Detlev von Liliencron
Roggen und Weizen
Detlev von Liliencron

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Uns' leve Fru up dem Perde

Die Väter der Stadt, alle gesetzt, graubärtig, klug und weise, hatten eine wichtige Beratung. Der Bürgermeister, mit einem langen schlohweißen Zwickelbart, mit stets gefurchter Stirn, mit finstern Augen, in denen schwarztiefe, fensterlose Kerker lagen, war der klügste und weiseste.

Und sie beschlossen: Weil alle Ruhe und Zucht unter den Männern verloren gegangen ist, weil der Vater den Sohn, der Sohn den Vater erschlug um ihretwillen, so muß die Hexe sterben. Auf einen wilden Schimmel soll sie festgebunden werden; und der mit glühenden Stangen, mit Peitschen und Stöcken rasend gemachte Hengst soll mit ihr in die Haide jagen.. Apage, apage, Satanas. Der Gaul schleift sie durch Dornen und Gestrüpp, drängt sie an die Stämme im Wald, versinkt mit ihr in Sumpf und Moor. Apage, apage, Satanas!

* * *

Vier in feuerrot Tuch geschnürte Henkersknechte mit schwarzen Gugelkappen, daß sie nicht erkannt werden, bändigen und halten mit aller Anstrengung den vor Wut zitternden Hengst. Einer packt ihm in die Nüstern, daß die bösen, blitzenden Augen des furchtbar gequälten Tieres lohen wie Höllenglut.

Ist der Gaul fertig?

Nun bringen zwei andre in Scharlach gekleidete Gugelmänner das junge Weib.

O heilige Mutter Gottes, streck deine Arme vom Himmel.

In ein langes weißes Gewand gehüllt, mit gebeugtem Haupt, mit aufgelösten Haaren, die ihr bis zum Gürtel fließen, naht die Unselige.

Und ein blasses, süßes Gesicht und zwei große braune, ach, nun entsetzt blickende Augen suchen in den Wolken: O alle ihr Heiligen, helft mir! O Lamm Gottes, hilf mir! Gloria Dominae! Gloria in excelsis!

Was konnte denn sie dafür, daß alle Männer, junge und alte, die größesten Torheiten begingen, kamen sie in ihre Nähe. War es ihr zartes, hellrosarotes Fleisch, was sie toll machte?

Nun ist sie festgeschnallt. Der Hengst wird gepeinigt. Los! Und mit ungeheurem Sprunge, mit einem Schrei, wie ihn das Pferd nur im äußersten Schmerz ausstößt, stürmt die Jagd in die Haide.

Und über die Haide sandte die Sonne ihre letzten Küsse. Und die Abendröte tröstete aus dem Meer. Und die Nacht deckte Alles zum Frieden mit ihren weichen, schwarzen Flügeln zu. Und das gute, kleine Schleswig-Holstein schlief so fest, wie es schon so viele Jahrhunderte fest geschlafen hatte, so abseits aller Welt, so abseits.

* * *

Am andern Morgen wogte große Bewegung durch die ganze Stadt. Und Alles zog, Bürgermeister und Rat an der Spitze, diesen voran noch die Chorknaben mit geschwungnen Weihrauchkesseln, hinaus in die Haide. Ehre sei Gott in der Höhe, sangen die Priester, und die Weiber, die Kinder, die Männer fielen ein: Ehre sei Gott in der Höhe.

Und die milde Morgensonne schmiegte sich um die braune, liebe, bescheidene Erika.

Weiter, weiter, wir finden sie.

Da schlugen die Mönche das Kreuz, und Alles fiel auf die Kniee: Vor ihnen aber stand ein weißes Roß und schnoberte im dürftigen Grase, und war fromm und zahm. Und auf ihm, seitlängs, wie eine Kunstreiterin, die sich Kreide unter die Sohlen reiben lassen will, undornengeritzt, saß das junge Weib. In der Hand hatte sie einen Strauß der braunen, lieben, bescheidnen Erika. Sie lächelte und legte das schöne Haupt auf die Mähne, und lächelte, und lächelte. Und über ihr, aus dem Himmel, sangen tausend dicke Engelskinder, und eine sanfte Stimme klang: Gott ist die Liebe.

Keiner aber hörte es. Nur der große, stattliche Bischof mit der Geiernase und mit dem mächtigen Siegelringe auf der violettbehandschuhten Rechten hörte die sanfte Stimme:

Und er trat vor: »Sie ist kranken Sinnes.«

Und zurück pilgerte die ganze Stadt, in die Mitte genommen das junge, süße Weib mit den großen braunen Augen. Und willig ging die wahnsinnig Gewordne ins Kloster.

Die gute Stadt aber baute an Ort und Stelle, wo sie die Ärmste gefunden hatten, eine Kapelle.

Und das Kirchlein nannten sie:

Uns' leve Fru up dem Perde.

Gloria Dominae!


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