Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der nächste Tag war ein heller, kalter Wintertag. Ganz Yokohama hatte sich auf dem Richtplatz von Tobi versammelt. Diejenigen, welche Schimidso am vorhergehenden Tage gesehen und seine Ruhe bewundert hatten, wollten sich überzeugen, ob er die Kraft habe, seine Heldenrolle bis zu Ende durchzuführen; andere waren begierig, den Mann kennen zu lernen, der am vorhergehenden Abend der Gegenstand jeder Unterhaltung in der Kolonie gewesen war. Wenn Schimidso nur die Absicht gehabt hatte, den Fremden zu zeigen, daß ein japanischer Offizier dem Tode ruhig entgegengehen kann, so hatte er seinen Zweck erreicht. Er hatte jedermann, der ihn gesehen, Bewunderung abgezwungen.
Gegen acht Uhr morgens kam das 20. Regiment anmarschiert und nahm um den Richtplatz Aufstellung. Bald darauf erschien Schimidso Sedschi. Er sprang leichten Fußes aus der Sänfte, in der er aus dem Gefängnis getragen worden war, und den Kopf zurückwerfend, schöpfte er einige Male tief Atem; dann blickte er, wie in einem stillen Gebet versunken, mehrere Sekunden lang nach der Sonne, und darauf ging er schnellen, festen Schrittes dem Platze zu, wo ihn der Henker erwartete. Er war wie am vorhergehenden Tage mit Sorgfalt gekleidet.
Ein kaltes, schreckliches Lächeln, ein Lächeln des Hohns und der Verzweiflung kräuselte seine schmalen Lippen. Sein Gesicht war bleich mit der eigentümlich grünlichen Blässe seiner dunklen Rasse. Aber nicht eine Spur von Furcht oder Abgespanntheit war auf den scharfgezeichneten Zügen zu lesen.
An der Grube angelangt, vor der er knieen mußte und in die sein Kopf fallen sollte, wechselte er einige Worte mit dem alten Scharfrichter. Er schien sich zu unterrichten, wie die Handlung vor sich gehen werde, denn man sah ihn mit dem Finger nach der Grube und nach dem Erdhaufen zeigen, der vor derselben aufgeworfen war. Ein Henkersknecht näherte sich ihm, um ihm die Augen zu verbinden. Er sprach die Bitte aus, man möge ihm gestatten, mit offenen Augen den Tod zu empfangen.
Der anwesende Gouverneur von Yokohama hatte wohl vorausgesehen, daß dies Gesuch an ihn gestellt werden würde, und gewährte es ohne weiteres. Der hohe Beamte schien gewissermaßen stolz, den anwesenden Fremden ein Schauspiel japanischer Kraft und Todesverachtung zu zeigen. Er blickte wohlgefällig nach der Gruppe der kommandierenden Offiziere des 20. Regiments, als wolle er sagen: »Es ist möglich, daß Ihr im stande wäret, ebenso schön zu sterben wie Sedschi: aber es ist unmöglich, angesichts des Todes eine bessere Haltung zu bewahren als jener japanische Edelmann.«
Die letzten Vorbereitungen zur Hinrichtung gingen nun rasch von statten. Sedschi, nachdem er mit dem Fuße die Matte, auf der er knieen sollte, dicht an die Grube geschoben hatte, ließ sich langsam nieder. Zwei Henkersknechte standen ihm zur Seite, um den Sterbenden, wenn er irgend eine Schwäche zeigen sollte, zu unterstützen. Aber der starke Mann zitterte nicht. Sobald er die vorgeschriebene Stellung eingenommen hatte, machte er eine kurze starke Bewegung mit den Schultern, so daß das weite Gewand, das bis dahin den untern Teil seines Nackens noch bedeckt hatte, herabfiel, und Hals und Schultern sich nackt zeigten.
Der Scharfrichter zog ein langes, schweres Schwert aus der Scheide und hielt es prüfend vor das Auge, dann schürzte er die weiten Rockärmel auf, um die Arme frei bewegen zu können und hob mehrere Male beide Hände über sein Haupt, um sich zu überzeugen, daß ihn auch nichts verhindere, den verhängnisvollen Streich zuführen. Schimidso folgte jeder Bewegung des Scharfrichters mit Aufmerksamkeit. »Ist alles fertig?« fragte er; – und nachdem er eine bejahende Antwort erhalten, fügte er hinzu: »So gieße heißes Wasser über das Schwert, damit es gut schneide, und habe wohl acht, mich mit einem Hieb zu vollenden. Ich will jetzt mein Sterbelied singen, und wenn ich mich zu dir wende und sage ›gut‹ ( yio), so will ich gleich darauf meinen Hals vorrecken und bewegungslos bleiben, so daß du ruhig zielen und schlagen kannst.« – Er verzerrte darauf sein Gesicht in erschrecklicher Weise, wie man dies auf japanischen Bildern sehen kann, die den Tod von Helden oder Halbgöttern darstellen, und sang mit lauter Stimme aus voller Brust, so daß es weit über den stillen Richtplatz klang: »Jetzt stirbt Schimidso Sedschi, der Heimatlose, er stirbt ohne Furcht und ohne Reue, denn einen Barbaren getötet zu haben, gereicht dem japanischen Patrioten zur Ehre.« Darauf wandte er sich mit noch immer verzerrtem Antlitz nach dem Scharfrichter, blickte ihn einige Sekunden starr an und rief mit klarer Stimme: » yio!« Und den Hals weit hervorstreckend, dem Raben gleich, der sich zum Fluge erhebt, die Zähne zusammengepreßt, empfing er regungslos den Todesstreich.
Das blutige Haupt wurde am Eingang von Yokohama zwei Tage lang neben einem Schilde ausgestellt, auf welchem Schimidsos Verbrechen und seine Verurteilung verzeichnet waren. Der Italiener Beato nahm von dem Kopfe eine Photographie, die ich noch besitze. – Der Tod hat die im Augenblick der Hinrichtung verzerrten Züge wieder beruhigt und veredelt, und ich erkenne in dem Bilde deutlich das grausame, furchtlose Gesicht des Mörders Schimidso Sedschi.
In den » Illustrated London News« von 1865 kann derjenige, der sich für Sedschi interessieren sollte, mehrere Zeichnungen von Charles Wirgman finden, welche die Ermordung Baldwins und Birds, den Ritt des Mörders durch Yokohama und seine Hinrichtung darstellen.
Der Helfershelfer des Hingerichteten, der angebliche Tzè-siro, wurde einige Monate später entdeckt und verhaftet. Die von Schimidso Sedschi über ihn gegebene Auskunft erwies sich als falsch. Sedschi war nicht zum Verräter an seinem Genossen geworden. Dieser nannte sich Mamiya Hadsime, war neunzehn Jahre alt und stammte aus der Provinz Satzuma. Er hatte ein freundliches, offenes Gesicht. Nichts in seinem Wesen und seinem Aussehen deutete darauf hin, daß er im stande gewesen war, einen grausamen Mord zu vollbringen. Seine Hinrichtung fand in dem Hofe des Gefängnisses von Tobi in Gegenwart einiger englischer Beamte und Offiziere statt. – Mamiya war ein Schwächling und zeigte dem Tode gegenüber nicht die Ruhe und Kraft, die Sedschi ausgezeichnet hatten. Die Richter hatten seine Feigheit erkannt, und sein Wärter hatte ihm, wenige Stunden vor der Hinrichtung, ein stark berauschendes Getränk eingegeben. Der Unglückliche taumelte, vollständig trunken, zum Richtplatze. Zwei Henkersknechte, mit denen er sich in lallender Sprache zu unterhalten versuchte, schleppten ihn mehr, als sie ihn führten. Als er sich der Grube näherte, vor der der Scharfrichter seiner wartete, fing er an, ängstlich zu wimmern. Ein kläglicher Ausdruck blöder, halbbewußter Furcht malte sich auf seinem Gesichte. Er machte einen ohnmächtigen Versuch, sich von den Knechten loszureißen – aber diese zogen ihn ungestüm vorwärts und warfen ihn zu Boden, und einem hilflosen Tiere gleich, das man zur Schlachtbank geschleppt hat, fiel er unter dem Schwerte des Henkers.