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Der weiße Adler

»Vom Brote träumt der Hund,
der Fischer träumt vom Fische.«

Theokrit (Idyllen)

 

Erstes Kapitel

Es gibt mehr Dinge auf der Welt. Mit diesen Worten läßt man bei uns gewöhnlich Geschichten dieser Art beginnen, um sich mit Shakespeare vor den Pfeilen des Scharfsinns, für den es auf Erden nichts Unbekanntes mehr gibt, zu decken. Ich allerdings, ich glaube immer noch, daß es »Dinge gibt«, und zwar sehr sonderbare und unverständliche, die man manchmal als übernatürlich bezeichnet, und höre darum gerne solche Erzählungen an. Und so habe ich mich denn vor zwei, drei Jahren, als wir, in die Kindheit zurückfallend, grade Geisterseherei zu spielen begannen, gerne einem jener Kreise angeschlossen, deren Regeln vorschrieben, daß an keinem der Abende weder von der Obrigkeit noch vom Ursprung der irdischen Welt gesprochen werden dürfte, sondern einzig von den körperlosen Geistern – von ihrem Auftreten und Mitwirken in den Schicksalen der lebenden Menschen. Sogar »Rußland zu erhalten und zu retten« war untersagt, denn auch in diesem Falle gab es viele, die, »von der Gesundheit ausgehend, alles auf die gottselige Ruhe zurückführten«.

Aus diesem Grunde wurde auch jede Erwähnung irgendwelcher »großer Namen« auf das strengste verfolgt, mit einziger Ausnahme des Namens Gottes, den man ja, wie sattsam bekannt, am häufigsten in der Form einer schönen Redewendung anwendet. Freilich gab es auch gelegentlich Verstöße, aber man befleißigte sich im allgemeinen der größten Vorsicht. Und nur hie und da konnte man zwei der ungeduldigsten Politiker wahrnehmen, die sich etwa zum Fenster schlugen oder zum Kamin und dort flüsterten, wobei immer einer den anderen warnte: »pas si haut!« Und der Wirt äugte schon hin und drohte, freilich mehr zum Spaß, mit der Strafe.

Ein jeder mußte in der Reihenfolge irgendeine phantastische Begebenheit aus seinem Leben erzählen, da jedoch lange nicht einem jeden die Fähigkeit zu erzählen gegeben ist, wurde die künstlerische Seite der Erzählungen nicht beanstandet. Es wurde auch kein Beweismaterial verlangt. Denn teilte der Erzählende zuvor mit, daß er die von ihm zu erzählende Begebenheit tatsächlich erlebt hätte, so glaubte man ihm oder man gab sich zum mindesten den Anschein, ihm zu glauben. Das schrieb die Etikette vor.

Hauptsächlich interessierte mich am Ganzen die rein subjektive Seite. Daran, daß es »mehr Dinge auf der Welt gibt, von denen auch die Weisen nichts wissen« – daran zweifelte ich nicht, aber wie diese Dinge sich dem andern darstellten, das interessierte mich höchlichst. Und in der Tat, das Subjektive, das Persönliche war hier der größten Aufmerksamkeit wert. Wie große Mühe sich ein Erzähler auch gäbe, in die höhere Sphäre der körperlosen Welt zu dringen, immer doch wird unwillkürlich bemerkbar, daß der fremde Gast von jenseits des Grabes ein wenig gefärbt in diese Welt tritt, so wie ein Lichtstrahl gefärbt wird, der durch ein farbiges Glas dringt. Und da kennt sich keiner mehr aus, was Lüge ist, was Wahrheit, aber es ist immer von Interesse, das zu verfolgen, und einen solchen Vorfall will ich hier erzählen.

 

Zweites Kapitel

»Märtyrer du jour« oder Erzähler in der festgesetzten Reihenfolge war diesmal eine ziemlich hochgestellte und zudem sehr originelle Persönlichkeit, Galaktjón Iljitsch, scherzhaft auch der »mißgeborene Würdenträger« genannt. Hinter diesem Scherznamen verbarg sich eine Art von Kalauer: denn war er auch in der Tat so was wie ein Würdenträger, so war er doch andrerseits fast mißgestalt hager und zudem von keiner nennenswerten Herkunft. Galaktjón Iljitschs Vater war noch Leibeigener gewesen und Speisemeister in einem hochherrschaftlichen Hause; späterhin wurde er Branntweinpächter und endlich Wohltäter und Kirchenstifter, und das sicherte ihm in diesem vergänglichen Leben einen Orden und in jenem zukünftigen – den Platz im Himmelreiche. Den Sohn schickte er auf die Universität und brachte ihn unter Menschen, aber das »ewige Angedenken«, das man über seinem Grabe im Newskij-Kloster ihm nachsang, das erhielt sich leider und hing bedrückend über seinem Erben. Der Sohn des »Leibeigenen« erkletterte zwar gewisse Würden und wurde auch in der Gesellschaft geduldet, aber dennoch blieb der Titel des »Mißgeborenen« an ihm haften.

Es gab wohl niemand, der über Galaktjón Iljitschs Verstand oder über seine Talente ein klares Urteil hätte fällen können. Wozu er fähig war und wozu nicht, – das wußte niemand genau zu sagen. Seine Dienstliste war kurz und einfach: dank der Umsicht seines Vaters war er gleich zu Beginn seiner Dienstzeit in das Ressort des Grafen Viktor Nikítitsch Pánin geraten, der dem alten Herrn auf Grund gewisser ihm bekannter Eigenschaften sehr gewogen war und nun den Sohn unter seine Fittiche nahm und ihn ziemlich schnell avancieren ließ, und zwar über jenen Rang hinaus, von wo es dann von selber »vorwärts« geht.

Es ist jedenfalls anzunehmen, daß er gewisse Vorzüge hatte, die den Grafen veranlaßten, ihn so schnell zu befördern. In der Gesellschaft aber, in der großen Welt hatte Galaktjón Iljitsch keinerlei Erfolg, und was gar die Freuden des Lebens betraf, so konnte man von ihm nicht behaupten, daß er hierin verwöhnt war. Seine Gesundheit war durchaus schwankend und mäßig und sein Äußeres geradezu fatal. Er war genau so lang wie sein verstorbener Patron, der Graf Viktor Nikititsch, – aber ihm fehlte vollkommen das Imponierende der gräflichen Größe. Im Gegenteil, Galaktjón Iljitsch konnte man nur mit einem gewissen Schaudern betrachten, gemischt mit einem eigenartigen Abscheu. Denn sah er einerseits wie ein typischer Dorflakai aus, so glich er andererseits wiederum dem typischen lebenden Leichnam. Eine dünne graue Haut spannte sich über seinen langen und dürren Körper, seine unverhältnismäßig hohe Stirn war schmal und gelb, auf seinen Schläfen aber lag die grünliche Blässe eines Sterbenden, und seine breite und kurze Nase glich der eines Totenschädels; auch nicht die leiseste Andeutung von Augenbrauen war zu bemerken, der Mund mit den blitzenden viel zu langen Zähnen war immer ein wenig geöffnet, die dunklen und trüben Augen blickten farblos und lagen in völlig schwarzen und tiefen Höhlen.

Man mußte erschrecken, wenn man ihm begegnete.

Eine besondere Eigentümlichkeit seines Äußeren war auch die, daß er in seiner Jugend noch viel schauderhafter war und gegen das Alter hin nach und nach besser auszusehen begann, so daß man ihn späterhin ohne Furcht ansehen konnte.

Und dennoch war sein Charakter weich, er hatte ein gutes, gefühlvolles und, wie wir sogleich sehen werden, sogar sentimentales Herz. Er träumte gern, aber wie die meisten Menschen mit häßlichen Gesichtern verbarg auch er seine Träume tief. In seiner Seele war er viel mehr Poet als Beamter und leidenschaftlich liebte er das Leben, obwohl es ihm nie vergönnt gewesen war, es in vollem Maße zu genießen.

Sein Unglück trug er still und wußte nur zu gut, daß es unvermeidbar war und ihn bis zum Grabe verfolgen würde. Ja, sogar in seiner Dienstbeförderung wurde ihm eine reichliche Schale der Bitternis zuteil, denn schon bald schwante ihm, daß Graf Viktor Nikititsch ihn als Referenten nur deswegen bei sich behielt, weil er auf die Bittsteller einen qualvollen Eindruck machte. Galaktjón Iljitsch sah nur zu deutlich, daß noch einem jeden, der ihm, bevor er vom Grafen empfangen wurde, den Zweck seines Kommens zu schildern hatte, der Blick sich trübte und die Knie schlotterten … Und schon hierdurch wurde die Wirkung erzielt, daß hernach im persönlichen Gespräch mit dem Grafen selber ein jeder Besucher einen leichten und freudigen Eindruck gewann.

Aber mit den Jahren wurde Galaktjón Iljitsch aus einem Referenten selber zu einer Persönlichkeit, der man referierte, und man übertrug ihm sogar eine sehr ernste und verzwickte Untersuchung in einer entfernten Ortschaft, wo ihm eben jenes übernatürliche Ereignis zustieß, von dem wir nunmehr seine eigene Erzählung folgen lassen wollen.

 

Drittes Kapitel

Vor etwas mehr als fünfundzwanzig Jahren, begann der mißgeborene Würdenträger, verbreiteten sich in Petersburg Gerüchte über den Gouverneur P–w, daß er in hohem Maße seine Macht mißbrauche. Die Mißbräuche waren zahllos und fast alle Verwaltungszweige schienen in Mitleidenschaft gezogen zu sein. Man schrieb uns, daß der Gouverneur eigenhändig Menschen schlage und sogar prügle, daß er gemeinsam mit dem Adelsmarschall für seine Betriebe die ganze örtliche Schnapslieferung eingezogen, daß er eigenmächtig Anleihen aus der Kasse nähme, daß er sich von der Post die gesamten Briefschaften kommen ließe und daß nur das ihm Zusagende befördert würde, während er alles, was ihm nicht paßte, zerriß und ins Feuer warf und sich nachher an den Schreibern rächte, und endlich, daß er Menschen ihrer Freiheit willkürlich beraube und sie schmachten ließe. Und dabei war er ein Kunstliebhaber, unterhielt ein reich besetztes und ausgezeichnetes Orchester, liebte klassische Musik und spielte selber vortrefflich das Cello.

Geraume Zeit hindurch blieb es bei Gerüchten über die Unzuträglichkeiten, aber dann fand sich dort ein kleiner Beamter, der nach Petersburg wollte, die ganze Epopöe mit allen Details auf das genaueste schilderte und alles in die richtigen Hände legte.

Die Sache war derart, daß man eigentlich sofort einen Senator hätte hinschicken müssen, um eine Untersuchung einzuleiten. Und das wäre wohl auch geschehen, wenn nicht der Gouverneur und der Adelsmarschall sich der Gunst des verstorbenen Kaisers erfreut hätten; unter diesen Umständen aber war es nicht ganz so einfach, sie zu packen. Darum zog Graf Viktor Nikititsch es vor, sich vorher auf das genaueste durch einen seiner eigenen Leute informieren zu lassen und seine Wahl fiel auf mich.

Er läßt mich rufen und sagt:

»So und so, die und die traurigen Nachrichten sind zu uns gedrungen und sie scheinen bedauerlicherweise zutreffend zu sein; bevor jedoch die Angelegenheit ins Rollen gebracht wird, wünsche ich mich noch mehr zu vergewissern und habe hierzu Sie ausersehen.«

Ich verneige mich und antworte: »Wenn es in meinen Kräften steht, so werde ich mich sehr glücklich schätzen.«

»Ich bin davon überzeugt,« entgegnete der Graf, »daß Sie es können und ich verlasse mich ganz auf Sie. Sie haben eben diese Begabung: Ihnen wird man kein dummes Zeug vorschwatzen, sondern wird Ihnen gegenüber mit der Wahrheit herausrücken.«

»Mit dieser Gabe«, erklärte der Erzähler mit einem leisen Lächeln, »meinte er meine traurige Erscheinung, die freilich geeignet ist, eine ganze Front zu bedrücken; aber was wem gegeben ist, damit soll er sich auch durchschlagen.«

»Ihre Papiere liegen bereit,« fuhr der Graf fort, »und das Geld für Sie ist angewiesen. Jedoch geschieht Ihre Reise ausschließlich im Auftrage unseres Ressorts … Sie verstehen mich, ausschließlich!«

»Ich verstehe,« entgegne ich.

»Um die Mißbräuche in den anderen Ressorts kümmern Sie sich scheinbar überhaupt nicht. Aber es ist selbstverständlich, daß Sie sich nur scheinbar um nichts kümmern, in der Tat müssen Sie alles in Erfahrung bringen. Zwei geschickte Beamte reisen mit Ihnen. Wenn Sie ankommen, machen Sie sich sofort an die Arbeit und kümmern sich am offensichtlichsten um die Bureauordnung und um die Art der Gerichtspflege und schauen sich insgeheim nach allem anderen um … Beordern Sie die dortigen Beamten zu sich, damit Sie ihnen Aufklärung geben und … seien Sie streng. Beeilen Sie sich nicht, zurückzukommen. Ich laß Sie wissen, wann wir Sie zurückerwarten. Welches war doch gleich Ihre letzte Auszeichnung?«

Ich entgegne: »Wladimir der zweiten Klasse mit der Krone.«

Mit seiner riesigen Hand hob der Graf den bekannten schweren bronzenen Briefbeschwerer »das erschlagne Vöglein« auf und zog darunter sein ständiges Notizheft hervor, darauf ergriff er mit den fünf Fingern der rechten Hand den dicken und geradezu gigantischen Bleistift aus Ebenholz und schrieb ohne es vor mir zu verbergen meinen Namen hin und dazu: »Weißer Adler.«

Mithin kannte ich nun die Auszeichnung, die mich für die Durchführung des mir erteilten Auftrages erwartete, und fuhr befriedigt am nächsten Tage aus Petersburg fort.

Mein Diener Jegór fuhr mit mir und die zwei Senats-Beamten, – beides geschickte und gesellschaftlich gewandte Leute.

 

Viertes Kapitel

Unsere Reise ging, wie es sich von selber versteht, gut von statten; angekommen, war es unser erstes, uns eine Wohnung zu mieten und uns in ihr einzurichten: ich, meine zwei Beamten und der Diener.

Die Räume waren so bequem, daß ich eine noch angenehmere Wohnung, die mir der Gouverneur auf das zuvorkommendste anbot, ruhig ablehnen konnte.

Denn ich wollte wohlweislich vermeiden, ihm auch nur für das geringste Dank schulden zu müssen, obwohl wir einander freilich unseren Besuch abstatteten und ich ferner ein- oder zweimal zu seinen Haydnschen Quartetten eingeladen war. Aber weder bin ich ein Kenner noch bin ich ein Liebhaber von Musik und begreiflicherweise konnte es auch nicht in meinen Absichten liegen, mich ihm mehr als unbedingt notwendig war zu nähern, denn ich war ja nicht da, um seine Liebenswürdigkeiten kennenzulernen, sondern seine dunklen Taten.

Der Gouverneur war übrigens ein kluger und gewandter Mann, der mir mit übertriebenen Aufmerksamkeiten nicht lästig fiel. Es machte sogar den Eindruck, als sähe er seelenruhig zu, wie ich mich mit den ein- und auslaufenden Registern und Protokollen beschäftigte, trotz alledem jedoch fühlte ich, wie es unablässig rings um mich herum wühlte, und ich merkte, wie gewisse Leute ihre Fühler ausstreckten, um herauszubekommen, von welcher Seite man mich packen könnte, um mich späterhin unschädlich zu machen.

Zur Schande des menschlichen Geschlechtes muß ich erwähnen, daß auch die Vertreterinnen des schönen Geschlechtes hieran nicht unbeteiligt waren. Bald mit Klagen, bald mit Bitten erschienen allerhand Damen bei mir, aber immer hatten sie noch Hintergedanken, über die ich geradezu staunen mußte.

Eingedenk des Rates des Grafen Viktor Nikititsch war ich »streng« und so verschwanden denn die graziösen Erscheinungen nach und nach von meinem nicht für sie geeigneten Horizonte. Meine Beamten hatten freilich in dieser Hinsicht Erfolge aufzuweisen. Ich wußte das und hinderte sie nicht, den Weibern nachzustellen und sich für die einflußreichen Männer auszugeben, für die man sie überall hielt. Es war mir sogar von Nutzen, daß sie dort irgendwo in der Gesellschaft verkehrten und in der Eroberung von Herzen Fortschritte machten. Ich verlangte einzig, daß es zu keinem Skandal kommen dürfte und daß mir alles mitgeteilt würde, besonders aber welche Seiten ihrer Umgänglichkeit am heftigsten von der Provinzpolitik bearbeitet würden.

Beide waren pflichtbewußt und erzählten mir, was sie wußten. Alle wollten meine Schwächen von ihnen erfahren und wollten erkunden, was ich besonders liebe.

Letzteres hätte niemand herausbekommen können, denn Gott sei Dank kann ich mich rühmen, keine besonderen Schwächen zu haben und auch mein Geschmack war, seit ich mich erinnern kann, immer schon leicht zu befriedigen. Mein Leben lang habe ich mich stets an einen einfachen Tisch gehalten, ich trinke meistens nie mehr als ein Glas gewöhnlichen Sherrys, und sogar was Leckerbissen anbetrifft, die ich als Kind sehr liebte, – so ziehe ich dem feinsten Gelee und der köstlichsten Ananas eine Wassermelone aus Astrachan, eine Birne aus Kursk oder gar nach Art der Kinder einen Honigkuchen vor. Ich beneidete keinen seines Reichtums wegen oder weil er berühmt war, schön oder besonders glücklich, – beneidenswert schien mir einzig und allein die Gesundheit zu sein. Aber dies Gefühl wird mit dem Ausdruck »Neid« in eine schiefe Beleuchtung gestellt. Wenn ich einen Menschen sah, dessen Gesundheit blühend war, so entstand nicht etwa verärgert der Gedanke in mir: warum ist er so und warum bist du nicht so? Im Gegenteil, ich sah ihn an und freute mich für ihn, welch ein Meer von Glückseligkeiten und schönen Dingen ihm erreichbar sei, und manchmal träumte ich auch bald so, bald anders von dem für mich unerreichbaren Glück, jene Gesundheit, die mir nicht gegeben war, zu erlangen.

Der Genuß, den mir der Anblick eines gesunden Menschen bereitet, hat auch in meinem ästhetischen Geschmack einige sonderbare Neigungen gezeitigt: mich zogen weder die Taglioni noch Bosio an, und überhaupt sagten mir sowohl die Oper als auch das Ballett nicht viel, denn dort war alles künstlich, ich zog ihnen die Zigeuner auf dem Krestowskij bei weitem vor. Ihr Feuer, ihr Eifer, die leidenschaftliche Kraft ihrer Bewegungen, das war es, was mir mehr als alles gefiel. Und ist auch manch einer von ihnen gar nicht schön oder gar pockennarbig, aber tanzt er, so ist es, als ob ihn der Satan reite: die Beine hüpfen, die Arme schlüpfen, der Kopf biegt sich, die Taille wiegt sich – der ganze Körper ein Stampfen und Hämmern. Und wenn man an sich selber nichts als Siechtum kennt, da kommt man unwillkürlich ins Schauen und aus dem Schauen ins Träumen. Was könnte man alles auf dem Fest des Lebens ausrichten, wenn man dieses hätte?

Und so sagte ich denn zu meinem Beamten:

»Wenn man Sie, mein Lieber, noch weiter ausfragen sollte, was mir am besten gefiele, so antworten Sie, es sei Gesundheit und ich liebte frische, glückliche und muntere Leute am meisten.«

»Nicht wahr, darin kann doch niemand eine zu große Unvorsichtigkeit erblicken?« fragte der Erzähler, indem er seine Geschichte unterbrach.

Die Zuhörer dachten nach und einige Stimmen entgegneten:

»Selbstverständlich, niemand!«

»Ja freilich, das dachte auch ich, aber nun hören Sie einmal weiter.«

 

Fünftes Kapitel

Ein Beamter war mir zugeteilt worden, der bei mir Dienst tat und mir tagsüber zur Verfügung stand. Er meldete mir, wer mich zu sprechen wünschte, machte sich Notizen und teilte im Notfall Adressen mit, wenn jemand geholt oder etwas in Erfahrung gebracht werden mußte. Dieser Beamte paßte gut zu mir – er war nicht mehr jung, er war dürr und verdrossen. Er machte keinen angenehmen Eindruck und ich beachtete ihn wenig, er hieß, wenn ich mich recht erinnere, Ornatskij. Der Name war prächtig, er hätte zu einem Helden aus einem altertümlichen Roman gepaßt. Da hieß es eines Tages, Ornatskij sei krank und man hätte mir einen neuen Beamten zukommandiert.

»Warum einen neuen?« fragte ich. »Wäre es nicht vielleicht besser gewesen, zu warten, bis Ornatskij wieder gesund wird?«

»Oh, nein,« entgegnet der Exekutor, »das wird nicht so bald erfolgen, – es ist die Trunksucht, und die dauert bei ihm so lange, bis nicht Iwán Petrówitschs Mutter ihn davon kuriert: bezüglich des neuen Beamten brauchen Sie sich nicht zu beunruhigen: an Stelle von Ornatskij hat man Ihnen Iwan Petrowitsch selber zugeteilt.«

Ich schaue ihn an und verstehe ihn nicht ganz: wer ist das, dieser Iwan Petrowitsch selber, von dem er mir erzählt und dessen Namen er in einer Minute zweimal nennt?

»Was ist das«, spreche ich, »für ein Iwan Petrowitsch?«

»Iwan Petrowitsch! … das ist doch der, der in der Registratur arbeitet, der Gehilfe. Ich dachte, er wäre Ihnen aufgefallen: er ist der hübscheste Beamte, man bemerkt ihn allgemein.«

»Nein,« entgegnete ich, »ich hab ihn nicht gesehn; und wie heißt er?«

»Iwan Petrowitsch.«

»Und sein Familiennamen?«

»Sein Familiennamen …«

Der Exekutor wurde verlegen, er legte die Finger an die Stirne und dachte tief nach und fügte schließlich mit einem respektvollen Lächeln hinzu:

»Verzeihen, Exzellenz, man ist manchmal ganz konfus, mir wollte sein Namen nicht einfallen. Er heißt Aquilalbow, aber wir nennen ihn allgemein Iwan Petrowitsch und manchmal aus Scherz den »weißen Adler«, weil er eben so hübsch ist. Ein vortrefflicher Mensch, den die Obrigkeit sehr schätzt, sein Gehalt als Gehilfe beträgt vierzehn Rubel und fünfzehn Kopeken und er lebt bei seinem Mütterchen, die manchmal die Karten schlägt und hie und da auch jemand kuriert. Darf ich ihn Ihnen vorstellen? Iwan Petrowitsch wartet draußen.«

»Wenn es also notwendig ist, dann bitten Sie ihn hereinzukommen, diesen Iwan Petrowitsch.«

Der weiße Adler! … denke ich unterdessen, ist das nicht sonderbar? Ich sollte doch den Orden »weißer Adler« erhalten und nicht diesen Iwan Petrowitsch.

Der Exekutor öffnete inzwischen die Tür und rief:

»Iwan Petrowitsch, darf ich bitten!«

Wenn ich ihn Ihnen beschreiben wollte, Sie würden lachen, denn welche Vergleiche ich auch wählte, Sie müßten sie für Übertreibungen halten, aber ich versichere Ihnen, daß, wie sehr ich mir auch Mühe gäbe, Iwan Petrowitsch zu schildern – meine Malerei doch nur imstande wäre, höchstens die Hälfte der Schönheiten des Originals wiederzugeben.

Vor mir stand ein wahrhafter »weißer Adler«, ein leibhaftiger Aquila alba, wie man ihn auf den Galaempfängen im Olymp abgezeichnet sieht. Es war ein großer, kräftiger, aber außerordentlich wohlproportionierter Mann, der so gesund aussah, als hätte ihn nie Leidenschaft verbrannt, als wäre er nie krank gewesen und als ob niemals weder Langeweile noch Müdigkeit über ihn gekommen wären. Er atmete Gesundheit, aber nichts Prahlerisches lag darin, harmonisch war alles und anziehend. Iwan Petrowitschs Gesichtsfarbe war rosig, die Backen lebhaft rot und umrahmt von hellblondem Flaum, der freilich hier und da schon ein gehöriges Wachstum aufwies. Er war genau fünfundzwanzig Jahre alt, seine Haare waren blond und leicht gewellt, sein Bärtchen ebenso, und blau schauten die Augen unter dunklen Brauen, beschattet von dunklen Wimpern. Der sagenhafte Held Tschuríla konnte nicht besser aussehn. Und fügen Sie dann noch den kühnen, verständigen und heiter offenen Blick dazu und Sie haben das Bild eines vollkommen schönen Menschen. Er trug die kleine Uniform, die ihm wie angegossen saß, und ein breites dunkelgranatrotes Halstuch.

Damals trug man nämlich noch Halstücher.

Ich konnte mich an Iwan Petrowitsch nicht sattsehen und redete ihn, da es mir bekannt war, daß ich auf Menschen, die mich zum erstenmale sahen, einen niederschlagenden Eindruck mache, möglichst herzlich an: »Guten Tag, Iwan Petrowitsch!«

»Guten Morgen zu wünschen, Exzellenz!« entgegnete er mit einem seelenvollen Klang in der Stimme, die mir ebenfalls außerordentlich sympathisch war.

Obwohl seine Antwort eine solche war, wie sie Soldaten ihren Vorgesetzten zu geben pflegen, so verstand er es doch meisterhaft, dem Ton eine natürliche und durchaus erlaubte Schalkhaftigkeit zu geben, und durch diese Antwort wurde das ganze fernere Gespräch bestimmt, da es den Charakter einer ungezwungenen Plauderei im Familienkreise annahm.

Und mir wurde verständlich, wieso es kam, daß alle diesen Menschen liebten. Ich sah keinen Anlaß, Iwan Petrowitsch diesen Ton zu untersagen und teilte ihm kurzerhand mit, ich freute mich, mit ihm bekannt zu werden.

»Ich darf wohl sagen, daß ich es meinerseits sowohl für eine Ehre als auch für ein Vergnügen halte,« entgegnete er und trat dabei einen Schritt vor.

Wir verneigten uns, der Exekutor verließ mich, Iwan Petrowitsch aber blieb in meinem Vorzimmer.

Nach einer Stunde rief ich ihn herein und fragte:

»Schreiben Sie eine gute Hand?«

»Der Charakter meiner Handschrift ist sehr ausgesprochen,« entgegnete er und fügte sogleich hinzu: »ist es Ihnen gefällig, daß ich etwas hinschreibe?«

»Ich bitte darum.«

Er nahm an meinem Schreibtisch Platz und überreichte mir nach einem Augenblick ein Blatt Papier, auf das er schnell mit seiner »ausgesprochenen Charakterschrift« hingeschrieben hatte: »Das Leben ist uns zur Freude gegeben. Iwan Petrowitsch Aquilalbow.«

Dies lesen und auflachen war für mich eins: besser konnte ja nichts zu ihm passen als das, was dort geschrieben stand. »Das Leben ist uns zur Freude gegeben,« sein ganzes Leben war eine fortgesetzte Freude!

Ein Mensch ganz nach meinem Geschmack! …

Darauf bat ich ihn, eine Abschrift von einem unwichtigen Papier zu machen und er verrichtete diese Arbeit schnell und ohne den geringsten Fehler.

Dann trennten wir uns. Iwan Petrowitsch ging; ich war allein zu Hause und gab mich meinem krankhaften Trübsinn hin, und ich gestehe, daß ich, weiß der Teufel warum, einige Male unwillkürlich an ihn denken mußte, das heißt, an Iwan Petrowitsch. Der ächzte nicht und für ihn gab es keinen Trübsinn. Ihm war das Leben zur Freude gegeben. Aber woher nimmt er sie, diese Freude, mit seinen vierzehn Rubeln? … Hat er am Ende Glück in den Karten, oder nimmt er Schmiergelderchen? … Oder gar die Kaufmannsfrauen? … Und freilich, er trug ja auch so ein frisches granatrotes Halstuch …

Und so sitze ich vor den aufgeschlagenen Akten und Protokollen und denke an sinnloses und mich gar nicht angehendes dummes Zeug, doch da tritt mein Bedienter ein und meldet, der Gouverneur warte draußen.

Ich lasse bitten.

 

Sechstes Kapitel

Der Gouverneur sagt: »Übermorgen wird ein Quintett bei mir gespielt, ich hoffe, daß die Musik gut sein wird, es kommen auch Damen, und da Sie, wie ich höre, in unserer Wildnis ganz melancholisch geworden sind, kam ich, Sie besuchen und Sie auffordern, eine Tasse Tee bei mir zu trinken, – die kleine Zerstreuung wird Ihnen gewiß nicht schlecht bekommen.«

»Ergebenen Dank, und warum glauben Sie denn, daß ich melancholisch geworden sei?«

»Eine Bemerkung von Iwan Petrowitsch.«

»Ach, Iwan Petrowitsch! Der Beamte, der jetzt bei mir du jour ist? Kennen Sie ihn denn?«

»Freilich, freilich. Unser Student, unser Artist und Chorist, wenn auch nicht Affairist.«

»Er ist also kein Affairist?«

»Nein, er ist glücklich wie Polykrates und braucht keine Affairen. Er ist der Liebling der Stadt und ständiges Mitglied im Departement unserer Lustigkeit.«

»Ist er musikalisch?«

»Er kann alles: Singen, Spielen, Tanzen, Pfänderspiele arrangieren, – alles kann Iwan Petrowitsch. Wo es ein Fest gibt, ist auch Iwan Petrowitsch dabei; eine Lotterie-allegri oder ein Theater zu wohltätigem Zweck, – man braucht Iwan Petrowitsch dazu. Er verteilt die Gewinne und er stellt die Sächelchen viel hübscher als jeder andere auf; er malt die Kulissen und wird eins-zwei-drei aus dem Anstreicher zum Schauspieler, der jede beliebige Rolle spielt. Und wie er spielt! Könige, komische Onkel, feurige Liebhaber, – man kann sich nicht sattschauen, aber ganz besonders gut macht er alte Weiber.«

»Was Sie sagen! Alte Weiber!«

»Erstaunlich! Für übermorgen bereite ich nämlich mit Iwan Petrowitschs Hilfe eine kleine Überraschung vor. Es sollen lebende Bilder gestellt werden. Iwan Petrowitsch hat das übernommen. Selbstverständlich sind einige Bilder darunter, die nur für die Damen, die sich zeigen wollen, sind, aber drei der Bilder werden auch dem wirklichen Kunstkenner etwas zu sagen haben.«

»Und Iwan Petrowitsch macht das?«

»Iwan Petrowitsch. Die Bilder stellen ›Saul bei der Hexe von Endor‹ dar. Das Sujet ist wie bekannt biblisch und die Stellung der Figuren ist ein wenig geschwollen, was man ja im allgemeinen ›akademisch‹ nennt, aber Iwan Petrowitsch reißt alles heraus. Ihn allein werden alle anschaun, – und besonders im zweiten Bild, wenn unsere Überraschung deutlich wird. Ich kann es Ihnen im Vertrauen verraten. Im ersten Bild sehen Sie Saul als König und zwar als König vom Kopf bis zum Fuß! Angezogen ist er wie alle. Nicht der geringste Unterschied, denn es heißt ja, daß Saul verkleidet zur Hexe kam, damit sie ihn nicht erkenne, und doch ist es unmöglich, ihn nicht zu erkennen. Er ist König und zwar der echte biblische Hirtenkönig. Dann fällt der Vorhang und die Figuren verändern schnell ihre Stellungen: Saul liegt auf dem Boden vor dem Geist Samuels. Saul ist jetzt so gut wie nicht mehr da, aber welch einen Samuel werden Sie umhüllt von seinem Leichentuch erblicken! … Ein begeisterter Prophet, auf seinen Schultern ruhen Macht, Größe und Weisheit. Wahrhaftig, dieser konnte dem König befehlen nach Bethel zu gehn und nach Galgala!«

»Und das ist wieder Iwan Petrowitsch?«

»Iwan Petrowitsch! Aber es ist noch nicht zu Ende. Wenn nun das Da capo! kommen wird, – wovon ich überzeugt bin und wozu ich selber beitragen werde, – dann lassen wir uns nicht etwa auf eine ermüdende Wiederholung ein, sondern wir zeigen, wie die Geschichte weiter geht. Das neue Bild aus Sauls Leben wird aber diesmal ohne Saul sein. Das Gespenst ist verschwunden, der König und sein Gefolge haben das Gemach verlassen, in der Tür sieht man noch einen Mantelzipfel der letzten fortschreitenden Person, und auf der Bühne ist nur noch die Zauberin …«

»Wieder Iwan Petrowitsch?«

»Versteht sich! Aber Sie werden keine Hexe zu sehen bekommen wie sie im ›Macbeth‹ dargestellt wird … Kein höllisches Entsetzen, keine Affektiertheit, keine Mätzchen, ein Gesicht werden Sie zu sehen bekommen, das all das weiß, wovon die Weisen sich nicht träumen lassen. Sehen sollen Sie, wie grauenvoll es ist, mit einem zu sprechen, der der Gruft entstiegen ist.«

»Ich kann es mir vorstellen,« entgegnete ich und dabei lag mir der Gedanke völlig fern, daß keine drei Tage vergehen würden, und ich nicht mehr nötig hätte, sie mir vorzustellen, nein, daß ich diese Folter am eigenen Leibe erfahren würde.

Aber all das kam erst nachher, zunächst war ich noch ganz von Iwan Petrowitsch erfüllt, – von diesem lustigen und lebhaften Menschen, der plötzlich da war, so wie ein Steinpilz nach einem warmen Regen aus dem frischen Grase aufschießt, und ist er auch noch nicht groß, der Steinpilz, man steht ihn überall und alle schauen auf ihn und lächeln dabei: »Wie saftig er ist und wie hübsch.«

 

Siebentes Kapitel

Ich erzählte Ihnen bereits, wie der Exekutor über ihn sprach und was der Gouverneur von ihm erzählte; als ich mich aber erkundigte, ob nicht auch einer meiner Beamten weltlicher Richtung von ihm gehört hätte, da fingen beide mit einem Male an, sie seien ihm begegnet und er sei in der Tat sehr nett und sänge famos zur Gitarre und auch mit Klavierbegleitung. Den beiden gefiel er ebenfalls.

Am nächsten Tage erschien der Oberpriester bei mir. Nachdem ich einmal in seiner Kirche gewesen, kam er an jedem Feiertage zu mir und brachte mir die Hostie und klatschte, wie es seine Kirchengewohnheit war, über alle. Er sprach einfach über alle schlecht und machte in dieser Hinsicht auch für Iwan Petrowitsch keine Ausnahme, dafür aber wußte diese Kirchen-Klatschbase nicht nur die Natur einer jeden Sache, sondern auch ihre Herkunft. Von Iwan Petrowitsch fing er selber zu sprechen an:

»Man hat Ihnen einen neuen Beamten gegeben. Das wird seine Ursachen haben …«

»Ja,« entgegnete ich, »ein gewisser Iwan Petrowitsch.«

»Kennen wir, freilich, kennen wir zur Genüge. Mein Schwager, an dessen Stelle ich hierher versetzt wurde, mit der Verpflichtung, die Waisen zu erziehen, der hat ihn getauft … Sein Vater war nicht weit her, kleiner Beamtenadel … später Verwalter … und die Mutter … Kíra Ippolítowna … auch ein Name, – erst den Vater gepflegt und dann ihn geheiratet … Hat aber bald schon die Bitterkeit des Liebeskrautes zu kosten bekommen und wurde darauf Witwe.«

»Und hat sie selber den Sohn aufgezogen?«

»Hat sich was, aufgezogen: fünf Klassen Gymnasium und darauf Schreiber im Kriminalgericht … später hat man ihn zum Gehilfen gemacht … Aber Glück hat er: im vorigen Jahre gewann er auf einer Lotterie ein Pferd mitsamt dem Sattel, und war heuer beim Gouverneur zur Hasenjagd eingeladen … Das Pianino, – als damals die Regimentslotterie war, – das fiel ihm auch zu. Ich hatte fünf Lose genommen und bekams nicht, und er hatte nur eines und auf das eine hin gewann er es. Jetzt spielt er darauf und gibt auch Tatjána Stunden.«

»Tatjana, wer ist das?«

»Ein Waisenkind, das sie zu sich genommen haben, – ganz niedlich … ein braunes Gesichtchen. Der gibt er Stunden.«

Und so verging der Tag in Gesprächen über Iwan Petrowitsch, abends aber höre ich ein Summen im Zimmer meines Dieners Jegór. Ich rufe ihn und frage: »Was ist das da bei dir?«

»Laubsägen tu ich,« antwortete er.

»Laubsägen, wie das?«

Und nun stellte sich heraus, daß Iwan Petrowitsch bemerkt hatte, daß Jegor sich ohne Beschäftigung langweile, und ihm eine Laubsäge und Zigarrendeckel mit daraufgeklebtem Muster gebracht und ihm sogar gezeigt hatte, wie man Untersetzer daraus sägt. Und auch gleich einige für die nächste Lotterie bestellt.

 

Achtes Kapitel

Am Morgen des Tages, an dem Iwan Petrowitsch abends im Hause des Gouverneurs zu spielen und uns mit seinen lebenden Bildern in Erstaunen zu versetzen hatte, wollte ich ihn eigentlich nicht lange aufhalten, aber er blieb bis zum Mittagessen da und brachte mich sogar mehrmals zum Lachen. Ich neckte ihn, es wäre Zeit für ihn zu heiraten, doch er entgegnete, er zöge es vor »ein Mädchen« zu bleiben. Ich versuchte, ihn für Petersburg zu gewinnen.

»Nein, Exzellenz,« erwiderte er, »hier lieben mich alle und hier ist meine Mutter und auch das Waisenkind Tanja ist da, und ich liebe die beiden, und die sind nichts für Petersburg.«

Erstaunlich, wie harmonisch dieser junge Mann war! Seine Liebe zur Mutter und zu dem Waisenkinde rührte mich so, daß ich ihn umarmte, wir trennten uns erst drei Stunden vor dem Beginn der lebenden Bilder.

Zum Abschied sagte ich ihm:

»Ich bin ganz ungeduldig, Sie in den verschiedenen Bildern zu sehn.«

»Sie werden mich bald satt haben,« entgegnete Iwan Petrowitsch.

Er ging, ich speiste allein zu Mittag und machte nachher in meinem Sessel ein kleines Schläfchen, um abends frischer zu sein, aber Iwan Petrowitsch ließ mich nicht einschlafen, denn schon bald darauf störte er mich ein wenig sonderbar aus meiner Ruhe. Mit schnellen Schritten trat er ins Zimmer, stieß geräuschvoll die in der Mitte des Zimmers stehenden Stühle mit dem Fuß beiseite und sagte:

»Nun können Sie mich sehen; aber ich danke gehorsamst, – mit Ihrem bösen Blick haben Sie mich verhext. Dafür werde ich mich rächen.«

Ich fuhr aus dem Schlaf, rief den Diener und befahl ihm, mir meinen Anzug zu bringen, und mußte doch die ganze Zeit über staunen: so deutlich war mir Iwan Petrowitsch im Traum erschienen!

Beim Gouverneur war alles hell erleuchtet und es waren auch bereits viele Gäste da, der Gouverneur aber eilte mir entgegen und flüsterte mir zu:

»Der beste Teil unseres Programms ist hin, aus den Bildern kann nichts werden.«

»Was ist denn geschehn?«

»Pst … ich will nicht laut sprechen, um die allgemeine Stimmung nicht zu verderben. Iwan Petrowitsch ist tot.«

»Wie! … Iwan Petrowitsch! … tot?!«

»Ja, ja, ja, – er ist gestorben.«

»Aber ich bitte Sie, noch vor drei Stunden war er bei mir und pudelgesund.«

»Gewiß, und kam von Ihnen und streckte sich auf den Diwan aus und starb … Und wissen Sie … ich muß es Ihnen sagen, für den Fall, daß seine Mutter … sie ist in einem Zustande, es wäre denkbar, daß sie zu Ihnen käme … Die Unglückliche ist nämlich davon überzeugt, daß an dem Tod ihres Sohnes Sie schuld sind.«

»Aber wie denn? Hat man ihn vielleicht in meinem Hause vergiftet, was?«

»Davon war nicht die Rede.«

»Aber wovon denn?«

»Daß Sie Iwan Petrowitsch mit Ihrem bösen Blick getötet hätten!«

»Aber erlauben Sie mal,« entgegnete ich, »was sind das für Narrheiten!«

»Ja, ja, ja,« meint der Gouverneur, »alles Dummheiten, versteht sich, doch vergessen Sie nicht, wir leben in der Provinz und hier glaubt man viel eher an Torheiten als an Gescheitheiten. Im übrigen brauchen Sie es natürlich nicht weiter zu beachten.«

In diesem Augenblick rief mich die Frau des Gouverneurs zum Kartentisch.

Ich nahm Platz, aber was alles ich während dieses qualvollen Spieles auszustehen hatte, – ich kann es Ihnen gar nicht sagen. Erstens peinigte mich das Bewußtsein, daß dieser liebe junge Mensch, der mir so gut gefallen hatte, jetzt aufgebahrt liege, und zweitens war es mir, als tuschelten alle Anwesenden unablässig von ihm und als zeigten sie auf mich: »durch seinen bösen Blick getötet«. Und es kam mir sogar vor, als hörte ich dieses Wort: »böser Blick, böser Blick,« – nun, und drittens – und ich bitte Sie, mir Glauben zu schenken, – ich sah ihn überall, ihn selber, ich sah Iwan Petrowitsch!  … War etwa mein Auge daran schuld, oder was, – aber wohin ich auch blickte – überall war Iwan Petrowitsch … Bald sah ich ihn im leeren Salon, dessen Türen geöffnet waren, auf und ab gehen, dann wieder sah ich ihn neben zwei anderen, die sich unterhielten, stehen und zuhören. Und plötzlich war er bei mir und sah mir in die Karten … Und natürlich konnte ich in dem Augenblick nicht anders, als töricht ausspielen, – und mein Partner vis-a-vis ärgerte sich darüber. Aber endlich bemerkten es auch die anderen und der Gouverneur flüsterte mir ins Ohr:

»Iwan Petrowitsch läßt Sie nicht spielen: er rächt sich.«

»Ja,« entgegnete ich, »in der Tat, ich bin zerstreut und fühle mich nicht wohl. Ich bitte um Erlaubnis, abrechnen und mich entfernen zu dürfen.«

Man erlaubte es mir und ich fuhr sogleich heim. Aber selbst im Schlitten verließ mich Iwan Petrowitsch nicht, – bald war er neben mir, bald saß er, das Gesicht zu mir gekehrt, neben dem Kutscher auf dem Bock.

Und es schoß mir durch den Kopf: ob das wohl am Ende ein hitziges Fieber sei, das sich anmelde?

Zu Hause war es noch schlimmer. Kaum lag ich im Bett und hatte das Licht ausgelöscht, – da saß Iwan Petrowitsch auf dem Bettrand und diesmal sprach er sogar:

»Sie,« sagte er, »Sie haben mich in der Tat mit dem bösen Blick verhext, und nun bin ich tot, aber doch lag für mich gar keine Notwendigkeit vor, so jung zu sterben. So steht die Sache! … Alle liebten mich und meine Mutter ebenfalls und auch Tanjuscha, die ihre Schule noch nicht beendet hat. Wie groß ist jetzt ihr Kummer.«

Ich rief meinen Diener und bat ihn, so sonderbar es ihm auch erscheinen mochte, auf dem Teppich in meinem Zimmer zu schlafen, aber Iwan Petrowitsch war das gleichgültig, denn wohin ich mich auch wendete – immer war er da und damit basta.

Ich ersehnte ordentlich den Morgen und mein erstes war es, einen meiner Beamten zur Mutter des Verstorbenen zu schicken, und zwar mit dem Auftrage, ihr möglichst taktvoll dreihundert Rubel für die Beerdigung zu übermitteln.

Aber er kehrte zurück und brachte das Geld zurück: »Sie hat es nicht angenommen,« meldete er.

»Und hat sie was gesagt?« fragte ich.

»Sie sagte: es sei nicht nötig, gute Menschen würden ihn beerdigen.«

Also war ich auf der Liste der bösen.

Kaum gedachte ich seiner, da war Iwan Petrowitsch augenblicks da.

Als es dämmerte, kam die Unruhe über mich: ich setzte mich in einen Schlitten und fuhr, um Iwan Petrowitsch im Sarge zu sehen und von ihm Abschied zu nehmen. Das ist ja so hergebracht und ich dachte, ich würde niemand lästig fallen. Und bei mir hatte ich alles, was ich damals entbehren konnte – siebenhundert Rubel, die wollte ich sie bitten anzunehmen und sei es auch nur Tanjas wegen.

 

Neuntes Kapitel

Ich sah Iwan Petrowitsch: der »Weiße Adler« lag da, als wäre er abgeschossen.

Tanja war da. Sie hatte tatsächlich ein bräunliches Gesichtchen und mochte fünfzehn Jahre alt sein, sie trug ein billiges Trauerkleidchen aus Kaliko und hatte immer was am Verstorbenen zu richten. Rückte ihm den Kopf zurecht und küßte ihn.

Eine Qual, das mitansehen zu müssen!

Ich fragte sie, ob es mir nicht möglich sei, die Mutter Iwan Petrowitschs zu sprechen.

Das Mädchen entgegnete: »Schon recht« und ging ins Nebenzimmer, gleich darauf öffnete sie die Tür und forderte mich auf, einzutreten, aber kaum hatte ich das Zimmer, in welchem die alte Frau saß, betreten, da stand diese auf und entschuldigte sich:

»Nein, verzeihen Sie schon, ich habe mich vergebens auf meine Kraft verlassen, – ich kann Sie nicht sehen,« und verließ mit diesen Worten das Zimmer.

Es beleidigte mich nicht und es brachte mich auch nicht in Verwirrung, aber es bedrückte mich und darum wendete ich mich zu Tanja:

»Vielleicht sind Sie, junges Kind, eher imstande, ein wenig freundlich zu mir zu sein. Glauben Sie mit doch: weder wünschte ich, noch hatte ich irgendwelche Ursachen, Iwan Petrowitsch ein Unglück zu wünschen, geschweige denn den Tod.«

»Ich glaube es,« meinte sie, »denn keiner konnte ihm etwas Übles wünschen, alle liebten ihn ja.«

»Und wollen Sie mir glauben, daß auch ich in den zwei drei Tagen, da er um mich war, ihn sehr lieb gewonnen habe?«

»Ja, ja,« entgegnete sie, »oh, diese schrecklichen ›zwei drei Tage‹, – warum nur? Aber Tante ist in ihrem Kummer zu hart gegen Sie gewesen, und mir tun Sie leid.« Und mit diesen Worten streckte sie mir ihre beiden Händchen hin.

Ich nahm sie und sagte:

»Ich danke Ihnen, liebes Kind, dafür; dies Gefühl macht sowohl Ihrem Herzen als auch Ihrem Verstand Ehre. Es ist doch völlig töricht, einen solchen Unsinn zu glauben, ich hätte ihn mit dem bösen Blick verhext!«

»Ich weiß es,« entgegnete sie.

»Nun, dann seien Sie auch lieb … und tun Sie mir einen Gefallen aus Liebe zu ihm!«

»Was für einen Gefallen?«

»Nehmen Sie dieses Kuvert hier … es ist ein wenig Geld darin … zur Bestreitung der Kosten … für die Tante.«

»Sie wird es nicht annehmen.«

»Oder für Sie selber … für Ihren Unterricht, um den sich Iwan Petrowitsch so kümmerte. Ich bin fest davon überzeugt, daß er es gutheißen würde.«

»Nein, vielen Dank, ich kann es nicht annehmen. Er hat niemals und von keinem Menschen Geld genommen. Er war sehr, sehr anständig.«

»Aber Sie kränken mich durch die Ablehnung … Sie sind also auf mich böse?«

»Nein, keineswegs. Ich kann es beweisen.«

Sie öffnete ein auf dem Tisch liegendes französisches Lehrbuch von Ollendorf und nahm hastig eine dort zwischen den Blättern liegende Photographie von Iwan Petrowitsch heraus, gab sie mir und sagte:

»Die hat er hier hereingelegt. Bis zu der Seite kamen wir gestern. Nehmen Sie sie zum Andenken.«

Hiermit endete unsere Zusammenkunft. Am Tage darauf wurde Iwan Petrowitsch beerdigt, ich jedoch mußte noch weitere acht Tage in der Stadt verbringen, und wie quälend war meine Lage. Nachts konnte ich nicht schlafen, jedes Geräusch zwang mich aufzuhorchen und ich öffnete das Fenster, damit wenigstens hie und da eine frische menschliche Stimme von der Straße hereindränge. Aber es half nicht viel: alle sprachen, – wenn ich genau hinhörte, – von Iwan Petrowitsch und von mir.

»Hier,« pflegten sie zu sagen, »hier wohnt dieser Teufel, der Iwan Petrowitsch mit dem bösen Blick verhext hat.«

Oder es singt jemand, durch die Stille der Nacht heimkehrend, und ich höre, wie der Schnee unter seinen Füßen knirscht und vernehme sogar die Worte: »Gestern doch lebt ich noch,« – und gebe ich acht, wenn der Sänger an meinem Hause vorübergeht, dann ist es Iwan Petrowitsch.

Und immer wieder der Oberpriester jammernd und flüsternd:

»Bösen Blick behext und basta, aber das kann man vielleicht mit Kücken so machen, Iwan Petrowitsch jedoch, den hat man vergiftet …«

Einfach qualvoll!

»Aber wer? und warum vergiftet?«

»Aus Angst, damit er Ihnen nicht am Ende alles erzählt … Man hätte seine Eingeweide untersuchen müssen. Schade, daß man nicht an die Eingeweide gedacht hat. Da hätte man Gift drin gefunden.«

Herr! verschone mich wenigstens vor diesem Verdacht!

Plötzlich traf völlig unverhofft ein vertraulicher Brief des Kanzlei-Direktors ein, in welchem er mir den Befehl des Grafen übermittelte, mich auf das zu beschränken, was ich bisher erreicht, und unverzüglich nach Petersburg zurückzukehren.

Ich freute mich darüber, traf sogleich alle Vorbereitungen und reiste nach zwei Tagen ab.

Iwan Petrowitsch ließ auch während der Fahrt nicht ab, mich zu verfolgen, – kaum dachte ich, er sei fort, – da war er wieder da; aber sei es nun durch die Ortsveränderung oder nur dadurch, daß der Mensch sich bekanntlich an alles gewöhnt, ich wurde nach und nach dreister und gewöhnte mich sogar an ihn. Er schwirrte vor meinen Augen, doch es berührte mich nicht mehr so wie zuvor, und zuweilen im Halbschlaf war es sogar, als hätten wir unseren Spaß miteinander. Er droht: »Dir hab ichs gezeigt!«

Und ich antworte:

»Aber deine französischen Stunden hast du dennoch nicht zu Ende geführt!«

Und er entgegnet:

»Macht nichts: ich schlage mich mit Selbstbüffeln ausgezeichnet durch.«

 

Zehntes Kapitel

In Petersburg eingetroffen, fühlte ich sofort, daß man mit mir nicht eigentlich unzufrieden war, sondern schlimmer, ich wurde mit einem gewissen Mitleid betrachtet, sonderbar genug.

Den Grafen sah ich alles in allem nur eine Minute und er sprach in dieser kein Wort, dem Direktor aber, der eine Verwandte von mir zur Frau hatte, sagte er nachher, ihm käme vor, ich sei nicht ganz gesund …

Es erfolgte keine weitere Erklärung. Eine Woche darauf war Weihnachten und dann kam das neue Jahr. Und wie immer, versteht sich, der Festtagstrubel und die Erwartung der Auszeichnungen. Mich regte es diesmal wenig auf, um so mehr, als ich ja meine Auszeichnung kannte – den »Weißen Adler«. Meine Verwandte, die Frau des Direktors, hatte schon einige Tage vorher den Orden und das Ordensband besorgt und mir geschenkt und nun lag der Orden in meiner Schreibtischlade und daneben ein Kuvert mit hundert Rubeln für die Kuriere, die das amtliche Schreiben zu überbringen hatten.

Aber in der Nacht erhalte ich plötzlich einen Rippenstoß, Iwan Petrowitsch ist da und schlägt mir dicht vor meinem Gesicht ein Schnippchen. Als er noch lebte, war er bedeutend taktvoller, sowas hätte garnicht zu seinem ausgeglichenen Charakter gepaßt, jetzt aber schlug er mir wie ein echter Taugenichts ein Schnippchen und sagte:

»Dir genügt zunächst einmal das. Ich muß jetzt zur armen Tanja.« Und verschwand.

Am nächsten Morgen – kein Kurier mit dem Amtsschreiben. Ich eile zu meinen Verwandten, um zu erfahren, was los ist?

»Ich kann es nicht fassen,« sagt der Direktor: »Dein Name stand groß und breit da, und plötzlich war er weg. Der Graf strich ihn aus und sagte, er würde persönlich vorstellig werden … Weißt du, da ist irgendeine Geschichte, die dir schadet … Ein Beamter soll, nachdem er dich verlassen, unter verdächtigen Begleiterscheinungen gestorben sein … Weißt du etwas darüber?«

»Ach geh,« entgegne ich, »was für Dummheiten.«

»Nein, nein, es ist tatsächlich so … Der Graf hat schon mehrere Male nach deinem Befinden gefragt … Verschiedene Persönlichkeiten von dort haben hierher geschrieben, darunter auch der beiderseitige Seelsorger, der Oberpriester … Wie konntest du es nur zulassen, daß man dich in eine so seltsame Geschichte verwickelt?«

Und ich höre zu und fühle dabei nur den einen Wunsch, ihm – genau so, wie Iwan Petrowitsch es aus dem Jenseits tat – die Zunge herauszustrecken oder ein Schnippchen zu schlagen.

Iwan Petrowitsch aber verschwand, nachdem ich als Auszeichnung an Stelle des »Weißen Adlers« ein Schnippchen erhalten hatte, und blieb drei Jahre lang fort, dann aber machte er mir seine letzte und diesmal die allergreifbarste Visite.

 

Elftes Kapitel

Und wieder war Weihnachten und Neujahr und wieder wurden die Auszeichnungen erwartet. Ich wurde schon seit Jahren übergangen und machte mir nicht viel daraus. Gibt man mir keine, brauch ich auch keine. Sylvesterabend feierte ich bei meinen Verwandten, viele Gäste waren da und es war sehr lustig. Die gesunden Leute blieben zum Essen da, ich aber paßte einen geeigneten Augenblick ab, um zu verschwinden und näherte mich bereits der Türe, da drangen plötzlich durch das Gespräch folgende Worte an mein Ohr:

»Meine Wanderungen sind zu Ende, Mama ist bei mir. Tanjuscha hat eine gute Partie gemacht und nun kommt mein letzter Spaß und schö mang weh!«

Und begann plötzlich gedehnt zu singen:

Leb wohl, du meine traute,
Leb wohl, du liebe Welt.

Aha, fuhr es mir durch den Kopf, – da haben wir ihn wieder und Französisch kann er jetzt auch schon … Ich will warten, ob nicht noch jemand fortgeht, allein mag ich jetzt nicht über die Treppe.

Und immer noch in der gleichen kleinen Uniform mit dem prunkvollen granatroten Halstuch steigt er an mir vorüber und kaum ist er verschwunden, da fällt krachend dle Haustür ins Schloß, so daß das ganze Haus erzittert.

Der Hausherr und die Diener eilten ins Vorzimmer, um zu schaun, ob nicht gar jemand über die Pelzmäntel der Gäste geraten, aber alles war an seinem Platz und die Tür war verschlossen … Ich hütete mich, das geringste zu sagen, damit nicht am Ende wieder von mir gesprochen würde, daß ich an Halluzinationen leide, oder gar Erkundigungen eingezogen würden, ob ich gesund sei. Die Haustür krachte, – schon gut, – warum soll sie nicht krachen? …

Ich wartete bis noch einer ging und kam wohlbehalten nach Hause. Den Diener, der damals mit mir gefahren war und dem Iwan Petrowitsch das Laubsägen beigebracht, hatte ich schon lange nicht mehr, an seine Stelle war ein neuer getreten; ein wenig verschlafen machte er Licht. Wir gehen an meinem Schreibtisch vorüber und ich sehe, dort liegt etwas, bedeckt von weißem Papier … Mein Weißer Adler-Orden, den mir seinerzeit, Sie erinnern sich wohl noch? meine Verwandte schenkte … Er lag immer in einer abgesperrten Lade. Wie kam es, daß er nun plötzlich auf dem Tisch lag? Man wird natürlich sagen, ich hätte ihn selber in der Zerstreutheit hervorgeholt. Gut, darüber will ich nicht streiten, aber wer kann mir folgendes erklären: auf dem Nachttisch an meinem Bett lag ein kleines Kuvert, auf dem mein Name zu lesen war und auch die Handschrift kam mir bekannt vor … Es war die gleiche Hand, die vormals »das Leben ist uns zur Freude gegeben« geschrieben hatte.

»Wer hat das gebracht?« frage ich.

Und da zeigt mein Diener auf die Photographie Iwan Petrowitschs, die mir Tanjuscha geschenkt hatte und die ich noch immer aufbewahrte, und sagt:

»Der Herr hier.«

»Du irrst dich.«

»Bestimmt nicht,« entgegnet er, »ich habe ihn auf den ersten Blick erkannt.«

Im Kuvert lag ein gedrucktes Exemplar des amtlichen Erlasses, mir war der »Weiße Adler« verliehen worden. Und was noch besser war, ich konnte nachts schlafen, obwohl mir die ganze Zeit war, ich hörte irgendwen irgendwo diese ganz dummen Worte singen: »O rewuar, – rewerans, schö allé o kontratans.«

Da ich durch Iwan Petrowitschs Unterricht eine gewisse Erfahrung im Leben der Geister gewonnen hatte, erkannte ich, daß es Iwan Petrowitsch war, der sich »mit Selbstbüffeln im Französischen durchschlug« und der nun fortflog, und ich begriff, daß er mich nun nie wieder quälen würde. Und so war es auch: er hatte sich an mir gerächt und mir verziehen. Begreiflich. Aber warum dort in der Geisterwelt alles so durcheinander und kreuz und quer geht, warum ein Menschenleben, das doch mehr wert ist als alles, durch törichten Spuk und einen Orden gerächt wird, und warum endlich ein Herniedersteigen aus den höchsten Sphären mit dem dummen Gesang: »O rewuar, rewerans, – schö allé o kontratans,« verbunden ist, – das kann ich einfach nicht fassen.


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