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Die flüchtigen Werber und ihr Opfer, der Gerbebattist, wurden trotz allen Bemühungen des Waldstattrates nicht mehr eingebracht; sie hatten beizeiten, mit andern Werbern und Rekruten vereint, die Grenze gewonnen.
Noch in der gleichen Nacht vernahm dann des Burschen Mutter im Gerbehaus, wie ihr Sohn Handgeld genommen und mit den Werbern schon über alle Berge sei. Die beredte Überbringerin der schlimmen Nachricht versäumte nicht, die Schuld seiner unbedachten Tat der Pfauentochter zu überbürden. Erst starb die Mutter schier vor Schrecken und Unglückseligkeit, und nur ihr felsenfestes Vertrauen auf die Hilfe der nahen Muttergottes in der Gnadenkapelle bewahrte sie vor Verzweiflung. Aber dann eilte das Heleneli zu ihr, stürzte sich zu ihren Füßen und bat sie schluchzend um Verzeihung; denn sie sei es, die ihren einzigen Sohn fort und ins Unglück getrieben habe.
Doch die Gerbealte schloß das Mädchen in die Arme und sagte unter Tränen: »Nein, nein; du brauchst dich gewiß nicht anzuklagen, liebes Kind. Wenn ihn auch die Liebe zu dir wirklich fortgetrieben 126 hat, so tatest du's doch mir zu lieb, und ich bin glücklich, daß ihn, einen solchen Wildfang, ein Mädchen wie du noch lieb haben mag. Zudem, fort zog es ihn immer. Er schämte sich, länger hierlands mir und allen Leuten, wie er alleweil beteuerte, zur Last zu sein. Die väterliche Gerberei war ihm zuwider; der Beruf sei ihm zu langweilig. Ach, du weißt es ja gut genug; alles was wir mit ihm anfingen, paßte ihm nicht. Fort trieb es ihn; Soldat wollte er werden. Etwas durchzumachen und zu erobern, war sein Gedanke bei Tag und Nacht, und darum strich er auch bei Tag und Nacht im Land umher. Hab mich nur auch gern, mein Kind. Und wenn du ihn wirklich liebst, bleib ihm treu. Die Muttergottes hat dich mir zum Trost geschickt. Gewiß lehrt ihn der Liebgott die harte Welt kennen in der Fremde und führt ihn uns als einen andern zu. Ich bin ja am meisten selber schuld an seinem ungeberdigen Tuen. Immer ließ ich ihm den Willen, verwöhnte und verpäppelte ihn auf jede Weise, weil er halt anfänglich ein gutmütiges Büblein war, das gar so schön schmeicheln und streicheln konnte, und«, sie brach in leises Weinen aus, »weil er halt mein Einziger war!«
So kam es, daß die gute Alte das Heleneli, das ihr doch zu ihrem Troste zugelaufen war, aufrichten und trösten mußte. Von nun an begab es sich den ganzen Herbst über, so oft es in der 127 Wirtschaft abkommen konnte, zu Battists Mutter ins Gerbehaus.
Als der Winter ins einsame, nun ganz still gewordene Hochtal einrückte und es gegen alle Welt mit hohen Schneewällen abschloß, also daß die Pilger draußen bleiben mußten, nahm die Pfauentochter eines Abends ihr Spinnrad mit ins Gerbehaus und blieb dort sitzen, bis der Wächter die elfte Stunde sang. Allabendlich erschien sie nun bei Battists Mutter, spann neben ihr am Ofen und hielt sie aufrecht; denn nun wurde es der Alten immer schwerer ums Herz, da sie der kalte Winter gar sehr an die Leiden und Drangsale des Soldatenlebens mahnte. Auch hatte ihr der Zürichbote hin und wieder über gewaltige Schlachten berichtet, die die ganze Welt mit dem kleinen Bonabartli zu bestehen habe. O wie sie diesen Bonabartli haßte! Sie hielt ihn, wie alles Volk, für den Antichrist, und bat alle Abende, nachdem sie den üblichen schmerzhaften Rosenkranz mit Heleneli vor dem Kruzifix an der Wand gebetet, händeringend, Gott möge doch dieses höllische Untier von der gefolterten Menschheit hinwegnehmen.
Was war das für ein Jubel im Gerbehaus, als das Heleneli der alten Frau eines Tages einen ältern bresthaften Soldaten zuführte. Er hatte sich durch all die hohen Schneemauern einen Weg ins Hochtal St. Meinrads erzwungen. Erstlich wollte 128 er der Gnadenmutter von Einsiedeln für die Erhaltung seines Lebens danken; dann aber auch Battists Mutter die Grüße von ihrem Sohne ausrichten und sie wissen lassen, daß er ihn vor kurzem gesund und wohl und schon als Sergeant in dem Heere des österreichischen Erzherzogs Karl gesehen habe. Battist bat seine Mutter und Heleneli durch den Invaliden um Verzeihung, und flehte sie an, sie möchten ihn doch ja nicht vergessen und auch nicht zu sehr verachten. Er hätte nun schon viel vom Schwierigsten gelernt, was es im Leben geben könne: die Kunst zu warten. Nur eines werde er nie zu ertragen vermögen: die Fremde. Das Heimweh brächte ihn noch um. Doch er werde den Heimweg schon finden, bevor sie's denken, und wenn er unter allen Bergen durchkriechen müßte. Sei er aber einmal daheim, wolle er die väterliche Gerberei gewiß nicht mehr vernachlässigen; obwohl ihm das Soldatenhandwerk auch gut anstehe und ihm über alles gefiele, könnte er's in der Heimat üben.
Die alte Frau wußte sich vor Freude nicht zu fassen, und auch Heleneli strahlte. Aber darnach kam die Sehnsucht nach dem Fernen erst recht und mit zehnfacher Gewalt über die beiden Frauen, und eine fürchterliche Angst folterte sie zu Zeiten, wenn sie wieder von neuen Kriegen hörten, er möchte ihnen nie mehr heimkommen. Sie versäumten den ganzen Winter lang nie, sobald das Salveglöcklein 129 vom Kloster rief, vor die Gnadenkapelle hinaufzueilen und sich von dem schönen Salvegesang die bangen Herzen trösten zu lassen.
Hellauf erschraken die Frauen, als sich eines Tages im Walddorf blitzschnell die Nachricht verbreitete, die Welschen seien über die Schweizergrenze eingebrochen; der Bonabartli wolle nun auch die Eidgenossenschaft mit Mord und Brand überziehen und den Glauben ausrotten. Ja, die Franken stehen schon im Waadtland, hieß es, und bedrohen das mächtige Bern. Die Waldweiber bekreuzten sich und liefen in die Kirche. Der Waldstattrat aber forderte alle Waldmänner auf, ihre Waffen zu mustern, sie beim Büchsenschmied und Messerschmied in Ordnung bringen zu lassen; sie darnach für alle Fälle in der Stubenkammer über die Laubbetten aufzuhängen und nicht wieder auf den Winden einrosten zu lassen. Obwohl sich an Bern schon viele Herren und Ritter verrechnet hätten, könne man doch diesmal nicht wissen, wie's komme; besser sei besser. Viele Waldleute aber wünschten den Krieg geradezu; so könne man mit dem gottlosen Bonabartli und seinen Rebellen einmal in die Hölle hinunterfahren; sie hätten die roten Schweizer auch nicht verschont. Eine große Unruhe begann seit der Nachricht vom Einbruche der Franzosen in die Schweiz das sonst so friedliche Hochtal zu erfüllen.
130 Heleneli aber, das sich zuerst ob dem drohenden Kriege mit dem mächtigen Frankenland gewaltig entsetzte, beruhigte sich und Battists Mutter, als es in der Pfauenwirtsstube von angesehenen Männern der Waldstatt sagen hörte, der österreichische Kaiser Franz werde gewiß mit seinem Heere der Eidgenossenschaft zu Hilfe kommen, sollten die Franken Ernst machen wollen. Da mußte ja Battist mit des Kaisers Heer auch heimkehren. Ja, als es nach einiger Zeit hieß, Bonabartli scheine sich doch vor den Eidgenossen zu fürchten, er unterhandle mit Bern, wurde Heleneli schier traurig; denn, dachte sie, wenn der Bonabartli nicht kommt, kommt auch der Kaiser Franz mit seinem Heer nicht, und ich sehe vielleicht meinen Schatz nie wieder. Tag und Nacht quälte sie sich mit diesem Gedanken herum. Aber dann pflegte sie sich und Battists Mutter immer wieder mit der Hoffnung zu trösten, er werde, sobald er von der Gefahr vernommen habe, die seinem Vaterlande drohe, auf jeden Fall heimkehren wollen. Gewiß gehe er zum Kaiser und sage: Herr Kaiser, ich muß heim und mein Schweizerland verteidigen; denn der Bonabartli will uns Religion und Freiheit nehmen. Und da lasse ihn der gute Kaiser Franz gewiß ziehen. Durch die Träume der Frauen wehte diese eine Hoffnung wie eine goldene Kirchenfahne.
Es war eines Abends, anfangs März. In der getäfelten, vom Alter gebräunten Wohnstube des 131 Gerbehauses saßen Battists kränkliche Mutter und das Heleneli Gyr beisammen und spannen. Mit heimweherischen Augen träumte das Mägdlein in das wilde Schneetreiben hinaus, das über die Matten vom Kloster herfegte, wo es am Treppenaufgang zur Kirche Krone und Helm der römischen Könige mit seinem Hermelin verbrämt und die Köpfe der steinernen Engel und Englein auf den Dächern der Kramgasse mit nagelneuen schimmernden Kappen bedeckt hatte.
Im warmen Ofenwinkel aber kauerte fröstelnd Battists Mutter. In ihrem Schoße schnurrte die graue Katze. Jetzt sprang sie auf den Boden, streckte sich und riß das Maul auf. Dann setzte sie erst auf eine wurmstichige Stabelle, nun gar auf die alte Kommode mit den geschweiften Truhen und ließ sich dort, behaglich spinnend, neben einem Zinnteller nieder, in dem vor einer wächsernen »Weihnachten« etwas Weihrauch verbrannte, der die Stube mit Wohlgeruch erfüllte.
»Willst du wohl von der Kommode herunter!« rief die alte Frau hüstelnd der Katze zu.
»Ach, laßt sie doch; es ist ihr dort so wohl!« machte die Pfauentochter.
Ein Lächeln umspielte ihren Mund. Wie oft stand sie früher mit Battist vor dieser wächsernen Weihnachten. Sie war das zierliche Werk eines einheimischen Künstlers und stellte den Guten Hirten 132 dar, wie er in Holzschuhen, kurzen Hosen, Hirthemd und Zottelkappe, das wiedergefundene Schaf auf dem Rücken, über das steinplattenbelegte Weglein zu seiner offenen Hütte emporstieg, in der seine Frau und sieben Kinder um einen kuhbeinigen Tisch hockten und zusammen aus einem Milchmutteli die Molken auslöffelten. Wie hatten sie immer die Augen aufgesperrt und durchaus warten wollen, bis die niedlichen Kindchen die Molken fertig gegessen hätten.
»Heleneli«, begann jetzt Battists Mutter zu reden, »ich weiß nicht, was ich heute habe; aber es ist mir, du solltest wieder einmal ein recht wehmütiges Liedlein singen; denn mir ist's so wohl und heiter zumute, wie schon lange, lange nicht mehr. Ich weiß ja wohl, es ist sündhaft von mir, so zu sein in der Zeit, die alles mit Kriegselend und Jammer bedroht; aber ich kann nichts dafür. Vielleicht ist doch etwas Gutes im Anzug für uns. Es sind mir nicht umsonst gestern abend drei Spinnen über das Stiegenbrücklein gelaufen!«
»Will's Gott, daß es Euch endlich auch einmal gut ergehe, Base!« antwortete Heleneli; »Ihr habt traurige Zeiten genug hinter Euch. Was soll ich denn singen?«
»Ja, ja, traurige Zeiten, und der einzige Sohn ist in der weiten wilden Welt draußen im Kriege, Kind, o, o! Nein, sing lieber nicht, Heleneli!«
133 Aber die Wirtstochter netzte flink ihren langen Reistenfaden; dann ließ sie das Füßlein tanzen und sang:
Das Geiglein rief zum Alemander.
Zum Tanz, Marie, geschwind!
Ach Gott, mein Schatz zog in die Fremde;
Mit meinem Armensünderhemde
Tanzt vor dem Haus der Wind.
Das Geiglein rief zum Alemander.
Zum Tanz mit Sang und Klang!
Am Fenstersims, wie mußt' sie klagen!
Leis täten ihre Rosen fragen:
Was weinest du so lang?
Das Geiglein rief zum Alemander.
Marie, hoch geht es her!
O meine Rosen, ihr müßt wissen,
Der Quell, woraus die Tränen fließen,
Ist tiefer als das Meer.
Das Geiglein rief zum Alemander.
Zum Tanz, Marie, wohlauf!
Und gälte es mein armes Leben,
Ich kann das Füßlein nimmer heben;
Ein ganzer Berg liegt drauf.
Das Geiglein rief zum Alemander.
Juhuu! Zum Tanz, Marie!
Und brächt' ich auch den Berg vom Fuße,
Mein Herz ist schwer von einem Kusse,
Drückt ewig mich aufs Knie.
Die Türe ging, und schlurfend trat in ihren Endeschlarpen die alte Magd ein, einen schadhaften dickbauchigen Henkelkrug im Arm.
134 »Ich will doch das Weihwasser, den Ostertauf da, noch verbrauchen«, sagte sie; »es ist ja bald Karsamstag; da gibt's frischen.«
Sie füllte aus ihrem bresthaften Kruge den Weihbrunn neben der Türe an.
»Ja, ja; helf uns Gott!« fuhr sie zu reden fort; »es sind böse Zeiten! Da sagte mir eben der Büchsenschmied, ein Roß sei seinem Buben auf den Fuß getreten; er glaube, der ungeschickte Tropf müsse eine Zehe verlieren!«
»Das wäre doch ein Jammer für den armen Buben!« sagte das Heleneli.
»Ja!« machte die Magd, »und die Grabbetterin tat mir darnach zu wissen, man habe eben ein junges Weib am Waldweg erfroren gefunden!«
»Ach Gott, ach Gott; die arme Frau!« klagte das Mädchen.
»Ja; aber es sei nur ein landfahrendes Feckerweib! sagte mir die Grabbetterin.«
»Aber red doch nicht so, Babeli!« verwies ihr Battists Mutter; »ein Feckerweib ist doch auch ein Mensch!«
»Freilich«, meinte die alte Magd; »aber kein einheimischer!«
»Tröste Gott ihre arme Seele!« machte die Hausmutter.
»Und das ewige Licht soll ihr leuchten!« stimmte das alte Babeli ein und goß die Neige ihres 135 Weihwassers feierlich über den Boden aus. »Ja!« redete sie weiter, »und dann sagte mir die Grabbetterin noch, es liegen in der Habermusgasse in einem Hause zwei Tote, die übermorgen zu beerdigen seien!«
»Heilige Muttergottes!« rief das Heleneli aus; »welch ein schreckliches Unglück! Zwei Tote in einem einzigen Hause, sagst du?!«
»Ja!« machte ruhig die Magd und ging zur Kommode, die Katze herunterscheuchend und etwas Weihrauch in den Zinnteller streuend; »ja freilich, zwei Tote auf einmal; aber es sind nur Zwillingskinder!«
»Ach, die arme Mutter!« seufzte das Heleneli.
»Ja, und dann habe ich soeben vor der Stiege, als ich den Schnee etwas wegwischte, noch den Zürichboten gesehen. Er kam eilig über den Alpbach und hastete gegen das Dorf hinauf. ›Was läufst denn so?‹ rief ihm der Klostermüller nach. ›Es wird doch nirgends brennen?‹ –›Allweg brennt's!‹ gab ihm der Bote zurück. ›Bern ist gefallen! Die Franken haben die Stadt nach furchtbarer Gegenwehr gestürmt und seine unermeßlichen Schätze geplündert. Nun werden sie wohl bald an unsere Türe klopfen!‹«
»Jesus Maria und Sankt Joseph!« gruchste es im Ofenwinkel.
Das Heleneli war in jähem Schrecken aufgesprungen.
136 »Was sagst, Babeli; das starke, das stolze Bern sollte gefallen sein?!«
»Freilich; so hab' ich's ihm selber zum Mund herausgehen hören, dem Zürichboten!« sagte, erfreut ob der Sensation, die ihre Nachricht in der Stube verursachte, die alte Magd. »Ja, ja!« fügte sie dann bei; »ich sag's alleweil, die Männer sind doch einfältige Kappenzottel. Wären sie nicht dumm, schlügen sie nicht immer und durch die ganze Welt aufeinander los, wo doch ein jeder Krieg genug im eigenen Haus und im eigenen Herzen hat!«
Kopfschüttelnd verzog sie sich in die Küche.
Erschrocken sah ihr das Heleneli nach.
»Ich muß es der Mutter sogleich berichten!« sagte es dann; »denn das ist eine Botschaft, die für unsere alte Waldstatt keine gute Bedeutung hat. Denkt, Base, wenn uns diese welschen Heiden den Unglauben ins Land brächten und gar die Gnadenkapelle Unserer Lieben Frauen entheiligen oder gar das Kloster und das Dorf anzünden und zerstören würden. Wie wäre das so fürchterlich!«
»Ja, geh nur schnell heim, Kind, und berichte es deiner Mutter. So ist nun das die heutige Nachricht, die mir die Spinnen ankündigten und auf die ich mich gar noch sündhaft gefreut habe!« klagte die Alte und schlurfte aus ihrem Ofenwinkel. »Ich weiß nicht, wo ich den Kopf habe; nichts als Unglück über Unglück. Doch zuerst will ich jetzt den 137 Wachsrodel im Pelzmuff in der Nebenstube holen und den erschlagenen Miteidgenossen von Bern vor dem Guten Hirten ein Lichtlein anzünden und Fünfe beten. Wenn es auch Ketzer sind, es sind doch Eidgenossen, und es werden etwa auch arme Seelen unter ihnen sein, die es brauchen können. Lebwohl, Heleneli, und helf dir Gott!«
»Behüt Euch Gott wohl, Base!« machte die Pfauentochter, langte flink in den Weihbrunn und wollte sich davon machen; denn die Hausfrau war in die Nebenstube gegangen.
Da ging sachte die Türe; ein hochgewachsener Soldat stand lächelnd auf der Schwelle.
Zum Tod erschrocken wich das Heleneli zurück und wollte zur Küchentüre hinauslaufen; aber als es sich nochmals umsah, tat es einen jauchzenden Aufschrei, breitete die Arme weit aus und rief:
»Battist, Battist; du bist's?! Komm!« jubelte sie, »ich fordere dich zum Tanz auf! Die ganze Hudelitanzmusik wartet schon lange auf dich in meinem Herzen! Ich . . .«
Aber da lagen sie sich, stöhnend vor Glück, in den Armen.
»Nun hast du mich doch zu überraschen vermocht«, sagte sie endlich leise, »und ich habe doch den ganzen Winter über Tag und Nacht auf deinen Tritt, auf den Tritt, den ich einst davongehen hören mußte, gelauscht!«
138 »Ja«, sagte er langaufatmend, wie ein Schiffer im Sturm, der endlich den bergenden Hafen vor sich hat, »es war ein langer Winter, und ich will an ihn denken. Unverhofft, wie ich ging, bin ich auch wieder gekommen. Aber nun bin ich etwas; ich bin ein Soldat, und ein Soldat will ich bleiben, bis ich sterbe; aber im Vaterlande. O Heleneli, o Schatz!« rief er leidenschaftlich aus.
Er riß sie an sich, um sie zu küssen.
Doch sie wurde purpurrot, entzog sich ihm und sagte: »Verzeih mir, Battist! Wie konnte ich dich nur deiner Mutter vorwegnehmen! Base, Base!« schrie sie, die Nebenstube aufreißend.
»Was gibt's, Kind, was gibt's?!« rief die Alte in der Kammer. »Ich komme gleich, ich komme; kann nur den Wachsrodel nicht finden; weiß Gott, wo ihn das Babeli oder die Katze wieder hingerollt haben. Heiliger Antoni von Padua, hilf mir suchen!«
»Base, es ist ein junger, schmucker Mann da, ein Soldat!«
Eilige, schlurfende Schritte.
»Jesus Heiland!«
»Mutter, Mutter!«
Da hatte Battist die Mutter in den Armen und trug die Schluchzende wie ein Wickelkind in der Stube herum. Dann legte er sie sanft auf die lederüberzogene Ofenbank nieder. Sie zog ihn aber zu 139 sich herab und weinte und weinte. »Nun ist das Glück doch gekommen!« sagte sie halblaut, »und hat mir mein Büblein wieder heimgebracht!«
Aber dann erhob sie sich mit schier jugendlicher Behendigkeit: »Jesus Gott im Himmel!« rief sie aus. »Sag, sag, bist du auch gesund und wohl, und fehlt dir nichts?« Erschrocken wandte und drehte sie ihn, befühlte ihm Arme und Beine, riß ihm gar die Uniform auf und beschaute seine Brust, an der ein niedliches rotes Herzchen sich zeigte. »Gottlob, gottlob!« machte sie aufatmend; »er ist gesund! Und nun«, sie schlug sich vor den Kopf, »und nun hinaus in die Küche; du wirst wohl Hunger haben, du armer Bub du! Es ist zum Glück«, setzte sie, schalkhaft lächelnd und Heleneli zublinzelnd, hinzu, »ein kleines Mägdlein da, das dich unterdessen, bis die Milch und der Eiertätsch kommen, etwas zu verkurzweilen wissen wird. Ja, und dann«, sagte sie bekümmert, »will ich dir die Kleider gleich bringen; deine Soldatenmontur ist ja tropfendnaß. Babeli, Babeli!« rief sie und machte sich hurtig in die Küche hinaus.
Glückselig wandte sich Battist dem Heleneli zu, das still, mit leuchtenden Augen, dem Wiederfinden von Mutter und Sohn zugesehen hatte.
»Wie du doch so schön geworden bist, Heleneli!« sagte er, »und wie gut du mit mir bist, obwohl ich als ein so böser Bub von dir fortlief und dir 140 so weh tat!« Er ergriff ihre Hände. »Trägst du mir denn wirklich gar nichts nach, Liebste?«
»Ach, was wollte ich dir denn nachtragen als mein Herz!« sagte sie mit einem Lächeln, das vor Battists Augen die rauhen Wände mit dem roten Sammet des Abendrotes überzog, »und wenn du mir übers Meer davonliefest, ich könnte dir doch nichts anderes nachtragen!«
Er wollte sie umhalsen; doch sie machte sich los und sagte: »Liebster, bald kommt der Herbst und die Kirchweih. Dann soll dich niemand mehr aus meinen Armen lösen können! Jetzt aber muß ich schnell zur Mutter heim. Ich ertrage all das große Glück, das ich heute durchgemacht, und das Unglück, das ich vernommen habe, allein nicht länger. Auch treibt es mich, der Mutter zu berichten, wie du dich so brav zur rechten Zeit im Vaterlande eingestellt hast; das wird sie besonders freuen!«
»Unglück?!« machte er hocherstaunt.
»Heja; Bern, das starke Bern, der Stolz der Eidgenossenschaft, ist doch den Welschen in die Hände gefallen. Bald genug werden wir sie auch hier haben. Was starrst du mich denn so an? Das weißt du doch gewiß schon lange?!«
»Nein!« gab er kleinlaut zurück; »davon habe ich kein Wort vernommen. Ich wußte ja nicht einmal, daß die heillosen Franken auch in die Eidgenossenschaft eingefallen sind; denn erst noch haben wir 141 uns mit ihnen unter Erzherzog Karl am Rhein tüchtig herumgeschlagen. Die Welschen in der Schweiz; Bern gefallen; – kann das sein, oder willst du mich ein bißchen zu fürchten machen?!«
Sie schaute ihn schier entsetzt an.
»Ja, bist du denn nicht heimgeeilt, um das Vaterland gegen die Welschen verteidigen zu helfen?!«
»O nein!« entgegnete er. »Es ist mir geglückt, bei Nacht und Nebel über den Rhein zu fahren; aber der Eidgenossen Not war es nicht, die mich heimzog; denn davon wußte ich nichts!«
»So hat dich also das Heimweh nach unseren lieben Bergen und Wäldern heimgebracht?«
»Wie kannst du das meinen, Liebste?«
»Warum denn nicht?« machte sie verwundert, schier unwillig. »Es muß im Himmel einmal schön sein, soll ich nicht Heimweh bekommen nach unseren Bergen. Aber, aber!« rief sie plötzlich aus und ergriff ungestüm seine Hände, »wie konnte ich's denn auch nur einen Augenblick vergessen: die Mutter, die liebe gute Mutter hat dich heimgezogen, gelt?! Es ist wahr«, setzte sie leise hinzu, »das vermochte ich nie recht zu verwinden, daß du deiner guten Mutter so weh tun konntest!«
Aber er umarmte Heleneli, hob es hoch an seine Brust und sagte, es mit heißen Augen ansehend: »Nein, Maitli, so mußt du mir nicht kommen. Verstell dich doch nicht so! Das mußt du doch 142 denken, daß mich weder die Berge, noch Vaterland, noch Mutter so schnell dazu gebracht hätten, unter hundert Gefahren in stockdunkler Nacht mich fortzumachen. Du hast mich fortgetrieben, Liebste; du hast mich auch wieder heimgerissen!«
»Ich?«
Sie sah ihn in glückseliger Erschrockenheit an.
»Ja, du! Um deinetwillen habe ich meinem Herrn, dem Kaiser Franz, das Wort gebrochen; um deinetwillen bin ich nachts unter den Brandrohren der Wachen über den Rhein gefahren und desertiert ohne Wehr und Waffen!«
»Desertiert?!«
Erbleichend rief sie's aus.
»Ja, desertiert!«
»Das hast du nicht gemacht!« schrie sie auf.
»O ja, Heleneli!« redete er, verwirrt und verlegen in ihre erschrockenen Augen sehend; »ich hab's getan. Wie anders hätte ich sonst zu dir gelangen können?!«
»Um meinetwillen, eines nichtswertigen Maitlis wegen, und nicht für das bedrohte Vaterland und nicht für die arme, sehnsuchtskranke Mutter tatest du's; o, o!« Die Tränen rieselten ihr über die Wangen. »Nein, Battist, das hätten die roten Schweizer, die für den König, dem sie zugeschworen, in Paris starben, in alle Ewigkeit nicht getan!« Sie rang die Hände. »Eines nichtsigen 143 Weiberfähnchens wegen konntest du des Kaisers Fahne verlassen, der du Treue gelobtest. O Battist, Battist! Und das alles meinetwegen, allein meinetwegen?!«
Sie sah ihn mit heißen Augen an.
»Ja, Liebste, deinetwegen allein!«
Er wollte sie an sich krampfen. Aber mit fester Hand zwang sie ihn von sich ab und sagte schweratmend: »Und wenn mein Herz stürbe vor Freude und Glück, ich muß es dir doch sagen, Battist: Meinetwegen hättest du dem Kaiser nicht wortbrüchig werden und wehr- und waffenlos davonlaufen dürfen. Das war feig von dir, Battist!«
Entsetzt, totenbleich, mit weitgeöffneten Augen, starrte er sie einen Augenblick an; dann sank er am Tisch auf eine Stabelle und verbarg das Gesicht in den Armen.
Heleneli aber stand ein Weilchen sinnend da, fuhr ihm dann zärtlich ein paarmal mit der Hand über den Krauskopf und verließ so leise als möglich, ängstlich nach der Küchentüre und mit einem langen, leuchtenden Blick auf Battist schauend, die Stube.
Jetzt schlarpte Babeli, die alte Magd, mit dampfendem Pfännchen, in dem ein paar Spiegeleier in der siedendheißen Butter schlotterten, in die Stube, stellte es behutsam vor Battist hin; denn sie glaubte, er schlafe, und ging hurtig wieder hinaus. Doch sogleich knarrte die Türe wieder, und hastig, keuchend, brach 144 Battists Mutter, einen Haufen Gewand in den Armen, in die Stube ein.
»Da!« rief sie glückstrahlend, »da habe ich gleich all deine Kleider mitgebracht. Zieh dich jetzt um und lies aus, was du lieber anziehen magst, Feiertags- oder Werktagsgewand!«
Er gab keine Antwort; immer noch lag sein Kopf auf seinen Armen.
»Ach, wie er müde ist, der Arme!« flüsterte sie vor sich hin und breitete plättend einen Kittel neben ihm auf dem Tische aus. »Der dürfte recht sein!« sagte sie jetzt laut. »Battist, entweder du mußt dich umziehen; denn du bist durchnäßt. Gescheiter wäre es freilich, du gingest gleich zu Bett, was meinst?« Sie legte ihm den Kittel probeweise um die Schultern. »Heiliges Verdienen!« schrie sie auf. »Der ist dir ja viel zu kurz und zu eng. Ja, du hast mir das Gewand schön verwachsen! Daß ich's aber nicht gleich gesehen habe, was für ein bäumiger Mann du aus einem schlanken, flinkaufgeschossenen Büblein geworden bist. Wo hatte ich denn die Augen? Steh doch einmal auf, Battist!«
Er erhob sich. Seine Augen blickten düster und waren voll Tränen.
»Was hast du denn, Battist?« fragte sie erschreckend. »Was schaust du denn so unglücklich drein und weinst gar; du, der eben noch sein Liebchen im Arm hatte. Red, red!«
145 »Mutter, Mutter!« schrie er auf und umarmte die alte Frau. »Wie schwer, o wie schwer habe ich mich an Euch und am Vaterlande versündigt!«
Da schloß sie ihm mit welken, zitternden Lippen den Mund, zog ihn neben sich nieder an den Tisch und raunte ihm überglücklich zu: »Jetzt war es mir einen Augenblick, ein großer fremder Mann sei aus meines Battistelis Kittel herausgewachsen, und nun, gottlob und dank, steckt in dem großen Mann doch wieder mein kleines Büblein; denn ich höre es nach der Mutter rufen!« 146