er sich damit einverstanden, zum Pan zu fahren, so begleitete man ihn nach Farbowanaja oder nach Ssosnowka, je nachdem, in welchem der beiden Dörfer der Pan Wischnewskij zur Zeit lebte.

Stepan Iwanowitsch empfing alle diese Gäste freundlich, fragte nicht nach Rang und Amt und bewirtete sie nach damaligem Brauch üppig und reichlich – manchmal allzu reichlich, so daß manchem seine Gastfreundschaft schlecht bekam. Doch es gab weder beim Essen noch beim Trinken irgendeinen Zwang, es wurde nur alles im Übermaß aufgetragen, und wenn sich einer dadurch zur Unmäßigkeit verleiten ließ, so hatte es sich der unvorsichtige Gast selbst zuzuschreiben, wenn er für seine Völlerei büßen mußte.

Vielen Gästen, die Not zu leiden schienen, gab Stepan Iwanowitsch beträchtliche Unterstützungen, Offizieren aber pflegte er stets etwas Wertvolles zum Andenken zu schenken. Gegen Beamte jedoch, besonders aber gegen die Polizei, zeigte sich Stepan Iwanowitsch als roher Tyrann, und die Forderungen, die er an diese unglücklichen Menschen stellte, waren derartig hart und erniedrigend, daß es schwer verständlich ist, wie sie sich ihnen unterwerfen konnten und keine Mittel fanden, sich vor dem Sonderling von Farbowanaja zu schützen.

Wenn der Kreischef oder der Revieraufseher an die Grenze der Wischnewskijschen Herrschaft kamen, mußten sie den Wagen halten lassen und die Schellen festbinden, damit sie nicht läuteten. Andernfalls mußten die Bauern sie anhalten, ihnen das Geläute wegnehmen und sie unverzüglich zum Pan selbst in das Herrenhaus führen. Widersprach der Polizeibeamte, so drohte ihm eine doppelte Gefahr; nämlich von den Bauern geprügelt zu werden, die das auf den Kopf des Herrn tun durften, das heißt auf Verantwortung des Gutsbesitzers selbst; und vor den Pan geführt zu werden, bei dem jeden Polizeibeamten ein ungeheuer erniedrigendes, aber mit unabänderlicher Strenge eingehaltenes Zeremoniell erwartete.

Ob der Polizeibeamte gefügig oder widerspenstig war, ehrlich oder anspruchsvoll, bei Pan Wischnewskij standen sie alle auf ein und demselben Blatt. An ihre Ehrenhaftigkeit glaubte er übrigens nicht im mindesten, und es scheint, daß er sich darin nicht allzusehr irrte. Er hatte den Grundsatz aufgestellt, daß kein Beamter die Schwelle seines Hauses überschreiten durfte, gleichgültig in welcher Angelegenheit oder unter welchem Vorwand. Hatten der Kreischef oder der Polizeikommissar dienstlich mit ihm zu tun, oder mußten sie mit einem Anliegen oder einer Bitte bei ihm erscheinen, so wußten sie genau, daß sie durch seine Besitzungen ohne Geläute und möglichst leise fahren und vor dem Tor haltmachen mußten; auf keinen Fall durften sie es wagen, in den Hof einzufahren. Auf dem Gut und auf dem Hof mußten sie zu Fuß gehen, am Tor die Mütze abnehmen und an den Fenstern des Hauses stets mit entblößtem Haupt vorübergehen.

Andernfalls, beim geringsten Verstoß gegen diese Regel, packte die darauf dressierte Hausdienerschaft den Betreffenden bei den Armen, stieß ihn vor das Tor und versetzte ihm mehrere kräftige Nackenstöße. Da dieses Verfahren genau und streng eingehalten wurde, wagte niemand, auch nur an Ungehorsam oder Widerstand zu denken. Damit war aber die Erniedrigung noch nicht zu Ende. Der Beamte durfte nur bis zur Freitreppe, unter der in einem Verlies die großen Madelanschen Hunde hausten. Dort mußte er stehenbleiben und warten, bis Stepan Iwanowitsch seinen Kammerkosaken oder seinen Lakai zu ihm herausschickte. Den Lakai mußte der Beamte als seinesgleichen begrüßen, das heißt ihm die Hand geben, und erst dann durfte er ihm den Zweck seines Besuches beim Pan auseinandersetzen.

Fand Wischnewskij, daß die Angelegenheit, in der der Beamte gekommen war, keine Beachtung verdiene, so befahl er, ihn davonzujagen. War es dagegen eine adelige Angelegenheit oder eine Mitteilung aus den höheren Sphären, so zog Stepan Iwanowitsch seine Pekesche an, setzte die Mütze auf, kam selbst auf die Freitreppe hinaus und hörte den Beamten an. Während der ganzen Zeit stand er seitwärts zu ihm und schaute ihn kein einzigesmal an.

Hierauf ging Wischnewskij schweigend ins Haus, und der Lakai brachte dem Beamten auf einem Teller ein Glas Schnaps und einen Fünfzigerschein. Der Beamte mußte zuerst den Schnaps austrinken, dann durfte er die fünfzig Rubel für den Imbiß nehmen. Für Beamte gab es im Hause Wischnewskijs keine Gastfreundschaft. Hatte der Beamte wider Erwarten eine hohe Meinung von sich und weigerte sich, das ihm auf die Treppe hinausgebrachte Glas Schnaps zu trinken, so erhielt er auch das Geld für den Imbiß nicht. Der Lakai mußte ihn in diesem Fall hinunterstoßen, ihm den Schnaps in den Rücken gießen, die fünfzig Rubel selbst einstecken und an einer Leine ziehen, die zu dem eisernen Fallgatter führte, hinter dem die Madelanschen Hunde unter der Treppe saßen.

Da die Beamten dies alles wußten, wagten sie niemals, auch nur den kleinsten Widerstand gegen die Einrichtungen Stepan Iwanowitschs zu zeigen; sie waren sogar erfreut, wenn sie eine Angelegenheit zur Freitreppe des Pans von Farbowanaja führte.

Wenn sich das alles wirklich so verhielt, wie es die Überlieferungen erzählen, so besaßen die fünfzig Rubel für den Imbiß wahrscheinlich einen hohen Wert.

Viertes Kapitel

In Bezug auf Moral und Keuschheit war Stepan Iwanowitsch ein sehr unzeremonieller und überdies naiver Mensch. Übrigens waren seine Erlebnisse dieser Art einander meist sehr ähnlich, doch schildert die heroische Epopöe die außerordentlich originelle Rolle, die seine Frau, Stepanida Wassiljewna, geborene Schubinskaja, dabei spielte. Anscheinend kann man auch sie mit vollem Recht als psychopathisch bezeichnen, wenn auch in einem anderen Sinn.

Sie war, wie bereits erwähnt, eine Twersche Adelige, eine gebildete Frau aus sehr guter Familie. Sie liebte ihren Gemahl und lebte mit ihm stets im besten Einvernehmen. Aus ihrer Ehe mit Stepan Iwanowitsch hatte sie zwei Töchter. Die Geburt der zweiten Tochter verlief so unglücklich, daß Stepanida Wassiljewna für ihr ganzes Leben einen Schaden davontrug. Stepan Iwanowitsch begann sich von ihr fernzuhalten: Wenn sie in Farbowanaja lebte, fuhr er nach Ssosnowka, war sie in Ssosnowka, so fuhr er nach Farbowanaja. Als Stepanida Wassiljewna dies sah und weil sie, wie sie sagte, ihren Mann liebte, begann sie Sorge dafür zu tragen, daß er sich von ihr nicht fernhalte und daß ihm das Leben bei ihr nicht langweilig werde. Zu diesem Zweck hielt sie an Abenden Spinnstunden ab, zu denen die Mädchen nur ungern und unter Tränen kamen, aber Stepanida Wassiljewna behandelte sie freundlich, bewirtete sie so lange, bis sie zutraulich wurden und nicht mehr weinten. Dann schrieb sie ihrem Gemahl und lud ihn ein zu kommen, um sich an den Mädchen zu erfreuen. Und er antwortete ihr: »Ich danke dir sehr und weiß deine Sorge für mich zu schätzen, im übrigen habe ich bei der Auswahl zu deinem Geschmack mehr Vertrauen als zu meinem eigenen.«

Eine solche Antwort ihres Mannes freute Stepanida Wassiljewna nicht nur, sondern rührte sie. Ihre Gefühle für Stepan Iwanowitsch brannten mit doppelter Glut, und sie schrieb ihm unverzüglich in aller Eile zurück: »Für dein Vertrauen, mein teuerster Freund, danke ich dir vielmals, und ich hoffe, daß die Wahl meines Geschmacks, auf den du so vertraust, deinem Herzen gefallen wird. Nur bitte ich dich, Engel meiner Seele, komm so bald wie möglich zu mir, denn mein Herz sehnt sich nach dir, und du wirst sehen, daß ich über nichts gekränkt bin, sondern deinen Geschmack verstehe. Unsere Kinder sind beide gesund, grüßen dich und küssen deine Hände.« Unterschrift: »Deine treue Frau und Dienerin Stepanida.«

Wenn Stepan Iwanowitsch eine solche Nachricht erhielt, gab er sein Einzelleben auf und fuhr zu seiner Gemahlin, die damit ihren Zweck erreicht hatte, daß er in ein und demselben Hause mit ihr lebe, ohne sich zu langweilen.

Sie verhätschelte nicht nur die Favoritinnen, die sie für ihren Mann auswählte, sondern pflegte und versorgte auch seine Kinder, die sich bei der patriarchalischen Ordnung dieses Herrenlebens in Farbowanaja rasch vermehrten.

Wischnewskij war bei weitem nicht so gutherzig und aufrichtig wie seine Frau: Wenn sich sein verderbtes Herz bei der Person, die die Obliegenheit hatte, ihm das Leben kurzweilig zu machen, zu langweilen begann, so schickte sich Wischnewskij an, wieder allein im anderen Dorf zu leben.

Stepanida Wassiljewna verstand dies sogleich und hinderte ihren Mann nicht daran, da für sie der Friede und das eheliche Einvernehmen, nach dem Vermächtnis der Vorfahren, am höchsten in der Welt standen; einige Zeit später traf sie wieder Vorbereitungen und schrieb ihm einen vorsichtigen und zärtlichen Brief, in dem sie sagte: »Deine List und deine Unaufrichtigkeit mir gegenüber in wichtigen Angelegenheiten kränken und quälen mich sehr, mein Freund, da ich sie durch nichts verdient habe. Gott sieht meine Wahrhaftigkeit, und daß ich dich über alles in der Welt liebe. Durch die Trennung von dir welkt mein Herz dahin wie Gras, und meine heißen Tränen versiegen nicht. Die Person, die dich durch ihre Reizlosigkeit ermüdet und gelangweilt hat, habe ich durch meine Bemühungen ohne viel Aufhebens versorgt; alle sind jetzt mit ihrer Lage vollkommen zufrieden und bedanken sich. Wenn du bald zu mir kommst, kannst du dich an einer sehr liebenswürdigen Person ergötzen. Unsere Kinder sind durch Gottes Gnade wohlbehalten und gesund und beten für ihren Vater.« Und wieder dieselbe Unterschrift: »Deine Frau und Dienerin.«

Wischnewskijs Antwort waren Grüße an seine Frau und die Versicherung seines vollen Vertrauens zu ihrem Geschmack, und bald darauf kehrte Stepan Iwanowitsch in den Schoß seiner Familie zurück. Man erwartete ihn natürlich und begrüßte ihn mit Zymbeln und Gesang, Zurufen und Schmeicheleien und allem, was notwendig war, um ihn so zufrieden zu stellen, wie er es sich selbst wünschte und seine zärtliche, überzärtliche Frau es einrichten konnte, die das Unglück gehabt hatte, aus einer lebhaften und reizenden Frau auf Lebenszeit ein unbrauchbarer Mensch zu werden.

Fünftes Kapitel

Nach dem beschriebenen Zwischenfall besserte sich Stepan Iwanowitsch in bezug auf seine Verschlossenheit und sein Mißtrauen und nahm nie mehr Zuflucht zum Separatleben.

Stepanida Wassiljewna sorgte für ihn, wie sich die Bauern ausdrückten, wie eine Mutter für ihr Kind.

Die unwahrscheinliche, primitive Einfachheit dieser Beziehungen, die an die biblische Erzählung von Sarah und Hagar erinnert, wird noch unwahrscheinlicher, wenn man den Einzelheiten Glauben schenken will, die die Bauern über das Leben dieser Ehegatten erzählen.

Stepan Iwanowitsch war ein reiner Türke. Seine mannigfaltigen Verbindungen umfaßten alle Arten von Liebe, von einer flüchtigen Verirrung bis zur Anhänglichkeit eines Sultans an seine Odaliske oder an seine erste Sultanin. Die vorübergehenden Beziehungen kommen natürlich nicht in Betracht, die Stellung der ersten Sultanin nahm selbstverständlich seine gesetzliche Frau ein, die er vielleicht auf seine Weise liebte und auf jeden Fall, wie er versicherte, hochschätzte.

»Wenn jemand etwas wider mich unternimmt«, pflegte er zu sagen, »so kann ich es vielleicht noch verzeihen, aber wenn es jemandem einfällt, Stepanida Wassiljewna zu beleidigen, so werde ich ihn zu erreichen wissen, wer es auch sei, und selbst Zar Iwan der Grausame hat keine derartigen Marter ersonnen wie die, mit denen ich den Beleidiger meiner Frau strafen werde.«

Alle wußten das und wußten zudem, daß Stepan Iwanowitsch nicht scherzte, sondern alles, was er sagte, auch machte, und so kam es niemandem in den Sinn, Stepanida Wassiljewna gegenüber auch nur das geringste Anzeichen von Unehrerbietigkeit oder Ungehorsam zu äußern. Nicht alle dagegen verstanden diese eifrige Sorge Wischnewskijs für seine Frau, und während die einen sie seiner übergroßen Zärtlichkeit zuschrieben, sahen andere darin Verschlagenheit, wie sie ja dem kleinrussischen Charakter Wischnewskijs in der Tat in beträchtlichem Maße eigen war. Sie nahmen an, er wolle allen vor seiner Frau Furcht einjagen, damit er sich weiterhin, dank ihrer Bemühungen, an seinen leibeigenen Odalisken ergötzen könne, da er jeden Ungehorsam ihr gegenüber so bestrafen würde, daß Zar Iwan der Grausame in seinem Grab erzitterte.

Übrigens mag es sein, wie es will, Bestimmtes ist darüber nicht zu sagen; dagegen wird mit Bestimmtheit erzählt, daß Stepan Iwanowitsch, der in seinen sonstigen flüchtigen Romanen verderbt und rücksichtslos bis zur Grausamkeit war, es liebte, in seine Beziehungen zu den Odalisken, die ihm seine erste Sultanin nach ihrem Geschmack auswählte, eine eigenartige Poesie zu tragen. Das entsprach ganz seiner Natur, in der sich in solchen Fällen etwas Zartes und Gefühlvolles äußerte. Ähnlich wie Don Juan darf er sich rühmen, daß er diese jungen Wesen nie durch Rauheit kränkte, sie auch nie mit kalter Leidenschaftslosigkeit verführte. Nein, er kam immer mit zarter Aufmerksamkeit in das Haus seiner Frau, die für ihn liebevoll eine neue Freude bereithielt, und die beiden Gatten pflegten die Erwählte, wie man ums Morgenrot einen Falken steigen läßt. Sie liebkosten, schmückten und hätschelten sie, das Mädchen wohnte in den Gemächern Stepanida Wassiljewnas, war bunt gekleidet, mit Süßigkeiten übersättigt und versank in Genüssen, so daß sie selbst nicht merkte, wie sie von einer Rolle in die andere überging und lange Zeit nicht wußte, was mit ihr geschah und womit das enden würde. Alle diese Odalisken hatten das Kindesalter noch kaum überschritten, in dem der Kopf noch arm an Erfahrungen ist, die Vorstellungen über die Zukunft noch unentwickelt sind und nur das lusterfüllte Leben des Augenblicks lockt. So gaben sich viele aufrichtig mit Herz und Seele ihrem Gebieter hin oder empfanden ihre Rolle wenigstens nicht als Last; Stepanida Wassiljewna aber liebten sie wie eine Mutter. Und in der Tat, sie verhätschelte sie wie eine Mutter und ermunterte sie wie eine ältere Haremsgenossin, die sich über das Glück freut, das die jungen Odalisken ihrem geliebten Padischah bereiten. Frau, Mann und die diensthabende Favoritin trennten sich im Hause fast nie und verbrachten die meiste Zeit zu dritt. Einige seiner Odalisken aber liebte Stepan Iwanowitsch so sehr, daß er sich keinen Augenblick von ihnen trennen konnte. Wischnewskij war dann zu seiner Geliebten nicht nur gefühlvoll, sondern liebevoll wie ein feuriger Jüngling, und wenn er das Haus unbedingt verlassen mußte, so nahm er sie in der Verkleidung eines Pagen oder Jägers, dem die Obhut seiner kostbaren Bernsteinpfeifen und seiner Tabaksbeutel anvertraut war, mit. Da Stepan Iwanowitsch stets, selbst nachts, rauchte, war ihm ein solcher Pfeifenjunge unentbehrlich, und er hatte immer einen bei sich.

Man schloß daraus, daß Stepan Iwanowitsch hier bis zu einem gewissen Grad von Eifersucht geleitet wurde, doch entbehrt diese Annahme jeder Grundlage, da er ja nichts riskierte, wenn er das Mädchen unter der Obhut Stepanida Wassiljewnas zurückließ. Man muß vielmehr annehmen, er habe, wie es diejenigen behaupten, die diesen kleinrussischen Psychopathen genauer kannten, seine Favoritinnen so leidenschaftlich geliebt, daß er sich von ihnen so lange nicht trennen konnte, bis seine Leidenschaft ihren gewöhnlichen Lauf genommen hatte und abgeflaut war.

Die Anhänglichkeit Stepan Iwanowitschs an die betreffende Odaliske war um so stärker, je größere Zärtlichkeit und Sorge sie in seiner Frau weckte. War Wischnewskijs Leidenschaft verflogen und fuhr er hinter den Ssupoi, so nahm Stepanida Wassiljewna die Sorge auf sich, die alte Ergötzung unterzubringen und eine neue vorzubereiten, die den Pan von Farbowanaja wieder vom anderen Ufer zurücklocken sollte.

Tragisch waren diese Trennungen nie. Dank der Taktik, der Güte und der Freigebigkeit Stepanida Wassiljewnas wurden alle diese Angelegenheiten friedlich und im Guten und zur allgemeinen Zufriedenheit sämtlicher Verwandten des Mädchens beigelegt. Eine einzige Ausnahme bildete der Fall eines fünfzehnjährigen Bauernmädchens, das das Herz Wischnewskijs besonders stark gefesselt und ihm einen Sohn und eine schmerzliche Spur in seinen Erinnerungen hinterlassen hatte.

Sechstes Kapitel

Die lokalen Überlieferungen berichten sogar den Namen des wie ein Märchen schönen, schwarzäugigen Mädchens, das zu dem Pan in ziemlich späten Jahren seines Lebens in Beziehungen trat. Es hieß Gapka Petrunenko. Sie war so schön, daß es den Augen wohltat, sie zu schauen, und hatte, wie die Geschichte erzählt, ein sanftes Herz und eine empfängliche Seele. Wischnewskij konnte ihre schlanke Taille mit seinen Fingern umspannen, und er liebte sie wie keine andere, die vor oder nach ihr seine Gunst genoß. Er kleidete sie in rosa Atlas und in Jacken aus kostbaren türkischen Schals, er trug sie auf den Händen und küßte ihre Füße.

Stepanida Wassiljewna, die diese heiße Liebe ihres Mannes zu dem Mädchen sah, widmete sich ihr in einem solchen Maße, daß sie sich selbst und ihre beiden Töchter zu vergessen schien, von denen die jüngere schon zwölf Jahre zählte. Am Morgen flocht Stepanida Wassiljewna selbst Gapkas schwarze Flechten, abends löste sie sie ihr und ließ ihre dichten Locken von aromatischem Rauch durchziehen. Sie gestattete keiner niedrigen Hand, ihren Körper zu berühren, und benetzte selbst mit rosenduftendem Wasser ihre Füße, auf die Stepan Iwanowitsch in leidenschaftlicher Selbstvergessenheit seine Lippen drückte. Mit einem Wort, dieses prächtige Mädchen war die Favoritin der Favoritinnen, und ihr Aufenthalt im Hause Wischnewskijs unterschied sich weit von dem aller anderen. Selbst wenn Stepan Iwanowitsch mit den Hunden auf die Jagd ritt, nahm er Gapka mit und begnügte sich nicht damit, daß sie als Tscherkessin gekleidet im ruhigen Jagdwagen mitfuhr, sondern nahm sie aus dem Wagen und setzte sie vor sich in den Sattel. Wenn das Mädchen von dieser unbequemen und anstrengenden Reise müde wurde und der Schlaf ihr Köpfchen neigte, überließ sie Wischnewskij keiner fremden Hand, sondern brach die Jagd ab und brachte Gapka vorsichtig mit eigenen Händen nach Hause. Und Gott mochte dem von seinem Gefolge gnädig sein, der durch ein Geräusch den kindlichen Schlaf der Geliebten des Pan störte! Dem Schuldigen waren die feuchte Grube und Peitschenhiebe sicher.

Ebenso sorgsam übergab Wischnewskij an der Freitreppe das Kind den Händen der Wartenden und begleitete sie dann selbst, wenn man Gapka in aller Stille in die Gemächer Stepanida Wassiljewnas trug.

Dort entkleidete man sie und legte sie auf die Atlaskissen des breiten türkischen Diwans, auf dessen Rand sich die Gatten setzten und ihren Tee tranken. Während der ganzen Zeit sprachen sie kein Wort, sondern ergötzten sich damit, das schlafende Mädchen anzuschauen. Wurde es Zeit, zur Ruhe zu gehen, so stand Stepanida Wassiljewna auf und ging mit leichtem Schritt über den Teppich in das anstoßende Zimmer, wo ihr Schlafgemach war. In dankbarem Schweigen küßte Stepan Iwanowitsch seiner Frau oftmals die Hand und flüsterte ihr zu: »Du bist mein Schutzengel – ich bete dich an!«

Stepanida Wassiljewna fühlte und teilte das Glück ihres Mannes mit einer unglaublichen, vielleicht nur ihr eigenen Hingabe.

Sie ging in ihr Schlafzimmer, betete dort lange vor dem Heiligenbild und ging dann wieder mit unhörbaren Schritten in das anstoßende Gemach, wo die schlafende rosige Gapka mit ihren jungen kräftigen Händen die Kissen umfing, während die athletische Gestalt Wischnewskijs zu Füßen des schlummernden Mädchens auf dem Teppich lag, den Kopf gegen den Diwan gelehnt.

Stepanida Wassiljewna schlug über die beiden das Kreuz, kehrte in ihr Witwenbett zurück, und ihr Schlaf war ruhig, friedlich und erquickend. In diesem ganzen seltsamen, scheinbar widersinnigen Gemenge von Gefühlen und Beziehungen erblickte sie nichts für sich Erniedrigendes, nicht einmal etwas Unpassendes; im Gegenteil, es schien ihr, als ob es gar nicht besser gehen könnte.

Die grenzenlose Liebe dieser Frau zu ihrem Mann und das große Unglück, das ihr Gesundheitszustand für sie bedeutete, hatten ihre moralischen Begriffe, die niemandem klar und verständlich schienen, derart verändert. Da ich diese Erzählungen nur als Sammlung einzelner Berichte aus dem Mund Verschiedener wiedergebe, werde ich mich nicht weiter bemühen, die Persönlichkeit Stepanida Wassiljewnas zu erklären. Ich glaube aber, daß man sie heute mit dem Begriff psychopathisch bezeichnen würde. Ich gebe nur die interessante Erzählung wieder, wie ich sie selbst gehört habe, ohne an den Charakteren und Sitten der Helden dieser legendären Berichte eigene Kritik üben.

Ich glaube, daß es sich hier in erster Linie nicht um Kritik handelt, zumal alle handelnden Personen schon ins Reich der Schatten gewandert sind, sondern darum, der Nachkommenschaft die Erinnerung an die erstaunliche Unmittelbarkeit ihrer Charaktere und an ihr originelles, launenhaftes Leben zu bewahren.

Wohlbekannt sind uns die stürmischen Naturen unserer großrussischen Adligen, deren Leben nach dem Ausspruch eines Dichters unter Festen, sinnlosem Prahlen, kleinlichen Lastern und kleinlicher Tyrannei verlief, und bei denen der Chor der unterdrückten, zitternden Menschen das Leben der Hunde und Pferd beneidete. Wir wissen, wie unsere alten Weinschläuche unter dem Gären des jungen in sie gegossenen Weines zitterten. Die gesunde realistische Richtung unserer großrussischen Literatur, die uns vielleicht den Vorwurf des übertriebenen Realismus eintragen wird, zeigt uns das wahre Gesicht unseres großrussischen Lebens. Die kleinrussischen Schriftsteller aber folgen dieser Richtung nicht. Das Leben des kleinrussischen Herrentums ist uns entweder durch die Romantik oder durch die primitive Volkstümlichkeit der kleinrussischen Schriftsteller verschleiert. Wird es einmal geschildert, so meist in schwülstigen Formen, die an die endlose polnische Historie vom Pan Kochanko erinnern. Aber das kleinrussische Herrenleben hat seine Originalität, die des Studiums wert ist und zugleich ein ziemlich helles Licht auf die Eigenheiten der kleinrussischen Charaktere wirft, die, nach der Bemerkung Schewtschenkos, der Welt die gemeinen Enkel berühmter Großväter liefern.

Es ist nutzlos, sich mit den Vertretern jener mittleren Generationen zu befassen, die wie eine Schicht zwischen den Großvätern und den Enkeln liegt; zwischen denen, die der nationale Poet als große rühmte, und jenen, die er zu den gemeinen rechnete. Vor uns stehen Gestalten, die an der Scheide jener beiden Strömungen stehen, deren eine das kleinrussische Land zu nie vermuteter Höhe getragen hatte, während es die andere zu nie wieder gutzumachender Gemeinheit führte.

Alles auf der Welt ist begründet, folgerichtig und bedingt, und so können die Glieder einer Kette nur ihre Form ändern, aber nichtsdestoweniger faßt ein Glied das andere, und jedes ist unabänderlich mit dem anderen verbunden.

Indem ich in diesen Aufzeichnungen alles vereine, was ich über Wischnewskij und seine Sippe gehört habe, glaube ich damit der Literatur ein vergessenes Kettenglied zu erhalten, das bisher nur in einzelnen Überlieferungen bewahrt wurde. Möglicherweise sind sie nicht alle zuverlässig, aber selbst in diesem Fall sind sie als Schöpfung des Volkes interessant, weil sie bezeichnend sind für das, was die Phantasie der Menschen in Erstaunen versetzte und begeisterte, oder was ihnen gefiel.

Ich fahre in meiner Erzählung über Wischnewskij fort.

Einige Zeilen weiter oben verließen wir den mächtigen Pan von Farbowanaja, wie er auf dem Teppich zu Füßen seiner ländlichen Nymphe schlief. Lassen wir ihn noch in dieser Stellung, wie sie schöner und poetischer in seinem willkürlichen und zügellosen Leben kaum je vorkam. Mögen sie süß weiterschlafen bis zur Morgenröte des Tages, der ihr Glück und ihre Ruhe trüben und in den Becher der Liebesfreuden des Pan den Tropfen des bitteren Schierlings träufeln wird.

Wir werden später auf das Ereignis zu sprechen kommen, das den Höhepunkt der Leidenschaften und der moralischen Verwirrung Wischnewskijs darstellt und nach dem seine Geliebten einander wieder in rascher Folge ablösten, ohne jene beschriebene Höhe zu erreichen; Wischnewskij aber ließ bis zu seinem Tode nicht von ihnen.

Zeichnen wir nun, so gut wir es verstehen und vermögen, die übrigen Seiten seiner Tätigkeit und seines Charakters.

Siebentes Kapitel

In keiner der Erzählungen, die ich über Wischnewskij hörte, nimmt er als Vater und Erzieher eine charakteristische Stellung ein; er wird ausschließlich als Erzeuger erwähnt. Im übrigen wird berichtet, daß um jene Zeit, als in Petersburg die Institute eingeführt wurden und der eingesessene Adel auf Wunsch der Kaiserin die Aufforderung erhielt, seine Töchter zur Erziehung dorthin zu bringen, Wischnewskij nach Petersburg reiste und seine Töchter persönlich hinbrachte. Jedoch wird dieser Umstand nicht erwähnt, um die väterliche Fürsorge Wischnewskijs zu bezeugen, sondern weil diese Reise mit einem anderen interessanten Ereignis in Verbindung steht, von dem später berichtet werden wird. Auch als Gutsbesitzer, in seiner Eigenschaft als Herr, Richter und Züchtiger der ihm untergebenen Leibeigenen bewies Wischnewskij keine besondere Originalität, sondern führte die Herrschaft, wie sie von alter Zeit her geführt wurde. Alles wurde durch Leibeigene und gemietete rechtgläubige oder polnische Aufseher verrichtet. Wischnewskij hatte einige Polen in seinem Dienst, gegen die er keinerlei Feindschaft hegte, über die er sich aber gerne lustig machte. Auch einige Juden waren da, die der Psychopath auf verschiedene Weise zu erschrecken pflegte. Mehr als einen von ihnen hatte er zu Tode erschreckt, aber sie kamen immer wieder zu ihm, da Wischnewskij manchmal freigebig war und ihnen manchen Verdienst zukommen ließ. Im übrigen benützte er die Juden als Kommissionäre. Aber Gott sei dem gnädig, der ihn betrog! Er ließ ihn mit Ruten und Peitschen schlagen und quälte ihn fast noch mehr durch Furcht.

Wischnewskij war auch Patriot, was sich à la longue in seiner Vorliebe für den kleinrussischen Kaftan und die kleinrussische Sprache äußerte, und obendrein – in seiner Verachtung für die Ausländer. Besonders wenig schätzte er die Deutschen, die er aus zwei Gründen nicht leiden konnte: erstens, weil sie stockbeinig sind, und zweitens, weil ihm ihr Glaube nicht gefiel – sie verehren die Heiligen nicht. Stepan Iwanowitsch nahm von sich an, daß er die Heiligen verehre. Er war in Glaubenssachen vollkommen unwissend und kritiklos und ließ sich auch nicht auf religionsphilosophische Fragen ein, da er fand, daß das eine Sache der Popen sei; er beschützte und verteidigte nur als Ritter seinen Glauben vor allen Andersgläubigen. Er sah in diesem Punkte mit den Augen des einfachen Volkes, das nur die Rechtgläubigen zu den Christen zählt, alle übrigen andersbetenden Christen für Ungläubige, die Juden aber und das ganze sonstige Pack als unrein ansieht. Aber auch der Ausländer, ja sogar der Deutsche, konnte an den Tisch Stepan Iwanowitschs gelangen, und einer – gerade ein Deutscher – lebte sogar in seinem Hause und genoß sein Vertrauen; doch bevor sich der Ungläubige ihm nähern durfte, suchte sich das religiöse Gewissen Wischnewskijs Genugtuung und Frieden mit sich selbst zu verschaffen. Stepan Iwanowitsch, der nach seinem eigenen Geständnis keinen Katechismus gelernt hatte, hatte für den Empfang von Andersgläubigen eine sehr konkret formulierte Frageordnung aufgestellt.

Stepan Iwanowitsch fragte den Lutheraner oder Katholiken: »Nun, wenn du auch anders glaubst und betest als wir, den heiligen Wundertäter Nikola achtest du doch gewiß?«

Der so geprüfte Andersgläubige wußte aus zuverlässigen Quellen, was mit ihm geschehen würde, wenn er es wagen wollte zu sagen, daß er den Wundertäter nicht verehre, zu dem der Pan von Farbowanaja so sehr hielt. Er hätte sogleich erfahren, wie kräftig die Stühle sind, auf die Stepan Iwanowitsch seine Gäste setzte, und wie biegsam die Weiden, die ihre Zweige in das Wasser des Ssupoi tauchen. Aber da jeder Andersgläubige, der das Glück hatte, Wischnewskij so weit für sich einzunehmen, daß er schon mit ihm über den Glauben sprach, das genau wußte, so antwortete er ihm, wie es die Empfangsordnung verlangte.

»O ja«, erwiderte der also befragte Andersbetende, »wie sollte ich den Nikola nicht achten, wo ihn doch die ganze Welt verehrt!«

»Nun, ›die ganze Welt‹, Bruder, da hast du doch etwas zuviel gesagt«, versetzte Stepan Iwanowitsch, »du mußt wissen, daß der heilige Nikola von Geburt Moskowite ist, du sollst aber unseren ›russischen‹ Jurka verehren.«

Das Wort russisch im Sinne des klein- oder südrussischen, wurde damals scharf dem moskowitiscben, großrussischen entgegengesetzt. Moskowitisch und russisch waren zwei getrennte Begriffe, im Himmel und auf Erden. Die irdischen Unterschiede waren jedem sichtbar, die himmlischen dagegen wurden durch den Glauben erkannt. Dem Glauben nach obliegen aber die großrussischen Angelegenheiten der Sorge des wundertätigen Nikolai, des Patrons Rußlands, die südrussischen aber finden Schutz und Hilfe in der Fürsorge des den Kleinrussen besonders geneigten heiligen Jurij, oder wie man ihn heute nennt, des heiligen Georg.

Jeder Andersgläubige, der die Prüfung über den heiligen Nikolai bestanden hatte, versicherte nun Wischnewskij noch bestimmter, daß er auch den heiligen Jurij verehre, noch mehr als den Nikola.

Das gefiel Stepan Iwanowitsch. Damit war die Katechisierung des Gastes beendet, und dem nun Aufgenommenen wurde der Glaubensunterschied nie mehr vorgeworfen. Ja, wenn jemand zufällig diesen Unterschied erwähnte, so unterbrach ihn Stepan Iwanowitsch und sagte: »Es ist kein Unterschied da, er verehrt den Nikola, aber noch mehr den heiligen Jurka.«

Achtes Kapitel

Also genossen die Andersgläubigen, die sich gebessert hatten, das Vertrauen des Psychopathen, und ein Deutscher verwaltete sogar, beinahe ohne Rechenschaft abzulegen, eines seiner Güter und genoß eine so ausgedehnte Macht, daß er fast alles tun durfte, was Wischnewskij tat.

Nur in bezug auf die Frauen erlaubte ihm Stepan Iwanowitsch nicht, sein Begehren auf den Gesindehof auszudehnen, damit niemand sähe, wie sich eine Frau des wahren, griechischen Glaubens mit einem Deutschen einlasse. Aus diesem Grund dachte er für ihn einen Schimpf aus, der den Mächtigen selbst in den Augen eines Kindes erniedrigen mußte. Der Deutsche war verpflichtet, im Sommer leichte Kleidung und im Winter einen wattierten Schlafrock und Pantoffeln anzulegen, eine Laterne in die Hand zu nehmen und so in der Begleitung eines Aufsehers, der für sein Leben verantwortlich war, ins Dorf zu gehen. Dem Deutschen war dieses Verbot auferlegt, damit von ihm keine Vermehrung des Deutschen käme, sondern alles zu Gunsten des Russischen ginge.

In den Einzelheiten schienen es zwar nur teilweise Beschränkungen zu sein, aber im Zusammenhang hatten sie zur Folge, daß der Deutsche sich bei Stepan Iwanowitsch beklagte: »Keine Möglichkeit.«

»Aber warum denn?«

»Alle laufen davon.«

Das bedeutete, daß alle davonliefen und sich versteckten, sobald der Deutsche in seinem langen Schlafrock, mit seiner Laterne und in Begleitung des für sein Leben Verantwortlichen seinen nächtlichen Gang antrat.

Stepan Iwanowitsch tat, als ob er das bedaure, ließ aber keine Änderung an der von ihm eingeführten Ordnung zu.

»Ohne Laterne und ohne Begleiter werden sie dich packen und verprügeln, und ich habe dann niemanden, der mir für dich verantwortlich ist«, sagte er, als sei er aufrichtig von der Notwendigkeit seiner Einführung überzeugt; aber Leute, die ihn näher kannten, bemerkten, daß seine eine Schnurrbartspitze lachte, wenn er mit dem Deutschen über die Angelegenheit sprach.

Als wirklicher Psychopath vereinigte er in sich viel Sinnloses mit Schlauem so innig vermischt, daß man unmöglich ergründen konnte, was Ernst und was Scherz war.

Der Spaß mit dem Deutschen endete damit, daß er so lange mit seiner Laterne wie ein leuchtendes Johanniswürmchen im Gras einherging, bis ihm einmal im Schuppen einer Bauernhütte die Rippen eingedrückt wurden und der für sein Leben verantwortliche Begleiter ihn nach Hause trug, wo er seine deutsche Seele unverzüglich Gott empfahl, die Seele, die hier in Verehrung der Heiligen Nikolai und Georgij gelebt hatte.

Ungeachtet der freiwilligen Unterwerfung dieses Deutschen unter die genannten Heiligen, hielt es Stepan Iwanowitsch doch für unpassend, ihn innerhalb des Friedhofes zu beerdigen, neben den Vorfahren wahren östlichen Glaubens; er ordnete an, ihn außerhalb der Umfriedung zu begraben und auch kein Kreuz aufs Grab zu setzen, sondern einen großen Stein darauf zu legen, damit die Müden sich setzen und ausruhen können.

In allen Fällen hatte er einen eigenen, in seiner Art sehr originellen Ton, der von seinem Humor als auch vom Respekt vor dem heimatlichen Glauben zeugte, der sich weniger auf dem Katechismus als auf den Heiligen Nikola und Jurka gründete. Aber Gott allein weiß, ob sich wirklich alles so verhielt, wie er vorgab, oder ob ihn etwas anderes leitete.

Um die Religiosität Wischnewskijs vollkommen zu kennzeichnen, muß man hinzufügen, daß er es durchaus nicht jedem gestattete, den Heiligen Nikolai und Jurij anzurufen und zu verehren, sondern nur den Christen anderer Bekenntnisse. Diese befreiten sich durch den Respekt vor diesen Heiligen aus aller Not und empfingen die Gnade Stepan Iwanowitschs. Den Juden aber erlaubte er unter keinen Umständen, ihre Zuflucht zum Schutz dieser Heiligen zu nehmen, und jeden, der auch nur eine Neigung dazu verriet, unterwarf er einer Prüfung. Einmal hatte ihn ein Jude betrogen und sollte dafür geprügelt werden.

Als man ihn vor die Freitreppe schleppte, auf der Stepan Iwanowitsch sein Urteil verkündet hatte, begann der Jude sich jämmerlich zu krümmen und schrie: »Oi, wie ich sie verehre ... ich verehre den Nikola, verehre auch den Jurko ...«

Stepan Iwanowitsch befahl den Liktoren innezuhalten und fragte den zitternden Juden: »Was schreist du da?«

»Wie ich sie verehre, wie ich verehre ...«

»Laß das Stammeln – sage ruhig, wen du verehrst!«

»Oi, alle, oi, die beiden verehre ich, den Heiligen Nikola und den Heiligen Jurko.«

»Nun, das tust du vergeblich.«

»Oi, weswegen ... oi, weshalb vergeblich ... wenn sie doch gnädig sind, vielleicht, daß sie sich meiner erbarmen.«

»Ja, sie sind gnädig, das ist ganz richtig, aber mit den Juden, Bruder, haben sie nichts zu schaffen. Ihr habt euren Moses, den ruf an, wenn man dich prügelt. Aber dafür, daß du es gewagt hast, mit deinen Judenlippen so heilige Namen auszusprechen, gebt ihm ihr Jungens, noch zehn mit der Peitsche für den Nikola, und fünfundzwanzig für den heiligen Jurko, damit er sich nicht mehr erfrecht, sie anzutasten.«

Natürlich schleppte man den unglücklichen Juden fort und verabreichte ihm zuerst getreulich, was ihm für den Betrug zukam, und dann eine Zulage von weiteren fünfunddreißig Hieben für den nach der Meinung Wischnewskijs unangebrachten Versuch, sich beim Nikolai und beim heiligen Jurij einzuschmeicheln. Da aber der Rang der beiden Heiligen nicht gleich war, gab man ihm für den Nikolai nur zehn Hiebe, für den heiligen Jurij aber fünfundzwanzig.

Dies geschah, versteht sich, nicht ohne guten Grund, sondern infolge der größeren Liebe und Verehrung des Pan für den heiligen Jurij, weil er ein Russe und kein Moskowite ist.

Neuntes Kapitel

Ich habe mehrmals erwähnt, daß Stepan Iwanowitsch sichtlich das bevorzugte, was nicht von den Moskowitern herkam, und muß jetzt den Leser aufklären, damit er nicht voreilig schließe, Wischnewskij sei Politiker gewesen, Separatist, oder, wie man es jetzt nennt, Ukrainophile. Man nahm damals das Kleinrussentum leicht, man wollte von ihm sogar nichts wissen. Hätte jemand in die Seele Wischnewskijs eindringen können, so hätte er auch bei der strengsten Prüfung nichts Politisches in ihm gefunden. Wahrscheinlich hätte er sich darin wie in einem Schuppen gefühlt, in dem zwar vermutlich alles vorhanden ist, aber niemand etwas finden kann. Wischnewskij widersprach entschieden allen Menschen, mit Ausnahme seiner ersten Frau, der hier schon ziemlich eingehend geschilderten Stepanida Wassiljewna aus dem Twerschen Adelsgeschlecht der Schubinskijs. Wenn sein Gesprächspartner Ukrainophile war und alles Kleinrussische rühmte, so begann Wischnewskij sogleich, die Fehler des kleinrussischen Charakters in den Vordergrund zu stellen und tat dies mit großem Geschick und treffenden und bissigen Vergleichen. Er lobte dann eifrig die Polen, besonders Batur und Sobieski, nannte Bogdan Chmjelnicki einen Trunkenbold und schloß den Streit mit der seiner Ansicht nach entscheidenden Formel, Polen sei zusammengestürzt und habe uns erdrückt. Aber äußerte sich jemand mit Bedauern über Polen, so wechselte Stepan Iwanowitsch sogleich die Front, und seine Rede bewegte sich nach großrussischen Motiven.

»Das ist wahr«, sagte er, »sie waren frei und ehrgeizig, aber weil sie alle Könige sein wollten, schmiedeten sie gegen die Könige Ränke. Und so gingen sie zugrunde und mußten zugrunde gehen, weil sie darüber vergaßen, was die Wohlfahrt des ganzen Landes erforderte und jeder die unglückliche Freiheit nach Kräften auf seine Seite zog.«

Er winkte mit der Hand ab und schloß wegwerfend: »Dreck!«

Jedoch war Wischnewskij durchaus kein Verteidiger der Staatsgewalt, sondern im Gegenteil, wie schon oben erzählt, sehr oft, ja fast bei jeder Gelegenheit bereit, die Organe der gesetzlichen Macht herabzusetzen und zu beleidigen. Er war dabei weder Demokrat noch Nationalist in unserem jetzigen Sinn, so daß ihm sogar die bescheidene und anscheinend doch harmlose Einrichtung der Wahl der Stadthäupter lächerlich erschien; er wollte sie auch durchaus nicht Häupter nennen, sondern nannte sie anders. Mit einem Wort, Wischnewskij war nach dem kurzen, aber treffenden Ausdruck des einfachen Volkes ein Pan, wie ein Auerochs aus dem Forste von Bjelowesch, das heißt ein Herr, wie er sein muß, ganz wie ein Auerochs aus der Bjelowescher Wildnis nichts mit einem gewöhnlichen Ochsen gemein hat, sondern in allem verwegener und stärker ist. Ohne unsere heutige Bildung besessen oder politische Betrachtungen, wie sie später von Toqueville und ähnlichen Leuten geschrieben wurden, gelesen zu haben, verstand Wischnewskij die kosmopolitischen Strömungen unserer heutigen Aristokratie, die auch der heutigen Demokratie eigen sind, sehr gut, da ihr gemeinsames Stimulans das Prinzip zu sein scheint, jede nationale Sympathie auf die Seite zu schieben. Wischnewskij liebte die Polen nicht, aber wenn die Rede auf berühmte Moskowiter kam, begann er gleich spöttische Grimassen zu schneiden, wartete, bis Stepanida Wassiljewna für einen Augenblick das Zimmer verließ, und sagte: »Nun, was ist denn so Großes bei ihnen los! Ihre Großväter und Großmütter wurden noch alle mit Stöcken geschlagen.«

Von diesem Gesichtspunkt aus rühmte Wischnewskij den polnischen Adel und sogar die livländischen Barone; geriet er aber mit einem von ihnen in Streit über Rußland, so begann er sie mit allem Eifer zu bekämpfen, obwohl er sie im geheimen wegen ihres reinen Blutes beneidete. Aber er konnte ihren Hochmut und ihre Anmaßung nicht ertragen, die ihm widerwärtig erschienen, zumal er sich für einen einfachen, offenen Menschen hielt.

Wer kann sich wohl eine Vorstellung machen, was alles im Schädel dieses Psychopathen steckte! Stand er aber einmal zufällig vor einer außergewöhnlichen Frage oder Begebenheit, so war all der psychopathische Unfug verschwunden, und Stepan Iwanowitsch bewies eine geradezu erstaunliche, vielleicht sogar psychopathische Findigkeit. In schwierigen Umständen und Gefahren handelte er kühn und überlegt und befreite Menschen spielend aus Schwierigkeiten und großen Nöten, die sie zu erdrücken drohten.

Ein solcher Fall wird über die Offiziere eines Dragonerregiments berichtet, das entweder in Pirjatin im Poltawschen Gouvernement oder in Bjeschetzk im Twerschen Gouvernement gelegen hatte.

Die einen lassen diesen bemerkenswerten Vorfall im Twerschen Gebiet spielen, die anderen in Kleinrußland; was richtiger ist, läßt sich schwer entscheiden, es ist aber auch kaum der Mühe wert, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Der Fall liegt so, daß er sich mit der gleichen Wahrscheinlichkeit in einem beliebigen Städtchen ereignen konnte, aber den Charakteren der beiden hier erwähnten Herrchen nach zu urteilen, entspricht er mehr den Sitten eines kleinrussischen Kreisgerichts.

Es handelt sich übrigens nicht darum, den Ort genau zu bestimmen, sondern ein Bild der Ereignisse zu entwerfen und den Anteil zu zeigen, den unser psychopathischer Held an ihnen hatte.

Zehntes Kapitel

Die Dragoner lagen in Pirjatin – nehmen wir an, es sei dort gewesen. Teile des Regiments waren in anderen Ortschaften untergebracht. Der Regimentskommandeur hatte vielleicht in Perejaslaw Quartier genommen.

Die Offiziere langweilten sich natürlich in dem winzigen Städtchen vor Nichtstun; sie unterhielten sich, so gut sie konnten, und fuhren zu den Gutsbesitzern zu Gast. Blieb ihnen nichts anderes übrig, als einige Tage zu Hause zu sitzen, so zechten sie, spielten Karten oder tranken bei einem Weinhändler im kleinen Kellerlokal. Der Händler war ein Jude, der die Offiziere gern schröpfte und ihre Ausschweifungen unterstützte, sie aber doch fürchtete. Er hatte deshalb, um den Übermut seiner Gäste etwas zu dämpfen, in dem Raum, in dem sie zechten, ein Porträt aufgehängt, das seiner Meinung nach die Besucher seines Ausschanks an die Gesetze der Wohlanständigkeit gemahnen sollte. Vielleicht war es ganz klug gedacht, aber es führte zu einer Geschichte.

Einmal, in der langweiligsten Sommerzeit kam ein Jongleur in die Stadt und zeigte, wo man ihn aufforderte, seine einfachen Kunststücke, von denen eines ganz dem Geschmack der Herren Offiziere entsprach: Der Künstler setzte seine Tochter auf einen Stuhl, stellte ihn dicht mit dem Rücken an eine Wand, zog aus seiner Tasche einige Dolche und warf sie einen nach dem andern gegen die Wand, in der sie steckenblieben, das Gesicht des Mädchens von allen Seiten umrahmend, ohne es zu berühren.

Diese sichere und gewandte Handhabung der Waffe interessierte alle, die die Schwierigkeit dieses gewagten Kunststückes einsahen. Als die Offiziere wieder einmal im Kellerlokal, in dem sie zu trinken pflegten, zusammenkamen und ihren geriebenen Käse aßen, der wie verwitterte geschnittene Fingernägel aussah, sprachen sie über das Dolchwerfen, und als ihnen der Rausch in den Kopf stieg, kam es einem von ihnen in den Sinn, er könne es ebenso gut.

Dolche hatten sie zwar nicht, aber auf dem Tische lagen Gabeln, die die Dolche bei diesem Versuch annähernd ersetzen konnten. Wenn es auch nicht so leicht war, mit ihnen nach einem Ziel zu werfen, so blieben sie doch immerhin in der Wand stecken.

Es fehlte nur das menschliche Gesicht, das man mit den Gabeln umstecken könnte. Von den Offizieren wollte sich natürlich keiner zu diesem Versuche hergeben. Man mußte eine Person niederen Ranges finden, am besten natürlich einen Juden. Die ausgelassenen Offiziere machten also den ihnen aufwartenden Juden diesen Vorschlag, aber sie waren so feig und hingen so sehr am Leben, daß sie sich nicht nur weigerten, sondern auch ihren Handel im Stich ließen, den ganzen Laden der Gewalt der Herren Offiziere überließen, davonliefen und sich versteckten. Natürlich beobachteten sie von ihren Verstecken aus, was jeder von ihnen nehmen und was die lärmende Gesellschaft weiter treiben würde.

Nun führte ein unglücklicher Zufall zwei junge Gerichtsschreiber oder, wie man sie am Orte nannte, Gerichtsherrchen her, die an diesem Tag wohl einen guten Chabar genommen, das heißt, einen guten Schnitt gemacht hatten und sich nun im Keller bei dem kalten Donschen, nach Wermut schmeckenden Wein gütlich tun wollten.

Den Offizieren kam der Gedanke, die beiden Herrchen zu ihrem Versuch zu verwenden; so luden sie die beiden zunächst ein, zusammen mit ihnen zu trinken, und dann drangen sie in sie, es möge sich einer von ihnen zu der Produktion hergeben.

Die Herrchen zeigten sich jetzt als sehr seltsame Leute von ganz verschiedener Gemütsart: Der eine war ein Heraklit, der andere ein Demokrit. Als sie aus der Hitze in den kalten Keller gekommen waren und dort den kalten Wein getrunken hatten, stieg er ihnen zu Kopf, und als dann die Offiziere anfingen, in sie zu dringen, rührten sie sich nicht von der Stelle, anstatt bescheiden fortzugehen. Sie glaubten sich, als Eingeborene, auf gleichem Fuß mit den Herren stehend und begannen ihren wahren Charakter zu zeigen. Der eine lachte über den Vorschlag und riß über die geärgerten Offiziere kleinrussische Witze, der andere zog ein saures Gesicht, begann zu weinen und schrie in einem fort, obwohl ihn niemand anrührte: »Rührt mich nicht an! Geht doch zum Teufel! Laßt mir meine heilige Ruhe!«

Die beiden Schreiber wurden schließlich den Offizieren so lästig, daß sie mit ihnen auf ihre Art verfuhren, das heißt ihnen mehrere Maulschellen verabreichten und sie dann unter den Tisch stießen, um sie dort wie die Ferkel zu halten, bis ihr Gelage zu Ende wäre. Das war ungefährlich und praktisch, da die Offiziere die Herrchen unter dem Tisch mit den Füßen festhielten und Mund und Hände frei hatten; zugleich war dadurch ein Skandal vermieden, der bei dem häßlichen Charakter, den die widerspenstigen Jungen zeigten, unausbleiblich schien. Der eine hätte sicher draußen auf dem Platz oder auf der Straße so geheult, daß man es in der ganzen Stadt hörte, und der andere hätte gar auf den Zaun klettern oder ans Fenster kommen und sie von dort aus verhöhnen können.

Dann müßte man ihm nachlaufen, ihn einholen und fangen, was einen Skandal gegeben und sicher einen Haufen Weiber und Juden herbeigelockt hätte. Mit einem Wort, es wäre ganz unvereinbar mit der Offiziersehre gewesen; so saßen aber die Jungen ganz friedlich unter dem Tisch, jammerten ein wenig und umfaßten einander in ihrem engen Raum, der noch durch die Sporenstiefel der Offiziere verringert wurde.

Alles ging vortrefflich, aber da mischte sich der Teufel ein und verdarb alles. Die Offiziere wurden so betrunken, daß sie anfingen, mit den Gabeln nach dem Porträt zu werfen, weil sie meinten, sie könnten es ebenso geschickt umrahmen wie der Jongleur das Gesicht des lebendigen Menschen mit seinen Dolchen. Aber der Teufel war im Spiel: Als der erste Offizier die Gabel warf, stieß ihn der Schwarze in den Ellenbogen, und die Gabel blieb mitten in dem einen Auge des Porträts stecken. Der zweite Offizier warf, und der Teufel führte die Gabel in das andere Auge. In der betrunkenen Gesellschaft entwickelte sich jetzt der Wetteifer, die Gabeln flogen eine nach der anderen und verstümmelten das Gesicht des Porträts gänzlich.

In ihrer Trunkenheit, die schon in einen Zustand geistiger Umnachtung überging, maßen die Offiziere diesem Vorfall keine besondere Bedeutung bei. Sie hatten eben ein Bild verdorben – das war alles. Es wird nicht von Gott weiß was für einem Meister gewesen sein; kein Werk Raffaels und keine ungeheure Summen gekostet haben. Sie würden morgen den jüdischen Wirt rufen, ihn fragen, was das Bild koste, tüchtig herunterhandeln, dann bezahlen, und damit wäre die Sache erledigt; dafür war man lustig gewesen und hatte bei jedem ungeschickten Versuch, die Gabel so sicher wie der Jongleur zu werfen, viel gelacht und gescherzt.

»Nein, der Schelm hat es besser gemacht. Wir können es nicht so. Und Gott sei Dank, daß kein Mensch vor uns sitzen wollte, sonst hätten wir dem Lebendigen die Augen ausgestochen, da hätte Bezahlen nichts geholfen.«

Die wackeren Helden waren sehr froh, daß die Sache so gut mit Lachen und Scherzen geendet hatte, und begaben sich, einander stützend, in ihre Quartiere. Beim Weggehen hatten sie die Schreiber schon ganz vergessen, die still unter dem Tische saßen und keinen Laut von sich gaben.

Aber die Sache war durchaus nicht so einfach und stand durchaus nicht so gut, wie es sich diese braven Kinder dachten, als sie sich zur Ruhe begaben.

Elftes Kapitel

Kaum hatten die Offiziere den jüdischen Laden leer zurückgelassen, als die Gerichtsherrchen unter dem Tisch hervorkrochen, ihre von der langen Kniebeuge steif gewordenen Glieder streckten und sich ihre Lage besahen. Alles war still – im Laden und in der Kammer war keine Seele; durch die dichte Wolke von Tabaksrauch war das verstümmelte Porträt mit den ausgestochenen Augen und den vielen Rissen an anderen Stellen kaum zu sehen.

Zum Glück für die einen und zum Unglück für die anderen, waren die Schreiber viel nüchterner als die Offiziere, die sich immer mehr betrunken hatten, während die unter dem Tische eingeschlossenen Heraklit und Demokrit erheblich nüchterner geworden waren, wozu wohl die Angst, die Enthaltsamkeit und vor allem der Rachedurst, der in ihnen glühte, beitrugen. So hatten sie sich einen vortrefflichen Plan ausgedacht, um ihre Beleidiger zu strafen.

Die Schreiber überlegten nicht lange, nahmen das verwundete Porträt von der Wand, liefen damit auf das Freitreppchen des Ladens und schlugen Lärm: »Kommt her, ihr guten Leute! Wer an Gott glaubt und die Älteren ehrt, seht euch das Wunder an ... Schaut, wie die Offiziere das Porträt einer solchen Person entehrt haben!«

Auf dieses Geschrei tauchte sofort, wie aus der Erde gewachsen, der Wirt auf, der sich während des Gelages versteckt hatte; die Marktweiber von ihren Ständen liefen herbei, die Juden begannen zu schreien – und unsere Geschichte nahm ihren Lauf.

Der jüdische Wirt, der die größte Angst hatte und am meisten einen Skandal scheute, hielt sich mit seinen großen Fingern die Augen zu, wie es der Rabbiner beim Gebet tut, und schrie: »Ich habe nichts gesehen und sehe auch jetzt nichts, wer dieser Militär-Pan ist, der da gemalt ist. Geb Gott, daß er ein guter Mensch sei. Aber ich – ich brauche jetzt das Bild nicht mehr ... Ich verschenke es, nehme es, wer es will ...«

Doch Demokrit rief: »Aber wir wissen, wer diese Person ist, und wir protestieren. Schaut, ihr guten Leute – die Augen sind ihm ausgestochen. Wir wollen das Porträt zum Stadtvorsteher tragen.«

Demokrit trug das verwundete Porträt durch die Straßen vor das Stadthaus, und Heraklit begleitete ihn, machte unter der warmen Sonne wieder sein saures Gesicht und weinte, und alle, die ihnen folgten, wiesen lobend auf ihn hin und sagten: »Schaut nur, wie es ihn rührt!«

Aber die Offiziere schliefen und schliefen und ahnten nicht, daß man gegen sie protestierte und daß ihnen die Sache Unannehmlichkeiten bereiten würde, die sie nicht wüßten, wie loswerden. Wie schwer auch ihr trunkener Schlaf gewesen war, auch ihr Erwachen am nächsten Morgen war nicht leicht. In aller Frühe kam zu allen Zechgenossen des beschriebenen Gelages die Ordonnanz des schnurrbärtigen Majors oder Rittmeisters, der die Schwadron kommandierte und in seiner Person die oberste Befehlsgewalt am Standort darstellte.

Natürlich war der Rittmeister nicht Gott weiß was für eine hohe Obrigkeit, beinahe so ihr Bruder Hans, und machte manchesmal auch einen Tanz mit ihnen, aber die Offiziere erschraken.

Das Schlimmste war, daß ihnen der Kopf noch brummte und sie sich durchaus nicht mehr daran erinnern konnten, was gestern im Keller beim jüdischen Wirt vorgegangen war. Sie erinnerten sich noch, daß sie wohl tüchtig getrunken hatten, aber sie konnten sich nicht mehr auf alles der Reihe nach besinnen. Ein Stück war abgerissen, und es schien ihnen, als sei das Dazwischenliegende gar nicht gewesen. Sie besannen sich, daß sie die Juden verjagt hatten, aber das wäre durchaus nicht wichtig gewesen, war schon öfter geschehen, auch wenn der Rittmeister dabeigewesen war. Das Verjagen ist kein Unglück, besonders bei Juden nicht, denn sie sind ein Volk, das die Vorsehung selbst zur Verstreuung vorbestimmt hat. Der Jude schreibt ein Übriges auf, berechnet als getrunken, was nicht getrunken, als beschädigt und zerschlagen, was nicht beschädigt wurde; sie würden mit ihm verrechnen, und dann würde wieder alles gut sein, bis zu einer neuen Geschichte. Der Jude selbst würde ihnen den ersten Friedenstrunk umsonst anbieten, sie würden sich aussöhnen und ihn in seinem Handel unterstützen ... Es war ja unmöglich, daß er, der Jude, mit ihnen streiten wollte und daß er die Ursache dieser plötzlichen frühen Einladung zu ihrem ältesten Offizier war. Vielleicht diese Schreiber ... Es dünkt ihnen, als seien zwei Schreiber dabeigewesen ... Gerichtsherrchen ... Nun, das war auch keine besondere Sache! Die Soldaten haben sie noch überall gezaust! Sind auch nicht mehr wert, dieses bestechliche Unkraut! Wenn sie nur nicht einen von ihnen die Nase oder die Ohren abgehauen hatten! Das wäre garstig, was einmal abgehauen ist, kann man nicht wieder ansetzen ... Aber Gott ist gnädig, sie haben schon andere Dinge gemacht, so wird auch das vorübergehen. Wozu braucht auch ein Schreiber eine Nase? – Doch nur um Tabak zu schnupfen und das Aktenpapier damit zu bestreuen. Der Chabar ist doch kein Braten, er wird ihn auch so, ohne Nase riechen. Man wird sich natürlich zusammentun müssen und bezahlen, aber allen zusammen wird es nicht schwerfallen ...

Zwölftes Kapitel

In solchen oder ungefähr ähnlichen Erwägungen zogen die Offiziere ziemlich unbekümmert zum Quartier ihres ältesten Kameraden und betraten guten Mutes das geräumige, aber niedrige Zimmer in dem kleinrussischen Häuschen. Aber jetzt merkten sie mit einem Mal, daß die Sache durchaus nicht gut stand. Der Rittmeister kam ihnen nicht kameradschaftlich in seinem gestreiften Morgenrock, mit der Pfeife in den Zähnen entgegen, sondern die Tür zu seinem Kabinett war geschlossen – das heißt, er will warten, bis alle versammelt sind, dann kommt er heraus und spricht zu allen zusammen.

Diese offizielle Form versprach nichts Gutes, und die eingetretenen Offiziere schauten einander an, dämpften ihren Ton zu einem halben Flüstern, und einer fragte den andern: »Nun, was ist denn das? Was haben wir denn gestern angestellt?«

Einer von ihnen hatte auf der Straße etwas von einem Porträt sprechen hören.

»Porträt, Porträt? ... Was für ein Porträt?«

Keiner konnte sich erinnern.

Aber jetzt öffnete sich plötzlich die Tür, und aus dem Kabinett trat der Rittmeister, in Uniform mit Epauletten, mit fest geschlossenem Mund. Er begrüßte sie nicht und begann seine Rede mit Worten, wie sie Gogol viel später seinem Skwosnik-Dmuchanowskij in den Mund gelegt hat: »Ich habe Sie hieher gerufen, meine Herren, um Ihnen eine unangenehme Mitteilung zu machen: Gegen Sie ist bei der Zivilbehörde Klage eingereicht worden, und ich wurde vom Stadtamt davon benachrichtigt; ich muß Sie arretieren. Geben Sie mir bitte Ihre Säbel, und wollen Sie mir sofort aufrichtig erklären: Was haben Sie gestern abend in dem Laden getan?«

Die Offiziere nahmen widerspruchslos ihre Säbel ab und übergaben sie dem Schwadronschef, aber bezüglich der aufrichtigen Erklärung antworteten sie, sie wären selber froh, wenn sie wüßten, was sie eigentlich getan hätten, aber sie könnten sich dessen nicht mehr entsinnen.

Der Rittmeister zog die Brauen zusammen und entgegnete noch schärfer: »Ich bitte Sie, nicht zu scherzen, ich spreche mit Ihnen dienstlich, als Ihr Ältester!«

»Das ist kein Scherz«, erwiderte einer der Angeklagten, »wir erinnern uns, bei Gott, nicht mehr.«

»Aber erlauben Sie!«

»Der Tag war gestern heiß, wir gingen zufällig hinein, ... und tranken dort im Kühlen Wermutwein ... hatten dann irgendeinen Streit mit den Juden ... haben aber nichts Böses im Sinn gehabt ... Es waren sogar noch zwei Schreiber dort, die alles sehen konnten ...«

»Das ist es ... die zwei Schreiber! Darum handelt es sich auch. Diese beiden Schreiber konnten in der Tat alles sehen, und haben es auch gesehen. Wie werden Sie sich ihnen gegenüber rechtfertigen? Eine solche Schande für unseren Stand!«

»Aber worin rechtfertigen? ... Sagen Sie es uns bitte!« erwiderten die Offiziere.

»Ja, Sie haben sich ihnen gegenüber zu rechtfertigen«, rief der Rittmeister, zog aus seiner Tasche ein vierfach zusammengefaltetes Blatt Papier und begann die ihm von der Stadtverwaltung amtlich zugestellte Kopie des Berichtes der Schreiber zu verlesen, in dem stand, wie die Herren Offiziere das Porträt durch das Werfen von Gabeln beschädigt hatten, während die am Ort des Vergehens anwesenden Gerichtsschreiber, die in ihren Herzen Gottesfurcht und Liebe zum Allerhöchsten hatten, die ganze Zeit auf den Knien lagen, so daß sie sich auf dem Fußboden ihre einzigen Hosen durchscheuerten, weshalb sie jetzt der Möglichkeit beraubt seien, ihren dienstlichen Obliegenheiten nachzugehen. Sie protestierten daher amtlich gegen den ganzen beschriebenen Unfug der Offiziere und bäten, für die Beschädigung der Hosen von den Angeklagten für jeden von ihnen zwanzig Rubel in Assignaten zu erheben.

Der Rittmeister hatte zu Ende gelesen, pfiff der Ordonnanz und befahl, das Porträt aus seinem Schlafzimmer herzubringen, damit die Offiziere mit eigenen Augen die Spuren ihres gestrigen Zeitvertreibes sehen könnten. – Nun wurden sie starr.

Inzwischen hatte der Rittmeister seinen Waffenrock ausgezogen und nur die Halsbinde anbehalten, setzte sich an den Tisch, steckte die Hände in die Hosenträger aus Kamelgarn und sagte in verändertem Ton: »Meine Herren, die Sache steht schlecht. Sie sieht sehr häßlich aus, weil man aus ihr weiß der Teufel was alles machen kann. Diese elenden Federfuchser, diese dreckigen Gerichtsschreiber wagen es, gegen Offiziere aufzutreten. Ich habe mit Ihnen soeben als Ihr Dienstältester gesprochen, aber jetzt spreche ich als Kamerad. Der Sache ihren Lauf zu lassen, ist unmöglich, man muß ihr durch Schnelligkeit und militärisch aufrichtige Offenheit zuvorkommen, wie es sich für Edelleute geziemt. Ob es hilft oder nicht, jedenfalls muß man offen und ehrenhaft handeln. Setzen Sie sich bitte, rauchen Sie eine Pfeife, und lassen Sie uns nachdenken. Meine Meinung ist die: Das Unheil ist einmal geschehen, daran läßt sich nichts ändern. Man muß den Umstand ausnützen, daß die Post nach Perejaslaw gestern abgegangen ist und erst in drei Tagen wieder geht. Das ist Ihr Glück. Ich habe Ihnen Ihre Säbel abgenommen; wählen Sie nun zwei Kameraden, die möglichst schnell zum Oberst reiten und ihm alles aufrichtig erzählen. Er ist mit dem Gouverneur gut bekannt und kann Ihnen helfen.«

Einen besseren Plan vermochten sie gar nicht auszudenken, und zwei Stunden später sprengten zwei Offiziere aus Pirjatin nach Perejaslaw; auf dem Wege lag Farbowanaja. Nach der Hitze und Schwüle war ein Gewitter losgebrochen, und es schüttete vom Himmel wie mit Kübeln, als auf einmal vor den Offizieren in den Strömen Wassers wie eine Blase aus dem Boden ein Kleinrusse auftauchte.

»Was fahren da für Leute mit Schellen und was wollt ihr?«

»Wir sind Offiziere und reisen in eigenen Angelegenheiten.«

»Wenn ihr in eigenen Angelegenheiten reist, so kommt zu unserem Pan Wischnewskij.«

Die Offiziere wollten nicht, aber der Kleinrusse redete ihnen zu: »Es ist einmal so ... So ist der Brauch!«

Sie fuhren hin, um den Regen und das Gewitter abzuwarten, und Stepan Iwanowitsch empfing sie erfreut, bewirtete sie mit Essen und Trinken und fragte: »Eilen Sie, meine Herrn, wohl oder übel oder zu Ihrem Vergnügen bei diesem Wetter weiter?«

Die Offiziere antworteten im Stile der Märchen, daß sie wohl oder übel reisten, und auch zu ihrem Vergnügen.

»Nun, was ist es für eine Sache? Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein, daß Ihre Reise nicht mehr notwendig ist.«

Sie seufzten und sagten: »Nein, unsere Angelegenheit ist so schwerwiegend, daß nur noch der Oberst beim Gouverneur vielleicht Fürbitte einlegen kann.«

»Nun, wenn schon – was hat der Gouverneur zu sagen? Ich frage doch nicht aus leerer Neugier.«

Die Offiziere erzählten ihm alles.

Wischnewskij fuhr sich mit gespreizten Fingern über den Scheitel, räusperte sich und sagte: »Der Gouverneur hat mit der Sache gar nichts zu tun, und Sie brauchen deshalb nicht nach Perejaslaw. Niemand kann Ihnen helfen, wenn man der Sache nicht eine richtige Wendung gibt.«

»Aber wie kann man ihr eine richtige Wendung geben?«

Stepan Iwanowitsch fuhr sich wieder mit den Fingern über den Scheitel, räusperte sich und sagte: »Ja, ich sehe, daß Sie zwar alle Moskowiter sind und eine Lektion verdienen, aber Sie haben die Sache unrichtig angefangen und können sie ganz verderben, wenn Sie zu Ihrem Vorgesetzten reisen. Sie nützen sich selbst durch Ihre Offenheit nichts und machen Ihrer Obrigkeit nur Schwierigkeiten; deshalb verhafte ich Sie bis morgen. Ich habe das Recht, Sie zu verhaften, da Sie mir selbst gestanden haben, daß Sie entflohen sind und auch keine Säbel haben. Ich bitte Sie, sich in den Flügel zu begeben, dort ist alles für Sie bereit, und schlafen Sie gut. Morgen früh werden wir dann Ihrer Angelegenheit die Wendung geben, die sie braucht.«

Dreizehntes Kapitel

Die Offiziere sagten zu, dachten, es sei kein großes Unglück, bis zum Morgen zu warten, und fügten sich ihrem eigenwilligen Gastgeber. Sie gingen in den Flügel, aber der Pan von Farbowanaja rief den Haiduken Prokop, befahl ihm, sich in den Wagen zu setzen und nach Pirjatin zu fahren, dort die beiden Gerichtsherrchen aufzufinden und sie um jeden Preis am Morgen nach Farbowanaja zu bringen.

Der Haiduk eilte davon, suchte die Schreiber auf und sagte: »Mit meinem Pan Wischnewskij steht es schlecht. Es geht ihm so elend, daß ich nicht weiß, ob er den Abend noch erlebt. Jetzt will er sein Testament machen und hat mich hergeschickt, um euch zu bitten, daß ihr gleich euer Schreibzeug nehmt und mit mir fahrt, um als Zeugen zu unterschreiben. Ihr bekommt ein gutes Chabar dafür.«

Die Schreiber wußten, daß Wischnewskij noch nie krank war, aber wenn solche Leute krank werden, so geht es auf den Tod.

Sie dachten: »Sicher stirbt er, und wir verschreiben uns etwas im Testament. Er ist so krank, daß er es nicht merkt.«

So nahmen sie mit Freuden ihre Sachen und fuhren ab. Als Stepan Iwanowitsch eben erwachte, standen sie schon auf seiner Freitreppe.

Stepan Iwanowitsch machte für diese Gäste eine kleine Abweichung von seiner Empfangsetikette. Ins Haus ließ er sie natürlich nicht ein, aber er befahl, ihnen ein kleines Tischchen und für die beiden nur einen Stuhl hinauszubringen, damit sie nicht wagen sollten, vor ihm zu sitzen.

Dann ging er in einer Mütze mit großem Schirm zu ihnen hinaus und begann die Unterhandlung.

»Mein Haiduk«, sagte er, »hat euch vorgemacht, daß ich sterbe. Aber, so Gott will, hat es damit noch Zeit, und dann werde ich mir für mein Testament andere, ehrlichere Zeugen als euch holen. Ich habe euch aber zu eurem eigenen Wohl herbringen lassen ...«

Sie machten große Augen.

»Was habt ihr, Verfluchte, vorgestern beim Juden im Keller getrieben? He?« Das Staunen der Schreiber wuchs.

»Erlauben Sie, wer hat es Ihnen erzählt? ... Wir haben nichts getrieben, sondern die Offiziere ...«

»Ja, ja, ich weiß alles. Darum tut ihr mir auch leid: Ihr Dummköpfe habt euch ausgedacht, eure Schuld auf die Offiziere abzuwälzen, als ob euch das etwas nützen würde. Ihr habt nur das eine nicht bedacht, daß die Offiziere sieben Leute sind, die bezeugen, daß ihr das Porträt beschädigt habt und daß ihr gegen sie nur zwei seid ... Wer wird euch da Glauben schenken?«

»Erlauben Sie, aber wir ...«

»Nichts, keine Dummheiten reden ...« unterbrach sie Wischnewskij, »ich weiß alles – ich bin über alles unterrichtet. Ihr habt euch ausgeheckt, eine Anzeige zu schreiben, und während eure Denunziation noch unterwegs ist, sind die Offiziere schon nach Perejaslaw, nach Poltawa und Kiew geritten. Ich habe sie, Gott sei Dank, abgefangen und bei mir festgehalten. Sie sind ihrer sieben Mann, und alle haben gesehen, wie ihr die Gabeln geworfen habt.«

»Aber erlauben Sie, wann haben wir die Gabeln geworfen?«

»Nichts da«, schnitt ihnen Wischnewskij das Wort ab. »Ihr seid zwei, und sie sind sieben, und ihr könnt euch nicht herauswinden. Zudem sind sie angesehenere Leute als ihr, sind hochgeborene Adelige, und was seid ihr? – Dahergelaufene Schreiber, Unkraut.«

»Aber wir sind doch im Recht ...«

»Tja, was heißt das, Recht haben gegen Moskowiter! Sie sind ihrer sieben, und ihr seid zwei. Und wißt ihr vielleicht nicht, daß bei uns die ganze hohe Obrigkeit moskowitisch ist? Zudem werden die Teufelsjuden sie bestimmt unterstützen und sagen, sie hätten gesehen, wie ihr die Messer geworfen habt.«

»Aber bedenken Sie doch, Pan, die Juden sind ja Schelme.«

»Wer sagt denn, sie seien keine Schelme? Aber sie werden gegen euch aussagen. Und deshalb ist es mir auch um euch leid, daß ihr in solche Drangsal geraten seid.«

Die Schreiber, die in den Formen der Rechtssprechung bewandert waren, sahen, daß ihre Sache, hol's der Teufel, in der Tat schlecht stand, daß sie durchaus keine Chancen für sich hatten, ja, daß vielleicht sogar die ganze Schuld auf sie fallen könnte.

»Sie sind sieben ... und wir sind zwei ...«

»Ja, und dazu die Juden ... es kann wohl sein ...«

»Was sollen wir nun tun, Euer Gnaden?«

»Was ich euch lehren werde. Setze sich einer von euch her und schreibe, was ich ihm sage.«

Stepan Iwanowitsch diktierte, und das Schreiben begann: »Da wir von Natur aus unverständig sind und unser Gewissen durch die Schmiergelder verfinstert ist ...«

Der Schreibende hielt inne, aber Wischnewskij fuhr ihn an: »Schreibe, schreibe! Das ist notwendig so.«

... »verfinstert ist, gingen wir Gerichtskopisten in den Keller bei dem jüdischen Laden, betranken uns bis zur Bewußtlosigkeit und fingen an, uns über die Verteilung der Schmiergelder zu streiten. Wir warfen aufeinander mit Gabeln, aber weil wir sehr betrunken waren, fuhren sie aus Unvorsichtigkeit in das Porträt ...«

Der Schreibende zögerte wieder, aber Stepan Iwanowitsch gab ihm einen Stoß in den Rücken. Jener fuhr sogleich fort und schrieb den ganzen Akt zu Ende, in dem er jene Schuld bekannte und gestand, sie hätten aus Furcht beschlossen, ihre Schuld auf die Offiziere zu schieben, in der Annahme, daß ihnen als Kriegsleuten nichts geschehen werde. Aber jetzt, im Gefühl ihrer Versündigung und im Gedanken an ihre dereinstige Todesstunde, bereuten sie es und bäten die Offiziere, ihnen zu verzeihen und von der Anzeige Abstand zu nehmen. Aber für ihre in betrunkenem Zustand begangene Verfehlung bäten sie selbst den Pan Wischnewskij, sie auf seinem Gute Farbowanaja väterlich mit Ruten züchtigen lassen zu wollen, worauf dann Wischnewskij die Güte haben werde, sich zu verwenden, daß die Sache keine weiteren Folgen habe.

»Aber wofür, Euer Gnaden, wofür uns züchtigen?«

»Das steht nur so auf dem Papier.«

Sie unterschrieben es, dann unterschrieb Wischnewskij und ließ die Offiziere rufen.

»Und Sie, meine Herren«, sagte er, »unterschreiben Sie es auch, daß Sie einverstanden sind, ihnen, auch im Namen Ihrer Kameraden, zu verzeihen, und daß Sie als Soldaten großmütig sein wollen und die Angelegenheit nicht weiter verfolgen werden.«

Die Offiziere unterschrieben.

»Jetzt ist alles erledigt«, sagte Stepan Iwanowitsch und steckte das Papier in die Tasche. »Und nun«, wandte er sich an seine Leute, »führt diese Herrchen in den Pferdestall und gebt ihnen dort eine tüchtige Portion Ruten.«

»Erlauben Sie, was heißt denn das?«

»Was das heißt? Das heißt, daß es hier geschrieben ist. Ihr wollt jetzt schon das Geschriebene anfechten? Eh! Feine Herrchen. Gebt ihnen ihre Ruten, Jungens!«

Und man züchtigte sie mit Ruten.

Es wird erzählt, daß man diese Schreiber später noch lange fragte, wie es ihnen zumute war, als sie in Farbowanaja gefarbowalkt wurden.

Der Kommandeur kam selbst zu Stepan Iwanowitsch nach Farbowanaja gefahren, und wenn er es auch nicht aussprach, so drückte er doch indirekt seine Anerkennung für diese Findigkeit und die richtige Wendung der Angelegenheit aus.

Vierzehntes Kapitel

Auch in seinen eigenen Angelegenheiten war Stepan weitblickend und verfiel nur dann in Fehler, wenn die Liebesleidenschaft seinen Blick trübte. Die größte Torheit beging er in einem Fall, der mit jener schlanken, zierlichen Gapka Petrunenko zusammenhing, zu deren Füßen wir ihn verlassen haben.

In der Zeit, als Wischnewskij dieses Mädchen liebte, stand der Kirche im Dorf Farbowanaja ein Priester namens Platon vor. Er hatte die den Russen ziemlich gemeinsame Schwäche, daß er zwar im nüchternen Zustand zu allem wohlweislich schwieg, betrunken jedoch gern plauderte und sogar die ungeschminkte Wahrheit sagte.

Als sich Wischnewskij am nächsten Morgen vom Teppich erhoben hatte, teilte er voller Freude Stepanida Wassiljewna eine wichtige Neuigkeit mit.

Gapka spürte in sich ein neues Leben pochen.

»Und was sie gebiert, soll nicht mehr leibeigen, sondern frei sein«, sagte Wischnewskij.

Dies war ein ungewöhnliches Liebesgeschenk seitens Stepan Iwanowitschs, denn die große Menge seiner Kinder war sämtlich unter seine leibeigenen Seelen eingetragen worden und arbeitete rechtschaffen auf den Feldern seines Herrengutes.

Auch Gapka freute sich darüber.

Eine Stunde später ging sie aus, um Himbeeren zu pflücken. Am Gartenzaun begegnete ihr der Priester P. Platon, der gerade in seiner aufrichtigen Stimmung war. Als er das Mädchen erblickte, sagte er ihr in priesterlichem Tone: »Was bist du so froh, Mädel? Bist froh und vergnügt, pflückst süße Himbeerchen, aber wenn du dein Kindchen geboren hast, kriegst du auch deinen Stoß in den Rücken.«

»Warum denn?« Gapka sah ihn von der Seite an und wurde mit einem Mal verwirrt und traurig, weil sie Wischnewskij, wie viele Frauen, die anfangs nur widerstrebend seine Geliebten geworden waren, liebgewonnen hatte. Gapka fragte, warum man sie denn absetzen werde, wenn sie das Kind geboren haben würde.

»Darum«, antwortete der Geistliche, »weil man auf dem Herrenhof ein Kühlein nicht bis zum zweiten Kalb behält.«

Das war die einzige Begründung des P. Platon, aber Gapotschka wurde traurig, besonders infolge des neuen ungewohnten Zustandes ihres Organismus, und begann bitterlich zu weinen. Aber als verschlossene Kleinrussin wollte sie um nichts in der Welt sagen, warum sie weinte. Stepan Iwanowitsch brachte es schließlich selbst heraus: Leute hatten gesehen, wie der Geistliche mit Gapka sprach, und hinterbrachten es dem Pan, der sogleich seinen geistlichen Vater zur Beichte vor sich rufen ließ und ihn fragte: »Was hast du Gapka gesagt?«

Der Geistliche konnte sich nicht entschließen, zu wiederholen, was er zu dem Mädchen gesprochen hatte, und sagte: »Ich erinnere mich nicht mehr.«

Wischnewskij wurde wütend und schrie ihn an: »Aha, jetzt kenne ich dich: Du hast dich an sie herangemacht ... Hast geglaubt, sie werde mich mit dir vertauschen?«

»Was denken Sie, Euer Gnaden ...«

»Nichts ›Euer Gnaden‹, meine Gnaden sind dir nur soweit gnädig, daß ich dich, als dein geistlicher Sohn, nicht prügeln lasse. Aber du sollst fort von hier, und ich lasse dich durchs Dorf führen, damit die Leute wissen, was für ein Taugenichts du bist.«

Man packte den Unglücklichen, zog ihn aus, steckte ihn in einen alten Getreidesack, aus dessen Schlitz nur der Kopf herausschaute, schüttete ihm Flaumfedern über den Kopf und führte ihn in diesem Aufzug durch das ganze Dorf.

Der Geistliche fuhr in die Stadt, reichte eine Klage ein und bat um seine Versetzung, die er auch erhielt. Für Stepan Iwanowitsch blieb dieser Vorfall im übrigen ohne alle unangenehmen Folgen.

Eine gewisse Vergeltung übte der beleidigte Geistliche selbst, aber seine Rache war lächerlich und kam sehr spät. Sie wurde erst viele Jahre später offenbar, als Stepan Iwanowitsch eine seiner Töchter verheiraten wollte. Er forderte damals einen Auszug aus dem Taufregister, wo man unerwarteterweise die dumme und ganz sinnlos hineinkorrigierte Eintragung fand, daß dem Stepan Iwanowitsch und seiner ehelichen Gattin eine uneheliche Tochter geboren wurde.

Es war sinnlos und konnte Stepan Iwanowitsch keinen ernstlichen Schaden verursachen, aber es brachte ihn schrecklich auf. Wie durfte man sich mit ihm einen solchen Scherz erlauben! Und wer? – Der Pope! Zudem konnte er es nicht mehr heimzahlen, weil der Pope P. Platon nach Gottes Ratschluß schon früher gestorben war.

Sonst hätte ihn Stepan Iwanowitsch auch in einem anderen Kirchspiel zu finden gewußt ...

Fünfzehntes Kapitel

Dergestalt waren die wilden Taten dieses Originals, die jetzt, in unserer vielgescholtenen Zeit unmöglich wären oder die man heute bestimmt seiner Psychopathie zugeschrieben hätte. Selbst Wischnewskijs Geschmack und seine Gefühle spiegelten seine seelische Anormalität wieder. So hatte er zum Beispiel für die Schönheit der Natur nichts übrig und liebte ausschließlich die Nacht und die Effekte der Gewitter. In der Tierwelt liebte er nur Tauben und Pferde. Die Tauben liebte er, weil sie sich küssen, und die Pferde, weil sie Schnelligkeit und eine Stimme haben ... ja, so außerordentlich liebte er die Pferdestimme, das heißt ihr Wiehern. Um sich das eine seiner Vergnügen zu verschaffen, hielt er sich vor seinen Fenstern einen großen Taubenschlag und ergötzte sich oft ganze Stunden daran, zuzusehen, wie sie sich küßten. Dann rief er Stepanida Wassiljewna zu diesem Schauspiel herbei: »Schau – sie küssen sich!«

Des Wieherns halber ritt Stepan Iwanowitsch stets Hengste und blieb ganz gleichmütig, wenn sie ein Gespann in Unordnung brachten. Daran lag ihm nicht viel, wo er aber Pferde wiehern hörte, auf der Straße oder aus einem Haus, blieb er sogleich stehen, hielt den Finger vor sich und erstarrte ... Kein Musiknarr hat vielleicht so leidenschaftlich der Calzolari, Tamberlik oder der Patti gelauscht.

Der Lieblingsanblick Wischnewskijs war seine prachtvolle Pferdeherde, unter der ein mächtiger, schöner Hengst einhergaloppierte. Hörte Stepan Iwanowitsch sein Wiehern selbst nur aus der Ferne, so hielt er an, und sein Gesicht hatte den Ausdruck vollsten Glückes. Es schien, als ob seine Augen, ungeachtet der räumlichen Entfernung, sahen, wie sich das Pferd aufbäumte, die Luft durch Nüstern und Zähne einzog und in Leidenschaft glühend dahinstürmte.

»Hörst du es, Stepanida Wassiljewna?«

»Ja, mein Freund, ich höre.«

Alles, was ihren Mann erfreute, machte auch sie glücklich, und so zeigte sie auch hier Freude ... Und Stepan Iwanowitsch wußte es zu schätzen.

Er war sechzig Jahre alt, als Stepanida Wassiljewna starb. Er beweinte sie sehr, ging dann aber, trotz seines schon vorgerückten Alters eine zweite Ehe mit einem hübschen achtzehnjährigen kleinrussischen Mädchen aus der Familie Gordienko ein. Auch mit dieser Gemahlin lebte er glücklich, aber ... er gedachte immer Stepanida Wassiljewnas. Trotz ihrer vielen Vorzüge, verstand es seine zweite junge Gemahlin nicht, auf all seine Schwächen und Sonderlichkeiten einzugehen. Stepan Iwanowitsch zeigte ihr die küssenden Tauben nicht und wollte sie auch nicht fragen, ob sie es höre, wie der Sultan der Herde seine schmetternde Stimme ertönen ließ, sie in Triller auflöste und sie dann um eine Oktav senkte ...

Wischnewskij hatte einmal versucht, die Aufmerksamkeit seiner neuen Frau darauf zu lenken, aber sie hatte sich gefühllos gezeigt – war nicht einmal aufgestanden und hatte nicht gelächelt, sondern nur kalt gesagt: »Ja, ich höre, da hat ein Pferd irgendwo gewiehert.« Und damit nahm sie ihre Arbeit wieder auf ...

Stepan Iwanowitsch sah ein, daß seiner neuen Frau das mangelte, was der ersten eigen gewesen war, und zog sie nie mehr in den Kreis von Begriffen hinein, die ihr unzugänglich waren.

In Augenblicken seelischer Wallungen seufzte er nur auf, suchte mit den Augen das Bildnis Stepanida Wassiljewnas und lächelte ihr zu.

Sechzehntes Kapitel

Mit seiner zweiten Gemahlin lebte Wischnewskij noch rund zwanzig Jahre, im Genusse unveränderlicher Gesundheit, und starb zu Beginn seines neunten Jahrzehntes. Im ganzen war er zweiundachtzig Jahre alt geworden. Hinfälliges Greisentum oder ein langsames, allmähliches Dahinsterben blieben ihm erspart. Als seine Stunde gekommen war, ging er ganz plötzlich dahin, wie eine überreife Himbeere vom Stiel fällt.

An einem Morgen seines dreiundachtzigsten Jahres, im Frühling, wenn in Kleinrußland verschwenderisch der Flieder blüht, ritt Stepan Iwanowitsch eine wilde nogaische Stute zu, die sonst niemanden im Sattel duldete.

Mit Hilfe seiner ungewöhnlichen Kraft und seiner ungewöhnlichen Schwere brachte er die wilde Stute zur Erschöpfung. Vom Sattel steigend, übergab er die Zügel den Pferdeknechten, trat auf den Balkon und blieb plötzlich stehen ...

Es schien Wischnewskij, als falle sein Herz . Er sei lange geritten, hätte sich im Sattel geschüttelt, und nun sei das Herz abgerissen ... So ganz ohne Schmerz, ohne Beschädigung, wie eine überreife Beere fällt. Um ihn war es leer, und plötzlich begann sich alles zu verschieben, wie Uhrgewichte, deren Seil vom Rad geglitten ist.

Wischnewskij setzte sich schnell in einen Sessel und wollte etwas sagen, aber über seine Lippen kam kein Laut. Alles war so schön, ringsum Blüten und Duft. Er sieht und hört alles und begreift ... Da haben eben die Pferdeknechte der schweißigen Stute den Sattel abgenommen und führen sie längs der schattigen Mauer. Sie ruht aus, schüttelt sich, und von dem weißen Schaum, der sie bedeckt, fliegen leichte Flocken durch die Luft. Hinter der Mauer des Pferdestalls hallt das Stampfen kräftiger Vorderhufe auf den Fliesen wider, und es tönt laut und wohlklingend wie ein Fagott: I-ha-ha!

Stepan Iwanowitsch ließ die Augen nach rechts und links schweifen ... Sie suchten das Bildnis Stepanida Wassiljewnas, aber dann blieben sie an einem blühenden Fliederstrauch haften, und er lächelte ...

Es ist anzunehmen, daß er dort Stepanida Wassiljewna selbst mit ihrem länglichen Schubinskij-Gesicht sah – er fiel vom Stuhl zu ihren Füßen nieder – als Toter. In jenem anderen Leben haben sich die beiden wohl wiedererkannt.


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